Die Tote im Kloster, Der Kapuzenmörder & Der Mörder von Greenwood - Paul Harding - E-Book
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Die Tote im Kloster, Der Kapuzenmörder & Der Mörder von Greenwood E-Book

Paul Harding

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Beschreibung

Drei Verbrechen, die das mittelalterliche England in Atem halten … DIE TOTE IM KLOSTER: England im Jahre 1301: Inmitten der schwelenden Konflikte mit dem Erzfeind Frankreich wird in einem Kloster die verbannte Geliebte des Kronprinzen tot aufgefunden. Wer hätte ein Interesse daran, Lady Eleanor zu ermorden? Hugh Corbett, Meisterspion der englischen Krone, beginnt zu ermitteln – und stößt dabei auf ein Netz aus Intrigen, das sich bis in die obersten Kreise beider Länder erstreckt … DER KAPUZENMÖRDER: Eine brutale Mordserie hält ganz London in Atem: Mehrere Prostituierte werden in der Dunkelheit der Nacht grausam verstümmelt. Als schließlich auch Lady Catherine Sommerville, Witwe eines Verbündeten Edwards I., tot aufgefunden wird, beauftragt der König erneut seinen besten Mann – Hugh Corbett begibt sich auf die Jagd nach dem gefürchtetsten Mörder der ganzen Stadt … DER MÖRDER VON GREENWOOD: Im Norden des Landes überfällt eine Räuberbande die Steuereintreiber des Königs. Als Corbett nach Nottingham reist, um im Auftrag Edwards I. den Verbrechern Einhalt zu gebieten, erwartet ihn dort eine weitere böse Überraschung: Der Sheriff der Stadt wird vergiftet in seinem Bett aufgefunden – und der Täter scheint niemand geringeres zu sein als der berüchtigte Robin Hood … Ein historischer Krimi-Sammelband für alle Fans von Oliver Pötzsch und Peter Tremayne.

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Seitenzahl: 1012

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Über dieses Buch:

DIE TOTE IM KLOSTER: England im Jahre 1301: Inmitten der schwelenden Konflikte mit dem Erzfeind Frankreich wird in einem Kloster die verbannte Geliebte des Kronprinzen tot aufgefunden. Wer hätte ein Interesse daran, Lady Eleanor zu ermorden? Hugh Corbett, Meisterspion der englischen Krone, beginnt zu ermitteln – und stößt dabei auf ein Netz aus Intrigen, das sich bis in die obersten Kreise beider Länder erstreckt …

DER KAPUZENMÖRDER: Eine brutale Mordserie hält ganz London in Atem: Mehrere Prostituierte werden in der Dunkelheit der Nacht grausam verstümmelt. Als schließlich auch Lady Catherine Sommerville, Witwe eines Verbündeten Edwards I., tot aufgefunden wird, beauftragt der König erneut seinen besten Mann – Hugh Corbett begibt sich auf die Jagd nach dem gefürchtetsten Mörder der ganzen Stadt …

DER MÖRDER VON GREENWOOD: Im Norden des Landes überfällt eine Räuberbande die Steuereintreiber des Königs. Als Corbett nach Nottingham reist, um im Auftrag Edwards I. den Verbrechern Einhalt zu gebieten, erwartet ihn dort eine weitere böse Überraschung: Der Sheriff der Stadt wird vergiftet in seinem Bett aufgefunden – und der Täter scheint niemand geringeres zu sein als der berüchtigte Robin Hood …

Über den Autor:

Paul Harding – auch bekannt unter seinem Pseudonym Paul Doherty – wurde 1946 in Middlesbrough geboren und studierte Geschichte an der Liverpool University und in Oxford. Unter verschiedenen Pseudonymen veröffentlichte er zahlreiche Bücher, so zum Beispiel mehrere historische Krimi-Reihen, für welche er vielfach ausgezeichnet wurde – unter anderem mit dem Pulitzer Preis. Viele seiner Fälle basieren auf ebenso wahren wie schockierenden Ereignissen.

Die Website des Autors: www.paulcdoherty.com/

Bei dotbooks erschien die mittelalterliche Spannungsreihe um den englischen Meisterspion Hugh Corbett

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Sammelband-Originalausgabe September 2024

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Eine Übersicht über die Copyrights der einzelnen Romane, die im Sammelband enthalten sind, finden Sie am Ende dieses eBooks.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH, München

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (vh)

ISBN 978-3-98952-382-1

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Paul Harding

Die Tote im Kloster, Der Kapuzenmörder & Der Mörder von Greenwood

Drei historische Krimis in einem eBook

Aus dem Englischen von Rainer Schmidt und Holger Wolandt

dotbooks.

Die Tote im Kloster

Aus dem Englischen von Rainer Schmidt

England im Jahre 1301, ein Land im Aufruhr – denn sowohl der ausschweifende Lebenswandel des Thronfolgers als auch der schwelende Konflikt mit dem Erzfeind Frankreich sorgen für immer stärkere Spannungen. Ausgerechnet in dieser heiklen Lage wird in einem abgeschiedenen Kloster die verbannte Geliebte des Kronprinzen tot aufgefunden. Aber wer hätte ein Interesse daran, Lady Eleanor zu ermorden? Hugh Corbett, Oberster Sekretär und Meisterspion der englischen Krone, beginnt zu ermitteln – und stößt dabei auf ein Netz aus Eifersucht, Verachtung und Intrigen, das sich bis in die obersten Kreise beider Länder erstreckt. Schnell erkennt Corbett, dass ihm nicht viel Zeit bleibt, um den Schuldigen zu finden – denn die Zukunft des englischen Königreichs steht auf dem Spiel …

Kapitel 1

Ein dicker Flußnebel, hochgekocht in der Hitze des Tages, hatte sich von der Seine hereingewälzt und die Nacht noch grausiger gemacht, denn er hatte die Häuser und Paläste von Paris mit seinen grauen, geisterhaften Fangarmen umschlungen. Das Abendläuten war vorüber, und in den Straßen und Gassen von Paris war es still bis auf ein paar stöbernde Katzen und den Abschaum der Pariser Unterwelt, der rattengleich nach leichter Beute witterte. Eudo Tailler, vorgeblich ein Weinhändler aus Bordeaux in der Gascogne, tatsächlich aber ein Agent Edwards I. von England und seines Meisterspions Hugh Corbett, huschte lautlos und mit halb gezücktem Dolch durch eine Gasse auf das dunkle, verfallende Haus zu, das an der Ecke stand.

Es war ein herrlicher Sommertag gewesen, und das Wetter hatte all die Untergangspropheten widerlegt, die wie einst Jeremias verkündet hatten, daß im ersten Jahr des neuen Jahrhunderts Feuer vom Firmament fallen, Blut emporspritzen und den Himmel besudeln werde. Eudo war im Mittsommer des Jahres 1300 nach Paris gekommen und hatte kaum etwas zu beanstanden gehabt. Seine Vorgesetzten in England sahen dies natürlich anders; sie beharrten darauf, daß Philipp IV., der König von Frankreich, geheime Komplotte schmiede, um das englische Herzogtum Gascogne zu erobern, wozu ihm jedes Mittel recht wäre.

Der Meisterspion des französischen Königs, Seigneur Amaury de Craon, war bereits in England und stocherte in den dunklen Ecken des englischen Hofes herum, immer auf der Suche nach saftigen Skandalen.

Eudo trat hastig in einen dunklen Hauseingang, als die Nachtwache, vier Soldaten mit Speeren und Laternen, an der Einmündung der Gasse vorbeimarschierten. Der Spion lehnte sich an die Tür. Oh, Skandale gab es genug in England, dachte er, und die meisten drehten sich um den Prinzen von Wales und seine frühere Geliebte, Lady Eleanor Belmont, die im Kloster Godstowe eingesperrt worden war. Aber diese schlimme Situation hatte sich noch weiter verschlimmert, weil der junge Prinz vor kurzem die wahre Liebe seines Lebens gefunden hatte – nicht etwa die Tochter eines Aristokraten, sondern einen Mann: den jungen gascognischen Lustknaben Piers Gaveston. De Craon würde sich das zunutze machen, überlegte Eudo, um die Funken des Klatsches zu einem feurigen Skandal anzufachen. Um die Gascogne in ihren Besitz zu bringen, würden die Franzosen den Ruf des Prinzen zerstören, und sollte das nicht gelingen, würden sie heuchlerisch, wie sie waren, darauf bestehen, daß der englische Thronerbe mit der französischen Königstochter Isabella verlobt werde, gemäß dem Friedensvertrag, der England einige Jahre zuvor aufgezwungen worden war.

Oh, die Franzosen waren gerissen! So oder so, König Edward von England saß in der Falle. Kein Wunder, daß Eudos Dienstherr Hugh Corbett, Obersekretär der englischen Staatskanzlei, ihm einen Strom von Anweisungen geschickt und ihn angefleht hatte, er möge die geheimen Pläne der Franzosen in Erfahrung bringen. Eudo lächelte. Er war erfolgreich gewesen, und sicher würde er den wohlverdienten Lohn einheimsen. Erst hatte er herausgefunden, daß sich ein Attentäter in England aufhielt, ein Angehöriger der verfluchten Familie de Montfort, der sich an den König heranpirschte und seinen Tod plante. Eudo hatte diese Erkenntnis ein paar Monate zuvor unmittelbar an König Edward geschickt; als er aber dann nichts weiter hörte, hatte er es in seiner jüngsten Depesche an Corbett noch einmal erwähnt.

Er hob die Hand und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er hatte getan, was gefordert war, und jetzt lag es beim König und bei Corbett, wie sie die Nachricht nutzten, die er ihnen schickte. Aber er hatte noch mehr erfahren: Die Franzosen schmiedeten ihre Ränke nicht nur um die frühere Geliebte des Prinzen von Wales, Lady Eleanor Belmont, sie hatten sogar einen Spitzel in Godstowe, wo die Frau eingekerkert war ...

Eudo hörte die Schritte der Wache verhallen. Er zog seinen Mantel zurecht, packte den Dolch und setzte seinen Weg fort.

Der aussätzige Bettler kauerte wie gewöhnlich in einem Winkel der Gasse, dem Haus gegenüber.

»Ist alles in Ordnung?« flüsterte Eudo.

Kaum konnte er die zusammengeduckten, in einen Mantel gehüllten Umrisse des Bettlers erkennen, aber er sah, daß der silbergraue Kopf leise nickte, und eine Knochenhand streckte sich ihm entgegen, um die gewohnte Bezahlung in Empfang zu nehmen. Eudo schluckte, verbarg seinen Abscheu und warf dem Mann eine Münze zu. Dann näherte er sich der Haustür. Wie vereinbart, war sie nicht abgeschlossen. Er hob den Riegel, schlüpfte lautlos hinein und sah sich um. Der gepflasterte Korridor war leer und dunkel. Eine Kerze flackerte kraftlos in einem Messinghalter hoch oben an der Wand und spendete ein wenig Licht auf der wackligen Holztreppe, die er jetzt hinaufstieg. Eudo war zufrieden. Was für ein Glück, daß er Mistress Célèste gefunden hatte, eine dralle junge Hure aus der Normandie, rotbackig und frisch vom Lande. Eudo hatte sich ihres Zaubers bedient, um einen Schreiber aus der Königlichen Staatskanzlei im Louvre-Palast zu ködern und einzufangen. Das Mädel hatte sich als intelligent erwiesen; süß ihre Unschuld beteuernd und dabei allerlei Freuden verheißend, hatte sie dem leichtgläubigen französischen Schreiber ein Geheimnis nach dem anderen abgeschmeichelt.

Oben angekommen, drückte Eudo behutsam die Kammertür auf. Es war dunkel drinnen, und er straffte sich. Irgend etwas stimmte nicht. Sicher hätte Célèste doch eine Kerze brennen lassen? Seine Augen bemühten sich, das Dunkel zu durchdringen. Er roch den schweren Duft von Célèstes Parfüm und erkannte die schlafende Gestalt der jungen Prostituierten auf einer Bettstatt unter dem kleinen, halboffenen Fenster. Eudo entspannte sich und grinste. Vielleicht war das Mädchen müde nach einer arbeitsreichen Nacht. Aber vielleicht konnte er jetzt auch ein paar der Freuden genießen, die der junge französische Schreiber erfahren hatte.

»Célèste!« wisperte er. »Célèste, ich bin es, Eudo.«

Stille folgte auf seine Worte.

»Stimmt etwas nicht?« fragte er leise.

Beunruhigt hielt er inne und spitzte die Ohren.

Er hörte, wie das Haus ächzte und stöhnte, aber es war alt, und der Bettler an der Ecke hätte ihn sicher alarmiert, wenn jemand gekommen wäre. Eudo zog seinen Dolch und trat ans Bett.

»Célèste!« zischte er und schüttelte das Mädchen energisch.

Der Körper fiel herum, und Eudos Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei. Die Kehle des Mädchens war von einem Ohr zum anderen aufgeschnitten, dickes rotes Blut tränkte das Mieder ihres Kleides und gerann in dunklen Pfützen auf der Bettdecke. Eudo fühlte etwas Warmes, Klebriges an den Fingern. Er atmete tief durch und wich zurück, und dabei schlug er seinen Mantel nach hinten und legte die Hand auf den Schwertgriff. Er trat noch einen Schritt zurück und noch einen, und dann drehte er sich um und stürzte zur Tür. Eine Schattengestalt erhob sich vor ihm, aber Eudo duckte sich auf seine Knie, und im selben Augenblick sauste sein Dolch nach vorn und schlitzte dem Mann den Bauch auf. Dann sprang er wieder auf, stieß den Mann beiseite und polterte die Treppe hinunter. Eine zweite Gestalt erwartete ihn unten, vermummt und bedrohlich. Eudo hielt nicht an, sondern sprang die letzten paar Stufen auf einmal hinunter und prallte gegen den Angreifer, so daß dieser rückwärts gegen die harte Mauer flog. Dann war Eudo draußen in der dunklen, stinkenden Gasse. Er funkelte zu dem Bettler hinüber.

»Du Dreckskerl!« schrie er. »Du verlogener Dreckskerl!« Der Elende wich tiefer in seinen Winkel zurück. Eudo scharrte am Boden herum, hob einen losen Pflasterstein auf und schleuderte ihn dem Bettler krachend an den Kopf, so daß er zu einem stöhnenden Haufen zusammensackte. Eudo bog um die Ecke und rannte auf die Straßenkreuzung zu. Er schluchzte und wimmerte, während seine Brust nach Luft rang und sein Herz wie eine Trommel schlug. Er wußte, es war alles vergebens. Bis jetzt hatte er Glück gehabt, aber wo konnte er hin?

Er sah, wie plötzlich eine Reihe von Soldaten auf der anderen Seite des Platzes erschienen. Trotzig schreiend blieb er stehen. Lebendig würde er sich nicht fassen lassen. Noch immer brüllte er ihnen seine Schmähungen entgegen, als ihn der Armbrustbolzen in den Oberschenkel traf und ihn auf die Pflastersteine schleuderte. Fluchend und stöhnend packte er den Bolzen, der sich tief in sein Fleisch gebohrt hatte, und der wilde Schmerz ließ ihn aufheulen. Keine Belohnung mehr, keine Heimreise nach Bordeaux! Kein Wein! Er hörte dröhnende Stiefelschritte auf dem Kopfsteinpflaster, und ein gepanzerter Fuß stieß ihn gegen die Schulter und warf ihn flach auf den Rücken. Der Hauptmann der französischen Garde nahm den Helm ab und kniete neben ihm nieder.

»Soso, Monsieur«, sagte er leise. »Die Tage des Weins und des Gesangs sind für Euch vorüber.«

Er holte mit seiner gepanzerten Faust aus und versetzte dem englischen Spion einen Schlag auf den Mund, daß dem davon übel wurde.

»Das ist nur der Anfang Eurer Nöte, Monsieur!« zischte er dabei. »Ich habe heute abend Euretwegen zwei gute Männer verloren.« Er packte Eudo bei seinem Wams und zerrte ihn hoch. »Aber kommt – bis zu den Verliesen im Louvre sind es nur ein paar Schritte, und es gibt noch andere, die ein Wörtchen mit Euch reden wollen.«

Lady Eleanor Belmont saß auf der Bettkante. Ihr herzförmiges Gesicht war blaß und ernst; nur ihre Wangen hatten sich leicht gerötet Sie flocht die Finger ineinander, rang und drehte sie, als wolle sie der Erregung, die sie durchflutete, irgendwie Luft schaffen. Sie stand auf und trat an das rautenförmige Fenster. Ein schöner Septembertag; die Sonne wollte bald untergehen, und die Stille in dem Priorat wurde nur vom klaren Gesang der Vögel in den Bäumen vor den Mauern des Nonnenklosters unterbrochen. Eleanor blieb stehen und spähte angestrengt zum Fenster hinaus. Sie war sicher, daß sie Bewaffnete gesehen hatte – einen Reitertrupp: Der blitzende Stahl der Waffen hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Sie lehnte sich an die Glasscheibe; die Kühle war ihrer heißen Wange willkommen. War da jemand? Waren sie gekommen? Nein, sie hörte nichts außer dem Geplapper der Nonnen, die vor der Komplet im Gänsemarsch durch den Kreuzgang zogen. Eleanor seufzte; vermutlich war das, was sie gesehen hatte, wieder ein Trugbild ihrer fiebrigen Phantasie gewesen.

Sie sah sich in dem Gemach um. Alles war bereit. Sie richtete sich auf und schnappte nach Luft. Ihr Freund, wer immer er war, würde sicher Hilfe schicken. Bald würde dieser finstere Ort hinter ihr liegen; wiedervereint mit ihrem Geliebten, würde sie sich darum bemühen, seine Zuneigung zurückzugewinnen. Edward mochte Prinz von Wales und Erbe der englischen Krone sein, aber Lady Eleanor war zu dem Schluß gekommen, daß sie aus härterem Holz geschnitzt war. Hatte ihr Vater sie nicht bei vielen Gelegenheiten daran erinnert, daß die Belmonts von vornehmer Abkunft waren, kraftvoll und sicher?

Sie würde die Gerüchte ignorieren. Unvermittelt lachte sie, erstarrte dann aber, denn sie hatte ein Geräusch gehört, schleichende Schritte draußen im Korridor. Sie schüttelte den Kopf.

»Lord Edward will mir doch sicher nichts antun?« flüsterte sie.

Es gab böse Menschen, die behaupteten, er wolle ihren Tod, aber das konnte sie nicht von ihm glauben. Oh, freilich, andere mochten solche Wünsche hegen, Angehörige des geheimen Rates des Prinzen – denen würde Eleanor alles zutrauen, besonders dem allgegenwärtigen Piers Gaveston mit der seidenweichen Zunge, der sich ins Herz des Prinzen geschlichen hatte. Bei dem bloßen Gedanken an ihn stampfte Eleanor mit dem Fuß auf.

»Gaveston, der Dämonenanbeter!« zischte sie. »Gaveston, der Satansbraten! Gaveston, der Sodomit!«

Sie beruhigte sich. Und der Rest des Hexenzirkels? Lady Amelia Proudfoot, die Oberin, in deren Nonnenkloster sie sich jetzt befand, und die stummen Schatten der Proudfoot, die Damen Frances und Catherine? Die würden alles tun, um sie hier festzuhalten: Gift, Dolch, Garotte, ein plötzlicher Sturz ...

Eleanor lächelte und schlang sich die Arme um die Schultern. Oh, sie war so vorsichtig gewesen, so wachsam, hatte stets darauf geachtet, was sie gegessen und getrunken hatte und wo sie gegangen war, und höflich hatte sie alle Angebote, auf die Jagd zu gehen, abgelehnt. Schließlich – Lady Eleanor lächelte säuerlich – waren Jagdunfälle nichts Ungewöhnliches. Gewiß, krank war sie wohl gewesen, aber das kam von bösen Säften des Geistes, hervorgerufen von Einsamkeit und banger Unruhe. Tatsächlich wäre sie beinahe verzweifelt, aber endlich war doch Hilfe gekommen. Vor einigen Wochen hatte sie hier in der Kammer eine Botschaft gefunden, verborgen in einer kleinen Ledermappe. Der Absender hatte geschrieben, sie solle guten Mutes sein und sich keine Sorgen machen; weitere Botschaften solle sie in der hohlen Eiche am Galilee Walk hinter der Kapelle suchen. Der Wohlmeinende, wer immer es sein mochte, hatte versprochen, sie heute zu befreien, und so hatte sie ihre Gefährtinnen ersucht, sie allein zu lassen und zur Komplet zu gehen. Nur die Alten, Dame Elizabeth und Dame Martha, waren geblieben, während Lady Amelia und ihre Gefolgsfrauen bald in der Kapelle thronen und sich in ihrer Macht sonnen würden. Lady Eleanor drehte sich um, als sie hörte, wie das alte Gebäude unter ihr knarrte. Ein Spukhaus, sagten die Leute; anscheinend gingen Gespenster hier um. Es war jedenfalls kein Wohnort für eine junge Dame, die Geliebte eines der größten Männer im ganzen Land.

Eleanor setzte sich aufs Bett und nagte nervös an der Unterlippe; erregt erhob sie sich dann wieder, legte ihren Mantel um und spielte mit dem Ring an ihrem Finger; er war das letzte Geschenk des Prinzen an sie, ein großer blauer Saphir, der immer im Licht schimmerte. Sie wandte den Kopf und lauschte. Da war doch noch ein anderes Geräusch, nicht nur das Knarren der Treppe? Jemand war draußen. Sie hörte schleichende Schritte auf der Galerie. Sie näherten sich, oder? Lady Eleanor warf einen Blick zur Tür. Gut, der Schlüssel steckte im Schloß, und es war abgeschlossen. Sie befühlte ihr Haar mit der flachen Hand und schlug dann die Kapuze hoch. Wenn Dame Agatha doch hier wäre! Vielleicht war es dumm von ihr gewesen, sie wegzuschicken. Wieder dieses Geräusch. Wie gebannt stand Lady Eleanor da. Sie sah, wie die Türklinke sich senkte. Plötzlich geriet sie in Panik – doch zu spät! Sie hörte ein leises Klopfen, und sie wußte, sie würde öffnen müssen.

Lady Eleanor beschäftigte auch andere Leute an diesem Tag. Edward, der Prinz von Wales, und sein Günstling, Piers Gaveston, hatten ihretwegen wieder einmal heftig gestritten und sich dann versöhnt, und sie hatten geschworen, sich mit einer Jagd Zerstreuung zu verschaffen. Sie verließen Woodstock Palace mit Soldaten, Pferdeknechten, Jägern und Gefolge, ein munterer, farbenfroh kostümierter Zug mit glatten, wohlgenährten Pferden, prunkvoll aufgezäumt mit scharlachroten und blauen Halftern und versilberten Sätteln und Schabracken. Unter lautem Rufen, dem Schmettern von Trompeten und mit prachtvoll flatternden Brokatbannern bewegte sich die königliche Jagdgesellschaft über die staubigen Pfade von Oxfordshire, die sich um große, nirgends eingezäunte Kornfelder schlängelten, auf denen die Garben sich türmten, derweil die Bauern sich plagten, die Ernte einzubringen.

Immer noch strahlend, stand die Sonne an einem hellblauen Himmel. Das Gras zu beiden Seiten des Weges war erfüllt vom Zirpen der Grillen und dem Geraschel der Mäuse, die vor den Erntearbeitern flüchteten. Eine Lerche schwebte hoch oben am Himmel und sang aus reiner Lust, und in den fernen Bäumen trillerten Amseln und Drosseln sich das Herz aus dem Leibe.

Plötzlich trat ein dunkler Kerl wie eine Vogelscheuche, scheinbar aus dem Nichts, mitten auf den Weg; sein langes Haar war schwarz wie die Nacht und umflatterte das hagere Gesicht wie die Flügel eines Raben. Die Kleider umhüllten den ausgemergelten Leib fast wie Verbände. Prinz Edward hob eine Hand, und die Kavalkade hielt an. Edward hatte den Mann sofort erkannt: Er war ein verrückter Prophet, der seit ein paar Tagen vor den Schloßmauern herumstreunte. Der Kerl behauptete, er komme vom Amboß des Teufels, wie man jenes brennend heiße Sandland im Süden des Mittelmeers nannte. Seine schmutzige, in Lumpen gewickelte Gestalt stand jetzt bewegungslos da, aber seine Augen glühten wie brennende Kohlen.

»Ich bringe eine Warnung!« dröhnte der Prophet. »Eine Warnung vor Tod und Schande. Eine Warnung vor dem weichen, parfümierten Fleisch der Huren, die sich in Federbetten räkeln und von ihrer Lust plärren!« Die feurigen Augen blitzten, und ein sehniger Arm hob sich in zornigem Beben. »Ihr Kupplerinnen, die ihr Wein trinkt aus bauchigen Bechern, seid gewarnt! Der Tod selbst wird dieses Zeitalter läutern! Hört auf meine Worte: Er lauert in diesen düsteren Wäldern. Er besteigt sein fahles Pferd, und bald wird er hiersein! So seid gewarnt, ihr Dirnen und Huren!«

Die seidengewandeten Höflinge hinter dem Prinzen grinsten einfältig, und leise lachend wandten sie sich ab. Der verrückte Prophet näherte sich der großen blonden Gestalt des Prinzen, der unter dem blaugoldenen Banner Englands in nachlässiger Haltung auf seinem Pferd saß. Die Augen des Propheten wurden schmal.

»Bereuet!« zischte er. »Ihr jungen Männer, die es Euch nach dem Fleisch des anderen gelüstet und die Ihr Behagen in verbotener Liebe sucht!«

Der Prinz grinste, hob eine purpurn behandschuhte Hand und berührte seinen kleineren, dunkleren Gefährten.

»Er meint uns, Piers.«

Die Miene des jungen Gascogners verhärtete sich, doch es blieb ein Mädchengesicht mit glatten olivfarbenen Wangen, makellosen Zügen und sauber geschnittenem dunkelrotem Haar. Mädchenhaft und unschuldig – mit Ausnahme der Augen, überraschend hellblau wie ein Frühlingshimmel, vom Regen frisch gewaschen. Hart waren sie und leer.

»Das glaube ich nicht, Mylord«, schnarrte Gaveston. Prinz Edward schüttelte den Kopf und nahm eine Silbermünze aus seiner Börse.

»Laß uns wetten, Piers. Der Kerl wird zweifellos von mir reden.« Er strich sich über den Schnurrbart. »Laß uns offen sprechen. Ich bin der einzige hier, über den zu reden sich lohnt.«

Der Prophet mußte ihn gehört haben.

»Ihr, Edward, Prinz von Wales!« schrie er. »Sohn eines größeren Vaters, Träger seines Namens, aber nicht seiner Majestät. Ja, ich warne Euch, Euch und Euren krallenden Lustknaben Gaveston, den Sohn einer Hure!« Die Stimme senkte sich zu einem Zischen. »Sohn einer Hexe, vom Teufel kommst du, und zum Teufel wirst du gehen. Gebt nur acht, Prinz Edward, daß Ihr nicht mit ihm geht; die Heerscharen Satans heulen nach der sündenschweren Seele Gavestons!«

Prinz Edward nickte ernst. »Höchst interessant«, bemerkte er und streckte Gaveston die Hand entgegen. »Dein Silber, Piers.«

Der Gascogner reichte erbost knurrend ein Geldstück herüber.

»Euer Gnaden«, sagte er leise, »laßt mich den Dreckskerl umbringen.«

»Nein, Piers, jetzt nicht. Du wirst nur die Falken erschrecken und uns die Jagd verderben.« Er streichelte dem Gascogner das dunkle Haar. »Sei nicht zänkisch, Piers«, raunte er. »Du wirst von Tag zu Tag mehr wie Vater und Lady Eleanor.«

Edward trieb sein Pferd voran, und der Prophet huschte an den Wegesrand. Gaveston drehte sich um und winkte dem Hauptmann der Garde mit gekrümmtem Finger zu sich heran.

»Bring den Dreckskerl um«, flüsterte er. »Nein, nicht jetzt. Aber bevor er einen Tag älter wird.«

Die Sonne war nicht viel weiter über den Himmel gezogen, als der Leichnam des verrückten Propheten, die Kehle von einem Ohr zum anderen durchgeschnitten, im tiefen Wald in einen schaumgesäumten Sumpf geworfen wurde und dort spurlos versank. Eine Stunde später stieß der Söldnerhauptmann wieder zur königlichen Jagdgesellschaft, die sich zu Pferde durch das dichte, üppige Schilf eines langsam dahinfließenden Flusses bewegte. Der Soldat nickte Gaveston zu, und dieser zwinkerte zurück, grinste und nahm dem Falken, der ruhelos auf seinem Handgelenk hockte, die Haube ab. Die Glöckchen an seinen Fußriemen klingelten eine Warnung vor dem Tod, den er in diese weiche grüne Dunkelheit bringen würde.

»Jetzt habe ich Blut geleckt«, murmelte Gaveston bei sich.

»Ich kann die Jagd genießen.«

Er wartete, bis die Treiber einen großen Reiher aufgestöbert hatten, der seine Deckung verließ und sich hoch über die Bäume erhob. Gaveston hob die Faust, streichelte seinen Lieblingsfalken mit seinem Handschuhfinger und ließ ihn los. Der Falke breitete die dunklen Flügel aus wie der Engel des Todes und flog dem Reiher nach; er stieg hoch in den Himmel, verharrte kurz, segelte eine Weile im Spätsommerwind und fuhr dann mit angelegten Flügeln herab wie ein Pfeil. Mit schrillem Schrei stieß er in einer Wolke von Federn auf den Reiher. Die Höflinge riefen »Oooh!« und klatschten in die Hände, aber dann schrien sie auf, als der alte Reiher den langen Hals zurückbog und seinen dolchspitzen Schnabel tief in den Körper des Falken stieß. Sprach los schaute Gaveston zu, wie sein Falke zu Boden fiel, ein Bündel blutiger Federn, während der Reiher herabkurvte und sich im Schilf verbarg.

»Ganz außergewöhnlich«, sagte der Prinz leise. »Ich habe so etwas schon gehört, aber gesehen habe ich es zum ersten Mal.« Er stieß seinem Gefährten spielerisch in die Rippen. »Eine Warnung, Piers«, flüsterte er. »Du willst zu hoch hinaus. Die Grafschaft Cornwall und den Vorsitz in meinem Rat – aber nicht jetzt!« Er hob einen Finger an die Lippen. »Noch nicht, Piers. Was würde wohl mein Vater dazu sagen – von Lady Eleanor ganz zu schweigen?«

Gaveston funkelte ihn an, und wieder fragte er sich, ob er den Bann dieses Biestes Eleanor Belmont wirklich gebrochen hatte. Prinz Edward wandte sich ab. Würde Gaveston die Warnung beachten? Edward liebte Piers mehr als das Leben, aber er wagte nicht, ihn noch mehr zu bevorzugen. Er warf einen Seitenblick auf seinen Günstling: Gaveston hatte seine Gewohnheiten, aber Edward kannte auch seine dunkle Seite. Er hatte die kleinen gelben Wachsfiguren gesehen, die sein Geliebter verwahrte; eine trug eine Krone und stellte den König dar, die andere war mit einem kleinen scharlachroten Rock bekleidet, in der Farbe einer Hure: Gavestons Beschreibung der Lady Eleanor Belmont. Der Prinz starrte in die Dunkelheit zwischen den Bäumen. So viele Geheimnisse, soviel Anspannung! Wann würde sein Vater sterben? Und, vor allem, wann dieses Biest Eleanor?

Von einem Fenster hoch oben in Woodstock Palace beobachtete Sir Amaury de Craon, Spion, Meuchelmörder und Sondergesandter Seiner allerchristlichsten Majestät, Philipps IV. von Frankreich, wie die Jagdgesellschaft des Prinzen auf dem gewundenen Kiesweg zum Palast zurückkehrte. Flüchtig dachte de Craon an Lady Eleanor, als er die beiden Gestalten betrachtete, die so dicht nebeneinander ritten, vor allen anderen: Lord Edward und Gaveston. Sie plauderten wie David und Jonathan, die von des Tages Jagd zurückkehrten. De Craon schaute wütend hinunter. Lady Eleanor hatte er nicht gemocht, aber Gaveston hätte er mit Vergnügen umgebracht.

De Craon holte tief Luft und versuchte seine Wut zu zügeln; er starrte zum Himmel hinauf. Der Tag näherte sich dem Ende. Ein ziemlich kühler Wind ließ die Banner, die vor dem Prinzen hergetragen wurden, flattern und knattern. De Craon fröstelte, er zog den Mantel fester um die Schultern. Mit seinem scharfgeschnittenen spitzen Gesicht, dem rötlichen Haar und dem Ziegenbärtchen sah der Franzose aus wie ein neugieriger Fuchs, der seine herannahende Beute beobachtet. Großer Gott, dachte er erbost, wie war ihm Gaveston verhaßt! Der Gascogner war nichts als der Sohn eines emporgekommenen Lehnsbauern und einer Hexe aus der englischen Provinz Gascogne – jawohl, einer überführten Hexe, die bei lebendigem Leib verbrannt worden war, an ein Faß gekettet, mitten auf dem Marktplatz von Bordeaux. Was sollte er mit Gaveston anfangen? fragte de Craon sich zum x-ten Male. Vor seiner Abreise aus Paris hatte sein Herr, Philipp IV., ihn in sein samtverhangenes Geheimgemach im Louvre geholt und ihm seine Mission erläutert. Sie hatten an einem Tisch gesessen, auf dem nur eine flackernde Kerze in einem Leuchter stand.

»Denkt immer daran, de Craon«, hatte der französische König gesagt, »das Herzogtum Gascogne ist in den Händen Edwards von England. Von Rechts wegen müßte es in meiner sein!« Philipp hatte den Kerzenleuchter umklammert. »Fast wäre es auch dazu gekommen«, fuhr er fort, »aber Seine Heiligkeit der Papst intervenierte. Jetzt hat Edward die Gascogne, und ich habe einen Friedensvertrag.«

De Craon hatte Philipp aufmerksam beobachtet.

»Jedoch«, hatte sein Herr zischend hinzugefügt, »ich gedenke, die Gascogne, den Friedensvertrag und noch sehr viel mehr zu bekommen. Dem Diktat des Heiligen Vaters gemäß sollte Edward I. von England meine Schwester heiraten, und er ist ihr willkommen, aber der unfähige Prinz von Wales soll meine geliebte Tochter ehelichen, sobald sie alt genug für die Vermählung ist. Nun, wenn das geschieht, wird eines Tages mein einer Enkel auf dem englischen Thron sitzen, und ein anderer wird Herzog der Gascogne. So kann diese Provinz, und vielleicht auch England selbst, mit der Zeit von der französischen Krone übernommen werden.« Philipp hatte geschwiegen und sich die blutleeren Lippen geleckt.

»Allein«, war er fortgefahren, »all das liegt in der Zukunft, und es gibt einen direkteren Weg, dem ich folgen könnte. Ihr sollt nach England gehen, um die Verlobung meiner Tochter zu bestätigen, aber Ihr müßt darauf bestehen, daß der Prinz von Wales nicht mit Skandal behaftet ist. Er soll sich von seiner Lieblingshure, Eleanor Belmont, trennen. Andernfalls« – Philipp hatte gelächelt, wie er es nur selten tat – »und im Lichte eines solchen Skandals, werde ich an den Heiligen Vater appellieren, der Vertrag wird null und nichtig sein, und binnen einer Woche sind meine Truppen überall in der Gascogne. Es mag leicht sein, daß der Prinz damit einverstanden ist – wie ich höre, hat er die Frau satt –, und in dem Fall stände mir ein dritter Weg offen.«

Philipp hatte sich erhoben, war um den Tisch herumgekommen und hatte de Craon die allergeheimsten Instruktionen ins Ohr geflüstert. Der französische Gesandte mußte daran denken und lächelte. Vielleicht sollte er diesen Weg jetzt einschlagen. Er ballte erregt die Fäuste: Wenn er es täte, könnte er damit ein paar alte Rechnungen begleichen – nicht nur mit Edward von England, dem umnachteten Prinzen von Wales, und dessen männlicher Hure Gaveston, sondern auch mit Master Hugh Corbett, seinem alten Rivalen und Feind.

Kapitel 2

Hugh Corbett, oberster Sekretär und Meisterspion Edwards von England, hatte einen furchtbaren Traum. Er stand unter den ausladenden Ästen einer Ulme, gleich denen, die das Gelände des Damenstifts Godstowe in Oxfordshire umsäumten. Die spätsommerliche Sonne schien, aber die Luft war still, gespenstisch, ohne jeden Vogelgesang. Neben ihm, an einem Ast des nächsten Baumes, hing ein Leichnam mit gebrochenem Genick, den Kopf zur Seite gelegt; er hing da wie ein Opfer aus alten Zeiten oder wie die Figur des Todes aus dem Tarot. Corbett fühlte den Drang, sich umzudrehen, aber er merkte, daß er es nicht konnte. Sein Blick war starr auf die Fenster des Klosters Godstowe gerichtet, die leeren Augenhöhlen glichen. Kein Laut durchbrach die eisige Stille, abgesehen vom hohlen Kreischen grausam blickender Pfauen und den fernen Kadenzen geisterhaften Nonnengesangs.

In seinem Alptraum ging Corbett über einen saftig grünen Rasen, und die Schatten hinter ihm trieben ihn voran. Kein Lebenszeichen war zu erkennen, als er über den Kiesweg auf das große Tor des Nonnenklosters zuging. Es war unverriegelt und stand halb offen; er stieß es ganz auf und betrat das kalte, dunkle Gebäude. Eine Reihe blakender Kerzen, deren flackernde Flammen den stillen Flur mit tanzenden Schatten erfüllten, bildeten einen Weg, der ihn zum Fuße einer steilen Steintreppe führte. Dort lag wie schlafend die Gestalt einer jungen Frau, das Gesicht halb abgewandt, und eine bleiche Elfenbeinwange lugte unter der Kapuze hervor, die ihren Kopf verhüllte. Corbett ging auf leisen Sohlen auf sie zu, kniete nieder und drehte die Gestalt um; die Arme der jungen Frau fielen schlaff herab wie die Flügel eines gefallenen Vogels Er schob die Kapuze zurück und erwartete, das Gesicht Eleanor Belmonts zu sehen, der ehemaligen Geliebten Lord Edwards, aber dann erkannte er mit einem lautlosen Entsetzensschrei: Die toten, eiskalten Züge waren die seiner Frau Maeve. Über ihm, im tiefen Dunkel des Hauses, begrüßte ein leises, spöttisches Lachen seine Entdeckung – doch als er aufsprang, erwachte Corbett schweißgebadet in seinem Bett im Landhaus zu Leighton.

Schwer atmend setzte er sich unter dem blau-goldenen Baldachin auf, der sich zwischen den geschnitzten Pfosten seines mächtigen Himmelbetts spannte. Das Fenster klapperte unter dem hartnäckigen Ansturm eines schluchzenden Windes, und Corbett fragte sich, ob er nur geträumt oder ob ihn ein dunkles Trugbild der Nacht heimgesucht hatte. Hastig blickte er nach rechts, aber seine Frau Maeve lag versunken in sanftem Schlummer, und ihr silberblondes Haar war wie ein Heiligenschein auf dem großen Kissen ausgebreitet. Er beugte sich hinüber und küßte sie sanft auf die Stirn. Der einsame Ruf einer jagenden Eule und die Todesschreie irgendeines Tieres in der schattenhaften Finsternis der Bäume draußen erregten seine düstere Stimmung von neuem.

Corbett stand auf, zog seinen Mantel an und entzündete mit Zunder und Kienspan eine Kerze. Er ging zu dem schweren, dicken Wandbehang, der die hintere Wand seines Schlafgemachs bedeckte, und zog ihn beiseite; das Flackerlicht der Kerze ließ die gestickten Figuren darauf zu gespenstischem Leben erwachen. Corbett umfaßte den sinnreich erdachten Hebel, drückte ihn herunter, und die hölzerne Wandtäfelung schwang auf geölten Angeln sanft zurück und gab den Zugang in seine Geheimkammer frei. Dieser exakt quadratische, weißgekälkte Raum war das Zentrum seiner Arbeit, der einzige Ort, an dem Corbett allein sein konnte, um nachzudenken, zu planen und alle erdenklichen Maßnahmen gegen die Feinde des Königs zu ergreifen, in England wie auch im Ausland.

Er streckte sich, und ein Schmerz durchzuckte seine Schulter, wo der wahnsinnige Priester de Luce vor Monaten seinen Dolch hineingestoßen hatte. Corbett hatte überlebt, von Maeve gepflegt, die jetzt seit sechs Wochen seine Frau und seit über zwei Monaten schwanger war. Er lächelte; sie war ein Quell des Glücks, aber nicht hier, nicht in dieser verdunkelten Kammer. Edward I. von England hatte ihm Leighton Manor, das Herrenhaus am Rande von Essex, in Anerkennung geleisteter Dienste geschenkt, aber auch zum Lohn für seine fortgesetzten Bemühungen beim Aufbau eines Netzwerkes von Spionen in England, Schottland, Frankreich und den Niederlanden. Corbett hatte den Auftrag mit Vergnügen angenommen, aber die Erkenntnisse, die er sammelte, brachten weitere Probleme mit sich: Er hatte das Gefühl, er habe Drachenzähne gesät und stehe nun im Begriff, den Wirbelwind zu ernten.

Der Sekretär zündete die Pechfackeln in ihren eisernen Wandhaltern an und trat an seinen mit verschlungenem Schnitzwerk verzierten Eichenholzschreibtisch. Die Geheimnisse, die er hier in verborgenen Fächern und Schubladen versteckt hatte, waren der Grund für seine jetzigen bangen Sorgen. Von einem Stein unter dem Schreibtisch nahm Corbett ein paar Schlüssel, zündete die beiden Kandelaber an, die rechts und links auf dem Tisch standen, setzte sich hin und schloß das Geheimfach auf.

Er zog den Brief des Königs heraus, den er am Abend zuvor erhalten hatte, als er mit Maeve in der großen, dunklen Halle beim Abendessen gesessen hatte. Er war in einer Geheimschrift verfaßt, die Corbett bereits entziffert hatte. Er nahm eine Feder vom Schreibtablett, strich einen Bogen Pergament glatt und begann seine Antwort zu entwerfen und ein Memorandum zu verfassen, eher zur Klärung seiner eigenen Gedanken als zur Unterrichtung des Königs.

Item – König Edward ist alt und verstrickt in den Kampf gegen die schottischen Rebellen, während er zugleich versucht, seinen Besitz in Frankreich zu verteidigen. Die englische Krone ist bankrott. Der König hat nur einen einzigen Ausweg, den Friedensvertrag, den der Heilige Stuhl vorgelegt hat und der die Verlobung des Prinzen von Wales mit der kleinen Tochter des französischen Königs Philipp IV. vorsieht.

Item – der Prinz von Wales ist unfähig und genußsüchtig und womöglich der Männerliebe verfallen. Er wird vom Hexenmeister Gaveston beherrscht und haßt seinen Vater. Der König möchte Gaveston gern verbannen, aber das könnte leicht zu einem Bürgerkrieg führen, der nur den Schotten helfen und sicher auch die Franzosen hereinziehen würde.

Item – Philipp IV. von Frankreich hatte verlangt, daß Eleanor Belmont entfernt werde, und Lord Edward war diesem Ersuchen nur zu gern nachgekommen. Eleanor war buchstäblich unter Hausarrest gestellt worden, und zwar im Damenstift zu Godstowe, das der Prinz von seinem nahe gelegenen Palast in Woodstock im Auge behalten konnte.

Item – stimmten die Gerüchte, daß Lady Eleanor an einem Brustleiden erkrankt war und daß der Prinz ihr Arzneien schickte? Und wenn ja, waren es wirklich Arzneien oder war es Gift?

Item – am vergangenen Sonntag war Lady Eleanor Belmont nicht mit den Nonnen in der Komplet gewesen und hatte nachher auch nicht mit ihnen im Refektorium zu Abend gegessen. Im Gegenteil, sie hatte ihren Freundinnen unter ihnen sogar gesagt, sie sollten sie allein lassen. Das Konventsgebäude, in dem Lady Eleanor ihre Gemächer hatte, war während des Abendgottesdienstes leer gewesen; nur zwei alte Nonnen, Dame Elizabeth und Dame Martha, waren zurückgeblieben. Nach der Komplet gingen alle Nonnen wie üblich ins Refektorium. Nach dem Abendessen (und auch dies war üblich) hatte sich die Priorin mit ihren beiden Stellvertreterinnen, Dame Frances und Dame Catherine, auf einen Rundgang durch das Hauptgebäude begeben; sie waren durch die offene Tür gekommen und hatten Lady Eleanor, in einen Kapuzenmantel gehüllt, am Fuße der Treppe gefunden. Sie behaupteten, sie habe sich bei einem Sturz das Genick gebrochen, aber die Kapuze, die ihren Kopf bedeckte, war nicht verrutscht.

Item – war Lady Eleanor wirklich gefallen? Wenn ja, warum war ihr Gewand nicht in Unordnung? Und warum hatten die alten Nonnen kein Gepolter und kein Geschrei gehört? Und wenn sie gefallen war, wo hatte sie hingehen wollen? Oder wo war sie hergekommen? War es Selbstmord? Berichten zufolge war Lady Eleanor melancholisch, ein Opfer bösartiger Säfte.

Corbett streichelte sich mit der Schreibfeder die Wange und lauschte mit halbem Ohr auf den Wind, der wie ein umherstreifender Geist zwischen den Bäumen stöhnte; ihre Zweige raschelten, und einer klopfte beharrlich ans Fenster. Corbett tauchte die Feder in die blaugrüne Tinte. War Lady Eleanor vielleicht ermordet worden? Und wenn ja, von wem? Von Lord Edward? Er hatte sich im nahe gelegenen Palast von Woodstock aufgehalten. Von Lord Gaveston, der ebenfalls dort gewesen war? Oder von beiden zusammen? Oder hatte jemand aus dem Kloster den Mord begangen? Aus Eifersucht oder auf Befehl von außen? Die Franzosen vielleicht? Zur Zeit hielt sich eine Delegation von Philipp in England auf, angeführt von Corbetts altem Widersacher Amaury de Craon.

Corbett biß auf die Knöchel seiner Hand. De Craon, sein Gegenüber im Französischen Rat, war ein geschickter, verschlagener Mann, der für Edward von England und übrigens auch für seinen obersten Sekretär keinerlei Zuneigung empfand. Über einen Skandal, in den die englische Krone verwickelt wäre, hätten die Franzosen sich diebisch gefreut. Die Belmont war die Geliebte des Prinzen von Wales gewesen, aber man hatte sie vom Hofe verbannt, und so gab es hier nichts mehr auszusetzen. Natürlich war es möglich, daß Gaveston ihren Platz eingenommen hatte, aber die Franzosen konnten nicht beweisen, daß seine Beziehung zu dem jungen Prinzen etwas anderes war als ehrenhafte Freundschaft. Indes, sollte de Craon nunmehr andeuten, daß der Prinz oder Gaveston in einen Mord verwickelt seien, dann könnte Philipp leicht zu dem Entschluß kommen, die Verlobung abzusagen und den Friedensvertrag für null und nichtig zu erklären, und unversehens sahen sich die Engländer in einen kostspieligen und blutigen Krieg gestürzt. Der Sekretär ergriff seine Feder und begann zu schreiben.

Item – von einem Spitzel in Essex hatten sie erfahren, daß der Prinz von Wales insgeheim mit Lady Eleanor Belmont verheiratet gewesen sei. War dies ein weiterer Grund für den Prinzen, das arme Mädchen zu ermorden?

Corbett wurde es plötzlich kalt. Für den Prinzen – oder seinen Vater? Corbett machte sich keine Illusionen über den König oder seinen Sohn; beide waren gleichermaßen skrupellos und selbstsüchtig.

Item – eine Information von Eudo Tailler, einem englischen Spion, der sich geschäftig im Schatten des Louvre-Palastes herumtrieb; Eudo hatte sie vor Wochen herübergeschickt und war dann verschwunden. Seine Botschaft war rätselhaft genug: Ein Mitglied der Familie Montfort sei auf freiem Fuß in England.

Corbetts Angstgefühl nahm zu. Vor vierzig Jahren, acht Jahre vor Corbetts Geburt, hatte Edward I. einen gewalttätigen Aufstand niedergeschlagen, dessen Anführer Earl Simon de Montfort war. Der König, der beinahe die Krone eingebüßt hatte, besiegte die Truppen des Earl bei Evesham. De Montfort war gefallen, und Edward hatte seinen Soldaten befohlen, die Leiche zu zerhacken und den königlichen Hunden zum Fraß vorzuwerfen. Die Überlebenden der Familie de Montfort waren ins Ausland geflohen und hatten, wann immer sie konnten, Attentäter nach England geschickt, die den König und die königliche Familie ermorden sollten. Die Fehde dauerte Jahrzehnte. Ein paar Jahre zuvor hatte der König Corbett selbst dazu benutzt, einen dieser Geheimbünde aufzudecken. Corbett rieb sich das Gesicht, als er sich an die dunkle Leidenschaft Alices, der Rädelsführerin, erinnerte. Wer war dieser neue Meuchelmörder, überlegte er, und wo hielt er sich auf?

»Hugh! Hugh!«

Corbett blickte auf. Maeve stand in der Tür, in einen seiner Mäntel gehüllt. Seinen bangen Sorgen zum Trotz war er hingerissen von ihrer Schönheit: Ihr Haar war wie Silber, ihre Haut leuchtete wie poliertes Gold im Kerzenlicht, und die blauvioletten Augen waren schwer vom Schlaf.

»Was starrst du denn so, Mann?« fragte sie.

»Du weißt, was ich anstarre«, murmelte er.

Er stand auf, drückte die Kerzen aus und führte sie zurück ins Schlafgemach.

»Hugh, was machst du denn?« Maeve entwand sich ihm und sah ihn ernst an. »Um Gottes willen, es ist mitten in der Nacht. Ich wache auf, finde das Bett kalt, und du bist nicht da.« Sie lächelte, ließ den Mantel zu Boden fallen und schlang ihm die Arme um die Taille. »Der Brief des Königs, nicht wahr? Die Sache in Godstowe?«

Er holte tief Luft.

»Ja, und morgen muß ich hin. Sobald Ranulf wieder da ist.«

Sie ließ ihn neben sich auf der Bettkante Platz nehmen.

»Die Frau wurde ermordet, nicht wahr?«

Corbett nickte. »Ich befürchte es.«

»Und man wird den König verantwortlich machen?«

Corbett rieb sich das Gesicht mit beiden Händen. »Ich fürchte, ja. Wenn es zum Skandal kommt, weiß der Himmel, was passieren wird.«

Er nahm ihre Hand in seine.

»Seit vierzig Jahren, Maeve, gab es keinen Bürgerkrieg mehr in England. Aber Lady Eleanors Tod könnte einen hervorrufen.«

Fröstelnd rollte sie sich unter das dicke Oberbett. »Hugh«, murmelte sie, »du wirst das Problem jetzt nicht lösen, nicht mitten in der Nacht.«

»Vielleicht wird es nie eine Lösung geben, nicht einmal am hellichten Tag.«

Ranulf-atte-Newgate, Hugh Corbetts Leibdiener, lenkte sein Pferd auf den sonnengehärteten Weg, der auf Leighton Manor zuführte, als die Glocke der Dorfkirche zum Angelus läutete. Er drehte sich um und sah, wie die Ernteknechte auf den Feldern sich bückten, um die Korngarben aufzusammeln und auf große, zweirädrige Karren zu laden. Er hörte sie lachen; eine Frau sang dem Kind an ihrer Brust ein Schlaflied, und hin und wieder wehten mit dem Wind die Schreie der Kinder heran, die am Ufer eines Baches spielten, während ihre fleißigen Eltern die Ernte einbrachten.

Ranulf war im Auftrag seines Herrn in der Staatskanzlei in London gewesen und hatte zudem gewisse Goldschmiede in der Poultry aufgesucht. Auch hatte er seinen Sohn besucht, den prachtvollen Sprößling einer seiner Affären. Ranulf sah mit Genugtuung, daß der Junge ihm täglich ähnlicher wurde: das gleiche stachelige rötliche Haar, der großzügige Mund, das sommersprossige Gesicht, die Stupsnase und die frechen grünen Augen, scharf wie die einer Katze. Der Junge war vor Monaten, im tiefsten Winter, zur Welt gekommen, und Corbett hatte Ranulf überredet, ihn in die Obhut von Pflegeeltern in der Threadneedle Street zu geben. Ranulf war einverstanden gewesen, aber dann hatte er es sich anders überlegt, den Jungen zurückgeholt und ihn prompt in einer Taverne verloren. Eine kesse, schwerbusige Dirne erregte seine Aufmerksamkeit, und Ranulf hatte das Baby beiseite gelegt, war seinem Vergnügen nachgegangen und dann nach Hause zurückgekehrt – vergessen war das kleine Bündel, das er der Frau des Schankwirts anvertraut hatte. Auf Corbetts Rat hin brachte er das Kind danach den betrübten Pflegeeltern zurück.

»Eine gute Entscheidung«, murmelte Ranulf jetzt bei sich. Er liebte den Jungen, aber er konnte sich nie merken, wo er ihn gelassen hatte.

Ein Eichhörnchen schnatterte, und ein Vogel flatterte aus dem Ginsterbusch auf. Ranulfs Hand fuhr zum Dolch. Er fühlte sich unbehaglich auf dem Land; die Stadt fehlte ihm, und er wünschte, Corbett würde in ihr Haus in der Bread Street zurückkehren, aber seine neue Frau, Maeve, hatte alles verändert. Ranulf stöhnte leise. Ihn gelüstete es nach den meisten Frauen, ja, er fand eigentlich jede Frau, gleich welchen Ranges und Alters, anziehend – wenn nicht als Gegenstand seiner Verführungskunst, dann wenigstens als nützliche Zielscheibe für gutmütige Scherze oder Nekkereien.

Mit Maeve-app-Llewellyn war es anders. Ranulf fürchtete sie. Diese eisigen blauen Augen, die anscheinend jeden seiner Gedanken lesen konnten, und die Klugheit, mit der sie die Angelegenheiten seines Herrn führte, ob es nun darum ging, ein Feld zu kaufen oder den alten, grauen, granitgesichtigen König zu besänftigen. Wenn Maeve da war, schien Hugh sich zu entspannen, ja er lächelte dann sogar. Ranulf rutschte im Sattel herum, um seine Rückenschmerzen zu lindern, während er sein Pferd durch das Tor des Herrenhauses trieb. Sie hatte Corbett verändert. Oh, sein Herr war immer noch verschlossen und zurückgezogen, aber doch gleichmütiger, kühler und berechnender. Bei früheren Gelegenheiten hatte Corbett in der Staatskanzlei gearbeitet und einzelne Aufträge für den alten König ausgeführt. Heute war das alles anders; Corbett benahm sich, als liebe er die Intrige, und baute ein System von Spionen auf, das sich wie ein riesiges Netz von Rom bis Avignon, Paris, Lille, Edinburgh und Dublin spannte. Ranulf zügelte sein Pferd und lauschte den Geräuschen des Waldlandes, wozu Maeve ihn gedrängt hatte. Er schüttelte den Kopf. Ein Goldstück würde er geben, wenn er den Lärm der Krämer und Obsthändler hören könnte, das lustige Geschrei der Lehrjungen und das rauhe Gebrüll der Standbesitzer. Er sah sich um. Hier war zuviel freier Platz, die Luft war zu frisch und die Aussicht auf harte Arbeit zu bedrohlich. Hier gab es keine Soldaten, die Ranulf zu einem Spielchen mit seinen präparierten Würfeln oder seinem krummen Damebrett bewegen konnte. Keine hübschen Mädchen, denen man schöne Augen machen konnte, und vor allem nicht Mistress Sempler, die sinnenfrohe junge Frau eines alternden Wollhändlers.

Ranulf lächelte wie ein Kater, der den Rahm aufgeschleckt hat. Er hatte den vergangenen Abend angenehm verbracht, indem er die gute Dame über die Abwesenheit ihres Gatten hinwegtröstete. Er dachte an ihren weißen, seidenweichen Körper, fraulich und üppig, wie sie vor ihm gestanden hatte, mit nichts als einer Haube und einer Strumpfbandhose bekleidet. Wieder stöhnte er und fluchte leise, und er trieb sein Pferd auf den grasbewachsenen Platz vor der Tür des Herrenhauses hinauf, daß die trägen Schafe, die dort weideten, auseinanderstoben.

Aber Ranulf konnte nie lange so niedergeschlagen bleiben; schließlich war sein Vorgesetzter jetzt Herr über wohlgefüllte Scheunen und Kornspeicher und saftige Wiesen, und Ranulf konnte immer so tun, als sei er in London sehr beschäftigt gewesen, und sich so eine Belohnung verdienen. Er leckte sich die Lippen, als er abstieg und einen kummervollen Ausdruck aufsetzte Er hatte seine Rede geprobt; er würde die Dinge in düstersten Farben schildern und die Mühen und Strapazen beschreiben, die er hatte ertragen müssen, um die Geschäfte seines Herrn zu erledigen ... aber auf das, was jetzt geschah, war er kaum vorbereitet. Corbett erwartete ihn in der eichengetäfelten Halle, in seinen Mantel gehüllt, gestiefelt und gespornt. Seine Satteltaschen waren gepackt und verschnürt und wurden eben von einem Diener hinausgetragen. Ranulf rechnete mit dem Schlimmsten, als er das Grinsen auf Corbetts Gesicht sah.

»Benedicte, Ranulf!« rief Corbett. »Ich habe schon gewartet. Wir müssen nach Godstowe Priory in Oxfordshire. Und dein Sohn – wie geht’s dem kleinen Cherub?«

Ranulf bemerkte den Sarkasmus im Ton seines Herrn und grinste. Corbett liebte den kleinen Hugo – oder Hugolino –, aber er stellte ihn oft als Ungeheuer dar, den wahren Sohn seines Vaters, von seinem stacheligen Haarschopf bis zu seiner angeborenen Begabung, in die Patsche zu geraten.

»Nun, Herr, so gut, wie man es erwarten kann«, antwortete Ranulf, und er sah, wie Maeve aus der Kanzlei kam. Sie sah prachtvoll aus, mit ihrer schlichten weißen Haube und einem langen dunkelbraunen Kleid, das am Halse mit silberweißen Schleifen verschlossen war und dessen Anblick durch den schweren Gürtel, den sie um den schwellenden Leib trug und an dem die Schlüssel für die moisten Räume hier im Herrenhaus hingen, ein wenig verdorben wurde. Wie gewöhnlich machte Maeve ein ernstes Gesicht, aber Ranulf sah die Boshaftigkeit, die in ihren Augen tanzte.

»Du hattest einen angenehmen Aufenthalt in London, Ranulf?«

Der Diener wollte lügen, aber Maeve sah seinen Blick.

»Ja, Herrin.«

»Keine Aufregungen oder Frivolitäten?«

»Selbstverständlich nicht«, knurrte Ranulf. »Nur harte Arbeit.«

Er wandte den Blick ab, aber Maeve setzte ihre Inquisition fort. Sie würde von Mistress Sempler erfahren, ob ihm das gefiel oder nicht; also murmelte Ranulf irgendeine Entschuldigung und flüchtete sich in seine Kammer. Er wusch sich das Gesicht im Lavarium, packte ein neues Paar Satteltaschen, suchte an Habseligkeiten zusammen, was er in seiner gewohnt chaotischen Kammer finden konnte, und ging die Nebentreppe hinunter zur Vorderseite des Herrenhauses, wo ein Stallknecht frische Pferde und ein Packpony vorgeführt hatte. In der Halle wurde Maeve unterdessen streitsüchtig, weil Corbett ihr verbieten wollte, Ranulf aufzuziehen.

»Wirst du mich vermissen?« fragte er und wechselte unvermittelt das Thema; dabei faßte er sie bei den Händen und zog sie an sich.

»Nein«, neckte sie.

»Wirst du dich um den Zaun an der langen Wiese kümmern?«

»Nein, ich werde ihn einreißen.«

»Und die Kate mit den losen Schindeln?«

Maeve schüttelte den Kopf.

»Die werde ich niederbrennen, und die Zinsscheune dazu. Und Pater Martin mit seiner üblichen Klagelitanei über seine Gemeinde, die den Friedhof als Spielplatz benutzt, werde ich sagen, er soll sich aufhängen. Und danach« – sie schüttelte den Kopf – »weiß der Himmel, was ich dann tun werde.«

Corbett packte sie und küßte sie leidenschaftlich.

»Dann sage ich dir adieu, Weib.«

Er zwinkerte ihr lächelnd zu und schlüpfte zur Tür hinaus, zu seinem wartenden Pferd.

Corbett und Ranulf ritten nach Norden; sie kamen durch kleine Dörfer, kaum mehr als Ansammlungen wackliger, strohgedeckter Hütten, die sich um eine Kirche oder ein Herrenhaus drängten. Bald würde die Erntezeit vorüber sein. Corbett mußte an solche Zeiten in seiner Jugend denken, als er das Korn hoch und gelb stehen sah, neben grünen Brachfeldern und den schmalen Erdstreifen, die das Land eines Dorfes von dem des nächsten trennten. Die Katen selbst waren nicht großartiger als die, die sein Vater besessen hatte, mit ihren Wänden aus Flechtwerk und Lehm und dem kleinen Gärtchen, in dem Zwiebeln, Kohl, Knoblauch und Schalotten gezogen wurden.

Sein Pferd stolperte, und Corbett fluchte; Ranulf bewunderte im stillen, wie gut sein Herr ein paar der schmutzigsten Flüche beherrschte, die er je gehört hatte. Die Straßen waren verwüstet von riesigen Schlaglöchern, behelfsweise aufgefüllt mit Reisigbergen oder Erdhaufen, die vom ersten heftigen Regenschauer weggeschwemmt werden würden. An einem Dorfgasthof machten sie halt, um eine Schüssel gewürzter Aale und ein paar Schluck vom schweren heimischen Bier zu sich zu nehmen. Die Schenke war voll von Männern und Frauen, Dörflern, Falknern, Jägern, Lakaien aus den Stallungen, Bäckern, Brauern, Köchen und Küchenjungen. Alle drängten sich auf einen Humpen Ale herein, Schulter an Schulter mit Schäfern und Schweinehirten, und sie neckten und tätschelten die Waschfrauen und Milchmädchen, die kamen, um Klatschgeschichten auszutauschen oder die Blicke ihrer Lieblingsburschen auf sich zu lenken.

Corbett saß in einer Ecke und hörte sich Ranulfs Bericht über die Londoner Angelegenheiten an, bevor er ihm leise erzählte, was sie in Godstowe Priory erwartete. Ranulf wurde blaß. Gaveston und Lord Edward waren zweimal so gefährlich wie der alte König – vor allem Gaveston, ein boshafter, mächtiger Lord, der seine Anwesenheit sowohl bei Hofe als auch in der Stadt hatte spürbar werden lassen. Zum ersten Mal seit der Christmette schloß Ranulf die Augen und betete ernstlich, sein Herr möge nicht scheitern oder die königliche Gunst verlieren. Corbett war zwischen die Fronten der tobenden Feindseligkeiten zwischen Edward und seinem grausamen Erben geraten. Wenn er die Erwartungen des Königs enttäuschte, würde Corbett jedenfalls das königliche Mißfallen zu spüren bekommen, aber der Prinz von Wales war irrational und unberechenbar wie der Vogel im Wind – gerade noch ein heiterer Gefährte und Mensch wie jeder andere und im nächsten Augenblick auf jedem Zoll seiner Autorität bestehend. Gaveston war noch schlimmer; er war regelrecht gefährlich. Ranulf liebte seinen Herrn, auch wenn er ihn im stillen hier und da um ein oder zwei Münzen betrog oder sich heimlich über seine ernste Art lustig machte; aber wenn Corbett stürzen sollte, würde er mit ihm stürzen. Ranulf stand auf und bestellte noch einen Krug Ale bei der Schlampe mit der fettigen Schürze, um die Panik zu ertränken, die in seinem Magen geronnen war. »Wir alle wissen von Eleanor Belmont!« rief er. »Man sprach von ihrem Tod, im Rathaus und in St. Paul’s Walk.« Fragend schaute er seinen Herrn an.

Corbett setzte sich auf und riß sich von dem Reliquienhändler los, der gerade mit einem Sack voller Ware in die Schenke gekommen war.

»Wen macht man denn dafür verantwortlich?«

»Man beschuldigt den Prinzen oder sogar den alten König.«

»Und was sagen die Leute sonst noch, Ranulf?«

»Der Prinz soll Gaveston mehr lieben als irgendein Mann seine Frau. Die Alten reden von der Rückkehr des Bürgerkriegs, und die Harnischschmiede und Pfeilmacher machen gute Geschäfte.«

Corbett nickte und lehnte sich wieder zurück. Seine Spitzel hatten ihm das gleiche berichtet; landauf, landab ließen die großen Lords ihre Burgen instand setzen, sie legten Vorräte an und wappneten sich gegen mögliche Belagerungen. Würde es Krieg geben? Vielleicht lag die Antwort in Godstowe.

Corbett schaute zur Tür hinaus und sah, daß das Tageslicht zu schwinden begann, und so setzten sie die Reise fort; wachsam hielten sie die Augen offen, derweil die Sonne unterging und sie der alten Römerstraße nordwärts nach Oxfordshire folgten. Vor einer Weile hatte hier noch reger Verkehr geherrscht; Kaufleute waren unterwegs gewesen, Studenten in ihren Lumpengewändern, Quacksalber und vereinzelt auch ein Ordensbruder, der seinen transportablen Altar von Dorf zu Dorf rollte. Aber Corbett wußte, daß die Straße jetzt, da es Abend wurde, trotz der drückenden Sommerwärme ein gefährlicher Ort war. Die Wälder und trostlosen Moore wurden bewohnt von land- und gesetzlosen Männern, dreckigen, verlausten Gestalten in zerlumpten, wettergegerbten Kleidern, entstellt von sämtlichen Geschwüren und Krankheiten unter der Sonne. Solche Leute waren eine Plage auf dieser Landstraße, und sie brüsteten sich noch mit ihren Taten und erzählten ihren rot und blau geprügelten, verwundeten Opfern, es sei »Rohkopf«, »Blutknochen« oder »Robin Übelkerl« gewesen, der sie niedergeschlagen und ausgeraubt hatte – oder was diese Gesetzlosen sich sonst für Namen gaben. Corbett tastete nach Schwert und Dolch an seinem Gürtel und fühlte sich gleich wohler; er spornte sein müdes Pferd noch einmal zum Trab an.

Spätabends erreichten sie das Dorf Woodstock, das zwischen dem Schloß und dem Kloster lag. Sie bezogen ein Zimmer im Wirtshaus »The Bull« am anderen Ende des Ortes, nahe dem Wald. Corbett, stets umsichtig, gab sein Geld mit Bedacht aus; das Zimmer, das sie bekamen, war eigentlich nur eine Dachkammer mit einem aufgebockten Strohlager, das er und Ranulf teilen würden, einer Wolldecke, einer Truhe, einem Tisch und zwei Stühlen. Man versprach ihnen einen Topf verdünntes Ale, eine Hafergrütze zum Frühstück und ein Abendbrot. Der blatternarbige Wirt war überdies bereit, Stall und Futter für ihre Pferde zur Verfügung zu stellen.

Nachdem sein Herr zur Ruhe gegangen war, stieg Ranulf in den Schankraum hinunter und nahm eine kleine Tasche mit allerlei Dingen mit, die er in ländlichen Gegenden immer bei sich hatte: ein paar Gläser mit gefärbtem Wasser und zermahlenen Blütenblättern, Haare von einem gekochten roten Hund, zerstoßene Haut vom Kopf eines Toten, mit Fett vermischt. Diese und andere Köstlichkeiten verkaufte Ranulf dem Wirt und seinen Gästen als Heilmittel gegen jedes bekannte Leiden unter der Sonne. Als er sicher war, daß er wenigstens einen Teil der Ausgaben seines Herrn wiedergewonnen hatte, steckte er das Geld in die Tasche und stahl sich nach oben; er legte sich auf den Rand des Bettes und schlief den Schlaf des Gerechten.

Indessen hatte in Godstowe Priory der Mord noch einmal sein Lager aufgeschlagen. Die alte Dame Martha war damit beschäftigt, sich in ihrer geräumigen Kammer ein ungewohntes Bad zu bereiten. Ein Wandschirm war ringsum aufgestellt worden, und die Köche hatten große irdene Krüge aus der Küche heraufgeschleppt und füllten den Holzzuber mit kochendheißem Wasser. Dame Martha wollte sich von ihrer besten Seite zeigen. Sie war sicher, daß die Priorin an dem, was sie wußte, höchst interessiert sein würde.

Dame Martha hatte ihr braunes, blau gefüttertes Wollgewand, die Tracht ihres Ordens, der Töchter von Syon, abgelegt und hantierte, nur mit einem weißen Leinenhemd bekleidet, geschäftig mit dem Wandschirm, um ihn näher an ihr Bad zu rücken. Sie vergewisserte sich, daß die Kammertür verschlossen und verriegelt war, griff nach ihrem Weinbecher und trank gierig.

Gern hätte sie Seife gehabt, von der parfümierten Sorte, duftend und süß, die das Kloster aus Kastilien importieren ließ. Vor fünf Monaten hatte sie auch welche benutzt, als sie vor den Osterfeiertagen das letzte Mal gebadet hatte. Dame Martha berührte ihr Haar und fühlte, wie fettig ihre grauen Locken waren. Sie saugte an ihrem Zahnfleisch, und ihre kleinen schwarzen Augen verhärteten sich. Ja, sie mußte so gut aussehen, wie sie nur konnte, wenn Lady Amelia sie sähe; Dame Martha wollte scharfsinnig und klug auf sie wirken und sich nicht als schwatzhafte alte Nonne abtun lassen, die sich in törichten Tagträumen verlor. Und sie wollte nicht, daß eines von diesen Biestern, Dame Frances oder Dame Catherine, sich über das, was sie zu berichten hatte, lustig machte und es als Fiebertraum eines alternden Verstandes verlachte. Nein, Dame Martha hatte etwas gesehen in der Nacht, als die königliche Hure gestorben war, etwas, das einfach nicht ins Bild paßte, und sie würde dieses Wissen nutzen, um Vorteile für sich herauszuschlagen – Süßigkeiten oder vielleicht Leinenlaken oder größere Portionen aus dem Refektorium. Das alles hatte sie verdient; sie hatte dem Orden schließlich lange Jahre gedient.

Dame Martha streifte das Leinenhemd ab, kletterte in den Zuber und ließ ihren blaugeäderten, verfallenden Leib in das heiße, entspannende Wasser sinken. Sie legte den Kopf zurück und richtete sich gleich wieder auf, denn der Mord klopfte an ihre Tür.

Kapitel 3

Corbett und Ranulf kamen am späten Vormittag in Godstowe an; soeben hatte man Dame Marthas ertrunkenen Leichnam in Tücher gewickelt und ins Totenhaus gebracht, ein kleines Backsteingebäude hinter der Prioratskirche. Die beiden Reiter betrachteten die Klostergebäude, die sich in ein flaches, bewaldetes Tal schmiegten. Vor ihnen erhob sich das hohe Doppeltor, und weiter hinten, in der steilen Kurtinenmauer, sahen sie die Seitenpforte, Galilee Gate genannt, die in den Wald führte.

Corbett tätschelte seinem Pferd den Hals; es scharrte unruhig beim fernen Klang der Klosterglocke, die die Klosterknechte auf den Feldern jenseits der Mauern zum Mittagessen rief. Das Priorat war ein großartiges Gebäude, errichtet mit dem gelben Stein der nahen Steinbrüche. Das zweistöckige Haupthaus umgab den Kreuzgang wie ein Viereck. Dahinter stand die Kirche mit dem roten Schindeldach und den hochaufragenden Türmen. Corbett erkannte auch die anderen Gebäude: die Krankenstube, das Noviziat, das Kapitelhaus oberhalb des Refektoriums, das Haus der Priorin auf der anderen Seite der Kirche und dann, an die Mauern geschmiegt, die Mälzerei, den Trokkenofen und andere Außengebäude. Ein Ort der demonstrativen Heiterkeit, der Beschaulichkeit und des Gebets, dachte Corbett. Und er mußte sich zwingen, ihn als einen Ort zu sehen, der von Blut und Intrigen durchtränkt war.

»Ranulf.« Er drehte sich im Sattel um und schaute zu seinem Diener hinüber. »Godstowe ist ein Nonnenkloster, und die Frauen sind gottgeweiht. Sei klug und denke an meinen Rat – nichts wird sein, was es zu sein scheint. Ach, übrigens, was war eigentlich in der Tasche, die du gestern abend mit in die Schankstube genommen hast?«

»Nichts, Herr.« Ranulf machte unschuldige runde Augen. Corbett grunzte, und sie trabten den Hang hinunter, den Weg zum Haupttor entlang. Ranulf zog an dem Glockenstrang, der dort hing, und trat mit dem Stiefel gegen die kleine Torpforte. Ein langer, spindeldürrer Kerl mit einem Gesicht, so weiß wie Schnee, trüben Augen und einer Nase, so rot, daß sie glühte wie ein Signalfeuer, öffnete die kleine Tür, trat heraus und schloß sie halb wieder hinter sich.

»Was wollt ihr?« kläffte er. Er betrachtete das dunkle Gesicht des Sekretärs und bemerkte das teure gesteppte Wams, die Wollhose und die kostbaren spanischen Reitstiefel. »Ich meine«, fügte er höflicher hinzu, »in welchen Angelegenheiten kommt Ihr her?«

Zwei Soldaten traten zu ihm; sie trugen die blau-goldene Livree des Prinzen von Wales und waren mit Schwert und Dolch bewaffnet. Ihre Gesichter waren halb verdeckt vom Nasenschutz der kegelförmigen Helme.

»Verpißt euch!« schrie der eine.

Er schwankte ein wenig, und noch hinter Corbett konnte Ranulf den Biergestank riechen.

Corbett trieb sein Pferd heran, nahm den Fuß aus dem Steigbügel, stieß den Soldaten gegen das Tor und stemmte ihm den Stiefel fest auf die Brust.

»Mein Name ist Corbett«, erklärte er ruhig. »Hugh Corbett, Obersekretär in der Staatskanzlei des Königs, als dessen Sonderbeauftragter ich nach Godstowe Priory komme. Ich behandle Euch höflich, und deshalb ärgern mich Eure schlechten Manieren.« Er wandte sich wieder an den Pförtner. »Und jetzt werdet Ihr uns das Tor öffnen, oder ich bringe einen von Euch um.« Er grinste. »Schließlich ist es Hochverrat, sich einem königlichen Sonderbeauftragten in den Weg zu stellen.«