1,99 €
Auf dem Lake Tahoe wurde angeblich von Anglern und Bootsbesitzern ein menschenähnliches Amphibienwesen beobachtet. Es soll an die zwei Meter groß sein, eine haifischähnliche Haut aufweisen und über ein Raubtiergebiss verfügen. Doch kann man das ernst nehmen? Solche Sichtungen gibt es zuhauf.
Doch dann wird der vermögende Unternehmer Trevor C. Burbank von der Kreatur angegriffen - und gleichzeitig tauchen unidentifizierte Flugobjekte über einer nahe gelegenen Schönheitsklinik auf. Das ruft auch Senator Campbell auf den Plan. Er beordert Cliff und Judy zum Ort des Geschehens, wo sie sofort umfangreiche Nachforschungen anstellen ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 158
Cover
Das Monster vom Lake Tahoe
Leserseite
Vorschau
Impressum
Earl Warren
Das Monster vom Lake Tahoe
Lake Tahoe
Tahoma, Kalifornien,17. Dezember 2022, 14:30 Uhr
Um der überschwänglichen Weihnachtsstimmung in Los Angeles zu entfliehen, hatte sich Trevor C. Burbank jr. zusammen mit seiner Familie in die riesige Villa am Lake Tahoe zurückgezogen.
Doch auch hier gab es gewisse Erwartungshaltungen. So stand ein prächtig geschmückter Christbaum in der kuppelartigen Wohnhalle, die Verwandtschaft war bereits angereist und liebliche Klänge erfüllten das Anwesen.
Das alles hatte Trevor so satt. Lieber schwang er sich auf seinen Jetski und raste über die glatte Oberfläche des Sees dahin. Die vorbeiziehende Umgebung nahm er wie einen Zeitrafferfilm wahr, bis sein Blick schließlich wieder auf das klare Wasser fiel – in dem sich etwas auf seltsame Weise zu bewegen schien ...
Der bunte Yamaha WaveRunner hatte 340 PS und erreichte ohne Weiteres eine Geschwindigkeit von 130 km/h, sogar mehr, wenn der vermögende Unternehmer ordentlich Gas gab. Bei zügiger Fahrt hob sich der Bug aus dem Wasser, der Scooter hüpfte förmlich über die Wellen, auch wenn es nur sehr kleine waren.
Die Vibrationen des Motors und die Stöße, wenn der Jetski aufs Wasser traf, übertrugen sich unmittelbar auf den Fahrer. Es war ein besonderes Gefühl, den brummenden Motor zu spüren und die am Heck aufspritzende hohe Fontäne vom Wasserstrahlantrieb zu sehen.
Trevor Burbank fuhr gerne schnell, er fuhr überhaupt überall gerne auf der Überholspur.
Dabei vergaß man leicht, dass dieser Sport nicht ganz ungefährlich war. Immer wieder kamen allzu kühne oder schlichtweg unfähige Freizeitwassersportler ums Leben. Oder aber sie konnten sich nach dem Crash nur noch mithilfe eines motorisierten Rollstuhls fortbewegen, dann aber mit viel geringerem Tempo.
Burbank kannte das Risiko und er war davon überzeugt, dass er das Gefährt beherrschte. Er genoss das Panorama am Ufer der kalifornischen Seite des Sees. Malerische Ferienorte und Hotels hatte man hier über die Jahrzehnte aus dem Boden gestampft.
Jetzt, kurz vor Weihnachten herrschte kein hektischer Tourismus- und Ferienbetrieb wie sonst in den wärmeren Monaten. Dennoch war die Landschaft um den Lake Tahoe das ganze Jahr über idyllisch mit ihren Wäldern, Wanderpfaden und Naturparks.
Es handelte sich zweifelsohne um ein Naturparadies, dem der Tourismus allerdings auch ordentlich zusetzte. Das versuchten die Regierungen von Nevada und Kalifornien, in deren Grenzgebiet sich der fünfhundert Quadratkilometer große und majestätische See befand, so gut es ging, in Grenzen zu halten.
Burbank genoss die Fahrt auf dem See. Dafür und für die Villa hier, die er nicht ständig bewohnte, lohnte sich die Schufterei im Silicon Valley in der IT- und Chips-Zubringerbranche.
Er gehörte zu den reichsten Immobilienbesitzern am See, die vom Tourismus, von dem sonst alle profitierten – vom Hotdog-Buden-Betreiber bis hin zum Hotelbesitzer – nicht abhängig waren.
Die Villa und das Grundstück mit eigenem Zugang zum See hatten ihn eine Menge Geld gekostet. Doch angesichts der mittlerweile astronomischen Grundstückspreise – im Vergleich dazu hatte er noch relativ günstig vor zwanzig Jahren gekauft – lohnte sich das.
Der WaveRunner mit starkem Benzinmotor und vielen Extras hatte satte 38.000 Dollar gekostet. Das war zwar ein stolzer Preis, aber der Tech-Mogul bezahlte sein neues Lieblingsspielzeug problemlos aus der Portokasse.
Burbank raste dahin wie ein Irrer. Zu dieser Jahreszeit brauchte er auf Wassersportler, die sonst in Massen auf dem See unterwegs waren, keine Rücksicht zu nehmen.
Die Temperaturen bewegten sich im Augenblick um die fünf Grad. Die Skisaison fiel dieses Jahr trotz erster Planungen wegen des Klimawandels aus, denn es war im Durchschnitt einfach zu warm. Nur an bestimmten Orten wie Reno würde man Schneekanonen einsetzen. Natürlicher Schnee sollte nach Angaben der Meteorologen allerdings erst in der zweiten Januarhälfte fallen.
In Los Angeles war es viel wärmer. Tagsüber waren bis zu zwanzig Grad ganz normal. Trotz oder gerade wegen der milden Temperaturen herrschte dort eine zunehmende Weihnachtsstimmung.
Fast an jeder Ecke wurde man mit Weihnachtsliedern beschallt, auch geschmückten Weihnachtsbäumen und riesigen Santa-Claus-Figuren konnte man nur schwer aus dem Weg gehen. Der Einzelhandel versuchte eben mit allen Mitteln die Konsumstimmung anzuheizen.
Dem hatte der Fünfzigjährige nun entrinnen wollen. Doch wenn er ehrlich war, war es in seiner direkt am Lake Tahoe gelegenen dreigeschossigen Villa auch nicht besser.
Burbank raste dahin, um seinen Frust abzureagieren.
Reich zu sein, ist eine schwere Verpflichtung, dachte er.
Er war ein Selfmademan und liebte es, seinen Reichtum und das, was er sonst so erreicht hatte, zur Schau zu stellen.
Jetzt verlangsamte er die Fahrt, nachdem er eine Dreiviertelstunde gerast war.
Die Wasseroberfläche des Sees westlich der Carson Range mit ihren schneegekrönten Gipfeln war nahezu leer. Von Schnee in den Wäldern und am Ufer konnte auch nicht die Rede sein. Weiter westlich die Sierra Nevada war tief verschneit, doch das sah man von hier aus nicht.
In der Ferne sah Burbank einen Jetski mit zwei Anglern. Der Angelsport war am Lake Tahoe schon seit Jahrzehnten sehr angesagt. Zudem ließ sich ein großes Offshore-Motorboot ausmachen, das in Richtung Nevada flitzte und bald am Horizont verschwand.
Burbank genoss die Ruhe. Ein bunter Neoprenanzug schützte ihn vor der Kälte. Er schaute sich die Umgebung an. Den Himmel, die kleinen Siedlungen in Ufernähe, die Wälder und Berge.
Er befand sich weit draußen auf dem See.
Endlich dem Rummel entkommen, dachte der große, klotzig gebaute Mann mit der Knollennase und den gefurchten Gesichtszügen.
Er schaute ins klare Wasser. Der Lake Tahoe hatte eine Durchschnittstiefe von dreihundert Metern. Die tiefste Stelle betrug um die fünfhundert Meter. Durch Algenbewuchs hatte sich die Sichttiefe seit Jahren vermindert, doch sie betrug immer noch zwanzig Meter und an besonders klaren Stellen noch mehr.
Kobaltblau war der See, in manchen Buchten türkisfarben. Jetzt um die Jahreszeit ohne Tourismusrummel wunderschön.
Burbank schaute gerne ins Wasser, es kam ihm wie eine Unterwasser-Wunderwelt vor. Er sah Schwärme von Fischen, darunter beachtliche Exemplare von Welsen und Hechten. Für ihn war das wie ein riesiges Freiluft-Aquarium. Der Anblick hatte für den Unternehmer etwas zutiefst Entspannendes.
Burbank stellte den Motor ab und griff nach der am Jetski befestigten Harpune. Die Jagd war eine Leidenschaft von ihm. Vom Angeln hielt er nichts, das war ihm zu geruhsam und statisch. Doch einen großen Fisch zu erlegen oder auch zwei oder drei, das hätte ihm gut gepasst.
Zwar brauchte man dafür eine Lizenz, doch Burbank glaubte nicht, dass ihn die Water Police um diese Jahreszeit kontrollieren würde. Und überdies redete er sich ein, dass er ein Patrouillenboot schon von Weitem sehen würde.
Herrlich, dachte er. So gut wie die Fische im Wasser müsste man es haben. Keine Hetze, kein Stress. Es geht dort nicht um den Dollar und Profitmaximierung.
Dann fiel ihm ein, dass die großen Fische die kleinen fraßen. Dass es Raubfische gab, die sich von ihresgleichen ernährten. Manchmal trog also der Schein, und so friedlich wie es an der Oberfläche auf den ersten Blick wirkte, war es im Tierreich auch wieder nicht.
Dann stutzte er, denn da schwamm etwas unter Wasser. Das war kein Fisch, da war er sich sicher. Zuerst hielt Burbank es für einen Taucher. Selbst jetzt, kurz vor Weihnachten mochten nämlich noch Tauchfanatiker unterwegs sein. Das wunderte ihn zwar, doch er tat es damit ab, dass es Verrückte schließlich überall gab.
Komisch war allerdings, dass keine Luftblasen von einem Sauerstoffgerät aufstiegen. Wie Burbank schätzte, musste sich der Taucher circa in sechs Metern Tiefe befinden.
Der Schwimmer bewegte sich zügig von der Stelle, als sei das Wasser dessen natürliches Element.
Um nach dem Rechten zu sehen und aus fieberhaftem Interesse, warf der Unternehmer den Motor des Jetskis schließlich wieder an. Die Heckdüse spie einen gewaltigen Wasserstrahl aus.
Das Wesen bemerkte den Schatten des WaveRunners und hörte unter Wasser verstärkt dessen Brummen. Es tauchte nicht weg, sondern schwamm schneller, wich aus.
Burbank blieb unaufhaltsam an ihm dran, von Neugier und Abenteuerlust gepackt.
Der Schwimmer verharrte dann in einer Algenbank zwischen Gewächsen.
Doch der Selfmademan sah ihn bloß schemenhaft. Er hielt seinen Jetski an, schaute hinunter. Er wollte wissen, was das da unten war.
Ein Froschmann, doch was für einer? Von ihm stiegen keine Luftblasen auf. Eine Aqualunge konnte er also nicht benutzen. Doch ohne Gerät, in einer solchen Tiefe so lange zu schwimmen und unter Wasser zu bleiben, war nicht möglich.
Burbank nahm sein Aquascope zur Hand und beugte sich von der Sitzfläche des Jetskis. Dabei stellte er fest, dass seine Beine durch das starre Sitzen eingeschlafen waren.
Doch er kam hinab, die Harpune hatte er sich im gleichen Atemzug mit einer schwungvollen Bewegung über die Schulter gehängt. Nun hielt er nach dem Wesen Ausschau.
Als er es schließlich entdeckte, schlug sein Herz unmittelbar schneller. Er konnte es kaum glauben, was er da sah. Er hatte ein Amphibienwesen vor sich, wie er es sonst nur in Filmen gesehen hatte.
Die Kreatur war an die zwei Meter groß, hager und eher sehnig als muskulös. Besonders markant waren dessen graue haifischartige Haut, die tief in den Höhlen liegenden Augen und das Raubtiergebiss.
Das Wasserwesen schaute zum Unternehmer hoch, und es wirkte keineswegs freundlich.
»Was bist du denn für einer?«, fragte Burbank laut.
Er hatte mal von einem seiner Hausangestellten gehört, dass es im Lake Tahoe einen Unterwassermann geben sollte. Gerüchte von Seejungfrauen gab es auch zuhauf.
Ob das nun einzelne Exemplare waren oder ob sich im Lake ein ganzes Völkchen tummelte, wusste Burbank nicht. Er hielt das Ganze für ausgemachten Unsinn von Spinnern, genauso wie das Ungeheuer von Loch Ness in den schottischen Highlands.
Auch unidentifizierte Flugobjekte sollten über dem Lake Tahoe schon gesichtet worden sein. Für Burbank handelte es sich dabei sicherlich um Wetterballons, irgendwelche Drohnen oder dergleichen.
Doch der Froschmann, das Unterwasserwesen war echt. Davon konnte er sich jetzt ja selbst überzeugen.
Burbank schaute ihm direkt in die Augen. Die Pupillen konnte er nicht deutlich erkennen, doch sie schienen ihm schlitzförmig zu sein. Jedenfalls hatte das Wesen da unten keine technischen Hilfsmittel, dafür aber Schwimmhäute zwischen den Fingern.
Burbank schluckte. Er war schon in Tansania gewesen, um Nashörner und Elefanten zu schießen. Sogar ein Löwenkopf befand sich in seinem Trophäenzimmer. Ganz von seinem Jagdfanatismus erfüllt, wollte er jetzt auch das Wesen im Wasser kriegen.
Das toppte alles, das machte ihm keiner nach.
Eile war seiner Meinung nach aber nicht geboten. Burbank nahm den versilberten Flachmann aus dem Aufbewahrungsfach unter dem Sitz seines Jetskis und trank einen großen Schluck des vollmundigen Bourbons. Als er damit fertig war, leckte er sich über die Lippen und verstaute die Flasche wieder.
Dann nahm er die Harpune zur Hand. Über die Konsequenzen seines Handelns und darüber, was für eine einmalige Lebensform das vor ihm war, dachte er nicht nach. Stattdessen sah er in der Kreatur als leidenschaftlicher Jäger vielmehr eine perfekte Beute.
Kurz darauf spannte er die Harpune und visierte das Ziel an. Der Froschmann bewegte sich, er wollte wegtauchen. Doch Burbank drückte ab.
Wutsch, machte es. Der Harpunenpfeil schoss durchs Wasser.
Und traf.
Das Wesen zuckte zusammen. Es tauchte auf, dem Unternehmer entgegen. Es schoss hoch wie der Korken aus einer Sektflasche.
Burbank schreckte zurück. Er ließ die Harpune fallen, sie versank im See. Doch es war viel zu spät, um Gas zu geben und wie vom Teufel gehetzt mit dem Jetski davonzujagen.
Der Froschmann, das Unterwassermonster, schnellte aus dem Wasser. Aus dessen Rachen drang ein Fauchen. Die von Knochenwülsten geschützten kleinen Augen funkelten böse, was nicht verwunderlich war. Der Harpunenpfeil steckte tief in der Schulter der Kreatur.
Das Wesen griff Burbank vehement an. Es war ungeheuer stark. Die Verwundung behinderte es scheinbar kaum.
Burbank wehrte sich aus Leibeskräften. Doch er konnte nicht verhindern, dass Krallen ihm den Neoprenanzug und die Haut auffetzten. Hinzu kam, dass er sich die Hände an der Haut des Monsters aufriss, denn sie war rau wie Sandpapier.
Kahl war der Schädel des Wassermannes. Eine Art Knochenkranz befand sich unterhalb des Halses am Oberkörper des Wesens. Dessen Ohren waren klein und lagen flach an.
Burbank hatte den Eindruck, dass diese Kreatur über Kiemen zur Unterwasseratmung verfügte. Ein Faustschlag brach ihm die Nase. Das Raubtiergebiss näherte sich seiner Kehle.
Dem Unternehmer blieb keine Zeit, um zu grübeln, womit er sich angelegt hatte. Es ging einzig um sein Leben. Weit und breit war keine Hilfe in Sicht, nicht mal Zeugen gab es. Er war nun vollkommen auf sich allein gestellt.
Burbank hatte bereits mehrfach auf das Wesen eingeschlagen. Er konnte durchaus zuschlagen, in seiner Collegezeit hatte er geboxt. Topfit war er damals gewesen, sogar bei den Marines hatte er sich beworben. Dort hatten sie ihn allerdings nicht genommen, denn von Profiniveau konnte nicht die Rede sein. Daher rückte er relativ schnell vom Trainingscamp in Fort Bragg wieder ab.
Den Fehlschlag hatte er überlebt, im Nachhinein erwies er sich als ein Segen, weil er nach seiner Rückkehr in Kurse und Kreise hineingeriet, die ihn zum Tech-Mogul machten.
Jetzt, wenn ihm das Monster die Kehle durchbiss, würde er nicht überleben. Schon spürte er die Zähne am Hals.
Aus, dachte er. Das ist es gewesen, Trevor.
Wahrscheinlich würde man nicht einmal seine Leiche finden, wenn ihn das Monster mit zerfetzter Kehle in den tiefsten Tiefen des Sees versenkte.
Rushmore Hotel
Rapid City, South Dakota, 18. Dezember,
15:21 Uhr
»Und, habt ihr Bigfoot erlegt?«, frotzelte Senator Campbell an der rustikal eingerichteten Bar des Rushmore Hotels.
»Nicht ganz«, erwiderte Judy mit leicht genervt wirkendem Augenaufschlag. »Fast hätte es uns erwischt*. Ein paar Tage zum Ausspannen haben wir uns jetzt wohl verdient.«
»Bei der Gelegenheit wollen wir rüber nach Deadwood und unserer lieben alten Bekannten Ruth Sekada** alias Leuchtender Vogel einen Besuch abstatten«, fügte Cliff hinzu.
»Ihr wollt Weihnachten in den Black Hills verbringen?«, fragte der große, schlanke Senator, seines Zeichens hochrangiger Politiker und führendes Mitglied einer geheimnisvollen Organisation.
»Warum nicht?«, fragte Cliff. »Ich habe kein minderjähriges Kind und keine Frau, mit denen ich die Feiertage zusammen sein könnte. Wintersport in den Bergen, Skifahren und Snowboarden wird uns beiden daher sicher guttun. Also, Judy und mir. Und alte Bekannte und berühmte Orte aufsuchen, steht auch auf dem Programm. Beispielsweise würde ich gerne zum Mount Rushmore fahren und die Präsidenten begrüßen.«
Die Köpfe von George Washington, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt und Abraham Lincoln waren dort monumental in Stein gehauen.
»Zum Mount Rushmore fahre ich nicht.« Judy verzog das Gesicht. »Leuchtender Vogel würde es nicht gerne sehen.«
»Sorry, ich vergaß«, erwiderte Cliff.
Die Lakota sahen die Präsidentenköpfe als Provokation an. Das war ein sehr heikles Thema. Die gold- und landgierigen Weißen hatten den Ureinwohnern im 19. Jahrhundert die ihnen auf ›ewige Zeiten‹ verbrieften heiligen Berge geraubt, sie einfach enteignet und vertrieben. Dann meißelten sie auch noch die Köpfe ihrer herausragenden Präsidenten dort riesengroß hinein.
Besonders der von Abraham Lincoln störte. 1862 hatte er die Massenhinrichtung von achtunddreißig Sioux-Indianern angeordnet, um deren Kampfgeist zu brechen und ein Massaker an Weißen zu ahnden. Diese größte Massenhinrichtung in der Geschichte der USA blieb gerne unerwähnt. Sie schadete Lincolns Andenken als Sklavenbefreier und Lichtgestalt erheblich.
»Bedaure, ich muss euch mitteilen, dass aus euren Plänen für die Feiertage wohl nichts wird«, warf der Senator daraufhin ein. »Den Weihnachtsurlaub muss ich euch leider streichen.«
»Das habe ich mir fast schon gedacht, als Sie uns anriefen und treffen wollten«, entgegnete Cliff. »Aber ist denn diese Bar für detaillierte Ausführungen der geeignete Ort?«
»Du meinst, ich wäre persönlich gekommen, um euch zu briefen?«, fragte Campbell. »Da hast du allerdings recht. Auch kurz vor Weihnachten ruft die Pflicht.«
Beide schauten betreten drein.
»Wir sind Bundesmarshals«, erwiderte Judy dann. »Was sein muss, muss eben sein. Kann ich noch meinen Drink in Ruhe trinken, Senator?«
»Auch gerne noch einen weiteren. Dann nehme ich auch ein Getränk.«
Der Senator bestellte sich einen Wodka Martini – geschüttelt und nicht gerührt.
»Der gute 007 wusste, weshalb er den Drink so nahm«, erklärte Campbell, als er ihn erhalten hatte. »In den Shaker kommt Eis, dann wird geschüttelt und das Eis abgefiltert. Durch das Schütteln kommt der Drink viel intensiver mit dem Eis in Kontakt als beim Rühren. Er wird erheblich kühler.«
»Passen Sie dann aber auf, dass Sie sich nicht erkälten, Sir«, entgegnete Judy mit einem Schmunzeln.
Die ehemalige Polizeipsychologin hatte manchmal einen etwas flachen Humor. Dennoch schadete er der Stimmung nicht, sondern trug ganz im Gegenteil zum Small Talk der folgenden Minuten nicht unwesentlich bei. Der ansonsten eher schweigsame Senator sprach so mit ihnen über sein geplantes Weihnachtsessen mit der Familie, die Anschaffung von neuen Winterreifen und den Austausch seiner Heizung.
Die anderen Gäste waren nicht weniger redselig, und man konnte durchaus sagen, dass die rustikale Bar gut besetzt war. Auffällig war allerdings, dass die Weihnachtsdeko eher dürftig ausfiel. Die üblichen Weihnachtslieder hörte man hier auch nicht.
Der indianische Barkeeper waltete hinter dem Tresen seines Amtes. Er hatte einen langen Haarschopf, ein bronzefarbenes Gesicht und sah aus, als hätte er in einer anderen Zeit durchaus mit Sitting Bull und Crazy Horse aufs Pferd steigen können.
In der geräumigen Bar mit dunklen Möbeln herrschte ein stetiges Stimmengewirr, das so konstant war, als ob es niemals enden würde.
Campbells Leibwächter hielten sich dezent im Hintergrund. Cliff entdeckte zwei kräftige Männer in teuren Anzügen. Ob es noch einen weiteren gab, wusste er nicht.
Der Senator trug diesmal legere Freizeitkleidung. Jeans, Boots und eine Schnürsenkel-Krawatte am gemusterten Hemd. Dies war schon auffällig, da er sonst immer vornehm mit Anzug und Krawatte bekleidet war.
Campbell war mindestens Ende vierzig und hatte silbergraues, akkurat gescheiteltes Haar. Er war ein Vollblutpolitiker, ein Mann mit besonderen Fähigkeiten und einer ebenso großen Verantwortung. Überdies war er für Geheimprojekte zuständig, die der Öffentlichkeit zumeist entgingen.
Cliff Conroy wiederum war Mitte dreißig, leger gekleidet, dunkelhaarig, schlank, groß, mit grauen Augen und einer leicht schiefen Nase. Sie war ihm mal in der Collegezeit beim Sport gebrochen worden.
Judy Sabitha Davenport war etwas jünger als ihr Partner, einen halben Kopf kleiner und man sah ihr deutlich die arabischen Wurzeln an. Ebenso markant waren ihre langen, fast pechschwarzen Haare, die dunklen Augen und der etwas dunklere Teint im Vergleich zur Durchschnittsamerikanerin.
Beide waren sie US-Bundesmarshals für besonders paranormale Fälle. Ein gut eingespieltes Team, das nun schon seit mehr als einem Jahr von Tatort zu Tatort hetzte. Sie hatten vorher völlig andere Berufe gehabt, waren dann jedoch mit der Materie in Kontakt gekommen, der sie sich jetzt mit Hingabe widmeten.
Sie hatten schon mit allerhand Übersinnlichem zu tun gehabt und sogar ein UFO aus nächster Nähe gesehen. Cliff und Judy wussten daher, dass es sich bei Paranormalem häufig keineswegs um Gerüchte oder Spinnereien handelte. Bei ihrem letzten Fall hatten sie sich mit einem Bigfoot-Phänomen in Kanada beschäftigt*.
Senator Campbell bat sie jetzt in eine Suite im ersten Stock des feudalen Rushmore Hotels. Seine drei Leibwächter begleiteten ihn. Dazu gehörte auch eine sportlich aussehende Blondine mit Rock und Bluse. Die Weste, die sie über der letzteren trug, war unter der linken Achsel ausgebeult. Dort steckte ein Schießeisen. Mit wachsamem Blick, ein Stück hinter den beiden männlichen Bodyguards gehend, musterte die Frau die Umgebung.