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Georg von Rommelshausen kommt in französische Kriegsgefangenschaft und wird zum Arbeitseinsatz an einen Bauernhof verliehen. Er verliebt sich in die Tochter des Besitzers und heiratet sie. Am Ende der Gefangenschaft geht er mit ihr zurück in seine Heimat, wo sie verstirbt. In seiner Hausärztin findet er eine neue Liebe, welcher er sich nur zögerlich nähert.
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Seitenzahl: 109
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Un merci pour Angélique, ma très chère amie, pour l’aide à sujet de « Noël en France ».
Es war später Nachmittag, und die Sonne warf einen schmalen Strahl auf den Schreibtisch von Frau Dr. Ulrike Reinhard, ihres Zeichens Allgemeinmedizinerin und Hausärztin von Georg Rommelshausen.
Winzige Staubpartikel tanzten innerhalb des Sonnenstrahls auf und ab und gelegentlich verschwanden sie auch wieder.
Die schräg in das Behandlungszimmer einfallende Sonne berührte auch das Gesicht der Ärztin und ließ einen feinen Flaum auf ihrer Oberlippe erkennen.
Georg Rommelshausen musste lächeln. Es erinnerte ihn spontan an seine verstorbene Tante Luise, die Schwester seiner Mutter, die ebenfalls einen solchen leichten Bartwuchs hatte.
Die Ärztin, die gerade damit beschäftigt war, ein paar Notizen zu ihrem Patienten in den Computer einzugeben, hatte das Lächeln von Georg bemerkt.
„Warum lächeln Sie, Herr Rommelshausen?“
Georg zögerte einen kleinen Augenblick, bevor er antwortete.
„Sie erinnern mich an einen sehr lieben Menschen, Frau Doktor.“
„Eine Geliebte von Ihnen oder jemand aus Ihrer Verwandtschaft?“, setzte die Ärztin nach.
Georg hatte sich von der ersten Stunde ihrer Begegnung an in diese Frau verliebt. Ihm war bewusst, dass es immer nur eine Liebe ohne Erwiderung bleiben würde.
Zum einen war er mit Marie verheiratet, und zum anderen wies der Ring am Finger der Ärztin und das Familienfoto auf ihrem Schreibtisch mit Mann und Kindern klar darauf hin.
Georg fand das Gefühl, das er für die Ärztin hegte in keiner Weise verwerflich. War es doch ein reines Gefühl und frei von Begehren.
Als Marie ihrem langen Leiden erlegen war, fiel er erst einmal in ein tiefes Loch. Er vermied es auch in der nächsten Zeit die Frau Doktor zu konsultieren. Die Rezepte, die er für seine Medikamente brauchte, bestellte er telefonisch und holte sie am Schalter der Praxis ab.
Das ging ca. ein gutes halbes Jahr lang so. Als er danach wieder ein Rezept abholen wollte, teilte die Assistentin am Schalter mit, dass ihn die Frau Doktor sprechen wolle.
Georg nahm widerwillig im Wartezimmer Platz. Er wollte schon wieder gehen, als sein Name aufgerufen wurde.
Und nun saß er der Frau gegenüber, welcher er seit einiger Zeit aus dem Weg gegangen war. Warum das so gewesen war, wusste er selbst nicht so genau; aber vielleicht hatte er auch nur Angst davor sich nach dem Grund zu fragen.
„Sie haben abgenommen Herr Rommelshausen “, unterbrach die Ärztin das Schweigen, „wie geht es Ihnen?“
Georg musste kurz schlucken. Er mochte die Frage nicht. Sie wurde ihm in den letzten Monaten unzählige Male gestellt.
Er fand, es war eine überflüssige Frage an einen Mann, der seine geliebte Ehefrau verloren hatte. Wie sollte es ihm schon gehen?
„Wie meinen Sie das“, fragte Georg, „körperlich oder seelisch?“
„Beides, Herr Rommelshausen “, antwortete die Ärztin, „aber vordergründig interessiert es mich, wie es Ihnen seelisch geht.“
„Müsste es nicht vielmehr in Ihrem Interesse als Ärztin liegen zu wissen, wie es mir körperlich geht?“, fragte Georg, und in der Frage schwang ein leicht provokanter Vorwurf mit.
Frau Dr. Reinhard sah ihren Patienten lange an. Georg hätte sich ohrfeigen mögen ob seiner dummen Antwort. Er schämte sich, und er hätte sie am liebsten ungeschehen machen wollen.
Georg schaute der Ärztin mit einem flehentlichen Blick ins Gesicht, als wolle er sie um Verzeihung bitten.
„Körper und Seele sind wie siamesische Zwillinge, lieber Herr Rommelshausen, man kann sie nicht voneinander trennen“, begann Frau Dr. Reinhard und fuhr fort:
„Wenn die Seele leidet, dann muss es der Körper ausbaden.“
Den letzten Satz hatte die Ärztin mit einem feinen Lächeln begleitet. Nach einer kurzen Pause fügte sie noch hinzu:
„Bitte, verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen zu nahegetreten bin; das lag nicht in meiner Absicht.“
„Nicht Sie sind es, die sich entschuldigen muss“, entgegnete Georg augenblicklich, „es ist an mir, mich für meine unbedachte Äußerung zu entschuldigen. Es tut mir sehr leid.“
„Das ist sehr lieb von Ihnen, dass Sie das sagen, Herr Rommelshausen “, erwiderte die Ärztin, „was halten Sie davon, wenn wir noch einmal von vorne beginnen?“
„Wenn Sie mir diese zweite Chance einräumen wollen, sehr gern, Frau Doktor.“
Der Staub, der sich erschrocken hatte, stand plötzlich still in seinem Sonnenlicht. Es schien, als wolle er darauf warten, wie das Gespräch zwischen Arzt und Patient wohl weiter gehen würde.
„Das ist schön“, sagte Frau Dr. Reinhard, „dann frage ich Sie noch einmal - wie geht es Ihnen?“
Georg dachte kurz nach und antwortet dann:
„Ich schlafe sehr schlecht, und ich vermisse meine Marie jeden langen Tag.“
Die Ärztin sah in Georgs Gesicht, in dem sich gerade die ersten Tränen zeigten.
„Es tut so verdammt weh…“, sagte Georg mit tränenerstickter Stimme, „und ich weiß nicht, was ich dagegen tun soll.“
„Nichts“, antwortete die Ärztin, „lassen Sie den Schmerz zu.“
Georg schaute sie erstaunt an und fragte dann:
„Nichts? Ist das alles, was Sie mir raten können?“
„Nein“, antwortete die Ärztin, „ich hätte noch einen weiteren Rat für Sie. Aber der ist ebenso schwer umzusetzen wie der erste.“
„Und was wäre das?“, fragte Georg.
„Wenn Sie wollen, dass der Schmerz weniger wird, dann müssen Sie Ihre Marie loslassen.“
„Habe ich das nicht schon tun müssen?“, antwortete Georg.
„So meine ich das nicht, Herr Rommelshausen “, antwortete die Ärztin.
„Wie dann?“, fragte Georg verunsichert.
„Was ich Ihnen jetzt sage, wird Sie vermutlich seltsam anmuten“, begann die Ärztin ihren Versuch einem Menschen etwas zu erklären, was nur jemand begreifen kann, der auch den Mut dazu hat.
„Sind Sie ein gläubiger Mensch, Herr Rommelshausen?“, fuhr die Ärztin fort, und Georg antwortete:
„Religiös bin ich nicht, falls Sie das meinen; aber ich glaube an ein höheres Wesen.“
„Dann ist es für Sie vorstellbar, dass die Seele eines Verstorbenen aus seinem Körper entweicht und gen Himmel schwebt?“
Georg musste unwillkürlich lächeln.
„Warum lächeln Sie, Herr Rommelshausen?“, fragte die Ärztin.
„Wegen Ihrer Wortwahl“, erwiderte Georg, „der Gedanke des Schwebens gen Himmel gefällt mir.“
„Dann ist es also für Sie vorstellbar?“, fragte die Ärztin weiter, und Georg antwortete:
„Durchaus, Frau Doktor.“
„Prima“, sagte die Ärztin und fügte hinzu:
„Nachdem wir uns gerade in esoterischen Gefilden bewegen, lassen wir die <Frau Doktor> einmal weg. Ich nenne Sie Georg und Sie mich Ulrike; einverstanden?“
„Sehr gern, Frau Doktor - ich meine Ulrike“, antwortete Georg schon fast euphorisch. Und plötzlich war es wieder da; das Gefühl, das er im Geheimen für diese Frau empfand: Liebe.
Er fühlte eine leise Röte in seinem Gesicht aufsteigen.
„Ist Ihnen nicht wohl, Georg?“, fragte Ulrike, „soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen?“
„Nein, danke“, antwortete Georg, „es geht mir gut. Es ist nur gerade etwas aufregend für mich.“
„Möchten Sie vielleicht lieber etwas Stärkeres?“, fragte Ulrike und Georg, dessen Verunsicherung in diesem Augenblick gerade die nächste Stufe erreichte, antwortete:
„Was hätten Sie denn anzubieten?“
Ulrike lachte. Sie drehte sich um und holte aus einem Schränkchen eine Flache.
„Ich habe nur Cognac“, sagte sie, „ein Geschenk eines dankbaren Patienten, der zugleich mein Taufpate ist.“
„Cognac ist in Ordnung“, erwiderte Georg.
Ulrike holte zwei Wassergläser und stellte sie auf den Schreibtisch. Sie goss ein und sagte:
„Ich weiß, das ist nicht stilgerecht; aber ich habe nichts anderes.“
„Kein Problem“, antwortete Georg, „wie heißt es doch so schön? Es kommt auf die inneren Werte an.“
Jetzt mussten beide lachen. Sie prosteten einander zu, und Georg bemerkte, dass er sich so gut wie schon lange nicht mehr fühlte.
Sein Blick fiel zufällig auf die Uhr, welche seitlich an der Wand neben dem Schreibtisch hing.
„Werden Sie nicht zuhause erwartet?“, fragte er und Ulrike antwortete:
„Keine Angst. Ich werde nicht erwartet, ich bin alleinstehend.“
„Aber das Bild“, sagte Georg fragend und deutete auf die Fotografie auf dem Schreibtisch.
„Das ist mein Bruder mit seinen Kindern.“
„Und der Ring an Ihrem Finger?“, fragte Georg.
„Selbstschutz, reiner Selbstschutz“, antwortete Ulrike lächelnd.
„Heißt das, Sie werden gelegentlich von männlichen Patienten bedrängt?“, wollte Georg nun genau wissen, und Ulrike antwortete:
„Heute nicht mehr; aber als ich jünger war, da schon. Jetzt trage ich ihn nur noch aus Gewohnheit.“
Georg schaute Ulrike an. Sie hatte inzwischen die Deckenbeleuchtung eingeschaltet, denn die Sonne war inzwischen der Dämmerung gewichen.
„Könnten Sie das große Licht wieder ausmachen“, sagte Georg, „und stattdessen Ihre Schreibtischlampe anmachen?“
Ulrike zögerte einen kurzen Augenblick, kam dann aber Georgs Bitte nach.
„Ich hoffe, das war jetzt nicht zu aufdringlich“, sagte Georg, und es klang fast wie eine Entschuldigung.
„Nein“, antwortete Ulrike und mit Blick auf das leere Glas von Georg fragte sie:
„Darf ich nachgießen?“
„Wenn ich Sie nicht zulange aufhalte, dann gern“, antwortete Georg.
„Wie ich schon sagte“, erwiderte Ulrike, „zuhause wartet niemand auf mich.“
„Wie bei mir…“, schloss sich Georg mit leiser Stimme an.
„Nachdem wir das geklärt haben, können wir uns ja wieder unserem ursprünglichen Gespräch widmen“, sagte Ulrike, nahm ihr Glas und prostete Georg zu.
„Wo waren wir stehen geblieben?“, fragte sie dann, und Georg antwortete brav:
„Die Seele entschwebt gen Himmel.“
„Genau“, bestätigte Ulrike, und dann offenbarte sie Georg ihre ureigene Theorie, wie das mit der Seele so ist, wenn ein Mensch stirbt:
„Kennen Sie den Unterschied von einem normalen Aufzug zu einem Paternoster?“
„Ich denke schon“, antwortete Georg.
„Die Seele Ihrer geliebten Marie sitzt in einem Paternoster. Die technische Bezeichnung heißt übrigens <Personen-Umlauf-Aufzug>.
Mit diesem Aufzug fährt sie ständig rauf und runter, weil Sie sie nicht loslassen wollen.“
Georg drohte ob der drastischen Erklärung schwindelig zu werden, und er nahm einen großen Schluck aus seinem Glas.
„Wenn Sie Ihre geliebte Marie, bzw. ihre Seele freigeben würden, dann könnte diese – wie in einem ganz normalen Lift – bis ganz nach oben fahren.“
Georg schaute Ulrike an. Er hatte jedes ihrer Worte genau vernommen und war gerade dabei sie zu ordnen, wobei die bildliche Darstellung dieses Seelenwanderungsvorganges äußerst behilflich war.
„Sie glauben wirklich, was Sie da gerade gesagt haben, nicht wahr?“, fragte Georg zögerlich.
„Jedes Wort, mein Lieber“, antwortete Ulrike und erschrak über sich selbst. Es war ihr einfach herausgerutscht und lag wohl daran, dass sie den ganzen Tag über noch nichts Gescheites gegessen hatte,
Bevor sie sich entschuldigen konnte, verließ Georg die ihn bis zu diesem Moment schützende Zone und sagte:
„Das ist wunderschön, liebe Ulrike. Ich kann mir das sehr gut vorstellen, und ich werde meine Marie jetzt ziehen lassen…“
Nachdem Georg die Frau Doktor mit „liebe Ulrike“ angesprochen hatte, beschloss diese die Angelegenheit mit „mein Lieber“ aus sich beruhen zu lassen.
„Ich glaube, Marie hätte ihre Freude, wenn sie das jetzt sehen könnte“, sagte Georg, „meinen Sie nicht auch?“
„Ganz sicher sogar, lieber Georg“, antwortete Ulrike, und sie genoss es sehr, dass ihre Theorie von der Seelenwanderung Anklang gefunden hatte.
„Ich bin sicher, sie würde wollen, dass Sie wieder aktiv am Leben teilnehmen“, zündete Ulrike nun die zweite Stufe.
„Das ist richtig“, erwiderte Georg, „sie hat es mir sogar gesagt.“
Ulrike sah Georg fordernd an. Sie hoffte und wünschte sich, dass er mehr davon erzählen würde. Und nach wenigen Augenblicken tat er es dann auch.
„Als es mit Marie im Hospiz zu Ende ging, hatten wir ein langes Gespräch. Sie hat mir eindringlich gesagt, dass ich mich nicht verkriechen solle. Und sie wünschte mir sogar eine neue Liebe. Ist das nicht verrückt?“
Wir hatten eine Kerze angezündet, und wir haben uns bei der Hand gehalten. Als sie dann friedlich eingeschlafen ist, hat sie gelächelt.“
„Es ist schön, dass sie so voneinander Abschied nehmen konnten“, sagte Ulrike, „das ist nicht allen vergönnt.“
Georg nickte. Ulrike nahm die Hände von Georg in die ihre, schaute ihn bedeutungsvoll an und sagte:
„Und jetzt vergönnen Sie ihrer geliebten Marie ihren Tod und lassen Sie sie los.“
Georg lächelte und erwiderte:
„Einfach so?“
„Einfach so“, wiederholte Ulrike, „wie ein kleines Mädchen, das seinen Luftballon loslässt und ihm freudig dabei zusieht, wie er immer höher und höher steigt, bis ganz hinauf in den Himmel.“
„Das ist ein sehr schöner Vergleich“, sagte Georg, „und ich danke Ihnen sehr, dass Sie sich so um mich bemühen.“
„Das ist keine Mühe, mein Lieber“, erwiderte Ulrike, „es macht mir sehr große Freude. Und jetzt trinken wir einen großen Schluck auf Marie und wünschen ihr, dass sie es gut haben möge in ihrer neuen Umgebung.“
Lag es an dem dritten Cognac, der in den Gläsern freudig herumschaukelte oder an der harmonischen Atmosphäre, die sich inzwischen entwickelt hatte, wer vermag es zu beurteilen.
Tatsache war jedenfalls, dass sich Patient und Ärztin peu à peu immer näherkamen, ohne dass es ihnen bewusst wurde.
„Sie sind eine bemerkenswerte Frau, Ulrike“, sagte Georg und strahlte sein Gegenüber dabei mit feurigem Blick an.
„Und Sie sind ein liebenswerter Mann, Georg“, kam postwendend das Kompliment zurück.
„Gibt es in Ihrer Umgebung keine Frau, die Ihnen gefallen könnte?“, sagte Ulrike. „Und denken Sie daran, was Marie Ihnen aufgetragen hat.“
Georg erschrak. Hatte er sich verraten? Vielleicht hatte er durch eine unbedachte Bemerkung oder einen Blick Ulrike seine heimliche Liebe zu ihr offenbart.
„Ja, es gibt eine solche Frau“, antwortete Georg vorsichtig.
„Das ist ja wunderbar“, sagte Ulrike begeistert. „Sprechen Sie sie an, laden Sie sie zum Essen ein.“
„Das geht nicht“, antwortete Georg hastig, und Ulrike fragte:
„Warum nicht?“
„Weil diese Dame viel zu jung für mich ist.“
Georgs Stimme klang traurig, als er das sagte.
„Wie jung ist zu jung?“, fragte Ulrike.
„Sie ist so etwa in Ihrem Alter“,