Die verlorengegangene Grossmutter (in Deutsch-Ukrainisch) - Pierre Alizé - E-Book

Die verlorengegangene Grossmutter (in Deutsch-Ukrainisch) E-Book

Pierre Alizé

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Beschreibung

Solis lebt mit seiner weisen Grossmutter in inniger Verbindung mit allen Tieren und Pflanzen. Von ihr erfährt er alles über die Welt. Was ist zum Beispiel der Abend des Jahres? Und was macht die Nacht des Jahres mit den Menschen? Eines Tages begibt sich Solis ungewollt auf eine lange Reise, die ihn ins Ungewisse führt. Wird er unbeschadet zurückkehren? Und kann eine weisse Taube ihm dabei helfen? Was hat es mit den geheimnisvollen Bee-ren auf sich, die Solis im Wald findet? Hat das Verschwinden der Gross-mutter etwas damit zu tun? Ein Märchen für Erwachsene und Kinder!

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Gewidmet der Grossmutter in jeder Familie und der Grossmutter in jedem von uns

Присвячується всім бабусям у кожній родині та бабусі у кожному з нас

DIE VERLORENGEGANGENE GROSSMUTTER

Es war einmal eine alte Frau, die lebte in einem ruhigen Dorf an einem breiten Fluss, der in einen grossen See mündete, am Rande eines tiefen Waldes, über dem ein wunderschöner Berg in all seiner Schönheit erstrahlte. Ihr ganzes Leben hatte sie mit dem Sammeln von Kräutern verbracht und allen Menschen geholfen, die in ihre bescheidene Hütte kamen.

Eines frühen Morgens, als sie gerade wieder Kräuter sammelte, hörte sie auf einmal ein fröhliches Lachen. Sie schaute sich nach allen Seiten um, konnte jedoch niemanden entdecken. Das Lachen ähnelte dem lichtvollen Klang eines Glöckchens. Plötzlich mischte sich in diesen Klang eine sehr weiche und liebevolle Stimme. Sie wandte sich zu der Stimme um.

Mit Bewunderung erkannte sie eine hochgewachsene, weiss schimmernde Birke, die zu ihr sprach. Noch nie zuvor hatte ein Baum mit ihr gesprochen.

«Geh hinunter zum Fluss in die Richtung, aus der die Sonne scheint, und du wirst sehen.»

Die alte Frau nahm ihren Korb, der mit verschiedenen Kräutern halbgefüllt war, auf und ging durch Bäume und Sträucher und über eine Blumenwiese zum Fluss hinunter.

In der angegebenen Richtung sah sie auf dem Fluss in einem Kreis aus zwölf grossen Wasserlilien eine Wiege, in der ein Kind lag, das in den Himmel blickte und voller Freude die Sonne anlachte. Eine weisse Taube erschien über dem Kopfende der Wiege, hielt in der Luft an und flatterte auf der Stelle. Die Stimme der schlanken Birke ertönte aus dem Wald herüber: «Dieses Kind wurde dir gesandt. Nimm es mit nach Hause und in deinem Herzen auf, als wäre es dein eigenes.»

Die alte Frau watete ins Wasser, hob das Kind behutsam aus der Wiege und legte es in ihren Korb auf die wohlduftenden Kräuter. Dann machte sie sich mit dem Kind auf den Weg zurück durch den Wald zu ihrer heimeligen Hütte.

Tagein tagaus vom frühen Morgen bis zum späten Abend kümmerte sie sich nun liebevoll um dieses sonnenhafte Wesen. Das Kind wuchs zu einem fröhlichen und kräftigen Knaben heran. Die alte Frau war für ihn wie eine Grossmutter und er nannte sie zärtlich «Nonna», was Oma bedeutet. Sie tat alles, damit es ihrem Sonnenwesen stets gut ging und er keine Sorgen hatte. Sie nannte ihn nach der Sonne, die er bei ihrer ersten Begegnung angelacht hatte, «Solis». Sie brachte ihm mit ihrer Liebe und Fürsorge den Himmel auf die Erde.

Im Sommer ging sie oft mit ihm in den Wald. Dort sammelten sie zusammen die verschiedensten Kräuter. Sobald Solis zusprechen anfing, sprach er nicht nur mit seiner lieben Omi, sondern auch mit jedem Kräutlein, das er sammelte. Alle Tiere des Waldes und alle Vögel, denen sie begegneten, begrüsste er und unterhielt sich mit ihnen, sie waren seine Freunde und ihm wie Brüder und Schwestern.

Die Grossmutter lehrte ihn viel über alle Pflanzen und Kräutlein und über alles Leben in der Natur. Im Sommer liebte Solis auch, gegen die Flussströmung zu schwimmen und tief zu tauchen. Mit Begeisterung berichtete er danach seiner Omi von der geheimnisvollen Welt und den zauberhaften Wesen in den Tiefen des Flusses und des Sees. Ein andermal kletterte er bis in die Wipfel der Bäume und flog in Gedanken mit den Vogelschwärmen in weite Fernen und erzählte seiner Nonna von Reisen in die wundersamen Gegenden sichtbarer und unsichtbarer Welten.

In Frühling und Herbst wanderten die beiden oft über Berg und Tal und bewunderten jeweils die blühende, welkende und immerwährende Schönheit ringsum. Alles war für die beiden lebendig und beseelt.

So wuchs Solis in Frieden und Geborgenheit auf. Er spürte die grosse Güte seiner Grossmutter, schätzte diese sehr, war ihr stets dankbar und fühlte und strahlte eine tiefe Zuneigung ihr gegenüber aus, eine unendliche Verbundenheit. Auf diese Weise verging ein Tag nach dem anderen, ein Monat nach dem anderen, ein Jahr nach dem anderen.

Ganz besonders liebte Solis die Zeit im Jahr, wenn es sich dem Ende zuneigte. Die Grossmutter nannte diese Zeit den Abend des Jahres. Das Jahr ging langsam zu Ende und versenkte sich in eine tiefe Ruhe. Es wurde immer früher und länger dunkler und es kehrte mit dieser Dunkelheit eine ganz wundersame Seelenruhe ein.

An einem dieser friedvollen Tage sagte Solis zu seiner Nonna: «Es wird draussen immer dunkler. Die Sonne scheint am Himmel immer weniger. Aber ich weiss, Omi, wohin die Sonne geht.»

Die Grossmutter fragte: «Und wohin geht sie denn, Solis?» Darauf sagte er: «Sie geht immer mehr und mehr in uns ein und in unserem Inneren wird es immer heller und heller. Das fühlt sich so an, als ob ich sie wäre.»

Seine Omi lachte vor Freude und umarmte ihren lieben Solis. Als es draussen am Dunkelsten geworden war, sprach die Grossmutter: «Jetzt ist auch der Abend des Jahres vorüber.» «Und was kommt jetzt, Nonna?», fragte Solis.

«Und jetzt kommt die stillste Zeit, die Nacht des Jahres», so seine Grossmutter.