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Die kleine Marie ist furchtbar enttäuscht, dass Weihnachten nicht mehr mit dem Herzen gefeiert wird und es zudem auch keinen Schnee mehr gibt, sondern bloß noch Regen. Eines Morgens begegnet ihr auf dem Weg zur Schule jedoch ein Elf namens Jonathan und erzählt ihr, dass das Weihnachtskönigreich vor dem Abgrund steht und sie die Einzige ist, die das bedrohte Land am Nordpol retten kann.
Marie hat Zweifel, ob sie dieser gewaltigen Aufgabe gerecht werden kann, denn immerhin ist sie nur ein ganz normales Mädchen. Ausgerechnet sie soll ein solch imposantes Königreich vor dem Ende bewahren? Wird Weihnachten überhaupt jemals wieder stattfinden können und was meint Jonathan, wenn er sagt, dass sie die Weihnachts-Marie ist?
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„Marie! Nun steh endlich auf, es ist schon nach sieben. Du kommst zu spät zur Schule. Jeden Morgen dasselbe mit dir. Ich will dich nicht ewig antreiben müssen. Na los! Aus den Federn, junge Dame.“
Strenge Töne drangen an jenem Freitag im Dezember an Maries Ohr und holten sie aus ihrer Traumwelt unsanft in die triste Realität. Müde rieb sie sich die Augen, warf ihre Bettdecke zur Seite und schob gähnend erst den rechten und danach den linken Fuß von der Matratze. Anschließend reckte sie sich noch einmal, zupfte ihr Nachthemd zurecht, schlüpfte in die Hausschuhe und schlurfte langsam aus ihrem Zimmer in Richtung Küche.
„Nun komm schon!“, drängelte Maries Mutter weiter. „Dein Kakao wird ja ganz kalt und dann trinkst du ihn nicht mehr. Ich habe dir zwei Brote mit Marmelade gemacht. Du weißt doch, die selbst gemachte nach dem Rezept von Tante Brunhilde.“
Kopfschüttelnd setzte sich Marie an ihren Platz auf der Eckbank und stemmte unter Protest ihre Handinnenflächen unter das Kinn.
„Ich habe keinen Hunger!“, nuschelte sie mit griesgrämigem Gesichtsausdruck und halb geschlossenen Lippen, während sie genervt mit den Augen rollte.
Für einen Moment hielt Maries Mutter inne, bis sie sich schließlich zu ihr wandte und sie zart am Unterarm berührte.
„Was ist nur mit dir los, Kleines?“, fragte sie besorgt nach und man spürte, dass ihre Stimmung von leicht gereizt auf außerordentlich liebevoll umschwang.
„Nix!“, keifte Marie knapp und wehrte die Zuwendungen der Mutter durch ein rasches Zucken ab.
„Ich spüre doch, dass irgendwas mit dir nicht stimmt. Nun sag schon, ärgern dich die anderen Kinder? Hast du Probleme im Unterricht?“
Stumm schüttelte Marie den Kopf. Tränen sammelten sich in ihren Augen, sie weinte jedoch nicht, vielmehr versuchte sie, ihre Traurigkeit zu verdrängen, indem sie die Hände vom Kinn nahm, um anschließend nach der Kakaotasse zu greifen.
In kleinen Schlucken trank sie die heiße Schokolade und beobachtete die Reaktion der Mutter, doch die sah ihrer Tochter lediglich dabei zu und versuchte, sie durch ein Lächeln aufzumuntern.
„Du kannst mit mir reden, Marie! Nun komm! Sag mir, was los ist“, bohrte ihre Mutter irgendwann nach.
„Es ist … es ist einfach … es ist einfach echt blöd!“, stammelte Marie irgendwann los. „Diese Stadt ist wirklich nur doof. Alles ist grau und es schneit nicht. Jeden Tag dieser Regen und wir gehen auch nie zum Weihnachtsmarkt. Überhaupt, wir unternehmen eigentlich gar nichts mehr zu Weihnachten. Das ist richtig, richtig doof!“
„Aber, Süße, wir werden doch was zu Weihnachten machen. Papa besorgt den künstlichen Baum von Opa aus Recklinghausen und ein paar Kekse backen wir natürlich auch. Das verspreche ich dir. Und dass es in Duisburg nun mal nicht so häufig schneit, dafür kann niemand etwas.“
„Das stimmt!“, warf Marie etwas lauter ein. „Aber wir könnten einfach mal wieder zu Heiligabend in die Berge fahren. Dort, wo genug Schnee liegt. Das ist schon so verdammt lange her. Weißt du denn gar nicht mehr, wie sehr ich den Winter mag und wie viel es mir bedeutet, weiße Weihnachten zu haben?“
Maries Mutter atmete tief ein. Wie sollte sie ihrer zehnjährigen Tochter beibringen, dass es einfach nicht möglich war, in den Urlaub zu fahren? Die Firma, in der ihr Mann und somit Maries Vater arbeitete, hatte im vergangenen Juli Insolvenz angemeldet und trotz blumiger Versprechungen der Verwalter, dass die Arbeitsplätze sicher wären, war irgendwann doch die Kündigung ins Haus geflattert. Nachdem ihr Mann im September schließlich arbeitslos geworden war, fehlte es an allen Ecken und Enden. Nein schlimmer, es klemmte gewaltig und die Familie musste sparen, wo es nur ging. Marie wusste zwar, dass ihr Vater seinen Job verloren hatte, dennoch versuchten ihre Eltern, sie weitgehend aus der prekären finanziellen Situation herauszuhalten, obwohl das manchmal sehr schwer war und sie natürlich durchaus Bescheid wusste.
„Marie, du weißt doch, dass der Papa derzeit zu Hause ist, weil die Firma dichtgemacht hat. Deshalb ist ein solcher Urlaub einfach nicht möglich. Das ist übrigens auch der Grund dafür, weshalb wir den künstlichen Weihnachtsbaum von Opa holen, so müssen wir keinen teuren echten kaufen. Aber Kekse backen wir trotzdem und wir schmücken den Baum auch gemeinsam. Das verspreche ich dir.“
Wütend stieß Marie ihre Tasse beiseite, sodass etwas Kakao auf den Tisch platschte.
„Es ist gar nicht mehr weihnachtlich mit euch. Und eure ewigen Streitereien, die sind richtig blöd. Manchmal glaube ich, dass ihr euch gar nicht mehr lieb habt. Meinst du etwa, ich höre das nicht, wenn ihr euch anzickt? Wollt ihr denn gar nicht mehr so richtig Weihnachten feiern? Ist euch das egal geworden? Ach, macht doch, was ihr wollt!“
Schnellen Schrittes verließ Marie die Küche, rannte heulend nach oben in ihr Kinderzimmer, knallte die Tür ins Schloss und warf sich wütend schluchzend auf das Bett. Zornig ballte sie ihre kleinen Fäuste und schlug auf das Kopfkissen ein, als wäre dieses schuld an allem.
„Das ist alles so verdammt ungerecht“, knurrte Marie unter Tränen und malträtierte das Kissen weiter, bis es an einer Seite plötzlich nachgab und ein paar Federn herausquollen. Erschrocken hielt Marie inne.
'So ein Mist', fuhr es ihr durch den Kopf. 'Und alles bloß, weil diese blöde Firma keine Arbeit mehr für Papa hat und wir deswegen kein ordentliches Weihnachten feiern können'.
Rasch beruhigte sich Marie, stopfte die Federn zurück und schlug hastig die Bettdecke gerade, bevor sie ins Bad eilte, um sich zu waschen, die Zähne zu putzen und zum Schluss die Haare zu kämmen. Anschließend ging sie zurück und zog sich in aller Eile an. Gut, dass an diesem Morgen die Schule erst zur zweiten Stunde beginnen würde, so käme sie wenigstens nicht zu spät. Allerdings hatte sie ihrer Mutter davon nichts erzählt, damit sie einfach ganz normal losgehen konnte und ein bisschen Zeit für sich selbst hatte. Einfach nur für sich sein ohne irgendjemanden in der Nähe, denn das fehlte ihr tatsächlich ein bisschen. So schön es auch sonst gewesen war, wenn der Vater einmal Zeit für sie gehabt hatte, jetzt, wo er fast rund um die Uhr zu Hause war — von gelegentlichen Fahrten zum Arbeitsamt mal abgesehen — wurde es ihr doch zu viel. Nie war sie allein zu Hause, denn bevor der Vater arbeitslos geworden war, hatte sich ihre Mutter auch gelegentlich mal mit Freundinnen getroffen oder war einfach in die Stadt gefahren, doch dafür fehlte jetzt das Geld. Arbeiten konnte die Mutter leider nicht, da sie irgendeine blöde Krankheit, deren Namen Marie immer wieder vergaß, hatte. Diese erlaubte ihr nicht, stundenlang am Stück zu stehen, zu laufen oder zu sitzen. Solch eine eingeschränkte Person wollte von daher niemand haben, und das machte ihre Mutter zeitweise sehr traurig.
All das wusste Marie und doch machte sich in ihr ab und zu der Trotz breit, weil sie Weihnachten nun mal liebte und es dieses Jahr nicht einmal einen echten Baum geben würde. Es sollte lediglich ein künstliches Etwas ins Wohnzimmer gestellt werden, das nicht nach Wald roch, nach geheimnisvollen Elfen und Weihnachten. All das sorgte für ziemliche Zweifel, weil sie das Gefühl hatte, dass sich das vielleicht nie wieder ändern würde. Was würde geschehen, falls ihr Vater weiter arbeitslos bliebe? Die häufigen Streitigkeiten ihrer Eltern lagen Marie sehr auf der Seele. Wie sollte es mit der Familie in den kommenden Jahren weitergehen? Bestimmt könnten sie niemals mehr in den Urlaub fahren, also dorthin, wo es wirklich Schnee gab.
„Marie! Es ist viertel vor, jetzt aber schnell, sonst schaffst du es nicht mehr und Frau Schimming wird böse. Die letzten paar Tage bis zu den Ferien wirst du wohl noch hinbekommen, ohne einen Eintrag ins Klassenbuch zu erhalten, weil du zu spät gekommen bist!“
„Ich bin ja schon fertig“, rief Marie genervt die Treppe hinunter, schnappte sich ihren Ranzen und eilte nach unten, wo sie in den Mantel schlüpfte, die warmen Schuhe anzog und sich lediglich mit einem eher flüchtigen Küsschen von der Mutter verabschiedete, weil sie nach wie vor sauer auf die Situation war. Der Vater war an diesem Morgen bereits sehr früh weggefahren, das wusste Marie, weil sie ihre Eltern am vorherigen Abend darüber hatte reden hören, dass es um irgendein Vorstellungsgespräch in einer relativ weit entfernten Stadt ging. Etwas, das viel Benzin kostete und damit Geld, das natürlich wiederum an einer anderen Ecke fehlte.
„Tschüss, Mama“, rief Marie der Mutter trotz ihrer nicht eben guten Stimmung vom Gehweg aus zu, bevor sie sich mit schnellen Schritten in Richtung Schule entfernte. Kaum, dass sie außer Sichtweite war, drehte sie jedoch ab und schlug einen anderen Weg ein, der sie ebenso zur Schule bringen würde, allerdings war der länger und dort würde ihr höchstwahrscheinlich in der nächsten halben Stunde niemand begegnen, den sie kannte. Das hatte sie in der letzten Zeit schon des Öfteren ausprobiert, immer dann, wenn sie später zur Schule musste und noch ein bisschen Zeit für sich brauchte.