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Robin Wenzel ist ein aufgeschlossener Junge, der sein Leben in Aufzeichnungen festhält. Ein wenig vom normalen Tagebuchstil abweichend, dokumentiert er seine Erlebnisse, berichtet über seine Gefühle und lässt sich von Emotionen leiten. Begonnen in der späten Kindheit über seine Pubertät bis ins Erwachsenenalter stellt er immer wieder die Liebe zu seinem Bruder Nick dar - dem dieses Schriftstück erst später in die Hände fällt und der es in Episoden mit Überschriften einteilt.
Robins Schicksal ist geprägt von Einsamkeit, Zwiespalt, ersten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, Problemen in der Familie, der Entdeckung seiner Homosexualität, extremer Zuneigung zu seinem Bruder - und einer Infektion, die ihm letztendlich zum Verhängnis wird.
Dieses Buch lehnt sich an die Geschichte der "Prinzenwolken" an, ist jedoch unabhängig von der eigentlichen Handlung des erwähnten Romans verständlich.
Der Inhalt dieses Buches umfasst ca. 40000 Wörter.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Für alle, die mich nicht kennen, mein Name ist Nick Wenzel. Einige von Ihnen haben sicherlich schon von mir gehört und kennen sich in meinem Leben ganz gut aus. Aber um mich geht es auf den nächsten Seiten gar nicht – sondern eher um das Schicksal meines Bruders Robin. Nun, ich habe sehr lange überlegt, ob ich diese Zeilen tatsächlich veröffentlichen soll und mich letztendlich dafür entschieden. Es sind Aufzeichnungen aus einer Art Tagebuch, zum Teil gehen diese sehr ins Detail. Sie beleuchten viele Dinge genauer und geben Einblick in sein Leben und natürlich auch in das seiner Familie, zu der ich nach wie vor – obwohl ich einige hundert Kilometer von ihnen entfernt wohne – gehöre. Manches hat mich zu Tränen gerührt, anderes aber auch zum Schmunzeln gebracht. Viele Erinnerungen sind in mir hochgekrochen. Es ging sogar so weit, dass ich Gerüche und Emotionen wahrnehmen konnte, sozusagen viele Dinge ein weiteres Mal durchlebt habe. Die Einträge meines lieben Bruders habe ich in kleine Kapitel unterteilt und mit Überschriften versehen. Das soll Ihnen das Verständnis erleichtern, vielleicht sogar ein wenig Gänsehaut bescheren. Mir läuft es zumindest bei einigen Passagen eiskalt den Rücken hinunter, eventuell geht es Ihnen ja auch so.
In den ersten Erzählungen war Robin noch fast ein Kind. Das werden Sie sicherlich an seinem Schreibstil merken, der sich aber – je älter er wurde – verändert. Ich wollte keinesfalls etwas daran beschönigen, sondern seinen Charakter eins zu eins darstellen. Ferner habe ich auch keinerlei Emotion weggelassen, es ist sozusagen die ungekürzte Fassung. Dabei habe ich keine Rücksicht darauf genommen, ob er im Moment des Verfassens traurig, glücklich, sexuell erregt, wütend oder hilflos war. Auch seine besondere Beziehung zu Herrn Luna, von dem ich, bevor mir diese Zeilen in die Hände gefallen sind, nichts wusste, habe ich originalgetreu übernommen.
Lassen Sie sich überraschen, vielleicht werden Sie ihn verstehen, falls nicht, geben Ihnen meine Memoiren „Prinzenwolken“ bestimmt Aufschluss darüber. Und nun habe ich genug gesabbelt, vielmehr möchte ich meinen Bruder jetzt zu „Wort“ kommen lassen und verabschiede mich mit einem lieben Gruß aus dem Norden.
Ihr
Nick Wenzel
An Robin: Du wirst immer mein Prinz bleiben!
Heute ist Samstag. In unserem Haus tobt derzeit der Bär. Papa hat sich wieder einmal bis unter den Stehkragen betrunken und meine Schwestern haben sich wegen Mädchenzeugs in den Haaren. Mein Bruder Nick hat das Weite gesucht und ich … ich sitze in meinem Zimmer und höre laut Musik, um diese blöden Streitereien nicht ertragen zu müssen. Manchmal ist es nicht einfach, der Jüngste in einer solch verkorksten Familie zu sein. Am liebsten würde ich auch abhauen, doch mein dusseliger Vater würde mich wahrscheinlich sofort aufgreifen und an den Ohren nach Hause schleifen. Deshalb lasse ich es lieber. Montag schreiben wir eine Mathearbeit. Ich hasse dieses Fach. Manchmal frage ich mich, wo all das hinführen soll? Wenn der Alte weiter so viel säuft, wird er nicht mehr lange leben und dann würde Mutter verzweifeln. So gern möchte ich ihm mal richtig eins in die Fresse ziehen, damit er wenigstens einmal zu klarem Verstand kommt.
Draußen regnet es Bindfäden. Auf den Straßen haben sich jede Menge Pfützen gebildet. Die Autos fahren, ohne Rücksicht auf die Fußgänger zu nehmen, mit viel zu hoher Geschwindigkeit durch unsere Straße und spritzen mit ihren Reifen die Passanten nass. Vielleicht sollte ich Papa einmal rausschicken, damit er eine ordentliche Dusche abbekommt. Aber wahrscheinlich würde auch das nichts an seinem Verhalten ändern. Irgendetwas muss jedoch früher oder später geschehen, sonst sehe ich für ihn keine Chance mehr. Nun werde ich die Musik ein wenig lauter stellen, so kann ich zumindest vernünftig abschalten.
*
Sonntag. Als ich heute früh wach wurde, bin ich zuerst zu Nick gegangen und habe ihm vom gestrigen Abend erzählt. Er hat mich daraufhin ganz fest in den Arm genommen und getröstet.
„Du machst dir zu viele Gedanken!“, meinte er.
Das sagt er jedoch nur, um mich zu beruhigen. Er weiß genau, was in unserer Familie abgeht und dass ich mit meinen Vermutungen richtigliege. Nachher hilft er mir dabei, mich auf meine Klassenarbeit vorzubereiten. Ich bin echt froh, dass ich ihn habe. Er ist immer da, wenn ich ihn brauche. Meine Schwestern hingegen beschäftigen sich nur mit sich selbst. Wenn ich mal etwas von ihnen möchte, schreien sie mich gleich an und meinen, ich solle mich verpissen. Mutter hat viel zu viel zu tun, deshalb lasse ich sie in Ruhe. Sie hat genug Stress.
Papa ist schon wieder in der Kneipe. Frühschoppen! Was auch sonst. Im Flur riecht es nach Schweinebraten. Jeden Sonntag dasselbe! Fleisch, Kartoffeln, Sauce und Gemüse. Pünktlich um zwölf wird gegessen und ich muss diese eklige Alkoholfahne meines Vaters ertragen. Wenn ich aber etwas sage, gibt’s einen an den Hals. Deshalb halte ich meinen Mund und versuche, es zu ignorieren. In den meisten Fällen scheitere ich jedoch an meinem Vorhaben und lege mich mit ihm an. Wenn er den Mund aufmacht, könnte ich halt kotzen. Schade, dass ich leider stets den Kürzeren ziehe und ich – wenn er sehr betrunken ist – Angst vor ihm bekomme.
Nick hat mir versprochen, am Donnerstag mit mir ins Kino zu gehen. Darauf freue ich mich sehr. Mama ruft! Bestimmt soll ich ihr die Kartoffeln aus dem Keller holen.
*
Immer noch Sonntag. Nick hat mir fehlendes Wissen eingepaukt. Bei ihm kapiere ich das wenigstens. Er kann ziemlich gut erklären. Das Allerbeste an der ganzen Sache ist, dass er mir noch ein paar Aufgaben gestellt hat, die ich gleich lösen werde. Anschließend gebe ich sie ihm und er schaut, ob ich alles richtig gemacht habe. Trotzdem bin ich wegen der Klassenarbeit ein wenig aufgeregt. Hoffentlich kann ich mich ausreichend konzentrieren, denn eine schlechte Note kann ich mir nicht mehr leisten.
Papa ist auf dem Sofa eingeschlafen und Mutter schaut sich völlig langweiligen Kram im Fernsehen an. Eigentlich wollte ich zum Abschluss des Tages mit ein paar Schulkollegen ins Zentrum fahren, doch dieses Mistwetter hält mich davon ab.
*
Zum Glück ist der Montag fast vorbei. Der Mathetest verlief soweit ganz gut. Eine Aufgabe habe ich falsch, das weiß ich schon, aber zumindest konnte ich alles schaffen und hoffe auf eine Drei. Würde mir schon helfen. Nick hat Stress mit Mama, weil sein Fahrrad einen Platten hat. Das ist ständig so. Wegen solch belangloser Dinge wird ein riesiges Fass aufgemacht. Wenn das gleich vorbei ist, gehe ich zu ihm, um zu quatschen. Mein Bruder tut mir gut. Er ist der Einzige in der Familie, dem ich vertraue. Gestern am späten Abend war ich noch einmal bei ihm. Er hat mir Mut gemacht indem er mir sagte, dass alles gut meistern würde, da ich den Stoff draufhätte. Anschließend spielten wir noch Karten und lästerten ein bisschen – so über Lehrer und komische Leute. Sein Humor ist absolut genial, er hat Sprüche drauf, auf die ich nie im Leben kommen würde. Wir mussten zeitweise so herzhaft lachen, dass wir uns nur anschauen mussten, um gleich wieder loszuprusten. Irgendwann sind wir bei ihm auf dem Fußboden eingeschlafen. Einfach so, als wäre das ganz normal, was es wahrscheinlich definitiv nicht ist. Aber so sind wir halt. Ein völlig durchgeknalltes Brüderpaar.
*
Heute, am Dienstag, scheint endlich mal wieder die Sonne. Ich bin soeben aus der Schule gekommen und werde mich jetzt auf den Weg ins Freibad machen. Ein paar Kumpels kommen mit und Nick meinte eben, er würde es ebenfalls versuchen. Freue mich drauf.
*
Der Nachmittag war genial. Wir haben getobt und eine Menge Spaß gehabt. Auch Nick war da. Er wollte unbedingt mit mir um die Wette schwimmen und hat natürlich haushoch gewonnen. Klar, er ist immerhin zwei Jahre älter als ich. Ich möchte auch gern einen solch gut durchtrainierten Körper haben wie er. Nick meint zwar, dass dem so wäre, doch das stimmt bei Weitem nicht. Ich bin viel schmächtiger als er, aber vielleicht kommt das ja noch. Immerhin bin ich ja erst dreizehn.
Aber komisch ist es schon, dass ich meinen Blick niemals von ihm wenden kann, wenn ich ihn in der Badehose sehe. Er ist mein Idol, alles würde ich dafür geben, wenn ich so wäre wie er. Seine Schultern sind richtig breit und die Arme viel muskulöser als meine. Und dieser Waschbrettbauch. Hoffentlich bekomme ich den auch bald.
Andererseits mache ich mir ein aber auch ein paar Gedanken um ihn. Als ich eben noch kurz in seinem Zimmer war, hat es dort nach Rauch gerochen. Ich habe es sofort angesprochen und er meinte, dass er sich ab und zu mal eine Zigarette gönnen würde. Ich finde das nicht gut, aber ich werde wohl nichts dagegen tun können. Er fügte hinzu, dass das für ihn eine Art Stressabbau wäre. Das verstehe ich zwar nicht ganz, aber ich lasse ihn. Mutter riecht das sowieso nicht – das hoffe ich zumindest für ihn – und ich werde ihn mit Garantie nicht in die Pfanne hauen. Sonst gibt es in diesem Haus wieder eine Staatsaffäre. Papa würde ihm die Kippe aus dem Gesicht schlagen, obwohl ich das viel lieber bei ihm mit seinem Bierglas machen würde. Dieser Idiot ist immer so widerlich, wenn er getrunken hat.
Ich bin völlig durcheinander, denn ich konnte ja nicht ahnen, dass Nick in der Badewanne ist. Immerhin hätte er ja die Tür verriegeln können. Es ist zwar nicht so, dass ich ihn noch niemals nackt gesehen hätte, schließlich ist er mein Bruder, doch heute Abend war es irgendwie anders. Ich muss mir das einfach von der Seele schreiben, denn mit diesen Augen habe ich ihn nie zuvor gesehen.
Am besten fange ich mal von vorn an. Ich war bei einem Freund, eigentlich bei meinem besten. Michael heißt er. Wir haben einen dieser neuen Actionfilme, dessen Namen ich leider vergessen habe, geschaut. Der war sehr spannend, aber anschließend machte ich mich gleich auf den Weg nach Hause, um Papa keine Angriffsfläche zu bieten. Hätte ich gewusst, dass er mit Mama in der Stadt war, wäre ich sicher noch geblieben und dann wäre das alles wahrscheinlich gar nicht passiert.
Auf jeden Fall bin ich zur Tür hinein und wollte nur einmal eben schnell für kleine Jungs, da ich zu viel Cola getrunken hatte. Meine Blase platzte fast, also lief ich im Dauerlauf in Richtung Bad und fand dort meinen Bruder vor. Es war ihm sichtlich peinlich, dass ich da einfach so reingestürmt bin, denn er war gerade, na ja wie soll ich es beschreiben, er war eben mit sich selbst beschäftigt. Ich wurde rot wie ein Feuermelder, aber irgendwie gefiel mir das, was ich da sah. Er versuchte, alles zu verstecken, doch das war ihm auf die Schnelle nicht wirklich gelungen. Was sollte ich tun? Rausrennen? Nein! Also bin ich – ohne ihn darauf anzusprechen – kurz auf die Toilette und habe den Raum sofort wieder verlassen. Jetzt weiß ich nicht, ob ich etwas sagen oder lieber schweigen soll. Obwohl es eigentlich ganz normal ist, wenn man so etwas tut. Warum dann nicht darüber reden? Okay, andere Sache. Als ich in meinem Zimmer war, klopfte mein Herz ziemlich stark. Immer wieder musste ich an die Bilder denken, die ich gesehen hatte – und damit meine ich nicht den Film. Dann habe auch ich an mir herumgespielt und jetzt habe ich deshalb ein schlechtes Gewissen. Ich mache mir Sorgen, dass vielleicht irgendetwas mit mir nicht stimmen könnte, denn erregen sollte mich das ja nun eigentlich nicht, oder ist das etwa doch ganz normal? Ich weiß es nicht, am liebsten würde ich zu ihm gehen und ihn fragen, aber dazu fehlt mir der Mut. Schade eigentlich.
*
Zum Glück ist bald Wochenende. Die Schule kotzt mich an. Jeden Tag diese Lehrer zu ertragen ist manchmal echt eine Tortur. Heute früh schaute mich Nick beim Frühstück ganz eigenartig an. So, als hätte er gewusst, was ich gemacht hatte, nachdem ich bei ihm im Bad gewesen war. Ich lächelte ihm zu und tat so, als wäre nichts Außergewöhnliches geschehen. Innerlich war ich jedoch völlig durcheinander. Deshalb bin ich schnell zu meinem Fahrrad und nichts wie weg. Diese Sache überfordert mich völlig. Ich werde wohl tatsächlich mit ihm sprechen müssen.
Am Abend gab es erneut Streit bei uns. Daniela und Lissy hatten sich in der Wolle wegen eines eingelaufenen Oberteils. Dany war wohl an der Waschmaschine und hat irgendein Top von Lissy bei sechzig Grad gewaschen und nun war es eben eingelaufen. Es ist eigentlich nicht so, dass ich schadenfroh bin, dennoch habe ich mich totgelacht, doch als Papa dazwischenging und mal wieder völlig ausrastete, bekam ich Angst. Ich flüchtete zu Nick und der tröstete mich sofort. Mein Bruder ist und bleibt eben der wichtigste Mensch in meiner Familie. Doch als er mich dann so beschützend in den Arm nahm, regte sich bei mir in der Hose etwas. Das beunruhigt mich. Er ist doch ein Junge – und vor allem ist er mein Bruder. Bin ich wirklich unnormal?
*
Es ist Freitag und schon wieder regnet es. Am Nachmittag war ich mit Mama für das Wochenende einkaufen. Natürlich hat sie, wie sie es ständig tut, einen Sonntagsbraten mitgebracht. Ich kann dieses Essen nicht mehr sehen. Als ich sie gefragt habe, warum es immer Schweinebraten gibt, sagte sie, dass ich wissen sollte, dass Papa das so haben will. Wie gern würde ich einfach einmal etwas anderes essen. Bei Michael zuhause gibt es sonntags auch mal einen Auflauf oder Hackbraten. Bei uns immer nur dieses übliche Spießeressen. Nick ist heute beim Sport. Er spielt noch immer Handball – nicht in einem Verein, es ist eine AG in der Schule. Er kann das gut, leider bin ich nicht so sportlich wie er, deshalb nehme ich an solchen Dingen nicht teil. Ich freue mich schon, wenn er nach Hause kommt, dann können wir vielleicht noch ein Video schauen oder Karten spielen.
*
Es ist schön, morgens etwas länger schlafen zu können. Um zehn Uhr bin ich aufgestanden und wollte eigentlich zu Michael. Doch der hat mich angerufen und mir mitgeteilt, dass er eine Magen-Darm-Grippe hätte. Somit war klar, dass wir uns nicht treffen konnten, was ich aber dennoch schade fand. Nick und ich haben gestern Abend noch einen Film geschaut. Leider habe ich den Rest verpasst, weil mir die Augen zugefallen waren. Als ich wach wurde, strich er mir liebevoll über das Gesicht. Das war total schön und erneut spürte ich etwas, was ich sonst nicht so bemerkte. Ich mag das eigentlich gar nicht schreiben, denn ich schäme mich dafür. Aber wem soll ich es sonst mitteilen? In meinem Zimmer habe ich mich anschließend ausgezogen und mich im Spiegel betrachtet. Dabei wurde mein Penis wieder hart und ich musste an meinen Bruder denken. Am liebsten wäre ich in dem Moment zu ihm gegangen, doch das das ging ja nicht. Ich fühle mich sehr wohl in seiner Nähe, könnte den gesamten Tag mit ihm verbringen. Aber ich will ihm auf keinen Fall auf die Nerven fallen, er hat sicherlich andere Interessen, vielleicht auch an Mädchen, was mir, zumindest im Moment, das Herz brechen würde. Meine Eltern streiten sich im Wohnzimmer. Es geht um Geld, ich habe mir vorgenommen, einfach wegzuhören. Dinge, die man nicht wahrnimmt, belasten einen nicht. Warum ist in unserer Familie eigentlich alles so kompliziert? Bei Michael ist das anders. Seine Mutter ist ständig um ihn bemüht und sein Vater völlig anders als meiner. Manchmal wünsche ich mir, dass das auch meine Eltern wären.
Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass ich Montage nicht ausstehen kann? Nein? Dann hole ich das jetzt nach. In der ersten Stunde Deutsch, anschließend Mathe und zum guten Schluss zwei Stunden lang Sport. Völlig sinnlos! Hat nichts gebracht! Die binomischen Formeln habe zwar jetzt kapiert und kann sie dank Nicks Hilfe auch gut anwenden. Fußballspielen werde ich in meinem Leben jedoch wohl nicht mehr lernen.
Gleich nach der Schule bin ich mit zu Michael gegangen. Seine Mutter hatte Fischstäbchen mit Kartoffelpüree gemacht, da konnte ich nicht widerstehen. Anschließend sind wir zu ihm aufs Zimmer und haben ein paar Games gespielt. Draußen konnten wir uns heute sowieso nicht aufhalten, da der Regen anscheinend zu einer Art Dauergast in unserer bekloppten Stadt geworden ist. Irgendwann hatten wir keine Lust mehr aufs Zocken und kasperten ein bisschen herum. Vom Armdrücken über Durchkitzeln bis hin zu einer kleinen Balgerei war alles dabei. Plötzlich meinte er, dass er mir was zeigen wollte, aber dass das geheim bleiben müsste. Ich versicherte ihm das, denn ich war neugierig, was für ein Geheimnis er mir denn anvertrauen wollte. So ganz überzeugt davon, dass ich es trotzdem hier auf diesem Blatt Papier verewige, bin ich mir zwar nicht, aber egal! Ich mache es einfach.
Er ging zu einer Schublade an seinem Schreibtisch und holte ein Heftchen hervor.
„Schau mal!“, sagte er und schlug die ersten Seiten auf.
Meine Wangen liefen vor Scham dunkelrot an. Es war eine Zeitschrift mit lauter nackten Männern und Frauen, die sich gegenseitig anfassten und befriedigten. Ich schaute mir die Körper ganz genau an, irgendwie fand ich die Weiber genauso interessant wie die Typen. An manchen Bildern blieb ich sogar etwas länger hängen. Oh Mann, was war ich erregt, in meiner Hose war es richtig eng geworden, doch das sollte Michael auf keinen Fall sehen. Verstohlen schaute ich auf seinen Reißverschluss und erkannte auch bei ihm eine massive Beule. Als er meine Blicke sah, grinste er mich frech an und meinte, wir könnten unserer Lust ruhig freien Lauf lassen. Es wäre schließlich nichts dabei. Erst zögerte ich, denn meine Scham war größer als meine Erregung, doch als er dann seine Hose auszog und sich anfasste, konnte ich nicht anders und berührte mich ebenfalls. Sein Glied war ein wenig größer als meines und mehr Schambehaarung hatte er auch. Es dauerte nicht lange, bis wir beide einen Samenerguss hatten. Irgendwie fand ich es toll, es nicht alleine zu machen. Komischerweise musste ich dabei an Nick denken und wie er sich in der Badewanne einen runtergeholt hatte. Dabei freundete ich mich mit dem Gedanken an, es auch mal mit ihm gemeinsam zu tun. Das behielt ich aber für mich, denn irgendetwas an diesen Gedanken war nicht ganz korrekt.
Um fünf Uhr bin ich schließlich nach Hause geradelt und nahm sofort die Küche in Beschlag, weil ich ziemlich großen Hunger hatte. Leider fand ich nichts Vernünftiges im Kühlschrank vor. Deshalb bin ich zu Nick und meinte, dass Pommes nicht schlecht wären. Er ist daraufhin mit mir zum nächsten Imbiss um die Ecke gegangen und wir haben jeder eine doppelte Portion Fritten rot-weiß verdrückt. Als wir wieder daheim waren, war mir davon sogar ein wenig schlecht.
Nun höre ich noch eine Weile Musik. Über Kopfhörer versteht sich, denn ich habe auf keinen Fall Bock auf Ärger mit meinem stinkbesoffenen Vater.
*
Meine Schwestern sind eine absolute Katastrophe. Bereits um sechs Uhr in der Früh schreien sie durch das Haus, als ob sie vor dem Sensenmann flüchten würden. Ich möchte ihnen heute Morgen lieber nicht über den Weg laufen. Deshalb bleibe ich noch ein wenig liegen, bis sie sich beruhigt haben. Heute ist sowieso erst zur dritten Stunde Schule. Mama ist schon wieder in heller Aufregung. Sie sucht irgendetwas, ich habe jedoch nicht kapiert, was genau. Ist mir auch egal. Am liebsten würde ich mir Ohrenstöpsel nehmen, damit ich dieses Theater nicht mitbekomme. Oh … ich glaube, Lissy hat soeben das Haus verlassen. Gott sei Dank, dann kann ich ins Bad gehen.
Habe unter der Dusche an den gestrigen Tag denken müssen. Warum nur reagiert mein Körper so intensiv? Ich wurde wieder hart und dann ging alles extrem schnell. Es wäre einfach schön, mit Nick darüber zu reden. Ich würde einfach von ihm wissen wollen, ob es bei ihm genauso war oder ist. Eigentlich kann ich über alles mit ihm sprechen, warum nur nicht über dieses Thema? Es ist doch eigentlich ganz normal. Michael und ich haben anschließend auch nicht mehr darüber gequatscht. Wir haben uns nur sauber gewischt, sofort wieder angezogen und lediglich ein wenig gegrinst. Ich weiß nicht, ob ich das noch einmal machen will. Vielleicht ja, vielleicht nein. Kommt auf die Situation an. Aber mit Nick – da würde ich, glaub ich, nicht zögern. Ich habe das ständig in meinen Gedanken. Komisch! Übrigens, wo ist mein Bruder eigentlich? Schläft er noch? Ich gehe mal nachsehen.
Der Tag verlief nicht gut. Als ich bei Nick ins Zimmer kam, schlummerte er noch tief und fest. Ich weckte ihn, doch er knurrte nur leicht und sagte, er würde sich krank fühlen und er bräuchte seine Ruhe. Ich kann das ja verstehen! Wenn man eine Grippe oder so etwas hat, dann ist man am liebsten allein. Trotzdem hätte ich mich gern ein paar Minuten zu ihm ins Bett gekuschelt, aber das wollte er in dem Moment nicht. Er meinte, ich sollte gehen, sonst würde ich mich anstecken. Obwohl er damit recht hatte, war ich ein wenig beleidigt. Ich bin dann zur Schule und habe meine Mathearbeit wiederbekommen. Es war wie erwartet eine Drei, obwohl ich ganz heimlich doch auf eine Zwei gehofft hatte. All das stimmte mich ein wenig traurig.
Michael wollte wieder, dass ich mit zu ihm komme. Aber heute Nachmittag war mir nicht danach, mit ihm etwas zu unternehmen. Ab und zu bei Nick nach dem Rechten zu sehen, war mir wichtiger.
Papa ist übrigens wieder in der Kneipe. Mama sitzt im Wohnzimmer und schaut in die Flimmerkiste. Dieser Schwachsinn, der da läuft, ist nichts für mich. Zum Glück sind meine Schwestern nicht da, so ist es wenigstens ruhig im Haus. Ich werde mich jetzt hinlegen, denn ganz gesund fühle ich mich auch nicht.
Nun sind bereits einige Monate ins Land gezogen. Kaum zu glauben, wie lange ich hier schon nichts mehr hineingeschrieben habe. Dabei ist so viel passiert, aber ich war mir bisher sehr unsicher, ob ich das jemals verewigen sollte. Meine Angst, dass das hier jemals gelesen werden könnte, macht mich manchmal völlig wahnsinnig. Dennoch kann ich nicht anders, ich brauche das, um all die Dinge, die geschehen sind, zu verarbeiten. Nun werde ich nicht jeden Tag beschreiben, sondern eher die markanten Dinge – Sachen, die mich beeinflusst haben.
Weihnachten liegt jetzt ungefähr vier Wochen zurück. Mama hatte ein solch schönen Baum besorgt und Nick wollte, wie es in unserer Familie üblich war, das Schmücken übernehmen. Daniela klinkte sich dort mit ein, das war ihm zwar nicht recht, trotzdem hat er sie helfen lassen. Nick ist eben so. Als er fertig war, sah es bei uns im Wohnzimmer aus wie in einem Märchen. Die beiden hatten sich sehr viel Mühe gegeben und es wäre wahrscheinlich auch ein superschönes Weihnachtsfest geworden, wenn nicht mein bekloppter Vater den Baum umgeschmissen und in seinem Vollrausch mit den Kugeln nach uns geworfen hätte. Das hat mich völlig fertiggemacht, sodass ich einfach zu heulen anfing. Ich hatte tierische Wut, doch auch solche Angst, aber Nick stellte sich gleich vor mich und signalisierte, dass er mich schützen würde.
„Lass Robin in Ruhe!“, schrie er Papa an. „Er ist erst zwölf. Wenn du dich mit jemandem anlegen möchtest, dann mit mir!“
Weshalb in Gottes Namen macht mich Nick ständig jünger als ich bin. Ich bin dreizehn, fast vierzehn. Aber es sei ihm verziehen, ich bin ihm nicht böse, obwohl ich es nicht mag, wenn jemand, der mir nahesteht, mein Alter nicht kennt.