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Unendlich glücklich ist Nora von Goderich, als sie die Frau des Grafen Baltimore wird. Für sie geht an diesem Tag ein Traum in Erfüllung, und sie glaubt an ein Leben voller Liebe und Treue. Claude hat das liebreizende, bildhübsche Mädchen auch wirklich gern, aber sein Entschluss, um sie zu werben und sie vor den Traualtar zu führen, hat noch einen anderen Grund: Nora ist eine reiche Erbin! Mit ihrem Vermögen will er den Besitz der Baltimores retten. Sein Herz aber, das gehört noch immer seiner ersten großen Liebe ...
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Seitenzahl: 141
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Sein Herz blieb bei der Jugendliebe
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Impressum
Sein Herz blieb bei der Jugendliebe
Erfolgsroman um eine verhängnisvolle Leidenschaft
Unendlich glücklich ist Nora von Goderich, als sie die Frau des Grafen Baltimore wird. Für sie geht an diesem Tag ein Traum in Erfüllung, und sie glaubt an ein Leben voller Liebe und Treue. Claude hat das liebreizende, bildhübsche Mädchen auch wirklich gern, aber sein Entschluss, um sie zu werben und sie vor den Traualtar zu führen, hat noch einen anderen Grund: Nora ist eine reiche Erbin! Mit ihrem Vermögen will er den Besitz der Baltimores retten. Sein Herz aber, das gehört noch immer seiner ersten großen Liebe ...
Nora von Goderich war ein schlankes, hochgewachsenes Mädchen mit langem kastanienbraunem Haar und lebhaften blauen Augen, die von seidigen Wimpern umsäumt waren. Eine fein geformte Nase und ein roter Mund vervollständigten den zauberhaften Anblick, den das junge Mädchen bot.
Fräulein von Goderich, Noras Tante, betrachtete die junge Nichte mit nachdenklich besorgtem Gesicht.
»Ich weiß nicht, Kind, ob ich dir wirklich die Erlaubnis geben soll, diese Einladung anzunehmen. Der Gedanke, dich so völlig allein reisen zu lassen, widerstrebt mir.«
»Tantchen, ich bin doch kein kleines Mädchen mehr, sondern bereits eine erwachsene Dame. Heute ist eine Reise nach England kein gefährliches Abenteuer mehr. Ich setze mich in ein Flugzeug und fliege bis zu meinem Ziel. Dort erwartet mich Lord Baltimore oder einer seiner Diener. Ich werde sofort bis Schloss Falcon gebracht. Was könnte mir da schon geschehen?«
Tante Beate war eine reizende alte Dame, aber wenn es nach ihr gegangen wäre, dann hätte die Nichte, die ihr nach dem Tod ihres einzigen Bruders anvertraut worden war, brav und sittsam unter ihren Fittichen gelebt und darauf gewartet, dass jemand kam und um ihre Hand anhielt.
Zum Glück hatte Noras Vater bestimmt, dass sie in einem Internat erzogen worden war, und so blieb dem aufgeweckten jungen Mädchen das Schicksal eines braven Hausmütterchens erspart.
Ihre Mutter war Engländerin gewesen. Von ihr hatte Nora den hohen, schlanken Wuchs geerbt und die kühle nüchterne Überlegenheit, die sie meist zur Schau trug, hinter der sich aber ein leidenschaftliches Temperament verbarg.
Zweimal schon hatte sie auf Schloss Falcon ihre Ferien verbracht, und jedes Mal war sie begeistert gewesen.
Seitdem der Großvater gestorben war, war jedoch keine Einladung mehr an das junge Mädchen ergangen. Und nun war zu Noras großer Freude wie aus heiterem Himmel wieder eine Einladung ins Haus geflattert.
»Ja, Kind, wenn ich das wüsste«, seufzte die alte Dame bekümmert. »Aber mir ist es, als dürfte ich dich nicht in dieses gottverlassene Nest fahren lassen, das so abgeschnitten von aller Welt mitten im Meer liegt.«
Silberhell lachte das Mädchen auf, eilte auf die Tante zu und umhalste sie stürmisch.
»Liebes Tantchen, Falcon liegt nicht in der Wildnis, sondern es ist eine wundervolle, bezaubernde Insel. Wenn du nicht so eine große Angst vor dem Fliegen hättest, dann könntest du mich begleiten und dich selbst davon überzeugen, dass ich auf Schloss Falcon gut aufgehoben bin.«
Fräulein von Goderich hob abwehrend die Hände, als wollte sie eine drohende Gefahr abwenden.
»Nein, keine Macht der Welt bekommt mich in ein Flugzeug«, erwiderte sie entsetzt.
Tante Beate war wirklich zu jedem Opfer bereit, wenn es um die geliebte Nichte ging, aber hier streikte sie.
»Ich will deiner Jugend aber kein Klotz am Bein sein und dein junges Leben an mich alte Frau ketten«, fuhr sie fort. »Versprich mir, dass du gut auf dich aufpasst, Kind.«
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Tantchen. Ich bleibe ja auch nur ein paar Wochen und komme dann wieder zu dir zurück.«
Obwohl Tante Beate es wusste, blieb doch eine geheime Furcht in ihr. Ihr war es, als dürfe sie das Kind nicht aus ihrer Obhut lassen, als ginge es einer großen Gefahr entgegen, vor der sie es nicht beschützen konnte.
♥♥♥
Einen Flughafen gab es auf der Insel nicht, nur eine Rollbahn und einen weiß getünchten Schuppen. Auch das war Privatbesitz der Baltimores, wie Nora von ihren früheren Besuchen wusste.
Der ungeheure Reichtum und die Macht, die ihre Verwandten besaßen, machten sie zu Königen über ihr Inselreich.
Das schüchterte Nora aber keineswegs ein. Sie selbst war in geordneten Verhältnissen aufgewachsen, wenn das Vermögen ihres Vaters auch bei Weitem nicht an das der Baltimores herangereicht hatte.
Tante Beate hatte alles getan, um der jungen Nichte eine ausgezeichnete Ausbildung mit auf den Lebensweg zu geben. Ihre Erziehung im Internat und ihre gesellschaftliche Stellung, die sie bereits in ihren Kreisen einnahm, hatten Nora von Goderich zu einer selbstbewussten jungen Dame werden lassen.
Nora stand eine Weile unschlüssig da und bedeckte die Augen mit der Hand, da die Sonne sie blendete. Als sie die Hand sinken ließ, schrak sie zusammen. Vor ihr stand plötzlich ein Mann.
Sekundenlang starrte sie den großen, starken Mann überrascht an. Dichtes schwarzes Haar fiel ihm wirr in die gebräunte Stirn. Er trug ein verwaschenes Hemd und verwaschene Shorts. In seinem Mundwinkel hing eine Meerschaumpfeife.
»Lady Nora?«, fragte der Mann.
Als das Mädchen nickte, streckte er ihr seine kräftige Hand entgegen.
»Robert Winsten«, stellte er sich vor. »Lord Claude konnte leider nicht selbst kommen, um Sie abzuholen, Lady Nora. Er bat mich, Sie abzuholen, da ich gerade hier zu tun hatte.«
Er führte sie zu seinem Wagen.
»Vielen Dank, Mister Winsten«, erwiderte Nora freundlich, wenn auch etwas enttäuscht. Sie hatte sich so darauf gefreut, dass Claude sie persönlich abholen würde. Schon als kleines Mädchen hatte sie eine große Schwäche für den Vetter dritten Grades gehabt.
Eigentlich waren sie gar nicht richtig miteinander verwandt. Claude war als Säugling von Lady Claire an Kindes statt angenommen worden, und nachdem der eigene Sohn an einer unheilbaren Krankheit gestorben war, galt Claude als der zukünftige Erbe.
»Bitte, sagen Sie einfach Robby zu mir. Hier auf der Insel sind wir nicht so förmlich.«
»Dann nennen Sie mich bitte Nora.«
Seine kühlen Augen bekamen einen warmen Glanz. Die hübsche junge Dame gefiel ihm sehr. Wenn sie lachte, zeigten sich zwei allerliebste Grübchen in ihren Wangen.
Und sie schien gerne zu lachen, wie der Mann bei sich feststellte, als sie nebeneinander im Wagen saßen und er mit sicherer Hand das Steuer hielt.
Sie sprach ein klares Englisch, fast ohne jeden Akzent. Robby sagte, dass er sich darüber wundere.
»Mutter sprach mit mir immer in ihrer Muttersprache«, erklärte sie ihm da vergnügt. »So lernte ich Englisch reden, als ich gerade die ersten Sätze formen konnte.«
Sie fuhren eine kurvenreiche Strecke bergan, und Nora betrachtete die wundervolle Gegend.
Obwohl sie in Deutschland geboren war und ihre Heimat von ganzem Herzen liebte, fühlte sie eine tiefe Verbundenheit mit diesem Fleckchen Erde, das die Heimat ihrer Mutter gewesen war.
Sie durchfuhren jetzt ein kleines Tal, dessen rot geziegelte Häuser versteckt hinter hohen Wällen lagen, von hohen Bäumen umgeben. Leise rauschte der Wind durch die hohen Baumkronen, und es lag wie ein feines Singen in der Luft, das vom nahen Meer her zu kommen schien.
Sie kamen nun an den riesigen Weiden vorbei, auf denen sich die kostbaren Pferde des Baltimore-Gestüts tummelten, das sich in der ganzen Welt einen berühmten Namen gemacht hatte und einen Teil des unermesslichen Reichtums der Lords ausmachte.
»Bitte, Robby, wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich hier einen Augenblick verweilen. Ist es nicht ein herrlicher Anblick?«, stieß das Mädchen mit leuchtenden Augen hervor, während ihr Blick begeistert an den hübschen Pferden hing.
Sofort brachte der Mann den Wagen zum Stehen und sah sie lächelnd von der Seite an.
»Sie lieben Pferde, Nora?«
»Oh ja, sehr. Als meine Eltern noch lebten, bin ich jeden Tag mit meinem Vater ausgeritten. Aber nach seinem Tod kam ich in ein Internat, und dann holte Tante Beate mich zu sich in die Stadt. Sie hat mir ein wunderbares Zuhause gegeben, aber hier fühle ich mich viel freier. Können Sie das verstehen?«
»Ja, ich kann Sie sehr gut verstehen, Nora. Mir ist es genauso ergangen, als ich zum ersten Mal wieder einen Fuß auf die Insel setzte. Ich war viele Jahre fort im Ausland und habe dort meinen Doktor gemacht.«
»Sie sind Arzt, Robby?«, fragte Nora überrascht.
»Ja, ich bin Tierarzt und wurde von Lord Baltimore als Tierarzt hier eingestellt. Ich habe meine Praxis in der Nähe des Schlosses, damit ich zu jeder Zeit erreichbar bin. Alles, was hier auf der Insel kreucht und fleucht, untersteht meiner ärztlichen Obhut.«
Sie sah ihn bewundernd an.
»Dann haben Sie gewiss alle Hände voll zu tun, Robby. Allein schon die riesige Herde und das Gestüt, von den anderen Tieren ganz zu schweigen. Ich habe mich immer darüber gewundert, dass Onkel Henrik früher keinen eigenen Tierarzt auf Baltimore hatte. Schön, dass es jetzt einen hier gibt. Hier lässt es sich doch wunderbar leben, finden Sie nicht auch?«
»Sie lieben diese Insel, Nora, nicht wahr?«, fragte er lächelnd zurück.
»Ja, ich habe mein ganzes Herz an dieses Fleckchen Erde verloren. Es muss wundervoll sein, immer hier zu leben.«
»Die sommerliche Schönheit der Insel nimmt jeden gefangen. Aber wenn die ersten Winterstürme über die Insel fegen, wenn haushohe Wellen gegen die Felsen peitschen und jede Verbindung zur Außenwelt abgeschnitten ist, dann ist es hier sehr einsam. Dann kommt nur der Hubschrauber einmal in der Woche vom Festland herüber und bringt die Post. Darum wollte sich auch früher kein Tierarzt hier niederlassen.«
»Und Ihnen macht es nichts aus, Robby?«
»Nein, mir macht es nichts aus. Ich bin hier aufgewachsen und liebe die Insel. Zudem bin ich nicht gerade ein geselliger Typ. Ich liebe es, allein zu sein. In meiner Freizeit lese ich gern.«
Der Pfad, auf den sie jetzt einbogen, schlängelte sich durch einen dunklen Nadelwald, dann über einen grasbewachsenen Abhang und endete plötzlich auf einem weitläufigen großen Hof.
♥♥♥
Der Mann hielt den Wagen dicht vor dem riesigen Portal des rot geklinkerten Hauses an, das wie eine trutzige Burg zwischen den hohen Bäumen stand. Das Haus war von einer riesigen Terrasse umgeben.
Robby stieg aus und half Nora höflich beim Aussteigen.
Als er die Koffer auslud, flog die Tür auf, und eine schlanke Frauengestalt trat heraus. Hinter ihr tauchten ein junges Mädchen und ein Diener auf, die nun schnell die Stufen der Terrasse heruntereilten und die Koffer aufnahmen.
»Nora!« Weit breitete die schlanke Frau die Arme aus und fing die biegsame Mädchengestalt auf, die ihr freudig entgegenstürmte. »Nora, Kind, wie freue ich mich, dich endlich wieder bei uns zu sehen!«
Eine warme Welle überflutete Noras Herz bei der herzlichen Begrüßung. Alles Fremde, hervorgerufen durch die jahrelange Trennung, war mit einem Schlag ausgelöscht.
»Du bist eine junge Dame geworden, Nora, und eine sehr hübsche dazu«, sagte die weiche Frauenstimme bewundernd. Und dann mit einem leisen Seufzer: »An den Kindern merkt man, wie alt man geworden ist.«
Lebhaft verneinend schüttelte Nora den Kopf.
»Wie kannst du nur so etwas sagen, Tante Claire? An dir sind die letzten Jahre spurlos vorübergegangen. Du bist noch immer eine sehr schöne, elegante Frau.«
»Und du trägst noch immer dein Herz auf der Zunge, Kleines.«
Sie legte den Arm um Noras schmale Schultern und wandte sich dem Hause zu.
»Komm ins Haus, Kind. Du bist sicher müde von der langen Reise. Ich bringe dich auf dein Zimmer, dann kannst du dich ein wenig ausruhen. Jane wird dir eine Erfrischung hinaufbringen. Um vier Uhr erwarte ich dich zum Tee. Es ist alles beim Alten geblieben, du wirst dich schon sehr bald wieder heimisch hier fühlen.«
»Oh ja, Tante Claire, davon bin ich überzeugt.« Weit breitete das Mädchen die Arme aus, und ein glückliches Lächeln lag auf dem schönen Gesicht. »Ich liebe dieses Fleckchen Erde, als wäre ich hier geboren, als gehörte ich einfach hierher.«
Zärtlich fuhr die Frau über das glühende Mädchengesicht.
»Es ist eben das Erbe deiner Mutter, Kind, das eine so starke Verbundenheit zu Baltimore in dir weckt. Auch deine Mutter hat ihre Heimat sehr geliebt. Aber sie liebte deinen Vater so sehr, dass sie ihm sogar gegen den Willen ihres Vaters in seine Heimat gefolgt ist.«
Nora hatte ihre Mutter schon sehr früh verloren und konnte sich kaum noch an sie erinnern. Sie wusste nur, dass ihre Mutter eine sehr schöne Frau und mit dem Vater sehr glücklich gewesen war.
»Meine Eltern sind sehr glücklich gewesen, Tante Claire. Und die Liebe ist doch das Entscheidende in unserem Leben, das hat auch Großvater eingesehen. Hätte er mir sonst so viel Liebe entgegengebracht?«
»Ja, Kind, er hatte dich sehr in sein Herz geschlossen. Sonst war er ein sehr verschlossener Mann, aber an dich hat er noch in seiner letzten Stunde gedacht.«
Nora schaute die Tante verwundert an.
»Darüber reden wir später, Nora«, sagte Tante Claire da. »Wir haben noch so viel Zeit, denn vorerst lassen wir dich nicht wieder fort. Du bist doch auf einen längeren Aufenthalt eingerichtet, oder?«
»Ein paar Wochen kann ich schon bleiben, Tante Claire«, kam es vergnügt zurück. »Ich will meine Ferien gründlich auskosten. Wenn ich zurückfahre, werde ich mich nach einer passenden Stellung umsehen. Dann wird es Zeit, dass ich mir meine Brötchen selbst verdiene.«
Sie sagte es mit so reizender Natürlichkeit, als wäre es die selbstverständlichste Sache von der Welt, dass sie sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen musste.
Tante Claire ging nicht weiter darauf ein. Es schien ihr verfrüht, schon jetzt über den eigentlichen Grund für diese Einladung zu sprechen. Dafür blieb ihnen in den kommenden Wochen noch Zeit genug.
♥♥♥
Wie müde Nora war, merkte sie erst, als sie in den weichen Kissen lag und eine schwere wohlige Mattigkeit in ihre Glieder kroch.
Als sie Stunden später die Augen aufschlug, lag eine graue Dämmerung in dem Zimmer. Erschrocken richtete sie sich auf und warf einen Blick auf die kleine Uhr auf ihrem Nachttisch.
Es war schon sechs Uhr. Sie hatte den Tee verschlafen.
Schnell stand Nora auf, machte sich etwas zurecht, schlüpfte in ein hübsches buntes Sommerkleid und ordnete ihr seidiges kastanienbraunes Haar, das sie zu einem Knoten im Nacken zusammensteckte.
Nach einem prüfenden Blick in den Spiegel verließ sie ihr Zimmer. Jane, das Hausmädchen, kam ihr freundlich lächelnd entgegen.
»Die Herrschaften sind im grünen Salon, Miss Nora«, sagte sie.
Nora musste lächeln, als ihr bewusst wurde, dass dieser alte Brauch, sich nach dem Tee bis zum Abendessen im grünen Salon aufzuhalten, noch immer hier herrschte.
Der grüne Salon war ein großes Wohnzimmer mit einem riesigen Kamin, der im Winter den großen Raum gemütlich warm hielt. Hier standen noch die gleichen hübschen Möbel in einem zarten Grün wie bei Noras letztem Besuch. An den Wänden hingen noch die gleichen Bilder.
Nur die Fenster schienen erneuert worden zu sein. Sie waren größer und ließen viel mehr Licht in das Zimmer hinein.
Als das Mädchen eintrat, wandten sich ihr zwei Köpfe zu, die über Handarbeiten gebeugt waren.
Tante Claire lächelte dem Mädchen herzlich zu und winkte ihm näher zu kommen.
»Hast du ausgeschlafen, mein Kind?«, fragte sie mit warmer Stimme.
»Verzeih, Tante Claire, dass ich nicht zum Tee erschienen bin. Ich war fest eingeschlafen und bin eben erst aufgewacht.«
»Das habe ich mir gedacht. Nun möchte ich dich mit meiner Schwester bekannt machen, Nora.« Sie wies auf die Fremde, die Nora zum ersten Mal sah. »Das ist Lady Helen, und das, liebe Helen, ist meine Nichte Nora von Goderich. Ich habe dir schon viel von ihr erzählt.«
Nora fühlte zwei seltsam brennende Augen auf sich gerichtet, in denen eine dunkle Glut brannte, vor der sie unwillkürlich zurückzuckte.
Etwas Feindliches, Unerklärliches, für das sie selbst keine Worte fand, sah ihr aus den dunklen Augen entgegen, und vom ersten Augenblick an spürte Nora, dass diese Frau ihr nicht gut gesinnt war.
Nora wunderte sich darüber, weil sie die Frau gar nicht kannte. Sie reichte ihr höflich die Hand und begrüßte sie.
»Dort drüben habe ich dir etwas Gebäck hingestellt, Nora«, ergriff die Tante nun wieder das Wort. »Tee ist dort im Teekessel. Bediene dich. Helen und ich spielen unterdessen unsere Partie Rommé, wie jeden Tag um diese Zeit. Wenn du Lust hast, kannst du ein Spiel mitmachen.«
»Danke, Tante Claire, aber davon verstehe ich nichts. Wenn du erlaubst, möchte ich mich draußen etwas umsehen.«
»Wie du willst, Kind, aber verlaufe dich nicht. Hier hat sich einiges verändert.«
»Jedenfalls hat Baltimore jetzt einen eigenen Tierarzt, Tante Claire«, gab das Mädchen fröhlich zurück.
Lady Claire nickte zustimmend und sah mit einem nachdenklichen Blick aus dem Fenster.
»Robert Winsten wurde hier geboren. Sein Vater war der hiesige Pfarrer. Du hast ihn doch bestimmt noch gekannt.«
Nora konnte sich noch gut auf den immer freundlichen und gütigen Pfarrer besinnen. Sie hatte auch davon gehört, dass er einen Sohn hatte, aber sie hatte Robby damals nicht zu Gesicht bekommen.
»Ja, ist Pfarrer Winsten denn nicht mehr im Amt, Tante Claire?«, fragte sie verwundert.
»Nein, Kind, leider starb Pfarrer Winsten nach einem langen schweren Leiden. Seine Frau ist nach seinem Tod wieder in die Stadt gezogen.«
»Aber Herr Winsten ist wieder zurückgekommen. Er liebt die Insel.«