Lore-Roman 197 - Regina Rauenstein - E-Book

Lore-Roman 197 E-Book

Regina Rauenstein

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Beschreibung

Niemand weiß, woher sie kommt oder wer sie wirklich ist. Sie tauchte eines Tages aus dem Nebel auf. Dieses zierliche Geschöpf, wunderschön, wie aus einer anderen Welt, nennt man Undine - ein Name, der so flüchtig ist wie die Wellen des Meeres, das sie offenbar einst verschlang und zurück an die Küste spülte.
In den Augen der Inselbewohner ist sie ein Mysterium, eine Frau ohne Vergangenheit, eine Frau, die Unheil bringt. Doch in ihrem Inneren toben Erinnerungen an ein Leben, das sie nicht mehr greifen kann. Undine spürt, dass etwas Dunkles und Unerklärliches sie verfolgt, und dass die Wahrheit über ihre Herkunft irgendwo verborgen liegt ...

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Seitenzahl: 154

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Inhalt

Cover

Geheimnisvolle Undine

Vorschau

Impressum

Geheimnisvolle Undine

Roman um das abenteuerliche Schicksal eines Mädchens

Von Regina Rauenstein

Niemand weiß, woher sie kommt oder wer sie wirklich ist. Sie tauchte eines Tages aus dem Nebel auf. Dieses zierliche Geschöpf, wunderschön, wie aus einer anderen Welt, nennt man Undine – ein Name, der so flüchtig ist wie die Wellen des Meeres, das sie offenbar einst verschlang und zurück an die Küste spülte.

In den Augen der Inselbewohner ist sie ein Mysterium, eine Frau ohne Vergangenheit, eine Frau, die Unheil bringt. Doch in ihrem Inneren toben Erinnerungen an ein Leben, das sie nicht mehr greifen kann. Undine spürt, dass etwas Dunkles und Unerklärliches sie verfolgt, und dass die Wahrheit über ihre Herkunft irgendwo verborgen liegt ...

Das kleine Dorf lag in hellem Sonnenschein. Ein leichter Wind strich durch das Laub der hohen Bäume, die einen wohltuenden Schatten verbreiteten. Es war sehr still auf der Dorfstraße. Die Bauern waren fast alle auf ihren Feldern, die Kinder in der Schule, und nur hier und da klang das Bellen eines Hofhundes auf. Aus der einzigen großen Schmiede in weitem Umkreis war der helle, durchdringende Klang der Hammerschläge zu hören. Seit vielen Generationen hatte sich die Schmiede im Besitz der Familie Berger befunden, sie wurde nach alter Tradition vom Vater auf den Sohn vererbt.

Auch Jochen Berger hatte den brennenden Wunsch seines Vaters erfüllt und die Schmiede übernommen, obwohl er viel lieber eine Kunstschule besucht und sich weiter ausgebildet hätte.

So wurde Jochen Berger ein tüchtiger Schmied. Unter Jochens Händen entstanden wahre kleine Meisterwerke, vor denen selbst der alte Berger in wortloser Bewunderung stand und nicht glauben konnte, dass es sein Sohn war, der es geschaffen hatte.

Auch heute stand Jochen Berger nach getaner Arbeit in seiner kleinen Werkstatt, die er sich selbst eingerichtet hatte. Auf seinem ernsten, männlichen Gesicht lag ein nachdenklicher, versonnener Ausdruck, während er das kleine Kunstwerk in seinen Händen betrachtete. Es war sein erstes Werk gewesen und auch sein liebstes. Vielleicht deshalb, weil er es einmal für seine liebste Spielgefährtin gemacht hatte.

Aber er war dann nie dazu gekommen, die kleine Schmucktruhe seiner kleinen Freundin zu geben. Sie verschwand spurlos aus seinem Leben, und es hatte sehr lange gedauert, bis der damals Fünfzehnjährige die Trennung verwunden hatte. Seit dieser Zeit war er nicht mehr auf Schloss Reichenstett gewesen.

Es war heute zehn Jahre her, dass er hinter dem Wagen hergesehen hatte, der ihm seine liebste Spielgefährtin, seine Jugendfreundin, für immer entführt hatte. Damals hatte Jochen Berger geglaubt, die Welt würde zusammenstürzen. Es hatte lange gedauert, bis er sich in ein Leben ohne Arlene geschickt hatte. Er war sich ohne sie so einsam und verlassen vorgekommen, dass ihm alles grau und trist erschienen war.

Damals hatte er dieses Kästchen begonnen und in seiner Arbeit seine Sehnsucht nach der Freundin zu vergessen gesucht. Aber schon damals stand es bei ihm fest, dass er es Arlene bei ihrem Wiedersehen schenken würde. Es war für sie bestimmt, und niemand anders sollte es bekommen.

Aber Jahr um Jahr war vergangen. Aus dem romantischen Jungen war ein großer, stattlicher Mann geworden, der mit blitzenden Augen in die Welt sah und keine Zeit hatte, sich romantischen Träumen hinzugeben. Er stand mit beiden Füßen fest auf der Erde, und mit der Zeit verblasste auch die Erinnerung an ein zartes blondes Mädchen, das einmal da oben auf dem Schloss gewohnt hatte.

Nur wenn er das Kästchen betrachtete, da tauchte wie aus einem Nebelschleier ein süßes, zartes Gesicht auf, und große blaue Augen sahen ihn an. Dann kam es wohl vor, dass Jochen verloren ihren Namen flüsterte.

Jochen wurde von fast allen Mädchen des Dorfes heiß begehrt. Aber bis heute war es noch keiner gelungen, sein Herz zu erobern. Er wartete noch immer auf die große Liebe, die ihm bis noch nicht begegnet war.

***

Jochen Berger verließ seine Werkstatt und ging mit schweren Schritten die Treppe zu seinem Zimmer hoch, um sich umzukleiden.

Er hatte noch einen Weg vor sich, von dem er gar nicht sehr erbaut war. Aber er hatte sich von den anderen breitschlagen lassen, und nun, wo er schon einmal seine Zustimmung gegeben hatte, nun musste er auch sein Versprechen halten.

Er seufzte, wenn er an Graf Reichenstett dachte, der seit einiger Zeit mit seinen beiden Töchtern das jahrelang verwaiste Schloss wieder bewohnte.

Die beiden jungen Komtessen waren mit einem Schwarm junger Leute erschienen, und seitdem war es mit der Ruhe im Wald und im ganzen Ort vorbei.

Die Bauern waren verärgert und kamen mit ihren Klagen zu Jochen, baten ihn händeringend, doch beim Schlossherrn vorzusprechen und diesem übermütigen Treiben ein Ende zu machen.

Jochen hatte sich zuerst gesträubt. Ihm widerstrebte es, den Grafen um eine Unterhaltung zu bitten. Er wusste, wie stolz und unnahbar der Schlossherr sein konnte.

Als er nach einer Weile das Haus verließ und den Weg zum Schloss einschlug, den er seit vielen Jahren nicht mehr gegangen war, da weilten seine Gedanken bei Arlene, und er fragte sich, was wohl aus der Jugendgespielin geworden war.

Arlene war ein angenommenes Kind des alten Grafen gewesen. Er hatte sie geliebt, als wäre sie seine eigene Tochter. Als er gestorben war, hatte er dem Mädchen ein großes Vermögen hinterlassen, das er aber seinem Bruder zu treuen Händen übergeben hatte, bis Arlene mündig geworden war.

Graf Reichenstett aber, der jüngere Bruder, hatte keinen Hehl darausgemacht, dass er es ungerecht von seinem Bruder fand, dass er dieser Fremden alles vermachte, während er selbst leer ausgegangen war.

Arlene hatte ihren Onkel gefürchtet, der nie ein gutes Wort an sie gerichtet hatte. Verzweifelt hatte sie gefleht, auf Schloss Reichenstett bleiben zu dürfen, aber der Graf hatte kein Mitleid gekannt. Arlene hatte sich von allem, was dem Kind lieb und vertraut war, trennen müssen und war mit den Verwandten in die Stadt übergesiedelt.

Seitdem hatte Jochen nie wieder etwas von ihr gehört. In der ersten Zeit war er immer wieder zum Schloss gelaufen, hatte die alte Minna ausgefragt, aber die alte Köchin hatte nur traurig den Kopf geschüttelt, denn auch sie erfuhr nicht, wie es ihrem kleinen Liebling ging, den sie wie eine Mutter geliebt hatte.

Wie verzweifelt er damals gewesen war. Heute konnte der junge Mann darüber lächeln, und doch war noch immer so etwas wie leise Wehmut in ihm, wenn er an Arlene dachte.

Er stand nun vor dem Schloss, das deutliche Zeichen des Verfalls aufwies. Graf Reichenstett hatte sich nur wenig Mühe gemacht, das Erbe seines Mündels gewissenhaft zu verwalten. An dem Schloss war seit Jahren nichts mehr renoviert worden, und der alte Graf Gunnar würde sich wohl im Grab umdrehen, könnte er seinen einst so sorgsam gehüteten Besitz jetzt sehen.

Ein junges Mädchen kam die breite Freitreppe heruntergestürmt. Langes braunes Haar umflatterte ein frisches junges Gesicht.

Dicht vor Jochen bremste es seinen ungestümen Lauf, starrte den jungen Mann überrascht an, dann aber blitzte es in den blauen Augen erfreut auf.

»Da sind Sie ja endlich. Kommen Sie, meine Schwester ist schon ganz nervös. Sie fürchtete schon, Ihnen wäre unterwegs etwas zugestoßen.«

Jochen starrte das hübsche junge Mädchen an, als hätte er noch nie vor ihm ein Mädchen gesehen.

»Aber wieso erwartet mich die Komtess denn, woher weiß sie denn von meinem Kommen?«, entfuhr es ihm nicht gerade sehr geistreich.

Aber das Mädchen ließ ihn gar nicht zu Worte kommen und winkte einen Diener herbei.

»Führen Sie den Herrn in den Salon, man erwartet ihn bereits ungeduldig.« Es lachte dem verdutzten Mann freundlich zu. »Wir sehen uns noch, Meister. Jetzt habe ich etwas sehr Dringendes zu erledigen.«

Ehe Jochen etwas antworten konnte, stob es schon davon.

»Bitte, folgen Sie mir«, sagte der Diener sehr würdevoll, und Jochen blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

Eigentlich hatte er ja den Grafen sprechen wollen, aber vielleicht konnte man mit seiner Tochter besser verhandeln, obwohl sie als äußerst hochmütig und arrogant in der ganzen Gegend verschrien war.

In der Halle wurde ihm mit ausgesuchter Höflichkeit der Hut abgenommen, und dann winkte der Diener würdevoll, wieder zu folgen.

Sekunden später stand Jochen reichlich überrascht in dem Salon und sah verwundert auf die vielen Menschen, die ihn alle neugierig betrachteten.

Nun löste sich eine schlanke, hochgewachsene Gestalt aus dem Kreis und kam auf ihn zu. Sie war sehr schön — so schön, dass Jochen für einen Moment förmlich den Atem anhielt.

»Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, Meister«, hörte er eine dunkle Altstimme sagen. Eine schmale Hand streckte sich ihm entgegen, die er nur zögernd nahm und sofort wieder freigab.

»Ich fürchte, hier liegt eine Verwechslung vor, Komtess«, sagte er schnell. »Ich hätte gerne Ihren Vater gesprochen.«

Verwundert zog sie die feinen Augenbrauen hoch und betrachtete ihn eingehend.

»Meinen Vater? Aber ich habe Sie doch eingeladen, und mir haben Sie Ihre Zusage gemacht. Meinen Vater können Sie noch später sehen und auch sprechen, wenn es sein muss.«

Es klang schon etwas ungeduldig, und man merkte deutlich heraus, dass die Komtess es nicht gewohnt war, wenn ihr jemand widersprach.

»Pardon, Komtess, ich glaube, wir reden aneinander vorbei. Gestatten Sie mir erst einmal, dass ich mich vorstelle.« Ehe das Mädchen etwas sagen konnte, nannte er seinen Namen.

Fassungsloses Verwundern trat nun in die Augen der Komtess, die ihn ansah, als wäre er direkt vom Himmel gefallen. Aber dann wich das Erstaunen aus ihren Zügen und machte einem verletzenden Hochmut Platz.

»Sie sind der Dorfschmied ... Dann sind Sie freilich hier fehl am Platz.« Zornig wandte sie sich an den Diener. »Demnächst erkundigen Sie sich gefälligst erst nach dem Namen des Besuchers, ehe Sie ihn zu uns führen«, fuhr sie ihn an.

Der Diener zuckte etwas hilflos die Schultern.

»Komtess Sidonie beauftragte mich, den Herrn zu Ihnen zu führen, gnädiges Fräulein. Es ist wirklich nicht meine Schuld.«

Unwillig wehrte die Komtess ab.

»Da Sie nun einmal hier sind, können Sie mir auch gleich sagen, was Sie zu uns geführt hat, Herr ...?« Sie zögerte einen Moment, da ihr sein Name wieder entfallen war.

»Berger«, kam Jochen ihr gelassen zu Hilfe. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er ruhig fort: »Ich wollte Ihren Vater sprechen, Komtess. Ich komme im Auftrage unseres Gemeinderates, um mit Ihrem Vater über die unmöglichen Zustände im Schlosswald zu sprechen.«

Nun war es an ihr, verblüfft zu sein. Sie sah ihn mit einem seltsam prüfenden Blick unter den langen dunklen Wimpern an.

»Unmögliche Zustände im Schlosswald ... Herr Berger, wie soll ich das verstehen?«, fragte sie verwundert, und setzte im gleichen Augenblick sehr von oben herab hinzu: »Was geht es denn Sie an, was in unserem Wald vor sich geht? Ich denke, Sie sind der Dorfschmied?«

»Ja, ich bin der Dorfschmied«, wiederholte Jochen mit fester Stimme, »aber ich besitze das Vertrauen des Gemeinderates und bin in seinem Auftrage hier, um mit dem Herrn Grafen zu sprechen.«

Etwas in der stolzen Stimme schien die Komtess tief zu beeindrucken. Sie hatte für alles Außergewöhnliche großes Interesse, und obwohl sie sich nicht völlig im Klaren über diesen Mann war, spürte sie doch, dass er etwas Besonderes war.

Das sonst so hochmütige Mädchen konnte einen unwiderstehlichen Charme entwickeln, wenn es wollte. Und diesmal wollte sie es, denn der junge Mann, der nur ein einfacher Dorfschmied war und doch so selbstbewusst und stolz vor ihr stand, hatte einen gewaltigen Eindruck auf sie gemacht.

Seine kühle Überlegenheit reizte die Komtess maßlos. Er zeigte sich keineswegs in der ihm doch gewiss ungewohnten Umgebung unsicher. Dieser Mann schien sich seines Wertes voll bewusst zu sein.

In ihren grünen Augen zuckte es seltsam auf.

Die Freunde sahen sich untereinander mit einem wissenden Blick an. Jeder, der die Komtess kannte, wusste, wie gefährlich sie in solchen Augenblicken sein konnte. Hatte ein Mann einmal ihr Interesse erregt, so würde sie nicht eher ruhen und rasten, bis sie ihr Ziel erreicht hatte und er ihr zu Füßen lag.

Niemand wunderte sich, als sie jetzt mit völlig veränderter Stimme, die voller Freundlichkeit war, sagte: »Mein Vater ist im Augenblick nicht anwesend, Herr Berger. Aber vielleicht bleiben Sie solange in unserer Gesellschaft, nun, wo Sie schon einmal hier sind. Ich würde mich freuen, wenn Sie mein Gast sein würden. Das Geschäftliche können wir immer noch besprechen, es läuft uns nicht davon.«

Im ersten Augenblick war Jochen viel zu überrascht, um sofort darauf antworten zu können. Aber dann sah er sich mit einem schnellen Blick in dem Kreis der jungen Menschen um, und er kam sich hier völlig fehl am Platz vor.

Gelassen schüttelte er den Kopf.

»Verzeihung, Komtess, aber gestatten Sie mir, mich zurückzuziehen. Ich bin nur gekommen, um mit Ihrem Vater zu sprechen und will keineswegs Ihren Kreis stören. Ich werde zu einem späteren Zeitpunkt wieder vorsprechen.«

Er wollte sich mit einer knappen Verbeugung verabschieden. Aber Komtess Ilona war es gewohnt, dass man jeden von ihr ausgesprochenen Wunsch erfüllte.

»Ich wünsche, dass Sie bleiben!«, sagte sie im gewohnten Befehlston. »Schließlich wollen Sie ja etwas von uns, nicht wahr? Da wäre es schon besser, um gutes Wetter zu bitten.«

Jochens Augen verdunkelten sich in jäher Abwehr. Sein Mund presste sich zu einem schmalen Strich zusammen. Mit einer stolzen Bewegung warf er den Kopf zurück.

»Ich darf mich empfehlen, Komtess.«

Ruhig wandte er sich um. Hinter sich hörte er einen unterdrückten Laut, der wie ein Zischen klang. Aber es berührte ihn nicht, gelassen schritt er weiter.

»Herr Berger —, ich habe Ihnen befohlen zu bleiben!«, klang in diesem Augenblick die zornige Mädchenstimme hinter ihm auf.

Er blieb ruckartig stehen, wandte sich langsam um, sah das Mädchen mit großen, verwunderten Augen an, in denen deutlich Abwehr zu lesen stand.

»Pardon, Komtess, aber ich glaube, Sie haben sich im Ton vergriffen. Ich liebe es nicht, wenn man mir befiehlt. Vielleicht, wenn Sie Ihre Einladung in einem etwas verbindlicheren Ton vorgebracht hätten, hätte ich ihr Folge geleistet.« Er machte eine betont spöttische Verbeugung. »Ich empfehle mich, Komtess.«

Ehe sie noch etwas antworten konnte oder sich von ihrer Verblüffung erholt hatte, fiel die Tür bereits hinter seiner hohen Gestalt ins Schloss.

Zuerst blieb hinter ihm fassungsloses Schweigen zurück. Die Anwesenden sahen sich untereinander betroffen an, dann suchte ein scheuer Blick das tieferblasste Gesicht der Komtess, und alle, die das stolze, so selbstbewusste Mädchen kannten, ahnten, was jetzt in seinem Innern vor sich ging.

So etwas war ihr bisher wohl noch nie widerfahren. Und dass diese Abfuhr ausgerechnet von einem einfachen Dorfschmied kam, war wohl das Unfassbarste an dem ganzen Geschehen.

»So etwas — das ist ja einfach unverschämt. Was bildet sich dieser Bauernlümmel eigentlich ein?«

Plötzlich brach ein Stimmengewirr um die Komtess herum aus. Jeder wollte ihr zeigen, wie empört man war, und das unhöfliche Benehmen des Mannes verabscheute.

Komtess Ilona stand mit finster zusammengezogenen Brauen und starrte vor sich hin. Sie schien gar nicht wahrzunehmen, was sich um sie herum abspielte.

Mit einer schroffen Bewegung warf sie jetzt den Kopf in den Nacken zurück. Das braune Haar fiel ihr in die leicht gebräunte Stirn, die grünen Augen schillerten zornig.

»Das wird er mir büßen!«, zischte sie unterdrückt und ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. »Er soll mich noch kennenlernen.«

***

Jochen war, empört über das anmaßende Benehmen der Komtess, aus dem Schloss geeilt.

Was bildete sich dieses Mädchen eigentlich ein? Glaubte es, weil es eine Komtess Reichenstett war, ihm befehlen zu können, nur weil er ein einfacher Schmied war?

Hochmütig warf der Mann den blonden Kopf in den Nacken zurück, und sein energisches Kinn schob sich trotzig vor.

Er war so in seinen Zorn vertieft, dass er das junge Mädchen gar nicht gewahrte, das jetzt in der Wegkreuzung auftauchte und bei seinem Anblick jäh stehen blieb.

»Sie hier, Meister?«, entfuhr es dem frischen roten Mund verwundert. »Haben Sie sich so schnell wieder verabschiedet?«

Ehe er etwas sagen konnte, lachte sie schon silberhell auf und zwinkerte ihm verständnisvoll zu.

»War Ihnen wohl auch zu langweilig da drinnen, Meister? Ich kann es Ihnen sehr gut nachfühlen. Meine Schwester und ihre Gesellschaft öden mich auch gewaltig an. Ich nehme immer Reißaus und bin froh, wenn sie nicht darauf besteht, dass ich daran teilnehme. Aber bei Ihnen verwundert es mich doch ein wenig. Wissen Sie, meine Schwester hält so große Stücke auf Sie und hat Sie uns als wahres Wunderwesen geschildert.«

Ein paarmal hatte Jochen versucht, dem Redeschwall des Mädchens Einhalt zu gebieten, aber Komtess Sidonie ließ ihn gar nicht zu Wort kommen. Sie plapperte lustig drauflos und schien genau das Gegenteil ihrer hochmütigen Schwester zu sein.

Endlich aber machte sie einmal eine kleine Pause, wohl um Luft zu holen, und nun sagte Jochen sehr schnell, um ihr keine Zeit mehr zu lassen, ihren Redefluss fortzusetzen: »Ich bin nicht der erwartete Meister, Komtess, sondern nur der Dorfschmied.«

Ihr kleiner roter Mund blieb sekundenlang vor Verblüffung halb offen stehen. Sie betrachtete ihn wie ein Weltwunder, während sie den braunen Kopf etwas seitlich neigte, als könnte sie ihn aus dieser Perspektive besser betrachten.

»Ein Schmied — ein ganz richtiger Schmied, so mit einem lodernden Schmiedefeuer und Blasebalg — mit Amboss und Hammer?«, entrang es sich ihr staunend, und als er zustimmend nickte, etwas belustigt von ihrem fast kindlichen Staunen, da begann es in den blauen Augen vor Begeisterung zu flirren.

»Das muss ich sehen — ich darf Sie doch einmal besuchen, und Sie werden mir alles zeigen, nicht wahr?«

Nun war es an ihm, verwundert zu sein. Er hatte eigentlich erwartet, ihr junges Gesicht genauso hochmütig erstarren zu sehen wie das ihrer Schwester. Aber sie schien sich nicht nur äußerlich sehr von ihrer schönen Schwester zu unterscheiden, nein, auch in ihrem Wesen schien sie genau das Gegenteil ihrer stolzen Schwester zu sein.

Nun überzog ein warmes Lächeln Jochens schmales Gesicht.

»Wenn es Ihnen wirklich Freude macht, Komtess, es wäre mir eine große Ehre, wenn Sie meiner Schmiede einen Besuch abstatten würden.«

Komtess Sidonie wehrte fast heftig ab.

»Um Himmels willen, reden Sie nur nicht so geschwollen, Herr Schmied. Sagen Sie einfach, ob Sie es mögen oder nicht. Ich rede ja auch so, wie mir der Schnabel gewachsen ist.«

Spontan streckte er dem Mädchen seine kräftige braune Hand hin.

»Ich freue mich wirklich, Komtess, aber wird es Ihrem Vater und Ihrer Schwester auch recht sein?«

Die vollen roten Lippen schürzten sich trotzig. Energisch schob sich das kleine runde Kinn vor.

»Kümmert mich herzlich wenig. Die sind sowieso mit allem, was ich tue, nicht einverstanden.«

Plötzlich schien ihr etwas einzufallen, denn sie begann auf einmal lauthals zu lachen und legte dabei den Kopf etwas auf die linke Schulter, eine Geste, die Jochen noch später sehr häufig an der jungen Komtess wahrnehmen sollte.