Lore-Roman 122 - Regina Rauenstein - E-Book

Lore-Roman 122 E-Book

Regina Rauenstein

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Beschreibung

Henning von Bern arbeitet und kämpft verbissen, um sich und seinem jüngeren Bruder das väterliche Erbe zu erhalten. Als er Angela von Wörmshofen kennenlernt, wirbt er leidenschaftlich um sie. Und obwohl die schöne Komtess den jüngeren Bruder liebt und heimlich mit ihm verlobt ist, heiratet sie Henning. Erst dann erfährt der Graf, dass er dem Bruder die Frau genommen hat. Er verachtet die Frau, die mit einer Lüge auf den Lippen die Seine geworden ist. Angela führt fortan ein Schattendasein neben dem hart gewordenen Mann, und es wird noch schlimmer, als der heiß ersehnte Sohn und Erbe schwachsinnig und unheilbar krank zur Welt kommt. Henning zerbricht in dieser Zeit fast an seinem Leben, und was sich auf der Burg zwischen ihm und Angela abspielt, ahnt niemand.
Eines Tages verlässt die Gräfin heimlich bei Nacht und Nebel mit dem Kind die Burg und monatelang weiß niemand, wo sie sich aufhielt. Erst langsam sickert es durch, dass die Frau mit dem kleinen Jungen den Tod gesucht hat. Man gibt dem Grafen die Schuld, und das Getuschel und Geraune hinter seinem Rücken will nicht aufhören. Verbissen und verbittert geht Henning von Bern seinen Weg - bis das Schicksal es eines Tages wieder gut mit ihm meint ...


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Inhalt

Cover

Der Graf mit dem steinernen Herzen

Vorschau

Impressum

Der Graf mit dem steinernen Herzen

Wie Liebe den Hass besiegte

Von Regina Rauenstein

Henning von Bern arbeitet und kämpft verbissen, um sich und seinem jüngeren Bruder das väterliche Erbe zu erhalten. Als er Angela von Wörmshofen kennenlernt, wirbt er leidenschaftlich um sie. Und obwohl die schöne Komtess den jüngeren Bruder liebt und heimlich mit ihm verlobt ist, heiratet sie Henning. Erst dann erfährt der Graf, dass er dem Bruder die Frau genommen hat. Er verachtet die Frau, die mit einer Lüge auf den Lippen die Seine geworden ist. Angela führt fortan ein Schattendasein neben dem hart gewordenen Mann, und es wird noch schlimmer, als der heiß ersehnte Sohn und Erbe schwachsinnig und unheilbar krank zur Welt kommt. Henning zerbricht in dieser Zeit fast an seinem Leben, und was sich auf der Burg zwischen ihm und Angela abspielt, ahnt niemand.

Eines Tages verlässt die Gräfin heimlich bei Nacht und Nebel mit dem Kind die Burg und monatelang weiß niemand, wo sie sich aufhielt. Erst langsam sickert es durch, dass die Frau mit dem kleinen Jungen den Tod gesucht hat. Man gibt dem Grafen die Schuld, und das Getuschel und Geraune hinter seinem Rücken will nicht aufhören. Verbissen und verbittert geht Henning von Bern seinen Weg – bis das Schicksal es eines Tages wieder gut mit ihm meint ...

Die Nacht warf ihre Schatten voraus, und die ersten Sterne standen schon bleich am Himmel. Auf Burg Bern waren die Zimmer hell erleuchtet, gespenstisch warf das Licht seinen Schein auf den dunklen Burghof, der still und verlassen lag.

Die große, wuchtige Gestalt, die reglos am Fenster stand und mit starren Augen in die Nacht hinaussah, wandte sich jetzt langsam um und setzte ihre ruhelose Wanderung durch das Zimmer fort. Ein leises schmerzliches Wimmern drang aus dem Nebenzimmer und ging in ein schmerzliches Stöhnen über. Der ruhelose Mann verharrte einen Augenblick, und ein Zucken lief über sein blasses Gesicht.

Nein, er liebte sie nicht, die kleine, überzarte Frau, die schon seit ein paar Tagen kämpfte, um ihm endlich den ersehnten Erben zu schenken. Ein hartes, bitteres Lachen sprang über den schmalen Mund, und seine große Hand durchschnitt die Luft, als wollte er etwas Lästiges wegwischen.

Einen Sohn, er wollte einen Sohn haben, hämmerte und klopfte jeder Pulsschlag in ihm, und er dachte an das kleine zweijährige Mädchen, das in seinem kleinen Bettchen so friedlich schlummerte und nicht ahnte, wie nahe die geliebte Mutti dem Tode war.

Wieder gellte ein furchtbarer Schrei auf und warf den Mann jäh herum. Unwillkürlich presste er die Hände auf seine Ohren, er konnte dieses entsetzliche Schreien nicht mehr hören, es ging über seine Kraft.

Henning von Bern war ein kraftvoller Recke, und seine mächtige Gestalt überragte seine Freunde um ein Beträchtliches. Sein hellblondes Haar lag in natürlichen Wellen weit in die Stirn und gab dem Gesicht des Mannes etwas Verwegenes. Seine dunkelblauen Augen hatten einen finsteren Ausdruck, und nur selten verzogen die harten Lippen sich zu einem spärlichen Lachen.

Man liebte ihn nicht, den harten Burgherrn, aber man fürchtete und achtete ihn, denn er war ein strenger, aber gerechter Herr.

Früh hatte er schon die Eltern verloren, und nur seinem unermesslichen Fleiß und seiner Ausdauer war es zu verdanken, dass ihm und dem jüngeren Bruder das Erbe geblieben war. Er hatte keine Zeit für Tanz und Frohsinn gehabt, sein Leben bestand aus Arbeit und immer wieder nur aus Arbeit. Und genauso, wie er einst in eiserner Pflichterfüllung das Erbe der Väter erhalten hatte, genauso kühl und überlegen war er in die Ehe gegangen, als er die Zeit für gekommen hielt, und genauso selbstverständlich war es für ihn, dass die Frau, die er geheiratet hatte, ihm den Sohn und Erben schenkte.

Fassungslos hatte er der Tatsache gegenübergestanden, als das erste Kind nur eine Tochter war, und schweigend, ohne der blassen erschöpften Frau ein gutes Wort zu sagen, hatte er das Zimmer verlassen.

Lange hatte es gedauert, bis er die Enttäuschung etwas überwunden hatte, aber erst als er wusste, dass seine Frau ein zweites Kind erwartete, kam es vor, dass sich ein leichtes Lächeln um seinen harten Mund stahl, wenn seine kleine Tochter auftauchte.

Das Kind aber fühlte die Abneigung des Vaters und wich ihm scheu aus, und Henning von Bern versuchte nicht, die Liebe des Mädchens zu erringen.

Der sinnende Mann hatte das Öffnen der Tür überhört, erst als die erregte Stimme des Arztes hinter seinem Rücken aufklang, fuhr er herum.

»Was gibt es, Doktor, ist es endlich so weit?«, stieß er zwischen den Zähnen hervor.

Der Doktor wich den fiebrigen Männeraugen aus und hob mutlos die Schultern.

Vergebens suchte er nach Worten, aber er wusste, er konnte nicht anders, zu viel stand auf dem Spiel.

Noch zögerte er, suchte nach den richtigen Worten, aber da klang ein furchtbarer, gellender Schrei auf und brach mit einem keuchenden Wimmern ab.

Der Arzt wischte sich den Schweiß von der Stirn, und während er mit einem ernsten Blick das erstarrte Gesicht des Burgherrn suchte, sagte er schwer: »Mir bleibt also keine andere Wahl, Herr von Bern, ich muss es Ihnen sagen, ich kann nur die Frau oder aber das Kind retten.«

Einen Augenblick schien die mächtige Gestalt des Mannes zur Salzsäule erstarrt, dann überlief ein Zucken seine hohe Gestalt, und ein Schrei, wild und leidenschaftlich, brach aus seiner Brust.

»Das Kind, Herr Doktor, sie müssen es retten, sie müssen mir den Sohn retten.«

Fast schien es, als habe der Arzt diese Antwort erwartet, tief senkte er den Kopf, dann wandte er sich wortlos ab.

Henning von Bern aber ergriff ihn mit seinen kräftigen Händen am Arm, und seine harten Finger gruben sich in sinnloser Not schmerzhaft in das Fleisch.

»Retten Sie das Kind, ich beschwöre Sie«, keuchte er heiser.

Mit einem sprechenden Blick sah der alte Arzt ihn an.

»Und die Frau, Ihre Frau, Herr von Bern?«, kam es hart aus seinem Mund.

Jäh ließ der Mann seinen Arm los, sein Gesicht verhärtete sich, dann sagte er langsam, und jedes Wort schien ihm unsagbare Mühe zu machen: »Tun Sie Ihre Pflicht, Herr Doktor.«

Langsam wandte er sich ab und trat erschöpft ans Fenster. Mit leeren Augen starrte er hinaus, er merkte nicht, dass der Arzt das Zimmer wieder verließ, hörte nicht mehr das Wimmern der gequälten Frau, merkte nicht, wie es auf einmal ruhig, unheimlich ruhig um ihn wurde, wie kein Laut mehr aus dem Nebenzimmer zu ihm drang.

Erst als sich eine zitternde Hand auf seine Schulter legte, wachte er wie aus einem bösen Traum auf, wandte sich langsam und schwerfällig herum.

Verständnislos sah er in das gerötete Gesicht des Arztes, dem die Haare feucht in die Stirn hingen.

»Es ist vorbei, Herr von Bern«, sagte der Arzt mit seltsam klingender Stimme, und in seinen Augen lag ein freudiges Leuchten.

Henning von Bern taumelte einen Augenblick zurück, seine Augen weiteten sich entsetzt, dann ballte er die Hände.

»Spannen Sie mich nicht auf die Folter, Doktor, so reden Sie doch endlich«, stieß er zwischen den Zähnen hervor, und kaum hörbar: »Meine Frau, das Kind, was ist mit ihnen?«

Tief atmete der Arzt auf.

»Sie leben, Herr Bern, beide leben. Ihr Sohn und Ihre Frau.«

Der große, kraftvolle Mann wankte, dann schlug er mit einem dumpfen Stöhnen die Hände vor sein Gesicht, und der Doktor hörte, wie er leise, wie trunken vor sich her sagte: »Er lebt, mein Sohn lebt. O Gott, ich danke dir!«

Mit keinem Wort sprach er von der kleinen tapferen Frau, die mit todbleichem Gesicht und geschlossenen Augen in ihren Kissen lag und deren schmale Brust sich kaum wahrnehmbar unter den schwachen Atemzügen hob.

Groll stieg in dem alten Mann hoch, und ein heißes Mitleid mit der Frau, die ein Schattendasein neben dem harten Gatten führte.

***

Monate waren vergangen, die junge Mutter ging still und ernst ihren Pflichten nach, und nur selten sah man noch einmal den Anflug eines verlorenen Lächelns um den kleinen, vom tiefen Leid gezeichneten Mund. Auch jetzt stand sie mit sinnenden Augen und sah auf das schlafende Kind, das mit eigenartig gelblichem Gesichtchen in seinen Spitzenkissen lag.

Henning von Bern. Stolz hatte der Vater den Namen seines Sohnes in das Stammbuch eintragen lassen, obwohl das kleine, schmächtige Menschenkind noch nichts von seinem starken Vater in sich getragen hatte.

Tagelang hatte man um das Leben des Kindes gebangt, und das schwache Flämmchen hatte geflackert und drohte völlig zu erlöschen. Die besten Ärzte und die besten Pflegerinnen hatte Herr von Bern kommen lassen, doch es schien alles umsonst gewesen zu sein.

»Überlass mir das Kind«, hatte die junge Frau flehend die Hände gehoben, und in ihren großen Augen hatte eine verzehrende Bitte gelegen.

Nachdenklich hatte Henning von Bern in das überzarte Gesichtchen seiner Frau gesehen, und wie eine bittere Verachtung wollte es sich über seine Lippen drängen. Aber dann hatte er sich noch im letzten Moment besonnen, gerecht genug, sich zu sagen, dass es ja nicht ihre Schuld war, dass das Kind zu schwach zum Leben war.

»Willst du mehr können als die besten Ärzte?«, hatte er bitter gehöhnt, hatte es aber geduldet, dass die Frau sich von nun ab ganz dem Kind widmete.

Und das Wunder war geschehen, der Kleine war zusehends stärker und kräftiger geworden, aber noch immer lag er teilnahmslos in den Kissen, und obwohl er nun schon Monate alt war, reagierte er auf nichts, was in seiner Umgebung geschah.

Nur wenn die zarte Stimme der Mutter aufklang und sie auf ihn einsprach, dann glitt manchmal ein Zucken über das kleine gelbliche Gesichtchen, und in den dunklen Augen zuckte es auf.

»Sie müssen Geduld haben, Herr von Bern, die Geburt war sehr schwer, aber ich hoffe bestimmt, der Zustand Ihres Sohnes wird sich bessern«, wich der Arzt dem ungestümen Drängen des Mannes aus.

Lange hatte der Burgherr sich in seinem Arbeitszimmer eingeschlossen und hatte mit Gott und der Welt gehadert. Bitter hatte er das Schicksal angeklagt, das ihm nur einen Sohn geschenkt hatte, um ihn im gleichen Augenblick in eine Hölle zu stoßen, denn sein Sohn, sein Erbe, würde nie wie andere gesunde Kinder durch seine Burg tollen, würde nie stolz neben ihm auf einem Pony reiten.

Manchmal stahl sich der Gedanke in ihm auf, warum ausgerechnet sein Sohn krank und siech sein musste, warum konnte es nicht ...? Nein, verzweifelt wehrte der Mann sich gegen diesen unguten Gedanken, aber er konnte es nicht verhindern, dass er immer wieder kam und die Erbitterung sich immer tiefer in seinem Herzen festfraß.

Von diesen hassvollen Gedanken ahnte die junge Frau nichts, aber sie fühlte, dass es keine liebevollen Gefühle waren, die ihr Mann für seine kleine Tochter empfand, und eine ungeheure Bitterkeit stieg in ihrem Herzen auf.

Ein Schauer überrann ihren schmalen Körper, und wie in heißer Bitterkeit murmelte sie, während ihre weichen Hände immer wieder über das nachtschwarze Köpfchen fuhren: »Er wird uns beide hassen, mein Kleiner, dich, weil du seinen Hoffnungen nicht entsprichst, mich, weil ich ihm keinen gesunden Erben schenken konnte. Warum durften wir nicht zusammen sterben? Dann wäre es uns beiden wohler.«

Eilig trippelnde Füßchen klangen neben ihr auf, und dann kletterte die kleine, zierliche Ute auf ihren Schoß und schmiegte ihr rosiges Gesichtchen an ihre tränennasse Wange.

»Ute will Puppa sehen«, forderte die Kleine energisch und strebte auf ihrem Arm hoch, umso besser in die Wiege sehen zu können.

Unter Tränen lächelnd, hob die Mutter das Mädchen hoch, und hell jauchzte die kleine Ute auf und streckte ihre kleinen Ärmchen verlangend nach dem kleinen Brüderchen aus.

»Haben, Ute will Puppa haben«, verlangte sie.

»Pst, du musst ganz schön brav sein, Ute, das Brüderchen schläft, und wenn du es jetzt aufweckst, dann weint es.«

Weich und zärtlich klang die Stimme der Frau, und innig presste sie das zierliche Körperchen des Kindes an sich.

»Och, Ute will spielen mit Puppa!«

Enttäuscht hockte die Kleine sich auf den Schoß der Mutter und zog ein Schnütchen, und jetzt sah das Kind so allerliebst aus, dass die Mutter es leidenschaftlich an sich zog.

»Ute, kleine Ute, warum muss hier alles so kalt sein?«, stöhnte sie unterdrückt, und würgend stieg es in ihrer Kehle auf.

Obwohl die Kleine nicht verstand, warum die Mutter weinte, schmiegte sie sich doch dichter an sie, und ihr kleiner roter Mund presste sich fest auf die zuckenden Lippen der Frau.

Henning von Bern, der schon vor wenigen Minuten die Terrasse betreten hatte und die beiden schon eine ganze Weile beobachtete, fühlte wieder das eisige Gefühl in seinem Herzen aufsteigen, das ihn jedes Mal überfiel, wenn er in das vor Gesundheit strotzende Gesicht seiner kleinen Tochter sah.

Jetzt hatte die Kleine den reglos stehenden Vater erspäht, und wie erschrocken zuckte es in den dunklen Kinderaugen auf, fester schmiegte das Kind sich an die Mutter, die selbst aus großen Augen, in denen eine versteckte Angst zuckte, auf den hochgewachsenen Mann sah.

Langsam kam Henning von Bern näher, und die Frau erschrak bis ins Herz vor dem seltsam starren Blick seiner Augen.

Von einer eigenartigen Gewalt getrieben, stellte sie das Kind auf den Boden.

»Geh spielen, Ute«, sagte sie drängend.

Gehorsam wandte die Kleine sich ab und wollte sich scheu an dem Vater vorbeidrücken.

»Willst du mir keine Hand geben?«, fragte der Vater hart und sah das Kind streng an.

Wie angenagelt blieb die Kleine stehen und sah ihn erschrocken an, aber sie machte keine Anstalten, ihm die Hand zu geben.

»Na ...?«

Nun lag schon eine unverhüllte Drohung in seiner grollenden Stimme, und Angela von Bern sah voller Angst, wie die Adern auf seiner Stirn hervortraten.

»Gib deinem Vati die Hand, Ute«, bebte ihre Stimme.

Doch die Kleine stand unbeweglich, nur ihre kleinen Händchen verbarg sie auf dem Rücken.

»Ute«, flehte die Stimme der Mutter wieder auf.

In den dunklen Augen des Kindes zuckte ein angstvoller Trotz auf, der blonde Kopf flog in den Nacken.

»Ute mag nicht Hand geben.«

Fassungslos standen die Erwachsenen vor dem Kind, das dem drohenden Blick des Vaters standhielt, und nur das Zucken des kleinen Mundes verriet etwas von der Not der kleinen Kinderseele.

Der Mann machte eine unbeherrschte Bewegung; als ob er das Kind schlagen wollte, doch da flog die leichte Gestalt der Frau mit einem erstickten Aufschrei dazwischen und riss das Kind zurück.

»Du wirst Ute nicht schlagen, ich werde es nicht dulden, Henning.«

Die sonst so weiche Stimme klang hart und schneidend. Sie beugte sich zu dem Kind hinunter, das leise vor sich hin schluchzte.

»Geh zu Tante Ille, Ute«, sagte sie zärtlich.

Mit einem scheuen Blick auf den Vater, der wie versteinert auf seine Frau sah, eilte die Kleine an ihm vorbei.

Nun erst hatte der Burgherr seine Überraschung überwunden. Zorn sprang aus seinen dunkelblauen Augen, und hart ergriff er die Frau am Arm.

»Wie kannst du es wagen, Partei gegen mich zu ergreifen und Ute in ihrem Trotz zu unterstützen?«, grollte er.

Angela erging es eigenartig, sie, die früher immer gezittert hatte, wenn Henning sie anschrien hatte, war auf einmal ganz ruhig. Sie hatte auf einmal keine Furcht mehr vor dem finsteren Mann.

»Es tut mir leid, Henning«, sagte sie ganz ruhig. »Aber mir bleibt keine andere Wahl, wenn ich das Kind vor Schaden bewahren will.«

Der Mann wich fassungslos vor der ruhigen Stimme zurück, aus weit aufgerissenen Augen starrte er seine Frau an.

»Was — was ... willst du ... damit sagen?«, entrang es sich ihm nach einer Weile schwer.

Nachdenklich sah sie ihn an, dann zuckte eine unsagbare Bitterkeit in ihren Augen auf.

»Du liebst Ute nicht, Henning, ich weiß es, ich sehe es an deinen Augen. Du kannst es dem Kind nicht verzeihen, dass es nicht der Junge geworden ist, den du erwartet hast.« Sie hob den Blick und sah ihn beschwörend an. »Aber jetzt kann doch alles gut sein, Henning, nun kannst du auch deine Tochter lieben, denn du hast doch einen Sohn, du hast doch deinen Erben.« Die bebende Frauenstimme erstickte in einem heißen Schluchzen.

Dumpf stöhnte der Burgherr bei ihren letzten Worten.

»Einen Sohn?« Er trat mit harten Schritten auf die Wiege zu und sah mit starren Augen in das winzige Kindergesicht, sah die großen Augen, die mit leerem, teilnahmslosem Blick an ihm vorbeisahen, und wie ein Schrei brach es aus Henning von Bern heraus: »Dieser Krüppel, mein Sohn? Nie, hörst du, nie wird er laufen, wird er sein wie andere Kinder. Nie wird er das Erbe seiner Väter antreten können. Und wenn wir einmal nicht mehr da sind, dann wird er in einem Heim vegetieren ...« Der kräftige Mann wurde von seiner wilden Erregung völlig geschüttelt, seine Hände ballten sich zu Fäusten und drückten sich auf die brennenden Augen. »Herrgott, lieber sähe ich ihn tot, als dass ein von Bern als elender Krüppel sein Leben leben muss.«

Wie vor einem Aussätzigen war Angela vor ihrem Mann zurückgewichen und stand nun hochaufgerichtet neben der Wiege, und ihre weit aufgerissenen Augen ließen den Mann nicht los.

»Henning, versündige dich nicht«, schrie sie unterdrückt auf, und ihre weißen Hände pressten sich voller Angst auf die heftig atmende Brust.

Mit einem leeren Blick sah er über das Kind hinweg, seine geballten Fäuste öffneten sich, und dann wandte der Mann sich langsam und schwerfällig ab. An der Tür blieb er noch einmal stehen und sah mit einem eigenartigen Blick zu der Frau hin.

»Ich werde Ute in ein Heim geben, Angela, das lebhafte Kind stört den Kleinen, und du kannst dich dann besser dem Jungen widmen.«

Angela von Bern stand wie versteinert, dann aber brach ein schmerzvoller Aufschrei über die feinen Lippen: »Ute, du willst mir Ute nehmen? Nein, Henning, das darfst du nicht tun.« Sie stürzte auf ihn zu und blieb mit erhobenen Händen vor ihm stehen. »Lass mir das Kind, Henning, ich schwöre dir, dem Kleinen wird nichts dadurch verlorengehen, lass sie mir, es ist doch der einzige Sonnenstrahl in meinem Leben.«

Unbewegt sah der Burgherr in das bleiche zuckende Frauengesicht, und die großen flehenden Augen riefen ein ungewohnt weiches Gefühl in seinem Herzen wach.

Unbewusst strich er über ihr schimmerndes Haar, dann meinte er müde: »Behalte sie, deine kleine Tochter, ich bin doch kein Unmensch.«

»Henning, ich danke dir«, schluchzte sie trocken und wollte nach seiner Hand greifen, doch ihr Mann hatte sich schon schroff abgewandt und das Zimmer verlassen.

***

In der folgenden Zeit bekam Angela ihren Mann kaum noch zu Gesicht.