1,99 €
Kurz vor seinem Tode gibt Komtess Daphne ihrem Vater das Versprechen, dass Gernot Graf von Borsody für das, was er ihrer Familie angetan hat, bezahlen wird. Ebenso wie ihr Vater, der Gernot die Schuld am Tode seiner Tochter Charlotte gibt, ist Daphne erfüllt von dem Hass auf den jungen Mann.
Aber als sie ihn eines Tages kennenlernt, fühlt sie sich sofort zu ihm hingezogen. Mit aller Macht bringt sie ihr Herz zum Schweigen. Dennoch lässt sie sich von Gernot malen und sich die Sage von der schönen Elfenkönigin erzählen, die ein Herz aus Stein hat und nicht lieben kann. Vielleicht spürt Daphne schon in diesem Moment, als sie der Geschichte lauscht, dass sie Gernot liebt. Doch sie kann nicht über ihren Schatten springen und verfolgt in ihrem Hass unbeirrt ihre Rachepläne ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 135
Cover
Das Lied der Elfenkönigin
Vorschau
Impressum
Das Lied der Elfenkönigin
Meisterlich erzählter Roman um ein einsames Herz
Kurz vor seinem Tode gibt Komtess Daphne ihrem Vater das Versprechen, dass Gernot Graf von Borsody für das, was er ihrer Familie angetan hat, bezahlen wird. Ebenso wie ihr Vater, der Gernot die Schuld am Tode seiner Tochter Charlotte gibt, ist Daphne erfüllt von dem Hass auf den jungen Mann.
Aber als sie ihn eines Tages kennenlernt, fühlt sie sich sofort zu ihm hingezogen. Mit aller Macht bringt sie ihr Herz zum Schweigen. Dennoch lässt sie sich von Gernot malen und sich die Sage von der schönen Elfenkönigin erzählen, die ein Herz aus Stein hat und nicht lieben kann. Vielleicht spürt Daphne schon in diesem Moment, als sie der Geschichte lauscht, dass sie Gernot liebt. Doch sie kann nicht über ihren Schatten springen und verfolgt in ihrem Hass unbeirrt ihre Rachepläne ...
»Aber Herr Graf, der Arzt hat Ihnen doch ausdrücklich verboten, das Bett zu verlassen!«, sagte die junge Krankenschwester.
Komtess Effi löste sich aus den Armen des Vaters. Bestürzt sah sie erst jetzt seine Veränderung, die tiefen Falten, die Blässe und Müdigkeit seines Gesichtes.
»Wie geht es dir, Vater. Daphne sagte, du seiest plötzlich erkrankt?«
»Ja, es ist leider so, Effi, ich werde eben nicht jünger.«
Von der Krankenschwester fürsorglich gestützt, ging er mit seinen beiden Töchtern ins Schloss, während der Chauffeur den Wagen in die Garage brachte.
Etwas später saßen sie in dem großen Salon, auf dessen prunkvollem Mobiliar der gedämpfte, goldfarbene Schein der kristallenen Wandlampen lag. Ein riesiger venezianischer Spiegel über der Sitzgruppe vergrößerte den Raum und warf das strahlende Licht eines bronzenen Kerzenleuchters auf den Tisch zurück.
Die Krankenschwester hatte das Zimmer verlassen. Wieder einmal hatte ihr störrischer Patient seinen Willen durchgesetzt und, anstatt sich von ihr zu Bett bringen zu lassen, darauf bestanden, den Abend in Gesellschaft seiner Töchter zu verbringen. Er saß in einem Lehnstuhl. Das einzige Zugeständnis an seine Betreuerin war die leichte bunte Wolldecke, die er über seinen Knien duldete.
»Vater, du solltest dich wirklich etwas mehr schonen«, sagte Daphne vorwurfsvoll.
Sie und Effi hatten eben mit Appetit eine Platte belegter Brote verputzt. Nun tranken sie alle den Tee, den Frau Soldan, die Wirtschafterin, zubereitet hatte.
Graf von Schönau zuckte mit den Schultern und sah an Daphne vorbei.
»Machen wir uns doch nichts vor. Ich habe so oder so nicht mehr lange zu leben«, sagte er nüchtern.
»Vater!« Die blauen Augen des jungen Mädchens zeigten fassungslose Bestürzung. »Wie kannst du so etwas sagen. Das glaube ich einfach nicht, das kann nicht sein.«
»Meine arme, kleine Effi.« Der Graf lächelte wehmütig. »Du musst dich damit abfinden, dass ich ein alter Mann bin. Sicher wirst du bald jemanden finden, der dir mehr bedeutet als ich, und außerdem hast du ja auch Daphne.«
»Ach, Vater.« Effi setzte sich auf die Lehne seines Stuhls und nahm seine schmale, magere Hand in die ihre.
»Wie könnte mir jemals jemand mehr bedeuten als du?«
»Warte es nur ab.« Graf von Schönau warf Daphne einen lächelnden Blick zu.
Sie lächelte ebenfalls, doch ihr war eher zum Weinen zumute. Der Graf merkte es und wechselte das Thema.
»Wir wollen lieber von etwas Erfreulicherem reden. Hattet ihr eine gute Fahrt, Kinder, gibt es etwas zu erzählen?«
Ein Diener erschien und räumte die Teller ab. Daphne goss Tee nach und reichte eine Tasse ihrem Vater.
»Ja, wir haben etwas Merkwürdiges erlebt«, sagte sie und sah ihre Schwester an.
Effi nickte eifrig, ihr Kummer war vorübergehend vergessen.
»Stell dir vor, Ingram hat sich verfahren«, berichtete sie. »Eigentlich war es ja unsere Schuld, aber ich bin richtig froh darüber. Denn sonst hätten wir nie dieses seltsame Schloss gesehen.«
»Welches Schloss?« Graf von Schönau horchte auf.
»Den Namen wissen wir nicht«, entgegnete Effi bedauernd. »Nur, dass es grau und sehr groß ist, mit dicken Rundtürmen. Es schien leer zu stehen, abgesehen von einigen Geistern, die vermutlich darin spuken, und unter den Fenstern und über dem Portal sind seltsame Ornamente.«
»Steinerne Gesichter?« Der Graf war erblasst, und seine schlanken Hände krampften sich um die Armlehnen.
Daphne sah ihn verwundert an.
»Du kennst es?«
»Wie weit ist es von hier entfernt?«, fragte der Graf, statt die Frage zu beantworten.
»Etwa zwei Stunden«, antwortete Effi.
»Mit einem See?«
»Ja, er ist kreisrund, fast schwarz.«
»Und voller Seerosen?«
»Ja. Aber was hat es mit diesem Schloss auf sich, warum bist du so erschrocken, Vater?«
»Es ist das Schloss der Borsodys«, sagte er tonlos.
»Der Borsodys?« Daphne erschrak.
»Das wusste ich nicht, Vater, entschuldige, dass wir dich daran erinnert haben.«
Mit einem sonderbaren Blick sah der Graf Daphne an, während Effi verständnislos von einem zum anderen blickte.
»Gernot Graf von Borsody«, sagte er langsam. »Eines Tages wird er für das bezahlen, was er unserer Familie angetan hat, du hast es mir versprochen, Daphne.«
»Ja, Vater.«
»Vergiss nie, dass er dein Feind ist. Ich bin alt und krank, aber du bist jung, mutig und klug. Denk daran, wenn sich eure Wege eines Tages kreuzen werden, der einzige Wunsch, den ich noch habe, ist sein Untergang.«
»Ich werde daran denken, Vater. Er wird sich wünschen, mir nie begegnet zu sein.«
Es klang wie ein Gelöbnis. Der harte Ausdruck in Daphnes rauchgrauen Augen wurde sofort wieder liebevoll und weich.
»Du solltest jetzt schlafen gehen, Vater, du siehst müde aus«, sagte sie. »Soll ich die Schwester rufen?«
»Ja bitte, ruf sie, Daphne.«
♥♥♥
Als ihr Vater sich nach oben begeben hatte, sah Effi ihre Schwester erwartungsvoll an.
»Nun rede schon, Daphne, um was geht es eigentlich? Ich bin wieder einmal die Einzige, die nicht Bescheid weiß.«
»Du warst damals noch sehr jung, Effi.« Daphne sprach nicht gern über die Sache.
Doch Effi drängte und bat, bis ihre Schwester schließlich nachgab.
»Er war schuld an Charlottes Tod«, sagte sie zögernd und trank ihren Tee aus.
»An Charlottes Tod?« Effi sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. »Aber ich denke, es war ein Unfall?«
»Das wurde behauptet. Aber jedenfalls war er die Ursache dafür. Es war vor vier Jahren, du und ich, wir waren damals im Internat, und auch ich habe den wahren Sachverhalt erst viel später erfahren. Charlotte war eines Morgens tot in der Halle gefunden worden, allem Anschein nach war sie die Treppe hinuntergestürzt.«
»Ja, das weiß ich«, warf Effi ein.
»Gleichzeitig stellte Vater fest, dass aus seinem Schreibtisch eine große Geldsumme fehlte. Neben Charlottes ausgestreckter Hand lag ein goldenes Feuerzeug, das die Initialen des Grafen von Borsody trug. Da er für seinen leichtfertigen Lebenswandel bekannt war und zudem hohe Spielschulden hatte, gab es keinen Zweifel, wer der Schuldige war.«
»Die arme Charlotte! Hat der Graf denn gestanden?«
»Nein, er hat alles abgestritten. Er faselte etwas von seinem Vetter Jörg, von einer Wette, die sie angeblich abgeschlossen hätten und von einer Statuette ...«
»Meinst du etwa diese sagenhaften Statuette, die sich hier im Schloss befinden soll?«, fragte Effi neugierig.
»Ja, sie soll angeblich dem jeweiligen Besitzer unversiegbaren Reichtum, aber oft auch Unglück bringen. Ich glaube ja nicht an solche Märchen, aber Großvater scheint davon überzeugt gewesen zu sein. Nach dem einen oder anderen Missgeschick, das ihm zugestoßen ist, hat er die Statuette an einem geheimen Ort im Schloss versteckt, weil er nicht wollte, dass sie auf seine Nachkommen übergeht. Sie ganz zu vernichten, hat er offenbar nicht fertiggebracht, denn sie ist antik und von unschätzbarem Wert. Sie soll angeblich aus Gold und mit Edelsteinen besetzt sein und eine indische Gottheit darstellen.«
»Wie aufregend!«, rief Effi. »Und was hatte Graf von Borsody mit der Statuette zu tun?«
»Er redete sich darauf hinaus, dass sein Vetter Jörg aufgrund einer Wette versucht habe, das Versteck zu finden«, antwortete Daphne. »Er selbst sei nie im Schloss gewesen und habe auch nichts mit dem Tod Charlottes zu tun. Doch natürlich glaubte ihm niemand, da ja sein Feuerzeug neben Charlotte lag.«
»Und ist er verurteilt worden?«
»Nein, die Beweise reichten nicht aus. Er wurde freigesprochen, und das hat Vater nie verwunden. Immerhin hatte er die Genugtuung, dass Graf von Borsody von da an gesellschaftlich erledigt war. Niemand wollte mehr etwas mit ihm zu tun haben, und er lebt seitdem völlig zurückgezogen auf seinem Schloss Tannengrund. Dem Schloss, das wir heute durch einen merkwürdigen Zufall gesehen haben.«
»Weißt du, Daphne, ich glaube, dass ich schon einmal dort gewesen bin. Vielleicht, als ich noch ganz klein war, mir kam alles so seltsam bekannt vor.«
»Ja, das ist durchaus möglich. Früher, als Mutter noch lebte, hat unsere Familie mit den Borsodys verkehrt. Auch ich habe Gernot von Borsody einmal gesehen, aber ich erinnere mich nur sehr undeutlich daran. Ich muss damals sieben oder acht gewesen sein. Ich weiß nur noch, dass er hier am Flügel saß und irgendetwas spielte. Später erfuhren wir, dass er in einen üblen Skandal verwickelt war, und von da an wurde er auf Schloss Schönau nicht mehr empfangen.«
»Weißt du, wie alt er damals war?«
»Nein, nicht genau. Vielleicht so knapp Mitte zwanzig.«
»Was ist er von Beruf?«
»Er ist Künstler und entwirft Gebrauchsgegenstände für die Industrie. Er soll auch sehr gut malen, bei den Mellins hängen Bilder von ihm.«
»Das wird ja immer interessanter. Ich möchte ihn gern einmal kennenlernen.«
»Den Mann, der deine Schwester auf dem Gewissen hat?«
»Davon bin ich gar nicht so überzeugt, Daphne. Vielleicht hat er die Wahrheit gesagt.«
Daphnes ebenmäßiges Gesicht verschloss sich. Ein düsteres Feuer brannte in ihren Augen.
»Vater ist von seiner Schuld überzeugt«, sagte sie, »und wenn er es ist, bin ich es auch.«
»Aber Vater kann sich irren.« Effi sah ihre Schwester aufmerksam an. »Daphne, manchmal könnte man sich beinahe vor dir fürchten.«
»Tatsächlich?« Daphne blieb unbeeindruckt.
Sie stand auf und räumte das Teegeschirr zusammen. Dann läutete sie nach dem Diener.
Nachdem er das Tablett hinausgetragen hatte, entstand eine kurze Stille. Effi sah nachdenklich vor sich hin, hob dann plötzlich den blonden Kopf und blickte ihre Schwester an.
»Du, Daphne, weißt du, was ich wünsche?«, sagte sie ernst. »Ich wünsche, dass ihr beide euch nie begegnet.«
»Du kannst dich darauf verlassen, meine kleine Effi, dass wir uns begegnen werden«, erwiderte Daphne leicht spöttisch. »Und ich kann dir versichern, dass es nicht angenehm für ihn werden wird. Aber zerbrich dir nicht das hübsche Köpfchen, das ist eine Sache, die nur mich und Vater angeht. Du solltest dir besser allmählich Gedanken über den Beruf machen, den du ergreifen willst.«
Das Ablenkungsmanöver hatte Erfolg. Effis Gesicht hellte sich augenblicklich auf.
»Könnte ich nicht wie du Fotografin werden, Daphne?«, fragte sie eifrig. »Ich könnte doch als Assistentin zu dir in dein Atelier kommen. Und wenn du mir alles beigebracht hast, würde ich mich selbstständig machen. Was meinst du dazu?«
»Das ließe sich schon machen«, meinte Daphne, nachdem sie kurz nachgedacht hatte, »vorausgesetzt, du hast wirklich Talent. Komm doch morgen gleich mit, ich mache gerade einen Katalog für ein Modehaus. Du kannst mir bei der Arbeit zusehen und dich ein bisschen nützlich machen.«
»Oh Daphne, du bist wunderbar!« Effi fiel ihrer älteren Schwester um den Hals.
»Ich werde noch mal nach Vater sehen«, sagte Daphne und löste sich aus der Umarmung.
Sie war gerade aufgestanden, da ertönte ein leises Klopfen an der Tür. Ohne eine Aufforderung abzuwarten, trat die junge Krankenschwester ein und ging auf die beiden Komtessen zu. Sie war sehr blass und sah besorgt und bekümmert aus. In Daphnes Augen stand eine angstvolle Frage.
»Bitte kommen Sie«, sagte die Schwester leise. »Dem Grafen geht es nicht gut. Ich habe bereits den Arzt verständigt. Es kam ganz plötzlich, anscheinend ein Herzanfall.«
Daphne wurde bleich, und Effi stieß einen jammervollen Laut aus. Sie presste die Hand auf den Mund, und ihr junges Gesicht war erfüllt von Kummer. Wortlos folgten sie der Schwester die breite prunkvolle Treppe hinauf, und die verblichenen Porträts ihrer Vorfahren blickten von der Wand ernst und stumm auf sie herab.
♥♥♥
Ein Jahr später waren Daphne und Effi bei der Baronin von Mellin zu Gast. Deren elegantes Münchner Apartment befand sich nicht weit von Daphnes Atelier, und die Mädchen hatten eine Arbeitspause genutzt, um die alte Freundin ihrer Familie aufzusuchen.
Die Julihitze lastete schwer auf der Stadt. Auch in dem riesigen Salon war eine drückende Wärme, obwohl die geschlossenen hellgrünen Jalousien keinen Sonnenstrahl durchließen.
Das Hausmädchen servierte geeisten italienischen Wermut. Effi betrachtete ein großes Gemälde, das zwischen zwei Barockengeln hing und lauschte mit halbem Ohr der tiefen Stimme der Baronin, die von ihrem Aufenthalt in Monte Carlo erzählte.
Daphne war mit ihren Gedanken ganz woanders. Der Tod ihres Vaters hatte sie furchtbar mitgenommen. In der ersten Zeit war sie kaum zur Besinnung gekommen. All die Dinge, die anstanden – die Verständigung der Verwandten, die Beisetzung und die Unterredungen mit dem Vermögensverwalter – hatten sie abgelenkt.
Effi, die zunächst völlig fassungslos gewesen war, hatte dann merkwürdigerweise rascher wieder zu sich gefunden. Daphne spürte die schmerzliche Leere, die der Verlust ihres Vaters in ihrem Leben hinterlassen hatte, noch immer sehr.
Sie hatte niemanden mehr, der ihr wirklich nahestand – niemanden außer der kleinen Effi, die dasselbe zu empfinden schien. Ihre Beziehung zueinander war nie inniger gewesen, und Daphne entwickelte fast mütterliche Gefühle, die sich manchmal in übertriebener Fürsorge äußerten.
Als das Mädchen jetzt einen Besucher meldete, fuhr sie aus ihren Gedanken auf. Der Name Borsody hatte sie erschreckt, doch die Baronin legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm.
»Es ist Jörg«, sagte sie lächelnd. »Bitte seid nett zu ihm. Ihr wisst doch, dass er der Sohn meiner besten Freundin ist? Die Geschichte damals war sehr unangenehm für ihn, und ihr solltet besser nichts davon erwähnen. Er hasst seinen Vetter wie den Leibhaftigen, seit der ihn in die Sache hineinziehen wollte.«
»Das kann ich verstehen.« Gespannt blickte Daphne zur Tür.
Auch Effi hörte auf, das Bild zu betrachten, und drehte sich zu dem Eintretenden um. Lächelnd ging Jörg von Borsody auf die Baronin zu.
»Ich bin geschäftlich unterwegs und wollte nur rasch Guten Tag sagen. Wie geht es dir, Lisa, und wer sind deine reizenden Besucherinnen?«
Die Baronin stellte sie einander vor. Jörg nahm Platz und lächelte Effi freundlich an, doch sein Interesse galt offensichtlich Daphne. Während er sich wortreich über die Hitze beklagte, musterte sie ihn neugierig.
Er war Ende zwanzig, schlank, fast mager und sehr braun gebrannt. Sein voller Mund wirkte etwas weichlich, doch die breite eckige Stirn verriet Klugheit und Energie. Er hatte braunes Haar und große, beinahe schwarze Augen, deren unergründlicher Ausdruck Daphne seltsam anzog.
»Wie geht es deiner Mutter, Jörg?«, erkundigte sich die Baronin. »Ich habe sie lange nicht gesehen. Was macht ihre Kakteenzucht?«
»Mama bringt ganze Tage im Treibhaus zu«, erzählte Jörg seufzend. »Auch ich sehe sie mitunter nur noch zu den Mahlzeiten, so sehr nimmt ihr neues Hobby sie in Anspruch. Früher, als sie noch die Rennplätze besuchte, hatten wir wenigstens etwas gemeinsam ...«
Er unterbrach sich und nahm dankend das Glas Wermut entgegen, das die Baronin ihm reichte.
»Zurzeit dreht sich alles um ihr Lieblingskind, die Königin der Nacht«, fuhr er, an Daphne gewandt, fort. »Sie wissen, dass diese Kaktee nur alle acht Jahre blüht und auch dann nur eine einzige Nacht?«
»Es ist mir bekannt«, entgegnete Daphne.
Jörg hatte eine nette Art zu erzählen, während er sie mit seinen schönen Augen bewundernd ansah.
»Nun, das große Ereignis soll also demnächst stattfinden«, plauderte Jörg weiter. »Aus diesem Anlass gibt Mama am kommenden Freitag in unserem Haus ein Maskenfest, das natürlich unter dem Motto ›Königin der Nacht‹ steht. Den Höhepunkt soll die Polonaise zum Gewächshaus bilden, wo sie ihren Zögling den bewundernden Blicken ihrer Gäste präsentieren wird. Ich finde den Einfall reichlich exzentrisch, aber so ist Mama nun mal. Du wirst doch kommen, Lisa?«
Er wandte sich an die Komtessen.
»Sie beide sind selbstverständlich ebenfalls herzlich eingeladen. Mama wird sich sicher freuen, Sie kennenzulernen.«
Er sagte es zu ihnen beiden und meinte doch nur Daphne. Sie spürte es, und auch seine leichte Befangenheit entging ihr nicht. Unvermittelt stand er auf und tat, als interessiere er sich für die Gemälde, die an der Wand hingen.
»Ja, wir kommen gern«, sagte Daphne freundlich.
Jörg von Borsody antwortete nicht. Er stand mit dem Rücken zu ihnen, und erstaunt sah sie, wie sein schmaler Körper sich plötzlich spannte. Er war so in den Anblick des Bildes vor ihm versunken, dass er die Frage der Baronin überhörte.