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Angela Harms liebt ihr ganz normales Leben in der Familie Wüllner, bei denen sie nach dem frühen Tod ihrer leiblichen Mutter aufwuchs. Und sie liebt ihre ganz normale Arbeit in einem Modesalon. Doch dann macht ein Justizrat dem jungen Mädchen eine unglaubliche Eröffnung: Angelas leiblicher Vater ist nicht tot, sondern der Baron von Heydthausen auf Schloss Heydthausen. Der alte Herr möchte wiedergutmachen, was er an Mutter und Tochter einst durch widrige Umstände versäumt hat. Und so taucht Angela, zunächst widerwillig, in die Welt des Adels ein, die so gar nicht die ihre ist. Wie wohltuend ist da die zufällige Bekanntschaft mit Förster Bernd - einem ganz normalen jungen Mann, bei dem Angelas Herz unbewusst höherschlägt. Doch Bernd ist nicht der, der er zu sein vorgibt ...
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Seitenzahl: 147
Cover
Das Glück im kleinen Waldhaus
Vorschau
Impressum
Das Glück im kleinen Waldhaus
Zwei einsame Herzen und eine folgenschwere Begegnung
Von Maria Treuberg
Angela Harms liebt ihr ganz normales Leben in der Familie Wüllner, bei der sie nach dem frühen Tod ihrer leiblichen Mutter aufwuchs. Und sie liebt ihre ganz normale Arbeit in einem Modesalon. Doch dann macht ein Justizrat dem jungen Mädchen eine unglaubliche Eröffnung: Angelas leiblicher Vater ist nicht tot, sondern der Baron von Heydthausen auf Schloss Heydthausen. Der alte Herr möchte wiedergutmachen, was er an Mutter und Tochter einst durch widrige Umstände versäumt hat. Und so taucht Angela, zunächst widerwillig, in die Welt des Adels ein, die so gar nicht die ihre ist. Wie wohltuend ist da die zufällige Bekanntschaft mit Förster Bernd – einem ganz normalen jungen Mann, bei dem Angelas Herz unbewusst höherschlägt. Doch Bernd ist nicht der, der er zu sein vorgibt ...
»Das Kostüm dort rechts würde Ihnen ausgezeichnet zu Gesicht stehen«, sagte eine Männerstimme hinter Angela Harms.
Angela wandte sich nicht um. Sie wurde oft angesprochen. Aber sie legte keinen Wert auf Straßenbekanntschaften.
»Wirklich sehr reizend«, fuhr die Stimme fort. »Nicht nur das Kostüm, auch das Spiegelbild der Dame vor dem Schaufenster.«
Angela Harms wartete auf ihren Bus. Das Schaufenster, vor dem sie stand, gehörte zu dem Modesalon, in dem sie arbeitete.
Die Männerstimme ließ nicht locker: »Finden Sie das Kostüm nicht auch bezaubernd, gnädiges Fräulein?«
In Angela stieg Zorn hoch. Wie hartnäckig manche Männer sein konnten! Sie wusste, wie der junge Mann hinter ihr aussah. In der spiegelnden Schaufensterscheibe konnte sie ihn deutlich sehen. Er gefiel ihr sogar nicht übel. Aber sie ließ sich nicht auf der Straße ansprechen. Das ging gegen ihre Prinzipien.
Der junge Mann blieb unbekümmert: »Wenn ich eine Bombe in der Tasche hätte, würde ich sie jetzt fallen lassen. Nur um Sie retten und so Ihre Bekanntschaft machen zu können, gnädiges Fräulein.«
Angela sah die Straße hinunter. Da kam ihr Bus! In einer Minute würde sie einsteigen. Sie wandte dem jungen Mann jetzt das Gesicht zu und musterte ihn hochmütig.
»Es gibt Damen, die keinen Wert auf Straßenbekanntschaften legen!«
Der junge Mann war einfach nicht abzuwimmeln.
»Wie wäre es mit dem Café dort drüben?«, fragte er lächelnd. »Dann sind wir nicht mehr auf der Straße.«
Der Bus fuhr an den Straßenrand und hielt. Hoheitsvoll stieg Angela ein. Im Vorbeigehen zeigte sie dem Fahrer ihre Wochenkarte, dann ging sie den Mittelgang entlang. Mit einem verstohlenen Blick stellte sie fest, dass der junge Mann ebenfalls in den Bus gestiegen war. Eine solche Frechheit war ihr noch nie vorgekommen!
Die Tür für den Ausstieg stand offen. Angela lächelte. Der aufdringliche Kerl sollte sich wundern! Er war der letzte Fahrgast. Angela stellte sich dicht neben den Ausstieg.
Nun wandte sich der junge Mann ins Wageninnere. Seine Blicke suchten Angela. Er sah nur noch ihren Rücken – sie stieg nämlich wieder aus, kurz bevor sich die Türen schlossen und der Bus abfuhr.
Angela lachte vergnügt, als sie das enttäuschte Gesicht des jungen Mannes sah. Gleich darauf tat er ihr leid. Er sah wirklich sehr nett aus. Sie würde ihn bei näherer Bekanntschaft wahrscheinlich gut leiden können.
Ein Auto kam die Straße entlang. Der Fahrer kurvte an den Randstein, hielt und öffnete die Tür.
»Hallo, steigen Sie ein!«
Angela trat zurück. Schon wieder jemand, der ihre Bekanntschaft machen wollte? Da erkannte sie den Fahrer: Es war Herr Krause aus dem Nachbarhaus.
Lächelnd beugte er sich zum Fenster hinaus und meinte: »Der Bus fuhr Ihnen wohl davon? Steigen Sie ein! Mit mir kommen Sie sogar ein paar Minuten früher nach Hause.«
Angela dankte und freute sich: »Wie gut, dass Sie vorbeikamen.«
Sie setzte sich neben Herrn Krause. Er war ein ungemein gütiger Mann. Angela konnte seine nette lebhafte Frau und seine drei noch lebhafteren Buben gut leiden.
Während der Fahrt plauderten sie heiter, und schon bald bog Herr Krause in die stille Vorortstraße ein, in der Familie Wüllner – also Angela mit ihrer Ziehmutter und deren Töchtern – und er wohnten. Angela stieg aus und bedankte sich noch einmal.
Während sie durch den Vorgarten auf die Tür des kleinen Einfamilienhauses zuging, fischte sie ihren Schlüssel aus der Handtasche, schloss auf und rief: »Bombenhunger, Mutti! Sind die anderen schon da?«
»Wir warten nur noch auf dich«, kam es aus der Küche zurück. »Geh schon ins Wohnzimmer. In fünf Minuten ist es so weit.«
Friede und Hanna hatten den Tisch bereits gedeckt.
»Guten Tag, ihr Schönen!«, grüßte Angela fröhlich.
Sie war ein wenig größer als ihre Schwestern, auch wesentlich schlanker. Das kam daher, weil Friede und Hanna gar nicht ihre richtigen Schwestern waren.
Bald darauf erschien Frau Wüllner mit einem Riesenberg wundervoll duftender Eierkuchen.
Angela sprang auf und bat: »Setz dich, Mutter! Für heute hast du genug getan. Alles Übrige ist unsere Sache.«
Sie nahm ihrer Mutter den Teller ab und setzte ihn auf den Tisch. Dann bediente sie Frau Wüllner und ihre Schwestern. Beim Schmausen vergaßen sie die Unterhaltung nicht. Vier Frauen bei Tisch, da gab es viel zu erzählen.
»Vielleicht gehst du nach dem Abendessen rasch einmal in den Garten hinaus, Angela?«, schlug Frau Wüllner vor. »Sieh nach, ob wir einen ansehnlichen Blumenstrauß für das Grab deiner Mutter zusammenbekommen. Morgen ist ihr Geburtstag.«
Angelas Augen blickten für einige Sekunden ernst. Ihre leibliche Mutter war schon seit achtzehn Jahren tot. Sie konnte sich nicht an sie erinnern.
»Mutter Harms muss noch sehr jung gewesen sein, als sie starb«, sagte sie nachdenklich.
»Fünfundzwanzig«, belehrte sie Frau Wüllner. »Vier Jahre älter, als du jetzt bist. Die Krankheit war sehr tückisch und ließ ihr nicht viel Zeit.«
»Wenn du mir nicht immer wieder von ihr erzählt hättest, wüsste ich gar nicht, dass ich eine andere Mutter als Friede und Hanna habe.«
»Mein Mann riet mir, dir nichts zu sagen«, entgegnete Frau Wüllner leise. »Der Gute ist jetzt auch schon seit vier Jahren tot. Aber ich war anderer Meinung als er. Früher oder später würdest du dich darüber gewundert haben, dass dein Familienname anders lautet als der deiner Schwestern.«
Angela sah nachdenklich vor sich hin.
Dann sagte sie: »Wir gehen sehr oft zum Grab von Mutter Harms.«
»Martha war meine beste Freundin«, erwiderte Frau Wüllner einfach.
»Wir haben aber Vater Harms' Grab noch nie besucht«, fuhr Angela fort.
Frau Wüllner wurde verlegen.
Dann erwiderte sie lahm: »Dein Vater starb weit von hier. Wir hatten nie genügend Geld für eine Reise zu seinem Grab.«
Angela gab sich mit Frau Wüllners Erklärung zufrieden. Das Gespräch wandte sich nun einem anderen Thema zu.
Nach Tisch trat Angela durch den Hinterausgang in den Garten. Der war nicht groß, wurde aber mit viel Liebe gepflegt. Sie ging von Beet zu Beet. Ihre Mutter würde morgen einen wundervollen Strauß aufs Grab bekommen.
***
Am anderen Morgen hatte Angela, die eine geschickte Verkäuferin war, im Modesalon viel Kundschaft zu bedienen. Plötzlich weiteten sich ihre Augen. Die Tür des Salons wurde wieder einmal geöffnet. Ein junger Mann hielt sie auf. Er befand sich in Begleitung einer älteren Dame, der er höflich den Vortritt ließ.
Das war doch die Höhe! Der junge Mann, dem sie gestern mit Mühe entgangen war! Und die ältere Dame? Seine Mutter?
Angela musterte ihn verstohlen. Er sah wirklich gut aus. Trotzdem zürnte sie ihm wegen seiner Hartnäckigkeit. Nun, sie war beschäftigt und brauchte ihn nicht nach seinen Wünschen zu fragen.
Eifrig sprach sie auf die Dame ein, die sie bediente. Doch schnurstracks trat der junge Mann auf sie zu, während Angela tat, als sähe sie ihn nicht.
»Verzeihung, mein Fräulein!« Er lächelte gewinnend.
Sein Lächeln gefiel ihr, und das ärgerte sie insgeheim.
»Es tut mir leid, mein Herr. Ich bediene gerade, wie Sie sehen. Eine meiner Kolleginnen steht sofort zu Ihrer Verfügung.« Damit wandte sie ihm den Rücken zu. »Grete!«, rief sie halblaut durch die Tür, die den Verkaufsraum vom Atelier trennte. »Kundschaft!«
»Komme sofort!«
Angela sah die Enttäuschung in den Augen des jungen Mannes. Sonderbarerweise freute sie sich darüber. Intensiv beschäftigte sie sich mit der Kundin, die sie bediente, trotzdem versuchte er es ein letztes Mal.
»Nur eine Frage, mein Fräulein ...«
Sie lächelte ihn an. In ihren Augen stand unleugbares Vergnügen.
»Bedaure, aber meine Kollegin kommt sofort. Bitte, gedulden Sie sich zwei Minuten.«
Der junge Mann zuckte resigniert die Schultern. Grete erschien und erkundigte sich geflissentlich nach seinen Wünschen. Gleichzeitig betrat auch Frau Dahmen, die Besitzerin des Salons, den Raum.
Sie flüsterte Angela zu: »Eben kam ein Anruf für Sie. Von Ihrer Mutter.«
Angela wurde blass. »Mutter? Die ruft doch sonst nie an. Was mag da nur passiert sein?«
Frau Dahmen zuckte die Achseln.
»Keine Ahnung, Kind. Ich weiß nur, dass es dringend ist. Sie sollen sofort nach Hause kommen.«
Angela erschrak. »Es wird Mutter doch nichts geschehen sein?«
»Ihrer Mutter bestimmt nicht. Sie rief ja selbst an. Ein bisschen aufgeregt war sie aber schon. Fahren Sie nach Hause«, bestimmte die Chefin. »Ihre Kundschaft übernehme ich.«
Etwas benommen schlüpfte Angela rasch in ihren Mantel, dann eilte sie zur Bushaltestelle. Den bedauernden Blick, den der junge Mann ihr nachsandte, sah sie nicht.
Die letzten hundert Meter zu ihrem Elternhaus legte sie fast im Laufschritt zurück. Ihre Hand bebte, als sie die Haustür aufschloss und hastig die Diele betrat.
Vom Wohnzimmer her hörte sie Mutters Stimme: »Bist du's, Angela? Du hast dich sehr beeilt.«
Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Mutter war also nichts passiert.
»Was ist denn geschehen, ...«, rief sie zurück, »... dass ich Hals über Kopf aus dem Geschäft geholt werden muss?«
»Es handelt sich um etwas sehr Wichtiges, Kind. Komm bitte herein.«
Nur mit Mühe bezwang Angela ihre Neugierde. Sie wagte einen raschen Blick in den Spiegel und fuhr mit dem Kamm durch ihr Haar, ehe sie ins Wohnzimmer trat.
Ein älterer Herr erhob sich bei ihrem Eintritt von seinem Stuhl. Auf seiner Nase saß eine große Hornbrille. Neben ihm auf dem Fußboden stand eine Aktentasche.
»Justizrat Dr. Horbert«, stellte die Mutter ihn vor. »Er will dich sprechen, Angela. Es handelt sich um etwas von sehr großer Wichtigkeit.«
Angela musterte den Besucher. Ihr war, als ginge eine unbekannte Gefahr von ihm aus.
»Dies ist meine Pflegetochter Angela Harms«, sagte Frau Wüllner überflüssigerweise.
Der Justizrat verbeugte sich. Ein beifälliges Lächeln legte sich um seinen Mund.
»Ich komme im Auftrag des Barons Heydthausen«, begann der Besucher. »Es ist mir eine große Freude ...«
»So geht das nicht«, unterbrach ihn Frau Wüllner. »Das Kind hat doch nicht die geringste Ahnung.«
»Dann werde ich Baroness Heydthausen mit der Situation bekannt machen«, erklärte der Justizrat feierlich.
Angela erschrak. Hatten sie einen Irren zu Besuch?
»Das tue ich«, bestimmte Frau Wüllner. »Weil ich es besser kann als Sie, Herr Justizrat.« Sie wandte sich an Angela. »Setz dich, Kind. Und erschrick nicht zu sehr.«
Angela war völlig verwirrt. Gehorsam nahm sie Platz.
»Wir sprachen gestern über deine liebe Mutter«, begann Frau Wüllner vorsichtig.
»Sie hat heute Geburtstag, und wir besuchen gegen Abend ihr Grab«, erinnerte Angela.
»Du fragtest auch nach deines Vaters Grab«, fuhr Frau Wüllner tapfer fort. »Ich ... ich habe dich gestern belogen ...«
Angela sah ihrer Mutter an, wie schwer es ihr fiel, zu sprechen. Beklommen schwieg sie.
»Dein Vater lebt noch«, fuhr Frau Wüllner entschlossen fort. »Franz Baron von Heydthausen auf Schloss Heydthausen ist dein Vater. Es liegt einige Hundert Kilometer von hier entfernt. Natürlich hörtest du noch nie von ihm.«
Angela starrte die Mutter an, als habe sie den Verstand verloren.
Dann fragte sie: »Meine Mutter hieß Harms, so viel ich weiß?«
»Harms war Marthas Mädchenname. Sie heiratete den Baron von Heydthausen – gegen den Willen seiner Eltern. Er war ein schwacher, leicht beeinflussbarer Mensch. Kein Mann von Charakter. Leider.«
Der Justizrat hüstelte und stotterte verlegen: »Ich ... ich muss doch bitten.«
Frau Wüllner lächelte matt.
»Ich kannte den Baron. Lange Jahre und wahrscheinlich etwas besser als Sie, Herr Justizrat.« Sie wandte sich wieder Angela zu. »Es gelang den Eltern des Barons nicht, die Heirat ihres Sohnes mit meiner Freundin zu verhindern. Aber gleich nach der Hochzeit begannen sie, zu intrigieren. Es dauerte kein Jahr, und sie hatten es fertiggebracht, den Baron von deiner Mutter zu trennen. Er war nun einmal sehr willensschwach. Auch, wenn der Herr Justizrat es nicht wahrhaben will.« Sie blickte den Besucher triumphierend an. »Deine Mutter sah ein, dass ihre Ehe ein Irrtum war. Also willigte sie in die Scheidung ein und ging sogar so weit, danach wieder ihren Mädchennamen anzunehmen. Kurze Zeit nach der Scheidung heiratete Heydthausen als gehorsamer Sohn die Frau, die ihm seine Eltern von Anfang an bestimmt hatten.«
Diese Enthüllungen kamen Angela so überraschend, dass sie nichts zu sagen wusste.
»Leider hatte deine Mutter nicht viel von der wiedergewonnenen Freiheit«, fuhr Frau Wüllner fort. »Du warst gerade drei Jahre alt, als sie krank wurde. Es ging schnell mit ihr zu Ende. An ihrem Sterbebett versprach ich, für dich zu sorgen. Baron Heydthausen jedoch fand keine Zeit, die Kranke zu besuchen oder sich um sein Töchterlein zu kümmern.«
Lange herrschte Schweigen.
Schließlich fragte Angela beklommen: »Und jetzt?«
»Weiterzureden, ist Sache des Justizrates«, entgegnete Frau Wüllner bitter.
Der Besucher räusperte sich und erklärte: »Baron Heydthausen sieht ein, dass er etwas an seinem Kind gutzumachen hat. Deshalb beauftragte er mich, nach seiner Tochter zu forschen. Nun bin ich hier.« Seine Stimme wurde jetzt direkt feierlich. »Baron Heydthausen wünscht, dass Sie den Namen annehmen, der Ihnen gebührt, und auf seinem Schloss leben, Baroness. Als seine Erbin.«
Angela starrte ihn sprachlos an.
Unbeirrt fuhr der Justizrat fort: »Baron Heydthausens zweite Frau starb vor drei Jahren, die Eltern des Barons sind schon lange tot. Kinder aus der zweiten Ehe des Herrn Baron sind nicht vorhanden. Sie sind tatsächlich einzige legitime Erbin, Baroness.«
In Angela stieg Trotz hoch.
»Ich bin keine Baroness. Ich heiße Angela Harms.«
»Sie hießen bis heute so, Baroness. Das wird nun selbstverständlich anders.«
In Angelas Augen blitzte es auf.
»Wer sagt Ihnen das? Baron Heydthausen, mein Vater? Ich kenne keinen Baron Heydthausen. Mein Vater hieß Ferdinand Wüllner. Richten Sie das dem Herrn Baron aus.«
»Kind!«, unterbrach Frau Wüllner aufgeregt. »Du solltest nicht von einer Minute zur anderen ...«
Angela schüttelte den Kopf.
»Ich weiß, was ich tue. Ein Vater, der sich einundzwanzig Jahre nicht um sein Kind kümmert, verdient diesen Namen nicht.« Sie wandte sich an den Justizrat. »Haben Sie mir sonst noch etwas mitzuteilen?«
»Baron Heydthausen bittet Sie, möglichst bald nach Heydthausen zu kommen.«
»Richten Sie dem Herrn Baron aus, dass ich mich da, wo ich mich jetzt befinde, sehr wohlfühle. Ich werde meinen Wohnort nicht wechseln.«
Ratlos blickte der Besucher sie an und erhob sich unschlüssig.
»Ich verstehe, dass Ihnen die Veränderung Ihrer Lebensumstände sehr überraschend kommt, Baroness. Vielleicht überlegen Sie sich das einmal alles in Ruhe? Besprechen Sie sich mit Ihrer Frau ... hm ... Mutter. Ich komme in einer Woche wieder.«
Angela blieb hart: »Es gibt nichts zu überlegen. Damit dürfte unsere Unterhaltung beendet sein, Herr Justizrat.«
Der Besucher seufzte.
»Ich werde Baron Heydthausen über den Ausgang meiner Mission berichten. Er mag dann entscheiden ...«
Angela schüttelte erneut den Kopf und entgegnete deutlich: »Nicht der Herr Baron entscheidet, das tue ich! Leben Sie wohl, Herr Justizrat!«
Frau Wüllner begleitete den Besucher zur Tür.
Als sie wieder zu Angela ins Zimmer trat, fragte sie sorgenvoll: »Und jetzt?«
Angela lachte unbeschwert und stellte klar: »Nichts, Mutter! Ich kehre ins Geschäft zurück und bin am Abend rechtzeitig zu Haus, um mit dir, Friede und Hanna auf den Friedhof zu gehen.«
»Du solltest überlegen, Kind ...«
»Da gibt es nichts zu überlegen, Mutter! Dich und meine Schwestern liebe ich. Der Baron ist mir fremd.«
Frau Wüllner sah der Pflegetochter mit einem Gefühl von Stolz nach, als sie das Haus verließ.
***
»Du bist wieder einmal die Letzte – wie immer!«, rügte Friede, als Angela am Abend nach Hause kam.
»Entschuldigt mich«, bat Angela zerknirscht. »Eine Kundin, die sich nicht entscheiden konnte. Ich stand wie auf glühenden Kohlen. Aber es nützte nichts.«
Hanna steckte den Kopf aus dem gemeinschaftlichen Schlafzimmer.
»Nur keine unvornehme Hast, meine Damen! Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit.«
»Die Straßenbahn zum Friedhof geht in fünfzehn Minuten«, erinnerte Friede sie.
Hanna lachte. »Wir sind heute vornehm. Jochen Steiner fährt uns mit seinem Wagen.«
»Du hast wohl einen Beförderungsvertrag mit Jochen geschlossen?«, fragte Angela lächelnd. »Sein Auto steht dir in letzter Zeit sehr oft zur Verfügung.«
»Er selbst natürlich auch«, ergänzte Friede spöttisch.
Hanna trat aus dem Schlafzimmer. Kampflustig stellte sie sich neben der Tür auf.
»Hat jemand von euch etwas gegen Jochens Auto einzuwenden? Der darf gerne zu Fuß gehen.«
Friede lachte. »Nichts gegen Jochens Auto – auch nichts gegen Jochen. Er ist ein prima Kerl.«
Hanna wandte sich hastig ab, weil sie blutrot geworden war und es die anderen nicht sehen lassen wollte. Aber die Wüllnertöchter hatten gute Augen. Frau Wüllner auch. Interessiert musterte sie ihre Jüngste.
Der wurde unter den Blicken der Familie sehr ungemütlich. Am liebsten wäre sie ins Schlafzimmer zurückgeeilt und hätte sich versteckt. Das ging natürlich nicht.
»Jochen Steiner ist wirklich ein netter Kerl«, versuchte Mutter Wüllner, die Wogen etwas zu glätten. »Arbeitsam und fleißig. Der kümmert sich schon um seine Familie, wenn es einmal so weit ist.«
Diese Bemerkung ließ Hanna von Neuem erröten.
»Hört doch bitte auf!«, flehte sie ihre Mutter an.
Friede aber stellte vergnügt fest: »Schließlich müssen wir es doch rechtzeitig vorher wissen. Wir müssen dafür sparen. Als deine Schwestern wollen wir uns mit dem Hochzeitsgeschenk nicht lumpen lassen.«
Draußen hupte es.
»Da ist er!«, rief Angela erschrocken. »Und wir sind noch nicht fertig!«
Sie stoben auseinander.
Im Schlafzimmer beklagte sich Hanna: »Ihr bringt mich ganz durcheinander. Ich werde rot, wenn ich ihm gleich entgegentrete. Er soll doch nicht merken, wie es um mich steht.«
Angela tröstete sie: »Nicht schlimm, Schwesterchen! Wahrscheinlich hat er es längst gemerkt.«