Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 749 - Renate Busch - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 749 E-Book

Renate Busch

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Beschreibung

Prinzessin Alexandra macht einen Staatsbesuch in Paris und logiert mit ihrem Gefolge in einem hübschen kleinen Schlösschen vor den Toren der Stadt. Nachdem sie die ersten offiziellen Termine endlich hinter sich gebracht hat, steht sie in ihren Gemächern am offenen Fenster und schaut voller Sehnsucht auf die Dächer von Paris, während die laue Frühlingsluft sie umweht. Einmal nur ausbrechen aus den Zwängen, der sie als Prinzessin unaufhörlich ausgesetzt ist, dem strengen Protokoll entkommen und unbeschwert die französische Metropole erkunden. Davon träumt Alexandra schon seit Jahren. Und nun zögert sie nicht länger, klettert das Holzspalier neben ihrem Fenster hinunter und durchquert den Park. Dann taucht sie inkognito ein in die Stadt der Liebe und erlebt das größte Abenteuer ihres Lebens ...

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Seitenzahl: 134

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Inkognito in Paris

Vorschau

Impressum

Inkognito in Paris

Prinzessin Alexandras Flucht aus dem goldenen Käfig

Prinzessin Alexandra macht einen Staatsbesuch in Paris und logiert mit ihrem Gefolge in einem hübschen kleinen Schlösschen vor den Toren der Stadt. Nachdem sie die ersten offiziellen Termine endlich hinter sich gebracht hat, steht sie in ihren Gemächern am offenen Fenster und schaut voller Sehnsucht auf die Dächer von Paris, während die laue Frühlingsluft sie umweht. Einmal nur ausbrechen aus den Zwängen, denen sie als Prinzessin unaufhörlich ausgesetzt ist, dem strengen Protokoll entkommen und unbeschwert die französische Metropole erkunden. Davon träumt Alexandra schon seit Jahren. Und nun zögert sie nicht länger, klettert das Holzspalier neben ihrem Fenster hinunter und durchquert den Park. Dann taucht sie inkognito ein in die Stadt der Liebe und erlebt das Abenteuer ihres Lebens ...

»Durchlaucht, ich muss Sie herzlich bitten stillzustehen«, beschwor Gräfin von Wahlen die schlanke, kapriziöse Prinzessin Alexandra.

Die Prinzessin unterdrückte einen Seufzer und bemühte sich, dem Wunsch der Gräfin zu entsprechen. Aber es fiel ihr sehr schwer. Jetzt probierte sie schon eine Stunde lang Garderobe an, die für die bevorstehende Reise angefertigt wurde.

Zum Kuckuck mit dieser elenden Reise, den damit verbundenen Anstrengungen und Strapazen!, dachte sie.

An ihr fingerten gleich zwei berufene Kräfte herum, steckten hier etwas ab, zogen dort etwas zurecht, rafften Stoffe, drapierten sie. Und sie musste wie eine Statue dastehen und sollte möglichst noch huldvoll lächeln.

»Ich kann nicht mehr«, klagte Alexandra schließlich verzweifelt und gähnte ausgiebig. Die Gräfin bedachte Alexandra mit einem strafenden Blick.

»Dann setzen Sie sich einen Augenblick«, gestattete sie ihr dennoch.

Den Schneiderinnen erlaubte sie gönnerhaft, sich für eine Weile zurückzuziehen.

»Ich muss Sie schon bitten, ein wenig mehr Disziplin zu wahren«, rügte die Gräfin die Prinzessin prompt, als sie mit Alexandra allein war.

So ganz unrecht hatte die gute Gräfin nicht, gab Alexandra im Stillen zu. Ihre jüngere Schwester Sybille hätte bestimmt keinen Mucks von sich gegeben. Ihr jedoch kam die Näherei schrecklich sinnlos vor. Sie besaß Kleiderschränke voller Garderobe. Wozu brauchte sie wieder neue?

Alexandra streckte ihre langen, schön geformten Beine und entspannte sich.

»Mir würde jetzt eine Tasse Kaffee guttun, Gräfin«, sagte sie.

Die alte Hofdame schüttelte unwillig den Kopf.

»Sie trinken zu oft viel zu starken Kaffee.«

»Das ist meine einzige Leidenschaft. Gönnen Sie mir doch dieses kleine Vergnügen«, sagte Alexandra und blinzelte ihr zu.

Gräfin von Wahlen regierte nicht darauf. Sie klingelte und bestellte den Kaffee, dann sah sie auffällig zur Uhr.

»Ja, ich weiß, es kann ja auch gleich weitergehen«, sagte die Prinzessin unwillig. Wenn sie doch einmal nicht nach einem Zeitplan leben müsste! In einer Stunde musste sie als Kronprinzessin dabei sein, wenn ihre Eltern irgendeinen ausländischen Diplomaten empfingen. Er würde die übliche Konversation machen, Fragen stellen, und sie würde höflich antworten. Es war immer das Gleiche.

Alexandra trank mit wahrem Genuss die Tasse Kaffee, die man ihr brachte. Danach fühlte sie sich frischer, und es ging weiter.

Die Prinzessin hätte sich gewünscht, nicht immer von der ältlichen Gräfin wie ein Hund bewacht zu werden. Wenn es doch unternehmungslustige junge Hofdamen gäbe, die als Erzieherinnen fungierten! Aber dieser schöne Traum würde natürlich nie in Erfüllung gehen.

Alexandra musste noch zwanzig Minuten steif dastehen, dann war sie erlöst.

»Bitte, Durchlaucht, die Zeit drängt«, trieb die gute Gräfin sie dann schon wieder zur Eile an.

In ihren Gemächern wurde Alexandra von zwei dienstbaren Geistern umgezogen und frisiert.

Dann wurde es Zeit, zu ihren Eltern zu gehen. Die Gräfin warf vorher noch einen langen, prüfenden Blick auf ihren Schützling. Sie nickte unmerklich und war mit ihrem Werk zufrieden.

Alexandra war eine aparte Schönheit. Um ihren Kopf schmiegte sich üppiges, seidenweiches Blondhaar, das den Hoffriseur immer wieder entzückte. Sie hatte ein schmales, ausdrucksvolles Gesicht, das von großen tiefblauen Augen beherrscht wurde.

Beim Lachen zeigten sich Grübchen in ihren Wangen. Ihre Lippen waren voll und teilten sich oft und gern zu einem Lachen. Auffallend waren die langen dunklen Wimpern und die schön geschwungenen, ebenfalls dunklen Brauen.

Auch ihre jüngere Schwester Sybille war sehr hübsch, von einer dunklen, etwas schwermütigen, ernsten Schönheit. Bei Alexandra war man jeden Moment darauf gefasst, dass sie zu lachen begann. Sybille dagegen verzog nur die Lippen zu einem Lächeln.

Auf dem Weg zu den Eltern begegnete Alexandra ihrer Schwester.

»Sybille«, sagte die Kronprinzessin erfreut. Die Schwestern waren sich in inniger Liebe zugetan, obwohl sie beide in Temperament und Charakter so verschieden waren.

»Lexi«, gab die Jüngere zärtlich zurück.

Alexandra war als Kronprinzessin wesentlich mehr in die Repräsentationspflichten eingespannt als Sybille. Es kam zuweilen vor, dass sich die Schwestern nur bei den Mahlzeiten sahen. Heute war wieder einmal solch ein Tag.

»Wir sehen uns später noch, ich muss mich beeilen«, sagte Alexandra fröhlich. Dann eilte sie weiter.

♥♥♥

Das Abendessen nahm die fürstliche Familie stets allein ein, ohne Gefolge. So war es auch heute.

Fürst Georg und Fürstin Dorothea waren ein gut aussehendes Herrscherpaar um die fünfzig herum. Die Fürstin kleidete sich stets mit erlesener Eleganz und hatte einen ausgezeichneten Geschmack.

Man sah, dass Fürst Georg seine Gattin trotz der langen Ehejahre noch immer liebte. Ein rascher, zärtlicher Blick, eine liebevolle Geste verrieten es.

Fürst Georg war ein schlanker, großer Mann mit dunklem Haar, der gern lachte. Das heitere Naturell hatte Alexandra von ihm geerbt, das Aussehen von ihrer Mutter. Bei Sybille war es umgekehrt.

»Na, Sybillchen, was hast du den ganzen Tag gemacht?«, fragte der Fürst seine jüngste Tochter.

»Ich bin geritten, habe Tennis und Klavier gespielt und einen Kindergarten eingeweiht.« Zuletzt leuchteten Prinzessin Sybilles dunkle Augen auf.

»Waren die Kinder artig?«, erkundigte die Mutter sich.

»Wenn Mitglieder des fürstlichen Hauses in Sicht sind, werden sie so gedrillt, dass sie Musterpuppen sind«, warf Alexandra spöttisch ein.

Drei Augenpaare sahen sie groß und erschrocken an.

»Zuweilen verstehe ich dich nicht, Lexi«, rügte die Fürstin sie. »Ich habe den Eindruck, als beklagtest du dich, du selbst zu sein, und siehst nicht die große Auszeichnung, die dir zuteilwurde.«

Um den Unmut der Fürstin nicht zu schüren, enthielt Alexandra sich einer Erwiderung.

Wenn ihre Familie wüsste, wovon sie so oft träumte! Ein einziges Mal wollte sie nicht Prinzessin Alexandra sein, sondern sich wie eine normale Sterbliche bewegen können und tun und lassen dürfen, was ihr gefiel! Solche Gedanken waren ihren Eltern und ihrer Schwester fremd. Sie empfanden Repräsentationspflichten und die Zwänge nicht als Bürde.

»Werden deine Kleider schick, Lexi?«, wechselte Sybille das Thema und bekam vor Eifer rote Wangen.

»Das werden sie wohl«, erwiderte ihre Schwester gleichgültig.

»Wann fährt Lexi?«, wollte Sybille dann wissen.

»Wir erwarten den Bescheid aus Paris.«

»Es wird gewiss himmlisch werden.« Sybille sah träumend vor sich hin.

Alexandra verzog den Mund ein wenig bitter. Sie wusste genau, was sie erwartete: ein langweiliger offizieller Besuch, bei dem jeder ihrer Schritte vorgezeichnet war. Sie würde stets von ernsten, würdigen älteren Herrschaften umgeben sein und musste sich genau wie sie benehmen.

Alles, was sie sich in Paris zu gern ansehen würde und nur von Bildern her kannte, würde ihr bestimmt vorenthalten werden. Von dem eigentlichen Leben in Paris würde sie auch nichts zu sehen bekommen.

»Fahr du für mich«, sagte Alexandra leichthin.

»Kind, auf welche Gedanken kommst du nur!« Die Fürstin war sichtlich erschrocken. »Du weißt genau, dass man die Kronprinzessin erwartet. Ganz abgesehen davon, sind auf dich alle Reisevorbereitungen zugeschnitten worden.«

»Natürlich, verzeih, ich will ja auch fahren«, lenkte Alexandra ein.

»Ich war auch als Kronprinz einmal in Paris«, sagte der Fürst lächelnd.

»Und?«, fragte Sybille interessiert.

Die Gatten blickten sich an. Die Fürstin errötete leicht, was sie um Jahre zu verjüngen schien.

»Damals begegnete ich eurer Mutter zum ersten Male.«

»Erzähle«, bat Alexandra eifrig. Sie hatte eine Vorliebe für romantische Liebesgeschichten.

»Nichts – wir wurden einander vorgestellt, das war alles«, erklärte die Fürstin.

»Habt ihr in Paris nichts gemeinsam unternehmen können?«, fragte Alexandra.

»Aber, Lexi, wie stellst du dir das vor?«

Natürlich, wie stellte sie sich das vor? Bei einer Prinzessin und bei einem Kronprinzen ging es nicht so einfach zu wie bei Bürgerlichen.

»Das war sicherlich schade«, sagte Alexandra.

»Warum schade? Für uns zählt dieses erste Zusammentreffen zu den schönsten Erinnerungen«, sagte der Fürst lächelnd.

Wieder blickten sich die Gatten an.

Einmal hatten ihre Eltern ihnen verraten, dass sie das große Glück gehabt hatten, sich sofort ineinander zu verlieben und gottlob auch zusammenzupassen. Das war in ihren Kreisen durchaus nicht immer der Fall.

Junge Menschen aus dem Bürgertum, die sich spontan ineinander verliebten, brauchten gewiss nicht lange auf eine Gelegenheit zu warten, sich wiederzusehen. Das ergab sich im normalen Leben immer. Und ein verliebtes Paar war bestimmt erfindungsreich genug, Gelegenheiten zu suchen. In ihren Kreisen jedoch musste erst der Staatsapparat in Schwung gesetzt werden, um ein »zwangloses Treffen« zu arrangieren.

»Wenn du zurückkommst, Lexi, werden wir einen Hofball geben und unter anderem Philipp Prinz von Loranien einladen«, sagte die Fürstin nun.

Alexandra hatte Mühe, ihr Erschrecken zu verbergen. Der Name des Prinzen war in letzter Zeit des Öfteren diskret gefallen. Sie fürchtete fast, der Fürst sei für sie ausgesucht worden.

Himmel, er war zweifelsohne ein eleganter Mann, aber ganz und gar nicht ihr Typ! Er lachte ihr viel zu wenig und nahm alles so schrecklich ernst. Er war, wie ihre Eltern und Sybille, von seinem Stand durchdrungen, von Kopf bis Fuß ein Fürst.

»Steht der Termin schon fest?«, fragte Sybille, wobei ihr ein sanftes Rot in die Wangen stieg.

»Ja, der Hofrat überlegt bereits, wer eingeladen werden soll. Lexi wird demnächst einundzwanzig, das Fest soll aus Anlass ihres Geburtstages gefeiert werden.«

»Wundervoll!«, hauchte Sybille glücklich. »Kommt nur Fürst Philipp allein, oder sind auch andere Mitglieder seiner Familie dabei?«

Alexandra unterdrückte ein Lächeln. Sybille interessierte sich viel mehr für diesen Ball und vor allem für die Loranier als sie. Sollte die Kleine am Ende in Prinz Philipp verliebt sein?

»Das steht noch alles offen«, erwiderte die Fürstin.

»Wen wird man sonst noch einladen?«, fragte Alexandra.

»Alle ersten Familien unseres Landes, Kind.«

»Werden wir die Grafen von Richthofen übergehen?«, fragte sie.

Offenbar war ihren Eltern die Frage unangenehm. Sie blickten sich fast erschrocken an. Der Fürst räusperte sich.

»Wie kommst du darauf?«, fragte er.

»Ach, ich habe einiges läuten hören.«

Ihre Eltern tauschten wieder einen erschrockenen Blick. Dann seufzte die Mutter.

»Es ist bedauerlich, dass der Klatsch sogar bis zu dir gedrungen ist, liebes Kind.«

»Welcher Klatsch?«, wollte Sybille wissen.

»Über ein Mitglied der Familie«, sagte der Fürst. »Der älteste Sohn des Grafen von Richthofen hat es vorgezogen, einen recht ... hm ... bürgerlichen Beruf zu ergreifen. Er ist Bildreporter geworden.«

»Vielleicht ist er glücklich dabei«, warf Lexi ein.

»Aber, Kind«, verwies die Fürstin sie. »Er ist ein Abenteurer.«

»Ich muss Mutter beipflichten, Lexi. Die Richthofens besitzen große Güter. Selbst wenn sich der älteste Sohn nicht für die Bestellung des heimatlichen Bodens interessiert, gäbe es sicher noch andere Berufe als gerade den eines Reporters. Du weißt doch, wie lästig diese Menschen sind«, meinte Sybille empört.

»Für uns lästig, das stimmt, aber die breite Masse möchte gewiss gern unsere Bilder in den Zeitungen und Illustrierten sehen.«

»Aber es darf sich doch kein Mitglied unseres Standes dafür hergeben, diese neugierige Meute zu befriedigen.« Sybille schüttelte energisch den Kopf.

»Hat er denn in seinem Beruf Erfolg?«, wollte Alexandra wissen.

»Das ist es ja gerade«, sagte die Fürstin erbittert. »Dieser Mensch hat Eingang zu unseren Kreisen und kennt die Schwächen ... hm ... gewisser Aristokraten. Er spürt sie auf ...«

»... und hat einige erfolgreiche Serien geschrieben, die jeden von uns empören«, endete der Fürst voller Härte.

Alexandra war ganz Ohr. So hatte sie sich also doch nicht verhört, als sich einige Hofbeamte darüber unterhalten hatten. Es hieß, er nehme sich immer blaublütige, hochgestellte Persönlichkeiten vor und reiße ihnen den Schleier der Vornehmheit und der sittlichen Vollkommenheit, den sie sich umhängten, rücksichtslos herunter. Für die sensationshungrige Masse waren seine Artikel immer hochinteressant.

»Ich weiß nicht, ich kann ihn nicht verurteilen«, sagte Alexandra mutig. »Wenn er nichts Hässliches aufspüren könnte, wäre ja wohl alles in Ordnung.«

»Auch Aristokraten sind nur Menschen, Lexi«, erinnerte ihr Vater sie.

Alexandra nickte. Das stimmte. Aber Aristokraten wurden so erzogen, als sehe man in ihnen Halbgötter. Die meisten von ihnen benahmen sich auch so. Vielleicht empörte sich dieser Graf von Richthofen darüber und handelte entsprechend. Alexandra hätte ihn gern einmal kennengelernt.

»Wir müssen die Richthofens übergehen«, sagte Sybille nun entschieden.

»Darüber zerbrecht euch nicht die Köpfe«, griff der Fürst ein. »Der Hofrat entscheidet darüber, und ich bin fest davon überzeugt, dass es eine gerechte Entscheidung sein wird.«

♥♥♥

An diesem Abend huschte Sybille noch zu Alexandra ins Zimmer. Diese saß in einem bequemen Sessel und studierte den morgigen Tagesplan, den ihr die Gräfin gerade gebracht hatte. Es stand genug darauf.

»Ach, Billchen!« Alexandra legte den Plan beiseite und war froh, dass ihre Schwester noch zu ihr gekommen war. »Komm, setz dich.« Sie deutete auf einen Sessel.

Sybille setzte sich sehr steif und gerade hinein. Alexandra zog dagegen ihre Beine auf den Sitz ihres Sessels und machte es sich bequem.

»Wie schön, dass Feierabend ist«, sagte sie und seufzte.

»Findest du? Ich finde unser Leben wunderschön, und wenn ich an deiner Stelle nach Paris reisen dürfte ...«

»Ich sagte vorhin ja schon, wie gern ich dir diesen Besuch überlassen würde.«

»Ich verstehe dich nicht, Lexi. Du hast das große Glück, die Kronprinzessin zu sein. Mitunter habe ich aber den Eindruck, du weißt die Auszeichnung gar nicht zu schätzen«, sagte Sybille ohne Neid.

»Du hast es erraten, Billchen. Ich wäre viel lieber irgendein Mädchen aus dem Volke, das jetzt vielleicht an einer Universität studieren könnte, seine Selbstständigkeit besäße ...«

»Um Gottes willen, Lexi«, fiel die Jüngere ihr erschrocken ins Wort. »Du versündigst dich.«

»Das heißt natürlich nicht, dass ich nicht meine Pflicht erfülle«, erklärte Alexandra beschwichtigend. »Aber ich möchte einmal aus diesem Käfig ausbrechen, einmal nur ich selbst sein, verstehst du?«

Nein, Sybille verstand sie nicht. Sie war bestürzt.

»Lexi«, sagte sie zaghaft. »Mein Gott, Lexi!«

»Du brauchst keine Angst um mich zu haben, Kleines. Ich bin ja vernünftig genug, um einzusehen, dass ich die Kronprinzessin bin. Du kannst ruhig schlafen. Ich werde der Familie keine Schande machen«, versicherte sie.

♥♥♥

Vierzehn Tage später stieg Prinzessin Alexandra mit ihrem Gefolge in den Sonderzug, der sie nach Paris bringen würde. Ihre Eltern und Sybille begleiteten sie zum Bahnhof. Die Musikkapelle ihres Ehrenregiments gab ihr ein Abschiedsständchen, und es wimmelte von Reportern und neugierigen Menschen.

Alexandra war froh, als sich der Zug in Bewegung setzte. Sie sank ein wenig erschöpft in die Polster. Diese Reise war eine reine Staatsangelegenheit, die sich an strenges Protokoll hielt.

In Paris geschah genau das, was sie geahnt hatte: Hände schütteln, lächeln, Konversation machen! Sie musste die liebenswürdige, aber distanzierte Prinzessin Alexandra sein. Sie schritt über einen roten Läufer, eine Militärkapelle spielte die Nationalhymne ihres Landes. Und Alexandra musste ihre Prinzessinnenrolle spielen.

Dabei war die Frühlingsluft von süßen, lauen Düften erfüllt. Ach, wie gern hätte sie Reißaus genommen, wäre dem Protokoll entschlüpft und hätte sich in den Straßen unter die Menschen gemischt.

Stunden später hatte Alexandra endlich Ruhe und konnte sich in ihre Gemächer zurückziehen. Sie bewohnte mit ihrem Gefolge ein entzückendes Schlösschen, das von einem wunderschönen Park umgeben war.

Die Prinzessin stand am offenen Fenster und atmete die Frühlingsluft tief ein. Sie hatte Gräfin von Wahlen zur Ruhe geschickt und vorgegeben, sich gleich schlafen zu legen. Die Hofdame war nicht mehr die Jüngste, und die Reise und der Empfang hier in Paris hatten sie sehr mitgenommen.

Unweit des geöffneten Fensters stand ein prächtiger Fliederbusch und verströmte einen üppigen Duft. Im Grase zirpten die Grillen, und in der Nähe sang eine Nachtigall.

Träumend blickte Alexandra zum nächtlichen Himmel empor. Es war Vollmond, und am Firmament funkelten unzählige Sterne.

Wie schön die Welt doch war, wie wunderschön! Plötzlich überkam Alexandra wieder ein unbezwingbarer Freiheitsdrang. Einmal das Leben außerhalb dieser Mauern, außerhalb des goldenen Käfigs kennenlernen! Einmal mit gewöhnlichen Menschen auf der Straße sprechen, einmal in einem Straßencafé sitzen und nicht an Protokolle und Empfänge denken müssen!

Die Freiheit lag unmittelbar vor ihr und war zum Greifen nahe ...