Lore-Roman 206 - Renate Busch - E-Book

Lore-Roman 206 E-Book

Renate Busch

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Beschreibung

Natalie von Teichert lebt wie in einem Traum: Als Tochter eines angesehenen Gutsbesitzers stehen ihr alle Türen offen, und die bevorstehende Verlobung mit dem charmanten Hilmar von Bessel verspricht ein Leben voller Glanz und Glück. Doch ein düsteres Geständnis aus der Vergangenheit droht, diese heile Welt zum Einsturz zu bringen. Während Natalie um ihre Identität kämpft, gerät ihr Herz in Aufruhr: Gunnar Ebersdorf, der neue Verwalter des Familienguts, weckt in ihr Gefühle, die sie nicht ignorieren kann ...


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Seitenzahl: 146

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Die unglückliche Braut

Leseprobe

Vorschau

Impressum

Die unglückliche Braut

Eine Verwechslung wird ihrzum Verhängnis

Von Renate Busch

Natalie von Teichert lebt wie in einem Traum: Als Tochter eines angesehenen Gutsbesitzers stehen ihr alle Türen offen, und die bevorstehende Verlobung mit dem charmanten Hilmar von Bessel verspricht ein Leben voller Glanz und Glück. Doch ein düsteres Geständnis aus der Vergangenheit droht, diese heile Welt zum Einsturz zu bringen.

Während Natalie um ihre Identität kämpft, gerät ihr Herz in Aufruhr: Gunnar Ebersdorf, der neue Verwalter des Familienguts, weckt in ihr Gefühle, die sie nicht ignorieren kann ...

»Herr Doktor, ich habe nicht mehr lange zu leben, nicht wahr?« Die Frau in den Kissen sah den Mann im weißen Kittel angstvoll an.

»Aber Frau Spiekermann!« Der Arzt beugte sich zu der Kranken herab und schlug einen beruhigenden Ton an. »Sie dürfen nicht an so schlimme Dinge denken.«

»Der Tod ist für mich nicht schlimm, Herr Doktor«, widersprach die alte Frau. »Er käme als Erlöser und befreite mich von allen Schmerzen und aller Qual. Ich müsste dann nur vor den Herrgott treten und Rechenschaft ablegen.« Sie brach ab, ihr Atem ging schnell und pfeifend.

Der Arzt nahm sich die Zeit und setzte sich an das Bett der Schwerkranken. Er ergriff ihre abgezehrte Hand und drückte sie zärtlich.

»Aber, aber, das könnten Sie doch, ohne vorher zu zittern, Frau Spiekermann. Sie haben im Leben als Hebamme wahrlich Ihre Pflicht erfüllt. In unserer kleinen Stadt kennt Sie jeder und singt Ihr Loblied. So vielen Erdenbürgern in unserer Mitte haben Sie dazu verholfen, das Licht der Welt zu erblicken.«

Die alte Frau hörte zu. Um ihre Lippen lief nun ein Zittern.

»Ich habe mir immer eingebildet, meine Pflicht zu erfüllen, Herr Doktor, aber seitdem ich krank bin, plagt mich mein schlechtes Gewissen. Ich habe einmal in meinem Leben dem Herrgott ins Handwerk gepfuscht. Ich habe Schicksal gespielt, und ich weiß nun, dass das falsch war.«

»Nun, Sie reden sich sicher nur etwas ein«, sprach der Arzt gutmütig und beschwichtigend.

»Nein, das war damals keine Kleinigkeit, keine Bagatelle«, beharrte sie eigensinnig. »Jetzt weiß ich es, da ich älter geworden bin. Darum regt sich auch mein Gewissen und gönnt mir keine Ruhe. Ich kann nicht sterben, bevor ich diese Dinge nicht aus der Welt geschafft habe.«

Der Arzt sah wohl ein, dass die Ärmste nicht nur unter ihrer Krankheit litt, sondern ihr ihr seelischer Kummer ähnlich zusetzte.

»Kann ich Ihnen helfen, sich Ihr Gewissen zu erleichtern?«, fragte er teilnehmend.

Sie schien nachzudenken und schloss einen Moment die Augen, die so tief in den Höhlen lagen.

»Ja, indem Sie mir einen Pastor ans Krankenbett schicken. Ihm möchte ich sagen, wie ich einst gefehlt habe, und von ihm will ich mir Rat holen, was ich tun soll.«

Der Arzt lächelte und nickte. »Gut, ich werde mich um einen Seelsorger für Sie bemühen«, versprach er.

»Bitte bald«, flüsterte die Kranke, als er bereits im Gehen begriffen war.

Der Arzt tat sein Möglichstes, und eine Stunde später betrat bereits ein älterer Pastor das Zimmer der Schwerkranken.

»Hier trifft man sich wieder«, sagte die alte Hebamme und lächelte ein bisschen kläglich. Obwohl tief gläubig, war sie niemals eine eifrige Kirchgängerin gewesen.

Der Geistliche drückte ihr warm die Hand. »Sie wollten mit mir sprechen, Frau Spiekermann?«

»Ja, Herr Pastor, ich muss. Wissen Sie, ich habe Tag und Nacht keine Ruhe mehr.«

Sie sprach wieder gehetzt, als fürchtete sie, nicht mehr genug Zeit für ihr Geständnis zu haben.

»Es ist ungefähr zwanzig Jahre her, es können auch einundzwanzig oder gar zweiundzwanzig sein, das weiß ich nicht mehr genau«, berichtete sie. »Aber ich werde den Tag niemals vergessen. Es war im Januar, am fünfzehnten Januar, ein furchtbares Wetter. Es regnete und fror zugleich, und die Straßen waren spiegelglatt.«

Offenbar strengte sie das Sprechen genauso an wie das intensive Nachdenken, darum legte sie eine kleine Pause ein.

»Damals – lag Frau von Teichert in der Klinik. Ich weiß nicht, ob Sie sie kennen?« Von den Erinnerungen überwältigt, schloss die Schwerkranke die Augen. »Sie – sie ist die Frau eines reichen Gutsbesitzers. Ihr Besitz liegt ungefähr zwanzig Kilometer von hier entfernt. Ich war in den vergangenen Jahren dabei gewesen, als sie dreimal ein totes Kind geboren hat. Und sie wünschte sich doch so sehr ein Baby«, murmelte sie.

Der Geistliche hörte aufmerksam zu. Es schien fast so, als wäre die alte Hebamme eingeschlafen, aber im nächsten Moment öffnete sie wieder ihre Augen.

»An dem Tag ging alles drunter und drüber bei uns«, erzählte die Schwerkranke dann allerdings weiter. »Das Glatteis verursachte diverse Autounfälle. Menschen wurden eingeliefert, die auf dem Glatteis ausgeglitten waren. Die Ärzte hatten alle Hände voll zu tun. Sie operierten eine Frau, die am Unterleib schwer verletzt worden war. Man hatte sie nur mühsam aus dem Auto gezogen, das sich fast um einen Baum geschlungen hatte.«

Die dickgeäderte, durchsichtige Altfrauenhand fuhr sich wie erinnernd durch das Gesicht.

»Dann wurde wieder eine Schwangere eingeliefert, ein armes Dienstmädchen. Es stand allein auf der Welt, und die Sanitäter brachten es in den Kreißsaal. Das Mädchen war nur durch eine spanische Wand von Frau von Teichert getrennt.

»Alles andere ging so schnell«, berichtete sie weiter in gehetztem Tonfall. »Der Chef und sein Team operierten noch, so war ich mit den Schwangeren allein. Sonst hatte der Chef die adelige Privatpatientin auch keinen Moment nur mit der Hebamme allein gelassen, aber heute ging es nicht anders. Jene andere Frau wäre gestorben, wenn er nicht operiert hätte. Ach, Sie wissen nicht, wie es zuweilen in einer Klinik zugeht«, fuhr sie nachdenklich fort.

»Und dann folgte alles blitzschnell. Frau von Teichert gebar ein Baby – tot wie die vorigen Kinder. Ich hatte sie kaum einigermaßen versorgt, da holte ich auch schon das Kind des Dienstmädchens.« Sie atmete schnell.

»Ich will es nicht, ich will es nicht, hatte das Mädchen zwischen den Wehen so oft geweint. Nun, da spielte ich Schicksal. Mich dauerte das winzige kleine Wesen, das mich so groß und fragend ansah, das so unwillkommen auf der Welt war und sicher einmal einen bitteren Lebensweg vor sich gehabt hätte. ›Es ist tot geboren‹, sagte ich dem Dienstmädchen, als es wieder zu sich kam. In diesem Moment betrat der Chefarzt den Kreissaal. Alles andere lief von allein ab. Natürlich bemühte er sich sofort um Frau von Teichert. Er war es auch, der ihr ihr vermeintlich eigenes Kind in den Arm legte. Sie war überglücklich und weinte vor Freude. Dunkle Haare hat eigentlich niemand aus unserer Familie, lächelte sie dann, nachdem sie zärtlich über das schon lange Haar des kleinen Mädchens gestrichen hatte.«

Die alte Hebamme musste erst wieder Kräfte sammeln, um weitersprechen zu können.

»Erna Wimmer, so hieß das Dienstmädchen, war erleichtert, weil sie nun nicht die Bürde eines unehelichen Kindes mit sich herumschleppen musste. Sie trauerte nicht, nein, keinesfalls. Nun, damals fand ich, dass ich richtig gehandelt hatte, heute weiß ich, ein schweres Unrecht begangen zu haben. Ich bin nicht der Herrgott und durfte nicht Schicksal spielen, Herr Pastor.«

Offenbar war der Geistliche von dem Gehörten tief ergriffen.

»Nein, das durften Sie nicht, obwohl Sie ja nur gute Absichten verfolgt haben«, bestätigte er. »Es war ein schweres Unrecht und bleibt auch eines.«

»Ich will Frau von Teichert um Verzeihung bitten, Herr Pastor«, flehte die alte Seele. »Vielleicht vergibt sie mir.«

»Sie müssen vor allem Ihre Aussage vor einem Notar zu Protokoll geben. Ich bin nicht die zuständige Amtsperson, um die Dinge wieder ins richtige Lot zu rücken«, sagte er ernst und eindringlich. »Niemand kann Sie jedoch dazu zwingen«, setzte er einschränkend hinzu. »Wahrscheinlich bringen Sie über jenes Kind von damals und seine Eltern nur Leid und Schmerz.«

Die alte Seele nickte. »Ich hätte es nicht tun dürfen, ganz bestimmt nicht, Herr Pastor. Der Herrgott kann mir sicher nicht verzeihen, aber – ich muss das Unrecht aus der Welt schaffen, bevor ich sterbe. Das muss ich doch – oder?« Sie sah ihn angstvoll an.

Der Geistliche zögerte, bevor er antwortete. Er hatte sich noch niemals in solch einer heiklen Situation befunden. Aber er war bisher immer aufrecht durchs Leben gegangen und war gut dabei gefahren.

Er überlegte, dass jenes Mädchen inzwischen sicher eine so fest Bindung zu ihren angeblichen Eltern besaß, dass sie die Wahrheit wohl verkraften könnte. Es war anzunehmen, dass jene adelige Dame keine Kinder mehr bekommen hatte. Dann wäre das einstige Baby des Dienstmädchens das einzige Kind und würde von seinen Eltern ganz gewiss heiß geliebt werden.

»Ja, das müssen Sie«, sagte er also mit fester Stimme.

Anscheinend hatte sich die alte Frau zu sehr angestrengt. Ihre Nase ragte noch spitzer aus dem weißen Gesicht hervor, und es wirkte wie leblos.

Der Geistliche tastete unwillkürlich nach ihrer Hand. Aber die war noch warm und lebendig. Insgeheim hatte er bereits gehofft, der Herrgott habe die Entscheidung selbst übernommen.

Da öffnete die Hebamme die Augen.

»Bitte, leiten Sie alles in die Wege, und – vielleicht kann ich ja Frau von Teichert auch noch um Verzeihung bitten.«

»Ich werde tun, was ich vermag.«

Der Pastor sah die Schwerkranke mitleidig an. Dann drückte er ihr die Hand, erhob sich und verließ das Krankenzimmer.

***

Natalie von Teichert kam von einem Ausritt zurück. Sie hatte das wundervolle, lange tiefschwarze Haar im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengenommen.

Der scharlachrote Pullover bot zu dem Schwarz der Haare einen wirkungsvollen Kontrast. In ihm zeichneten sich die weiblichen Rundungen, die gertenschlanke Gestalt des jungen Mädchens ab.

Yvonne und Albert von Teichert standen beide am Fenster und sahen ihr Töchterchen daher gesprengt kommen.

»Hand aufs Herz, bist du auf unsere Einzige auch nicht mächtig stolz, hm?«, befand der Gutsherr.

Frau Yvonne wurde ein wenig verlegen. »Nun ja – das schon, aber ich bin gottlob so vernünftig und zeige es ihr nicht, während du ...«

»Nun schilt nicht mit mir. Es ist schließlich eine alte Tatsache, dass Männer in vielen Dingen unvernünftiger sind, vor allem, wenn es um ihre Töchter geht.«

»Bei dir stimmt es ganz sicher. Du erfüllst ihr aber auch jeden Wunsch.«

»Gottlob hat Natalie nicht allzu viele und stellt eigentlich nie große Forderungen an uns.«

»Du hast recht.« Frau Yvonne nickte. »Sie ist bescheiden geblieben. Dabei hatte ich häufig befürchtet, sie würde in Grund und Boden verzogen.«

»Sie ist eben unsere Tochter.« Herr Albert legte liebevoll seinen Arm um die Schultern seiner Frau und drückte sie zärtlich. »Aber woher die Krabbe ihre Schönheit hat, weiß ich bei aller Liebe nicht. Ich wollte dich nicht beleidigen, Liebes«, setzte er sofort schnell hinzu, als ihm wohl klar wurde, eine nicht sehr taktvolle Äußerung getan zu haben.

»Himmel, das kannst du nicht. »Seine Frau lachte. »Ich weiß, dass ich auch in jungen Jahren zwar niemals hässlich gewesen bin, aber an einer Schönheitskonkurrenz hätte ich wahrlich nicht teilnehmen können.«

»Ich leider auch nicht. »Auch Albert von Teichert freute sich.

»Ich hätte mich auch niemals in einen schönen Mann verliebt«, erzählte Frau Yvonne. »Ich meine, ausgesprochen schöne Männer sind in der Regel sehr eitel und wollen sich bestätigt sehen. Sie brauchen Anerkennung auch von anderen weiblichen Wesen als nur dem eigenen. Das siehst du ja bei ...« Sie schwieg.

»Sprich es schon aus. Unser Nachbar, Baron Bessel, war in seiner Jugend wahrlich ein Schwerenöter, und sogar in gesetzteren Jahren sieht er noch jedem hübschen jungen Mädchen nach.«

»Das stimmt.« Frau Yvonne seufzte. »Seine Frau wird sicher so manches mit ihm durchgemacht haben, allerdings hat man ihr das niemals auch nur im Geringsten angemerkt.«

»Dazu war sie viel zu hochvornehm, eine geborene Komtess«, spottete der Gutsherr.

Seine Frau nickte. »Ich habe sie dennoch oft bedauert und bewundert«, sinnierte Frau Yvonne. »Dass sich Natalie aber nun ausgerechnet Hilmar von Bessel in den Kopf gesetzt hat, will mir nicht so recht passen«, gestand sie ihrem Mann.

Er schien überrascht zu sein. »Hilmar ist eine glänzende Partie. Die Bessels sind vermögend, uralter Adel, mit dem wir eigentlich nicht antreten können. Hilmar sieht blendend aus«, zählte er die Vorteile des möglichen Schwiegersohnes auf.

»Wir haben ja gerade festgestellt, dass zu gut aussehende Männer sich nicht immer für die Ehe besonders gut eignen.«

»Aber Liebes!« Der Hausherr schüttelte abweisend den Kopf. »Natalie wird es sicher verstehen, ihren Mann einst zu fesseln – erinnere dich doch, wie sehr sie mich um den Finger wickeln kann.«

»Sicher, sicher, nur ...«

»Noch Einwände gefällig?«, fragte Herr Albert.

»Nun ja, die Bessels sind so schrecklich hochmütig. Ich habe das Gefühl, sie sind der Meinung, Natalie nur aus Gnade einmal in ihre Familie aufnehmen zu wollen.«

»Ich bitte dich«, protestierte nun der Gutsherr energisch. »Jetzt suchst du etwas. Ich meine fast, du fürchtest, unsere Kleine hergeben zu müssen. Ich gebe zu, an den Tag mag ich auch nicht denken«, gestand er. »Aber gottlob wird sie ja dann nicht weit von uns entfernt wohnen. Wenn uns die Sehnsucht packt, setzen wir uns in den Wagen und besuchen sie halt. Soweit ich es jedenfalls beurteilen kann, waren die Bessels zu Natalie und zu uns immer sehr nett.«

»Ja, das sind sie«, gab Frau Yvonne widerstrebend zu.

Albert hatte leider nicht das Gespür wie sie, darum würde er auch feine Überströmungen nicht verstehen und begreifen. Sie fühlte sie und war davon überzeugt, dass vor allem Baronin von Bessel lieber eine andere Schwiegertochter gehabt hätte. Schließlich waren die Teicherts erst in der vorigen Generation geadelt worden.

Alberts Vater, ein großer Industrieller, war vom damaligen Kaiser für besondere Verdienste um das Vaterland mit dem Adelsprädikat belohnt worden. Das wusste jeder, denn im Adelskalender stand es ja schwarz auf weiß.

»Unsere Natalie muss ja einfach jeder gern haben«, beruhigte der Gutsherr seine Frau weiter und lächelte wohlgefällig.

»Sie ist ein richtiges Sonnenkind, das stimmt. Weißt du, zuweilen denke ich, sie hat vom ersten Tag an gespürt, wie willkommen sie auf der Welt war und wie sehr wir sie lieben. Das prägt sich in ihrem Charakter aus.«

»Das ist schon möglich«, gab Herr Albert darauf zu.

***

Inzwischen hatte Natalie ihr Pferd in den Stall gebracht und dem alten Knecht übergeben.

»Heini, gut abreiben, ich bin vielleicht ein bisschen schneller geritten, als ich es gedurft hätte«, schärfte sie dem Alten ein.

»Aber gewiss doch, gnädiges Fräulein.«

Der Knecht grinste mit zahnlosem Mund und schob seinen Priem von einer Backe in die andere.

Natalie schenkte dem Alten noch eines ihrer bezaubernden Lächeln, dann wandte sie sich um und wollte den Stall verlassen.

Sie wäre fast mit einem hochgewachsenen Menschen zusammengeprallt, der den Zusammenstoß in letzter Sekunde verhinderte, indem er spontan nach Natalies Hand griff.

»Hoppla«, sagte Gunnar Ebersdorf und hielt das Gelenk fest.

Natalie errötete über ihre Ungeschicklichkeit.

»Verzeihen Sie«, murmelte sie.

Dann nickte sie dem Verwalter kurz zu und stürmte nunmehr zur Tür hinaus.

Natalie eilte unterdessen dem Herrenhaus zu. Es war nicht das größte in der Gegend, aber es lag hübsch auf einer kleinen Anhöhe und bot mit seiner weißen Fassade einen schmucken Anblick.

Albert von Teicherts Vater hatte den Besitz einst für seinen jüngsten Sohn gekauft und das Haus darauf gebaut, als es offenkundig war, dass sich dieser Sohn mehr für Landwirtschaft als für Eisen und Stahl interessieren würde.

Er hatte gut daran getan. Obwohl aus einer Industriellenfamilie stammend, war Albert von Teichert ein guter Landwirt geworden, der auch seiner Gesundheit nach auf das Land passte. Allerdings hatte er in letzter Zeit häufig Schmerzen in den Knien.

Der Arzt, der ihn daraufhin untersucht hatte, konnte nur bedauernd die Schultern zucken.

»Das ist ein natürlicher Verschleiß der Gelenke, und man kann im Grunde genommen wenig dagegen machen. Lassen Sie es langsamer angehen, den einzigen Rat kann ich Ihnen geben. Dann werden Sie weniger Schmerzen spüren.«

Auf das Drängen seiner Frau hin hatte der Gutsherr den Rat beherzigt und vor Kurzem einen jungen Verwalter eingestellt, der ihm einen Großteil der Arbeit abnehmen sollte.

»Lützows wilde Gesellen sind wahrlich nichts gegen dich und dein Tempo«, lachte der Gutsherr, als er Natalie im Arm hielt.

»Kind, musst du es denn immer so mächtig eilig haben«, schalt Frau Yvonne gutmütig.

Natalie freute sich, und ihr bezauberndes Lachen verschönte ihre Züge noch.

»Eigentlich nicht, aber ich kann im Grunde genommen nichts dafür, dass ich mich einfach nicht langsam bewegen kann. Mit zunehmendem Alter wird das sicher besser.«

»Spottdrossel!« Frau Yvonne betrachtete voller Zärtlichkeit und Liebe das zarte, helle Gesicht ihres Lieblings.

»Ich komme geradewegs von Rodenkirchen«, gestand Natalie und ließ sich in den nächsten weichen Sessel plumpsen.

»Und?«

»Hilmars Vater ist auf dem Wege der Besserung. Nun können wir bald unsere Verlobung bekanntgeben und feiern.« Sie sprang wieder temperamentvoll auf und tanzte durch das gemütliche Wohnzimmer. »Ich bin irrsinnig glücklich. Ach, Hilmar ist einmalig«, schwärmte das junge Menschenkind nun weiter. »Er wird mich auf Händen tragen, wir werden unbeschreiblich glücklich werden. Unsere Hochzeitsreise wollen wir nach Ägypten machen. Vielleicht bleiben wir vorher etliche Tage in Venedig.«

»Noch ist es nicht so weit«, warf Frau Yvonne nüchtern ein und riss ihr Töchterchen aus den Träumereien.

Um Natalies schöngeschwungenen Mund glitt ein Zug des Unwillens. Aber er verschwand sogleich wieder.

»Du hast recht, Muttilein, erst feiern wir ja unsere Verlobung.« Sie seufzte.

»Hilmar hat mir verraten, dass seine Mutter jetzt schon immer Listen von zu erwartenden Gästen aufstellt.« Sie kicherte.

»Sicher wird die ganze erlauchte Verwandtschaft der Bessels angereist kommen. Hoffentlich blamiere ich Hilmar nicht.«

»Du hast doch wohl keine Minderwertigkeitskomplexe?«, wollte Frau Yvonne erschrocken wissen.

Natalie hatte die beste Erziehung genossen, hatte etliche Jahre in einem vornehmen Schweizer Pensionat verbracht und dort den letzten gesellschaftlichen Schliff erhalten.