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Die erfahrene Hebamme Anna Fischer hat in ihrem Leben schon viele Kinder auf die Welt gebracht, doch nie war eine Geburt so folgenschwer wie diese. Karen Baronin von Bentheim steht nach mehreren traumatischen Verlusten vor ihrer letzten Chance, ein Kind und damit den Erben des Majorats zu bekommen. Trotz aller Warnungen entscheidet sie sich, das Risiko einzugehen. Als eine eisige Winternacht über das Gut hierbricht, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit - und gegen die Naturgewalten. Zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, liegen nur wenige Zimmer voneinander entfernt in den Wehen: die adlige Karen, und Frieda, eine einfache Magd, die verzweifelt versucht, ihr uneheliches Kind geheim zu halten. Inmitten dieser Spannung trifft die Hebamme eine folgenschwere Entscheidung: Sie vertauscht die Kinder. Ein gesunder Junge wird der Bentheim-Dynastie neues Leben schenken, während ein schwaches, zartes Mädchen für ein anderes Schicksal bestimmt ist ...
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Seitenzahl: 154
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Das Geheimnis der Hebamme
Vorschau
Impressum
Das Geheimnis der Hebamme
Schicksalsroman für besondere Stunden
Von Renate Busch
Die erfahrene Hebamme Anna Fischer hat in ihrem Leben schon viele Kinder auf die Welt gebracht, doch nie war eine Geburt so folgenschwer wie diese. Karen Baronin von Bentheim steht nach mehreren traumatischen Verlusten vor ihrer letzten Chance, ein Kind und damit den Erben des Majorats zu bekommen. Trotz aller Warnungen entscheidet sie sich, das Risiko einzugehen. Als eine eisige Winternacht über das Gut hierbricht, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit – und gegen die unbändigen Naturgewalten.
Zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, liegen nur wenige Zimmer voneinander entfernt in den Wehen: die adlige Karen, und Frieda, eine einfache Magd, die verzweifelt versucht, ihr uneheliches Kind geheim zu halten. Inmitten dieser Spannung trifft die Hebamme eine folgenschwere Entscheidung: Sie vertauscht die Kinder. Ein gesunder Junge wird der Bentheim-Dynastie neues Leben schenken, während ein schwaches, zartes Mädchen für ein anderes Schicksal bestimmt ist ...
Die junge Frau fröstelte trotz der Wärme. Sie raffte ihren dünnen Mantel über der Brust zusammen, als könne sie sich so besser gegen die Kälte schützen, die sie von innen heraus befiel. Einen Moment saß Baronin Karen noch tatenlos hinter dem Steuer ihres Wagens und starrte nach dem kleinen Haus, vor dem sie parkte.
»Dr. med. Heinrich Winkler«, murmelte sie halblaut vor sich hin und schickte ihren Worten einen tiefen Seufzer nach.
Dann stieg sie endlich mit müden Bewegungen aus dem Auto, um mit immer schneller werdenden Schritten auf das Haus zuzueilen.
Der Dorfarzt empfing sie persönlich, als sie läutete. Baronin Karen hatte sich vorher telefonisch angemeldet.
»Guten Tag, Frau Baronin, Sie bringen ja heute direkt den Sommer mit«, begrüßte er sie und geleitete die zarte, schöne Frau in sein Sprechzimmer.
»Ja, nicht?« Die Züge der jungen Frau wirkten selbst beim Lächeln angespannt und verkrampft.
»Na, wo fehlt es denn?«, fragte der alte Dorfarzt endlich und lehnte sich etwas zurück.
»Ich glaube ... ich erwarte ein Kind«, gestand sie fast flüsternd.
Er wusste, dass Karen von Bentheim jetzt wieder durch die Hölle ging. Dreimal hatte sie ein Kind geboren, sich Monate auf jedes Kind gefreut, für das kleine Lebewesen gestrickt und gehäkelt. Dreimal die schlimmsten Beschwerden tapfer ertragen. Und dreimal hatte sie, wie alle Mütter dieser Erde, von ihrem Kind geträumt, es sehnlich erwartet, um bitter enttäuscht zu werden.
Ihr erster Sohn hatte nur Stunden gelebt, und seine beiden kleinen Schwestern kamen tot zur Welt.
Und Dr. Winkler wusste auch, wie sehnlich sich Baron Bernhard und Frau Karen ein Kind wünschten. Bentheim war ein Majorat, und es würde an eine Nebenlinie fallen, wenn sich zu einem bestimmten Zeitpunkt kein Erbe eingestellt haben sollte.
Dreimal war die Baronin von Bentheim von Kapazitäten in ihren schweren Stunden betreut worden, hatte sie in einer modernen Klinik gelegen. Alles war getan worden. Vergebens!
Nun war es wieder so weit! Dabei hatte er Karen von Bentheim noch vor einem guten halben Jahr vor einem weiteren Kind gewarnt. Damals wurde er zu ihr gerufen, als sie mit einer Infektionskrankheit das Bett hüten musste.
Aber selbst damals, im hohen Fieber, konnte sich die junge, begehrenswert schöne, reiche und doch so bedauernswerte Frau nicht von dem Gedanken an ein Baby lösen und bestürmte ihn mit Fragen über die Aussicht einer normalen Geburt.
»Sie sind im Moment viel zu zart und angegriffen, um die Strapazen einer weiteren Mutterschaft ertragen zu können«, war seine Antwort gewesen. Und das stimmte.
Dr. Winkler musste sich zu einem zuversichtlichen Lächeln zwingen.
»Na, dann wollen wir einmal sehen.«
»Es kann doch ein Wunder geschehen, Herr Doktor«, begehrte sie auf. »Ich meine, es ist doch durchaus möglich, dass ...«
»In der Medizin kann man nichts voraussagen, Frau Baronin, da haben Sie vollkommen recht«, gab der Arzt ruhig zurück.
Baronin Karen nickte. Ihre Lippen lagen fest aufeinander.
»Und ich werde dieses Mal zu Hause bleiben«, erklärte sie nun fest.
»Gewiss können Sie das«, gab Dr. Winkler bedächtig zurück. »Kommen Sie in regelmäßigen Abständen zur Untersuchung«, gab er ihr eindringlich mit auf den Weg.
Baronin Karen steuerte den Wagen nicht nach Hause. Sie konnte es einfach nicht. Vielleicht war ja Bernhard schon wieder heimgekehrt.
Sie spürte plötzlich Tränen in ihren Augen. Bernhard musste in letzter Zeit merkwürdig oft in die Stadt. Er blieb häufig nachts fort. Kam er zurück, haftete an seiner Kleidung ein starker Tabakgeruch.
Karen erreichte den Wald. Sie hielt das Fahrzeug an und stieg aus. Vielleicht wurde sie innerlich ein bisschen ruhiger, wenn sie die klare Luft einatmete und völlig allein war. Sie hatte sich also nicht geirrt und erwartete wieder ein Kind. Aber würde es jemals leben, dieses Kind? Sie hoffte es mit jeder Faser ihres Herzens.
Bernhard floh vor ihr und der Erinnerung an seine drei totgeborenen Kinder.
In ihrer Kehle stieg ein trockenes Schluchzen auf.
»Hilf mir«, flehte sie plötzlich.
Sie setzte sich ins Gras, das noch vom Regen feucht war. Aber Karen von Bentheim spürte es nicht. Sie lehnte den Kopf gegen den Baum und schloss die Augen. Sie wünschte, ihr Kind bliebe am Leben. Und sie wusste, dass alles aus war, wenn sich nochmals das Schreckliche wiederholen würde.
***
Als sie Bentheim erreichte, brach bereits der Abend an. Baronin Karen zwang sich zur Haltung, als sie auf den großen, gut gepflegten Gutshof fuhr. Ein Knecht kam ihr sofort dienstbeflissen entgegengelaufen und verbeugte sich. Sie schenkte ihm ein kleines Lächeln.
»Fahren Sie das Auto in die Garage«, bat sie.
Baronin Karen lief inzwischen die breite Freitreppe hinauf. Kaum im Haus, eilte auch schon Frieda herbei, um ihr den Mantel abzunehmen. Plötzlich stutzte Frau Karen.
»Hast du irgendwelchen Kummer?«, fragte sie mitfühlend.
Frieda war ein junges Ding und weilte bereits im Hause, seitdem sie die Schulbank verlassen hatte. Aber wenn es sich Karen recht überlegte, so kannte sie Frieda nur lachend und singend. Hier hatte sie eine Heimat gefunden. Da ihre Mutter schon früh gestorben war, wurde sie von Verwandten aufgenommen und immer herumgestoßen. Doch hier auf Bentheim gehörte sie hin, hier war sie glücklich.
»Nein«, sagte sie dann mit tränenerstickter Stimme. Danach eilte sie schleunigst davon.
»Komisch«, murmelte Baronin Karen und suchte das Wohnzimmer auf.
Wie sie fast vermutet hatte, war Bernhard noch nicht wieder zurück. Er war auf einer Ausstellung. Aber war er wirklich dort?
Als ihr der Diener Jan das Abendessen servierte, verspürte sie keinen Appetit. Aber sie zwang sich zum Essen.
Die innere Unruhe ließ sie später das Buch zur Seite legen, in dem sie las. Ihre Gedanken flogen zu ihrem Mann. Wo er sich im Moment wohl aufhielt?
Endlich ging Karen schlafen. Aber sie fand keine Ruhe und lauschte auf jedes Geräusch, das von außen hereindrang. Als sie endlich Motorenlärm vernahm, sprang sie auf und eilte ans Fenster.
»Gott sei Dank«, flüsterte sie unwillkürlich und faltete dankbar die Hände.
Sie beobachtete ihn, als er, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe emporeilte. Und sie spürte, wie ihr Herz plötzlich schneller schlug. Dann schlich sie wieder ins Bett. Und als Baron Bernhard später ins Schlafzimmer kam, stellte sich Frau Karen schlafend.
Bernhard von Bentheim schlich auf Zehenspitzen herein, legte sich leise ins Bett und war wieder einmal enttäuscht, dass Karen ihn heute nicht, wie früher bei ähnlichen Gelegenheiten, noch begrüßt hatte.
***
Die Hebamme Anna Fischer sah mitleidig auf das heulende Mädchen, das vor ihr saß.
Sie kannte die lustige, hübsche Frieda schon seit Jahren und hatte sie gern. Aber das, was Frieda von ihr wollte, das konnte sie ihr dennoch nicht geben.
»Frieda, ich kann dir nicht helfen, sieh das doch endlich ein!«, beschwor sie das junge Geschöpf.
Darauf hob Frieda ihr tränennasses Gesicht.
»Aber was soll ich mit einem Kind?«, fragte sie leise. »Ich kann es doch gar nicht behalten. Es hätte keine Heimat bei mir. Ich muss doch arbeiten, um leben zu können.«
»Warum wendest du dich nicht an den Vater deines Kindes, Frieda?«
»Das ... das kann ich ja nicht.« Frieda biss sich auf die Lippen.
»So – und warum nicht?« Anna Fischer stemmte beide Hände in die Hüften. »Er ist wohl verheiratet, was?«
»Nein«, das kam so schnell und erschrocken zurück, dass die Hebamme ihr glaubte.
»Na, dann sag mir den Namen, damit ich ihm den Kopf waschen kann!«, forderte Anna Fischer.
Aber Frieda schüttelte nur den Kopf. Ihre Hände umkrampften die kleine, billige Handtasche.
»Es hätte keinen Zweck. Er ... er könnte mich doch niemals heiraten – und Geld hat er auch nicht!« Frieda stand mutlos auf. »Ich will das Kind nicht großziehen. Wenn ich es bekomme, gut, dann ist es Schicksal. Aber ich werde es fortgeben, wenn ich es geboren habe.« In Friedas Zügen stand plötzlich wilde Entschlossenheit.
»Na, na, es ist doch dein Kind, Frieda! Du wirst es lieben, weil dein Blut in ihm fließt und du es geboren hast.«
Anna Fischer wunderte sich plötzlich über die Reife in den jungen Zügen. Frieda lächelte bitter.
»Mein Kind soll es einmal gut haben, darum muss ich mich von ihm trennen! Ich habe ihm nichts zu bieten, gar nichts! Es würde bei irgendwelchen fremden Menschen groß und ich könnte es nur selten sehen und es würde mich hassen, weil ich ihm dieses kümmerliche Leben geschenkt habe. Nein ... ich gebe es fort«, schloss sie fest. »Eltern, die es ernähren können, und die es gern haben, sollen es adoptieren. Es gibt doch Menschen, die sich Kinder wünschen und keine bekommen, die gut zu fremden Kindern wären. Ich weiß es ganz genau. Unsere Frau Baronin zum Beispiel wäre ein Engel, aber sie, gerade sie braucht ja ein eigenes Kind!« Nachdem Frieda die ersten Worte laut gerufen hatte, schloss sie leise, fast erschöpft.
»Ja, die gibt es wohl«, echote Frau Fischer.
Und sie blickte noch lange hinter Frieda her, als die fast fluchtartig die Dorfstraße entlangging.
***
Als einige Tage später Baronin Karen vor der Hebamme stand, konnte sie sich zunächst nicht erklären, was die Gutsherrin von ihr wollte.
»Treten Sie doch ein, Frau Baronin«, forderte sie daher den hohen Gast ruhig auf und gab den Weg in das Innere ihres kleinen, blitzsauberen Häuschens frei.
Baronin Karen nickte. Aber die Hebamme war eine gute Beobachterin, und was sie an der jungen, schönen Frau beobachtete, gefiel ihr nicht. Sie kannte Karen von Bentheim schon seit Langem, seitdem der Gutsherr einst eine fröhliche, schöne Frau auf sein Stammesgut gebracht hatte.
»Setzen Sie sich doch, Frau Baronin«, bat sie und sah, wie nervös Karen von Bentheim an ihrer Tasche fingerte.
So teilte sie der Hebamme in dürren Worten mit, dass sie beabsichtige, ihr Kind auf Bentheim zu bekommen. Aber Anna Fischer sah hinter die Kulissen und ahnte, wie es in der jungen Frau aussah. Hoffte Karen von Bentheim etwa nicht mehr? War es ihr gleichgültig, wo sie den Tag der Schmerzen, der Qual – und der Enttäuschung erlebte?
»Sie ... Sie wissen ja sicher von meinen früheren Geburten«, sagte sie herb.
Anna Fischer nickte mitfühlend. Vielleicht lag in den grauen Augen so viel Verständnis, dass Baronin Karen spontan zu ihr Vertrauen fasste?
»Ich muss dieses Mal einen gesunden Erben bekommen, ich muss! Sonst ist alles aus«, schloss sie dumpf.
Anna Fischer ahnte, welche Kraft es Karin von Bentheim kostete, diese Haltung an den Tag zu legen. Sie bewunderte und bedauerte es aus tiefstem Herzen.
»Das Kindchen wird gesund sein«, sagte sie mit aller Überzeugungskraft, die ihr überhaupt zu Gebote stand. »Gehen Sie jetzt viel spazieren, essen Sie tüchtig ...«
Anna Fischer brach ab, das wehmütig traurige Lächeln um Baronin Karens Mund ließ sie schweigen. Es zeigte ihr, dass sie bereits dreimal so gesund wie möglich gelebt hatte – und dreimal dennoch nicht fähig gewesen war, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen.
Später, zum Abschied, umklammerte Anna Fischers kräftige Hand wieder die sensible der jungen Frau, und die Hebamme drückte sie sanft und zärtlich.
»Machen Sie sich nur keine Sorgen. Wenn es geht, kommen Sie doch des Öfteren einmal vorbei«, bat Anna Fischer.
Baronin Karen lächelte dankbar. Sie erkannte Annas Bemühen an, sie zu trösten.
Heute Abend wollte sie Bernhard endlich erzählen, wie es um sie stand! Oh, wenn sie diese schwierigen Minuten doch erst hinter sich gebracht hätte!
Aber an diesem Abend konnte Karen ihrem Mann das Geheimnis nicht verraten.
»Der Herr Baron lässt bestellen, er musste plötzlich dringend in die Stadt«, erklärte ihr Frieda, als sie heimkam.
Auf Karens Zügen zeigten sich augenblicklich Schmerz und Enttäuschung, so dass die junge Frieda im Moment ihr eigenes Leid vergaß. Doch sie eilte hastig davon, als sie merkte, dass ihr schon wieder übel wurde. Bisher hatte sie ihren Zustand vor allen anderen noch verbergen können. Aber was wurde aus ihr, wenn man ihr ansah, wie es um sie stand? Würde man ihr nicht augenblicklich kündigen? Davor hatte Frieda die meiste Furcht. Was sollte dann aus ihr werden, wenn sie auf der Straße stand?
Endlich war Feierabend. Sonst hatte es Frieda niemals so schnell zum Bett gezogen, selbst wenn sie vom frühen Morgen bis zum späten Abend ununterbrochen auf den Beinen gewesen war. Doch jetzt flüchtete sie immer in ihr eigenes kleines Reich.
Sie setzte sich erschöpft auf ihr Bett und dachte an den Geliebten. Er wird niemals erfahren, dass er Vater ihres Kindes würde. Sie liebte ihn trotz allem noch immer, den jungen, schmucken und immer lustigen Leutnant.
Aber sie war sich darüber klar, dass er sie niemals heiraten konnte.
Er hatte ihr zärtliche Worte zugeflüstert, aber er hatte niemals ein Wort von Heirat gesagt.
***
Wie meist in letzter Zeit saßen sich Baron Bernhard und seine Gattin beim Frühstück schweigend gegenüber. Frau Karen hatte noch immer nicht den Mut für das Geständnis gefunden.
Fast kamen ihr die Tränen, als sie sich daran erinnerte, wie glücklich sie beide gewesen waren, als sich damals das erste Kindchen angemeldet hatte. Bernhard hatte sie kurzerhand auf den Arm genommen und war wie närrisch durch das Zimmer getanzt.
»Meine liebe Mutti«, hatte er ihr dabei ins Ohr geflüstert.
»Ist dir kalt?«, fragte in diesem Moment Baron Bernhard höflich.
Offenbar hatte er gesehen, wie sie zusammengeschauert war. Diese Höflichkeit ließ sie bis ins Herz hinein frieren.
»Nein, natürlich nicht«, murmelte sie tonlos.
Bernhard von Bentheim umklammerte den Henkel der Kaffeetasse so fest, dass seine Frau fürchtete, er könne ihn abbrechen.
Er hasst mich, dachte sie. Sie musste sich zusammennehmen, um nicht in Tränen auszubrechen. Aber Bernhard sollte nicht wissen, wie tief sie unter seinem Benehmen litt.
Auch Bernhard von Bentheim fühlte sich erschöpft. Karen litt, sie litt unter dem Unheil, das sie betraf, mehr als er. Aber was sollte er dagegen tun? Er würde alles darum geben, wenn sich das geliebte Gesicht einmal wieder zu einem fröhlichen Lachen verziehen würde.
Aber seit der letzten Geburt schien alles Leben aus Karen verschwunden zu sein. Sie war nicht mehr die Frau, die er einst geheiratet hatte. Und er – er konnte nur hilflos zusehen, wie sie sich zugrunde richtete. Er wagte nicht, das gefährliche Thema zu berühren.
Frau Karen stellte jetzt die Tasse zurück. Über sie kam der Mut einer Verzweifelten. Sie musste es ihm endlich sagen.
»Ich erwarte ein Kind«, sagte sie nüchtern und trocken und zeigte nicht, wie viel Hoffen und Bangen, wie viel schlaflose, verzweifelte und doch hoffende Stunden sie erlebt hatten, seitdem sie Gewissheit über ihren Zustand besaß.
Bernhard von Bentheim fuhr betroffen zurück. War das noch Karen, die Frau, die er liebte? Er kannte sie doch warmherzig und gut. Und sie schien sich nicht auf ihr eigenes Kind zu freuen. Im Gegenteil!
Lag nicht in ihrem Blick ein Vorwurf für ihn, weil sie nun noch einmal all das durchmachen musste, was so sinnlos war?
Er stand jäh auf. »Ich muss einmal nach der Bleß sehen, sie ist so krank«, sagte er.
Später, als Baronin Karen allein war, wurde ihr zarter Körper von heftigem Weinen geschüttelt.
»Lass ein Wunder geschehen, Herrgott«, murmelte sie. –
***
Die Wochen und Monate schlichen für Karen von Bentheim nur dahin. Frieda wünschte die Zeit am liebsten aufzuhalten. Aber sie stand still, und eines schönen Tages war es so weit, dass alle Bescheid wussten.
Die Mamsell rief sie zu sich und nahm sie ins Gebet.
»Wer ist der Vater?«, wollte sie wissen.
Aber Frieda schwieg. »Ich weiß es nicht«, sagte sie endlich und würde wohl niemals den Blick tiefster Verachtung vergessen, der sie jetzt traf.
»Das hätte ich allerdings nicht von dir erwartet«, erwiderte die alte Frau streng.
Und am nächsten Sonntag floh sie vor all den neugierigen, hämischen Blicken der anderen Mädchen und Knechte. Sie hätte sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen. Frieda strebte dem Wald zu. Dort war Ruhe und Einsamkeit. Dort würde niemand sein, der sie verachtete. Sie hielt den Kopf gesenkt, und sah die Frau gar nicht, die auf einem Rad auf sie zukam.
»Hallo, Frieda«, rief die Hebamme.
Das junge Ding schreckte heftig zusammen.
»Ach, Sie sind es«, flüsterte es dann und zitterte am ganzen Körper.
Anna Fischer stieg von ihrem Rad.
»Komm mit!«, forderte sie das junge Mädchen auf. »Ich habe eine Torte gebacken, weil ich Besuch erwartete, nun sitze ich allein davor.«
Frieda zögerte noch, aber das gütige Lächeln Anna Fischers ließ ihre Abwehr schmelzen.
Anna Fischer versorgte sie später wie eine Tochter. Und Frieda tat die Wärme und die Güte der alten Hebamme wohl.
Erst beim Abschied, es dunkelte bereits, kam Frau Fischer auf das zu sprechen, was sie beide verband.
»Wie geht es dir, Frieda? Freust du dich schon ein kleines bisschen auf das Kind?«
Anna Fischer hatte in der Beziehung Erfahrung. Manche Mutter wollte ihr Kind nicht, aber je länger es unter ihrem Herzen wuchs, umso vertrauter wurde es ihr.
»Ich mich freuen?« Frieda lachte hart und bitter. »Nein, niemals. Ich wünschte noch heute, ich bekäme es nicht!«
Der Ausbruch kam so plötzlich, dass Anna Fischer zurückschreckte.
»Besuch mich einmal wieder«, rief sie dem Mädchen nach.
Aber sie war davon überzeugt, dass Frieda sie gar nicht mehr hörte.
Aber gottlob wurde für Frieda alles besser, als die Herrin von ihrem Zustand erfuhr. Frieda hatte im Stillen gefürchtet, dann entlassen zu werden.
Aber Karen von Bentheim ließ das Mädchen kommen. Welcher Mensch konnte wohl mehr mit dem Mädchen fühlen als sie? Sie ahnte, was Frieda durchmachte.
»Habe keine Angst, Frieda. Auch nach der Geburt deines Kindes behältst du deine Stellung«, versicherte sie freundlich.
Karen von Bentheim lächelte ein bisschen schmerzlich.
Das ängstliche Gesicht des Mädchens hellte sich jäh auf. Ein Strahlen glitt darüber, und bevor sich Baronin Karen versah, sank Frieda vor ihr auf die Knie und küsste ihre Hand.