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Ein zerlumpter, rothaariger Mann taumelte durch die Steinwüste der Berge Andorras. Er schwitzte, während er die steil ansteigende Schotterstraße entlangstolperte. Vor ihm ragte eine Zwingburg in den Himmel. Die Ringmauer war zerbröckelt, die Außengebäude waren verfallen, nur noch Ruinen. Das u-förmige Hauptgebäude aber, zwischen dessen Flügeln sich ein mächtiger, alles überragender Burgfried erhob, konnte noch Jahrhunderte überdauern. Wind und Wetter hatten seinen dunklen Quadersteinen nichts anhaben können.
Der rothaarige Mann wankte zum Tor, dessen Klopfer aus einem zwanzig Pfund schweren Drachen bestand. Dumpf hallten die Schläge des schweren eisernen Klopfers.
Jemand spähte durch eine seitlich in der Wand befindliche Luke, dann wurde der eine Torflügel geöffnet. Der erschöpfte Mann wäre in den Innenhof gefallen, hätte ihn nicht ein breitschultriger blonder Hüne aufgefangen.
»Alle Wetter! Das ist doch Richard Steiner. Ich dachte, den könnten wir abschreiben. Unter welchem Stein ist der denn hervorgekrochen ...?«
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Seitenzahl: 143
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Was bisher geschah
TANZ DER FURIE
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
mystery-press
Vorschau
Impressum
Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen.
Bald kommt Dorian seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren. Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten.
Als Rückzugsort in seinem Kampf bleibt Dorian neben der Jugendstilvilla in der Baring Road in London noch das Castillo Basajaun in Andorra, in dem er seine Mitstreiter um sich sammelt – darunter die ehemalige Hexe Coco Zamis, die aus Liebe zu Dorian die Seiten gewechselt hat. Kurz nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Martin versteckt Coco diesen zum Schutz vor den Dämonen an einem Ort, den sie selbst vor Dorian geheimhält.
Bald darauf veranlassen die Erinnerungen an seine Existenz als Michele da Mosto Dorian, nach der Mumie des Dreimalgrößten Hermes Trismegistos zu forschen. Er findet jedoch »nur« den Steinzeitmenschen Unga, der Hermon einst gedient hat und der sich nach seinem Erwachen schnell den Gegebenheiten der Gegenwart anpasst.
Auf Island gewinnt Dorian den Kampf um das Erbe des Hermes Trismegistos und richtet sich in dessen Tempel ein. Wie es sein Vorgänger Grettir prophezeit hat, verspürt Dorian schon bald keinen Drang mehr, in sein altes Leben zurückzukehren, zumal er von seinen Freunden seit Monaten für tot gehalten wird: Nur Coco, die einen Doppelgänger von Dorian vernichtet hat und seitdem als seine Mörderin gilt, weiß, dass Dorian, ausgestattet mit den Kräften des Hermes Trismegistos, die Gestalt des harmlosen Richard Steiner angenommen hat.
Kurz darauf erwachen in Dorian Erinnerungen an sein fünftes Leben als Tomotada: Wie es aussieht, ist der »Samurai des Teufels« in der Gegenwart auf einmal wieder aktiv. Auf der Suche nach Tomotada stoßen Dorian, Coco und Unga auf eine geheimnisvolle Puppe, die O-toku-San, in deren Kopf sich sieben Goldbarren verbergen. Darin sind Informationen über den Kokuo no Tokoyo alias Olivaro gespeichert, dem Dorian in seinem Leben als Tomotada gedient hat. Offenbar wird Olivaro von einer fremden Macht bedroht. Auf der Vulkaninsel der Hexe Lania gelingt es Dorian beinahe, die Barren an sich zu bringen ...
TANZ DER FURIE
von Earl Warren
Ein zerlumpter, rothaariger Mann taumelte durch die Steinwüste der Berge Andorras. Die Sonne brannte heiß vom Himmel. Er schwitzte, während er die steil ansteigende Schotterstraße entlangstolperte. Vor ihm ragte ein merkwürdiges Bauwerk in den Himmel – eine Zwingburg, die mit keiner der anderen Burgen in Spanien und Frankreich zu vergleichen war. Die Ringmauer war zerbröckelt, die Außengebäude waren verfallen, nur noch Ruinen.
Das u-förmige Hauptgebäude aber, zwischen dessen Flügeln sich ein mächtiger, alles überragender Burgfried erhob, konnte noch Jahrhunderte überdauern. Es schien wie für die Ewigkeit gebaut. Wind und Wetter hatten seinen dunklen Quadersteinen nichts anhaben können.
An der Vorderfront des Hauptgebäudes gab es ein Doppeltor, ein eindrucksvolles Portal. Die Giebelseite des Portals und die Wände rechts und links waren mit fantastischen Reliefs geschmückt. Der Türklopfer bestand aus einem zwanzig Pfund schweren geflügelten Drachen.
Der rothaarige Mann trat nun auf die Stufe und wankte zu dem einen Tor hin. Er lehnte sich schwer dagegen, vollkommen ausgelaugt. Es bereitete ihm Mühe, den Türklopfer zu betätigen. Dumpf hallten die Schläge des schweren eisernen Klopfers.
Der rothaarige Mann wartete eine Weile und klopfte dann wieder. Stimmen ertönten hinter dem Tor, Stimmen von Männern und Frauen. Jemand spähte durch eine seitlich in der Wand befindliche Luke, die einer schmalen Schießscharte ähnelte. Dann wurde der eine Torflügel geöffnet.
Der erschöpfte Mann wäre in den Innenhof gefallen, hätte ihn nicht ein breitschultriger blonder Hüne aufgefangen. Zwei Frauen und zwei Männer, zwei davon außergewöhnliche Erscheinungen, standen hinter ihm. Einer der Männer war rundlich und stämmig und hatte ein breites, rosiges Gesicht. Er hielt in der Linken einen Dämonenbanner und in der Rechten eine Leuchtpistole. Sie verschoss Leuchtkugeln, die zu Dämonen vernichtenden Signalen aufflammten.
»Alle Wetter!«, rief der blonde Hüne. »Das ist doch Richard Steiner. Ich dachte schon, den könnten wir abschreiben. Unter welchem Stein ist der denn hervorgekrochen?«
Die Stimme verriet, dass der Sprecher für den rothaarigen Mann keinerlei Sympathie empfand.
Der Rothaarige hob mühsam den Kopf und schaute auf die grünäugige, schwarzhaarige Frau. Sie trug elegante Lederstiefeletten, Jeans und eine grüne Hemdbluse, die ihre großen Brüste gut zur Geltung brachte.
Langes, schwarzes Haar fiel über ihre Schultern herab. Sie hatte eine Ausstrahlung, die jeden Mann reizen musste, und wirkte zugleich etwas geheimnisvoll. Die Frau war gewiss kein Mädchen, das in einem Büro arbeitete und ein alltägliches Leben führte.
»Coco«, stammelte der erschöpfte Mann. »Endlich! Es hat lange gedauert, Coco. Ich ...« Er fiel in Ohnmacht.
Coco Zamis, die schöne Hexe aus edlem Geblüt, trat näher. Sie musterte den dürren, rothaarigen Mann. Er war von Strapazen gezeichnet und sah sehr mitgenommen und zerzaust aus. Prüfend schaute Coco ihn an und konzentrierte ihre geschärften Sinne. Sie konnte keine dämonische Ausstrahlung wahrnehmen, nur eine besondere, kaum merkliche Schwingung, die sie aber zu deuten wusste und die ihr die letzten Zweifel nahm.
»Das ist Richard Steiner, mein guter Freund«, sagte sie. »Es besteht keine Gefahr. Wir werden ihn in ein Gästezimmer bringen.«
Der blonde Hüne, der Däne Abi Flindt, brummte etwas Unverständliches. Nachdem sie sich überzeugt hatten, dass sonst niemand in der Nähe war, trugen zwei von den Männern den Bewusstlosen durch die große Halle mit den vierundzwanzig Bestiensäulen.
Der blonde Hüne und ein schwarzhaariger Athlet, der ihn noch um fast einen ganzen Kopf überragte, trugen den Bewusstlosen mühelos. Der Schwarzhaarige maß gut zwei Meter und war hervorragend proportioniert.
Sein männlich schönes Gesicht hätte ihm zu einer Filmkarriere verhelfen können. Aber dieser Mann war alles andere als ein Filmheld. Er hieß Unga und war Jahrtausende alt. Als echter Cro Magnon in der Steinzeit geboren, hatte er durch Magie bis in die Neuzeit überlebt.
Den beiden Trägern folgten Coco Zamis, der Urbayer Burian Wagner und die schöne blondhaarige Ira Marginter.
Richard Steiner wurde die Treppe hochgebracht und in einem der Gästezimmer des Castillo Basajaun auf ein Bett gelegt. Coco und Ira kümmerten sich um ihn. Unga, der Richard Steiners Geheimnis, seine wahre Identität, ebenso wie Coco Zamis kannte, wich nicht aus dem Zimmer. Abi Flindt konnte Steiner nicht leiden; er blieb erst recht. Und auch Burian Wagner ging nicht. Er war neugierig und hatte außerdem nichts Besseres zu tun.
Wagner war ein Naturheilpraktiker, der auf verschlungenen Wegen zur Besatzung von Castillo Basajaun, dem Hauptstützpunkt der Dämonenbekämpfer, gefunden hatte. Er schnupfte Tabak und maulte, seit er auf Basajaun war, weil es kein vernünftiges Bier gab. An Wein konnte er sich nicht gewöhnen. Das französische oder spanische Bier, das mit den Lebensmittellieferungen auf die Burg kam, bezeichnete er als schlichtweg ungenießbar und nur zum Füßewaschen geeignet.
Richard Steiner schlug nach einer Weile die Augen auf. Er schaute sich in dem modern eingerichteten Gästezimmer um. Bis auf den Rittersaal und einige andere historisch eingerichtete Räume war das Innere der Burg völlig umgestaltet worden. Es gab jetzt Büros, Arbeits- und Forschungsräume, einen Vortrags- und Diskussionsraum und bequeme Zimmer und Aufenthaltsräume für die Burgbewohner.
Richard Steiner schaute die Männer und Frauen an, die ihn ihrerseits gespannt betrachteten. Er lächelte schüchtern. »Wie komme ich hierher?«, fragte er.
»Das wollten wir dich fragen«, sagte Abi Flindt. »Es ist Wochen her, seit wir uns in Tokio getrennt haben. Wir haben dich vor dem Tor gefunden und ins Gästezimmer getragen. Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt, Steiner?«
Richard Steiner blinzelte kurzsichtig. Seine Nickelbrille steckte in der Tasche seiner Lumpen. Coco und Ira Marginter hatten ihm Wein eingeflößt und ihm ein Kreislauf stärkendes Medikament gegeben.
»Wenn ich das wüsste, wäre mir wohler«, sagte er. »Ich wurde schon auf dem Flughafen von Tokio entführt, kurz nachdem ich mein Ticket gekauft hatte. Ich weiß nicht einmal, wer mich wegholte und wie ich fortgebracht wurde. Ich muss unter einem starken magischen Bann gestanden haben.«
»Oder man hat dir durch Magie oder Hypnose die Erinnerung geraubt«, warf Coco ein.
»Das ist auch möglich. Jedenfalls fand ich mich auf einer Vulkaninsel wieder, in der Gewalt einer Hexe namens Lania. Zwischen dieser Hexe und einem Dämon, der Halmahera hieß und offiziell ein Tierfänger war, tobte ein erbitterter Kampf. Die ganze Insel ging unter. Ich konnte mich in ein Wasserflugzeug retten, mit dem ein paar von Halmaheras menschlichen Sklaven flüchteten. Dann muss wieder irgendetwas vorgefallen sein. Jedenfalls erwachte ich vor drei Tagen in der Nähe von Madrid, in einem bejammernswerten Zustand und ohne zu wissen, wie ich dorthin gekommen war. Mit viel Mühe schlug ich mich nach Andorra zum Castillo Basajaun durch.«
Abi Flindt runzelte skeptisch die Stirn. »Das ist aber eine wüste Story, Steiner.«
»Ich kann Ihnen keine andere erzählen. Tut mir leid, wenn sie sich unwahrscheinlich anhört.«
Abi Flindt hätte noch einige Fragen gestellt, aber Coco sagte energisch: »Richard ist erschöpft und braucht Ruhe. Ich werde noch eine Weile bei ihm bleiben. Ihr anderen geht jetzt bitte!«
Burian Wagner hob die Schultern und ging als Erster hinaus. Ira Marginter, Unga und schließlich auch der Däne folgten ihm.
Flindt schnitt auf dem Korridor eine Grimasse. »Ich kann mir schon denken, was da drinnen jetzt vorgeht«, sagte er. »Coco sollte sich schämen, sich schon so kurz nach Dorian Hunters Tod einem anderen Mann an den Hals zu werfen. Und auch noch Steiner! Ich möchte wissen, was sie an ihm findet.«
»Wenn sie sich für dich entschieden hätte, würde es dich wohl weniger stören, Abi«, sagte Ira Marginter anzüglich. »Dorian Hunter ist tot. Coco musste ihn mit eigener Hand töten, weil er von Dämonen besessen war und es keine Rettung mehr für ihn gab. Das ist sehr schlimm, aber nicht zu ändern. So wenig Zeit ist übrigens seit dem Tod des Dämonenkillers nicht vergangen. Soll Coco nun vielleicht bis zum Ende ihrer Tage wie eine Nonne leben?«
»Mir gefällt dieser Steiner nicht«, sagte Abi Flindt. »Und dass Coco ein Verhältnis mit ihm hat, gefällt mir auch nicht. Aber meine Sache ist das nicht. Obwohl ich immer das Gefühl habe, dass wir mit diesem Steiner noch einmal eine große Überraschung erleben werden – und wohl keine angenehme.«
»Das ganze Gerede bringt nichts ein«, sagte Burian Wagner, der Bayer mit den ledernen Kniehosen. »Ich geh jetzt in den Aufenthaltsraum und probiere, ob endlich besseres Bier geliefert worden ist. Kommst du mit, Abi?«
»Nein, ich habe zu tun. Ich will einem parapsychologischen Versuch beiwohnen, den Burke Kramer mit Tirso anstellt.« Er sah auf die Uhr. »Ich bin ohnehin schon zu spät.« Schnell ging er den Gang hinunter, ein verschlossener, verärgerter Mann.
Burian Wagner trollte sich zu seinem Bier, und auch Ira Marginter hatte etwas zu tun. Unga blieb allein zurück. Der Cro Magnon wartete, bis er keinen von den anderen mehr sah, dann klopfte er an die Tür des Gästezimmers.
»Ich bin es – Unga«, sagte er leise.
Coco schloss auf und öffnete. Der Cro Magnon trat ein, und Coco versperrte die Tür hinter ihm wieder. Es war eine berechtigte Vorsichtsmaßnahme. Richard Steiner saß auf der Bettkante und hatte sich offenbar sehr rasch erholt. Selbst sein Gesicht wirkte nicht mehr so eingefallen.
Ungas Gesicht spiegelte ehrliche Freude wieder. Er drückte Steiner die Hand. »Dorian«, sagte er, »was ist wirklich vorgefallen? Diese Geschichte, die du den anderen erzählt hast, stimmt doch nicht, oder?«
»Nur ein paar Dinge sind wahr. Die Hauptsache habe ich verschwiegen. Euch will ich sagen, was vorgefallen ist. Wir werden bald eine Reise unternehmen müssen, nach Jerusalem. Aber ich will der Reihe nach erzählen.«
Steiner schenkte sich ein Glas Wein ein. Coco und Unga nahmen Stühle und setzten sich.
Der dürre, etwas weltfremd wirkende Gelehrtentyp Richard Steiner war in Wirklichkeit Dorian Hunter, der Dämonenkiller. Dorian hatte mit dem magischen Vexierer das Äußere Richard Steiners angenommen. Er schlüpfte öfter in die Maske dieser Figur. Ein Doppelgänger des Dämonenkillers war von Coco Zamis getötet worden. Dorian Hunter aber hatte das Vermächtnis des Hermes Trismegistos angetreten. Damit war er selbst der Dreimalgrößte Hermes geworden.
Es passte ihm gut, als tot zu gelten. So hatte er viel mehr Handlungsfreiheit beim Kampf gegen die Dämonen und böse übernatürliche Mächte. Er konnte die gewaltigen Machtmittel des Dreimalgrößten Hermes besser einsetzen.
Nur Coco Zamis und Unga kannten die volle Wahrheit. Und der Puppenmann Don Chapman und seine Gefährtin Dula, die auf dem Hof der álfar in Island lebten, kannten ungefähr die Zusammenhänge. Sie waren aber zu strengem Stillschweigen verpflichtet.
Dorian Hunter erzählte von dem Zeitpunkt an, als er sich in Tsuwano, in Japan, von Coco getrennt hatte, bis hin zur Zerstörung der Insel durch einen Vulkanausbruch. Dabei durchlebte er die Geschehnisse noch einmal. Es war ihm, als säße er wieder in dem Wasserflugzeug, das einem unbekannten Ziel entgegenflog.
Nackt stand ich im Passagierraum des Wasserflugzeugs, etwas gebückt, denn die Decke war sehr niedrig. Es gab sechs Plätze, auf denen man sich kaum rühren konnte. Halmahera, der Dämon, lag quer über den letzten beiden. Er hatte sich im Tode schwarz verfärbt. Sein Gesicht, zuvor das eines Menschen, eines Japaners, wies jetzt eine Schuppenhaut auf. Im geöffneten Mund bleckten spitz gefeilte Zähne, und die gebrochenen Augen starrten glasig in die Luft.
Auf den beiden Sitzen vor dem Dämon lagen die sechs goldschimmernden Memory-Barren. Draußen vor den Bullaugen sah ich nichts als hellen Nebel. Die Maschine flog in einer magischen Sphäre.
Ich hielt den Vexierstab, den magischen Zirkel und den Kommandostab in der Hand. Als Kappa hatte ich die magischen Werkzeuge in einer verborgenen Hautfalte getragen. Jetzt wusste ich im Moment nicht, wohin damit.
Ich sah an Richard Steiners magerer, knochiger Figur hinunter. Ein Adonis oder ein Athlet war der gute Richard wahrlich nicht. Als Dorian Hunter war ich einen anderen Körper gewöhnt gewesen. Aber die Kraft und Geschmeidigkeit des Dorian-Hunter-Körpers konnte mir jetzt nicht helfen. Ich musste mich auf List und Täuschung verlassen.
Als Erstes brauchte ich Kleidung. Ich durchstöberte die Maschine. Es war nichts zu finden. Auch im Laderaum, den der Dämon Halmahera zum Tiertransport benutzt hatte, trieb ich nichts auf.
Ich begab mich ins Cockpit. Es sah geisterhaft aus, wie der Steuerknüppel sich bewegte. Die Instrumente zeigten alle nichts an. Auch der Treibstoffanzeiger stand auf null, aber die beiden Motoren liefen regelmäßig.
Ich musste ziemlich hoch fliegen, denn es war kalt, und ich fror. Durch die Plexiglaskuppel der Maschine sah ich nur schimmernden Nebel. Bei dem Flugzeug handelte es sich um eine alte Piper, ein Wasserflugzeug, das etliche Tausend Betriebsstunden hinter sich hatte. Es schien aber alles recht gut in Schuss zu sein.
Ich begab mich wieder in den Passagierraum. Da es sonst nichts zum Anziehen gab, entkleidete ich den toten Dämon Halmahera. Ich zerriss seine Kleider und schleifte die Fetzen ein paarmal über den Boden. Diese Lumpen streifte ich dann über.
Im Spiegel der Bordtoilette betrachtete ich Richard Steiners blasse, sommersprossige Physiognomie. Sie sah nicht schlecht aus und erweckte auch den Eindruck eines etwas weltfremden Charakters, der niemandem etwas zuleide tat. Das konnte mir nur recht sein. Ich wollte jener unbekannten Macht, die das Flugzeug entführte, erzählen, ich sei zufällig in den Sog der dämonischen Ereignisse geraten. Ich hoffte, dass man mich dann als harmlos einstufen würde.
Da ich nun Kleider hatte, konnte ich auch mein magisches Werkzeug wieder einstecken.
Der Flug dauerte bestimmt schon über eine Stunde. Ich hatte keine Uhr, und die Uhr an der Instrumententafel im Cockpit stand. So musste ich mich auf mein Zeitgefühl verlassen.
Um mir die Zeit zu vertreiben, nahm ich einen der Memory-Barren. Wenn ich ihn in der Hand hielt, spürte ich ein leichtes Prickeln. Irgendwie musste ich an das Wissen herankommen, das dieser Barren barg. Ich versuchte es mit dem Kommandostab, der magischen Rute, die sich teleskopartig zusammenschieben ließ und vorn ein verdicktes Ende hatte. Dieses fantastische Werkzeug bestand aus einem knochenähnlichen Material unbekannter Herkunft. Man konnte es nicht ritzen, und auch Hitze machte ihm nichts aus – zumindest nicht die Hitze eines normalen Feuers.
Ich setzte mich nieder, berührte den Goldbarren in meinem Schoß mit dem Kommandostab, schloss die Augen, konzentrierte mich voll auf den Barren und wünschte mir, das in ihm gesammelte Wissen sollte in mein Gehirn überströmen.
Einen Augenblick schien mein ganzer Körper in ein schwaches magnetisches Feld gehüllt zu sein. Es prickelte an allen Stellen. Dann spürte ich, wie mir bisher unbekannte Dinge übermittelt wurden. Es war der Traum eines jedes faulen Schülers. Ich hatte das Wissen in meinem Gehirn, ohne dass ich mich anzustrengen brauchte. Es floss mir zu.
Wie viel Zeit verging, wusste ich nicht. Die Informationen des Memory-Barrens nahmen mich gefangen. Fremdartig und faszinierend war es, was ich da erfuhr.