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Der junge Graf Udo von Plessentin unterhält eine Liaison mit der schönen Liliane. Als er diese jedoch eines Tages in flagranti mit einem anderen Mann im Schlafzimmer ihres kleinen Landhauses nahe Paris erwischt, endet das Geschehen tragisch. Die Liebesbeziehung der beiden zerbricht. Doch sollen sich Udo und Liliane Jahre später noch einmal begegnen. Können sie nach all der Zeit überwinden, was an jenem schicksalhaften Tag geschah? -
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Seitenzahl: 550
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Hedwig Courths-Mahler
Saga
Durch Liebe erlöst
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1915, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726950236
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
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Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com
Graf Udo Plessen von Plessentin war ver deutscher Botschaft in Paris zugeteilt. Sein Vater, Graf Herbert Plessen von Pressentin, war der unumschränkte Herr eines fürstlichen Besitzes. Schloss und Gut Plessentin waren im weiteren Umkreise bekannt.
Vor mehreren Jahren hatte Graf Udo seine Mutter verloren, als sie einem Töchterchen das Leben gab. Damals zählte er bereits 20 Jahre und war eben im Begriff, die Universität in Bonn zu beziehen.
Er schob dieses Vorhaben noch eine kurze Zeit hinaus, um seinem Vater in der traurigen Zeit zur Seite zu stehen. Dieser trug schwer am Verlust der geliebten Frau.
Gräfin Ulrike war noch nicht 40 Jahre alt, als sie starb. Ihr gütiges Wesen hatte sie überall beliebt gemacht. Da war es kein Wunder, wenn Graf Herbert den Verlust seines Weibes kaum zu tragen vermochte. And Udo betrauerte in ihr die innig geliebte Mutter.
Man hatte sie hinausgetragen in die kühle Gruft des Plessentiner Schlosses. Statt ihrer Hatte nun ein winziges Mädchen seinen Einzug ins Schloss gehalten.
Der Vater mochte in seinem starren Schmerze nichts von dem Kinde sehen und hören. War es doch die Ursache vom Tode der geliebten Frau.
Udo erbarmte sich des kleinen Wesens. Es tat ihm leid in seiner Hilflosigkeit. Er betrachtete die Schwester als ein teures Vermächtnis der Mutter und liess dem Vater nicht eher Ruhe, bis er den ungerechten Groll gegen Klein-Hella gemildert hatte.
Erst dann, als der Vater es über sich gewann, das Kind anzusehen, und sich überhaupt wieder dem Leben zuwandte, reiste er ab nach Bonn. Sein Vater verwand jedoch nie ganz die Trauer um sein Weib. Er wurde nie mehr der frohe, lustige Weltmann früherer Tage. Still und zurückgezogen lebte er auf Plessentin, und nur, wenn Udo in den Ferien nach Hause kam, war Leben in dem grossen Schloss.
Klein-Hella wuchs trotz der trüben Umgebung froh und vergnügt auf. Sie war ein echtes und rechtes Sonnenfind mit dem goldig schimmernden Haar und den strahlenden Blauaugen der Mutter.
Als sie erst auf den drallen Beinchen durch die weiten Räume des Schlosses tollte und lachend und schmeichelnd wie ein zwitscherndes Vöglein den Vater umkoste, als ihre Aehnlichkeit mit der Mutter mehr und mehr hervortrat, da schwand des Grafen Groll auf das liebliche Kind mehr und i mehr.
So gingen die Jahre hin. Udo hatte längst seine Studien beendet und war der deutschen Botschaft in Paris zugeteilt worden. Da kam er dann seltener nach Hause. Er schickte aber dem Schwesterchen oft schöne Geschenke und kleine, herzliche Briefchen, die sie dann mühsam mit ihren ersten Krakelfüssen beantwortete.
Stillsitzen und Lernen war Hella ein Greuel, es kribbelte dann ungeduldig in den kleinen Füsschen, und die Augen blickten über die dummen Bücher sehnsüchtig zum Fenster hinaus.
Da stand es nun schlecht, wenigstens mit der Gelehrsamkeit. Aber reiten und klettern konnte sie vorzüglich, da nahm sie es mit dem wildesten Jungen auf.
Graf Herbert liess sein Töchterchen aufwachsen wie einen Naturburschen, das Stillsitzen und Lernen würde sie schon noch gewohnt werden, wenn sie vernünftiger wurde. So tröstete er jedesmal Hellas Erzieherin, wenn sich diese über die Unaufmerksamkeit Hellas bei ihm beklagte.
○○○
Der junge Graf gefiel sich in Paris sehr gut. Er genoss sein Leben in vollen Zügen, ohne jedoch auszuarten.
Seine grosse natürliche Liebenswürdigkeit machte ihn überall beliebt. Er wurde von den Damen der Gesellschaft in jeder Weise verwöhnt und besass sehr viele Freunde. Dass er trotzdem keine Miene machte, sich zu vermählen oder überhaupt eine der Damen auszuzeichnen, fiel auf. Man wollte ihn zuweilen mit einer bildschönen jungen Dame gesehen haben, die nicht zur Gesellschaft gehörte. Er wurde von seinen Freunden deshalb oft geneckt, bis er eines Tages sich energisch diese Neckereien verbat.
Natürlich sprach man in seiner Abwesenheit nun erst recht davon, und es wurde bald allgemein bekannt, dass Graf Udo Plessen ein Liebesverhältnis mit einer Dame hatte, die ausserhalb seines Kreises leben musste. Vorwitzige suchten ihm nachzuforschen und frugen wohl auch heimlich seinen Kammerdiener aus, aber der war vorsichtig — man erfuhr nichts Näheres.
Da war er eines Tages verstört, bleich und elend in seine Wohnung zurückgekehrt. Wie ein Wahnsinniger war er an seinem Diener vorüber in sein Zimmer gestürmt, hatte hinter Fich zugeschlossen und war bis zum nächsten Tage nicht mehr zum Vorschein gekommen. Er hatte weder gegessen noch geschlafen und war nur rubelos auf und ab gegangen. Der Diener hörte ihn zuweilen aufstöhnen, wie in höchster Seelenqual.
Als er am nächsten Tage aus seinem Zimmer trat, erschrak der Diener bei seinem Anblick. So furchtbar verändert hatte sich das sonst so lebensfrohe, strahlende Gesicht, dass der Diener an eine schwere Krankheit seines jungen Herrn glaubte.
„Befehlen Herr Graf, dass ich den Arzt hole?“ hatte er gefragt.
Udo hatte den Kopf geschüttelt und ihm mit der Hand zugewinkt. Dann war er ausgefahren. Als er nach einigen Stunden wieder zurückkehrte, schien er in Schmerz und Grauen über ein Erlebnis wie erstarrt. Und dann hatte er sich auf das Ruhebett geworfen und stundenlang starr zu der Decke emporgesehen.
Gegen Abend war ein Telegramm von Schloss Plessentin angekommen.
„Graf Herbert Plessen schwer an Lungenentzündung erkrankt. Gefahr. Bitte sofort kommen. Meinel, Kammerdiener.“
Das Telegramm brachte Leben in Udos Erstarrung. Er sprang auf und befahl, alles zur Abreise bereit zu machen. Dann eilte er aufs Amt, um sich zu beurlauben, und zwei Stunden später war er unterwegs nach der Heimat.
○○○
In einem kleinen hübschen Landhaus bei Paris wohnte seit Monaten eine sehr schöne junge Dame mit ihrer Dienerin. Das Häuschen lag ganz im Grünen und weit ab von anderen Behausungen. Jeden Tag um die Dämmerstunde fuhr ein Wagen vor, dem ein hochgewachsener junger Mann entstieg. Er eilte stets mit ungeduldigen Schritten ins Haus und wurde dort von der schönen jungen Dame begrüsst. Er nannte sie mit den zärtlichsten Namen, und sie liess sich lächelnd seine überschwenglichen Liebkosungen gefallen.
Einige Tage vor seiner Abreise war Graf Udo — dieser war der junge Herr — zu einer anderen Tageszeit als sonst zu dem kleinen Landhaus hinausgefahren. Er hatte den Wagen schon früher halten lassen und war lächelnd auf das Häuschen zugeschlichen. Galt es doch, die geliebte Frau zu überraschen.
Leise hatte er mit seinem Schlüssel die Tür geöffnet und war eingetreten. Die Dienerin, der er im Flur begegnete, erschrak heftig bei seinem Anblick und wollte ihm den Weg vertreten. Er schob sie lächelnd beiseite.
Da hörte er plötzlich das laute Lachen einer Männerstimme aus dem Zimmer der geliebten Frau erschallen. Erstaunt wandte er sich nach der Zofe um. In deren Gesicht stand deutlich die Angst und das Schuldbewusstsein zu lesen. Wieder wollte sie ihn zurückhalten; er blickte forschend in ihre Züge. Da — wieder dasselbe Lachen.
Er zuckte zusammen. Sinnlos vor Eifersucht trat er schnell in das Zimmer; seine Hand hatte einen Revolver vorgezogen. Mit dunkel gerötetem Gesicht stand er auf der Schwelle. Da lag die Frau, der fein ganzes Herz gehörte, in nachlässiger Grazie auf dem Ruhebett, ihr zur Seite kniete ein junger Mann, hielt sie umschlungen, und die beiden küssten sich und waren so vertieft in zärtliches Kosen, dass sie den Eintretenden gar nicht bemerkt hatten.
Plötzlich krachte ein Schuss. Entsetzt schrie die Frau auf, und ihr Liebhaber fank getroffen zu Boden.
Der andere lehnte an der Tür und sah mit Grauen auf sein Opfer herab. Der rote Nebel sinnloser Eifersucht war vor feinen Augen verschwunden. Er sah mit Entsetzen, was er in massloser Leidenschaft getan. Dann blickte er starr auf das schöne Weib, das sich bald erhoben hatte und ihm voll Furcht und Grauen ins Gesicht starrte.
„Das ist dein Werk!“ rief er tonlos, und dann stürzte er davon, wie von Furien gejagt. —
Am anderen Tage war er nochmals in das kleine Haus zurückgekehrt. Er fand nur die Dienerin, die ihm zitternd auf seine Fragen Auskunft gab.
„Wo ist Madame?“
,,Abgereist, gnädiger Herr!“
„Und — was ist mit — mit — ihm geschehen?“
Diese Frage schien ihm viel Ueberwindung zu kosten. Die Zofe reichte ihm einen Brief.
„Darüber wird Ihnen der Brief Auskunft geben, gnädiger Herr!“
Dieser griff mit zitternder Hand danach und wischte über die Augen, als ob er etwas entfernen wollte. Dann öffnete er den Brief. Er lautete:
„Ich fliehe vor Dir, denn ich fürchte mich. Du hast in blinder Wut einen Mann erschossen, der einst mein Freund war, mein Jugendgeliebter. Lange Jahre blieb er der Heimat fern. Heute war er zurückgekehrt und die alte Liebe erwachte in unseren Herzen. Ich fühlte es, dass ich Dich nie geliebt habe — nie — aber ich wurde Dein, weil Du mich aus Armut und Not errettetest und mich mit Glanz und Wohlleben umgabst. Du hast meinen Geliebten ermordet, mir graut vor Dir, aber ich will Dich nicht den Gerichten überliefern.
Mein Jugendfreund wird hier von niemand vermisst werden, ich habe ihn mit Babett diese Nacht beiseite geschafft — eine furchtbare Arbeit. — Ale Spuren sind verwischt.
Unserer Verschwiegenheit kannst Du sicher fein, wenn Du Babett zehntausend, mir hunderttausend Francs auszahlst. Babett wird mir folgen mit dem Gelde. Wir werden uns nie wiedersehen. Ich schwöre Dir, dass nie ein Mensch erfahren soll, dass Du zum Mörder geworden. Leb’ wohl und suche zu vergessen, wie ich es tun will. Liliane.“
Der junge Graf lehnte sich wie im Schwindel an die Wand und sah starr in das Gesicht der Zofe. Er hatte noch eine leise Hoffnung gehabt, der Verwundete wäre am Leben geblieben, diese war nun vernichtet.
Er wischte sich den kalten Schweiss von der Stirn. Etwas wie Mitleid blickte ihn aus den Augen der Zofe an.
,,Fassen Sie sich, gnädiger Herr,“ sagte sie jetzt leise.
Er richtete sich auf und riss zwei Blätter aus einem Buche.
Auf das eine schrieb er eine Anweisung von zehntausend, auf das andere von hunderttausend Francs. Die beiden Blätter händigte er dann der Zofe ein.
,,Erheben Sie das Geld bei meinem Bankier, Babett, und — und — nun, Sie werden wissen, was Sie dann zu tun haben. Ich — ich kann nicht darüber sprechen.“
Die Zofe küsste schnell feine Hand.
„Ich danke sehr, gnädiger Herr, und Sie sollten nicht so elend sein — es war ein Unglück, Herr — kein Verbrechen!“
Er winkte ihr zu und ging langsam, mit unsicheren Schritten hinaus. Die Eofe öffnete ihm die Tür. In ihrem Gesicht war deutlich ein unschlüssiges Zögern zu lesen.
,,Gnädiger Herr, Sie sind wirklich kein so grosser Verbrecher!“ rief sie ihm zu.
Aber er schien es kaum zu hören und stürmte hinaus.
Am Totenbett des Vaters.
Graf Udo war ohne Unterbrechung gereist. Mit bleichem Gesicht und unstet blickenden Augen hatte er während der ganzen Reise im Zuge gesessen, ohne etwas zu geniessen, als einige Gläser Wein. Sein Diener Franz, der ihn begleitete, frug an jeder Station nach seinen Befehlen. Udo winkte ihm jedoch immer nur mit der Hand ab.
Beim Morgengrauen traf er in Plessentin ein.
Er kam zu spät.
In der Nacht war Graf Herbert gestorben. Sein geschwächtes Herz hatte das hohe Fieber nicht bewältigen können. Ohne voll zum Bewusstsein zu kommen, war er hinübergeschlummert.
Sein Sohn stand mit schmerzdurchwühltem Gesicht an dem Totenbette des geliebten Vaters. Keine Träne brachte ihm Linderung. Mit trockenen und brennenden Augen sah er in die friedvollen Züge, bis er allein mit dem teuren Toten war, bis der Diener, der ihn hereingeführt, das Zimmer verlassen hatte.
Dann sank er in die Knie und drückte seine zuckenden Lippen auf die erkaltete Hand des Vaters.
„Vater, mein teurer Vater, es ist gut, dass du von mir gegangen bist, dass es dir erspart bleibt, deinen Sohn mit Schuld bedeckt zu sehen. Vater, hilf, dass ich’s trage, hilf, dass unser alter Name nicht befleckt wird, dass meine holde, kleine Schwester nie erfährt, was ich getan habe,“ flüsterte er und legte seine schmerzende Stirn auf die kalte Hand des Vaters.
Da kam etwas wie Ruhe über ihn. Wollte die tote Hand noch den Segen erteilen? Hatte Vaterliebe noch Macht über das Grab hinaus? Stundenlang blieb Udo mit dem Toten allein. Die Sonne ging auf und warf ihre Strahlen in das Sterbezimmer des Grafen Herbert.
Da wurde leise die Tür geöffnet. Leichte Kinderfüsse schritten über den Fussboden, und zwei weiche Arme umschlossen den Knienden.
„Udobruder, mein Udobruder!“
Jammernd sank Hella neben dem Bruder in die Knie, und ihr Köpfchen mit dem vom Weinen verschwollenen Gesicht barg sie an seiner Brust.
Er zuckte zusammen. Einen Augenblick schien es, als wollte er vor der Berührung zurückschrecken, dann aber legte er wie schützend den Arm um das weinende Rind, und ein Blick, in dem ein heisses Gebet zu liegen schien, flog zum Himmel empor.
In stummem Schmerz versunken knieten die Geschwister am letzten Lager ihres Vaters und beteten.
Später nahmen all die Geschäfte, die einen solchen Trauerfall zu begleiten pflegen, Udos Aufmerksamkeit in Anspruch. Er musste Befehle, erteilen und Anordnungen treffen. Die Todesanzeigen mussten fortgeschickt, das Begräbnis vorbereitet. werden.
Es gab eine Unmenge zu tun für den jungen Grafen. Und das war sehr gut. Es lenkte ihn ab von seinen düsteren Gedanken und half ihm über die schwerste Zeit hinweg.
Die Dienerschaft flüsterte darüber, dass der junge Herr gar so elend und verstört aussah. Es war ja gewiss schwer für ihn, dass sein Vater so schnell gestorben war. Aber gar so verzweifelt hätte er doch nicht zu sein brauchen, er ass kaum einen Bissen, und seine Augen blickten so verzweifelt, als sollte ihm niemals die Sonne wieder scheinen.
Franz, der Diener, den Udo mit in Paris gehabt hatte, setzte eine wichtige, allwissende Miene auf.
„Es ist nicht bloss der Tod des seligen Herrn Grafen, der ihn so heruntergebracht hat. Ich sage euch weiter nichts, aber wenn ich sprechen wollte — es gibt Abenteuer in Paris — Abenteuer — ihr macht euch keinen Begriff davon. Und eins kann ich euch sagen: Graf Udo war schon so elend und verstört, ehe wir eine Ahnung hatten, dass der alte Herr Graf erkrankt war.“
Man wollte mehr von ihm wissen. Da er aber selbst nichts wusste, dies aber nicht eingestehen wollte, zuckte er vielsagend die Achseln.
„Verschwiegenheit ist Ehrensache. Nur eins kann ich euch verraten: was in Paris passiert, hängt immer mit Weibsleuten zusammen. Sie haben da ein Sprichwort: Cherchez la femme, das heisst auf Deutsch: Sucht die Frau, die an der ganzen Sache schuld ist, dann habt ihr die Erklärung.“
Man sah den erfahrenen Mann ganz bewundernd an, und „Monsieur“ Franz ging in erhebendem Bewusstsein davon, eine wichtige Persönlichkeit zu sein.
Die nächsten Tage vergingen in Unruhe. Gäste trafen ein, die dem Grafen Herbert das letzte Geleit geben wollten. Man kondolierte Udo und fragte, ob man ihm irgendwie behilflich. sein könnte.
Auf all das musste Udo Rede und Antwort stehen. Dabei war ihm manchmal zumute, als wenn er laut aufschreien müsste, um sich von dem Banne zu befreien, der auf ihm lastete.
Auch für Hella musste er tröstende Worte finden, musste mit ihr sprechen und ihre Liebkosungen erwidern. Alles das erforderte seine ganze Kraft.
Als das Begräbnis endlich vorüber war, atmete er erleichtert auf und zog sich auf einige Stunden in sein Zimmer zurück.
Hella hatte er gesagt, dass er totmüde sei und schlafen wollte. Das Kind umschlang ihn liebevoll.
,,Geh, mein Udobruder, und schlaf dich aus. Ich lasse niemand in dein Zimmer, du sollst nicht gestört werden.“
Udo aber fand den heissersehnten Schlaf nicht. Seine Schuld Stand vor ihm und hielt ihm die Ruhe fern, und die Angst, dass diese seine Schuld ans Tageslicht kommen könnte, hielt ihn wie mit Geierkrallen gepackt.
Ob er nie seinen Frieden wiederfinden würde, ob er Zeit seines Lebens dieses würgende Gefühl mit sich herumschleppen musste? War es dann nicht besser, ein Ende zu machen?
Aber dagegen bäumte er sich auf. Mit einem feigen Selbstmord machte er seine Schuld nur grösser und — seine kleine Schwester wäre dann ganz verlassen gewesen. Nein — er wollte den Kampf mit dem Schicksal aufnehmen und Hella Vater und Mutter zu ersetzen suchen. Er wollte Not und Elend zu lindern versuchen und Gutes tun, soviel in seiner Macht stand. Das war eine bessere Sühne als feiger Selbstmord.
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Fünf Jahre waren seit dem Tode des Grafen Herbert vergangen. Die Gesellschaft in der Nachbarschaft hatte gehofft, dass nach Ablauf des Trauerjahres Schloss Plessentin wieder ein Schauplatz heiterer Geselligkeit werden würde. Darin hatte man sich jedoch getäuscht. Der junge Graf lebte fast noch zurückgezogener wie sein Vater.
Man zerbrach sich den Kopf darüber, was den früher so lebenslustigen Mann so still und ernst gemacht hatte. Herr von Brenken, ein Freund von Udos Vater, besuchte ihn eines Tages.
„Lieber Udo, ich kenne Sie schon seit Ihrer frühesten Kindheit, denn ich war ein treuer Freund Ihres Vaters. Ich kann es nicht länger mit ansehen, dass Sie sich hier in Plessentin wie ein Einsiedler eingraben. Sie bilden sich doch direkt zum Sonderling aus. Das Andenken Ihres teuren Vaters in Ehren — aber er würde nicht damit einverstanden sein, dass die Trauer um ihn Sie zum Menschenfeind macht.“
,,Das bin ich gewiss nicht, Herr von Brenken, ich finde nur keine Befriedigung mehr am lauten Treiben der Gesellschaft.“
,,Sie müssen sich aber doch verheiraten, lieber junger Freund, Sie sind der letzte Ihres Stammes. Soll er mit Ihnen aussterben?“
Udo machte ein gequältes Gesicht.
,,Das hat ja noch Zeit, ich bin noch so jung.“
„Schön — Sie müssen das ja selbst wissen; ich wollte nur einmal mit Ihnen sprechen. Auch an Ihr Schwesterchen müssen Sie denken. Wenn die erst zur jungen Dame heranwächst, muss sie doch in die Gesellschaft eingeführt werden“.
,,Meine Schwester ist noch ein Kind, damit eilt es nicht.“
,,Na ja, aber wirklich, lieber Udo, halten Sie sich nicht so ängstlich fern von froher Gesellschaft. Das ist in Ihren Jahren nicht gut.“
Herr von Brenken schüttelte Udo herzlich die Hand und ging.
Erreicht hatte er nichts. Udo hielt sich nach wie vor zurück. Konnte er einmal eine Einladung gar nicht umgeben, dann verhielt er sich still und wortkarg und stand in den Ecken herum.
Kamen zuweilen Gäste nach Plessentin, so wurden sie freundlich und aufmerksam bewirtet. Klein-Hella plauderte dann lustig drauf los und Udos Schweigsamkeit fiel nicht so auf.
Töchtergesegnete Familien versuchten natürlich alles, Udo für sich zu gewinnen, und mancher jungen Dame schlug beim Anblick des hübschen, schlanken Mannes mit den schwermütigen Augen das Herz recht unruhig in der Brust. Man fand ihn „rasend interessant“ und es hätte wohl keine gegeben, die nicht mit Freuden seine Frau geworden wäre.
Es verging aber Jahr um Jahr, ohne dass Udo Anstalten gemacht hätte, Plessentin eine Herrin zu geben.
Rührend war Udos Verhältnis zu seinem Schwesterchen. In ihrer Gegenwart suchte er, so schwer es ihm auch wurde, ein heiteres Gesicht zu machen. Hella hatte bald die Trauer um den Vater verwunden. Sie war ja noch ein Kind und ihre Gemütsanlage war sonnig und heiter. Sie suchte die Traurigkeit des inniggeliebten Bruders zu verscheuchen.
Sie jubelte bald wieder wie ein zwitscherndes Vöglein durch Park und Schloss. Wenn sie ins Dorf ging, um mit ihren kleinen Händen Gaben auszustreuen für Kranke und Arme, dann sahen die derben Bauern ganz andächtig in das holde Gesicht der kleinen Gräfin.
Ueberhaupt die Bewohner des Dorfes Plessentin hatten jetzt gute Zeit. Udo baute ihnen Schule und Kirche aus, errichtete ein Versorgungshaus für Arme und Kranke und war stets bereit, zu raten und zu helfen, wenn es seinen Leuten an etwas fehlte. Hella durfte zu Weihnachten die ganze Dorfjugend beschenken und zu ihrem Geburtstage würden sämtliche Kinder im Schlossgarten mit Schokolade und Kuchen bewirtet.
Sie spielte dann selbst mit ihnen Topfschlagen und allerhand andere Spiele, wobei es Preise gab für geschickte Kinder.
Bei solchen Gelegenheiten war es eine Lust, die goldblonde Hella zu beobachten. Wie glückselig sie aussah, wenn sie ringsumher Freude austeilen konnte.
Und Udo schien nur noch für das Wohl seiner Schwester und seiner Untergebenen zu leben. Für sich verlangte er nichts mehr vom Leben als sühnen zu können, was ihn mit Schuld beladen hatte. Nur für sein Schwesterlein erflehte er Glück von dem Schicksal.
Diese war aber dabei durchaus nicht das, was man ein Musterkind nennt. O nein! Sie hatte kleine Unarten genug und wollte sich nicht zum Lernen bequemen. Ihre Erzieherinnen hatten alle ihre liebe Not mit dem Wildfang.
Als sie zwölf Jahre alt war, wollte sie Udo deshalb in eine Erziehungsanstalt schicken. Aber da gab es Herzeleid und Grosswasser, die Tränen und Bitten wollten kein Ende nehmen und sie versicherte ganz ernsthaft, dass sie in der Erziehungsanstalt vor Sehnsucht nach Plessentin sterben müsse.
Da brachte es Udo nicht über sich, sie fortzuschicken. Es wurde also eine neue Erzieherin angenommen. Ein Weil chen ging es dann auch. Hella war ja lieb und gut und sie wollte ihrem geliebten Udobruder gewiss keinen Aerger bereiten. Aber dann lachte die Sonne wieder so hell zu dem Fenster herein oder es war im Winter herrliche Schlittenbahn und auf dem grossen Parkteich konnte man so prächtig Schlittschuhlaufen.
Da musste denn Hella bald wieder überall gesucht werden, wenn es zum Lernen gehen sollte. Und die Erzieherin beschwerte sich wieder und wieder bei Udo.
So auch heute.
Fräulein Daumann betrat das Arbeitszimmer Udos und teilte ihm mit, dass sie Plessentin verlassen wollte. Sie müsste sich zuviel über Hella ärgern. Und Udo hörte ihr still zu — er war solche Auftritte schon fast gewöhnt — und sagte dann ruhig:
„Es ist gut, Fräulein Daumann! Ich kann Sie natürlich nicht hindern, zu gehen. Es tut mir leid, aber ich meine, Sie hätten etwas mehr auf die Eigenart meiner Schwester Rücksicht nehmen sollen.“
„O, Herr Graf, Sie nennen Eigenart, was doch nur grobe Unart ist.“
Udo erhob sich und sah sie ruhig an.
„Ich kenne meine Schwester länger und auch besser als Sie. Glauben Sie mir, sie ist ein gutes Kind mit einem reinen, goldenen Herzen. Nur ist sie wild und ungestüm und — ein bisschen zu offenherzig. Das sieht dann oft wie Unart aus, ist aber bloss eine zu rücksichtslose Ehrlichkeit. Doch genug, Sie wollen geben — ich halte Sie nicht.“
Fräulein Daumann entfernte sich mit einer Verbeugung und einem unglaublich hämischen Gerichtsausdruck.. Udo sah nachdenklich hinter ihr her. Dann setzte er einen breiten Strohhut auf und ging in den Garten hinaus, um Hella zu suchen und ihr einmal wieder ein wenig den Kopf zurechtzurücken.
Die kleine Gräfin sass in einer mehr kühnen als schicklichen Stellung in den Aesten eines grossen Kirschbaumes und schmauste mit Behagen von den grossen dunkelroten Früchten. Sie hatte in diesem Augenblick ganz vergessen, dass es etwas wie französische Vokabeln oder Geographie und Weltgeschichte gab. Ihre Geographie und Weltgeschichte umfasste nur Plessentin — und darin fand sie sich ohne langweiliges Lernen zurecht.
Sie sah ihren Bruder schon von weitem kommen und beugte ihr strahlendes, fröhliches Gesicht zwischen den Zweigen hindurch.
„Udobruder!“
Er schaute empor. Zunächst sah er nur ein Paar Beine in braunen Strümpfen und Lederstiefelchen, die vom Baume herabbaumelten. Dann erst erblickte er das lachende Gesicht mit dem vom reichlichen Kirschengenuss geröteten Mund.
Er musste lächeln.
„Wildfang, was machst du da oben?“
Sie lachte.
,,Aber Udo, siehst du denn nicht, dass ich auf einem Kirschbaum sitze? Nun bitt ich dich, was soll ich wohl anderes hier oben tun, als Kirschen essen.“
„Dazu brauchst du aber doch nicht auf den Baum zu klettern. Du Unband. Du kannst dir doch vom Gärtner Kirschen pflücken lassen.“
Sie zog ein Mäulchen und schüttelte energisch mit dem Köpfchen, so dass die langen, goldblonden Hängezöpfe hin und her flogen.
„Als ob das dann noch ein Vergnügen wäre. Nein, Udo, dafür danke ich. Kirschen muss man sich selbst pflücken, wenn sie schmecken sollen. Soll ich dir vielleicht welche hinunterwerfen?“
„Nein, ich danke.“
„Siehst du, das magst du auch nicht. Aber weisst du was — komm mit herauf, hier ist ein starker Ast, der trägt dich gewiss, und man sitzt wundervoll bequem hier oben.“
Er musste lachen.
„Das kann ich mir nicht denken. Uebrigens, weisst du vielleicht, dass du jetzt eigentlich eine Stilarbeit über den „Taucher“ von Schiller machen müsstest?“
Hella machte ein erschrockenes Gesicht.
„Grundgütiger Himmel, das habe ich ganz und gar vergessen. Nun zankst du wohl mit mir? Ach, lieber, lieber Udobruder, es war doch gar zu wonnig hieroben.“
Udo versuchte ein strenges Gesicht zu machen.
„Nun komm vor allen Dingen mal von dem Baum herunter. Mit deinen vierzehn Jahren solltest du nicht mehr wie ein wilder Junge herumklettern. Dazu bist du doch nun zu alt.“
Schnell und gewandt wie ein Eichhörnchen kletterte sie herab und stand gleich darauf vor ihm. Ihr weisses Matrosenkleidchen mit der breiten Schärpe war arg zerknittert. Einige Kirschflecken verunzierten die Vorderansicht. Das Haar war zerzaust und umgab das gerötete Gesicht wie ein goldiger Kranz. In dem einen Zopf fehlte die Schleife und am Aermel befand sich ein klaffender Riss.
Udo musterte sie schweigend eine Weile, dann sagte er mit vorwurfsvollem Blick.
,,Wie siehst du nun wieder aus, Hella?“
Sie sah verwundert an sich herab, dann lachte sie vergnügt.
„O je — Kirschflecke. Na, das gibt wieder Schelte vom Fräulein. Gelt, Udo, das gibt ein Donnerwetter?“
Sie sah so unglaublich reizend und schermisch aus, dass er nicht zürnen konnte. Er zwang sich aber, ernst zu bleiben.
„Fräulein ist überhaupt sehr unzufrieden mit dir, Hella, Sie will fort von Plessentin,“ setzte Udo hinzu.
Hella klatschte fröhlich in die Hände.
„O, wie fein — da gibt es wieder Ferien. Ach, Udo, wir brauchen doch überhaupt gar keine Erzieherin mehr.“
Sie hing sich zutraulich in seinen Arm.
„Wir?“ fragte er nun doch lachend. „Na, ich jedenfalls nicht, Hella, aber du doch sehr. Oder willst du, dass ich dich ausser dem Hause in Erziehung gebe?“
„Um Himmelswillen nicht, Udo. Du weisst doch, dass ich da vor Herzeleid sterben würde, ganz sicher.“
„Ja, aber lernen musst du noch sehr, sehr viel.“
Sie seufzte tief auf und schritt, halb hüpfend, neben ihm her.
„Das alte Lernen. Wer das nur erfunden hat zur Qual der Menschen.“
„Du bist ein Dummerchen, Hella.“
„Hm! Ich wollte, ich dürfte es bleiben. Ich will gar nicht so grässlich gelehrt werden. Davon bekommt man bloss Falten im Gesicht und eine spitze Nase, wie Fräulein.“
„Was hast du denn eigentlich wieder angestellt, dass Fräulein so bös auf dich ist und fort will?“
Sie sah ihn nachdenklich an.
„Ich weiss nicht. Wenn ich manchmal gar nicht merke, dass ich unartig bin, dann zankt sie so toll. Heute morgen erst. Da sag’ ich ganz ruhig zu ihr, dass ich es grässlich finde, wenn bei einem Menschen das Haar und die Zähne nicht angewachsen sind. Da wurde sie bös — du glaubst es nicht. Sag mal selbst, findest du das nett, wenn jemand das Haar und die Zähne des Abends auf den Nachttisch legt? Und das hat Fräulein wirklich und wahrhaftig getan, ich habe es neulich selbst gesehen.“
Udo wandte sich ab, um ernst zu bleiben.
„Kind, über solche Sachen spricht man doch nicht.“
Sie sah ihn mit grossen Augen an.
„Nein! Es ist merkwürdig, über was man alles nicht sprechen soll. Ich glaube, ich werde das nie begreifen. Na, nun ich es weiss, will ich gewiss nie mehr darüber sprechen.“
„Aber was soll nun werden? Wir müssen wieder eine neue Erzieherin suchen. Das ist recht unangenehm für mich. Du weisst, ich gewöhne mich so schwer an neue Gesichter.“
,,Wenn du aber auch immer so alte, hässliche aussuchst. Ach, Udobruder, tue mir doch nur mal den Gefallen und wähle einmal eine junge und hübsche Erzieherin. Du sollst sehen, es geht dann besser mit dem Lernen und Artigsein.“
Ado sah nachdenklich vor sich hin. Vielleicht hatte Hella recht, vielleicht passte ein junges, frohes Blut besser für sie, als eine ältere Dame, die ihren losen Streichen verständnislos gegenüberstand und ihre kleinen Unarten zu schweren Vergehen stempelte. Freilich war es ihm unbequem, eine junge Dame ins Haus zu nehmen.
Da er unverheiratet war, musste er da allerhand Rücksichten nehmen. Aber schliesslich war ja Frau Bode, die sehr bejahrte Haushälterin, als Anstandsdame ausreichend. Jedenfalls musste ihm Hellas Wohl mehr am Herzen liegen, als kleinliche Bedenken.
Während er darüber nachsann, waren sie tiefer in den Park hineingeschritten bis über den Teich hinaus.
Man konnte sich kaum grössere Gegensätze denken, als diese beiden Geschwister.
Die sonnige, heitere Hella mit dem zartrosigen Teint und dem goldigen Haar, und der hochgewachsene, düstere Mann mit dem dunklen Haar und Schnurrbart und den schwermütigen, dunklen Augen. Der herbe Leidenszug um seinen Mund, der auch jetzt nicht ganz verwischt war, und die düstere Stirn liessen ihn viel älter erscheinen, als vierunddreissig Jahre.
An den Schläfen schimmerten sogar schon einige graue Haare. Er sah eher wie Hellas Vater aus.
Hella plauderte allerhand drolliges Zeug und wenn Udo darüber lachen musste, sprang sie vor Vergnügen neben ihm her.
„Ach, Udobruder, du siehst tausendmal hübscher aus, wenn du lachst, als wenn du so ein böses Gesicht machst. Siehst manchmal aus wie ein böser Werwolf, der die Leute umbringen will!“ rief sie lachend.
Udo zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb bei ihren letzten Worten. Er wurde totenblass und zog das Tuch hervor, um sich den Schweiss von der Stirn zu wischen. Hella sah ihn bestürzt an.
„Was ist dir, mein Lido, mein lieber Udo — bist du Frank?“
Es klang zärtliche, heisse Sorge aus diesen Worten. Er hatte sich schon gefasst und versuchte zu lächeln.
„Es ist nichts, Hella — nur die Hitze — komm, lass uns ins Haus zurückgehen, da ist’s kühler. Und du musst auch deine Stilarbeit machen.“
„Ist dir nun wieder besser, Herzensbruder?“
„Ganz wohl, Hella. Sorge dich nicht, es war wirklich nichts.“
Sie kehrten um und gingen ins Schloss zurück. Da Udo wieder ganz wohl schien, wurde Hella schnell wieder vergnügt.
Am nächsten Tage, als Udo mit dem Inspektor vom Felde heimkehrte, sprang ihm Hella im Park entgegen.
,,Udobruder, denke nur, in der Stadt ist ein Zirkus, ein richtiger, grosser Zirkus. Bitte, bitte lass uns in die Stadt fahren, ich möchte so furchtbar gern einmal in einen Zirkus gehen.“
Udo strich ihr lächelnd das Haar aus der Stirn.
„Woher hast du denn diese Neuigkeit, Schwesterchen?“
,,Ein Bote hat einen grossen gelben Zettel gebracht, da steht alles drauf. Warte mal —“
Sie kramte in ihrer Rocktasche herum. Ausser einem mit Kirschflecken durchtränkten Taschentuch, einem Stück Bindfaden, einer leeren Zwirnrolle und einigen runden Kieselsteinen kam ein fest zusammengefalteter gelber Zettel zum Vorschein.
Den entfaltete sie eifrig, nachdem sie die andern Raritäten wieder in die Tasche gestopft hatte. Sie hielt ihn Udo vor die Augen.
„Da — lies nur mal — fein, was? Lauter herrliche Sachen und hier zuletzt: ,,Im Feenreich, grosse Ausstattungspantomime mit Tanz“. Muss das herrlich sein, denk nur, wie ein Märchen. Nicht wahr, Udo, du gehst mit mir hin?“
Er hatte flüchtig den Zettel überblickt und gab ihn nun lächelnd zurück.
„Wer weiss, ob du nicht enttäuscht wirst von diesem „Feenreich“, Hella. Aber gleichviel, ich will dir den Spass machen.“
Sie wollte jubelnd davonstürmen. Er hielt sie an einem Zopfe fest.
„Halt, Wildfang, ich habe eine Bedingung.“
Sie blieb stehen und sah ihn erwartungsvoll an.
„Nun?“
„Zuerst musst du alle deine Aufgaben erledigen. Und dann musst du mir versprechen, recht artig in Zukunft zu sein. Ich will deinen Wunsch erfüllen und eine junge Erzieherin anstellen. Dann musst du aber auch vernünftig werden.“
Sie seufzte tief auf, sah ihm aber offen und ehrlich ins Gesicht.
,,Mühe will ich mir ganz gewiss geben, Udo. Aber du musst Geduld haben mit mir. Sieh mal, ich will eigentlich nie unartig sein, das kommt immer ganz von selbst. Manchmal denke ich, ich habe etwas, recht gut gemacht — und dann zankt Fräulein gerade recht sehr. Es ist wirklich schwer, herauszufinden, was die grossen Leute für unartig halten. Aber ich werde es schon noch lernen. Bist du mir böse?“
Er zog sie fest an sich.
,,Nein, mein liebes, goldiges Schwesterchen — wer dir böse sein kann, muss ein Herz von Stein haben. Bewahre dir nur dein reines Herz, deine Kinderunarten wirst du schon ablegen. Nun geh und verrichte deine Arbeit. Um 5 Uhr halte dich bereit zum Fortfahren, ich habe in der Stadt noch einige Geschäfte zu erledigen.“
Hella sprang vergnügt ins Haus zurück. Udo ging noch im Parke spazieren. Sein Gesicht trug nun wieder den düsteren, vergrämten Ausdruck. Die dunklen Augen sahen leidvoll in die grünende, blühende Pracht ringsum. Tiefe, beklommene Seufzer hoben zuweilen seine Brust. Im Parkteich blieb er stehen und sah nachdenklich auf den stillen dunklen Wasserspiegel.
Wie still und friedlich das aussah, diese glatte, glänzende Fläche. Was mochte alles darunter verborgen liegen? War dieser reglose Teich nicht sein Abbild? Verbarg sich nicht auch hinter seinem stillen, ruhigen Wesen ein dunkles, furchtbares Etwas? Die Schuld — die ungesühnte schwere Schuld —, sie streckte wieder und wieder die Arme nach ihm aus und stellte sich zwischen ihn und alle Lebensfreude.
O, dass er doch einmal wieder das wonnige Gefühl heiterer Schuldlosigkeit empfinden könnte wie damals, als er noch mit Vater und Mutter diese Wege wandelte. Vorbei — unwiederbringlich dahin. — — —
Hella hatte ihre Aufgaben erledigt. Es war ihr sehr sauer geworden, aber schliesslich nimmt auch das greulichste Ding ein Ende. Sie legte Fräulein Daumann ihre Arbeiten vor.
Diese fass wie eine leibhaftige Illustration des Begriffes: ,,Gekränkte Unschuld“ am Fenster des Schulzimmers und nahm mit spitzer Miene die Schreibhefte aus Hellas Hand.
,,Hab’ ich’s gut gemacht, Fräulein?“ fragte Hella mit von der schweren Arbeit gerötetem Gesicht.
Das Fräulein sah beleidigt von ihr fort.
,,Ich werde es nachher durchsehen.“
„Ach, liebes Fräulein, sehen Sie doch nicht mehr so böse aus. Mein Bruder hat mir gesagt, dass Sie von Pressentin fort so wollen. Wie kann man nur so dumm sein, sich von Plessentin fortzuwünschen. So schön wie hier ist es doch sonst nirgends auf der Welt,“ sagte sie treuherzig.
Das Gesicht der Erzieherin war noch spitzer und beleidigter geworden bei Hellas Worten.
„Du bist ein schrecklich ungezogenes Mädchen. Wenn ich hier bleiben müsste, würdest du mich tot ärgern.“
Hella sah sie ganz bestürzt an.
„War ich denn nun wieder unartig?“
„Wenn du von mir sagst: „Wie kann man so dumm sein?“
,,Ach so — ja — das war wirklich dumm von mir. Aber bös gemeint habe ich das ebensowenig, als das mit Ihren Haaren und Ihren Zähnen. Ich will aber gewiss niemals wieder sagen, dass ich es grässlich finde, wenn die nicht angewachsen find.“
„Du widerwärtige, abscheuliche Range — geh mir aus den Augen.“
Hella wich erschrocken von dem wütenden Gesicht zurück und floh aus dem Zimmer. So böse war noch niemand zu ihr gewesen, und diesmal hatte sie doch wahr und gewiss nicht geglaubt, dass sie unartig sei. Es war wirklich furchtbar schwer, artig zu sein.
Als Hella eine Stunde später neben ihrem Bruder festlich, gekleidet im Wagen sass und der Stadt zufuhr, sah sie sehr ernsthaft aus.
„Nun, Kleinchen, du bist so still?“ fragte Udo.
Hella sah ihn fragend an.
„Sog’ mal, Udobruder, bin ich wirklich eine widerwärtiges abscheuliche Range?“
Er blidte forschend in ihre Augen.
„Wer hat das von dir gesagt, Liebling?“
„Fräulein. O, war die böse zu mir heute. Und ich kann dir nur sagen, diesmal glaubte ich ganz gewiss und bestimmt, artig zu sein. Ich versprach Fräulein sogar ganz von selbst, dass ich nie mehr über ihre Haare und Zähne sprechen wollte, und da wurde sie wieder so bös, und schalt mich eine widerwärtige und abscheuliche Range. Bin ich das nun wirklich?“
Udo legte seinen Arm wie schützend um die Schwester.
„Nein, mein Liebling, gottlob, das bist du nicht. Aber ein unbedachtes, kleines Plappermäulchen. Sieh’ mal, Fräulein hat vielleicht durch eine schwere Krankheit oder durch ihr mühevolles Dasein Haare und Zähne verloren. Das kommt oft vor, solche Menschen sind zu bedauern. Weil das hässlich aussieht, hat sie diesen Verlust künstlich zu ersetzen gesucht.
Es ist nun schrecklich, dass du das bemerkt hast, und wenn du ihr auch noch sagst, dass du das grässlich findest, dann tust du ihr doch weh. Begreifst du das?“
Hella nickte und machte ganz grosse, betrübte Augen.
„Das hab’ ich nicht bedacht, Udo. Es tut mir nun schrecklich Leid.“
,,Das weiss ich, Dummerchen. Aber nun sei nicht so traurig, ein andermal wirst du vorsichtiger sein.“
„Ja, und ich will auch Fräulein sehr um Verzeihung bitten und nicht eher aufhören, bis sie in Plessentin bleiben will.“
„Um Verzeihung kannst du sie bitten, aber nicht um ihr Bleiben. Ich habe mir das überlegt — sie ist doch nicht die geeignete Person, um deine Erziehung zu leiten. Ich werde morgen zu Frau von Brenken hinüberfahren und sie bitten, sie soll für dich eine junge Erzieherin aussuchen. Vielleicht hat sie eine glücklichere Hand, als dein Udobruder.“
„O, darf ich da mitkommen? Frau von Brenken ist so lieb — sie hat auch mein geliebtes totes Mütterchen noch gekannt und erzählt mir immer, wie lieb und schön sie gewesen ist. Ach, Udo, wenn wir unser Mütterlein noch hätten, dann wäre ich vielleicht nicht halb so unartig.“
Udo Küsste sie auf die Stirn.
,,Mein Liebling, nun denk nicht an so traurige Sachen.“
„Aber ich darf mit nach Brenkenhof?“
„Ja, ich nehme dich mit.“
Im Zirkus.
Udo hatte in der Stadt erst noch Geschäfte zu erledigen. Die Vorstellung im Zirkus hatte eben begonnen, als er mit seiner Schwester eintrat. Es waren viele Bekannte aus der Nachbarschaft da, mit denen Udo und Hella Grüsse austauschten.
In unmittelbarer Nähe sass zufällig Herr von Brenken mit seiner Gattin. Da konnte Udo bequem in den Pausen nach den einzelnen Nummern gleich sein Anliegen vorbringen.
Die alte Dame versprach ihm bereitwilligst, nach einer passenden jungen Dame Ausschau zu halten.
„Aber recht hübsch und lieb muss sie sein, liebe Tante Brenken!“ rief Hella eifrig. „Udo nimmt stets Erzieherinnen mit hässlichen Gesichtern.“
Frau von Brenken lachte herzlich und versprach, ihr möglichstes zu tun.
Hella wurde schnell wieder abgelenkt. Voll lebhaftem Entgücken sah sie auf das bunte Treiben in der Manege. Die Kunststücke der Pferde und der Reiter und der Reiterinnen entlockten ihr Ausrufe der Bewunderung. Noch nie hatte sie Derartiges zu sehen bekommen.
Wie Wesen höherer Art erschienen ihr die Zirkuskünstler. Es waren kaum mehr als mittelmässige Leistungen, was der Wanderzirkus bot, aber für ihre Anspruchslosigkeit waren es doch glänzende Wunder.
Als die erste grosse Pause eintrat, traten die anwesenden Bekannten zu den Geschwistern heran. Hella wurde von den jungen Damen mit Süssigkeiten gefüttert und umschmeichelt. Wusste man doch, dass der Erbherr von Plessentin sein Schwesterchen zärtlich liebte. Man suchte sich dadurch bei ihm in Gunst zu setzen.
Frau von Brenken besprach mit einigen älteren Damen den Wunsch Hellas nach einer jüngeren Erzieherin. Diese oder jene machte ihre Bedenken geltend. Ob es gut tat, einer jungen Person Hellas Erziehung anzuvertrauen. Und Graf Plessen war noch jung und unverheiratet. Freilich, wenn er heiraten würde, dann —
Und bei diesem „dann“ sahen die Mütter auf ihre Töchter. Frau von Brenken widerlegte jedoch alle Bedenken mit ihrer schönen, liebenswürdigen Heiterkeit.
,,Das hat keine Gefahr, Graf Plessen ist ein Chrenmann und ausserdem ist auch eine alte Dame Haushälterin auf Plessentin. An dieser würde eine junge Dame genügenden Schutz gegen üble Nachrede finden, wenn sich eine solche hervorwagen würde.“
,,In unserem Kreise gibt es ja aber gottlob keine bösen Zungen,“ fügte sie mit einem feinen Lächeln hinzu, und die Damen, die sich dadurch getroffen fühlen konnten, waren gleich zu Anfang kaltgestellt.
Das hatte ja Udo beabsichtigt.
Um sich und die als Erzieherin gewünschte junge Dame vor übler Nachrede zu sichern, hatte er die ganze Angelegenheit in Frau von Brenkens Hände gelegt.
Während die jungen und alten Damen in zwei Gruppen also beschäftigt waren, war. Udo mit Herrn von Brenken und den übrigen Herren in die Ställe gegangen.
„Ganz vorzügliches Pferdematerial, mein lieber Plessen.“
,,Allerdings, ich bin ganz überrascht.“
„Aber sehr mittelmässige Leistungen, keine hübschen Weiber,“ näselte ein Leutnant in Zivil, der in der Nachbarschaft zu Besuch weilte.
„Na, dann warten Sie noch ein Weilchen, Verehrtester!“ rief ein jovial aussehender alter Herr. „Die zweite Nummer nach der Pause ist glänzend, ich war gestern schon hier. Fräulein Clermont, ausgezeichnete Schulreiterin, Rasseweib, so Mitte zwanzig, bildschön, zauberhaft schön, aber entschieden dämonisch, bietet eine schöne Leistung von grosser Kühnheit, entschieden erstklassig. Ich war ganz entzückt, bin eigentlich nur deshalb heute wieder da.“
„Hört, hört, Gersdorf ist nur wegen Fräulein Clermont hier. Wenn das seine Frau hörte.“
Der alte Herr lachte.
„In meinem Alter ist das ein ungefährliches Entzücken — aber ihr jungen Leute, haltet euer Herz fest. Sie auch, Plessen, wenn so ein Weiberfeind Feuer fängt, dann ist gewöhnlich nichts mehr zu retten.“
Udos Stirn rötete sich.
Man neckite ihn noch eine ganze Weile mit seiner Ehescheu. Brenken zog ihn schnell mit fort. Er sah, dass Udos Augen einen gequälten Ausdruck bekamen, und er ahnte längst, dass der junge Mann durch irgend eine schlimme Erfahrung zu dieser Ehescheu gekommen war. Er sprach schon längst nicht mehr mit ihm darüber.
Ein schrilles Klingelzeichen kündete das Ende der Pause an. Man suchte seine Plätze wieder auf.
Udo sah starr und gedankenschwer auf die Manege herab. Die Neckereien hatten ihn gepeinigt. Er wusste ja, dass mit ihm sein alter Name aussterben musste; aber konnte er ein Weib an seine Seite fesseln, durfte er seine schuldbefleckte Hand nach einer Lebensgefährtin ausstrecken?
Und wenn er Kinder bekam, musste sich der Fluch ungesühnter Schuld nicht an ihnen erfüllen, würde nicht die Sünde des Vaters an ihnen heimgesucht werden?
Er schrak auf aus seinem Brüten. Mit ohrenzerreissendem Geschrei kam ein dummer August in die Manege gestolpert und gepurzelt und zankte sich in seinem drolligen Kauderwelsch mit den Stallmeistern herum.
„Cousin, Sie sein eine serr slechte Mann, Sie haben mir gegeben ein Schubbs und ich bin geflogen in das Schmutz.“
Und klatsch, hatte der ,,Cousin“ eine schallende Ohrfeige, die natürlich prompt erwidert wurde.
Nun liess der dumme August seine Spässe los. Hella lachte jubelnd auf und klatschte so lebhaft Beifall, dass die Zirkusbesucher lächelnd nach ihr hinschauten. Auch der dumme August sah hinauf zu ihr und machte ihr eine unglaublich komische Verbeugung.
Da musste Hella wieder lachen. Udos Gesicht blieb jedoch ernst.
Die erste Nummer war vorüber. Nun sprengte Frl. Clermont auf einem prachtvollen Schulhengst herein. Sie wurde mit lebhaftem Beifall empfangen. Die schlanke, klassisch schöne Gestalt in dem knappen, schwarzen Samtkleid verbeugte sich mit stolzer Anmut nach allen Seiten. Dann wandte sich ihr wunderschönes Gesicht mit den grossen, dunklen Augen lächelnd dem Spassmacher zu, der sich ihr mit allerhand Unfug bemerkbar machte.
Hella sah voll Bewunderung auf die schöne Reiterin.
„Herrlich, Udo! Sieh nur, wie prachtvoll sie zu Pferde sitzt. Solch ein Reitkleid will ich auch haben, wenn ich erst eine Dame bin, dann reite ich auch so vornehm, wie sie. Sollst sehen, ich halte mich ebenso sicher, wie sie. Ah, sieh nur — wie entzückend!“
Udo wandte gleichgültig seine Augen nach Frl. Clermont. In demselben Augenblick zuckte er jedoch zusammen in tödlichem Schreck. Sein Gesicht wurde blass und schlaff, wie das eines Sterbenden, und seine Augen weiteten sich in jähem Entsetzen.
Zum Glück war Hella ganz ins Schauen vertieft, so sah sie die auffallende Veränderung nicht, die mit ihrem Bruder vor sich gegangen.
Udo sass regungslos, wie im Entsetzen versteinert. Seine Augen vermochten sich nicht abzuwenden von der Reiterin.
Als wenn sein Blick sie auf ihn gebannt hätte, so wandte sich Frl. Clermont plötzlich dem Grafen zu.
Die beiden Augenpaare trafen ineinander und hielten sich eine Weile fest. Die Hände der Reiterin zuckten mit jähem Griff in den Zügeln. Das Pferd bäumte sich hoch auf.
In den samtartigen Augen der Reiterin blitzte es auf. Sie bekamen einen dämonischen Ausdruck. Der schöne rote Mund presste sich einen Augenblick zusammen, dann huschte ein spöttisches Lächeln über ihr Gesicht.
Unmerklich, nur für ihn erkennbar, grüsste sie ihn durch ein flüchtiges Senken ihrer Reitpeitsche. Ein forschender Blick ihrer Augen streifte Hella, dann wandte sie sich mit ruhiger Grazie ab und richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihr Pferd.
Aldo erhob sich, unfähig, sich länger zu beherrschen und schritt langsam, mit unsicheren Schritten dem Ausgang zu.
Ein furchtbarer Druck schnürte seine Brust zusammen, das Blut sauste ihm in den Ohren, wie ein roter Nebel lag es vor feinen Augen. Fast taumelnd erreichte er den Ausgang des Zirkus, der nahe am Flusse aufgebaut war.
Die Ufer des Flusses waren hier durch ein Geländer begrenzt. Ueber dieses Geländer lehnte sich Edo wie gebrochene und starrte in das vom Mondlicht beschienene Wasser. Es schien den Unglücklichen zu locken:
„Komm herab, hier unten findest du Ruhe und Frieden.“
Er stöhnte auf.
,,Sie ist es — sie ist es,“ murmelten seine bleichen Lippen.
Ein kalter Schauer kroch ihm den Rücken herunter. Er fühlte sich elend zum Sterben. Alle Schmerzen der Vergangenheit wachten von neuem auf in dieser Stunde.
Schulreiterin Frl. Clermont! Nein, das war ihr Name nicht. So nannte sie sich wohl nur im Zirkus. Er hatte sie sofort erkannt, dieses schöne Weib, das er einst so heiss, so grenzenlos geliebt hatte, dass er sie zu seinem Weibe machen wollte allen alten Gepflogenheiten seines Geschlechts zum Trotz.
Er hatte nur Zeit gewinnen wollen, den Vater mit seiner Wahl auszusöhnen. War doch die Geliebte ein Mädchen niederen Standes. O, wie er sie geliebt hatte, diese grossen dunklen Augen, dieses herrliche schwarze Haar, das sie wie ein Mantel umfloss, wenn es gelöst über die Schultern hing. Und wie unsagbar glücklich war er gewesen, als er noch an ihre Liebe glaubte.
Vorbei! Jene unselige Stunde hatte all sein heisses Glück zertrümmert, hatte ihn elend gemacht, elend und schuldig.
Was wollte sie hier? Wie kam sie in diesen Zirkus als Kunstreiterin? Hatte sie ihn erkannt? Ja, ganz sicher, sie hatte ihm ja einen Gruss zugewinkt.
Wusste sie, dass Plessentin in der Nähe dieser Stadt lag? War sie vielleicht nur deshalb hierher gekommen, um ihn zu mahnen an das vergangene Glück, vergangene Schuld.
Ach, das Glück war wirklich vergangen, aber die Schuld würde bleiben, bis er einst seine Augen schloss.
„Barmherziger Gott, gibt es keine Erlösung für mich — hilf, dass ich den Verstand nicht darüber verliere.“
Mühsam richtete er sich endlich auf.
„Ich muss sie sehen, sprechen. Es muss klar werden, was sie von mir will, denn ohne Grund ist sie nicht hierher gekommen. Diese Ungewissheit ertrage ich nicht.“
Langsam trat er wieder in die Vorhalle des Zirkus zurück.
Beim Scheine einer Oellampe nahm er eine Visitenkarte heraus. Darauf schrieb er unter seinen Namen:
,,Bittet Frl. Clermont um eine Unterredung morgen im Laufe des Tages und um Angabe der Zeit, wann sein Besuch angenehm.“
Diese Karte schickte er mit einem Zirkusdiener in die Garderobe der Kunstreiterin.
Diese war beim Umkleiden, als ihr die Zofe die Karte gab. Ihre Augen blitzten auf, als sie dieselbe gelesen hatte. Die weissen Zähne bissen sich fest in die Unterlippe. Dann trat sie mit rätselhaftem Lächeln an den Tisch und kritzelte mit Bleistift auf ein Stück Papier:
„Frl. Clermont ist morgen und die nächsten Tage verhindert, Sie zu empfangen. Sie wird Ihnen jedoch Ende der Woche Nachricht nach Plessentin senden, wann sie zu sprechen ist.“
,,Gib das dem Diener zur Antwort, Marie,“ sagte sie lächelnd zur Zofe. In ihren Augen aber funkelten böse Lichter.
Die Zofe, eine blasse, hagere Person mit einem nichtssagenden Gesicht, erfüllte das Gebot ihrer Gebieterin.
Als sie zurückkam, liess sich diese einen Mantel um die Schultern legen und warf einen Spitzenschal über den Kopf.
„Du folgst mir, sobald du hier Ordnung geschaffen hast.“
,,Gewiss Frau Clermont.“
„Vergiss den Schmuckkasten nicht und sei vorsichtig damit.“
„Sie können ganz unbesorgt sein.“
„Es ist gut.“
Frl. Clermont ging hinaus.
Draussen am Eingang zu den Logen stand Udo noch und blickte auf die Antwort der Kunstreiterin. Als er sie kommen sah, wollte er auf sie zutreten und sie ansprechen. Da warf sie den Kopf zurück und sah ihn drohend an.
Der Blick bannte ihn fest auf seinen Platz. Er liess sie ungehindert geben. So brennend gern er sofort mit ihr gesprochen hätte, er wagte es nicht, auch fürchtete er, Aufsehen zu erregen.
Der Diener, der ihm die Botschaft besorgt, stand neugierig forschend im Zirkusgang. Es half nichts, er musste sich in Geduld fassen, bis sie ihn rief.
Langsam ging er in die Loge zurück. Hella sah mit glänzenden Augen zu ihm auf.
„O, du hast so viel Schönes versäumt, Udo. Wo warst Du nur so lange?“
„Draussen im Freien, Hella. Ich habe etwas Kopfweh und die Luft hier im Zirkus ist so dumpf. Ich musste frische Luft haben.“
„Ist dir nun besser?“ fragte sie besorgt.
„Ganz gut, mein Herz. Lass dich nur nicht stören im Genuss al der Herrlichkeiten.“
,,Jetzt kommt das Beste, Udo, im Feenreich.“
„Ihr Schwesterchen ist dankbares Publikum für die Zirkusleute, lieber Graf!“ rief Frau von Brenken lächelnd herüber.
Er erwiderte einige Worte, die er selbst nicht verstand. Zum Glück nahmen die Vorbereitungen zu dem Ausstattungsstück die Aufmerksamkeit Hellas und der Brenkens in Anspruch. So fiel es nicht auf, dass Udo mit blassem Gesicht immer auf einen Fleck sah. In feinen Augen lag ein furchtbares, qualvolles Grauen.
Nach Schluss der Vorstellung verabschiedete sich Udo schnell von den Bekannten und bestieg mit der aufgeregt plaudernden Hella den harrenden Wagen. Zum Glück wurde Hella bald müde. Sie schlief ein, den Kopf wohlig in den Arm ihres Bruders geschmiegt.
Udo rührte sich nicht. Ueber den blonden Kopf seines Schwesterchens hinweg flog sein brennender Blick in das nächtliche Dunkel hinaus.
„Vater im Himmel — nicht meinetwillen, aber um dieses unschuldigen Kindes willen rette mich vor Verzweiflung und Schande. Vergib mir meine Schuld — nimm mein ganzes Leben zur Sühne — nur sie bewahre vor Schmach.“
So betete er inbrünstig und eine erlösende Ruhe nahm von ihm Besitz auf kurze Zeit.
○○○
Die nächsten Tage vergingen Udo in aufregender Qual.
Die Unruhe trieb ihn rastlos hin und her. Hella schalt, dass er bei den Mahlzeiten fast nichts zu sich nahm. Das bleiche Aussehen ihres Bruders machte sie besorgt. Sie bestand darauf, dass er den Arzt kommen liess. Er wehrte jedoch ab.
„Es ist wirklich nicht nötig, Liebling, nur die Hitze macht mir etwas zu schaffen. Du kannst ganz unbesorgt sein, in wenigen Tagen bin ich wieder ganz wohl.“
,,Aber du solltest doch lieber den Arzt fragen.“
Er strich ihr zärtlich über das Haar und seufzte. Wenn ihm ein Arzt hätte helfen können! Tausend Meilen würde er nach ihm laufen.
„Wenn es dich beruhigt, dann will ich nächster Tage in die Stadt fahren und den Arzt befragen.“
„Ja, tue es, mein Udobruder.“
„Ich sage dir jedoch vorher, er wird mich auslachen, und dich mit.“
,,Ach, das schadet nichts.“
Die Sonne stieg jeden Morgen in herrlicher Pracht empor. Es war wirklich unerträglich heiss in diesen Tagen. Udo lief trobdem jeden Tag, wenn der Briefträger erwartet wurde, diesem entgegen. Mit fieberhaftem Eifer durchsuchte er dann die Briefe, ob eine Nachricht von Frl. Clermont auch dabei war.
Immer vergebens.
Hella wäre so gern noch einmal in den Zirkus gegangen, aber sie bat Udo nicht darum. Hatte doch sein garstiges Unwohlsein im Zirkus seinen Anfang genommen.
Aber ein Zufall half ihr doch zur Erfüllung ihres Wunsches. Frau von Brenken kam eines Nachmittags nach Plessentin, um Udo zu berichten, dass sie bereits eine junge Dame aus guter Bürgerfamilie als Erzieherin für Hella in Aussicht habe.
„Ist sie auch wirklich jung und hübsch, Tante Brenken?“ fragte Hella.
„Jung jedenfalls, Hella, ob hübsch genug für dich, müssen wir erst abwarten. Persönlich kenne ich die junge Dame nicht.“
„Ich bin Ihnen für Ihre Mühe zu grossem Danke verpflichtet, verehrte gnädige Frau,“ sagte Udo und küsste der alten Dame die Hand.
Frau von Brenken wehrte lächelnd ab.
,,Geschieht ja sehr gern, lieber Graf. Die bewusste junge Dame wurde mir von meiner Tochter empfohlen. Sie wissen, i diese lebt mit ihrem Manne in einer kleinen Garnison. Dort hält sich der Adel gottlob nicht so abgeschlossen wie hier bei uns. Sie wissen, Graf, ich bin etwas Volksfreundin, liebe geradezu das starke, gesunde Bürgertum, deshalb sage ich gottlob.
Aber ich schweife ab. Meine Tochter hat dort zuweilen in Gesellschaft mit der jungen Dame verkehrt. Ihr Vater war Beamter, ein hochgeachteter, aber armer Mann. Der ist nun gestorben und seine Tochter sucht eine passende Stellung, um sich ihren Unterhalt zu verdienen. Sie und ihre Mutter blieben in sehr beschränkten Verhältnissen zurück. Meine Tochter schildert mir dieses Fräulein Eva Hermsdorf als eine kluge, feinsinnige und liebenswürdige Dame. Ihre Bescheidenheit und Herzensgüte hat sie dort überall beliebt gemacht. Meine Tochter schwärmt geradezu für sie. Fräulein Hermsdorf soll ausserdem eine vorzügliche Erziehung genossen haben und die Fähigkeiten zu einer Hauslehrerin und Erzieherin in vollem Masse besitzen. Jedenfalls lade ich mir die junge Dame nächstens nach Brenkenhof. Dann können Sie selbst einmal urteilen.“
Udo dankte ihr nochmals. Frau von Brenken erhob sich.
„Ich muss mich nun verabschieden, mein Mann erwartet mich in der Stadt. Wir wollen noch einmal in den Zirkus. Man muss hier derartige Genüsse wahrnehmen. Kommen Sie mit?“
,,Ich für meinen Teil muss danken, verehrte gnädige Frau, ich habe zu tun. Aber wenn Sie mein Schwesterchen mitnehmen wollen — sie wird gewiss nicht „nein“ sagen.“
Hella klatschte in die Hände.
„O, wie schön. Darf ich, Tante Brenken?“
Die alte Dame lächelte.
„Gewiss, Kindchen. Schnell, mache dich fertig, ich nehme dich mit. Und heute abend bringen wir Ihnen Hella unversehrt wieder zurück, lieber Graf.“
Hella sprang davon und liess sich, zitternd vor Ungeduld, umkleiden... Eine halbe Stunde später fuhr sie mit Frau von Brenken davon, ihrem Bruder zärtlich zum Abschied zuwinkend.
Am nächsten Morgen endlich erhielt Udo mit der Post ein Briefchen von Frl. Clermont, in welchem sie ihm mitteilte, dass sie ihn nachmittags vier Uhr in ihrer Wohnung empfangen würde. Es war ein Sonnabend. Udo verging die Zeit viel zu langsam, aber er konnte die peinvolle Unruhe kaum mehr ertragen. Dass ihn Frl. Clermont mit dieser Ungewissheit quälen wollte, nahm er als bestimmt an.
Und doch musste er sich fügen. Er wagte nicht, ihren Unmut zu erregen. Aber wie furchtbar war ihm diese Abhängigkeit vor der grausamen Laune eines dämonischen Weibes. Wie tief gedemütigt fühlte er sich.
Wenn seine schuldlose Schwester nicht gewesen wäre, deren Ruhe und Herzensfrieden mit auf dem Spiel stand — er hätte diese Demütigung nicht ertragen, mochte daraus entstehen, was wollte.
Mit schwerem Herzen verabschiedete er sich am Nachmittag von Hella, um in die Stadt zu fahren, angeblich, um den Arzt aufzusuchen.
Regungslos sass er im Wagen und überlegte, was er der Kunstreiterin sagen wollte.
Vor allem musste sie ihm sagen, welche Absicht sie hierher geführt, ob er etwas von ihr zu fürchten habe. Und dann hoffte er Aufschluss von ihr zu erhalten, wie es ihr möglich gewesen war, alle Spuren seiner Schuld zu verwischen.
Darüber hatte er damals in der Verzweiflung gar nicht nachgedacht. Würde auch in Zukunft jene. Tat in undurchdringliches Dunkel gehüllt bleiben?
Zwischen Furcht und Hoffnung hin und her schwankend, erreichte er die Stadt und den Gasthof, welchen die Kunstreiterin als ihre Wohnung bezeichnet hatte.
Der Wirt kam dienstbeflissen an den Wagen, noch ehe Udo aussteigen konnte.
„Frl. Clermont ist heute mittag abgereist, Herr Graf. Sie bedauerte sehr, den Herrn Grafen nicht mehr erwarten zu können. Ein Telegramm hat sie plötzlich abgerufen. Diesen Brief habe ich dem Herrn Grafen zu übergeben.“
Er überreichte mit tiefer Verbeugung ein Briefchen. Udos Stirn zog sich in düstere Falten. Es kostete ihm grosse Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. Er dankte dem Wirt und befahl dem Kutscher sofort, nach Plessentin zurückzukehren.
Erst als der Wagen aus den Strassen der Stadt auf die freie Landstrasse hinausfuhr, öffnete er das Briefchen.
„Herr Graf! Verzeihen Sie, dass ich Sie vergeblich bemüht habe. Ich habe Sie mit Absicht von Plessentin fortgelockt, währenddem ich einen flüchtigen Besuch dort abzustatten gedenke. Bei Ihrer Heimkehr werden Sie Aufklärung darüber erhalten, was ich in Plessentin zu tun hatte. Da ich nicht die Absicht habe, mit Ihnen persönlich je wieder im Leben zusammenzutreffen, so erlaube ich mir diese kleine Komödie. Alles andere erfahren Sie zu Hause.
Liliane Clermont.“
Udo war leichenblass geworden. Was wollte das schreckliche Weib in Plessentin? Eine heisse Angst um Hella überfiel ihn. Wenn diese furchtbare Frau seiner Schwester eröffnete, was ihr Bruder getan? — Barmherziger Gott — nur das nicht!
„Fahren Sie zu, was die Pferde laufen!“ rief er heiser vor Aufregung dem Kutscher zu.
Dieser gehorchte und pfeilgeschwind jagten die feurigen Tiere auf der Landstrasse dahin.
○○○
Hella hatte ihre Stunde bei der ungnädigen Hauslehrerin beendet. Trotzdem Hella herzlich warm um Verzeihung gebeten hatte, zürnte Fräulein Daumann noch immer.
Froh, ihre Freiheit verdient zu haben, tollte Hella mit ihren beiden Dackeln herum, bis sie müde war.
Dann warf sie sich in eine Hängematte, die zwischen zwei Lindenbäumen befestigt war, und schaukelte übermütig hin und her.
Da hörte sie einen Wagen auf der Strasse daherkommen. Sollte Aldo schon zurück sein? Aber nein, er war ja kaum eine Stunde fort. Vielleicht Besuch?
Sie drehte sich in der Hängematte um und blinzelte über den sonnenbeschienenen Weg nach dem Parktor. Da fuhr der Wagen gerade vorbei. Also war es kein Besuch. Das Gefährt sah aus wie ein Lohnwagen aus der Stadt.
Sie legte sich vergnügt wieder auf die andere Seite und sang fröhlich vor sich hin. Sie hörte nicht, dass der Wagen unweit des Parkes hielt und kurz darauf die kleine Seitenpforte im Tor, welche am Tage unverschlossen war, geöffnet wurde.
Eine einfach gekleidete, unbedeutend aussehende Frau, die ein etwa vierjähriges kleines Mädchen an der Hand führte, trat ein und sah sich forschend um. Als sie Hella in der Hängematte liegen sah, ging sie zu ihr hinüber.
Das kleine Mädchen stiess beim Anblick des Schlossgartens einen Ruf des Entzückens aus.
„O, der schöne Garten!“ rief es in französischer Sprache.
Hella hatte diesen Ruf vernommen. Mit einem kühnen Satz war sie aus der Hängematte heraus und sah verwundert, aber mit grossem Wohlgefallen auf das kleine Mädchen. Es war ganz in Weiss gekleidet und trug einen breiten weissen Hut, unter dem die dunklen Locken hervorquollen.
Die grossen dunklen Augen blickten viel zu ernsthaft aus dem schönen, runden Kindergesicht heraus in Hellas Antlitz.
Hella sah voll Entzücken auf das bildschöne Kind. Etwas Bekanntes grüsste sie aus diesen ernsten, dunklen Augen. Wo hatte sie schon solche Augen gesehen?
Durch die Frau wurde Hella abgelenkt.
,,Entschuldigen Sie, gnädiges Fräulein, ist der Herr Graf zu sprechen?“
Hella vermochte kaum den Blick von dem Kinde loszureissen.
,,Ich bedaure — mein Bruder ist in die Stadt gefahren.“
,,Ah, wie schade. Wann kommt er wohl zurück?“
,,Vor einer Stunde sicher nicht. Haben Sie Wichtiges mit ihm zu besprechen?“
„Allerdings. Vielleicht gestatten Sie, dass die Kleine hier einstweilen Platz nimmt, sie ist müde.“
,,Bitte sehr. Ihrer Aussprache nach sind Sie Französin, meine Dame. Sie bringen vielleicht meinem Bruder Grüsse von seinen Pariser Freunden?“
Die Frau machte einen Augenblick ein verlegenes Gesicht. Dann fasste sie sich.
„Allerdings. Sie haben richtig geraten.“
,,So treten Sie doch bitte ins Schloss ein und nehmen Sie Platz, bis mein Bruder zurückkommt.“
Die Frau dachte einen Augenblick nach, dann sagte sie lächelnd:
„Ich werde mir mit Ihrer Erlaubnis lieber den schönen Park ansehen, wenn die Kleine so lange hier bleiben dürfte.“
Hella nickte freundlich und nahm das Kind bei der Hand.
,,Komm, mein liebes Mädchen, du kannst inzwischen hier ausruhen,“ sagte sie französisch zu der Kleinen, deren Augen aufleuchteten.
,,Ah, das Fräulein spricht Französisch,“ rief sie erfreut.
Hella dankte zum ersten Mal dem Schicksal, das sie mit französischen Vokabeln drangsaliert hatte. Konnte sie doch nun mit der reizenden Kleinen plaudern, die sicher kein Deutsch verstand.
Die Fremde gab dem Kinde einen Kuss. Ihre Augen trübten sich dabei.
„So bleibe bei der guten Dame, bis ich wiederkomme, Marianne.“
Die Kleine nickte.
„Ja, geh’ nur. O, sieh’ die schönen Blumen dort; darf ich hingehen, ganz nahe heran?“
„Gewiss,“ sagte Hella lachend, „du darfst dir sogar einen Strauss pflücken.“
Die Kleine lief erfreut davon, während die Fremde noch zu Hella sagte:
„Diese Handtasche darf ich wohl einstweilen hier stehen lassen, sie ist schwer.“
„Bitte sehr.“
„Es kommt doch niemand hierher? Die Tasche ist unverschlossen und enthält auch einen wichtigen Brief für den Herrn Grafen.“
„Ich werde sie lieber ins Haus tragen und verschliessen, wenn Sie das beruhigt.“