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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Magda saß auf der Kante ihres Sofas ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung in Wildmoos und betrachtete ihr cremefarbenes Sommerkleid mit dem Streublümchenmuster. Sie hatte es auf einen Bügel an die Tür des Vitrinenschranks gehängt. Es war frisch gewaschen, und anschließend hatte sie es auf die Wäscheleine im Garten hinter dem Haus gehängt, wo es im leichten Wind rasch trocken geworden war. Von dem Schokoladeneis-Fleck, den der kleine Jan vor zwei Tagen im Supermarkt in kindlicher Unachtsamkeit auf den zarten Stoff gebracht hatte, sah man so gut wie nichts mehr. Neben Magda auf dem Sofa lag ihr Mobiltelefon. Seit zehn Minuten, vielleicht auch schon länger, zögerte sie, Horst Reinhardt anzurufen. Herr Reinhardt war der Großvater von Jan, und sie hatten sich vor eben zwei Tagen durch den etwa fünfjährigen Jungen kennengelernt. Zuerst im Bus, mit dem Magda nach Maibach zum Einkaufen gefahren war und in dem der kleine Schelm ihr spielerisch mit einer Plastikfigur den Weg zu einem Sitzplatz hatte versperren wollen, und nur wenig später im Supermarkt. Sie hatte bereits an der Kasse angestanden, als das Kind von hinten in sie hineingerannt war, das Schokoladeneis in der Hand, und ihr Kleid gründlich befleckt hatte. Dem Großvater des Jungen war die Angelegenheit sehr unangenehm gewesen und er hatte Magda sehr gebeten, sich bei ihm zu melden, sowie ihr Kleid gereinigt war. In irgendeiner Weise wollte er den entstandenen Schaden gutmachen. Eigens dafür hatte er ihr seine Telefonnummer gegeben. Nun war das, was von dem Eisfleck geblieben war, verschwindend gering. Man musste schon wissen, was man suchte, um die Stelle noch zu erkennen. Doch deswegen wollte Magda Herrn Reinhardt auch nicht anrufen. Der gepflegte ältere Herr, dessen ebenso höfliches wie charmantes Auftreten sie durchaus beeindruckt hatte, hatte sich ihr in einem kurzen Moment anvertraut. Für seine Schwiegertochter, die beruflich ins Ausland musste, betreute er den lebhaften kleinen Jungen – und fühlte sich mit dieser Aufgabe überfordert. Zumal er, wie er ihr mitgeteilt hatte, ein wenig außerhalb wohnte und es in der näheren Umgebung weder einen Kindergarten noch Spielkameraden für den Kleinen gab. Seither überlegte Magda, Herrn Reinhardt vorzuschlagen, Jan vorübergehend in Sophienlust unterzubringen. Jenem Kinderheim, in dem sie seit Jahr und Tag als Köchin arbeitete.
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Seitenzahl: 153
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Magda saß auf der Kante ihres Sofas ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung in Wildmoos und betrachtete ihr cremefarbenes Sommerkleid mit dem Streublümchenmuster. Sie hatte es auf einen Bügel an die Tür des Vitrinenschranks gehängt. Es war frisch gewaschen, und anschließend hatte sie es auf die Wäscheleine im Garten hinter dem Haus gehängt, wo es im leichten Wind rasch trocken geworden war. Von dem Schokoladeneis-Fleck, den der kleine Jan vor zwei Tagen im Supermarkt in kindlicher Unachtsamkeit auf den zarten Stoff gebracht hatte, sah man so gut wie nichts mehr.
Neben Magda auf dem Sofa lag ihr Mobiltelefon. Seit zehn Minuten, vielleicht auch schon länger, zögerte sie, Horst Reinhardt anzurufen. Herr Reinhardt war der Großvater von Jan, und sie hatten sich vor eben zwei Tagen durch den etwa fünfjährigen Jungen kennengelernt. Zuerst im Bus, mit dem Magda nach Maibach zum Einkaufen gefahren war und in dem der kleine Schelm ihr spielerisch mit einer Plastikfigur den Weg zu einem Sitzplatz hatte versperren wollen, und nur wenig später im Supermarkt. Sie hatte bereits an der Kasse angestanden, als das Kind von hinten in sie hineingerannt war, das Schokoladeneis in der Hand, und ihr Kleid gründlich befleckt hatte.
Dem Großvater des Jungen war die Angelegenheit sehr unangenehm gewesen und er hatte Magda sehr gebeten, sich bei ihm zu melden, sowie ihr Kleid gereinigt war. In irgendeiner Weise wollte er den entstandenen Schaden gutmachen. Eigens dafür hatte er ihr seine Telefonnummer gegeben.
Nun war das, was von dem Eisfleck geblieben war, verschwindend gering. Man musste schon wissen, was man suchte, um die Stelle noch zu erkennen. Doch deswegen wollte Magda Herrn Reinhardt auch nicht anrufen.
Der gepflegte ältere Herr, dessen ebenso höfliches wie charmantes Auftreten sie durchaus beeindruckt hatte, hatte sich ihr in einem kurzen Moment anvertraut. Für seine Schwiegertochter, die beruflich ins Ausland musste, betreute er den lebhaften kleinen Jungen – und fühlte sich mit dieser Aufgabe überfordert. Zumal er, wie er ihr mitgeteilt hatte, ein wenig außerhalb wohnte und es in der näheren Umgebung weder einen Kindergarten noch Spielkameraden für den Kleinen gab.
Seither überlegte Magda, Herrn Reinhardt vorzuschlagen, Jan vorübergehend in Sophienlust unterzubringen. Jenem Kinderheim, in dem sie seit Jahr und Tag als Köchin arbeitete. Die Vorstellung, er könnte ihren Vorschlag anmaßend finden, ließ sie jedoch zögern. Keinesfalls wollte sie aufdringlich wirken!
Magda erhob sich vom Sofa, ging zum Vitrinenschrank, betrachtete ihr Kleid und zupfte an der Kellerfalte, die sich mittig des Rockteils erstreckte. Warum hing das Kleid eigentlich hier? Es gehörte in den Kleiderschrank im Schlafzimmer. Sie hob den Arm, um es abzunehmen, und ließ ihn wieder sinken. Das Kleid hing hier, damit sie es vor Augen hatte, wenn sie mit Herrn Reinhardt telefonierte. So einfach war das. Seufzend wandte sie sich ab.
Nun denn. Sie hatte ihm den Anruf versprochen, und es war ja nicht das erste Mal, dass sie mit einem Mann telefonierte. Warum sie diesmal Hemmungen hatte, verstand sie nicht. Entschlossen wählte sie nun die eingespeicherte Nummer.
Während der Ruf hinausging, setzte sie sich sehr aufrecht. Dummerweise war sie ein wenig nervös. Verärgert über sich selbst schüttelte sie den Kopf.
„Reinhardt“, vernahm sie die angenehme Stimme von Jans Großvater, und nun ging auch noch ihr Puls zu schnell.
„Hallo, Herr Reinhardt, hier spricht Magda Enzinger.“ Immerhin, sie klang ganz gelassen, obwohl sie sich gar nicht so fühlte.
„Frau Enzinger, wie schön! Ich gebe zu, ich hatte gestern schon gehofft, von Ihnen zu hören, gleichwohl ich mir gesagt habe, eine Reinigung arbeitet selten von heute auf morgen und ich muss mich in Geduld üben. Ich hoffe sehr, Sie haben keine schlechten Nachrichten?“
Sie musste schmunzeln, ob seiner gewählten Ausdrucksweise und ihre Unruhe legte sich ein wenig. Es gab ja auch keinen Grund dafür. Mehr, als ihren Vorschlag ablehnen, konnte er schließlich nicht.
„Mein Kleid ist so gut wie neu“, versicherte sie und sah zum Vitrinenschrank.
„Das freut mich sehr zu hören. Ich würde Ihnen wirklich gern die Auslagen erstatten. Darf ich Sie hierfür auf einen Kaffee einladen? In Maibach hat kürzlich ein entzückendes kleines Café aufgemacht. Es heißt ‚Wunschtörtchen‘. Könnten Sie am morgigen Sonntag zwei Stunden für mich erübrigen?“
„Ich hatte doch gar keine Auslagen“, ließ Magda ihn wissen. „Ich habe ein Fleckenmittel nach einem Rezept meiner Mutter angemischt, und der kleine Schaden ist nahezu behoben. Dennoch nehme ich Ihre Einladung gerne an.“ Blitzartig war ihr durch den Kopf gegangen, dass sich für ihren Vorschlag ein persönliches Gespräch eher eignete als ein Telefonat. Zudem konnte sie am Sonntagnachmittag problemlos von Sophienlust weg, da kein Geburtstag oder sonstiger Anlass anstand.
„Wirklich? Das ist mir eine große Freude. Darf ich Sie abholen? Sagen wir, um 15 Uhr?“
„15 Uhr ist wunderbar. Treffen wir uns doch vor dem Café“, schlug Magda vor.
„Sehr gerne. Es ist nur…“ Deutlich vernahm sie das Zögern in seiner Stimme.
„Ja?“, fragte sie.
„Ich muss Jan mitbringen“, gestand er.
„Das ist doch gar kein Problem“, versicherte Magda und überlegte augenblicklich, wie sie Herrn Reinhardt von Sophienlust erzählen sollte, ohne dass der Kleine zuhörte. Im ungünstigsten Fall bekam der Junge mit, dass sie für seine Unterbringung ein Kinderheim vorschlug, und je nachdem, ob er sich etwas darunter vorstellen konnte oder nicht, gäbe es sofort Trotz und Tränen. Im besten Fall reagierte der Kleine mit neugierigen Fragen. Magda entschied, sich hierüber erst morgen Gedanken zu machen.
„Ich bin Ihnen sehr dankbar, für Ihr Verständnis. Haben Sie auch Kinder oder gar schon Enkel?“, erkundigte sich Herr Reinhardt.
„Einerseits eine ganze Menge, andererseits Nein“, erwiderte Magda und lachte leise.
„Wie darf ich das verstehen?“ Ihr Gesprächspartner klang amüsiert, dennoch meinte sie, auch ein wenig Verwirrung aus seinen Worten zu hören.
„Das erzähle ich Ihnen gerne morgen“, sagte Magda.
„Ich bin gespannt. Nun denn, haben Sie einen schönen Abend und bis morgen“, verabschiedete sich Herr Reinhardt.
„Bis morgen.“ Magda beendete das Telefonat. Ja, es war besser, ihm Sophienlust in einer persönlichen Unterhaltung vorzuschlagen. Sie hatte ein gutes Gefühl.
*
Magda stand vor dem geöffneten Kleiderschrank und ihr Blick glitt betrübt über ihre Auswahl an Garderobe, die größtenteils praktischer und robuster Natur war. Zwar trug sie eher selten Hosen, doch auch ihre Röcke und Kleider waren vorwiegend alltagstauglich und weder flott noch elegant.
Immerhin besaß sie ein altrosa Kostüm, das sie vor einigen Jahren erworben hatte, als sie zur Hochzeit einer Bekannten eingeladen gewesen war, doch das erschien ihr für eine Einladung zu einem Kaffee übertrieben. Aber vielleicht konnte sie die Jacke weglassen und nur den Rock mit einer hellen Bluse dazu tragen? Einen Versuch war es wert.
Keine Minute später hängte sie den Rock zurück in den Schrank. Er war zu eng geworden, sie hatte wohl ein wenig zugelegt, um Hüften und Taille. Darüber mochte sie lieber nicht nachdenken. Eventuell konnte sie das dunkelblaue Kleid anziehen? Es mogelte das eine oder andere Pfündchen dezent weg, hatte einen hübschen, nicht zu tiefen V-Ausschnitt und wurde mit einem Stoffgürtel seitlich geschlossen. Ihre Schwester Martha, mit der sie es bei einem Einkaufsbummel vergangenen Herbst gekauft hatte, hatte gesagt, man nannte diesen Stil ‚Wickeloptik‘. Vergangenen Herbst. Genau das war das Problem: Das Kleid war zu herbstlich für den herrlichen Sommertag und mit den langen Ärmeln auch zu warm. Mist. Das Hellgraue! Das war es. Es war ärmellos, lag am Oberkörper an, und der Rockteil fiel locker bis über die Knie. Zudem enthielt es eine Menge Elasthan, sodass nichts zwickte.
Magda schlüpfte hinein. Wunderbar. Das Oberteil zierte hellgraue und weiße Rosen, der Rock war einfarbig. Kritisch betrachtete sie ihre Arme. Die hätten ein wenig fester sein können. Aber sie besaß ein weißes leichtes Strickjäckchen. Das konnte sie überziehen.
Gründlich musterte sie sich im Spiegel. Ja, so konnte sie gehen. Ein Hauch apricotfarbener Lippenstift vervollständigte ihr Äußeres. Magda nickte sich zu. Sie sah adrett aus, aber nicht übertrieben schick gemacht.
Nervös war sie trotzdem.
Sie verließ ihre Wohnung und ging zur Bushaltestelle, die nur etwa dreihundert Meter entfernt lag.
Zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit traf Magda bei dem genannten Café ein. Dass sie so zeitig dran war, war ihr nicht recht, doch einen späteren Bus zu nehmen, hätte bedeutet, Herrn Reinhardt warten zu lassen. So schlenderte sie noch an einigen Schaufenstern vorbei, die gegenüber dem Café auf der anderen Straßenseite waren, und sah sich die Auslagen an, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Zwei Minuten vor 15 Uhr überquerte sie die Straße. Herr Reinhardt war noch nirgends zu sehen. Die Sonne schien kräftig, und allmählich fürchtete Magda, sie könnte ob der Wärme rote Wangen bekommen, wie sonst, wenn sie in der Küche in Sophienlust an Herd und Backofen gut zu tun hatte. Bei der Arbeit störte sie das nicht, doch im Moment…
Sie beschloss, schon mal das Café zu betreten. Herr Reinhardt war sicher gleich hier. Der Innenraum war nahezu leer, nur eine ältere Dame saß an einem der Fenster. Kein Wunder, bei dem herrlichen Wetter zog es die Leute nach draußen. Magda überlegte, an welchen der Tische sie sich setzen sollte. Eine freundliche Kellnerin kam ihr entgegen.
„Guten Tag. Kann ich Ihnen helfen?“
„Guten Tag. Ich bin verabredet, aber ich bin wohl ein wenig zu früh“, sagte sie.
„Möchten Sie schon Platz nehmen? Sie können auch im Freien sitzen. Wir haben im Hinterhof einen sehr schönen Außenbereich, und es ist noch ein Tisch frei.“
„Den nehme ich“, entschied Magda rasch. Ganz so entzückend, wie Herr Reinhardt das Café geschildert hatte, fand sie es nicht, auch wenn das Angebot an Kuchen, Torten und Kleingebäck in der gläsernen Theke sehr verlockend aussah. Der Gastraum des Lokals wirkte auf sie ein wenig steril und beengt.
Sie folgte der Angestellten durch den Gastraum. Seitlich des Tresens gab es eine zweiflügelige Glastür mit honigfarbenem Holzrahmen, die offen stand. Bereits jetzt konnte Magda sehen, dass der Innenhof wirklich einladend wirkte.
Der Boden war mit alten Steinquadern gepflastert, um kleine runde Bistrotische standen jeweils drei Korbsesselchen, und auf den Sitzflächen lagen bunte Kissen. Der gesamte Innenhof war mit einer hölzernen Pergola einfasst, an der üppig wachsende Grünpflanzen emporrankten. Durch deren Zweige drängte der Sonnenschein. Hier und da standen große Pflanzkübel, in den prächtig blühende Hibiskussträucher gediehen. In einer Ecke des Außenbereiches stand ein kleiner Sandkasten. Ein etwa dreijähriges Mädchen saß darinnen und grub konzentriert mit unsicherem Händchen ein Loch.
Die Kellnerin wies zu dem letzten freien Tisch, der hinten links stand.
„Wunderbar, vielen Dank“, sagte Magda. Hier gefiel es ihr.
„Möchten Sie mit einer Bestellung noch warten?“, fragte die Bedienung.
„Ja“, bestätigte Magda und setzte sich. Ein kecker kleiner Vogel hüpfte ohne Scheu über den Boden und pickte hier und da Krümel auf. Magda nahm die Tageskarte, die auf dem Tisch lag, und überflog das Angebot. Sie hatte Appetit auf einen Milchkaffee und ein großes Vanilleeis mit heißen Himbeeren. Oder lieber mit flambierten Kirschen? Köstlich.
Sie sah auf die Uhr. Gleich viertel nach drei. Ihr wurde ein wenig flau im Magen. Herr Reinhardt würde sie doch wohl nicht versetzen? Den Eindruck hatte er so gar nicht auf sie gemacht. Sie nestelte ihr Handy aus der Handtasche. Nun, wo sie ihn angerufen hatte, hatte er ja auch ihre Nummer. Vielleicht hatte er ihr eine Nachricht geschickt, dass er sich verspäten würde? Doch das war nicht der Fall.
Nachdenklich steckte sie das Mobiltelefon wieder ein. Weitere fünf Minuten darauf wurde sie ärgerlich. Sie derart lange warten zu lassen, gehörte sich nicht. Offenbar hatte sie den Mann falsch eingeschätzt. Er war zwar recht charmant und höflich, aber Pünktlichkeit gehörte wohl nicht zu seinen Tugenden.
Magda beschloss, sich das ersehnte Eis zu bestellen und einen Kaffee dazu und nach dem Genuss zuerst nach Hause zu fahren und dann nach Sophienlust. Uneingeschränkt Zeit hatte sie nicht, es musste ja das Abendessen für die Kinder auf den Tisch.
In diesem Augenblick betrat Horst Reinhardt den Innenhof, in Begleitung seines Enkels. Verhalten lächelte er ihr zu und eilte, das Kind an der Hand, zu ihrem Platz.
„Gnädige Frau“, er deutete eine Verbeugung an. „Ich muss mich vielmals entschuldigen. Jan und ich hatten bereits das Haus verlassen, da ist er auf dem Weg zum Auto gestolpert und hat Nasenbluten bekommen. Es hat ein Weilchen gedauert, bis es sich beruhigt hatte, und dann brauchte der Kleine auch noch saubere Kleidung.“
In Magda grummelte es nach wie vor, und obwohl seine Erklärung glaubwürdig klang und ihn freisprach, so gelang es ihr doch nicht, ihren Unmut sofort fallen zu lassen. Eine Kurznachricht hätte er doch wohl schreiben können. Dennoch rang sie sich ein Lächeln ab.
„Ich hoffe, Sie sind mir nicht allzu böse“, fuhr er fort und zeigte auf einen der freien Stühle. „Ich darf doch?“
„Natürlich“, stimmte Magda zu. Jan stand stumm neben seinem Großvater. Im Arm hielt er einen kleinen Teddybären. Horst Reinhardt nahm Platz.
„Komm Jan, setz dich auch“, bat er den Jungen. Wortlos kam der Kleine der Aufforderung nach. „Begrüßt du bitte die Dame?“, forderte er das Kind auf.
„Hallo“, murmelte Jan, ohne Magda anzusehen, und drückte den Teddy an sich.
„Hallo, Jan“, sagte Magda. „Wie geht es deiner Nase?“
Der Junge hob die Hand und legte sie prüfend darauf.
„Blutet nicht mehr“, verkündete er. „Bekomm ich ein Eis, Opa?“, fragte er.
„Sicher.“ Sein Großvater wirkte erschöpft.
Die Kellnerin kam und sie gaben ihre Bestellung auf. Herr Reinhardt entschied sich für eine Tasse Tee und ein Stück Zitronenkuchen. Jan baumelte mit den Beinen. Er wirkte bedrückt und gelangweilt gleichermaßen.
„Wann kommt das Eis, Opa?“, fragte er und sah dabei seinen Teddy an.
„Eine Weile wirst du dich schon gedulden müssen. Vielleicht möchtest du ein bisschen dort im Sand spielen, bis es soweit ist?“, schlug der Großvater vor.
„Im Sand?“ Jan hob den Kopf und sah sich um. Das kleine Mädchen, das zuvor noch im Sandkasten gespielt hatte, war nicht mehr da.
„Ja. Aber du rufst mich, wenn das Eis da ist?“, vergewisserte er sich.
„Natürlich“, tönte es zurück. Jan rutschte vom Stuhl, setzte sein Stofftier darauf und trottete davon.
„Nun haben wir einige ungestörte Minuten, so hoffe ich.“ Herr Reinhardt lächelte Magda erneut zu. Sie erwiderte das Lächeln.
„Sie sind mir doch hoffentlich nicht böse?“, wiederholte er seine Frage von vorhin. Magda hatte sich mittlerweile beruhigt. Das mochte vor allem daran liegen, dass sie ihm seine Erschöpfung anmerkte. Es war nicht zu übersehen, er war mit seinem Enkelchen überfordert.
„Nein, ich bin Ihnen nicht böse“, versicherte sie, setzte sich aufrecht und legte die Unterarme auf den Tisch. „Ich habe aber durchaus den Eindruck, dass der Kleine Sie sehr fordert, und deswegen wollte ich Ihnen etwas erzählen, was Ihnen eventuell eine Entlastung sein und auch Jan guttun könnte.“
„Sie sehen ganz reizend aus, Magda, wenn ich das so sagen darf. Das Kleid steht Ihnen wunderbar. Darf ich Sie Magda nennen?“, sagte er, ohne auf ihre Worte einzugehen. Magda lächelte.
„Das dürfen Sie.“
„Nennen Sie mich bitte Horst. Alles andere klingt so distanziert. Nun, welchen Vorschlag haben Sie für mich?“
Magda beschloss, sich zunächst einmal auf die wichtigsten Informationen zu beschränken. Vermutlich war der Moment, den sie unter vier Augen hatten, recht knapp.
„Sagt Ihnen das Kinderheim Sophienlust etwas?“, fragte sie.
„Sophienlust? Doch ja, ich habe schon einmal davon gehört oder gelesen. Es ist in Wildmoos, nicht wahr?“
„Richtig. Das ist nicht allzu weit von hier. Könnten Sie sich vorstellen, Jan dort unterzubringen, während Ihre Schwiegertochter im Ausland ist? Er hätte viele Spielkameraden, und Sie wären entlastet. Sie könnten ihn besuchen, sooft Sie möchten.“
„Ich soll Jan in ein Kinderheim geben? Aber ich bitte Sie, liebe Frau Magda. Er ist doch keine Waise. Er hat seine Mutter, auch wenn sie zurzeit im Ausland arbeitet, und er hat mich. Mit welcher Begründung sollte ich solch eine Möglichkeit in Anspruch nehmen?“
Magda lächelte. Er wusste eindeutig kaum etwas von Sophienlust, sonst hätte er diese Argumente nicht vorgebracht.
„Sophienlust ist keineswegs ausschließlich für Waisenkinder gedacht. Es ist ein Heim für in Not geratene Kinder. Wie diese Not aussieht und ob sie vorübergehend oder dauerhaft ist, ist ganz unterschiedlich“, sagte sie und lehnte sich nun wieder in ihrem Stuhl zurück.
„Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz“, gab Herr Reinhardt zu. Sein Blick ging zu der Sandkiste. Jan saß am Rand und grub mit Hilfe eines kleinen Plastikbaggers den Sand um.
„Nun, es ist ganz einfach. Bei uns wohnen Kinder, die haben keine Eltern mehr und auch keine Verwandten, die sich um sie kümmern können. Das sind unsere sogenannten ‚Dauerkinder‘. Andere wiederum kommen nur für ein paar Wochen oder auch Tage, je nachdem, wie es die Situation erfordert. Oft sind es Kinder von alleinerziehenden Elternteilen, die aus beruflichen oder privaten Gründen zeitweise jemanden zur Betreuung brauchen. So wäre das auch im Fall von Jan.“
Horst Reinhardt sah Magda aufmerksam an.
„Sie sprechen von ‚unseren Kindern‘. Wie darf ich das verstehen? Gehört Ihnen das Heim oder haben Sie dort eine leitende Position?“, fragte er.
„Weder noch. Ich arbeite dort als Köchin“, klärte sie ihn auf.
„Oh, wie schön. Hiltrud, meine verstorbene Frau, war auch eine leidenschaftliche Köchin“, sagte er. Ein leichtes Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
Magda entschied, auf Hiltrud nicht einzugehen. Die Zeit drängte schließlich, spätestens wenn das Eis für Jan da war, konnten sie nicht mehr ungestört reden.
„Das Heim ist das Erbe von Dominik von Wellentin-Schoenecker. Wir nennen ihn alle Nick. Er hat es von seiner Urgroßmutter Sophie von Wellentin vermacht bekommen. Es war damals in ihrem Privatbesitz. Sie hat verfügt, dass es zu einem Heim für notleidende Kinder umgestaltet werden soll. Bei ihrem Tod war Nick noch ein kleiner Junge, und so hat seine Mutter Denise bis zu seiner Volljährigkeit sein Erbe verwaltet“, informierte sie ihn.
„Tatsächlich“, sagte Horst Reinhardt. Magda war nicht sicher, ob ihn ihr Bericht erreichte. Er wirkte ein wenig geistesabwesend.
„Es ist ein wunderschönes Haus“, fuhr sie fort. „Mit einem großen parkartigem Garten und etlichen Spielplätzen. Zwei Hunde gehören dazu, ein Bernhardiner und eine Dogge. Außerdem gibt es einen Pferdestall. Wenn die Kinder möchten, können sie reiten lernen oder bei der Versorgung der Tiere zusehen oder helfen.“
„Das klingt wirklich sehr gut“, stimmte der Großvater von Jan zu.
„Ich glaube, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, es herrschen Harmonie und Zusammenhalt in Sophienlust. Das Personal ist sehr engagiert und immer für die Sorgen und Nöte der Kinder da. Und auch untereinander halten alle zusammen, auch wenn es natürlich hier und da gelegentlich Differenzen gibt“, sprach Magda weiter.
„Diese bleiben im menschlichen Miteinander nicht aus“, sagte Herr Reinhardt. „Aber eigentlich wollte ich ja ein wenig über Sie erfahren.“
Magda lächelte.