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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Lea saß in ihrem Zimmer auf dem flauschigen gelben Teppich, zog den Gummistopfen aus dem Bauch ihres rosa Sparschweins und schüttelte den Inhalt auf den Boden. Reichlich Münzen fielen heraus, ein Schein steckte noch im Sparschwein. Vorsichtig, um ihn nicht zu zerreißen, half sie mit dem Zeigefinger nach. Anschließend zählte sie konzentriert ihre Barschaft. Sie kam auf 14 Euro und zählte noch einmal. Jetzt waren es plötzlich nur noch 13 Euro. Lea runzelte die Stirn und fing ein drittes Mal an. Jetzt waren es wieder 14 Euro. Nachdenklich betrachtete sie ihr Geldhäufchen. Sicher war sie nicht, ob der Betrag diesmal stimmte. Egal, das Geld würde schon reichen um ihrem Papa zu seinem Geburtstag nächste Woche ein schönes Geschenk zu kaufen. Das wollte sie jetzt gleich erledigen. Direkt neben der Schule, die sie besuchte, gab es ein großes Warenhaus, in dem man viele schöne Dinge kaufen konnte. Dort würde sie etwas für ihren Papa finden. Lea sprang auf, kramte aus der überfüllten Schublade ihres Schreibtisches ihr Geldtäschchen und stopfte ihre Ersparnisse hinein. Das runde Portemonnaie war nun prall voll und der Reißverschluss ging nur mühsam zu. Sie packte den Geldbeutel in ihre Handtasche aus rosa Kunstleder, die mit dem Riemen über der Lehne des Schreibtischstuhls hing, und schlich zur Zimmertür. Behutsam drückte sie die Klinke herunter. Gleich nebenan saß der Papa in seinem Büro und arbeitete. Auf Zehenspitzen näherte sie sich dem Raum.
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Seitenzahl: 147
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Lea saß in ihrem Zimmer auf dem flauschigen gelben Teppich, zog den Gummistopfen aus dem Bauch ihres rosa Sparschweins und schüttelte den Inhalt auf den Boden. Reichlich Münzen fielen heraus, ein Schein steckte noch im Sparschwein. Vorsichtig, um ihn nicht zu zerreißen, half sie mit dem Zeigefinger nach. Anschließend zählte sie konzentriert ihre Barschaft.
Sie kam auf 14 Euro und zählte noch einmal. Jetzt waren es plötzlich nur noch 13 Euro. Lea runzelte die Stirn und fing ein drittes Mal an. Jetzt waren es wieder 14 Euro. Nachdenklich betrachtete sie ihr Geldhäufchen. Sicher war sie nicht, ob der Betrag diesmal stimmte. Egal, das Geld würde schon reichen um ihrem Papa zu seinem Geburtstag nächste Woche ein schönes Geschenk zu kaufen. Das wollte sie jetzt gleich erledigen.
Direkt neben der Schule, die sie besuchte, gab es ein großes Warenhaus, in dem man viele schöne Dinge kaufen konnte. Dort würde sie etwas für ihren Papa finden.
Lea sprang auf, kramte aus der überfüllten Schublade ihres Schreibtisches ihr Geldtäschchen und stopfte ihre Ersparnisse hinein. Das runde Portemonnaie war nun prall voll und der Reißverschluss ging nur mühsam zu. Sie packte den Geldbeutel in ihre Handtasche aus rosa Kunstleder, die mit dem Riemen über der Lehne des Schreibtischstuhls hing, und schlich zur Zimmertür. Behutsam drückte sie die Klinke herunter. Gleich nebenan saß der Papa in seinem Büro und arbeitete. Auf Zehenspitzen näherte sie sich dem Raum. Die Tür stand ein Stückchen offen, sodass sie hineinsehen konnte.
Niklas Kettler saß, den Rücken ihr zugewandt, vor dem Bildschirm des Computers, auf dem etliche Gesichter zu sehen waren, alle eingefasst in kleine schwarze Rahmen, wie Fotos. Nur bewegten sich die Gesichter. Der Papa hatte einen Kopfhörer über seine Ohren gestülpt, und ab und zu sprach er in ein Mikrophon, welches am Kopfhörer angebracht war und ein Stückchen vor seinem Mund herumzitterte.
Lea wusste, der Papa war in einer Konferenz, und sie durfte ihn jetzt nicht stören. Das war gut so. Die Konferenzen dauerten immer ziemlich lange. Wenn sie ganz fix machte, würde sie zurück sein, ehe er merkte, dass sie weggegangen war.
Sie huschte zur Haustür und öffnete sie behutsam, wobei sie mehrafach über die Schulter und in Richtung Büro sah. Ihr Vater merkte nichts.
Endlich stand sie draußen auf der Haustreppe. Geschafft! Ihr Herz schlug ziemlich schnell, und ihr war ein kleines bisschen unwohl. Es war schon klar, dass sie nicht heimlich das Haus verlassen und in die Stadt fahren durfte, schon gar nicht alleine. Es war ja auch nur, um dem Papa eine Freude zu machen. Vielleicht würde er ein wenig schimpfen, wenn er erfuhr, dass sie sich davongeschlichen hatte. Aber bestimmt würde er sich schnell wieder beruhigen. Hauptsache war, sie fand ein schönes Geschenk für ihn.
Lea hüpfte die drei Stufen der Haustreppe hinunter.
Die Haltestelle, an der sie jeden Morgen in den Bus stieg, um zur Schule zu fahren, war vom Haus aus zu sehen. Wann der nächste Bus kam, wusste sie nicht, aber Tante Marie, bei der sie manchmal war, wenn der Papa keine Zeit hatte, und die nur ein paar Häuser weiter wohnte, sagte immer, er würde alle halbe Stunde fahren.
Lea lief zwei Schritte, hopste über eine Fuge in den Pflastersteinen, lief wieder zwei Schritte und hopste über die nächste. Sie hatte etwa die Hälfte des Weges zur Haltestelle geschafft, als sie den Bus kommen sah. Sie fing an zu rennen und war ganz außer Atem, als sie dort war.
Den Busfahrer, der hinter dem Steuer saß, kannte sie. Er fuhr oft, wenn sie mittags wieder nach Hause wollte. Er lächelte ihr zu. Lea lächelte zurück und kletterte in den Bus.
»Die Fahrkarte bitte, mein kleines Fräulein«, sagte der Mann schmunzelnd. Lea bekam einen Schreck. An die hatte sie gar nicht gedacht. Sie steckte in ihrer Schultasche, und die stand zu Hause in ihrem Zimmer.
Der Busfahrer grinste. »Schon gut. Ich weiß ja, dass du eine Dauerkarte hast. Setz dich, damit du nicht umfällst, wenn ich jetzt losfahre.«
Erleichtert kletterte Lea auf den ersten Sitz, gleich beim Einstieg. Während der Bus losruckelte überlegte sie, dass sie eine Fahrkarte auch für die Rückfahrt brauchen würde. Wenn sie Glück hatte, fuhr der gleiche Mann wieder. Dann war das kein Problem. Sie konnte auch ein bisschen von ihrem Geld aufheben, für alle Fälle. Wie viel eine Fahrt ohne Dauerkarte kostete, wusste sie nicht.
Lea beschloss, später darüber nachzudenken.
Zwei Stationen weiter konnte sie schon wieder aussteigen. Von hier war das Kaufhaus bereits zu sehen. Lea beeilte sich. Schließlich wollte sie ganz bald wieder zurück sein, damit der Papa nichts merkte und sich auch keine Sorgen machte.
Die breite gläserne Eingangstür öffnete sich von alleine, als Lea vor ihr stand. In der Abteilung zu ihrer Linken gab es viele Fernseher. Große und kleine und die meisten waren eingeschaltet. Einen Fernseher brauchte der Papa nicht, sie hatten schon einen. Außerdem war der bestimmt zu teuer, dafür würde ihr Geld nicht reichen. Lea blieb trotzdem vor einem der Geräte stehen. Auf dem Bildschirm hoppelte ein schneeweißes Kaninchen über eine grüne Wiese und mümmelte hier und da am Gras. Das Kaninchen gefiel ihr. Es sah fast so aus wie ihr Hoppel, der jetzt in den Sommermonaten in seinem Gehege im Garten wohnte. Wenn es draußen kalt war, durfte er in seinem Käfig in Papas Büro schlafen. Die erste Zeit hatte Hoppel bei ihr im Zimmer wohnen dürfen. Weil er aber manchmal nachts versuchte, in seinem Käfig ein Loch zu graben, und dabei ziemlich laut war und Lea weckte, hatte der Papa ihn ins Büro umquartiert.
Über dem weißen Kaninchen im Fernseher wurde Werbung für Hasenfutter eingeblendet, und Lea wandte sich ab.
In der Abteilung gegenüber gab es Schmuck. Überall glitzerte und funkelte es. Den wollte sie sich genauer ansehen.
Der Schmuck war sehr schön, aber fast alles war für Frauen, da war sie ziemlich sicher. Ketten, Ringe, Armbänder und Uhren. Uhren gab es auch für Männer, aber eine Uhr hatte der Papa auch schon.
Lea beschloss, mit der Rolltreppe ein Stockwerk höher zu fahren. Vielleicht fand sie im ersten Stock etwas Schönes für ihn, was er auch gebrauchen konnte. Er mochte lieber Dinge, die nützlich waren. Was nur schön ist, steht bloß herum und stört beim Staubwischen, sagte er immer.
Schon auf den letzten Stufen der Treppe sah Lea, dass sie in die Spielwarenabteilung kam. Hier gab es bestimmt ganz doll schöne Sachen. Kurz überlegte sie, ob sich der Papa über ein Spiel freuen würde, das sie zusammen spielen konnten. Dann entschied sie sich dagegen. Sie hatten viele Spiele zu Hause, und das Geschenk sollte nur für ihn sein. Aber kurz durch die Regale bummeln wollte sie schon. Vielleicht entdeckte sie etwas, das sie sich vom Papa zu Weihnachten wünschen konnte, auch wenn es bis dahin noch richtig lange dauerte.
*
Sarah Stehr saß in ihrem Büro im ersten Stock des Kaufhauses ›Warenschön‹ und ging die Bestelllisten für den kommenden Monat durch. Immer wenn sie aufsah, fiel ihr Blick auf das kleine gerahmte Foto, welches rechts von dem Bildschirm ihres Computers stand. Darauf waren sie und Paul zu sehen. Wange an Wange lächelten sie strahlend in die Kamera, und Sarahs Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Sie waren so glücklich gewesen. Noch immer konnte sie nicht begreifen, dass Paul sie vor zwei Monaten verlassen hatte.
Wenn sie ehrlich mit sich war, war ihr schon aufgefallen, dass er sich in den Wochen zuvor mehr und mehr zurückgezogen hatte. Doch sie hatte das auf seine Arbeit geschoben. Paul arbeitete bei einer Krankenkasse und war zu Jahresbeginn zum Abteilungsleiter des Vertriebs ernannt worden.
Als er ihr, für sie völlig unvermittelt, an einem verregneten Wochenende im April mitgeteilt hatte, dass er sich trennen wollte, war der Boden unter ihr eingebrochen. Freundlich und ruhig hatte er ihr gesagt, dass ihre Lebenspläne zu unterschiedlich seien für eine gemeinsame Zukunft.
Während sie sich nichts sehnlicher wünschte, als möglichst bald eine Familie zu gründen, sehnte sich Paul danach, unabhängig durch die Welt zu reisen, soweit es seine Arbeit erlaubte. Durch eine Heirat binden wollte er sich nicht, und Kinder schon gar nicht, auch nicht später irgendwann.
Wie ein eisiger Regen waren seine Worte auf sie niedergegangen. Wie gelähmt hatte Sarah zugehört und um Argumente gerungen, die ihn zum Bleiben, aber auch zum Umdenken hätten bewegen können. Nur langsam war ihr klar geworden, dass jeder Versuch zwecklos war.
Paul war zu ruhig und zu entschlossen gewesen, und er meinte immer, was er sagte. Natürlich war ihr in den beiden Jahren, in denen sie zusammen gewesen waren, aufgefallen, dass er nie darauf eingegangen war, wenn sie von Familiengründung und Kinderwunsch gesprochen hatte. Allenfalls hatte er milde gelächelt, und sie hatte gehofft. Gehofft, er würde über eine gemeinsame Zukunft so denken wie sie, und über kurz oder lang würden sie heiraten, zusammenziehen und ein oder zwei Kinder bekommen. Oder mehr.
Die Vorstellung hatte sie mit Seligkeit erfüllt, zumal sie Paul sehr geliebt hatte.
Erneut spürte sie ein schmerzhaftes Ziehen in der Brust.
Sarah griff nach dem kleinen Bilderrahmen und betrachtete die Aufnahme. Paul hatte sie unendlich enttäuscht. Liebte sie ihn noch, oder trauerte sie nur noch ihren unerfüllten Wünschen hinterher? Vermutlich Letzteres. Mit jedem Wort, welches er seinerzeit ausgesprochen hatte, war ein Teil ihrer Gefühle zerbrochen. Es wurde Zeit, dieses Kapitel ihres Lebens abzuschließen. Sarah zog die Schreibtischschublade auf und legte das Bild mit der Ansicht nach unten nachdrücklich hinein.
Im gleichen Augenblick ging die automatisch gesteuerte Beleuchtung in den Verkaufsräumen des Warenhauses aus, wie sie durch den Glaseinsatz über ihrer Bürotür sehen konnte. Ladenschluss.
Automatisch blickte sie auf die Uhr. Schon so spät! Sie hatte gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen war. Draußen vor dem Fenster strahlte die Abendsonne vom Himmel. Sie würde trotzdem noch die Bestellungen überprüfen. Zu Hause wartete niemand auf sie, nur der Fernseher.
*
Lea stand vor einem Regal mit ganz seltsamen Puppen, wie sie sie noch nie gesehen hatte, gerade als das Licht ausging. Verdutzt hielt sie in ihrer Beschäftigung inne. Sie hatte eben eine der Puppen aus dem Regal genommen um sie sich genauer anzusehen. Sie hatte einen Kopf und eine Jacke an und streckte die Arme seitwärts. In der Jacke war kein Körper, sodass die Puppe weder stehen noch sitzen konnte. Und nun war es dunkel und ganz still, und sie konnte kaum noch was sehen. Lea bekam Angst. War das Licht kaputt? Oder … war sie schon viel länger im Kaufhaus, als sie gemerkt hatte? Ihr wurde eng im Hals. Dann war dem Papa bestimmt schon aufgefallen, dass sie weg war! Er würde sich große Sorgen machen und sehr böse auf sie sein, wenn sie wiederkam …
Das Licht blieb aus und Lea fing an zu zittern. Wahrscheinlich war das Kaufhaus jetzt zu, und sie war ganz allein hier und sie kam nicht mehr raus, bis morgen früh. Was sollte sie denn jetzt machen? Ihr wurde ganz kalt, und am liebsten hätte sie geweint. Sie rieb sich mit dem Ärmel die Augen trocken, streckte die Arme aus und tastete nach dem Regal, um die komische Puppe zurückzulegen. Das klappte gut und sie fühlte sich ein wenig getröstet.
Danach wandte sie sich um. Inzwischen hatten sich ihre Augen an das Dunkel gewöhnt, und Lea sah Umrisse der Einrichtung, aber auch viele Schatten, die ihr Angst machten. Sie zog die Schultern zusammen und überlegte.
Vielleicht fand sie eine Tür nach draußen, wenn sie ganz vorsichtig alles absuchte. Behutsam setzte sie einen Schritt vor den anderen. Von irgendwoher kam ein bisschen Licht. Sie wollte versuchen, dieses Licht zu finden.
Lea stieß mit der Hüfte an einen Gegenstand. Es schepperte, dröhnend laut, wie es ihr schien. Sie stand wie angewurzelt, bekam kaum noch Luft und ihr Herz fing an zu rasen.
Das Licht, dass von irgendwoher kam, wurde heller. Ein Schatten tauchte darin auf, ein Stück weit weg. Es war jemand hier. Sie war nicht alleine. Seltsamerweise machte ihr das richtig doll Angst. Lea wollte schreien und konnte es nicht.
*
Sarah hörte ein schepperndes Geräusch und erschrak. Was war das gewesen? Beinahe hatte es geklungen, als wäre jemand gegen einen der Gittertische gestoßen, und die darauf befindlichen Waren waren ins Rutschen gekommen.
Sie sah zum Oberlicht über der Tür. Im Verkaufsraum war es dunkel. Wäre noch jemand vom Personal hier gewesen, derjenige hätte Licht gemacht. Schließlich ließen sich einzelne Leuchtkörper manuell schalten, zum Beispiel für die Reinigungskräfte.
Ihr wurde flau im Magen. Sie war oft abends alleine im Kaufhaus, manchmal bis spät in die Nacht, und hatte noch nie Angst gehabt.
Vielleicht war irgendwo ein Warenturm eingestürzt, der nicht sorgsam genug aufgebaut worden war. Ihr Verstand sagte ihr, dass das nicht sein konnte. Aktuell gab es zwei Aufbauten, einen mit Stofftieren und einen mit Bastelpapier. Beide Warengruppen konnten nicht solch ein Scheppern verursachen.
Sarah nahm allen Mut zusammen und erhob sich, um nachzusehen. Im Verkaufsraum war es jetzt still, dennoch hatte sie das Gefühl, nicht allein zu sein. Sie tastete nach links neben den Türrahmen und drückte auf den Schalter für die manuelle Beleuchtung. Trübes Licht flackerte auf. Sekunden darauf erblickte sie ein kleines Mädchen, das vor dem Gittertisch mit den Metallkreiseln stand und sie erschrocken ansah.
Augenblicklich war Sarah erleichtert. Immerhin kein Einbrecher im eigentlichen Sinne!
»Hallo«, sagte sie und lächelte das Kind an, das völlig verängstigt schien. »Was machst du denn noch hier?«, fuhr sie fort.
Die Kleine presste eine Mädchenhandtasche aus rosa Lackleder an den Bauch.
»Ich wollte dem Papa ein Geschenk kaufen«, gab sie Auskunft.
»Ach so.« Für einen Augenblick war Sarah ratlos. Das Kind sah sie an, als erwarte es, dass sie nun sein Problem lösen sollte. Tatsächlich war es wohl auch so.
»Aber das Kaufhaus hat schon geschlossen«, fuhr Sarah nach kurzer Überlegung fort.
Das Mädchen nickte.
»Das Licht ist ausgegangen«, sagte es.
»Ja, das geht automatisch, wenn wir schließen. Wo sind denn deine Eltern? Oder mit wem bist du gekommen?«
»Ich bin alleine gekommen. Der Papa ist zu Hause«, gab das Mädchen bereitwillig Auskunft.
»Ach so, okay«, wiederholte Sarah. »Ja, dann würde ich sagen, wir rufen jetzt deinen Papa an, damit er dich abholt.«
Wahrscheinlich hatte die Kleine die Zeit verbummelt.
»Aber das geht nicht! Dann weiß er doch, wo ich bin, und ich wollte ihm doch eine Überraschung machen«, erklärte das Kind.
»Das verstehe ich.« Die Kleine war niedlich. Sie hatte akkurat zum Bob geschnittene braune Haare, die seitlich mit einer Spange zurückgehalten waren, ein hellblaues Kleid mit Rüschen am Saum und eine weiße Strickjacke. Die Füße steckten in weißen Söckchen und weißen Sneakern. Sarah schätzte sie auf etwa sieben Jahre.
»Du musst aber trotzdem nach Hause. Der Papa macht sich bestimmt schon Sorgen«, gab sie zu bedenken.
Nachdenklich nickte das Kind.
»Wie heißt du denn?«, fragte Sarah.
»Lea«, antwortete die Kleine.
»Und wie noch?«
»Kettler.«
»Weißt du eure Telefonnummer? Oder die von deinem Papa?«, erkundigte sie sich.
Lea überlegte.
»Ich habe sie aufgeschrieben. Aber ich habe sie nicht dabei. Sie ist in meinem Federmäppchen«, erklärte sie.
»Gut. Dann gucken wir ins Telefonbuch. Vielleicht steht die Nummer da drin«, entschied Sarah. »Komm doch bitte mit in mein Büro, und ich sehe nach.«
»Kann ich vorher noch das Geschenk kaufen?«, fragte Lea.
Sarah lächelte. Es musste wohl sehr wichtig sein.
»Das Kaufhaus hat geschlossen, Lea. Die Kassen sind zu. Du kannst gerne morgen etwas kaufen. Was möchtest du denn für deinen Papa haben?«
»Ich weiß es nicht. Deswegen wollte ich doch gucken. Aber er soll sich ganz arg freuen«, beteuerte Lea.
»Das ist sehr lieb von dir. Du findest sicher etwas, das ihm Freude macht, nur heute klappt das nicht mehr. Nun komm, wir rufen ihn an.«
»Kannst du mir nichts verkaufen?« Bittend sah Lea sie an. Sarah schüttelte bedauernd den Kopf.
»Tut mir leid, Kleines.« Wenn das Mädchen wenigstens genau gewusst hätte, was es wollte. Dann hätte sie ihm eventuell die gewünschte Ware aushändigen und das Geld dafür aufbewahren können, um es morgen in der entsprechenden Abteilung zu übergeben, damit es in die Kasse gelegt werden konnte.
»Kommst du bitte mit?«, fragte sie noch einmal. Lea nickte. Mit gesenktem Kopf näherte sie sich ihr.
»Sei nicht traurig. Morgen klappt es bestimmt«, versuchte sie, die Kleine zu trösten. Lea gab keine Antwort.
Sie betraten das Büro.
»Ui«, sagte Lea überrascht. »Es ist ja noch ganz hell draußen, und die Sonne scheint.« Sie zeigte zu den Fenstern.
»Ja, natürlich«, bestätigte Sarah. »Wir haben Sommer, da ist es lange hell.«
»Aber da drin nicht«, widersprach Lea und zeigte zum Verkaufsraum. »Warum gibt es dort keine Fenster?«
»Weil der Raum so groß ist, dass die Fenster nicht ausreichen würden. In der Mitte wäre es trotzdem nicht hell genug«, versuchte sie sich an einer Erklärung. Wirklich über diese Frage nachgedacht hatte Sarah noch nie. Trotzdem schien ihr ihre Antwort plausibel.
»Du kannst dich dahin setzen«, sagte Sarah und zeigte auf den Besucherstuhl, seitlich ihres Schreibtisches. Artig setzte sich Lea.
»Ihr habt komische Puppen«, plapperte Lea weiter. »Die haben einen leeren Bauch und keine Beine.«
»Du meinst die Handpuppen«, erklärte Sarah.
»Handpuppen?«
»Ja.« Sarah lächelte. Sie zog die unterste Schublade ihres Schreibtisches auf. Darinnen lag das Musterexemplar einer Biene-Maja-Handpuppe, die der Hersteller vor Wochen geschickt hatte, um für sein Produkt zu werben.
»Guck.« Sarah schob die Hand in den Bauch der Puppe und Daumen und Zeigefinger in die Arme.
»Bssss«, machte sie eine Art Bienensummen nach und ließ die Biene Maja Richtung Lea schwirren. Lea kicherte.
»Das ist ja lustig«, sagte sie.