Von der Mutter verlassen - Simone Aigner - E-Book

Von der Mutter verlassen E-Book

Simone Aigner

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Daniel Brunner wurde davon geweckt, dass ihn ein vorwitziger Sonnenstrahl, der sich durch die Spalten der Jalousie drängte, mitten im Gesicht traf. Er blinzelte und schloss geblendet die Augen wieder. Die Helligkeit drang dennoch durch seine Lider, und er legte den linken Unterarm darüber. Mit der rechten Hand tastete er behutsam nach seiner Frau Silvia, die wohl noch schlief. Er spürte das Bettlaken unter seinen Fingern und ließ seine Hand weitergleiten. Hier war die Bettdecke, anscheinend zurückgeschlagen, und dort das Kissen. Das Bettzeug fühlte sich kühl an, als hätte länger niemand darauf gelegen. Er wandte sich zur Seite und öffnete die Augen. Silvia war tatsächlich bereits aufgestanden. Daniel sah auf den Wecker mit der hölzernen Fassung, der auf ihrem Nachtschrank stand. Es war erst kurz nach sechs Uhr morgens. Er legte sich wieder auf den Rücken und schloss erneut die Augen. Wahrscheinlich war sie in der Küche, um für die Familie den Frühstückstisch zu decken. Das hatte er eigentlich selbst machen wollen, schließlich feierte seine Frau heute ihren 35. Geburtstag. In seinem Nachtschrank lagen zwei in Geschenkpapier eingewickelte Überraschungen für sie und im Vorratskeller, den er gestern Abend sicherheitshalber abgesperrt hatte, stand ein Strauß roter und pinkfarbener Rosen in einer Vase. Diese Farbkombination gefiel Silvia besonders gut. Daniel lauschte in die Stille in der Wohnung. Er hörte kein Geräusch aus der Küche und er schnupperte auch nicht das Aroma frischgebrühten Kaffees, wie sonst jeden Morgen. Das Erste, was Silvia all morgendlich tat, war, sich eine Tasse Kaffee zuzubereiten.

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Seitenzahl: 149

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sophienlust - Die nächste Generation – 134 –

Von der Mutter verlassen

Für Tim und Alina beginnt eine schwere Zeit

Simone Aigner

Daniel Brunner wurde davon geweckt, dass ihn ein vorwitziger Sonnenstrahl, der sich durch die Spalten der Jalousie drängte, mitten im Gesicht traf. Er blinzelte und schloss geblendet die Augen wieder. Die Helligkeit drang dennoch durch seine Lider, und er legte den linken Unterarm darüber. Mit der rechten Hand tastete er behutsam nach seiner Frau Silvia, die wohl noch schlief. Er spürte das Bettlaken unter seinen Fingern und ließ seine Hand weitergleiten. Hier war die Bettdecke, anscheinend zurückgeschlagen, und dort das Kissen. Das Bettzeug fühlte sich kühl an, als hätte länger niemand darauf gelegen. Er wandte sich zur Seite und öffnete die Augen. Silvia war tatsächlich bereits aufgestanden.

Daniel sah auf den Wecker mit der hölzernen Fassung, der auf ihrem Nachtschrank stand. Es war erst kurz nach sechs Uhr morgens. Er legte sich wieder auf den Rücken und schloss erneut die Augen.

Wahrscheinlich war sie in der Küche, um für die Familie den Frühstückstisch zu decken. Das hatte er eigentlich selbst machen wollen, schließlich feierte seine Frau heute ihren 35. Geburtstag. In seinem Nachtschrank lagen zwei in Geschenkpapier eingewickelte Überraschungen für sie und im Vorratskeller, den er gestern Abend sicherheitshalber abgesperrt hatte, stand ein Strauß roter und pinkfarbener Rosen in einer Vase. Diese Farbkombination gefiel Silvia besonders gut.

Daniel lauschte in die Stille in der Wohnung. Er hörte kein Geräusch aus der Küche und er schnupperte auch nicht das Aroma frischgebrühten Kaffees, wie sonst jeden Morgen. Das Erste, was Silvia all morgendlich tat, war, sich eine Tasse Kaffee zuzubereiten. Den trank sie, in der Küche an die Arbeitsfläche gelehnt, noch vor dem Zähneputzen, Duschen und Anziehen. Die Ruhe und der fehlende Kaffeeduft hatten plötzlich etwas Beklemmendes. Daniel hielt den Atem an und konzentrierte sich auf die leisesten Geräusche im Haus.

Auch im Bad, das sich gleich neben dem Schlafzimmer befand, war es still. Er setzte sich auf. Sein Blick fiel auf den Korbsessel, der unter dem Fenster stand. Auf ihn hatte sie gestern Abend ihr dunkelblaues Hemdblusenkleid mit dem Bindegürtel gelegt. Es war weg, doch das hatte eigentlich wenig zu bedeuten.

Daniel schlug die Bettdecke zurück und schob die Beine über die Bettkante. Auf nackten Füßen verließ er das Schlafzimmer. Die Tür zum Bad stand halb offen, über dem Rand der Wanne lag Silvias knielanges, geblümtes Nachthemdchen. Die Türen zu den Kinderzimmern waren noch geschlossen. Er nahm die Treppe hinunter ins Erdgeschoss, wobei er achtsam auf die Stufen trat. So manche knarrte, und er wollte Tim und Alina nicht wecken.

Er sah ins Wohnzimmer. Der Raum wirkte verlassen. Auf dem Couchtisch lag die aufgeschlagene Fernsehzeitung, und die Sofakissen waren zerknautscht.

Aus Gründen, die Daniel sich selbst nicht erklären konnte, scheute er sich davor in die Küche zu gehen, und warf stattdessen einen Blick in den Raum, der ursprünglich als Gästezimmer hätte dienen sollen. Längst nutzte Silvia das Zimmer zum Bügeln und Aufbewahren vom allem, was im Übrigen Haus keinen Platz fand und doch noch irgendwann einmal nützlich sein konnte. Ihre Nähmaschine zum Beispiel. Bis Tim geboren worden war, hatte sie einen Teil ihrer Garderobe selbst geschneidert. Nach seiner Geburt hatte ihr die Zeit gefehlt, und als sich kurz darauf Alina angekündigt hatte, hatte Silvia ihr Hobby endgültig aufgegeben. Daniel zog die Tür hinter sich zu und ging nun doch über den Flur zur Küche.

Der Tisch war gedeckt, wie er vermutet hatte, und doch zog es ihm augenblicklich die Kehle zu. Es standen nur drei Gedecke darauf. Mittig hatte Silvia den Geburtstagskuchen gestellt. Wie jedes Jahr hatte sie einen schlichten Zitronen-Rührkuchen gebacken, den die Kinder besonders gerne mochten. Sie hatte einen dicken rosafarbenen Guss aufgetragen, auf dem bunte Smarties klebten. Am Kuchen lehnte ein kleiner Zettel, beschrieben mit Bleistift und mit den steilen Buchstaben ihrer Handschrift. Er griff nach der Notiz.

Macht euch einen schönen Tag. Ich nehme mir heute nur Zeit für mich. Daneben hatte sie ein Blümchen gezeichnet. Fassungslos ließ er die Nachricht sinken. Was war denn das?

»Papa?«, hörte er hinter sich das Stimmchen seines siebenjährigen Sohnes. Er wandte sich um. Tim stand barfuß und im Schlafanzug unter der Tür. Seine Haare waren verstrubbelt, sein kleines Gesicht noch verschlafen. Daniel brachte kein Wort hervor.

»Wo ist denn die Mama?«, fragte sein Junge. Die Hände hielt er hinter dem Rücken.

›Ich weiß es nicht‹, dachte Daniel, der sich völlig überfordert fühlte.

Was sollte er seinem Sohn sagen?

Gestern Vormittag war er mit den Kindern in Steinau in der Stadt gewesen, damit die beiden eine Aufmerksamkeit für ihre Mutter zum Geburtstag kaufen konnten. Eine Aufmerksamkeit, die natürlich er finanzierte. Alina hatte sich für einen Lippenpflegestift mit glitzernder Umhüllung entschieden, der ihr eindeutig selbst sehr gut gefiel. Tim hatte ein Tütchen mit Badezusatz ausgesucht. Silvia mochte Vollbäder und kaufte diese Tütchen auch oft. Am Nachmittag hatte er, gemeinsam mit den Kindern, die Geschenke noch in aller Heimlichkeit eingepackt, während Silvia den Kuchen gebacken hatte. Wieso hatte sie mit keinem Wort erwähnt, dass sie den heutigen Tag für sich wollte? Die Antwort war klar. Er hätte protestiert, sie auf die Enttäuschung der Kinder hingewiesen und ihr nahegelegt, den ›Tag für sich‹ ein anderes Mal einzuplanen.

»Papa?«, quengelte Tim. Daniel riss sich zusammen.

»Guten Morgen, mein Kleiner«, begrüßte er ihn und bemühte sich, seine Stimme normal und freundlich klingen zu lassen.

»Wo ist die Mama?«, jammerte Tim. »Ich mag ihr mein Geschenk geben.« Er hielt die Hände noch immer hinter dem Rücken und Daniel vermutete, er verbarg dort seine Aufmerksamkeit für die Mutter.

»Timmi«, sagte Daniel, zog einen Stuhl vom Tisch weg, setzte sich und streckte die Arme nach seinem Sohn aus. Der Kleine kam zu ihm und kletterte auf seinen Schoß. Jetzt sah Daniel, dass er tatsächlich sein bereits ein wenig zerknautschtes Päckchen bei sich hatte.

»Die Mama hat ganz plötzlich weggemusst.« Das Atmen fiel ihm schwer und jäh machte seine Bestürzung massiver Empörung Platz. Was hatte Silvia sich dabei gedacht? Wie egoistisch von ihr, sich ohne Ankündigung einen Tag ›Auszeit‹ zu nehmen, noch dazu heute!

»Weg?« Erschrocken sah sein Junge zu ihm auf.

»Ja.« Er nickte nur.

»Wohin denn?«, erkundigte sich Tim. Die Frage hatte er befürchtet.

»Zu einer Freundin«, bemühte er sich um eine ausweichende Antwort.

»Mama hat keine Freundin«, protestierte sein Sohn.

»Doch«, hielt Daniel dagegen. Als er Silvia kennengelernt hatte, war sie mit Marlene befreundet gewesen, die aber vor fünf Jahren nach Coburg gezogen war. Soweit er wusste, hielten sie keinen Kontakt mehr.

»Sie heißt Marlene und wohnt ein bisschen weiter weg«, erklärte er Tim und hoffte, der Kleine würde sich damit zufriedengeben. Es gab auch noch Birte. Doch die fiel wohl eher unter eine Bekannte.

»Mama«, rief Alina aus ihrem Zimmer, wie jeden Morgen. Sie erwartete stets, dass die Mutter an ihr Bett kam, sobald sie aufgewacht war. Silvia hatte in den letzten Monaten mehrfach versucht, ihr diese Eigenart, wie sie es nannte, abzugewöhnen, doch Alina hatte mit tränenreichem Protest reagiert, bis sie schließlich nachgegeben hatte.

Tim rutschte von Daniels Schoß und rannte aus der Küche, die Treppe wieder nach oben. Daniel folgte ihm. Er vermutete, Tim wollte seiner Schwester erzählen, dass die Mutter nicht da war.

Schon auf der Treppe hörte er, wie der Junge die Tür zu Alinas Zimmer öffnete.

»Die Mama ist weggefahren! Ohne uns«, informierte er sie aufgebracht. Daniel war im oberen Stockwerk angekommen und trat hinter seinen Sohn. Alina saß im Bett und sah ihren Bruder bestürzt an. Ihre langen blonden Haare fielen in zerzausten Strähnen über ihre Schultern.

»Wohin denn?«, fragte Alina.

»Zu einer voll doofen Ma-Lene«, ließ Tim sie wissen und setzte sich mit Schwung und finsterer Miene auf ihre Bettkante.

Alina machte ein erschrockenes Gesicht.

»Feiern wir dann gar keinen Geburtstag? Ich habe doch ein Geschenk für die Mama«, klagte sie.

Daniel setzte sich zu seinen Kindern. Er legte den Arm um Tim und auch Alina rutschte an seine Seite und schmiegte sich an ihn.

»Ich bin sicher, die Mama ist bis heute Abend zurück. Dann könnt ihr ihr die Geschenke geben. Das Feiern holen wir natürlich auch nach. Die Mama hat für uns einen schönen Frühstückstisch gedeckt und mittendrauf steht der Kuchen«, sagte er und bemühte sich auch jetzt um einen ruhigen, tröstlichen Ton.

»Ich mag aber ohne die Mama den Kuchen gar nicht«, jammerte Alina.

»Ich schon.« Tim trat heftig mit einem Fuß in die Luft als wollte er etwas wegkicken. »Ich mag, dass wir ihn ganz aufessen. Das ist voll gemein, dass die Mama einfach weggefahren ist. Ohne uns.«

Daniel gab seinem Sohn im Stillen recht.

»Ihr zwei geht jetzt Zähne putzen und danach zieht ihr euch an. Ich koche euch in der Zwischenzeit einen Kakao und dann frühstücken wir«, entschied er. Sowie die Kinder im Bad waren, würde er versuchen, Silvia auf dem Handy zu erreichen. Geburtstag hin oder her, wie hatte sie das tun können?

*

Daniel wählte Silvias Nummer und lauschte auf das Freizeichen. Sein Puls beschleunigte sich, je länger er vergeblich wartete, dass sie das Gespräch annahm. Entnervt beendete er den Versuch, sie zu sprechen. Stattdessen schrieb er ihr eine WhatsApp-Nachricht.

›Silvia, was ist los? Die Kinder fragen nach dir. Hätten wir nicht vorher über deine Auszeit reden können? Dennoch herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Bitte melde dich.‹

Er schickte die Nachricht ab. Nur Sekunden darauf erschienen die beiden kleinen grauen Häkchen hinter dem Text, die ihm sagten, dass seine Mitteilung zugestellt worden war. Er wartete, dass Silvia online ging, doch nichts geschah. Zu gerne hätte er gewusst, wann sie zuletzt auf WhatsApp gewesen war, doch diese Funktion hatte sie deaktiviert.

Daniels Empörung steigerte sich. Noch gestern beim Abendessen hatten Tim und Alina freudig von dem heutigen Tag gesprochen und sich bemüht, ihre Mutter neugierig auf ihre Geschenke zu machen, ohne die jeweilige Überraschung zu verraten. Wenn er es recht bedachte, hatte Silvia verhalten reagiert und den beiden nur dürftig den Gefallen getan, so zu tun, als wäre sie sehr gespannt.

Er überlegte, ob er Marlene versuchen sollte, zu erreichen. Vielleicht war sie ja tatsächlich bei ihr. Doch das Letzte, was er von ihr erfahren hatte, war, dass sie geheiratet hatte. Gut möglich, dass sie ihren Mädchennamen ›Fischer‹ nicht mehr trug.

Tim kam mit finsterer Miene in die Küche. Mit gesenktem Kopf setzte er sich auf seinen Stuhl.

»Wo ist Alina?«, fragte Daniel seinen Sohn. Der Kleine zuckte nur mit den Schultern. Daniel beschloss, sich jetzt erst einmal um den Kakao für die Kinder zu kümmern. Wenige Minuten darauf stellte er die gefüllten Tassen mit dem heißen, süßen Getränk auf den Tisch. Alina war noch immer nicht in der Küche. Daniel sah auf sein Handy. Silvia hatte seine Nachricht auch noch nicht gelesen.

»Ich bin gleich wieder hier«, ließ er seinen Sohn wissen, der mit hängenden Schultern im Stuhl lehnte. Tim gab keine Antwort.

Daniel ging in den ersten Stock. Die Tür zum Bad stand offen. Alina saß mit verweintem Gesicht am Boden, den Rücken an den Rand der Wanne gelehnt. Sie war noch im Schlafanzug.

»Linchen.« Daniel ging zu ihr. »Sei nicht traurig. Die Mama kommt bald wieder. Hast du schon Zähne geputzt?«

Die Kleine schüttelte den Kopf.

»Ich helfe dir«, bot er an. »Danach essen wir Kuchen.«

»Und dann?«, fragte Alina und schniefte.

»Dann machen wir einen Ausflug zum Murnauer See«, entschied Daniel spontan. Letztes Jahr waren sie einmal alle zusammen dort gewesen. Es waren nur etwa zehn Kilometer dorthin. Am See gab es einen künstlich angelegten, seicht ins Wasser abfallenden Sandstrand, einen großen Spielplatz, sowie einen Naturlehrpfad, der für Grundschulkinder geeignet war. Und nicht zuletzt gab es eine Gaststätte am See, mit einer sehr guten Küche und Speisen zu verträglichen Preisen.

»Dürfen wir dort baden?« Schwach schien das Interesse seiner Tochter geweckt.

»Ja, wenn ihr wollt«, stimmte er zu. Es gab einen für Kinder abgeteilten Bereich, mit einer Wassertiefe von etwa siebzig Zentimetern.

»Na gut«, murmelte Alina und stand auf.

*

Daniel brachte kaum etwas von dem Zitronenkuchen mit der rosa Glasur herunter, obwohl er wirklich gut gelungen war. Alina begnügte sich damit, die Smarties aus dem Zuckerguss zu lösen und zu naschen. Auch Tim, der vorhin behauptet hatte, den kompletten Kuchen aufessen zu wollen, zerbröselte sein Stück mehr, als dass er es aß. Daniels Vorschlag, nach dem Frühstück an den See fahren zu wollen, hatte er erst gleichgültig zur Kenntnis genommen und schließlich erklärt, ohne die Mama würde er da nicht hinwollen.

Daniel sah das nächste Problem anstehen. Alina hielt sich an der Aussicht fest, dort in ihrem rosa Badeanzug mit den gerüschten Trägern ins Wasser zu dürfen, ihr Bruder wollte gar nicht an den See. Er konnte es nicht beiden Kindern recht machen. Sein Handy läutete und er fuhr derart zusammen, dass er gegen seine Kaffeetasse stieß. Sein Getränk schwappte über und traf Alina am Arm, die sofort das Gesicht zum Weinen verzog.

»Linchen, entschuldige. Ich helfe dir gleich, dich sauber zu machen«, sagte Daniel rasch. Der Kaffee war inzwischen nur noch lauwarm, verbrannt haben konnte sich sein Töchterchen nicht. Dennoch fing das Kind an zu schluchzen. Daniel beschloss, dass er trotzdem erst an sein Handy musste. Er konnte sich nichts anderes vorstellen, als dass Silvia sich endlich meldete. Auf dem Display stand ›Norbert ruft an‹. Daniel wurde übel vor Enttäuschung. Norbert war ein Arbeitskollege von ihm. Sie arbeiteten beide bei der Post in Steinau am Schalter. Er und Silvia waren lose mit ihm und dessen Frau Mareike befreundet.

Daniel nahm das Gespräch an. Schon jetzt bekam er kaum Luft.

»Norbert, guten Morgen«, grüßte er den Kollegen.

»Daniel, guten Morgen. Ich habe inzwischen dreimal deine Frau angerufen, um zu gratulieren und ihr Grüße von Mareike zu bestellen, aber sie geht nicht an ihr Handy«, teilte Norbert ihm mit.

»Äh, ja.« Ihm brach der Schweiß aus und plötzlich schämte er sich, als sei er an Silvias Verschwinden schuld. »Wieso ruft Mareike sie nicht selbst an?«, fragte er und rang um eine Erklärung, betreffend Silvia.

»Sie musste überraschend eine Schicht in der Klinik übernehmen. Zwei ihrer Kolleginnen sind krank, und jetzt herrscht Notstand auf der Station«, erläuterte Norbert. »Kann ich Silvia sprechen?«

»Nein«, gab Daniel zu und sah zu seinen Kindern. Tim hatte mittlerweile sein Kuchenstück total zerkrümelt. Alina rieb mit der Hand über ihren Arm, an dem der Kaffee haftete und verteilte dabei auch gleich ein wenig vom rosa Zuckerguss, der an ihren Fingerchen klebte.

»Silvia hat sich kurzfristig entschieden, den Tag nur mit sich selbst zu verbringen«, rang er sich zur Wahrheit durch.

»Was soll das heißen?« Norbert sprach verblüfft. Daniel sah noch einmal zu seinen Kindern. »Moment«, bat er den Kollegen.

»Ihr esst jetzt auf und trinkt euren Kakao. Ich bin gleich wieder da«, sagte er zu den beiden. Weder Tim noch Alina reagierten. Daniel verließ dennoch die Küche und zog die Tür hinter sich zu.

In kurzen Sätzen teilte er Norbert mit, was geschehen war.

»Und an ihr Handy geht sie auch nicht«, schloss er seinen Bericht. Er konnte es nicht ändern, er schämte sich für ihr Verhalten und fühlte sich eigenartig schuldig, als hätte er ihr Handeln zu verantworten.

»Boah«, machte Norbert. »Hattet ihr Streit?«

»Überhaupt nicht«, erwiderte Daniel und massierte sich den Nacken.

»Na dann … muss sie ihre ›Auszeit‹ nehmen. Klingt beinahe nach Midlife-Crisis. Geht ja zeitig an, bei deiner Frau. Wie alt wird sie heute?«, fragte Norbert, der klang, als hätte Silvia ihn durch ihr Verschwinden höchstpersönlich vor den Kopf gestoßen.

»35«, sagte Daniel knapp.

»Der Knackpunkt zur vierzig. Naja, kann man nix machen. Aber dich mit den Kindern unvorbereitet sitzen lassen, ist schon ein starkes Stück. Auch, wenn es nur für einen Tag sein soll«, bemerkte Norbert. Daniel hörte ein Klopfen in der Leitung und fragte sich, ob der nächste Gratulant den Umweg über sein Handy nahm, weil Silvia nicht an ihres ging, und beschloss, das Telefonat mit dem Kollegen zu beenden.

»Danke jedenfalls für die Glückwünsche, Norbert. Wir sehen uns morgen auf der Arbeit«, sagte er.

»Ja, bis dann. Trotzdem einen schönen Sonntag«, verabschiedete Norbert sich.

»Danke, euch auch«, erwiderte Daniel und dachte, dass ›euch‹ in dem Fall nicht passte, da Mareike ja arbeiten musste. Kinder hatten Norbert und sie nicht, so würde er den Tag wohl alleine verbringen.

Der Anruf, der noch in der Leitung hing, war von Gustav Bergmann. Bergmann wohnte drei Häuser weiter. Daniel nahm das Gespräch an. Der Nachbar wollte nicht gratulieren, er wollte ein paar abgestorbene Äste aus seinem Sommerflieder entfernen. Mit der Astschere gelang es nicht, weil etliche der Zweige zu dick waren. Er bat darum, sich seine Handsäge ausleihen zu dürfen.

»Kannst du haben«, versprach Daniel.

»Super. Ich komme rüber zu dir«, sagte der Nachbar. »Bis gleich.«

»Ja, bis gleich.« Daniel beendete auch dieses Gespräch, überprüfte noch rasch, ob Silvia seine Nachricht inzwischen gelesen hatte, was noch immer nicht der Fall war, und ging in die Küche.

»Tim, Alina«, sagte er. »Ich muss kurz in die Garage. Gustav will sich unsere Säge ausleihen.«

Tim nickte stumm.

»Wozu?«, fragte Alina.

»Um einen kaputten Ast abzusägen. Ich bin gleich wieder hier«, versicherte Daniel.

»Das sagst du dauernd und dann kommst du ganz lange nicht«, maulte Tim und trat unter dem Tisch wieder mit einem Fuß in die Luft. Daniel fühlte sich zunehmend erschöpft. Es war jetzt fast elf Uhr am Vormittag. Die Kinder saßen noch immer beim Frühstück, von Silvia war nichts zu hören und seine Nerven wurden zunehmend dünner.

»Du hast recht«, gab er zu. »Tut mir leid. Bis gleich.«

Rasch verließ er die Küche. Als er gleich darauf aus dem Haus ging, sah er Gustav bereits den Gehweg entlangkommen. Er winkte ihm zu und eilte zu der Doppelgarage neben dem Haus.