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La dolce vita in cucina.
Hamburg, 1955: Nina arbeitet als Hilfsköchin im Hotel »Vier Jahreszeiten«. Sie kann ihr Glück kaum fassen, als ein italienischer Gast ihr ein verlockendes Angebot macht: Er kennt den Manager des berühmten »Grand Hotel« in Rimini und kann ein gutes Wort für sie einlegen. Das lässt sich Nina nicht zweimal sagen und stürzt sich ins Abenteuer. Zuerst ist Chefkoch Stefano ihr gegenüber misstrauisch, doch nach und nach kann sie ihr Talent unter Beweis stellen. Und dann begegnet sie dem charmanten Italienischlehrer Piero …
Mit der Isetta über die Alpen bis an die Adria – eine Köchin findet neue Liebe und Lebensfreude.
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Seitenzahl: 250
Die junge Köchin Nina hat einen der heißbegehrten Jobs im Hotel »Vier Jahreszeiten« ergattert, doch als Frau hat sie es alles andere als leicht: Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen darf sie nur Gemüse schnippeln. Zum Glück ist da ihre Freundin Henni, die sie aufmuntert. Henni träumt von Italien, und als ein italienischer Geschäftsmann Nina eine Stelle im »Grand Hotel« in Rimini anbietet, machen sich die beiden kurzerhand mit Hennis kleiner Isetta auf den Weg. Während Henni das süße Leben genießt, schuftet Nina in der Küche des »Grand Hotels« und kämpft um die Anerkennung ihrer Kollegen, die der Deutschen gegenüber zunächst skeptisch sind. Und nicht zuletzt ist da auch noch der Italienischlehrer Piero, der ihr Herz höher schlagen lässt ...
Fenna Janssen wurde in Lübeck geboren und wuchs in Hamburg auf. Viele Jahre war sie als Journalistin für diverse Zeitungen tätig. Inzwischen arbeitet sie erfolgreich als Autorin und bleibt auch in ihren Büchern ihrer norddeutschen Heimat treu – widmet sich aber ebenso gern ihrer Wahlheimat Italien.
Im Aufbau Taschenbuch sind bereits ihre Romane »Der kleine Inselladen«, »Das kleine Eiscafé« und »Die kleine Strandbar« erschienen.
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Fenna Janssen
Ein Sommer in Rimini
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Widmung
1. Kapitel — Hamburg, Juni 1955
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
Impressum
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Für meine deutschen Freundinnen, die wie ich Italien zu ihrer Heimat erkoren haben. Annette, Inge, Marianne, Martina, Sabine, Ursula – ihr seid die Besten.
Hamburg, Juni 1955
Schon als sie um die Straßenecke bog, stieg ihr der Brandgeruch in die Nase. Ninas Herz setzte einen Schlag lang aus, und sie blieb mitten auf dem Bürgersteig stehen. Instinktiv krallte sie die Finger um ihr Einkaufsnetz. Zwölf Jahre verglühten wie ein Streichholz, und über Hamburg zog wieder der verheerende Feuersturm hinweg. Nina glaubte, die Sirenen zu hören, dann die sirrenden Bomben; sie sah die flüchtenden Menschen, spürte die alles verzehrende Hitze, ehe unbekannte Hände sie in einen Schutzkeller schoben.
Jemand rempelte sie an.
»Wat stehste hier rum wie bestellt und nicht abgeholt, Deern?«, zeterte eine alte Frau und schob sich an Nina vorbei. »Ist ja gemeingefährlich!«
Beinahe dankbar sah Nina der Frau nach, die sie ins Hier und Jetzt zurückgeholt hatte.
Langsam setzte sie sich wieder in Bewegung. Ihr Blick fiel auf Baulücken zwischen den großen Mietshäusern, auf verrammelte Läden, auf umherstreunende Kinder in fadenscheinigen Kleidchen oder zerschlissenen kurzen Hosen. Das schöne deutsche Wirtschaftswunder war in diesem Teil des alten Hamburger Arbeiterviertels Barmbek noch nicht so recht angekommen. Über der Fuhlsbüttler Straße, wo Nina vor ein paar Minuten aus dem Bus gestiegen war, lag bereits der helle Glanz des Wiederaufbaus. Die Schaufenster der Geschäfte quollen über vor verlockenden Angeboten, und die Menschen gingen selbstbewusst ihren Aufgaben nach. Doch kaum hatte sie die breite Fuhle hinter sich gelassen, war es, als tauchte sie in eine andere, eine vergessene Welt ein.
Müde rieb sich Nina über die Augen.
Das ist nur die Erschöpfung, sagte sie sich. Nach zehn Stunden Schicht war das auch kein Wunder.
Erneut roch sie Verbranntes, aber diesmal zwang sie sich, ruhig weiterzugehen. Nina verfügte über einen besonders ausgeprägten Geruchssinn. In ihrem Beruf als Köchin war das ein Vorteil, im alltäglichen Leben konnte es ein Fluch sein.
Bestimmt war das Henni, die sich in der Küche zu schaffen machte. Ihre Freundin besaß eine Menge Talente, doch Kochen gehörte nicht dazu.
Nina stieg die Stufen zu der Wohnung hinunter, die sie sich mit Henni teilte. Henriette Spiegel, so ihr voller Name, behauptete gern, sie wohne schick im Souterrain. Nina hingegen nannte die Dinge lieber beim Namen und gab freimütig zu, dass sie in einer Kellerwohnung lebte. Aber das war immer noch besser als die Nissenhütte im Stadtpark, in der sie bei Kriegsende zusammen mit zwanzig anderen Frauen gehaust hatte.
»Tut mir leid!«, rief Henni ihr entgegen. »Das sollten Kartoffelpuffer werden.«
Nina blickte zu dem alten Holzkohleherd. Darauf stand die gusseiserne Pfanne, die noch von ihrer Großmutter stammte. Kleine pechschwarze Klumpen klebten am Boden.
»Wirklich?«, fragte sie, mehr überrascht als verärgert. »Ich habe gedacht, du wolltest Briketts machen.«
Henni starrte Nina ein paar Sekunden lang an, dann lachte sie. Sie besaß ein lautes Lachen, das früher durch ganz Ostpreußen geschallt haben mochte, inzwischen aber nur noch die Kellerwohnung mit Fröhlichkeit erfüllte.
Nina dachte daran, dass Henni schon eine ganze Weile nicht mehr so ausgelassen gelacht hatte, und sie war froh, dass sie mit ihrem kleinen Scherz dazu beigetragen hatte. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln, während sie die niedrige Eingangstür weit aufriss, damit der Brandgeruch besser entweichen konnte. Das schmale hoch gelegene Fenster zur Straße reichte bei Weitem nicht aus.
Ja, Henni war eine Katastrophe am Herd, aber ihre so ansteckende Lebensfreude machte das wieder wett. Sie war neunundfünfzig Jahre alt und damit fast dreißig Jahre älter als Nina, aber nie versuchte sie, aus ihrer größeren Lebenserfahrung einen Vorteil zu ziehen.
* * *
»Wir beide tun uns zusammen«, hatte sie vor bald acht Jahren auf dem Amt für Raumbewirtschaftung zu einer verzweifelten Nina gesagt. »Du weißt nicht wohin, und ich auch nicht. Zu zweit finden wir schon was.«
Misstrauisch hatte Nina damals diese kleine, knochige, aber energische ältere Frau angesehen. Wer war sie? Was wollte sie ausgerechnet von ihr?
»Du siehst aus, als hättest du keine Familie mehr«, hatte Henni trocken bemerkt. »Wie heißt du?«
»Nina Jacobi«, hatte sie im Flüsterton zurückgegeben.
»Eltern? Ehemann? Kinder?«
Mehr als ein Kopfschütteln war ihr nicht gelungen.
»Tja, Pech. Schätze mal, dein Mann hat sein Leben für Führer, Volk und Vaterland gegeben, bevor er dir Kinder schenken konnte.«
Nina hatte sich gefragt, ob die Frau hellsehen konnte, war aber zu schüchtern gewesen, um sich danach zu erkundigen. Auch fand sie es merkwürdig, geduzt zu werden, aber bevor sie etwas sagen konnte, sprach die Fremde schon weiter: »Tja, bei mir sieht’s auch nicht besser aus, falls dich das tröstet. Mein Oller hat sich lieber selbst mit seiner Jagdflinte einen Kopfschuss verpasst, als zuzusehen, wie die Russen sein schönes Landgut in Besitz nehmen. Ein Dummkopf und ein Feigling – das war er.«
Hinter der schnodderigen Art hatte ein tiefer Kummer gesessen, den auch Nina nur zu gut kannte, und ein Schluchzer war in ihrer Kehle aufgestiegen.
»Fang bloß nicht an zu heulen, das kann ich nicht ausstehen. Außerdem bist du zu schön dafür. So langbeinig, blond und blauäugig. Bloß ein bisschen zu dünn und flachbrüstig, aber das kriegen wir schon hin.«
Kein Wort hatte sie über Ninas kühn vorspringende Nase verloren. Die war der einzige Makel in ihrem ansonsten nahezu perfekt geschnittenen Gesicht. In ihrer Kindheit war sie von gemeinen Schulkameraden deshalb »Zinken-Nina« gerufen worden, aber ihre Großmutter Martha hatte ihr gesagt, sie solle sich nichts daraus machen. Der liebe Gott habe bloß dafür gesorgt, dass sie nicht allzu schön werde, denn Eitelkeit verdürbe den Charakter.
Die Fremde hatte ihrer Nase nicht mal einen zweiten Blick gegönnt.
»Allerdings kann ich nicht kochen«, hatte sie bloß hinzugefügt.
»Ich schon.«
»Na, das ist ja prima. Ich bin dafür gut im Organisieren. Zusammen werden wir eine unschlagbare Mannschaft. Ab sofort sind wir eine Familie.«
So einfach war das gewesen, und Nina wäre im Traum nicht eingefallen, sich dieser energischen Frau zu widersetzen.
* * *
Inzwischen waren sie tatsächlich eine kleine Familie geworden und hatten sich eingerichtet in ihrem gemeinsamen Leben. Nina hatte im Laufe der Jahre sogar ein paar Kilo zugelegt, und wenn sie heute über den Jungfernstieg an der Binnenalster spazierte, zog sie reihenweise interessierte Männerblicke auf sich. Meist war ihr das aber unangenehm. Nina war zu Bescheidenheit erzogen worden. Wieder huschte ihr Blick zu der gusseisernen Pfanne.
Hoffentlich ist die noch zu retten, überlegte sie bedrückt. Die Pfanne war eines der wenigen Dinge, die ihr von ihrer Großmutter geblieben waren.
»Kriege ich schon wieder hin«, versprach Henni, schnappte sich die Pfanne und trug sie zum Spülstein. Die karge Kücheneinrichtung war nachträglich eingebaut worden, und nur ein grauer Vorhang trennte diesen Bereich von der übrigen Wohnung. Dahinter befand sich ein Raum, den Henni großspurig Salon nannte, der jedoch nur Platz für ein schmales Sofa, einen zerschlissenen Ohrensessel, ein ziemlich imposantes Büfett und ein Tischchen mit einem Kofferradio darauf bot.
Daran wiederum schlossen sich ihre jeweiligen Schlafkammern an, die durch eine dünne Sperrholzwand getrennt waren, und ganz hinten befand sich ein Klosett. Ein Waschbecken oder gar eine Dusche gab es nicht. Die beiden Frauen wuschen sich vorn am Spülstein, und Nina erinnerte sich noch sehr gut daran, wie glücklich sie bei ihrem Einzug über das fließend kalte und manchmal sogar warme Wasser gewesen war.
Damals hatten sie beide das große Los gezogen, inzwischen gehörten sie zu den Hamburgern, die zurückgeblieben waren im rasanten neuen Leben. Aber jedes Mal, wenn Nina vorschlug, sie könnten sich doch mal nach einer besseren Bleibe umsehen – immerhin bekam sie ein festes Gehalt, und schon vor Jahren war Hennis Witwenrente bewilligt worden –, da blitzte in den Augen ihrer Freundin ein Leuchten auf, und sie behauptete, sie müssten weiterhin sparen und so bescheiden wohnen, damit ihr Plan aufginge. Was für ein Plan das war, verriet sie nicht. Womöglich wusste sie es selbst nicht so genau.
Nina hatte es schließlich aufgegeben. Sie würde eben ein Kellerkind bleiben. So schlimm war das gar nicht. Nur ein richtiges Badezimmer, das wäre wunderbar.
Während Henni sich nun mit Drahtbürste und Scheuerpulver an der Pfanne zu schaffen machte und dabei immer wieder einen schuldbewussten Blick über die Schulter warf, ging Nina zum Küchentisch. Er war in der Mitte durchgesägt und mit neuen Beinen versehen worden, um in die Wohnung zu passen, genügte aber bis heute ihren Ansprüchen. Sie legte das Einkaufsnetz darauf ab und packte ihre Schätze aus. Roggenbrot, Marmelade, Mehl, Eier, Zucker und …
»Ananas!«, rief Henni begeistert, wirbelte herum und packte die Dose mit rußgeschwärzten, tropfenden Fingern. »Nina, mein Goldstück. Ich könnte dich küssen.«
»Lieber nicht«, gab sie lachend zurück. »Sonst bin ich auch voller schwarzer Flecke.«
* * *
Als sie am Morgen auf dem Weg zur Arbeit eingekauft hatte, war ihr klar gewesen, dass eine Dose Ananas ihr Wochenbudget eindeutig überschreiten würde. Aber sie hatte sich daran erinnert, wie bedrückt Henni seit Tagen schon wirkte. Das passte so gar nicht zu der eisernen Frohnatur, die Nina kannte. Also hatte sie volle zwei Mark dafür ausgegeben und sich den ganzen Tag auf Hennis glückliches Gesicht gefreut.
»Ich dachte, ich mache uns Pfannkuchen«, schlug sie nun vor.
»Das wäre wunderbar!« Henni leckte sich genüsslich die Lippen. Dann wandte sie sich wieder zum Spülstein um und schrubbte mit neuer Energie.
Nina lächelte in sich hinein, während sie sich rasch eine Schürze umband. Ihr ausgebleichtes Sommerkleid war zwar kaum noch zu ruinieren, aber sie brauchte es morgen wieder für die Busfahrt.
Dann holte sie eine Glasschüssel aus dem Büfett hinter dem Vorhang, vermischte Mehl, Eier, Zucker und Wasser miteinander und gab schließlich einen guten Schuss Dosenmilch hinzu. Schließlich vermengte sie vorsichtig die Stückchen der Ananas mit dem Teig. Den Saft kippte sie in ein Glas.
Wenig später ließ sie einen Klecks Margarine und die erste Portion Teig in die Pfanne gleiten.
Als vier große Pfannkuchen gebacken waren, bat sie Henni zu Tisch. Sie aßen schweigend. Wieder musste Nina schmunzeln, denn Henni rollte übertrieben mit den Augen, als sie den Ananassaft trank.
»Himmlisch!«, stieß sie aus. »Ich möchte den Rest meines Lebens dort verbringen, wo diese Früchte an den Bäumen wachsen.«
»Auf Hawaii?«, hakte Nina nach. »Oder in Afrika?«
»Ach, Italien würde mir schon reichen.«
Ein sehnsuchtsvolles Leuchten trat in ihre Augen, und Nina fragte sich argwöhnisch, ob Henni womöglich fortgehen wollte. War die Freundin deshalb in letzter Zeit so niedergeschlagen? Hielt sie es in der Kellerwohnung nicht mehr aus? Der Gedanke, Henni könnte sie verlassen, traf sie wie ein Stich ins Herz.
Da sprang Henni auf, lief hinter den Vorhang, und kurz darauf erschallte aus dem Radio einer dieser Gassenhauer, denen man derzeit nirgends entkam. Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt …
Nina seufzte. Sie verstand nicht recht, warum das Lied der Capri-Fischer bei vielen Leuten so große Sehnsucht weckte. Im Hamburger Abendblatt stand, dass jeder, der es sich leisten konnte, in den Urlaub nach Italien fuhr. Nach der Fresswelle war die Reisewelle angebrochen, und die Karawanen zogen über die Alpen an die Adria und ans Mittelmeer. Warum bloß? Sie selbst verspürte keinerlei Bedürfnis danach, ein Land zu besuchen, das so weit weg und so fremd war.
Sie versuchte, den Schlager auszublenden, und stellte die Teller ineinander.
Henni packte sie am Handgelenk und deutete fragend auf das Pflaster an Ninas Zeigefinger. »Das sieht ziemlich übel aus.«
»Unsinn.«
Sie wollte ihre Hand zurückziehen, Henni hielt sie jedoch mit eiserner Kraft fest.
»So langsam siehst du aus wie ein Hackbrett.«
»Herzlichen Dank.«
Nina grinste, aber ihre Freundin ließ sich nicht ablenken.
»Wie kann es sein, dass du nach drei Jahren immer noch bloß Gemüse schnippeln darfst? Noch dazu mit stumpfen Messern?«
Nicht zum ersten Mal bedauerte es Nina, Henni in einem schwachen Moment ihr Herz ausgeschüttet zu haben. Ihre Freundin neigte dazu, die Dinge zu dramatisieren. Nur wenige hatten das Glück, in der Küche des berühmten Restaurants Haerlin im Luxushotel Vier Jahreszeiten arbeiten zu dürfen. Und es war nicht überraschend, dass die zuletzt eingestellte Köchin die niederen Arbeiten verrichten musste.
Na ja, wenn sie ehrlich war, war sie gar nicht mehr der Neuankömmling. Nach ihr waren bereits weitere drei Jungköche eingestellt worden. Aber das waren Männer.
»Dieser verdammte Bastard!«, schimpfte Henni und meinte damit Ninas direkten Vorgesetzten. »Der wird dich immer noch kleinhalten wollen, wenn du schon ins Rentenalter kommst.«
»Lass gut sein«, bat Nina und wollte erneut ihre Hand zurückziehen. Wieder hatte sie keinen Erfolg. Das Gezerre ließ den Schnitt aufplatzen, und das Pflaster färbte sich rot.
»Das müssen wir neu verarzten«, entschied Henni.
Endlich ließ sie Ninas Handgelenk los, ging zum Büfett und kam mit einem Erste-Hilfe-Köfferchen wieder. Sie nahm das alte Pflaster ab, träufelte Jod auf den Schnitt und verband den Finger neu.
»Wenn du nicht besser aufpasst, bist du bald den einen oder anderen Finger los.«
Nina stöhnte auf. »Ich habe dir gesagt, dass ich schnell arbeiten muss.«
»Ja, ja, schon gut. Ich verstehe nichts vom Küchenbetrieb. Trotzdem denke ich, du wärst woanders besser aufgehoben.«
»Ach, Henni. Darüber haben wir doch schon oft geredet. Das Gehalt ist ordentlich, und das Vier Jahreszeiten ist eine der ersten Adressen Hamburgs. Ich habe das große Los gezogen.«
Henni erwiderte nichts, sondern blickte nur angestrengt auf Ninas von unzähligen längeren und kürzeren Narben durchzogene Hände.
Schließlich brachte sie das Köfferchen weg, kam zurück und setzte sich wieder. Ihre Stirn war gerunzelt, ihre sonst so leuchtend grünen Augen blickten matt auf einen feuchten Fleck an der Kellerwand.
»Was ist mit dir?«, fragte Nina sanft. »Du bist in letzter Zeit so bedrückt.«
Henni fuhr sich durch das dichte graue Haar. »Nichts. Es ist alles in Ordnung.«
»Du schwindelst. Seit ich dich kenne, warst du immer voller Energie. Bist du … bist du etwa krank?«
Die Vorstellung, ihre Freundin könnte irgendwann nicht mehr da sein, erfüllte sie mit Furcht.
Henni tippte sich mit dem Fingerknöchel gegen die Stirn. »Kann sein, aber nur da drinnen.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich fühle mich alt, Nina. Bald werde ich sechzig.«
»Aber doch erst nächstes Jahr! Wir haben im Mai deinen neunundfünfzigsten Geburtstag gefeiert.«
»Eben. Jetzt haben wir Mitte Juni. Das heißt, in elf Monaten bin ich eine Greisin.«
»So ein Quatsch!«
Henni blickte sie scharf an. »Und du? Hast du nicht das Gefühl, das Leben zerrinnt dir zwischen den Fingern? Du bist einunddreißig, Nina. Auch nicht mehr die Jüngste.«
Sie schluckte. »Was willst du damit sagen?«
»Ach, mein Goldstück. Ich meine es nicht böse. Du könntest es noch schaffen. Einen Mann finden, eine Familie gründen. Das ganze hübsche Lebenspäckchen schnüren. Du solltest dich nicht länger an eine alte Frau wie mich binden.«
Endlich begriff Nina. »Du denkst, ich finde mein wahres Glück nicht, wenn ich hier bei dir bleibe.«
»Mhm.«
Sie griff nach Hennis Händen. Sie waren zerfurcht und ledrig von einem Leben auf einem Landgut in Ostpreußen.
»Mach dir keine Sorgen. Wenn morgen mein Märchenprinz um die Ecke geritten kommt, bin ich schneller weg, als du gucken kannst. Die Wahrscheinlichkeit ist aber eher gering. Bekanntlich sind nach dem Krieg nicht mehr viele Männer übrig geblieben, und die meisten von ihnen haben bereits eine Frau. Außerdem hätte ich keine Lust, das Heimchen am Herd zu werden. Ich bin gern berufstätig.«
»Vielleicht müsstest du woanders nach ihm suchen«, meinte Henni gedankenverloren.
»Woanders? Wo denn? Ich glaube kaum, dass meine Chancen in München oder in Frankfurt besser stehen.«
Henni summte leise die Melodie, die vorhin noch im Radio erklungen war.
»Ausgeschlossen!«, rief Nina erschrocken. »Ich werde ganz bestimmt nicht mit dir nach Italien fahren!«
»Warum nicht?«, fragte Henni ruhig. »Was hält dich hier noch?«
»Nun, da wäre zum Beispiel meine Arbeit …«
»Papperlapapp«, fiel Henni ihr ins Wort. »Du kannst überall auf der Welt kochen.«
Nina sah sie mit großen Augen an. Was, um Himmels willen, hatte Henni vor?
»Wird ja nicht so schwer sein, ein paar Makkaroni ins Wasser zu werfen«, fuhr ihre Freundin grinsend fort.
»Henni …«
»Ja, ja, ich weiß. Ich habe vom Kochen keine Ahnung. Dafür aber vom Leben. Also: Mal abgesehen von deiner Arbeit, warum willst du unbedingt in Hamburg bleiben? Wegen der schönen Erinnerungen an deinen Mann? Die kann man mitnehmen, weißt du? Die sind nämlich in deinem Kopf.«
Auf einmal fühlte Nina sich unendlich müde. Die lange Schicht und die Sorgen um Henni zerrten an ihr. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für eine solche Diskussion. Sie ließ den Kopf in die Hände sinken.
»Entschuldige«, sagte Henni prompt. »Du musst ja vollkommen erschöpft sein. Leg dich hin, mein Goldstück. Ich erledige den Abwasch.«
Doch als Nina dann in ihrem schmalen Bett lag, dauerte es lange, bis sie in den Schlaf fiel. Sie wusste, das Thema war für Henni noch lange nicht beendet. Als Letztes ging ihr noch das Lied der Capri-Fischer durch den Kopf. Wie ein nie enden wollender, störender Ohrwurm.
Frau Jacobi!«, rief der Souschef im Befehlston durch die Küche. Er hieß Jens Stern und war ein kleiner, korpulenter Mittfünfziger, der Nina stets wohlgesinnt war. Vermutlich erschrak sie deshalb so sehr. Ihr Puls raste, und ihre Hände zitterten. Schnell legte sie das Messer zur Seite, mit dem sie eine Gurke in feinste Scheiben schnitt.
»Frau Jacobi!«, wiederholte Jens Stern, noch ein bisschen lauter. »Kommen Sie mal her!«
Nina atmete ein paarmal tief durch und ging dann unter den teils mitfühlenden, teils hämischen Blicken ihrer Kollegen auf den Souschef zu. Sie musste erst an den Arbeitsplatten vorbei, auf denen Gemüse, Salat und Obst vorbereitet wurden, an den tief eingelassenen Spülen und schließlich an der langen Reihe Gasherde, wo es in großen und kleinen Töpfen dampfte und brodelte.
Im Kopf ging sie die Ereignisse der letzten Stunde durch. Es war Montagmittag, und für das Haerlin hatte es nur wenige Reservierungen gegeben. Also hatte Jens Stern das Kommando über die Küchenmannschaft übernommen, und Nina hatte die Salate zubereiten dürfen. In einem Anflug von Experimentierfreude hatte sie dem gemischten Salat Walnusskerne und Mandarinenschnitze beigefügt. Jens Stern hatte davon gekostet und anerkennend genickt. Und trotzdem hatte er ihr die Kreation nur für zwei Tische durchgehen lassen. An Tisch fünfzehn saß ein junges Paar aus Schweden auf Hochzeitsreise, das vermutlich gar nicht merken würde, was es da aß, hatte er Nina schmunzelnd erklärt. An Tisch sieben speiste ein italienischer Geschäftsmann, den Jens Stern persönlich kannte und von dem er wusste, dass er offen für kulinarische Neuigkeiten war.
Anscheinend nicht offen genug, überlegte Nina bange, während sie immer langsamer wurde. Der Italiener musste sich beschwert haben.
Sie kontrollierte rasch, ob ihr Haar noch fest im strengen Nackenknoten steckte. Darüber trug sie eine Haube, die sehr viel praktischer war als die hohen Kochmützen, die sich die Männer auf den Kopf setzten. Ihre Schürze hatte ein paar Flecken, aber daran konnte sie jetzt nichts ändern.
»Nun machen Sie schon!«, rief Jens Stern ihr entgegen. »Signore Benevento hat nicht den ganzen Tag Zeit!«
Nina blieb schlagartig stehen.
Was hatte das zu bedeuten?
Da gab jemand ihr einen kräftigen Schubs. Einer ihrer Kollegen konnte wohl nicht abwarten mitzuerleben, wie sie von einem wichtigen Gast heruntergeputzt wurde.
Sie stolperte vorwärts, hätte fast das Gleichgewicht verloren und wäre gefallen. Sie konnte sich gerade noch retten, indem sie sich am Ärmel des Souschefs festkrallte.
»Na, na«, sagte Jens Stern amüsiert. Neben ihm stand ein großer, in einen dunkelblauen Maßanzug gekleideter Mann, der den Mund zu einem schmalen Lächeln verzog. Sein dunkles, an den Schläfen ergrautes Haar war mit Pomade nach hinten gekämmt, seine Augen hatten die Farbe von schwarzen Oliven, und seine große gebogene Nase gab ihm ein raubvogelartiges Aussehen. Nina konnte sich nicht entscheiden, ob sie ihn attraktiv oder eher abschreckend fand. Das mochte aber auch an ihrem rasenden Puls liegen.
»Es … tut mir leid«, begann sie stockend. »Falls es Ihnen nicht geschmeckt hat …«
Der Mann brachte sie mit einer ungeduldigen Handbewegung zum Schweigen.
»Entschuldigen Sie sich nicht, Signorina«, sagte er in fast akzentfreiem Deutsch. »Ich wollte nur wissen, wer in dieser Küche so viel Mut besitzt, mal etwas Neues zu wagen. Walnusskerne und Mandarinen. Ich muss sagen, das war köstlich.«
Vor lauter Erleichterung wurden Nina die Knie weich. Sie war heilfroh, dass sie sich immer noch am Souschef festhielt.
Jens Stern strahlte über das ganze Gesicht. »Ja, unsere Frau Jacobi ist eine Wucht!«
Den Begriff schien der Gast nicht zu kennen, denn er schaute leicht verwirrt von einem zum anderen.
In diesem Moment entschied Nina, dass er gut aussah. Und die Nase – nun, da hatten sie etwas gemeinsam. Doch zum Glück war ihre eigene nicht ganz so krumm, sondern nur ziemlich markant.
»Gestatten, Maurizio Benevento, Geschäftsmann aus der Romagna.«
»Ich … dachte, Sie seien Italiener?«, fragte Nina, ehe sie sich bremsen konnte.
Benevento blinzelte, dann lachte er.
Jens Stern befreite sich endlich aus ihrem Klammergriff.
»Sie Dummerchen. Emilia-Romagna ist eine Region in Italien.«
»Ach so.« Viel schlauer war sie jetzt auch nicht, und sie wünschte, der Gast, der sie so in Verlegenheit brachte, möge wieder gehen.
»Genauer gesagt, komme ich aus Rimini«, erklärte Benevento.
Rimini, ach so. Das hätte er ihr auch gleich verraten können. Jeder Mensch, der Zeitung las oder Radio hörte, kannte Rimini. Der Ort an der Adria lockte die Urlauber mit weiten Stränden, blauem Meer und herrlichstem Sonnenschein.
»Ich muss jetzt wieder an die Arbeit«, sagte Nina schroffer als beabsichtigt.
Beneventos Miene verdüsterte sich. Offenbar war er es nicht gewohnt, von einer kleinen Angestellten abserviert zu werden.
»Können Sie noch mehr als Salate zubereiten?«, fragte er.
Sie presste die Lippen zusammen. Was sollte diese Fragerei?
»Und ob! Frau Jacobi ist eine hervorragende Köchin. Doch leider darf sie das nur selten unter Beweis stellen«, kam Jens Stern ihr zu Hilfe.
Nina spürte, wie sie rot wurde.
»Außerdem«, fuhr er fort, »verfügt sie über einen einzigartigen Geruchssinn, weil …«
Er stockte und brach ab, während Nina sich verlegen über die Nase rieb.
Benevento suchte ihren Blick, und für ein paar Sekunden verspürte sie eine innige Verbundenheit mit diesem fremden Mann. Vielleicht war er als Kind ebenfalls verspottet worden. Andererseits fiel ein solcher Schönheitsmakel bei einem Jungen sicher nicht so sehr ins Gewicht.
Nina musste sich zwingen, ihn nicht anzustarren. Also plapperte sie drauflos: »Meine Stärke ist die deutsche Hausmannskost. Rinderrouladen, Schweinebraten, oder auch Sülze – gut und deftig …«
»Sülze?«, fragte Benevento, dessen Wortschatz offenbar erneut an seine Grenzen stieß.
»Das sind verschiedene Fleisch- und Gemüsesorten, die in Gelee eingelegt werden«, beeilte sich Jens Stern zu erklären. »Frau Jacobi ist viel zu bescheiden. Sie sollten mal ihre Nordseescholle probieren. Ein Gedicht, sage ich Ihnen.«
Benevento nickte nachdenklich. »Und ich wette, Sie geben jedem Gericht eine besondere Note.«
Nina schwieg. Sie hoffte, der Gast würde wieder gehen. Doch den Gefallen tat er ihr nicht.
»Auch die Küche der Romagna basiert auf einfachen, aber nahrhaften Gerichten, wie sie schon unsere Großmütter zu kochen wussten. Manche Rezepte sind streng gehütete Familiengeheimnisse, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.«
Unruhig suchte Nina nach einer Antwort, die ihn endlich dazu bringen würde, die Küche zu verlassen. Ihr fiel Hennis Bemerkung ein. »Wird ja nicht so schwer sein, ein paar Makkaroni ins Wasser zu werfen.«
Zu spät biss sie sich auf die Lippen.
Während Jens Stern neben ihr scharf die Luft einsog, wirkte Maurizio Benevento für einen Moment wie erstarrt. Herr im Himmel!, dachte Nina. Das war’s mit dem Job. Ein Wort von dem Mann, und ich kann meine Papiere abholen.
Zu ihrer Verblüffung merkte sie jedoch, dass er breit grinste.
»Sie gefallen mir«, sagte er. »Eine Frau, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Wann haben Sie Feierabend?«
Nina versuchte, ihr Entsetzen zu verbergen. Auf keinen Fall wollte sie diesen feinen Italiener wiedersehen. Schon gar nicht in ihrer Freizeit!
Aber Jens Stern verriet sie: »Um drei. Frau Jacobi hatte heute die Frühschicht.«
»Sehr schön.« Benevento zwinkerte ihr zu, dann machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand.
»Da haben Sie aber Glück gehabt, dass Signore Benevento Ihre dumme Bemerkung mit Humor genommen hat. Was ist bloß in Sie gefahren?«, wandte Jens Stern sich nun an sie. »Maurizio Benevento ist nicht nur ein angesehener Gast, sondern auch Geschäftspartner des Hauses. Er beliefert das Haerlin mit italienischen Spezialitäten.«
Auch das noch! Nina wäre am liebsten im Boden versunken.
»Glauben … Sie … er wird mich anschwärzen?«
Jens Stern legte die Stirn in Falten. »Ich denke nicht. Er hat einen Narren an Ihnen gefressen. Möchte mal wissen, wieso.«
* * *
Um Benevento bloß nicht begegnen zu müssen, blieb sie freiwillig eine Stunde länger und half den Kochlehrlingen, die Küche nach dem Mittagsbetrieb wieder blitzblank zu putzen. Doch es nützte nichts. Als sie weit nach vier Uhr das große Gebäude durch den Personalausgang verließ, wartete jemand auf sie. Zu ihrer Erleichterung war es nicht Benevento, sondern ein Junge, der nicht älter als vierzehn sein mochte. Seine Hose war ihm längst zu kurz geworden, das zerschlissene Hemd sah aus, als würde es fast auseinanderfallen. Seine blonden Haare waren mit einer dicken Staubschicht bedeckt, die Augen waren von einem ähnlichen Blauton wie Ninas. Mit fünf oder zehn Kilo mehr auf den Rippen hätte er ein gut aussehender Junge sein können.
»Sind Sie Nina Jacobi? Ich soll Sie zum Alsterpavillon bringen. Kriege zwei Mark dafür! Vielleicht sogar fünf. Hab mir hier ja die Beine in den Bauch gestanden.«
»Wer … hat dich geschickt?«
»So ’n piekfeiner Kerl. Der fährt ’n roten Sportwagen ohne Dach! Tolle Karre!«
Auch ohne die Antwort hätte Nina gewusst, wer dahintersteckte.
»Nun, dann richte dem Mann aus, ich lehne seine Einladung ab.«
Der Junge riss die Augen auf. »Geht nicht! Wenn ich den Auftrag nicht ausführe, sehe ich keinen Pfennig! Und ich spare doch auf einen Fußball!« Er hustete, versuchte zu schlucken, hustete nur noch mehr.
Noch so einer, an dem das Wirtschaftswunder vorbeigegangen ist, dachte Nina.
»Woher kommst du?«, fragte sie sanft.
»Aus ’m Osten«, murmelte er vage.
»Und wie heißt du?«
»Timo.«
»Wo sind deine Eltern?«
»Ist das hier ein Verhör, oder was? Ich soll Sie bloß abholen.«
Nina überlegte einen Moment. Jungs wie ihn gab es zu Tausenden in der Bundesrepublik. Sie verließen die DDR, um im Westen ein besseres Leben zu finden. Manchmal gemeinsam mit ihrer Familie, manchmal allein.
Wenn er nichts verraten wollte, konnte sie ihn nicht dazu zwingen. Aber sie konnte ihm helfen, wenigstens an diesem Tag etwas Geld zu verdienen.
Wahrscheinlich redete er sich wirklich ein, dass er sich früher oder später einen Fußball würde leisten können. Seit Deutschland im vergangenen Jahr Weltmeister geworden war, träumte jeder Knirps davon, ein zweiter Fritz Walter oder Helmut Rahn zu werden. Aber Nina wusste es besser. Träume waren nichts für Menschen, die ums tägliche Überleben kämpften.
»Also gut«, gab sie nach. »Weil du es bist.«
»Hä?«
»Nichts, vergiss es. Aber merk dir eins: Wenn du mal nicht so viel Glück hast wie heute, bekommst du hier immer etwas zu essen. Ein paar von uns heben die Reste auf und verteilen sie an der Hintertür.«
»Weiß ich«, sagte Timo stolz. »Hab mir hier schon oft den Bauch vollgeschlagen.«
Nina war versucht, ihn nach seiner Bleibe zu fragen, ließ es jedoch sein. Aber sie verriet ihm ihre Adresse in Barmbek, für den Fall, dass er mal nicht wüsste, wohin.
Während sie über den Jungfernstieg spazierten, pfiff Timo ein schnelles Lied vor sich hin.
Nina kannte es nicht, aber es gefiel ihr. Wahrscheinlich war es Rock ’n’ Roll. Die jungen Leute waren ganz versessen auf diese neue Musik aus Amerika, und sie selbst mochte sie zumindest lieber als die Schlagerschnulzen, die Henni so gerne hörte.
»Da sind wir«, sagte sie überflüssigerweise, als sie vor dem halbrunden Alsterpavillon standen. Er war im Krieg zerstört und erst vor Kurzem wiederaufgebaut worden. Nun diente er wie eh und je als Treffpunkt für die feine Hamburger Gesellschaft.
»Du kannst jetzt gehen.«
»Nee, hab bisher noch keine Kohle gesehen. Muss mir die abholen.«