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Alle Pläne für Roç und Yeza sind durch den unerwarteten Tod des Großkhans hinfällig geworden. In den Reihen der Mongolen aber plant eine kleine Fraktion, Yeza mit der Blutlinie des nächsten Großkhans zu vereinigen. Doch Yeza, die immer noch in Palmyra auf ihren geliebten Roç wartet, will keinesfalls ohne ihn nach Karakorum reisen, Roç aber bleibt unauffindbar. Schließlich gelingt es den besten Giftmischern des Orients, das Gralskind in einen todesähnlichen Schlaf zu versetzen. Während Roç jede Nacht untröstlich und zunehmend erbittert nach Yeza sucht, bricht die Karawane mit dem schlafenden Königskind, der ›Prinzessin des Grals‹, auf. Ihr Ziel: der verwaiste Thron des Großkhans … Ein spannender historischer Roman von Peter Berling, der gleichzeitig das große Epos ›Die Kinder des Gral‹ aus der Zeit der Kreuzzüge als großes Finale abschließt.
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Seitenzahl: 371
PETER BERLING
Folge XVII des 17-bändigen Kreuzzug-Epos Die Kinder des Gral
Historischer Roman
Das Haupt des Drachens
Den Sultan von Damaskus befällt Sorge um Reich und Leben. Er schickt den größten und teuersten Teppich der Welt dem heranziehenden Mongolenheer entgegen, ein Geschenk für den Großkhan. In dieser Karawane ziehen auch Roç und Yeza mit. Ein ungebärdiger Emir Anatoliens überfällt brutal den Transport, nicht wegen des kostbaren Riesen-Kelims, sondern um Yeza in seine Gewalt zu bringen. Sie rettet das nackte Leben ihres Geliebten Roç, indem sie sich opfert.
Der Sohn des Sultans wird ausgeschickt, dafür zu sorgen, dass der Teppich als Geste der Unterwerfung sein Ziel erreicht. Er benutzt den Abtransport, um Yeza aus dem Harem des Emirs zu entführen. Von da ab gleicht ihre Reise einem blutigen Balzen um ihre Gunst, Königssöhne schlagen sich tot ihretwegen, bis sie endlich Ruhe und Frieden bei den Sufis in der Oase von Palmyra findet, doch den Teppich, der ihr nur Unglück gebracht hat, wird sie nicht los.
Roç vertändelt die Zeit, die Yeza seiner harrt, mit leichtlebigen Abenteuern. Die Mongolen suchen nach dem ›Königlichen Paar‹, ziehen weiter von Eroberung zu Eroberung, ein abstoßender Ruf von entsetzlichen Grausamkeiten eilt ihnen voraus. So verheeren sie auch Palmyra, Yeza ist entsetzt. Sie wartet nur noch auf Roç, um dann, gemeinsam mit ihm, dem Großkhan mitzuteilen, dass das ›Königliche Paar‹ nicht länger gewillt sei, den von den Mongolen angebotenen Thron über den ›Rest der Welt‹ zu besteigen …
Reitende Boten aus Karakorum: »Der Großkhan ist tot!«
Vor Roç Trencavel und seinem zusammengewürfelten Haufen dehnte sich das hügelige prächtige Damaskus. Der Baouab beschwor seinen neuen Herrn fast flehentlich, ihn vorauszuschicken, damit für einen würdevollen Empfang durch die noch ahnungslose Stadt gesorgt sei. Roç ließ dem eifrigen Hofbeamten seinen Willen, zumal mit ihm auch die Karawane ziehen und so der leidige Kelim aus seinen Augen verschwinden würde. Er gab ihm die fünf armenischen Ritter zur Seite. Josh der Zimmermann und David der Templer vergaßen auf der Stelle ihr Versprechen, zukünftig nicht länger sklavisch an ihrer Spielunterlage zu hängen. Ohne auch nur einen Augenblick der Scham oder Reue zu empfinden, folgten sie dem Tross wie zwei alte Straßenköter dem Knochen an der Schnur. Roç sah es, und es stimmte ihn traurig, aber er sagte nichts. Auch, dass Ali sich dem Zug anschloss, entging ihm nicht. Da er und seine Freunde den ägyptischen Sultansspross wie stinkende Luft behandelten, kam der Trencavel auch nicht auf die Idee, Ali etwa daran zu hindern.
»Ich traue diesem Mamelucken nicht!«, bemerkte Berenice besorgt, die neben ihm stand und der das verstohlene Sich-Davonschleichen nicht entgangen war. »Er hat Augen wie eine Viper!«
Roç schürzte verächtlich die Lippen. »Aber keinen Giftzahn!«
Ihr Blick hätte ihm gezeigt, dass sie anderer Meinung war, doch den fing der Trencavel nicht mehr auf.
Das Vorauskommando wurde bereits am Bab as-Saghir von herbeigeströmten Einwohnern der Stadt neugierig empfangen. Sie erkannten sofort in der Karawane diejenigen, die schmählich mit dem Sultan Damaskus verlassen hatten. Dass sie jetzt mit einer monströsen Teppichrolle beladen und als Vorboten eines fremden Königs heimkehrten, versetzte die Leute in Unruhe und Erstaunen. Von der Zitadelle war der Kommandant der dort ausharrenden Garnison herbeigeeilt. Während der Baouab mit dem Kelim sofort weiterzog zum Palast, Josh und David im Schlepptau, suchte Ali die Freundschaft des Kommandanten, indem er sich als treuer und loyaler Mitstreiter des Trencavel ausgab, den er sogleich als liebenswerten Träumer und schwachen König hinstellte, mit der Folge, dass alle notwendige Tatkraft zwangsläufig auf seinen Schultern laste. Aber er wäre der Mann, dem das Schicksal der Stadt mehr noch als alles andere am Herzen läge! Der Kommandant, der so viel an Zuspruch lange hatte vermissen müssen, war tief beeindruckt, er sah in Ali eine verwandte Seele, die große Verantwortung zu tragen hatte, doch nur wenig Dank empfing. Gerührt übergab er Ali den Kampfelefanten des An-Nasir, damit er das Tier dem neuen Herrscher andiene, wenn er in die Schlacht gegen den Feind auszöge, gegen die heranrückenden Mongolen. Ali versprach ihm, dafür zu sorgen, bestätigte den guten Mann in seinem Posten als Befehlshaber der Zitadelle und schickte die fünf Armenier, die von der Unterhaltung schon mangels Interesse wenig mitbekommen hatten, hinter dem Baouab her, damit sie den würdigen Empfang des Trencavel vorbereiten halfen. Er musste sie loswerden, denn es blieb ihm nicht mehr viel Zeit, wenn es ihm noch gelingen sollte, sich anstelle Roçs zum Herrscher von Damaskus aufzuwerfen.
Die Stallungen des Elefanten waren in den Gewölben des früheren römischen Theaters untergebracht, das an der Decumana lag, der großen Prunkstraße, die Damaskus von West nach Ost durchlief. Zerstreut ließ sich Ali von den Wärtern den Dickhäuter zeigen, denn seine Gedanken kreisten einzig und allein um einen Weg, der ihn seinem Ziel näher bringen sollte. Es fiel ihm nichts ein. Den gewöhnlichen Meuchelmord, einen raschen Dolchstoß, den konnte er selbst mit Sicherheit kaum überleben, die Okzitanier würden ihn auf der Stelle in Stücke hacken. Assassinen zu dingen, dazu fehlten ihm die Zeit und vor allem entsprechende Verbindungen, über die er in dieser fremden Stadt nicht verfügte. Es blieb nur noch musiba, ein »Unglück« von der sauberen Art, dass ihm keine Schuld nachzuweisen wäre!
Der Baouab hatte den Kelim auf dem Großen Platz zwischen Moschee und Palast ausrollen lassen. Dies schien ihm der geeignete Ort, den Damaszenern Gelegenheit zu bieten, der Inthronisierung beizuwohnen. Diese hatte für ihn selbstverständlich inmitten dieses prunkvollen Teppichs stattzufinden, bevor der dann im Innern der Omayyad-Moschee, vielleicht vor dem Schrein Johannes' des Täufers, in Erinnerung an das Ereignis seinen Ehrenplatz finden könnte. So hatte sich der Baouab das gedacht, und er fand es ausgesprochen unangebracht, dass sich Josh der Zimmermann und David der Templer ausgerechnet an der Stelle niederlassen wollten, wo er sich den noch zu errichtenden Thron vorstellte. Die beiden trollten sich, schließlich fehlte ihnen nicht nur der vierte, sondern schon der dritte Mann. Auf Ali würden sie notfalls zurückgreifen können, ansonsten müssten sie die Ankunft der Okzitanier abwarten, wenn sie bis dahin keine andere Lösung für ihren fehlenden Mitspieler gefunden hatten. Sie zogen los, durch die engen Gassen der Soukhs zum römischen Theater, wo sie Ali zum letzten Mal gesehen hatten, als der Kommandant der Zitadelle die in der Stadt eingetroffene Vorhut begrüßte. Während sie aufmerksam die überdachten Gänge des Basars durchstreiften, glaubte David plötzlich William von Roebruk in der Menge gesehen zu haben. Das war natürlich eine unerwartet glückliche Fügung, den Franziskaner möglicherweise als Mitspieler zu gewinnen. Sie trennten sich hastig, David, um Williams habhaft zu werden, Joshua, um jetzt umso energischer den vierten Platz mit Ali zu besetzen.
Aus dem Dunkel der Gewölbe löste sich eine hinkende Gestalt. Es war Naiman, der Agent des Sultans von Kairo, eine Figur, die Ali sofort einen gehörigen Schrecken einjagte, hatte sie doch beim gewaltsamen Tod seines Vaters die Finger mit im Spiel gehabt. Seine Hand zuckte zum Dolch, aber Naiman hob beschwichtigend beide Arme.
»Zerbrecht Ihr Euch das dunkel gelockte Haupt, Ali, wie es mit der Krone von Damaskus zu schmücken sei?« Naiman blieb höhnisch grinsend ob der gelungenen Überraschung im Schatten des nächsten Pfeilers und im gebührenden Abstand zum Dolch des erregten jungen Mannes. »Der Trencavel muss weg!«, raunte der Geheimagent dem jungen Manne zu. »Das königliche Pärchen, das die Mongolen der Welt ins warme Nest setzen wollen, muss gewürgt werden, bevor die Brut –« Naiman hielt inne, weil er glaubte, eine ihm verdächtige Gestalt hinter den Stallungen herumschleichen gesehen zu haben, doch Ali wischte seinen Argwohn beiseite.
»Die Leute hier sind wissbegierig auf alles, was wir im Schilde führen könnten.« Er betrachtete deprimiert den Elefanten, der ungerührt sein Grünzeug verschlang. »Dabei verfüge ich nicht einmal über den Ansatz eines Planes«, klagte er freimütig, »wie ich den vorgegebenen Lauf der Dinge verhindern könnte.«
»So ist das oft!«, spottete Naiman und deutete auf den mampfenden Dickhäuter. »Ihr steht viel zu dicht vor der genialen wie massiven Lösung unseres gemeinsamen Problems! Wisst Ihr eigentlich«, zog er seine Erklärung genüsslich in die Länge, »wie sich ein solch friedliches Tier in eine alles niederwalzende, wütend tobende Kampfmaschine verwandelt?« Er ergötzte sich an dem törichten Gesichtsausdruck des Ali, bevor er die Antwort preisgab: »Feuer!«, zischte er. »Feuer versetzt Elefanten in panische Angst, lässt sie blindwütig rasen!«
Ali – statt hinzuhören – riss seinen Dolch heraus und tat einen mächtigen Satz, an dem erschrockenen Naiman vorbei, hinter die nächste Säule. Er zerrte den ebenfalls überraschten Joshua hervor.
»Ich kam nur zu fragen«, stotterte der Zimmermann eher ärgerlich ob der Behandlung als eingeschüchtert, »ob Ihr einer neuen Runde unseres Wesen-Spiels die Ehre geben wollt!«
Aus den Schatten der sie umgebenden Pfeiler traten jetzt mehrere, wenig Vertrauen erweckende Gesellen. »Meine Leute!«, erklärte knapp der Agent. »Sollte der Kerl uns schon die ganze Zeit belauscht haben –« Er ließ den Satz unbeendet im Raum stehen. Joshua schwieg grimmig. »Schafft ihn zu den Kakerlaken!«, ordnete Naiman an und wandte sich wieder Ali zu. »Ihr habt noch viel zu lernen, junger Herr«, empfahl er mit ironischer Verbeugung. »Also überlasst das Präparieren des Elefanten mir und begebt Euch zum Baouab, mit der höflichen Bitte, der Bevölkerung von Damaskus heute Abend anlässlich der Thronbesteigung ein festliches Feuerwerk zu gestatten, weswegen er den Beginn der Feierlichkeiten tunlichst bis zum Anbruch der Dunkelheit verschieben soll!« Naiman war Herr der Situation.
Josh der Zimmermann wurde gefesselt und mit einem Sack über dem Kopf abgeführt. Ali machte sich auf den angegebenen Weg. Wenn er erst einmal Herrscher von Damaskus wäre, würde er diesem schielenden Hinker seinen Hochmut schon heimzahlen!
Es setzt mich immer wieder in Erstaunen, wie viele mir völlig unbekannte Pfade durch das Gebirge führen, auf denen ein eher kostbar anmutender Trupp wie der unsere von niemandem gesehen wird, ein paar Schafhirten mal ausgenommen. Ich trabte folgsam hinter der schwarzen Sänfte her, jenem bei mir immer noch eine starke Beklemmung auslösenden Gehäuse der Grande Maîtresse, das jetzt auf Reisen von acht Turkopolen getragen wurde, während je vier jener ebenfalls schwarz gewandeten Tempelritter die Vor- und die Nachhut bildeten. So erreichten wir eine mächtige Burg in den Bergen oberhalb des Jordan, die mir bei näherem Hinschauen plötzlich arg bekannt vorkam. Dies musste der Ort gewesen sein, an dem mich jener ältere – und unbestreitbar ranghohe Templer mit der krächzenden Stimme aus der vorausschauenden – wenn auch von mir nicht ganz freiwillig erduldeten – Obhut des Lorenz von Orta gerissen hatte. – Womit er mich de facto[1] dem Inquisitionstribunal des Patriarchen überantwortete, der mich dann zu ersäufen trachtete, wie einen überzähligen Wurf junger Katzen! Also keine ermutigende Erinnerung, doch jeder Zweifel wurde mir genommen, als wir in den Hof einritten und die Sänfte der Grande Maîtresse von eben diesem Tempeloberen mit dem gleichen unverwechselbaren Krächzen empfangen wurde. Ich bekam auch diesmal weder ihn noch die betagte Insassin zu sehen, denn ihr Gehäuse wurde sofort ins Innere der Burg getragen. Meiner Wenigkeit wurde hingegen so wenig Wert beigemessen, dass man mich erst mal im Burghof stehen ließ, in Gesellschaft der Sänftenträger, mir selbst überlassen. So brachte ich wenigstens in Erfahrung, dass es die Ordensburg Safed war, auf der ich mich befand, und dass sie dem nach Großmeister Thomas Bérard – im Rang am höchsten stehenden Groß-Prior Karl von Gisors[2] unterstünde, der auch noch das Ehrenamt eines Marschalls militiae templi Salomonis[3] bekleide. Das wurde mir nur zögerlich und flüsternd anvertraut, woraus ich entnehmen durfte, dass dieser hohe Herr recht gefürchtet war.
Kurz darauf erhielten die mich beaufsichtigenden Turkopolen Befehl, den Minoriten William von Roebruk ins »Archiv« zu bringen. Dies war ein fensterloses Gewölbe im ersten Stock der weitverzweigten Burg, hinter einer Tür aus dicken Eichenbalken, stark wie ein Rammbock. Vor ihr harrte meiner schon ein spindeldürres, schlohweißes Männlein, anscheinend der Herr über all die in Leder gebundenen Folianten[4] und von Wachs geschützten Manuskripte, kostbare illuminierte Bücher, die ich in hohen Regalen gestapelt bis unter die Decke erwartete. Doch in dem mir sich öffnenden Raum befand sich kein einziges Buch noch irgendeine Schriftrolle. Allein ein Schreibpult stand bereit, inmitten der völlig kahlen Wände, reichlich Pergament war zu seiner Seite gestapelt, und von der Kuppel des Gewölbes hing eine nicht nur strahlend helles Licht verbreitende fünfarmige lucerna[5], auch deren Öle verströmten köstlichen Duft von Zimt und Kardamom, Rosen und Lavendel.
»Die rechte Mixtur, um die Stirn zu befreien und das Hirn anzuregen«, erläuterte mir lächelnd mein Kustos, während er sich zufrieden vergewisserte, dass ich mein eigen Feder und Tintenfässchen mit mir führte. Dann schritt er tippelnd zur Wand, wo in Hüfthöhe eine Art Schranktür bündig zum Mauerwerk und kaum auffällig eingelassen war. Der zierliche Greis zog sein gewaltiges Schlüsselbund und öffnete einen zweiflügeligen Verschlag. Doch dahinter kam sofort ein weiteres Portal zum Vorschein, eine kostbare Intarsienarbeit aus edlen Hölzern mit Elfenbein versetzt. Für diese Tür benötigte er schon vier Schlüssel von seinem Bund, um sie vollends zu entriegeln und ihre Flügel rechts und links zusammenzufalten, sodass endlich die dritte Pforte sichtbar wurde, ganz aus Eisen, nur ihre Zierbeschläge schienen mir aus Messing aufgesetzt. Sie dienten auch nur, die Schlüssellöcher zu verbergen, und es schien mir, dass die Einhaltung eines bestimmten, kunstvollen Ritus eingefordert wurde, mit dem der geschickte und sehr behände Alte die verschiedenartigen Bärte zum Einsatz brachte, oft durch gegenläufiges Drehen. Schließlich öffnete sich der Berg Sesam zu einer kleinen dunklen Grotte. Der Kustos[6] streifte sich einen ledrigen Fäustling über die feingliedrige Hand, griff in die Höhlung des Tresors und zog einen unscheinbaren, verschnürten Packen ans Licht. Fast feierlich legte er ihn vor mir auf das Pult und löste die mehrfach versiegelten Schnüre.
»Dies umgehend und aufmerksam zu lesen, … bef… bittet Euch die ehrwürdige Meisterin Marie de Saint-Clair«, sprach mein Kustos mit aufmunterndem Lächeln.
Ich war mir im Unklaren, ob ich es erwidern sollte, doch überwog meine Neugier das grundsätzliche Misstrauen, das bei allem hochkam, das mit der Grande Maîtresse in Verbindung stand, ich nickte ihm mein Einverständnis und trat zum Pult. Der freundliche Greis zog sich unhörbar zurück, ich bemerkte es erst, als sich knirschend der Schlüssel von außen im Schloss der Bohlentür drehte, doch da hatte ich schon das Deckblatt beiseite geschoben und erkannte sofort das sigillum[7] der geheimen Bruderschaft, das über den ersten Zeilen prangte: Sine dubio![8]Vor mir lag – in Abschrift oder gar im Original – der Große Plan! Ob ich nun wollte oder nicht, ich geriet in den magischen Sog des ketzerischen Manifests:
Vielfältig verschlungen ist das Siegel des Geheimen Bundes, die Speerspitze des Glaubens stößt aus dem Kelch der Lilie, das Trigon[9]durchdringt den Kreis und schwebt über den Wassern. Wem es bestimmt ist zu wissen, der weiß, wer zu ihm spricht!
Wer die Wahrheit sucht, tut gut daran, sich in Gottes Wort zu vertiefen, wie es in der Bibel geschrieben steht. Er tut nicht gut daran, den Kirchenvätern zu vertrauen. Sie waren keine Suchenden wie er, sondern Deuter der Schrift, die sie nach Gutdünken auslegten zu ihrem eigenen Nutz und Frommen.
Wer die Wahrheit sucht, kann aber auch Gott bitten, ihm Einblick in das große Buch der Geschichte zu gewähren. Gott schreibt nicht mit der Tinte der ›scribentes‹, sondern mit dem Leben der Menschen und Völker.
Als es Gott gefiel, das Volk Israel aus seiner Auserwähltheit zu erlösen, es von der erdrückenden Last zu befreien, unter der es nicht die Kraft aufbrachte, andere Völker an dem einen Gott teilhaben zu lassen; als Er sah, dass sich die Seelen der Kinder Israel verhärteten wie Leder in der Sonne und brüchig wurden, sandte Er Propheten aus, von der Größe Seines Reiches zu zeugen.
Als Erster trat auf Johannes der Täufer. Er blieb ein Rufer in der Wüste; denn das Volk war verstockt, und seine Ohren waren taub.
Auf ihn folgte Jesus aus dem Hause David, der sein Leben hingab. Aber seine Jünger drehten ihm die Botschaft der Liebe im Munde um und verfälschten das Vermächtnis seines Opfers.
Sie zeigten sich weder fähig, das Mysterium der Transsubstantiation[10]noch das der Wiederauferstehung zu erfassen.
Und schließlich erschien Mohammed, der den irrenden Völkern den einfachen Weg wies, ohne Schuld und Vergebung, den geraden Weg ins Paradies durch ein frommes und gerechtes Leben auf Erden.
Wie Gott Israel straft seit dem Auszug aus Ägypten, so zürnt Er den Muslimen seit der Hedschra, dem Auszug aus Mekka.
Seitdem ist das Erbe Mohammeds zerrissen zwischen denen, die blind nur die Sunna, die Botschaft hören, und denen, die taub nur auf die Schia[11], die Blutslinie, starren. Gott allein weiß, welcher Weg der richtige ist. Die Muslime wissen es nicht.
Stumm vor Zorn aber ist der Herr, wenn er das Ungeheuer betrachtet, das die Nachfolger Christi in die Welt gesetzt haben. So wie sie sich selbst aus eigenen Gnaden ernannten, schufen sie die sich selbst fortpflanzende, sich selbst gebärende Kirche. Noch dient sie Ihm, die anderen zu strafen: die Juden mit Vertreibung ›zerstreut in alle Welt‹; den Islam mit Spaltung, die beide Glieder den Schlägen aussetzt, welche das Ungeheuer mit seinen Schwänzen austeilt, während seine Tentakel sie würgen, erpressen und berauben.
Aber die blutige Spur, die das Tier wie eine Schleppe hinter sich herzieht, ist auch ein Versprechen, dass Gott der Herr die Missetaten nicht vergessen wird. Gott allein weiß, wann der Tag des Gerichts kommen wird, aber er wird kommen! Denn die Gräuel der Nachfolger Christi schreien zum Himmel.
Als Erster leugneten sie die Leiblichkeit des Jesus von Nazareth. In ihrem Wahn und in ihrer Vermessenheit gingen sie so weit, ihn zu Gottes Sohn zu erklären, zum Nebengott. Und damit nicht genug: Sie erhoben auch seine Mutter zu einer die Mutterschaft verhöhnenden göttlichen Jungfer und füllten so den eben gereinigten Tempel – dem Einen Gott, nur Ihm allein geweiht – mit allerlei Nebenaltären.
Dann buhlten sie um die Gunst der Römer, denn in deren Hauptstadt, ›caput mundi‹[12], sollte das eitle Ungeheuer nisten, seine Arme ausstrecken, alle Menschen an seine Brust ziehen und die erwürgen, die es nicht anbeteten.
Diese Bedrohung wandte sich auch gegen jene, die dem Auftrag des Meisters gefolgt waren: ›Gehet hin in alle Welt‹, und sein Wort jene lehrte, die Ohren hatten zu hören. Es waren der Jünger ja zwölf gewesen, die so ausgesandt waren.
Saulus war keiner von ihnen und ward zu Damaskus auch nicht zum Apostel, sondern zu Paulus. Paulus dem Strategen. Paulus traf die schicksalsschwere Entscheidung für das Rom der Cäsaren – nicht für Bagdad, die Wiege der Menschheit, nicht für Alexandria, den Hort ihrer Geistigkeit, und schon gar nicht für das Jerusalem der Väter. Ihm verdanken wir die Krake, nicht dem braven Fischermann Petrus. Paulus brachte das Tier dorthin, wo es sich nur zum Ungeheuer entwickeln konnte.
Um sich bei Rom einzuschmeicheln, machten die Häupter der Kirche alsdann vergessen, dass es die Römer gewesen waren, die – in strikter Anwendung ihres ›codex militaris‹[13]–den Jesus von Nazareth, ›Rex Judaeorum‹[14], gekreuzigt hatten. Sie schoben es seinem eigenen Volk, den Juden, in die Schuhe, den Messias ermordet zu haben. So erhoben sie ihn zum Märtyrergott, ja, zu Gott selbst – und das Tier stieß die erste Giftwolke aus seinen Nüstern, die seitdem unheilschwanger über der Welt wabert, den Hass auf die Kinder Israel und ihre Kindeskinder. Nichts eint eine Gefolgschaft so sehr wie ein gemeinsamer Feind.
Das Tier hatte die Botschaft des Gekreuzigten an sich gerissen und aufgesogen, seinen Leib, und, wie es vermeinte, auch sein Blut. Nichts erboste das Tier in Rom so sehr wie die Erkenntnis, dass die Blutslinie des Hauses David nicht erloschen war, sein Samen sich fortpflanzte. Da Jesus jetzt ein Gott war, war seine Sippe – soweit nicht mit ihm zusammen vergöttlicht – dem Tier ein Dorn im Auge. Also wurde seine Frau als Hure verschrien; seine Söhne, Bar–Rabbi und die anderen, wurden Straßenräubern gleichgestellt. Wer sich vor der Kreuzigungsjustiz der Römer retten konnte, wurde totgeschwiegen.
Ein ähnliches Schicksal erlitten die Gemeinden der übrigen Apostel. Kaum war das Tier aus den Katakomben gekrochen, hinauf auf den Thron der römischen Staatskirche, begann eine grimme Verfolgung derer, die vom›rechten Glauben‹abwichen. Erst wurden sie als Sektierer verunglimpft, dann als Häretiker an den Pranger gestellt. Wer sich dem Anspruch der ›Ecclesia catolica‹–so nannte sich das Ungeheuer jetzt–, allein die Schlüssel zum Himmelsreich zu besitzen, nicht beugte, verfiel dem Bann. Holz und Stroh wurden unter den Pranger gehäuft. Das Tier, in die Fußspuren des Imperiums getreten, spie nicht mehr nur Gift, sondern nun auch Feuer. Die ersten Scheiterhaufen loderten.
Und der Rest der Welt? Die Anhänger des Propheten Mohammed, den Gott nach Jesus entsandt hatte – und Gott wusste, was er tat–, sie wurden zum Heer der ›Ungläubigen‹, zu Heiden. Waren sie sanft und gutwillig und küssten das Kreuz, dann konnte man sie taufen. Ließen sie sich nicht bekehren, war es besser, sie gleich totzuschlagen.
Ich war unruhig, eigentlich musste ich pinkeln, aber mehr noch war ich von einer Unruhe erfasst, ich vermeinte Schritte auf der Treppe vor meiner Tür gehört zu haben, ein seltsames, tastendes Kratzen im Schloss. Ich hielt den Atem an und lauschte. Nichts! Es war wohl nur der Wind, der durch den Flur der Burg strich? Etwas raschelte tief im Innern des geöffneten Schranks, dessen eisenummanteltes Geheimfach sicher weit in das Hohlwerk der Mauern reichte. Mäuse wahrscheinlich – oder Vögel wisperten im Schlaf. Ich schalt mich einen Hasenfuß und las weiter –
Nun mussten die Menschen des Abendlandes wie des Morgenlandes in den letzten Jahren erfahren, dass weit hinten im Osten noch riesige Völkerscharen leben, für deren Herrscher wir, hier um das›Mare Nostrum‹[15]gescharrt, mit unserem›caput mundi‹nur›Rest der Welt‹sind. Was soll, von unserer Seite aus, mit ihnen geschehen? Und wie werden sie ihrerseits mit uns verfahren?
Das Tier hatte sich auf einen bröckelnden Felsen gesetzt: Das Imperium Romanum[16]brach auseinander.
Ostrom, Byzanz, aufgrund seiner Lage zwischen Orient und Okzident anfangs das weitaus mächtigere Teilreich, hatte keine Schwierigkeiten, weltliche und geistliche Macht getrennt zu halten und dennoch am gleichen Ort zu vereinen. Man verstand sich als Bollwerk gegen die Völker der aufgehenden Sonne und als Mittler zugleich.
Das Tier hingegen saß in Westrom. Im Niedergang des Reiches ging die imperiale Macht erst an germanische Soldatenkaiser, dann an das›Sacrum Imperium Romanum‹[17], fest in der Hand der Deutschen.
Doch die von ihren Anfängen an auf irdischen Erfolg abgerichtete Kirche war keineswegs gewillt, auf den Primat der Macht zu verzichten. Die›Päpste‹, so nannten sich die obersten Priester des Ungeheuers, schmückten sich mit der Tiara, der dreifachen Krone, auf dem Haupt und zeigten ihren angehäuften Reichtum ohne Scham: Sie sahen sich als die wahren Nachfolger der Cäsaren. Diese›vicarii Christi‹, Stellvertreter des Gottessohnes, heischten Gehorsam und befahlen Fürsten vor ihren Thron, ihnen zu huldigen. Dem Patriarchen von Byzanz wie auch dem deutschen Kaiser muteten sie zu, sich vor dem Tier zu verneigen. So beschwor Rom das Schisma[18]herauf und den Streit um die Investitur[19]: Wer setzt wen ein? Der Papst den Patriarchen? Der Kaiser dem Pontifex maximus[20]? Oder –
Ein leichtes Knacken in der Tür schreckte mich aus meinen Überlegungen auf, zu denen mich das Gelesene unweigerlich verleitete, auch wenn es mir ungeheuerlich stimmig erschien. Der weißhaarige Kustos betrat meine Zelle. Er trug eine Karaffe aus teurem geschliffenem Kristall in einem geflochtenen Korb nebst einem Silberpokal herein, schob die Pergamente des Großen Plans beiseite und stellte sein Mitbringsel auf das Pult.
»Dies sendet Euch Seine Eminenz, der Herr Groß-Prior, mit den besten Segenswünschen.« Der Alte schob sich näher heran und senkte seine Stimme. »Mein gütiger Herr ist der Meinung, Ihr, William von Roebruk, solltet dem Traktat, das Euch seine werte Schwester zu lesen hieß, nicht allzu viel Gewicht beimessen, sondern Euch bei einem guten Tropfen aus seinem eigenen Keller gelegentlich entspannen und den Kopf wieder freimachen von der schwer verdaulichen, höchst konspirativen Kost.« Der zierliche Kustos grinste dabei selbst recht verschwörerisch, während er mir aus dem kostbaren Gefäß den Pokal füllte.
»Karl von Gisors ist also der Bruder der Grande Maîtresse –?«
»Der leibliche sogar – und der jüngere«, lautete die freimütige Bestätigung. »Das erklärt auch die unterschiedlichen Standpunkte, die von beiden Geschwistern eingenommen werden.« Ich wusste nicht sofort, wie ich mit dieser Erkenntnis umgehen sollte, vor allem, welche Konsequenzen sie für mich zeitigen könnte. Doch ich sollte es sogleich erfahren. »Der Groß-Prior regt an, dass Ihr hingegen nun Euer Ohr schärfen sollt –« Ich muss den Alten ziemlich verständnislos angeglotzt haben, denn er führte mich wie ein Kind zu der offenen Schranktür in der Wand. »Durch diese Öffnung werdet Ihr binnen Kurzem jedes Wort vernehmen, das nebenan in der Bibliothek gesprochen wird –«
Ich bemühte mich jetzt, rasche Auffassungsgabe zu zeigen. »Das Gespräch, das ich belauschen soll, findet vertraulich inter familiam[21] statt?«
»Ihr sollt nicht spionieren, William«, korrigierte mich mein Kustos, »sondern das Gehörte protokollieren, um es in Eure dürftige Chronik aufzunehmen.« Er wies lächelnd, aber bestimmt auf die vorbereiteten Pergamente hin.
»Ich soll also alles niederschreiben?« Ein letzter schwacher Versuch meinerseits, der neuerlichen Fron, jetzt sogar in verschärfter Form, zu entgehen.
»Diesen Auftrag führt Ihr nun schon lange mit Euch herum, ohne dass Ihr ihm im Geringsten und im Wesentlichen bislang nachgekommen seid!« Der Alte war jetzt streng mit mir. »Diesmal ist Erfüllung angesagt! Ihr werdet sonst diesen Raum nicht wieder verlassen –«
›Lebend‹ hatte er nicht hinzugesagt, aber es war mir klar, dass der Herr von Gisors keine Skrupel empfinden würde, wenn ich versagte, mich versagen sollte. Mein Kustos schob das Pult unmittelbar vor die offene Schranktür, stellte die Karaffe auf den Boden und breitete die leeren Pergamentseiten vor mir aus.
»So könnt Ihr alles hören«, versicherte er mir fürsorglich, »und greift bitte nicht in die Öffnung hinein, das könnte Eure Tätigkeit – aber auch Euer Wohlbefinden – allzu rasch beenden!«
Mit dieser Drohung ließ er mich allein im ›Archiv‹ zurück. Ich griff erst mal zum gefüllten Pokal, der Wein war gut, für ein Henkersmahl geradezu exzellent. Während in der Eichentür die Verrieglung geräuschvoll wieder einschnappte, leerte ich genüsslich den Pokal – und lauschte. Es war nichts zu hören, außer dem sanften Säuseln des Luftzuges aus den Eingeweiden der Mauern, dem Wispern der unsichtbaren Nager und dem leisen Ruf eines fernen Käuzchens. So nahm ich mir meine Lektüre wieder vor.
Seit dem Untergang des Römischen Reiches und dem Eindringen der einst barbarischen Völker aus dem Norden und dem fernen Osten hatte sich das Antlitz des Orbis Mundi[22]verändert. Colonia[23], London, Paris waren längst keine in die keltisch-germanische Wildnis vorgeschobenen Garnisonen mehr, sondern Mittelpunkt von mächtigen Landen. Carolus Magnus[24]hatte noch cäsarengleich über die Welt der untergehenden Sonne geboten. Danach bildeten sich zwar eigenständige Königreiche, doch über allen stand, als eine Institution von Gottes Gnaden, der ›Kaiser‹!
Im Westen, auf der Iberischen Halbinsel, und im Süden Italiens, der zu Byzanz gehörte, hatte der Okzident zwar Einbrüche der jungen Kraft des Islam hinzunehmen. Dafür dehnte sich das Reich immer weiter nach Osten aus, unterwarf die Könige von Böhmen, Polen und Ungarn seiner Lehnspflicht, missionierte den Norden, und aus den Grenzmarken wurden Herzogtümer.
Der König von Frankreich hätte es den Deutschen gerne gleichgetan, doch ihm verblieb wenig Raum, und er hatte nicht die Autorität der Kaiserkrone.
Der reiche Südwesten, das okzitanische Tolosa und das Languedoc war weder ihm noch Rom botmäßig. Hier hatten sich Gnosis[25]und Mani[26]wie Tau auf fruchtbarer Erde niedergeschlagen, war das ›sang real‹, das königliche Blut aus dem Hause David, zum ›San Gral‹, dem heiligen Gral, geworden.
Der Legende nach waren hier die Kinder Jesu an Land gegangen, waren von den in der Diaspora[27]lebenden Juden im Exil aufgenommen worden. Ihr Blut, das der Belissen, hatte sich erst mit den keltischen, dann mit den gotischen Königen vermischt. Das Haus Okzitanien, die Merowinger, die Trencavel, ja, die gesamte Nobilität[28]des Landes leitet sich von ihnen ab. Hier entstand der Begriff des ›Adels‹, der von Gott gewollten Bevorzugung eines bestimmten Blutes. Sein Land, diese jahrhundertelang in sich geschlossene Insel der Seligen, mit ihrer eigenen Sprache, der ›langue d´oc‹, ein Land mit eigenen Gesetzen, den ›leys d´amor‹, und seiner eigenen Religion, in der das Paradies nahe war und ein Papst nicht vorkam, schenkte dem Okzident die Poesie der Minne und der Troubadoure. Es gerät erst in das begehrliche Auge Frankreichs und in das scheele Roms, als sich zu Beginn des zweiten Millennium nach Christi Geburt das Abendland noch einmal – unheilvoll, selbstzerstörerisch – in Bewegung setzt.
Rom war längst nicht mehr Mittelpunkt des Abendlandes; die Apenninhalbinsel war zum Anhängsel geworden. Die Lombardei, einst Kernstück des Reiches, versuchte dessen Vormundschaft abzuschütteln. Das ›Patrimonium Petri‹[29], so nannte mittlerweile das Tier sein Gehege, war inzwischen zum eigenen Staat, zum Kirchenstaat, geworden. Den blühenden, aber wilden Süden des Landes, das ehemalige ›Königreich Sizilien‹ hatte inzwischen eine Hand voll normannischer Abenteurer den Mauren entrissen.
Die Päpste waren an den Rand des Geschehens gedrängt worden, das sich immer weiter nach Norden, West und Ost verlagert hatte, und sie wurden nur noch ab und an von den Machthabern besucht – meist heimgesucht.
Das konnte das Tier nicht ertragen. Ohne Not beschwor Rom das offizielle Schisma herauf. Byzanz weigerte sich nun endgültig, die Oberhoheit des Papstes anzuerkennen.
Etwa ein Jahrzehnt später kommt es zu einem folgenschweren Gefecht im Norden Europas. Die Normannen setzen über den Kanal und erobern das Königreich England, wodurch auf französischem Boden die Kräfte aus dem Gleichgewicht geraten und fortan mit sich selbst befasst sind, ohne Rücksicht auf Kaiser und Papst.
Und diese beiden ewigen Kontrahenten spitzen ihre Auseinandersetzung in – für beide Seiten – unerträglicher Weise zu. Schlag auf Schlag wechseln sich Antipapst und Gegenkönige ab, der Kaiser gebannt, der Nachfolger Petri muss ins Exil nach Frankreich flüchten. Sowohl die weltlichen wie auch die geistlichen Fürsten Europas profitieren maßlos von dieser Führungslosigkeit, sie bereichern sich, sie empören sich, sie verschwören sich, Chaos macht sich breit.
In dieser Not ruft Urban II.[30]auf dem Konzil von Clermont zum Kreuzzug auf: ›Deus lo vult!‹[31]
Ich lauschte in die dunkle Öffnung hinein – nichts, kein Laut. War die vorgesehene Unterredung zwischen den beiden Geschwistern doch nicht zustande gekommen, hatte sich die Grande Maîtresse meine Zeugenschaft als Chronist verbeten? Schließlich wusste sie ja, wo ich mich aufhielt – und die Besonderheiten des Aufbewahrungsortes des Großen Plans mussten auch ihr geläufig sein!? Ich füllte den Pokal nach. Obgleich ich leichten Harndrang bändigen musste, trank ich einen kräftigen Schluck.
Ob Gott den Kreuzzug gewollt hatte, steht dahin; gewiss gehörte er zu den Geißeln, mit denen Er die Menschheit zu züchtigen gedachte, und was Er will, lässt er auch geschehen. Das Tier hatte diese Lawine aus Blut und Tränen, Hass, Gier und Verblendung mutwillig losgetreten. Das Ungeheuer hatte wohl insgeheim damit gerechnet, eines Tages von der empörten Menge in Stücke gerissen, erschlagen und verbrannt zu werden – aber nicht, übergangen und in der Folge vergessen zu werden.
Der Kreuzzug war nichts anderes als die trotzige Demonstration des Papsttums, an der Spitze des gesamten Abendlandes zu stehen, die Fürsten zu einem solchen Schritt treiben zu können. Es waren deren zweit- und drittgeborene Söhne, ohne Aussicht auf ein Erbe oder Leben, die sich das Kreuz an den Mantel hefteten und die Führung des Zuges übernahmen. Ihnen folgte das Heer der Armen – flüchtige Strauchdiebe, Schinderknechte, Hurentreiber, Galgenstricke, Wegelagerer, Beutelschneider, Schnappsäcke[32]und sonstiges Gesindel–, und dazu kamen die Weiber, die käuflichen und die beseelten, die liederlichen und die fürsorglichen, die liebenden und die enttäuschten. Und dann noch die Mönche und Priester, verludert oder voll glühendem Reformeifer, fanatische Bekehrer und solche, die sich neue Pfründe erhofften. Solcherart war der Zug, der sich durch Europa wälzte.
Wüste Pogrome[33]eilten ihm voraus; die Giftsaat des Tieres ging auf. Juden totschlagen war eine gute Fingerübung für das, was man den Heiden zugedacht hatte. Und das Ungeheuer hatte ja völligen Ablass aller Sünden denen versprochen, die aus christlichem Gewissen das Kreuz genommen hatten. Den von weltlichen Gründen Bewegten winkte über das Seelenheil hinaus noch der Gewinn ungeheurer Reichtümer. Und die Gierigen waren in der Überzahl.
Viele träumten auch von einem Garten Eden, der seit der Vertreibung aus dem Paradies unbevölkert geblieben war, von verlassenen Palästen, in denen Schatztruhen offen standen, gefüllt mit Gold und Juwelen – und das Tier ließ sie träumen. Viele meinten, die ›Ungläubigen‹ harrten wie Kinder demütig kniend am Strand sehnsüchtig auf das Kommen der Kreuzfahrer in ungeduldiger Erwartung, endlich ›getauft‹ zu werden. Viele dachten überhaupt nichts und wunderten sich umso mehr darüber, ein in Jahrhunderten gewachsenes Feudalgefüge vorzufinden, Zivilisation und Wissenschaft, der unseren weit überlegen.
Diejenigen, die das Gift des Tieres nicht blind, taub und gefühllos gemacht hatte, empfanden die Erfahrung des heiligen Landes als einen Schlag ins Gesicht. Aber auch das Tier wurde schwer getroffen: Aus dem Morgenland drangen nicht nur Duftwässer und ätherische Öle in die Poren des Abendlandes, nicht nur die Kunst der Liebe, des Tanzes, der Musik, des Gesanges, der Poesie, sondern vor allem Geister, Geister der Philosophie, Geister des freien Gedankens. Geister, die das Abendland nicht mehr losließen, so sehr das Tier auch schnaubte und Feuer spuckte. Es spürte, dass dieser Wind des Orients seinen Giftodem eines Tages vertreiben würde und dass es in der klaren Luft der Vernunft nicht mehr zu gedeihen vermöchte.
Der Erste Kreuzzug nahm seinen glorreichen Abschluss mit der Einnahme von Jerusalem. Die Eroberer wateten drei Tage lang im Blut der erschlagenen Muselmanen, der erwürgten Juden, der niedergemetzelten Christen der Stadt. Dann riefen sie das ›Ewige Königreich‹ aus und teilten Land, Burgen und Städte unter sich, unter den noblen Führern auf. Die mitgezogenen Armen, soweit sie nicht umgekommen waren durch Hunger, Durst, Hitze und Kälte, durch Schlachten oder in der Sklaverei, blieben das, was sie schon vorher gewesen waren: Habenichtse!
Es dauerte drei Generationen, bis sich die islamische Welt von dem Entsetzen erholt hatte, bis sie unter einer Hand geeint war – es musste erst ein Saladin auftreten, der von Syrien bis Kairo alle Macht auf sich vereinte. Dann aber war es um die Christen schnell geschehen. Nach der Schlacht bei den Hörnern von Hattin[34]ging ihnen Jerusalem wieder verloren. Nicht so, wie sie es gewonnen hatten – o nein! Saladin vergoss nicht das Blut von Besiegten. Er beschämte sie? O nein! Sie kannten keine Scham.
Aber sie überlebten. Und der Hof des Königreiches von Jerusalem residiert nunmehr in Akkon.
Endlich vernahm ich Stimmen! Es waren die mir angekündigten, Marie de Saint-Clair, die Großmeisterin jener geheimen Bruderschaft – deren Namen ich nicht aussprechen, geschweige denn niederschreiben darf! –, und ihr offensichtlicher Gegenspieler im Templerorden, ihr leiblicher Bruder Karl von Gisors, der Groß-Prior, hatten endlich die Bibliothek betreten. Für dieses Ereignis hatte ich mir schon den Kopf zerbrochen, wie ich die beiden Namen in der gebotenen Eile abkürzen könnte, ohne despektierlich[35] zu wirken, mich schließlich aber für Grande Maîtresse für die hohe Frau und Groß-Prior für den mächtigen Herrn entschieden. Doch die Stimmen entfernten sich wieder, nachdem ich etwas wie eine gekrächzte Einladung des Hausherrn zu einem gemeinsamen Mittagsmahl vernommen hatte. Ich war enttäuscht, dann aber hörte ich ganz deutlich meinen Kustos von der Bibliothek her zu mir sprechen.
»Die Herrschaften sind zu der gemeinsamen Auffassung gelangt, dass Ihr, William von Roebruk, das gesamte Euch vorliegende Scriptum[36] durchgelesen haben solltet, bevor Ihr vom Verstand her und der raschen Rezeption in der Lage wäret, einen Disput über Konzept und Konsequenzen sinnvoll niederzuschreiben –«
»Ich hab' Hunger!«, war die einzige Antwort, die mir darauf einfiel. »Ein gebratenes Huhn – oder mir fällt die Feder aus der Hand, bevor ich auch nur die erste Zeile notiert –«
Mein Kerkermeister auf der anderen Seite der Mauer überlegte nicht lange. »Wenn Ihr beim Umblättern keine Fettflecken auf den Pergamenten hinterlasst, bekommt Ihr das Gewünschte in einer Viertelstunde!«
Ich würde ihm auch gerne sagen, dass ich liebend gerne pinkeln würde, aber ich verkneif es mir.
Hundert Jahre sind seit dem Beginn der Kreuzzüge vergangen. Unter der glühenden Sonne des Morgenlandes hat jeder sein schattiges Plätzchen gefunden, ob Christ oder Moslem; man hat sich zusammengerauft. Da kreißt das Tier und gebiert ein Ungeheuer, einen Purpurträger, wie ihn die Welt noch nicht gesehen: Innozenz III.[37]
Seine Instinkte hatten das Tier nicht im Stich gelassen. Es witterte das heranziehen einer großen Gefahr: Irgendwo schmiedete Gott ein Eisen, das ihm die Gurgel aufschlitzen konnte.
Das Eisen waren die Staufer, die das deutsche Königtum erblich gemacht hatten und seit dem großen Barbarossa[38]den Kaisertitel gleich dazu. Dessen Sohn heiratet die letzte Normannenprinzessin, Erbin des Königreiches Beider Sizilien.
Was das Tier immer befürchtet hatte, war eingetreten: die Vereinigung des Südens mit dem Reich, ›unio regnis ad imperium‹, und das Patrimonium Petri dazwischen in tödlicher Umklammerung!
Dem kaiserlichen Paar wird zu Jesi ein Sohn geboren: Friedrich II. Der neue Pontifex maximus, der selbst mit dem Anspruch auf Weltherrschaft der Päpste sein Amt angetreten hatte, adoptiert den jungen Staufer; das Tier versucht Friedrich mit seinen Tentakeln zu umgarnen, ihm das Gift der Gefügigkeit einzuspritzen.
Mit Innozenz auf dem Stuhle Petri ist dem Ungeheuer ein Haupt von ungeahnter Gefährlichkeit erwachsen. Es schlägt nicht blind um sich, sondern es greift versteckt an, es versetzt tödliche Stiche, unter denen das gesamte Abendland erschauert.
Mit teuflischer List wird der nächste Kreuzzug mithilfe Venedigs, das seine Händlermacht beachtlich ausweiten kann, gegen das schismatische Byzanz umgeleitet. Der oströmische Patriarch, dem Papsttum so lange ein Dorn im Auge, muss fliehen. Dass damit ein Damm, das einzige Bollwerk des Abendlandes gen Osten, zerstört wird, kümmert den hasserfüllten Reiter auf der Bestie wenig.
Bösartig führt Innozenz den nächsten Schlag gegen die Ketzer, die Katharer[39]Okzitaniens. Ihre Häresie, dem Prunk der römischen Amtskirche die Bedürfnislosigkeit der eigenen Priester entgegenzustellen, den düsteren Drohungen der Dominikaner die freudige Gewissheit des Paradieses, der Käuflichkeit und Vetternwirtschaft der ›Ecclesia catolica‹ die freiwillige Opferbereitschaft der ›Reinen‹–das alles war dem Tier seit eh und je zuwider. Jetzt war der Tag der Rache gekommen.
Dem Frankreich der Capets[40]versprach das Ungeheuer Land und Titel des reichen Südwestens, und die Machtgier der Könige in Paris setzte sich über alle Bedenken hinweg. So wurde der ›Kreuzzug gegen den Gral‹ entfesselt, der Krieg gegen die Albigenser[41]. Wenn das Ungeheuer sich seinen Namen nicht schon vorher verdient hatte, jetzt erwarb es sich ihn mit einer Grausamkeit, die kein Scheusal auf Erden zuvor bewiesen.
Im Flammenboden des Tieres verbrannten die Städte. Katholiken, Katharer und Juden ›Verbrennt sie alle! ‹, lautete die Losung Roms. ›Am Tag des Jüngsten Gerichts wird der Herr die Seinen schon finden!‹ Das Ungeheuer wälzte sich durch das Languedoc, stülpte sich über Toulouse und Carcassonne, würgte Béziers und Termés, folterte mit den Krallen der Inquisition, zertrat die Kultur des lieblichen Okzitaniens und löschte Menschen und Sprache aus.
Als das Tier sich derart gelabt hatte am Blut Unschuldiger, wandte es sich seinem Mündel zu. Friedrich –
Dann kam das Huhn! Ich war so vertieft in das bizarre Gemälde meiner eigenen Jugendjahre, dass ich das Öffnen der schweren Tür gar nicht bemerkt hatte, erst wieder ihr geräuschvolles Zuziehen und Verschließen. Man hatte mir den hölzernen Teller mit dem Tier und einem Stück Brot einfach in die Zelle geschoben, wie einem Strafgefangenen! Die Köche mussten auch nicht ganz bei der Sache gewesen sein, denn das Huhn war arg verbrannt. Da mein Kerker weder Stuhl noch Tisch aufwies, hockte ich auf dem Boden nieder, gleich neben dem Dreifuß meines Pults, zerriss den zähen Braten, stopfte mir die Bissen ins hungrige Maul, kaute erzwungenermaßen ausgiebig und spülte dann mit dem Roten nach, von dessen kostbaren Tropfen ich auch einige zum Reinigen meiner fettigen Finger verwandte, bevor ich mich wieder hochstemmte.
… seinem Mündel zu. Friedrich war nach dem frühen Tod seiner Eltern schon als Knabe auf den Thron gelangt. Der junge Staufer war zwar so weit vergiftet, dass auch er bis auf den heutigen Tag in den Katharern nichts als auszurottende Ketzer sehen mag. Aber mit seiner klaren Idee von der Stellung des Kaisers entwand er sich der Umarmung seines Vormunds.
Innozenz wurde vom Schlagfluss dahingerafft. Doch dem Leib des Ungeheuers erwuchs sofort ein neuer Drachenkopf: Gregor IX.[42]Unter ihm setzte dann unerbittlich die Verfolgung der Staufer ein. Dem jetzigen Papst, Innozenz IV.[43], rinnt der Geifer aus dem Maul, wenn er schwört, Friedrich und sein ›Natterngezücht‹ zu vernichten. – Das Maß ist übervoll! Irgendwann sollte dem Kaiser der Geduldsfaden reißen. Dann wird er all seine Kraft zusammennehmen, und er erschlägt das entsetzliche Tier, verbrennt es in einem riesigen Scheiterhaufen auf dem ›Castel Sant Angelo‹[44], dass die Mauern ob der Hitze bersten, und verstreut seine Asche in alle Winde!
In der Bibliothek kehrten die Stimmen zurück, hörbar aufgekratzt vom opulenten Mahle. Ich nehme noch schnell einen letzten Schluck und tauche die Feder ins bereitstehende Tintenfass.
Groß-Prior: »Jerusalem ist für immer verloren. Selbst wenn wir es zurückgewinnen sollten, werden wir es nicht halten können. Es ist nicht mehr mit einem Kreuzzug getan: Gewaltige Heerscharen müssten als Besatzer in der terra sancta stehen, um das Eroberte verteidigen zu können.«
Grande Maîtresse: »Hundertfünfzig Jahre voller Gräuel und Ungerechtigkeiten, Bedrohung und Hass haben auf beiden Seiten so viel Verbitterung erzeugt, dass kein Frieden, keine Versöhnung mehr in Sicht ist.«
Groß-Prior: »Das alles erfüllt mich mit tiefer Trauer und Besorgnis.«
Grande Maîtresse: »Das will ich Euch glauben, Karl de Gisors! Doch für jemanden wie mich, dem das Mittelmeer nicht Mare Nostrum der Römer ist, sondern mediaterra, also Bindeglied, nicht Trenngraben zwischen den Ländern des Morgen- und Abendlandes, ist der Zeitpunkt gekommen, verantwortungsvoll dieser beschämenden Entwicklung gegenzusteuern –«
Groß-Prior: »Und das wollt Ihr, werte Schwester, mit der Schaffung einer neuen dynastischen Blutslinie erreichen?«
Grande Maîtresse: »Ich kann im Wahlkönigtum den Finger Gottes nicht erblicken. Der gesalbte Herrscher wird gegeben, eingegeben! Außerdem, was heißt Ihr hier neu? Das wäre sie – weiß Gott – nicht! Ich zumindest kenne keine ältere, keine, die mit mehr Berechtigung antreten könnte –«
Groß-Prior: »Aber eine anerkannte Dynastie, deren Euer mediterranes Reich bedarf, ist nirgendwo in Sicht –«, und unverhohlen spottend legte er noch nach: »Nicht einmal eine Wurzel, eine Art Knolle, aus der sie sich herausschälen könnte!«
Grande Maîtresse: »Noch nicht!« Marie de Saint-Clair musste erst ihre Erregung abklingen lassen, bevor sie die Sprache wiederfand. »Herr, ich bitte dich um Erleuchtung, welche Elemente des Abendlandes dem Schmelztiegel beizugeben sind, welchen Adern der Lebenssaft entströmen soll, welche Tropfen Bluts der göttlichen Mischung unerlässlich sind? Herr, lass mich des lapis ex coelis teilhaftig werden, um das Große Werk zu vollbringen!«
»Es ist wohl eher ein penis excillis[45], dessen es hier bedarf!« Der Scherz kam nicht an. So legte der Groß-Prior eine Pause der Höflichkeit ein, bevor er einzulenken vorgab: »Sicher könnte die Basis in der Nachkommenschaft des Hauses David gegeben sein –«
Die Grande Maîtresse spürte die falsche Freundlichkeit: »– im aussterbenden Geschlecht der Trencavel. Deren Anspruch war unzweifelbar und erfüllt mein Herz mit Stolz –«, auf solches Entgegenkommen war sie nicht angewiesen. »Ihr Blut kreist beiderseits der Pyrenäen und vertritt ganz Okzitanien.«
Ihr Bruder ließ dann auch lachend die Maske fallen: »Und das reicht Euch? Was ist mit dem Adel Frankreichs! War es nicht der große Bernhard[46] aus dem Hause Châtillon-Montbard, der initiierte, dass der Orden des Tempels seine Aufgabe erhielt und erfüllte?« Das Krächzen steigerte sich mit seiner aufkommenden Erregung: »Ein Geschlecht, das es ebenfalls zu bedenken gilt, sind die normannischen Hüter der Eiche von Gisors!« Sein Spott wurde unüberhörbar. »Damit wäre auch das England der Plantagenets[47], Anjou und Aquitanien einbezogen. Aus dem Deutschen kommt nur das Gewächs der Staufer in Betracht –«
»Doch gerade deren Drang zur Verbindung mit dem sang real ist selbst für ein nur mittelmäßig sensibles Gespür erfahrbar«, unterbrach sie ihn spitz. »Sie verfügen über die Kraft, die dem Hause Okzitanien verloren gegangen ist. Stupor mundi![48] Friedrich konnte ihren Triumph nicht mehr erleben, aber sein Samen wird aufgehen in den zukünftigen Herrschern.«
Karl von Gisors seufzte hörbar. »Ich will Euch nicht unterstellen, dass Ihr der Ketzerei Vorschub zu leisten wünscht. Zumindest aber ist der Boden hier in der terra sancta denkbar ungünstig für das zarte Pflänzchen Eurer dynastischen Fantastereien! Zu trocken, zu heiß! Mir hingegen liegt das Schicksal der Templer am Herzen. Selbst für diesen mächtigen Orden, dem ich Leib und Gut geweiht habe, wird das Fortbestehen an der historischen Stätte seiner ruhmreichen Gründung eines absehbaren Tages nicht mehr gegeben sein. – Dann heißt es, mit wehendem Beauséant untergehen – oder –«