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Ein traditionsreicher Betrieb kurz vor dem Ruin, ein Vater im Sterben und eine intrigante Stiefmutter, damit muss sich Heinz Frank auseinandersetzen, als er nach über 15 Jahren wieder in die Heimat zurückkehrt. Das Schicksal scheint es aber auch gut mit ihm zu meinen, denn er verliebt sich in Felizitas Rosegg. Doch ist er dabei, in der Liebe die selben Fehler wie sein Vater zu begehen? -
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Seitenzahl: 225
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Hedwig Courths-Mahler
Saga
Eine fromme Lüge
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1922, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726950359
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Heinz Frank sass seiner Stiefmutter gegenüber. Sie hatte ihn in ihren Salon bitten lassen. Es war einige Tage nach dem Begräbnis seines Vaters, dessen Tod am Tage vor dem Weihnachtsfeste erfolgt war.
Frau Gertrud Frank war nur vier Jahre älter als ihr Stieffohn, der im siebenundreissigsten Lebensjahre stand. Sie war noch immer eine schöne, stattliche Erscheinung. Den regelmässigen Zügen, aus denen blaue Augen mit kühler Ruhe ins Leben blickten, sah man an, dass der Tod des Gatten kein unersetzlicher Verlust für diese Frau war.
Sie hatte ihrem Stiefsohn bei seinem Eintreten Platz in einem der tiefen Lehnstühle angeboten. „Du hast mich zu sprechen gewünscht. Was hast du mir zu sagen?“ fragte sie mit einem formellen Neigen des schön frisierten Hauptes.
Er hatte die Begrüssung in gleich förmlicher Weise erwidert und sich ihr gegenüber niedergelassen. Seine schlanke, aber kraftvoll-sehnige Gestalt hielt sich aufrecht im Sessel. Der charakteristische Rassekopf mit dem bronzefarbenen Teint, mit den markanten, festgefügten Zügen und dem edlen Profil sass wie in steifer Abwehr auf den breiten Schultern.
Der junge Mann trug einen dunklen, eleganten Anzug, der jedoch einen etwas fremdartigen Schnitt hatte und seiner Erscheinung etwas Ausländisches gab. Auf den ersten Blick hatte Heinz Frank jenes gewisse Etwas, das sofort Interesse abnötigt. Man konnte ihn nicht übersehen. Sein Gesichtsausdruck verriet natürlichen Stolz und geistige Überlegenheit ohne jede Überhebung.
„Ich habe mancherlei mit dir zu besprechen, was sich nicht länger aufschieben lässt“, erwiderte er ruhig und bestimmt.
Sie neigte das Haupt: „Also bitte! Ich bin bereit, dich anzuhören.“
Er legte seine schlanke, nervige Hand auf die Lehne seines Sessels. „Zuerst das Wichtigste. Dass die Firma Frank & Söhne, die seit Jahrhunderten bekannt ist, vor dem vollständigen Zusammenbruch steht, weisst du.“
„Du hast es mir am Todestage deines Vaters gesagt.“
„Ich sagte es dir vielleicht in einer schroffen, schonungslosen Art, weil ich mich, noch voller Schmerz, über den Tod meines Vaters, nicht beherrschen konnte.“
Sie zuckte die Achseln. „Eine schonungsvolle Behandlung habe ich nicht von dir erwartet. Es mag ja auch bitter für dich sein, da du selbst mit leeren Händen nach langen Jahren in die Heimat zurückkehrtest, als Erbe nichts vorzufinden als eine bankerotte Firma.“
Es lag ein leiser Hohn in ihren Worten, der ihm die Röte in die Stirn trieb.
„Dass ich mit leeren Händen heimgekehrt bin, wie du sagst, tut nichts zur Sache.“
Wieder zuckte sie mit den Schultern. „Ich konstatierte die Tatsache nur, weil du damals verschworen hast, nur als gemachter Mann Heimzukehren, wenn dies je geschehen würde. Du liessest dir damals das Erbteil deiner Mutter auszahlen, dein Vater musste es aus dem Geschäft ziehen, weil du damit grosse abenteuerliche Pläne verwirklichen wolltest.“
Er hatte seine Ruhe wieder erlangt.
„Ich liess mir allerdings die mit aus dem Erbe meiner Mutter zustehenden vierzigtausend Mark auszahlen, die Vater damals leicht entbehren konnte, aber nicht, um abenteuerliche Pläne zu verwirklichen, sondern nur, um mir fern der Heimat eine Existenz zu gründen.“
„Leider hast du dieses Vermögen nicht vermehrt, sondern aufgebraucht, und deines Vaters Hoffnung, dass du ihm helfen könntest, war eine vergebliche.“
„Darüber wollte ich nicht mit dir reden“, sagte er kalt. „Meines Vaters Tod dürfte die Folge seines geschäftlichen Zusammenbruches sein, die Zahlungsunfähigkeit der von seinen Vorfahren ererbten Firma, die drohend vor ihm stand, und die er nicht mehr aufhalten konnte, ging ihm an den Lebensnerv. Er hat mir vor seinem Tode bestätigt, nachdem ich mich mit ihm ausgesöhnt hatte, dass er daran zugrunde gegangen ist — daran und an den Selbstvorwürfen, die er sich gemacht hatte. Er hatte schwere Kämpfe und Leiden hinter sich. Dazu kam seine Sorge um Jutta und — um dich. Das ruinierte ihn seelisch und körperlich.“
Sie warf den Kopf zurück. „Aus deinen Worten klingt ein Vorwurf. Ich weise ihn zurück. Was kann ich dafür, dass die Geschäfte von Jahr zu Jahr zurückgegangen sind? Dein Vater hätte ja wissen müssen, wie weit er gehen durfte.“
Es blitzte zornig in seinen Augen auf, aber er beherrschte sich. „Ich habe keinen Vorwurf ausgesprochen. Dass du aus meinen Worten einen solchen heraushörst, zeugt davon, dass du dir bewusst bist, Vorwurf zu verdienen. Gewiss sind die Umsätze von Jahr zu Jahr geringer geworden, weil meines Vaters Kraft sich zersplitterte. Aber das hätte den Ruin noch nicht herbeigeführt. Ich habe in die Bücher Einblick genommen — es sind Unsummen aus dem Betrieb gezogen und verschwendet worden! Daran bist du allein schuld! Mein Vater war kein Verschwender, er war für sich anspruchslos und hat sich nur von dir bestimmen lassen, weit über seine. Verhältnisse hinaus ein grosses Haus zu führen, dir die unsinnigsten Wünsche zu erfüllen! Dies alles tat er gegen seine bessere Einsicht.“
Es zuckte nervös in Frau Gertrud Franks Gesicht.
„Weisst du das so genau?“
Seine Stirn zog sich zusammen. „Ja, Vater hat es mir auf seinem Sterbebette selbst gestanden, dass seine Liebe zu dir ihn verleitete, dir die verschwenderischsten Wünsche zu erfüllen, obwohl er wusste, dass er damit den Untergang seines Hauses herbeisührte.“
Sie biss sich auf die Lippen. „Ich habe nicht geahnt, dass dein Vater über seine Verhältnisse lebte.“
Wieder flammte sein Blick auf. „Er hat nicht über seine Verhältnisse gelebt, denn er war schlicht und anspruchslos. Nur du hast es getan, nur dir zuliebe war er schwach. Du solltest ihm keinen Vorwurf ins Grab nachschicken. Doch lassen wir das! Es ist nicht mehr ungeschehen zu machen. Wir haben jetzt nur mit Tatsachen zu rechnen. Tatsache ist, dass die Firma Frank & Söhne aufhören muss zu bestehen, wenn sich nicht jemand findet, der dreihunderttausend Mark Kapital hergibt, um die Forderungen zu decken, die in den nächsten Wochen fällig werden. Nur dann wäre der Ruin aufzuhalten. Ich habe meinem Vater, um ihm das Sterben leicht zu machen, versprochen, alles zu tun, was in meinen Kräften steht, die Firma zu retten. Dieses Versprechen will ich halten. Ich bin als der einzige. Sohn meines Vaters der Erbe der Firma, und ich werde dieses Erbe antreten, obwohl es mir nur Lasten und Verpflichtungen bringt.“
„Wenn du aber niemand findest, der dir dies Kapital vorstreckt?“ fragte sie gepresst und unruhig.
„Das lass meine Sorge sein. Jo hoffe, diese Angelegenheit regeln zu können, wenn auch mit grossen Opfern und Schwierigkeiten. Wenn ich es schaffen kann, soll die Firma Frank & Söhne ihren guten Ruf wieder erhalten.“
Es zuckte spöttisch um ihre Lippen. „Du nimmst dir viel vor. Ich denke, die Verhältnisse sind unhaltbar geworden?“
Fest und ruhig sah er sie an. „Ich pflege mir nicht mehr vorzunehmen, als ich durchführen kann.“
„Du hast immer gern grosse Worte gebraucht. Ich muss wieder daran denken, dass du nur als gemachter Mann heimkehren wolltest. Auch sprachst du damals in grossen Tönen davon, dass du nie ins Vaterhaus zurückkehren würdest, wenn dein Vater dich nicht darum bitten würde. Und nun bist du doch da.“
Wie Wetterleuchten zuckte es in seinem Gesicht. Dann sagte er ruhig überlegen: „Ich habe sogar geschworen, dass ich ungerufen nicht wiederkehren würde.“
„Sogar geschworen?“ höhnte sie.
„Ja — und ich habe meinen Schwur gehalten, so schwer es mir auch geworden ist, auf den Ruf meines Vaters zu warten. Lange habe ich warten müssen, aber Schliesslich kam er doch. Du wusstest es nur nicht, dass meines Vaters Sehnsucht auf dem Krankenbette mächtiger wurde als dein Einfluss. Er hat mich heimgerufen, hat mich gebeten, heimzukehren, ehe ihm der Tod die Augen schloss!“
Sie zuckte zusammen und richtete sich hoch auf.
„Er hätte dich heimgerufen? Wie konnte er das? Er wusste doch all die Jahre nicht, wo du weiltest.“
„Allerdings, das hat er nicht gewusst. Aber als ich dieses Haus vor mehr als fünfzehn Jahren verliess, habe ich meinem Vater mitteilen lassen, dass mein Freund Lothar Bredow immer von mir hören würde, wo ich leben würde. So habe ich es all die Jahre auch gehalten. Lothar Bredow lebt seit einigen Jahren als Rechtsanwalt in Berlin, und mit ihm bin ich in Verbindung geblieben. An ihn hat sich Vater gewandt, als er vor Monaten krank wurde und seine Sehnsucht nach mir nicht länger beherrschen konnte. Mein Freund sandte mir Vaters Brief sofort ein, und ich machte mich, so schnell ich konnte, auf die Reise. Dass Vater mich nicht schon früher heimrief, lag an dir. Du hast ihn daran gehindert.“
Sie wurde rot und wich seinem Blick aus. „Ich?“ entgegnete sie verlegen.
Er nickte. „Ja, du! Dein Hass gegen mich muss sehr gross gewesen sein, gross genug, zwischen Vater und Sohn eine Scheidewand aufzubauen. Nur heimlich hat er es schliesslich gewagt, mich heimzurufen. Und fast wäre ich, so sehr ich mich auch beeilte, zu spät gekommen, um meinen Frieden mit ihm zu machen und ihm die Augen zu schliessen, denn mein Weg war weit — sehr weit. Gottlob fand ich ihn noch am Leben, und — er ist gestorben in der festen Überzeugung, dass er mir Unrecht getan hatte, als er mich vor fünfzehn Jahren aus dem Hause wies — als Dieb!“
Frau Frank war blass geworden; ihre Augen irrten scheu zur Seite. „Du warst des Diebstahls doch überführt“, stiess sie heiser hervor.
Er sprang hastig auf, so dass sie erschrocken zusammenzuckte, und dicht trat er vor sie hin.
„So? War ich das wirklich? Auf welche Beweise hin? Nur darauf hin, dass du angegeben hast, du hättest mich in der Nacht aus jenem Zimmer schleichen sehen, aus dem Vaters Brieftasche mit zwanzigtausend Mark entwendet worden war. Gewiss, man hat diese Brieftasche, ohne das Geld, am nächsten Morgen während meiner Abwesenheit in der Brusttasche eines meiner Anzüge gefunden. Aber waren das Beweise meiner Schuld? Damals konnte ich sie nicht entkräften. Vater glaubte diesen Beweisen mehr als der Versicherung seines Sohnes, unschuldig zu sein. — Du hattest erreicht, dass ich das Vaterhaus verlassen musste. Ich war dir ja immer ein Dorn im Auge, weil ich wusste, dass du einen andern liebtest und Vater nur aus Berechnung geheiratet hattest!“
Jetzt fuhr auch sie empor und stand ihm blass, mit sprühenden Augen gegenüber. „Schweig! Kommst du auch jetzt noch mit diesem Märchen? Wen willst du damit noch schrecken? Du hast mich gehasst! Warum, weiss ich nicht. Wahrscheinlich, weil ich deiner Schwester das Leben gab. Du fürchtetest wohl, dereinst dein Erbe mit ihr teilen zu müssen. Damals war ja noch auf ein grosses Erbe zu rechnen.“
Ein verächtliches Lächeln spielte um seinen Mund. Er wurde wieder kalt und ruhig. „Meine kleine Schwester habe ich lieb gehabt. Sie war ja nicht nur deine, sondern auch meines Vaters Tochter. Der Verdacht, den du da aussprichst, trifft mich nicht. Du sprichst ihn auch gegen deine Überzeugung aus. So genau du wusstest, dass ich die zwanzigtausend Mark damals nicht entwendet hatte, so genau weisst du auch, dass ich andere Gründe hatte, dir feindlich gegenüber zu stehen.“
Sie verfärbte sich jäh. „Du irrst, ich bin noch heute der festen Überzeugung, dass du die zwanzigtausend Mark genommen hast. Wahrscheinlich, weil du damit in die weite Welt wolltest. Ich habe eines Tages selbst gehört, wie du zu Lothar Bredow sagtest: Wenn ich mein Einjähriges hinter mir habe, gehe ich in die weite Welt. Zu Hause wird es mir zu eng. Nun — du hattest dein Einjähriges und warst fertig. Da nahmst du das Geld, um fortzukommen. Das ist meine feste Überzeugung.“
Mit einem seltsam überlegenen Blick sah er sie an.
„So — du bist also überzeugt, dass ich der Dieb war?“ fragte er.
Sie gab sich Haltung. „Gewiss! Wer hätte es sonst entwenden können? Niemand als du hatte Zutritt zu dem Zimmer deines Vaters, in dem die Brieftasche lag.“
„Ganz recht — nur ich und du!“
„Nun also!“ sagte sie leichthin.
„Nun also! Folglich musste einer von uns beiden der Dieb sein, ich — oder du.“
Ihre Augen irrten ab. „Dein Vater fand die leere Brieftasche in deinem Anzug.“
„Richtig! Als du ihn darauf hinwiesest, dass es seine Pflicht sei, meine Sachen zu durchsuchen, da fand er die Brieftasche in meinem Anzug!“
„Das war doch Beweis genug.“
„Vielleicht auch nicht. Irren ist menschlich. Du hattest dich ja auch geirrt, als du gesehen zu haben glaubtest, dass ich in jener Nacht aus Vaters Zimmer gekommen sei. Vielleicht hatte ein anderer die leere Brieftasche in meiner Abwesenheit in meinen Anzug gesteckt. Ich hatte schon damals die feste Überzeugung, und habe sie heute noch.“
Nervös klopfte sie mit ihren Fingern auf die Sessellehne. „Wer hätte das tun sollen?“
Er beugte sich plötzlich weit vor und sah sie scharf an. „Du!“ sagte er halblaut.
Das traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. „Was wagst du!“ schrie sie, heiser vor Erregung.
Er lehnte sich zurück. „Es ist oft ein Wagnis, die Wahrheit zu sagen, aber in diesem Falle ist es für mich keines. Lass deine Empörung! Wir wollen ruhig bleiben — in deinem Interesse. Es ist nicht nötig, dass jemand etwas von dem hört, was jetzt zwischen uns zur Sprache kommt, zur Sprache kommen muss. Der Name Frank soll rein bleiben. Mein Vater hat nicht erlaubt, trotzdem er damals an meine Schuld glaubte, dass du zu jemand davon gesprochen hast. Er hat der Öffentlichkeit gegenüber einen glaubhaften Vorwand gefunden, weshalb ich das Vaterhaus verlassen hätte. Daran soll nicht gerüttelt werden. Jetzt könnte dich vielleicht dein Hass gegen mich so weit treiben, das Märchen von meinem Diebstahl auszuplaudern. Dem muss ich einen Riegel vorschieben. Und deshalb soll heute reiner Tisch zwischen uns geschaffen werden. Also ohne weitere Umschweife — ich weiss, dass du damals die zwanzigtausend Mark entwendet hast.“
Sie fuhr kerzengrade empor. „Unverschämter!“ stiess sie mit blassen, bebenden Lippen hervor und sah angstvoll nach der Tür.
Er erhob sich ruhig, öffnete die Tür und überzeugte sich, dass kein Lauscher in der Nähe war. Dann wandte er sich nach ihr um und nahm seinen Platz wieder ein.
„Bitte, bleib ruhig sitzen und lass uns ohne Lärm und ohne dramatische Pose zu Ende kommen. Ich ahnte schon damals, dass nur du das Geld haben konntest, wenn ich auch nicht erriet, zu welchem Zwecke du es entwendet hattest. Nur, um meinen Vater zu schonen, der ja mit seinem ganzen Herzen an dir hing, vergalt ich deine Anschuldigung nicht mit einer Gegenklage.“
Frau Gertrud Hatte sich mühsam gefasst. „Ich halte es für unter meiner Würde, mich zu verteidigen. Aus dir spricht der Hass“, sagte sie, ihrer Stimme Festigkeit gebend.
„Nein, heute hasse ich dich nicht mehr! Wenn mein heisser, jugendlicher Zorn gegen dich Hass war, so entsprang er nur den überschwenglichen Gefühlen meiner Jünglingsseele. Ich hatte meine Mutter namenlos geliebt, liebte meinen Vater. Du verdrängtest die angebetete Mutter aus seinem Herzen und raubtest mir seine Liebe. Da glaubte ich, dich hassen zu müssen und habe dir diesen Hass auch ohne Bedenken gezeigt. Ich war ja noch so töricht, so jung! Der Kampf draussen in der Welt hat diesen jungenhaften Hass gelöscht. Was davon übrig blieb, ist vielleicht kaum noch Verachtung. Hätte ich dich wirklich gehasst, dann hätte ich mich sicherlich gerächt, sobald ich die Gewissheit erhielt, dass du tatsächlich, wie ich geahnt hatte, selbst die Diebin gewesen bist!“
„Ich verbitte mit solche Worte!“ rief sie laut und suchte Festigkeit vorzutäuschen. Aber ihr Blick kroch ängstlich an ihn heran.
„Es nützt dir nichts — du musst es dir gefallen lassen, dass ich dich als Diebin entlarve. Das tue ich nicht aus Hass und Rachgier, sondern nur, um mich selbst vor dir zu schützen. Sei unbesorgt, ausser uns beiden wird nie ein Mensch etwas davon erfahren, solange du meiner Ehre nicht zu nahe trittst. Der dritte Mensch, der ausser uns beiden um deine Schuld wusste — den brauchst du nicht zu fürchten. Kurt Vollmer — ist tot.“
Leichenblass sank Frau Gertrud in ihren Sessel zurück und schloss wie in jäher Furcht die Augen. Erst nach einer Weile sah sie wieder zu ihm auf. „Kurt Vollmer? Was weisst du von ihm?“ fragte sie tonlos und erschöpft.
Sein Gesicht bekam einen Ausdruck, als erfasse ihn Mitleid mit ihr. „Ich weiss, dass du ihn geliebt hast und ihn nur aufgabst, weil ihr beide arm waret. Du nahmst meines Vaters Werbung an, um ein sorgenloses, glänzendes Leben führen zu können. Kurt Vollmer aber war ein Schuft. Er neidete dir das gute Leben und wollte Vorteil daraus ziehen. Die leidenschaftlichen Briefe, die du ihm geschrieben hattest, drohte er meinem Vater zu übergeben, wenn du ihm nicht zwanzigtausend Mark auszahltest. Die Briefe hätten dich kompromittiert. Da du dir das Geld nicht auf andere Weise schaffen konntest, stahlst du es, als ein Zufall es fügte, dass mein Vater gerade diese Summe in seiner Brieftasche hatte. Du kauftest die Briefe damit zurück, und er nahm das Geld, Obwohl er wusste, dass du es hattest entwenden müssen. Ich weiss das alles von ihm selbst.“
Sie sah fahl und verfallen aus. „Von Kurt Vollmer selbst?“ stöhnte sie ganz, zerbrochen.
„Ja! Eines Tages traf ich mit ihm zusammen — draussen in der Welt. Es tut nichts zur Sache, wo es war. Es ging ihm schlecht. Er war zerlumpt und elend wie ein Bettler am Wege. Mir ging es damals leidlich gut. Er erkannte mich, weil er meinen Namen hörte, und suchte mich auf. Er bot mir Beweise für meine Unschuld an, für eine lächerlich geringe Summe, wohl gerade genug, um die Heimreise antreten zu können. Ich wollte aber verhindern, dass er heimreiste und sich vielleicht wieder mit Drohungen an dich herandrängte. Deshalb versprach ich ihm Geld in monatlichen Raten, die er aber stets an derselben, der Heimat fernen Stelle abheben musste. Er ging darauf ein und lieferte mir die Beweise aus.“
Sie strich sich über die Stirn. „Was für Beweise?“
„Zwei Briefe von dir. Sie sind nur kurz und erst nach der Zeit geschrieben, da er dir die kompromittierenden Briefe verkauft hatte. Es war sehr unklug von dir, diesem Menschen abermals Briefe auszuhändigen, die dich belasten konnten. In dem einen teilst du ihm mit, dass du ihn noch einmal an der bestimmten Stelle treffen müsstest. In dem andern aber widerrufst du es und beschwörst ihn, sofort abzureisen, weil der Verlust der zwanzigtausend Mark entdeckt sei und du nur mit Mühe den Verdacht auf deinen Stiefsohn hättest ablenken können. Dieser Stiefsohn aber sei ein rabiater Mensch, und es sei nicht abzusehen, was er tun würde, sich zu rechtfertigen. Vollmer müsse sich deshalb mit dem Gelde in Sicherheit bringen. Das hat er ja dann auch getan. Er brachte im Ausland das Geld durch und sank von Stufe zu Stufe. Als ich ihm begegnete, war er wohl auf der untersten angelangt, dazu körperlich eine Ruine. — Hier sind die Briefe. Willst du sie sehen?“
Damit hielt er ihr die Briefe hin. Sie warf nur einen scheuen, flüchtigen Blick darauf.
„Der Elende!“ stöhnte sie auf.
Aufatmend lehnte er sich zurück. „Vermutlich hätte er dir mit diesen beiden Briefen das Leben noch recht schwer gemacht. Sicher hätte er noch Kapital daraus geschlagen, wenn er dich nur hätte erreichen können. Dass ihm das Reisegeld fehlte, war dein Glück. Und als ich ihm begegnet war, hielt ich ihn, wie gesagt, fest — am andern Ende der Welt. Das war vor drei Jahren; ein Jahr danach ist er gestorben. Ich habe ihn beerdigen lassen.“
Wie von Grauen und Angst geschüttelt, sah sie ihn an. „Hast du deinem Vater diese Briefe gezeigt?“ fragte sie mit versagender Stimme.
Er schüttelte den Kopf. „Nein. Wozu hätte ich ihm wehe tun sollen? Ich fand gottlob auch ohnedies Glauben an meine Unschuld bei ihm. Vielleicht — vielleicht hat er geahnt, dass du das Geld selbst entwendet hattest, und hat im stillen geglaubt, du hättest es für Putz und Tand ausgegeben. Ausgesprochen hat er es nicht, aber er bat mich, nicht mehr nach dem Täter zu forschen. Das Verschwinden des Geldes sei übrigens Geheimnis zwischen dir und ihm geblieben. So versprach ich ihm, die Dinge ruhen zu lassen.“
Eine Weile herrschte tiefes Schweigen zwischen den beiden Menschen. Dann richtete sich Frau Gertrud Frank mit einem tiefen Seufzer auf. „Und was willst du nun tun?“ Sie sah dabei scheu auf die Briefe.
Er legte sie zusammen. „Sie haben für mich ihren Zweck erfüllt. Ich wollte sie dir nur vorlegen. Du weisst nun, dass ich deine Schuld kenne, und wirst, wie ich, über das schweigen, was damals geschehen ist, und weshalb ich das Vaterhaus verliess. Hier hast du die Briefe zurück — vernichte sie selbst. Der Name Frank soll nicht besudelt werden.“
Hastig erfasste sie die Briefe, riss sie mit bebenden Händen entzwei und warf sie in das auflodernde. Kaminfeuer.
Dann wandte sie sich aufatmend nach ihn um. „Ich danke dir! Ich habe diese Schonung nicht verdient. Vergeihe mir!“
Schwer und mühsam kamen die Worte über ihre Lippen.
„Wir sprechen nie mehr davon“, sagte er ruhig.
Sie trat vor ihn hin. ,,Eins will ich dir versichern, grade jetzt, in dieser Stunde: ich habe dich nie gehasst! Gefürchtet habe ich dich. Ich wusste, dass dir ein Zufall verraten hatte, wie ich mit Kurt Vollmer stand, und besorgte, du könntest mich deinem Vater verraten. Den Verdacht lenkte ich nur deshalb auf dich, weil ich mich selber nicht anders retten konnte. So klagte ich dich an! Ich gestehe offen ein, ich habe alle meine Macht über deinen Vater dazu benutzt, dich ihm fernzuhalten, nur, weil ich deine Wiederkehr fürchtete. Als du vor mir standest, wenige Tage vor deines Vaters Tod, da fasste mich wilde Angst, obwohl ich keineswegs ahnte, dass Vollmer mich dir verraten hatte. Ich danke dir, dass du mich deinem Vater nicht verrietest, wenn du es auch nur seinetwegen getan haben wirst. Und noch viel mehr danke ich dir, dass ich vor meiner Tochter nicht zu erröten brauche. Du beschämst mich durch deine Grossmut. Verdient habe ich sie nicht.“
Ruhig blickte er zu ihr hin. „Bitte, nimm wieder Platz. Das alles soll vergessen sein. Wir wollen nun wieder auf das Geschäftliche kommen. Ich trete also die Erbschaft an und werde Chef der Firma Frank & Söhne. Was in meinen Kräften steht, soll geschehen, sie wieder zur Blüte zu bringen.“
„Wenn du aber das nötige Geld nicht erhältst, was dann? Ohne Kapital ist doch, wie du sagst, der Bankrott nicht aufzuhalten.“
Jetzt vermied er ihren Blick. „Ich werde es auftreiben, dieses Kapital. Draussen in der Welt habe ich einen Freund gefunden, der sehr vermögend ist und mir vertraut. An ihn werde ich mich wenden!“
Sie seufzte beklommen auf. „Aber was wird aus Jutta und mir?“
Fest blickte er ihr wieder in die Augen. „Jutta ist meine Schwester. So lange sie mich braucht, stehe ich ihr bei. Ich hoffe, trotz allem, dies Haus hier zu halten, gleichviel mit welchen Opfern. Jutta soll ihre Heimat behalten. Und auch für ihre Mutter wird in Zukunft Raum sein.“
Ihre Augen leuchteten heller. Eine grosse Angst fiel ihr von der Seele. „Du glaubst, dass wir bleiben können?“
„Ich hoffe es. Freilich nur, wenn du dich mit Jutta allen meinen Anordnungen fügst. In Zukunft werde ich bestimmen, auf welcher Basis der Haushalt hier aufgebaut wird. Die sinnlose Verschwendung der letzten fünfzehn Jahre muss natürlich aufhören. Ich bin nicht willens, meine Kraft an eine nutzlose Aufgabe zu vergeuden. Es muss hier alles nach meinem Willen gehen. Bitte, sage mir, ob du dich in diese Abhängigkeit fügen willst.“
Resigniert strich sie sich über das Haar. „Ich muss froh sein, wenn ich mit meiner Tochter ein Dach über dem Haupte behalte. Wir stehen ja dem Nichts gegenüber. Ich habe nicht geahnt, wie schlecht es um uns steht. So werde ich mich deinem Willen fügen.“
„Gut. Die ganze Lebensführung hier im Hause muss eine andere werden. Ich werde noch heute die beiden Diener entlassen, und auch ohne Zofe wirst du dich behelfen müssen. Pferde und Equipage werden verkauft und der Kutscher entlassen. Das kleine Auto, in dem Vater täglich hinaus nach der Fabrik fuhr, genügt zu Ausfahrten. Ich selber werde es zum gleichen Zweck wie der Vater benutzen, im übrigen steht es euch zur Verfügung.“
„Man muss sich bescheiden“, sagte sie ergebungsvoll.
Er lächelte ein wenig ironisch. „Nun, wenn dir keine schlimmeren Entbehrungen auferlegt werden, wird alles erträglich sein. Wir haben noch eine Köchin und zwei Hausmädchen zur Bedienung. Ausserdem befindet sich in meiner Begleitung ein mir ergebener Javaner, der nicht von mir lassen wollte. Auf den Sundainseln, wo ich lange Jahre gelebt habe, hat auch der ärmste Europäer einen Diener. Sarida glaubte, ich käme auch in der deutschen Heimat nicht ohne ihn aus, und er folgte mir hierher. Er ist sehr anstellig und willig, hat ein leidliches Deutsch von mir gelernt und weiss auch ein Auto sicher zu lenken. Er befindet sich jetzt im Hotel, wo ich abgestiegen bin, und wird noch heute hierher übersiedeln. Du weisest ihm bitte ein freundliches Zimmer an.“
„Das soll geschehen.“
„Gastereien verbieten sich jetzt in der Trauerzeit von selbst. Auch später werden luxuriöse Feste nicht mehr veranstaltet. Eine bescheidene Festlichkeit will ich euch nicht verwehren, aber ich werde die Grenzen bestimmen.“
Frau Gertrud war in dieser Stunde viel zu froh, vor Schlimmerem bewahrt zu bleiben, als dass sie nicht widerspruchslos in alles eingewilligt hätte. Aber immerhin musste sie noch froh sein, dass es nicht schlimmer kam.
Die grösste Sorge war für sie, ob er das nötige Kapital erhalten würde. Ohne dieses, das wusste sie, musste es noch viel schlimmer kommen.
„Ich sagte dir schon, ich füge mich in alles. Wenn du nur das Geld von deinem Freunde auch wirklich erhältst. Immerhin wäre es doch für ihn eine ziemlich unsichere Kapitalanlage.“
Ein leises Lächeln huschte schnell um seinen Mund, als er sich erhob. Es verschwand sogleich wieder. „Er vertraut mir wie sich selbst. Ich habe meinem Vater versprochen, dich und Jutta vor Sorgen zu behüten und euch eine Existenz zu schaffen, die erträglich ist; das soll geschehen. Aber vernünftig müsst ihr sein. Auch Jutta muss sich den neuen Verhältnissen anpassen. Wie mir Vater voller Sorge anvertraute, scheint sie mit ziemlich oberflächlich zu sein und gedankenlos in den Tag hinein zu leben. Davon möchte ich meine Schwester kurieren.“
„Von was willst du mich kurieren, Heinz?“ fragte in diesem Augenblick eine helle Mädchenstimme.
Jutta Frank war unbemerkt eingetreten. Die Winterluft hatte ihre Wangen gerötet; in dem hellblonden, krausen Haar schienen noch einige Schneeflocken zu hängen.
Heinz, Frank und seine Stiefmutter sahen sich nach ihr um. Auf dem Gesicht des jungen Mannes malte sich eine leichte Verlegenheit. Er wusste nicht, was seine Halbschwester von der Unterhaltung gehört hatte, da er ihren Eintritt nicht bemerkt hatte.
„Meine Worte waren nicht für dich bestimmt, Jutta“, sagte er zögernd.
„Aber sie betrafen mich. Ich hörte ganz deutlich bei meinem Eintreten, dass du deine Schwester von etwas kurieren möchtest. Nun sage mit, wovon, Heinz“, bat sie lebhaft.
„Vielleicht von allzu grosser Neugier!“
Schmollend sah sie ihn an. ,,Ach, ich finde, du bist nicht sehr galant. Lernt man das auf den Sundainseln nicht? Oder ist es wahr, was Ella Helmer immer sagt, dass Brüder ihre Schwestern stets als Neutrum behandeln und in ihnen keine Damen sehen.“
,,War ich so ungalant?“