Eine ungeliebte Frau - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Eine ungeliebte Frau E-Book

Hedwig Courths-Mahler

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Beschreibung

Malwine ist nicht sehr angetan, als ihr Ehemann Rolf Matern nach dem Tod eines befreundeten Ehepaares dessen Tochter, Maria Rottmann, in das gemeinsame Haus aufnimmt. Frau Matern fürchtet um ihre Ehe. Doch mit der Zeit schafft es Maria, die Bedenken der Hausherrin zu zerstreuen. Das junge Mädchen hat sowieso nur Augen für einen anderen Mann... -

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Hedwig Courths-Mahler

Eine ungeliebte Frau

Roman

Saga

Eine ungeliebte Frau

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1918, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726950212

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Der Geheime Baurat Matern trat in das Zimmer seiner Gattin. Mit der ihm eigenen, raschen und energischen Art schloß er die Tür hinter sich und begrüßte seine Frau mit einem etwas unsicheren Blick.

»Hast du eine halbe Stunde Zeit für mich, Malwine?«

Frau Malwine Matern, eine stattliche Erscheinung in der Mitte der Vierzig, mit noch immer schönem, aber etwas, unbeweglichem Gesicht, blickte von einem Buch auf, in dem sie gelesen hatte. In ihren grauen Augen leuchtete aber kein wärmeres Licht auf, als sie ihren Gatten ansah.

»Hast du etwas von Wichtigkeit, Rolf?« fragte sie ruhig.

»Allerdings.«

»Dann, bitte, nimm Platz. Ich wollte zwar ausfahren, um Besorgungen zu machen, aber selbstverständlich verschiebe ich das.«

Rolf Matern zog sich einen Sessel heran und ließ sich nieder. Seine große, sehnige Gestalt vornüberneigend, wandte er das scharfgeschnittene, kluge Gesicht seiner Frau zu und sagte, mit einer an ihm befremdenden Hast und Unsicherheit: »Frau Ilse Rottmann ist heute morgen gestorben – ich komme soeben von ihrem Sterbelager.«

Malwine Materns Gesicht rötete sich ein wenig, sonst verriet aber nichts, daß diese Nachricht sie erregte.

»Das ist ja sehr bedauerlich«, sagte sie kühl, »ist aber sicher nicht die Sache von Wichtigkeit, die du mit mir besprechen willst. Frau Ilse Rottmann ist zwar dein besonderer Schützling gewesen – aber ich stehe der Dame völlig fern.«

Es klang eine fast eisige Abweisung aus ihren Worten.

»Du vergißt, Malwine, daß Ilse Rottmann die Witwe meines früh verstorbenen Jugendfreundes war, dem ich mancherlei Dank schuldete«, sagte Rolf Matern, nervös mit der Hand durch das dichte, graue Haar fahrend.

»Nein – das vergesse ich nicht. Du hast es mir immer wiederholt, sobald ich meinem Befremden Ausdruck gab, daß du dieser Frau Rottmann so unendlich viele Wohltaten erwiesest.«

Rolf Materns Gesicht rötete sich – und sein Blick irrte zur Seite.

»Ist es zu verwerfen, wenn man bedürftige Menschen von seinem Überfluß unterstützt?« fragte er hastig.

»Allerdings nicht. Aber sonst hast du derartige Pflichten mir übertragen und dich nicht persönlich darum gekümmert. Ich muß gestehen, daß mir die Art, in der du dich dieser Frau Rottmann annahmst, immer auffiel. Daß du sie so reichlich mit Geldmitteln versorgtest, hätte ich deiner vornehmen Gesinnung zugeschrieben, aber daß du – der du dich deiner Familie fast gänzlich entzogst, um deinen rastlosen Ehrgeiz zu befriedigen – Zeit hattest, dich fast jeden Tag persönlich von dem Wohlergehen der Frau Rottmann zu überzeugen – das hat mir zu denken gegeben.«

Sie hatte auch jetzt mit beherrschter, ruhiger Stimme gesprochen, aber auf ihren Wangen brannten rote Flekken, ein Zeichen großer, innerer Erregung, und ihre Augen hatten einen gespannten Ausdruck angenommen.

Rolf Matern blickte eine Weile stumm auf seine schlanken, wohlgebildeten Hände hinab, die ein sehr charakteristisches Gepräge hatten. Endlich sagte er, den Blick langsam zu ihr hebend:

»Malwine – was hast du dir für Gedanken darüber gemacht?«

Sie blickte ihn groß an. Ein tiefer Atemzug hob ihre Brust. Nur einen Augenblick zögerte sie, dann sagte sie, ohne den Blick von ihm zu wenden: »Jetzt, da diese Frau nicht mehr am Leben ist, kann ich es dir sagen, ohne in den Verdacht kleinlicher Eifersüchtelei zu kommen: ich habe geglaubt, daß du Frau Rottmann – geliebt hast.«

»Malwine!« rief er erschrocken, und sein Gesicht verfärbte sich. »Das hast du also geglaubt?«

»Ja«, sagte sie tief und schwer, »das habe ich geglaubt. Und das ist begreiflich – nicht wahr? Seit dem Tod Fritz Rottmanns tratest du seiner Witwe näher. Vorher waren wir nie mit ihr zusammengekommen. Überhaupt, ich hatte nie gemerkt, daß dir Rottmann besonders befreundet war. Du trafst nur im Büro mit ihm zusammen. Ihr hattet gemeinsam studiert – nun ja –, aber nachher schien es, als ginge jeder seine eigenen Wege. Dann ließ er dich freilich am Tag vor seinem Tod zu sich rufen. Und da hat er dich, wie du mir später sagtest, gebeten, dich seiner Frau und seiner kleinen Tochter anzunehmen. Im Grunde konnten wir in unseren damaligen, mehr als bescheidenen Verhältnissen kaum etwas für andere tun. Bald darauf wurde das allerdings anders. Aber auch du wurdest ein anderer, seit du in persönliche Beziehungen zu Rottmanns Witwe tratest. Du warst seitdem nichts als ein ruheloser Gast am heimischen Herd.«

Er lehnte sich mit einem Seufzer zurück und blickte sie schmerzlich an. »Und da hast du gedacht, eine andere Liebe sei in mein Herz gezogen?«

»Mußte ich das nicht?«

Sein Gesicht verzog sich qualvoll.

»Malwine, warum hast du mir nie etwas von diesem Verdacht gesagt?«

»Sollte ich dir in kleinlicher Eifersucht Szenen machen? Sollte ich um deine Liebe betteln, die mir doch verloren war? Ich kannte dich genug, um zu wissen, daß du dich nicht in frivolem Leichtsinn von mir abgewendet hattest. Ein Herz aber, das in einer großen anderen Liebe aufgeht, ist nicht zurückzugewinnen.«

Es lag eine schlichte Größe in ihren Worten und ein Stolz, der sich mit tausend Schmerzen behauptet hat. Er strich sich über die Stirn, als sei ihm zu heiß geworden.

»Also darum – darum sind wir uns fremd geworden«, murmelte er erschüttert.

Sie hielt die erzwungene Ruhe in ihren Zügen fest.

»Wußtest du das nicht?«

Er faßte plötzlich mit jähem, festem Druck ihre Hand und sah ihr mit brennenden Blicken in die Augen.

»Malwine – du hast einen ganz falschen, grundlosen Verdacht genährt. Nie – ich gebe dir mein Wort –, nie ist mir Ilse Rottmann etwas anderes gewesen als die Witwe meines Freundes, als eine schutzbedürftige Frau.«

Sie blickte ihn an. In ihren Augen glomm ein unruhiges Forschen.

»Und doch hat sie dich mir entfremdet. Du kannst nicht leugnen, daß du ein anderer geworden bist, seit du sie kennengelernt hast.«

Er sah zu Boden, und sein Gesicht zuckte in stummer Qual. Aber schnell gewann er seine äußere Ruhe wieder.

»Mit dieser Umwandlung meines Wesens hatte Ilse Rottmann nichts zu tun, Malwine. Weißt du nicht, daß gerade in jene Zeit die große Änderung in mein – in unser Leben trat?«

Sie seufzte tief auf.

»Ja, du wurdest plötzlich ein berühmter Mann. Aus dem einfachen Ingenieur, der bei einem Brückenbau so ziemlich an letzter Stelle beschäftigt, der in dem Büro einer großen Firma mit einem kleinen Gehalt angestellt war, wurde fast über Nacht eine Größe. Jene aufsehenerregende Erfindung, heimlich in jahrelanger Arbeit gemacht, stellte dich mit einem Schlag in die erste Reihe. Große Auszeichnungen wurden dir zuteil – und jene Erfindung brachte dir in kurzer Zeit ein Vermögen ein, läßt noch heute Unsummen in deine Kasse strömen. Glanz und Fülle umgaben uns. Das sogenannte Glück hielt seinen Einzug bei uns – aber das wahre Glück entfloh.«

Eine tiefe Bitterkeit klang durch ihre Worte. Er stützte den Kopf in die Hand und sah düster vor sich hin.

»Ja – das Glück entfloh«, sagte er dumpf, »das Glück – und die Ruhe.«

Sie sah schmerzlich auf sein gesenktes Haupt.

»Und in all der Hast und Unruhe jener Zeit verlor ich dich – an eine andere«, sagte sie herb.

Er fuhr auf.

»Nein, Malwine – nein –, bei Gott, du irrst dich. Ich gebe zu, daß ich ein anderer wurde. Der Ehrgeiz erfaßte mich und trieb mich vorwärts. Alle meine Kräfte setzte ich an meine Arbeit. Ich wollte zeigen, daß ich etwas leisten konnte, daß ich allen Ruhm, alle Auszeichnungen wirklich verdiente, nicht nur durch den Zufall einer Erfindung, die – nun ja –, die auch ein anderer an meiner Stelle hätte machen können, wenn ihm eben der Zufall günstig gewesen wäre.«

Er war aufgesprungen und lief im Zimmer hin und her. Sie sah ihn mit einem wärmeren Ausdruck an als bisher.

»Warum willst du dich selbst verkleinern? Gewiß, du hast auch sonst Anerkennenswertes geschaffen, hast gezeigt, was ein Mann mit Ausdauer und Energie erreichen kann. Aber daß du ein Genie bist, das über vielen anderen steht, das hat hauptsächlich deine Erfindung bewiesen. Und ohne sie wärst du heute noch der arme, abhängige Ingenieur, könntest nicht jede Konkurrenz siegreich aus dem Feld schlagen, wärst nie berühmt und reich geworden. Der Erfindung dankst du alles.«

Er schlug wie in nervöser Überreizung die Hände vor die Stirn, und sein Gesicht zuckte in qualvoller Erregung.

»So schweig endlich von dieser Erfindung, Malwine – ich kann es nicht mehr mit anhören, was für ein Wesen darum gemacht wird! All mein ehrliches Schaffen und Arbeiten soll ein Nichts sein? Einzig diesen blöden Zufall findet man rühmenswert – das ertrage ich nicht.«

»Warum bist du nur gerade in bezug auf dein bestes Werk so bescheiden, Rolf? Nie magst du davon sprechen.«

»Nein – auch jetzt nicht, schweig, ich bitte dich, sprich mir nicht mehr davon. Ich habe anderes mit dir zu reden.«

Und ruhiger werdend, nahm er wieder Platz und faßte von neuem ihre Hand.

»Malwine, willst du mir nicht glauben, daß mir Ilse Rottmann nichts gewesen ist als die schutzbedürftige Witwe meines Freundes?«

Ihr Gesicht rötete sich.

»Ich glaube dir, daß du nichts Unrechtes getan hast, aber geliebt mußt du sie haben, teuer muß sie dir gewesen sein, anders kann ich mir dein Verhalten ihr gegenüber nicht erklären.«

Er wollte heftig auffahren, aber dann preßte er die Lippen fest aufeinander. Was nützte es, mit Worten gegen diesen Verdacht anzukämpfen, der sich seit langen Jahren in der Seele seiner Frau festgesetzt hatte? Den wahren Grund, der ihn immer wieder zu Ilse Rottmann zog, konnte er ihr nicht sagen.

Viel hatte ihm dieser Verdacht genommen, das erkannte er jetzt. In diesem Augenblick erst wurde ihm so recht bewußt, welch tiefe Entfremdung zwischen ihn und seine Gattin getreten war. Sie war so langsam gekommen, daß er sie, in seinem vollbeschäftigten Leben, in der starken Inanspruchnahme durch gesellige Pflichten im Anfang kaum wahrgenommen hatte. Sein ganzes Sein und Denken war zudem zu sehr von dem einen in Anspruch genommen worden, das er als düsteres Geheimnis in seiner Brust barg, das ihm Ruhe und Frieden geraubt und für das er nur in der angestrengtesten Tätigkeit Vergessen finden konnte.

Er seufzte tief auf.

»Ich kann nichts tun, Malwine, als dir mein Wort geben, daß es nicht wahr ist. Ich habe Ilse Rottmann nicht geliebt, das muß ich dir immer wieder sagen. Hättest du sie nur einmal gesehen, dann hättest du nimmer glauben können, daß sie mir begehrenswerter erscheinen könne als du selbst.«

»Ich habe sie gesehen – einmal«, sagte sie langsam und schwer.

Überrascht sah er auf.

»Du hast sie gesehen? Wann?«

»In jener Zeit, da ich mich noch wehrte gegen den Gedanken, daß ich deine Liebe ganz verloren haben könnte, als ich noch kämpfen wollte um mein Glück. Da bin ich eines Tages zu ihr gegangen – unter einem Vorwand – unter falschem Namen. Ich glaubte eine glänzende Schönheit, eine kokette, sinnbetörende Zauberin zu sehen. Mit der hätte ich den Kampf aufgenommen. Beirrte Sinne lassen sich auf den rechten Weg zurückführen – wenn das Herz nicht mitspricht. Aber ich fand eine rührend zarte, anmutige Erscheinung, ohne blendende Reize. Diese Frau konnte nur mit dem Herzen, nicht mit den Sinnen geliebt werden. Die Erkenntnis machte mich wehrlos. Und seit jenem Tage habe ich versucht, mich in mein Los zu finden.«

Rolf Matern zog seine Frau erregt an beiden Händen zu sich heran. Mit einem warmen Blick der Bewunderung sah er in ihr Gesicht.

»Törin – liebe Törin – wieviel Größe liegt in deinem Irrtum! Und ich, der ich dich, nur dich geliebt habe, sollte mein Herz an ein anderes Weib hängen? Nein, Malwine – mein Wort darauf –, du hast nie eine andere Nebenbuhlerin gehabt als meine Arbeit. Was ich an Ilse Rottmann tat, was mich zu ihr führte – ich kann es dir nicht erklären, nicht in Worte fassen. Glaube mir, Malwine, daß ich nie eine andere liebte als dich – dich allein, und daß ich unter unserer Entfremdung auch gelitten habe, wenn mich auch meine Arbeit immer wieder abgelenkt hat.«

Malwines Gesicht überzog sich mit dunkler Glut. Einen Augenblick wallte es in ihr auf wie überquellendes Glück. Aber eine jahrelang aufgehäufte Bitterkeit löscht nicht eine Minute wieder aus.

»Ich will versuchen, zu glauben, was du mir sagst, Rolf. Aber laß mir Zeit, ich kann mich so schnell nicht bekehren. – Nun sage mir vor allem, was du mir Wichtiges mitteilen wolltest.«

Er gab ihre Hände frei und lehnte sich zurück.

»Ich kam mit einer großen Bitte zu dir, Malwine. Ilse Rottmann hat, wie du wohl weißt, eine junge Tochter hinterlassen. Ria Rottmann steht allein und schutzlos in der Welt. Sie ist etwas über siebzehn Jahre alt und ein scheues, stilles, sanftes Geschöpf. Würdest du dich des armen Kindes annehmen?«

Frau Malwine sah unbehaglich zu ihm hinüber.

»Wie meinst du das? Soll ich mich für sie verwenden – sie in einer Familie oder in einer Pension unterbringen?

Hat sie etwas gelernt?«

»Sie hat gelernt, was andere junge Mädchen aus guter Familie auch lernen, hat die Töchterschule besucht und in letzter Zeit, da ihre Mutter leidend war, den Haushalt ganz allein geführt. – Du hast mich aber falsch verstanden, wenn du annimmst, daß du dich anderweitig für sie verwenden sollst. Ich meine, du sollst dich ihrer persönlich annehmen, sollst gestatten, daß ich sie dir ins Haus bringe, sollst ihr hier eine Heimat bieten.«

Sie fuhr erregt empor.

»Nein – nein! Die Tochter jener Frau, die mich so leiden ließ? Nein, das kann ich nicht«, rief sie, all ihre Beherrschung völlig verlierend.

»Ohne Grund, Malwine, bedenke das«, sagte er begütigend. »Ilse Rottmann wäre außer sich gewesen, hätte sie ahnen können, mit welchem Verdacht du dich gequält hast. Nie würde sie mich dann gebeten haben, ihrem Kind in meinem Haus eine Heimat zu geben. Ich habe ihr in ihre erkaltende Hand gelobt, daß ich es tun werde.«

Malwine erhob sich mit einem jähen Ruck. Ihr Gesicht war wieder kalt und unbewegt. Und mit eisiger Ruhe sagte sie: »Wenn du das fest versprochen hast, so ist mir jede Bestimmung vorweg genommen – und ich habe mich zu fügen.«

Auch er stand auf und trat zu ihr.

»Nicht so, Malwine – nicht so. Bedenke, das arme Kind besitzt keinen Menschen mehr, dem es angehört. Und sie ist ganz still und anspruchslos. Du wirst wenig Mühe mit ihr haben.«

Seine Worte klangen bittend und eindringlich. Sie sah aber an ihm vorbei.

»Spare dir alle weiteren Worte, Rolf. Ich sagte dir ja, daß ich mich füge. Aber nun verlange auch nie mehr, daß ich glauben soll, Ilse Rottmann sei dir nichts gewesen. Solche Opfer bringt man nur, wenn man liebt.«

Er fuhr sich wild und erregt durchs Haar und stöhnte auf. Wie sollte er sie von diesem unseligen Verdacht befreien?

Ohne die geheime Schuld seines Lebens preiszugeben, konnte er ihr nicht erklären, was ihn zu seinem Verhalten gegen Ilse Rottmann bestimmt hatte. Und diese Schuld konnte und wollte er nicht beichten. Die lag für alle Zeit begraben in seinem Herzen.

Freilich – die kleine Ria würde nicht gerade auf einen sehr freundlichen Empfang zu rechnen haben. Aber kleinlich war Malwine nicht. Sie würde sich zusammennehmen. Mit einem ernsten Blick sah er sie an.

»Es ist kein Opfer, wenn wir das junge Mädchen bei uns aufnehmen. Hast du nicht oft gewünscht, daß wir statt unseres Sohnes eine Tochter hätten? Und jetzt, da Heinz erwachsen und wenig daheim ist, sollte dir eine jugendliche Gesellschaft guttun für einsame Stunden. Ria wird dir gefallen, davon bin ich fest überzeugt. Sie ist sehr lieb und bescheiden. Gönne ihr doch das warme Plätzchen in unserem Haus.«

Malwine hob mit einer müden Bewegung die Hand. »Ich sagte dir schon – ich füge mich. Sage mir, was du verlangst, das ich in dieser Angelegenheit tun soll.«

»Vorläufig sollst du nur gestatten, daß ich dir Ria bringe.«

»Es ist gut, ich werde sie erwarten und für ihre Aufnahme Sorge tragen. Was wünschest du in bezug auf die Zimmer, die sie bewohnen soll?«

»Das überlasse ich dir. Vielleicht läßt du zwei der Gastzimmer für sie herrichten. Sie ist durchaus nicht verwöhnt.«

»Und hast du auch bedacht, wie sich Heinz nach seiner Rückkehr zu diesem jungen Mädchen stellen soll?«

»Ich hoffe – wie ein Bruder. Sie ist ja noch das reine Kind. Und Heinz ist nicht ein Mensch, der in jedem weiblichen Wesen einen Gegenstand zum Flirten sieht.«

»Das gewiß nicht. Aber die neue Hausgenossin könnte ihm auch unsympathisch sein. «

»Hoffentlich ist das nicht der Fall, er wird ihr, wie ich ihn kenne, sehr wenig Beachtung schenken. Jedenfalls aber wird er sich meinen Bestimmungen fügen.«

»Dann wäre dies Thema erledigt«, sagte sie kühl.

Er küßte ihr die Hand. »Ich danke dir, Malwine, und ich bitte dich, laß das arme Kind nicht entgelten, daß es dir ungelegen kommt.«

Ein bitteres Lächeln umspielte ihren Mund.

»Für taktlos wirst du mich nicht halten«, sagte sie kurz.

Als er dann gegangen war, stand sie eine Weile in tiefes Sinnen verloren.

»Wie besorgt er ist um das Kind jener Frau! Und ich soll glauben, daß sie seinem Herzen nichts war. Ach, ich weiß es. Und weil ich es weiß, wird mir dieses Mädchen verhaßt sein. Ich habe zu viel gelitten in all den Jahren. Mein Herz ist kalt und leer geworden, mein Stolz gebrochen. Ich weiß, daß ich dem Mädchen gegenüber ungerecht bin.«

So dachte sie voll Bitterkeit.

*

Maria Rottmann saß mit verweinten Augen neben dem letzten Lager ihrer toten Mutter und blickte in das stille, weiße Gesicht, das so starr wie ein Marmorbild auf dem weißen Kissen aussah. Nie mehr würde ihr die Mutter liebevoll und gütig zulächeln, nie mehr würde der blasse, stumme Mund sich öffnen, um liebe Worte zu ihr zu sprechen.

Verwaist!

Welch ein herbes, bitteres Wort! Niemand lebte ihr nun mehr, den sie lieben durfte, der ihr Liebe entgegenbrachte, niemand, auf den sie ein Anrecht hatte.

Sie legte den schmalen, feinen Kopf ermüdet zurück. So viele Nächte hatte sie in letzter Zeit bei der kranken Mutter gewacht, und immer mit der heimlichen, schrecklichen Gewißheit, daß sie die Teure verlieren würde. Onkel Rolf hatte ihr schonend mitgeteilt, daß die Mutter sterben müsse.

Das alles hatte ihre Kräfte erschöpft. Sie war sogar zu matt und zu müde, noch Tränen zu vergießen. Was getan werden mußte, war geschehen. Nun lag die Mutter im Brautkleid, das sie immer verwahrt hatte und als Sterbekleid hatte tragen wollen, feierlich aufgebahrt. In wenigen Stunden würde man den Sargdeckel über sie breiten, sie hinaustragen und in die kalte, dunkle Erde einbetten.

Und die liebe Stimme der Mutter konnte nicht mehr tröstend sagen:

»Sei ruhig und vernünftig, Ria – der Tod ist nichts als ein langer, friedlicher Schlaf, ein Ausruhen von allem Leid.«

Trüb sah sie um sich. Wie seltsam verwandelt dieses sonst so trauliche Zimmer war. Ach, wie friedlich und behaglich sie in der hübschen kleinen Wohnung mit der Mutter gelebt hatte! Und dieses sonnige, freundliche Heim hatte ihnen Onkel Rolf bereitet, Onkel Rolf, den das kleine Dienstmädchen immer so respektvoll »Herr Geheimrat« genannt hatte.

Solange sie denken konnte, war Onkel Rolf der für sie gewesen, von dem ihr im Leben kam, was licht und schön war. Als Kind hatte sie das so hingenommen, als wenn es sein müßte, und nicht weiter darüber nachgedacht. Aber dann, als sie älter wurde, kam das Nachdenken von selbst.

Ihr eigener Stolz hatte begonnen, sich gegen die Wohltaten dieses ihr und der Mutter im Grunde fremden Mannes zur Wehr zu setzen. Sie hatte danach verlangt, etwas Tüchtiges zu lernen, etwas zu werden, selbst Geld zu verdienen, damit sie nicht mehr auf Onkel Rolfs Wohltaten angewiesen sein würde. Eines Tages – wenige Wochen vor der schlimmen Erkrankung der Mutter – hatte sie ihrem Gefühl in erregten Worten Ausdruck gegeben.

Die Mutter hatte ihr darauf mit ihrer weichen, zarten Hand über den Kopf gestrichen und ihr mit einem klaren Blick in die Augen geschaut.

»Ich dachte es mir, daß du mich eines Tages danach fragen würdest, kleine Ria. Du sollst eine befreiende Antwort darauf haben. Laß dich durch diese Wohltaten nicht demütigen – denn wir haben ein Recht daran. Wir sind es, die Onkel Rolf Wohltaten erweisen.«

»Wie soll ich das verstehen, liebe Mutter?« hatte Ria gefragt.

Da hatte ihr die Mutter ein Geheimnis anvertraut, das bisher in ihrer Brust verschlossen geblieben war. Ria hatte mit klopfendem Herzen gelauscht und mit großen Augen auf die Papiere gesehen, die ihr die Mutter zum Beweis ihrer Eröffnungen vorgelegt hatte.

Seit jenem Tag empfand Ria Rottmann die Wohltaten Rolf Materns nicht mehr als eine drückende Last.

Sie wußte nun gleich der Mutter, daß Rolf Matern ihnen nur so viel Gutes tat, um eine geheime Schuld abzutragen. Sie wußte, daß sie noch viel mehr von ihm zu fordern berechtigt war.

Aber gleich der Mutter verzichtete sie freiwillig, diese Rechte geltend zu machen.

»Wir haben, was wir brauchen, Kind«, hatte die Mutter gesagt, »und Onkel Rolf wird, auch wenn ich einst nicht mehr bin, für dich sorgen, das weiß ich gewiß. Sollte er es aber vergessen, so nimm diese Papiere und lege sie ihm vor. Er ahnt nicht, daß sie existieren, aber er wird sich dann keinen Augenblick besinnen, alle deine Forderungen zu erfüllen. Dazu wird es, wie ich hoffe, nie kommen. Solange es nicht nötig ist, soll er nicht wissen, daß wir seine Schuld kennen, und du wirst es ihn so wenig fühlen lassen, wie ich es getan habe. Nicht wahr – nun bist du ruhig darüber, daß deine Mutter Wohltaten von einem fremden Mann annahm?«

Die Papiere, die ihr die Mutter vorgelegt hatte, lagen gut verwahrt in dem kleinen Schreibtisch, den Ria nun mit sich in Rolf Materns Haus nehmen wollte.

Diese Papiere waren nicht so vollständig, daß sie als geschlossener Beweis hätten dienen können, falls sie ihre Ansprüche hätte geltend machen wollen. Einige Zeichnungen und kleinere Berechnungen fehlten. Sie waren wohl verlorengegangen.

Es lag auch nicht in Rias Absicht, je von diesen Papieren Gebrauch zu machen. Onkel Rolf wollte sie heute in sein Haus führen wie eine liebe Tochter. Aber trotzdem war es ihr ein beruhigendes Gefühl, daß sie diese Beweisstücke hatte. Sie gaben ihr das Gefühl, als besäße sie damit ein verbrieftes Recht auf eine Heimat in Rolf Materns Haus. Früher, ehe ihr die Mutter dies Geheimnis verriet, hatte Ria zu Onkel Rolf in ehrfürchtiger, schrankenloser Bewunderung aufgesehen. Seine Güte, sein Edelmut erschienen ihr so groß, daß sie sich gegen ihn unsagbar klein fühlte. Das hatte ihr ganzes Wesen beeinflußt, und sie hatte darunter gelitten, ihm nicht freudig danken zu können in ihrem Herzen. So war sie scheu und zurückhaltend geworden, gegen ihn – und gegen andere Menschen. Denn sie glaubte, die anderen müßten verächtlich über sie denken, weil sie Almosen annahm und mit der Mutter von Onkel Rolfs Güte lebte. Sie hatte sich kaum frei und ungezwungen zu bewegen gewagt.

Auch jetzt war diese Scheu noch nicht ganz von ihr gewichen. Obwohl sie nun wußte, daß Onkel Rolf ihr noch mehr schuldig war, als er gab, konnte sie sich nicht ganz von dem Druck befreien, der so lange auf ihr gelegen hatte.

Aber es war ganz sonderbar – lieber war er ihr geworden, seit sie wußte, daß er nicht der untadelige Mensch war, für den sie ihn immer gehalten hatte. Er erschien ihr nun menschlicher. Ihr weiches Herz litt mit ihm unter der Schuld, die er so edel zu sühnen suchte, obwohl er glaubte, daß kein Mensch darum wisse. Sie vermochte es nicht, verächtlich von ihm zu denken oder ihn zu verurteilen. Das lag wohl daran, daß ihr die Mutter sein Vergehen in so mildem Licht gezeigt hatte: »Kind, es ist so leicht, schuldig zu werden, und so schwer, schuldlos zu bleiben. Man soll niemand verdammen, der menschlich gefehlt hat.«

Seinem fast täglichen Kommen sah sie mit immer größerer Freude entgegen. Welch ein treuer Freund, welch eine Stütze war er ihr gewesen in den letzten, schlimmen Wochen! Die besten Ärzte hatte er an das Krankenbett der Mutter berufen, an nichts hatte er es fehlen lassen.

Leider hatte die geliebte Mutter trotzdem sterben müssen, und in Onkel Rolfs Hände hatte sie das Geschick ihres Kindes gelegt. Noch klangen Ria die Worte in den Ohren, die er mit der Mutter gewechselt hatte.

»Sie werden Ria nicht verlassen, Rolf Matern. Ich weiß, daß Sie ihr ein treuer Schütz und Hort sein werden, wenn ich nicht mehr bin«, hätte sie zu ihm gesagt.

Und Onkel Rolf hatte ihre Hand ergriffen und in ernstem, feierlichem Ton geantwortet:

»Ria soll mir wie eine Tochter sein, liebe Frau Rottmann, ich werde sie in mein Haus aufnehmen und sie wie mein eigenes Kind halten, das gelobe ich Ihnen. «

»Das will ich meinem Fritz sagen – wenn ich da oben mit ihm vereint bin –, er soll wissen, daß Rolf Matern für sein Kind sorgt wie ein Vater.«

Überwältigt von seinem Gefühl, hatte sich da Onkel Rolf über die Hand der Mutter gebeugt und sie geküßt.

»Ja–ja, sagen Sie es ihm–und-und–«

Es war gewesen, als wollte sich noch etwas aus seiner Brust losringen. Aber seine Lippen schienen wie im Krampf aufeinandergepreßt.

Mit einem gütigen, lieben Lächeln hatte die Mutter ihre Hand auf Onkel Rolfs gesenktes Haupt gelegt und feierlich gesagt: