Eiselfen: Die dunkle Seherin - Josefine Gottwald - E-Book

Eiselfen: Die dunkle Seherin E-Book

Josefine Gottwald

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Beschreibung

»Lúthien war es gewohnt, die Probleme seiner Stadt zu lösen, doch nichts hatte ihn auf das Elend vorbereitet, was sich in diesem Landstrich fernab von Ánthurvest über Jahrzehnte zu ballen schien.« Ein harter Winter liegt über den Nordhlanden. Seit dem Angriff der Hexe scheint die Magie versiegt, und die Festung liegt in Trümmern. Schutzlos blickt Lúthien einem neuen Schlag der Reifriesen entgegen, während die Königin mit ihrer Tochter die Auen aufsucht. Doch in Auriels Kind schlummert eine seltene Gabe … »Die dunkle Seherin« ist der fünfte Teil der EISELFEN-Saga.

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Josefine Gottwald

EISELFEN

DIE DUNKLE SEHERIN | Band 5

 

 

IMPRESSUM

 

ISBN-13: 9783757923198

Copyright © 2023 Josefine Gottwald

Schlachthofgäßchen 1 | 01796 Pirna

[email protected]

 

Umschlaggestaltung: Vivian Tan Ai Hua

Innenillustrationen: Martin Mächler

Lektorat und Korrektorat: Nicole Czerwinka www.text-weise.de

 

Alle Rechte vorbehalten.

 

Inhalt

Titel

Prolog

Brennendes Land

Die dunkle Seherin

Der Brunnen Seidh

Die Autorin

Zum Weiterlesen ...

Prolog

Von einem Atemzug auf den nächsten hatte die Zeit stillgestanden. Die Hexe hatte dem Land die Magie geraubt, und nun ruhte der Berg Eidhafall in einem Feld gefrorener Geysire; die heißen Quellen waren zu Spiegelflächen erstarrt, der Eingang der Höhle von einer Schneelawine verschüttet – nur einen engen Tunnel hatten die Männer des Königs ins Eis geschlagen, um dem kalten Grab zu entkommen. Von den glühenden Spalten unter der Erde war nichts mehr zu spüren. Die Energie, die hier einst pulsiert hatte, schien von der Kälte erstickt.

Die Priesterin winkte ihre Schülerinnen heran und stieg weiter hinauf. Durch den Tunnel traten sie in den Berg und tasteten sich hinab in die Höhle, wo die magischen Adern verliefen. Auch die Felswände waren gefroren. Thíriel legte eine Hand an das Gestein und spürte den trägen Fluss der Magie, die einst das Land begrünt hatte, in jedem Zweig, jedem Tier lebte, und nun allmählich versiegte.

Die jungen Frauen breiteten die Finger aus und bemühten sich um Kontaktaufnahme. Einige hatten die Augen geschlossen, um sich auf ihr Innerstes zu konzentrieren. Die Priesterin entzündete eine Fackel.

Spiralförmig wand sich die Höhle nach unten. Thíriel folgte dem Weg, und die Ahnung in ihr verhärtete sich. Schließlich wurde der Pfad so steil, dass man ihn auf Stufen fortgeführt hatte. Die Priesterin zog die Schuhe aus, und die Mädchen taten es ihr nach. Ihre Fußsohlen waren kalt, der Boden unter ihr taute, doch sie vermisste das vertraute Kribbeln der magischen Schwingungen.

Sie stieg die letzten Stufen hinab, gefolgt von ihrer jüngsten Novizin. Thíriel hatte das Mädchen besonders gefördert, Fenni war wissbegierig und schlau, sie beobachtete jede Geste ihrer Meisterin und lernte so schnell, dass sie bereits eine engere Verbindung zur Magie aufgebaut hatte als ihre älteren Schwestern.

»Was spürst du?«, fragte Thíriel.

Das Mädchen legte die Fingerspitzen an die Felswand und hinterließ Spuren im Reif. Mit rauer Stimme erklärte sie: »Die Hexe hat den Zugang zur Magie erstarren lassen. Er ist wie …«

»Versiegelt«, sagte Thíriel. Sie nickte, bedauernd, aber zufrieden mit ihr. »Was tun wir?«

Fenni blickte nach vorn, öffnete die Lippen, doch schien zu schockiert, um sprechen zu können. Thíriel folgte ihrem Blick und erschrak im Angesicht ihrer eigenen Prophezeiung. Das glühende Gestein war zu einer schwarzen Kruste verhärtet, nicht einmal Qualm war geblieben. Als sie näher an die Fläche trat, überkam sie das Gefühl, sie blickte auf einen vergifteten See, bis zum Ufer mit Pech angefüllt.

Sie legte die Schuhe zu Boden und betastete die rissige Haut, fuhr die steinernen Wellen entlang und rief die Energie zu sich. Doch die Antwort war schwach. Sie übergab ihre Fackel an Fenni und senkte nun beide Hände auf die Kruste; sie sandte einen stärkeren Impuls hinab, aber das erwartete Echo blieb aus. Ihre Magie schien in der Tiefe zu versinken, wie von einem finsteren Loch aufgesogen. Sie versuchte es noch einmal. Nichts geschah.

Sie wies die Novizinnen an, sich am Ufer des Lavasees zu postieren. Sie nahm Fennis Hand, doch sie waren zu wenige, um den Kreis zu schließen. In ihrer Verbindung fühlte Thíriel die Gedanken der Mädchen, ihre Unsicherheit, ihre Ängste.

»Fürchtet euch nicht!«, gebot sie. »Spürt die Kräfte der Ahnen in euch.« Sie ließ ihnen Zeit, ihr Vertrauen zu finden. Wohlwollend registrierte sie, wie sie die Augen schlossen und immer ruhiger atmeten.

Gemeinsam legten sie ihre Hände auf die Oberfläche. Thíriel fühlte jede Unebenheit, die steinernen Blasen, mit denen die Kruste sich widersetzt hatte, bevor der tödliche Fluch sie traf. Mit dunkler Stimme rief sie die Ahnen an und sammelte die Kraft in ihrem Inneren.

 

Mer Fedhran vesa,

Eidhan vesa,

tillkomma, heiman forul!

 

Dann sandten sie den Impuls. Die Magie der Priesterinnen schwoll an und drang hinab, auf der Suche nach den tiefen Adern. Doch nichts kehrte zurück. Noch einmal hob Thíriel den Singsang an und verstärkte ihn mit älteren Worten. Der Zauber war so stark, wie sie ihn selten anwandte.

Plötzlich packte sie die Magie. Wie ein Strudel zog eine Kraft an ihr und zwang ihren Körper zu Boden. Ihre Hände wurden heiß, das Gestein schien darunter zu schmelzen. Sie spürte, wie Fennis Finger sich öffneten, sie wollte sich losreißen.

»Wehrt die Kraft ab!«, rief Thíriel und stemmte sich auf. Sie sah ihre Schülerinnen mit roten Köpfen und schweißnasser Stirn. Die Anziehung band sie aneinander und saugte die Energie in zitternden Krämpfen aus ihnen.

Schreie schallten durch die Halle. Thíriel spannte jeden Muskel an. Immer wieder sprach sie die Formel und gebot der Macht sich zurückzuziehen. Mit eisernem Willen hielt sie die Hand des Mädchens und schickte ihr Kraft, aber Fenni bot keinen Widerstand; sie hatte das Bewusstsein verloren.

Endlich war der Schutzwall so stark, dass er die parasitische Macht zurückwies. Thíriel wurde gegen einen Felsen geworfen, die schmalen Finger entglitten ihr.

Stöhnen und Wimmern füllte die Höhle. Ihre Schülerinnen hatten die brennenden Hände zu Fäusten verkrampft, in ihren Augen stand Furcht.

Thíriel stürzte zu dem Mädchen am Boden. Ihre Hand strich über die schmale Brust und suchte nach dem Herzschlag. Sie sandte einen Stoß in den Körper.

»Atme!«, schrie sie Fenni an.

Aber es war zu spät. Die Magie hatte sie mit sich genommen.

 

Brennendes Land

Das Schiff glitt durchs Wasser, als ob es schweben würde. Der Duft des Waldes strömte in Auriels Brust; sie schloss die Augen und fühlte die Sonne auf ihrem Haar, hörte das Summen der tanzenden Mückenschwärme über dem breit fließenden Auensee.

Sie streckte eine Hand über die Rim und berührte das Wasser. Anders als in den Fjorden, von denen sie kam, konnte sie hier noch Magie spüren, die das Land mit Leben erfüllte. Zum ersten Mal seit Monaten wagte sie zu hoffen, dass ihre Seele hier Heilung fand.

Auf dem Heck überwachte Támin den Rhythmus der Ruderer. Der Skalde erschlug ein Insekt auf seinem Wams und fluchte dabei leise. Auriel lächelte, als sie sah, wie er sich trotz des Sommerhauchs in seinen Fellumhang hüllte.

»Ihr scheint Euch nach der rohen Kälte der Heimat zu sehnen«, bemerkte sie.

Er wischte etwas aus seiner Stirn, bevor er respektvoll den Kopf neigte. »Doch ist es die Aufgabe jedes Ritters, anderer Heimat zu achten, Hoheit. Und fiele es noch so schwer …«

Auriel erwiderte sein Nicken. Das Kind in ihrem Schoß hatte die Arme aus seinem Tuch gewunden und verfolgte mit glänzenden Augen das Schattenspiel in den Baumkronen. Seit sie die Grenze zu Tívurnadh passiert hatten, schien auch Aradis ruhiger zu sein. Das Glitzern der Natur nahm sie ein, und Auriel sah ihre Mundwinkel immer seltener zittern, kurz bevor ein Schrei aus ihr brach. Sie küsste den weichen Haarflaum und atmete den Duft des Kindes ein, fühlte die Wärme des kleinen Körpers an ihrem.

Támin wies die Männer an, die Ruder enger am Rumpf zu halten, als sie ein Geflecht aus Weidenzweigen durchfuhren, das direkt aus dem Wasser wuchs: Das Tor zu den Seen des Südens.

Schillernde Schleier umtanzten das Schiff, und Auriel erkannte, dass es nicht nur Mückenschwärme, sondern nun auch Wassergeister waren.

»Der Atem der Natur«, flüsterte sie.

Ein Fisch tauchte mit einer schnellen Bewegung und spritzte Wasser auf ihr Gesicht, aber Auriel lachte; es fühlte sich an, als wollte ihre Heimat sie mit einem Kuss begrüßen. Seit ihrem Aufbruch in Ánthurvest war sie in eine Starre verfallen, die nun neuem Leben wich. Sie hatte geglaubt, ihre Kraft verloren zu haben, aber nun war ihr, als ob sie wie ein Reh springen wollte. Sie stand auf und stützte sich mit einer Hand auf die Planken.

»Langsam, Herrin!«, sagte Támin, als er sah, dass sie schwankte. Er hatte einen Arm nach ihr ausgestreckt, obwohl er sie nicht erreichen konnte.

Auriel dankte ihm für sein Pflichtgefühl. Sie hielt das Kind fest und dachte, dass er für die Familie seines Königs Sorge trug, als wäre sie seine eigene. Und tatsächlich hatte sie ihn immer als einen Bruder Lúthiens betrachtet. Als sie nun in die grauen Augen sah, erinnerte sie sich schmerzlich daran. Sie wandte sich ab.

Hinter einer Biegung des Uferwalds erstreckte sich die ganze Länge des Sees, und an seiner Stirnseite thronte die moosgrüne Insel, der Sitz des Geschlechts der Obroniel. Das Schloss sah aus wie in Auriels Erinnerung: Die erdfarbenen Schindeln und die grünen Schlieren unter den Wasserspielen hatten sie als Kind denken lassen, es wäre direkt dem Morast entwachsen.

»Nun wirst du sehen, wo ich geboren bin«, flüsterte sie ihrer Tochter zu. Aradis hatte die Lider geschlossen, ihre Augen flackerten darunter. Sie nieste, als ein Licht ihre Nase streifte.

Das Schiff glitt in einen Hafen aus Bretterstegen. Das Banner der Auen hing windstill herab, darunter wachten Soldaten in leuchtenden Leinentrachten. Zwischen ihnen stand eine dunkle Frau, so unscheinbar, dass man sie übersehen konnte. Sie hatte ihre Augen mit Ruß geschwärzt, damit die Ahnen ihren Blick weiteten.

Auriel drückte das Kind so fest an sich, dass es einen Moment die Augen aufschlug. Doch das Schaukeln des Wassers wiegte Aradis wieder in Schlaf, als hätte die dunkle Seherin ihr eine beruhigende Welle geschickt. Es war Askvára gewesen, die Auriel die Verbindung zu den Elementen gelehrt hatte – und vielleicht ohne ihr Wissen hatte sie ihr auch die Kraft gegeben, in einem entfernten Land als Königin zu regieren. Doch wenn Auriel sie ansah, konnte sie nicht glauben, dass es etwas gab, das ihre Mutter nicht schon seit langem geahnt hatte.

Schwankend legte das Schiff an, und die Königin ließ sich auf den Steg helfen. Sie wollte vorauseilen, aber spürte das Zögern in Támins Gang, als die Priesterin sich ihnen näherte.

Askvára breitete die Arme aus, ihr Lächeln kam aus den Tiefen ihres Herzens. »Du hast uns gefehlt!«, sagte sie. »Willkommen daheim, meine Tochter.«

Auriel fühlte Tränen in ihren Augen. Ihre Mutter war älter geworden, die Sorgen hatten sich in ihre Stirn gegraben, doch um ihre Mundwinkel ruhte das gütige Lächeln der Wissenden. Sie kannte die Wege des Schicksals, und sie wusste, dass alles geschah, wann es geschehen sollte. Auriel fühlte den Glauben an die Bestimmung, der ihre Herzen in Einklang brachte.

Támin verneigte sich, als sie ihn vorstellte. »Hoheit«, begrüßte er die Priesterin. »Wird uns der König im Schloss empfangen?«

Askvára lächelte milde. »Mein Sohn konnte nicht wissen, wann Ihr eintreffen würdet. Er ist zur Jagd ausgeritten. Nehmt vorerst mit mir Vorlieb.«

Der Skalde schien zu spüren, dass er die falschen Worte gewählt hatte, und hob an, sich zu korrigieren, aber die Priesterin hatte sich schon umgewandt und schritt über den Steg zum Ufer hin, wo ein offener Wagen stand.

»Kommt!«, sagte sie, und Auriel eilte ihr nach. Sie konnte es kaum erwarten, ihre Schwestern im Tempel zu besuchen – dem Ort, an dem sie ihre Kindheit zurückgelassen hatte.

 

* * *

 

Der König saß an seinem Pult zwischen Bittschriften und Befehlen, doch er starrte so konzentriert auf den Fjord, als könne das Meer ihm Antworten geben. Seit die Königin und sein wertvollster Berater abgereist waren – sein einziger Freund –, seit Thíriel in der Hochebene nach Spuren der schwindenden Magie suchte, erschien ihm die Ruine der Burg umso trostloser. Ihm fehlte das Schreien des Kindes, die Sorge im Blick ihrer Mutter, wenn sie zu ihm sprach, Támins spöttische Gesten … selbst seine Schwester vermisste er, obwohl sie nach den letzten Ereignissen für ihn nichts als Verachtung zu kennen schien.

Er blickte wieder auf die Papiere, schob die Briefe übereinander und breitete sie erneut aus, aber das Funkeln des Meeres lenkte ihn ab. Er hatte seinen Beratungsraum übergangsweise wiederhergestellt, aber er saß allein zwischen Trümmern. War die Kammer zuvor beengt gewesen – gerade so viel Raum, wie der alte König für geheime Zusammenkünfte benötigt hatte –, bot die eingestürzte Wand nun einen freien Blick auf den Fjord und die Klippen.

Die Ausbesserung ging nur schleppend voran, obwohl Lúthien einen Großteil der Männer einsetzte. Aber er wusste nicht, wo er beginnen sollte. Bei jedem Schritt, den er tat, schienen die Zweifel ihn niederzudrücken wie eine Last auf seinen Schultern. Er musste all seine Kraft aufbringen, um gegen das Flüstern in seinem Kopf anzukämpfen, das ihm mit der Stimme seines Vaters eingab: Er hatte sein Land zerstört. Seine Burg war gestürzt, seine Fürsten verunsichert und seine Freunde, die ihm beistehen sollten, waren von ihm vertrieben.

Er fuhr mit den Händen durch sein Haar, dann stemmte er sich aus dem Stuhl, trat an das Loch in der Wand heran und blickte aufs offene Meer. Ein warmer Hauch trug den Geruch von Salz heran, doch die Ufer waren gefroren. Die fehlende Magie ließ das Land in einem Winter verharren, obschon Vögel ihre Nester bauen und Hasen ihre Jungen werfen wollten. Lúthien lehnte sich gegen die Mauer und fühlte, wie sie zu bröckeln begann. Die Aufgaben in seiner Verantwortung überstiegen die Stunden seiner Tage.

Die See lag wie mit einem Eisen geglättet, nur unter den Fischerbooten weit draußen kräuselten sich sanfte Wellen. Seitdem die Stürme vorüber waren, hing eine Stille wie Blei auf dem Land.

Er dachte an Auriel und das Kind. Auch nach den Jahren, die sie mit ihm lebte, war sie das größte Geheimnis für ihn.

---ENDE DER LESEPROBE---