Eiselfen: Hexenjagd - Josefine Gottwald - E-Book

Eiselfen: Hexenjagd E-Book

Josefine Gottwald

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Beschreibung

»Der Himmel hatte sich glutrot gefärbt und drohte, sie zu verbrennen. Sie fühlte sich auf einem Weg ins Unbestimmte: Die Magie rief sie zu sich.« Die letzten Reifriesen sind gefangen, und ganz Ángthurvest erwartet die Geburt des Thronfolgers. Doch je näher die Ankunft des Kindes rückt, umso öfter spürt Auriel eine Kälte im Leib, die ihr die Energie raubt. Als die verbannte Prinzessin der Inseln in die Nordhlande zurückkehrt, verfolgen Auriel dunkle Visionen. Sie fühlt, dass eine fremde Magie das Reich bedroht – aber Lúthien misstraut ihrer Ahnung. »Hexenjagd« ist der vierte Teil der EISELFEN-Saga.

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Josefine Gottwald

EISELFEN

HEXENJAGD | Band 4

 

 

 

Copyright © 2022 Josefine Gottwald

Markt 9 | 01816 Bad Gottleuba-Berggießhübel | [email protected]

 

Umschlaggestaltung: Isis Sousa, www.helheimendesign.no

Innenillustrationen: Martin Mächler

Lektorat/Korrektorat: Jana Isabella Treuter

 

Alle Rechte vorbehalten.

Inhalt

Titel

Prolog

Die Herrin des Westens

Winternacht

Hexenjagd

Die Autorin

Zum Weiterlesen …

Prolog

Auriel erwachte spät, aber sie wusste, der Morgen graute noch. Die Winternacht hielt in den nördlichen Gefilden für Wochen an; die Sonne schien um diese Jahreszeit nur über den Horizont zu blinzeln, doch sich nie ganz hervor zu wagen.

Als die Königin an das Fenster trat und die Holzläden öffnete, spürte sie kalten Wind. Sie erinnerte sich an den Traum, der sie aus dem Schlaf gerissen hatte.

Der Himmel hatte sich glutrot gefärbt und drohte, sie zu verbrennen. Sie fühlte sich auf einem Weg ins Unbestimmte: Die Magie rief sie zu sich.

Sie trat einen Schritt vom Fenster weg. Schnee schien unter ihren Füßen zu knirschen, ihre Sohlen fühlten die Kälte. Sie wusste, dass es nur der Marmor war, aber die Kraft der Vision zog an ihr.

Die Königin wanderte zum Torbogen, dann hinaus in die Halle. Auf ihrem Altar brannte das Licht, das die Ahnen zu ihr rufen sollte, um über ihr Kind zu wachen.

Sie streckte die Hand nach der Flamme aus, aber das Feuer kam gegen die trockene Kälte ihrer Glieder nicht an.

Ihr Atem war weißer Nebel, als sie nach einem Tiegel griff und Räucherwerk auf den Teller häufte. Sie entzündete es mit einem Span und nahm dann die Silberkaraffe; durch das Bergsalz, was sie dem Wasser beisetzte, war es fast nie gefroren.

Sie füllte das Becken, das für den magischen See stand – den Wasserspiegel der Auen. Die Oberfläche schien sich zu kräuseln, Auriel atmete den Nebel ein, der sich geisterhaft über das Wasser legte.

Sie sang die leisen Worte, die den Heiligen ihrer Herkunft galten; besonders widmete sie sich Sgeray, der Göttin der Dämmerung. Sie erflehte ihren Schutz, um den Spuk zu vertreiben, der ihre Gedanken vernebelte, sodass sie sich beim Gehen unsicher fühlte.

Auriels Lippen vibrierten, als sie sang. »Zeig mir das Bild!«, bat sie die Göttin. Sie suchte nach der Verbindung; es fiel ihr leichter, seit sie das Kind trug, doch da war etwas, das sie fern halten wollte, wie eine kalte Barriere …

Sie versuchte es noch einmal: »Sgeray!«

Der Rauch wurde immer dichter. Auriel hustete, die Wolken verzogen sich, aber was sie frei legten, erschütterte die Königin bis ins Mark.

Die Vision trug sie mit sich nach draußen, in die Wälder über dem Fjord. Sie blickte in der Tiefe des Wassers auf ihre eigene Burg und sah, dass die Mauern zitterten. Die Schatten des Zwielichts glitten über die Fenster wie Ahnungen.

»Lúthien«, flüsterte die Königin, aber sie wusste, sie war allein.

Die Flamme züngelte aufgebracht, Wind fuhr durch Auriels Nachtgewand. Sie schlang die Arme um ihren Körper und zwang sich, das Bild zu betrachten.

Die Feste Ánthurvest stürzte ein. Die Mauern bröckelten unter einem Beben und versanken in den Tiefen des Fjords. Wellen schlugen gegen die Felswände. Weit oben braute sich Donner zusammen, der kristallene Turm riss bis zum Boden. Das Elfenvolk strömte heraus. Auriel streckte die Hände aus, wollte helfen, doch konnte nicht einmal eine Warnung rufen. Die Wipfel der Tannen im Schnee flüsterten, dass die Eiselfen verloren waren.

Eine Erdspalte trieb den Fels auseinander, das Meer aus dem Fjord strömte hinein, ganz allmählich kippte der Turm, die Mauern brachen nun überall. Ein Grollen drang aus den schwarzen Wolken, und Hagel stürzte auf die Burg, die Auriels Heimat gewesen war.

»Nein!« Sie berührte die Oberfläche. Der Untergang war in rotes Licht getaucht. Im Erdriss kochte das Meerwasser, und Lava stieg empor. Der Boden spie Glut in den Himmel, Ascheregen fiel auf den Wald und verglühte das Laub zu fliegenden Funken. Die Gewänder der Elfen wurden erfasst. Sie wussten nicht, wohin sie laufen sollten, und flohen verzweifelt ins Meer, wo die mannshohen Wellen sie mit sich nahmen.

Auriel stöhnte auf und schlug die Hände vor ihr Gesicht. Mit Entsetzen sah sie dabei zu, wie die Hitze den Schnee auf den Hängen schmolz. In einem Krachen, wie es nur aus den Bergen kam, brandete die Lawine über das Land, rollte sie die Steilwand hinab und fegte die kahlen Stämme hinfort, überschwemmte das fliehende Volk und begrub die glühende Ruine, dass der Schnee zu zischendem Nebel aufstieg.

Noch einmal donnerte es am Firmament, dann lichtete sich der Dampf, und die Erde gab Ruhe. Auriel hielt sich an der Steinplatte fest, fühlte, dass sie noch zitterte. Die Kerze schwankte, die Königin griff nach ihr, aber sie fiel, und das Licht erlosch.

Auriel tastete nach dem Zunderbeutel, sie durfte das Bild nicht gehen lassen. Mit der Kerze lief sie in die Kammer zurück und entzündete sie an der Glut.

Als sie wieder in den Spiegel sah, war der Nebel blasser geworden, durch die Schwaden glitt leise ein Boot heran. Das Schiff lag flach auf dem Eiswasser, die Planken schwarz geteert. Über den Bug ragte ein Drachenkopf – nein, der Schädel eines Seeungeheuers: eines Wals mit einem Horn, der geräuschlos zwischen den Nebeln verschwand.

Von den Rändern der Schale her kroch eine Haut über die Oberfläche, sie gefror vor Auriels Augen.

Die Königin schrak zurück, der Blick in das Bild verschloss sich vor ihr. Das Wasser war zu Eis erstarrt.

Auriel ging in die Knie, ihr eigenes Gewicht zog an ihr. Sie keuchte und hustete im Qualm, ihr Nachtkleid war nass vom Schweiß, die Kälte in all ihren Gliedern.

Sie schaute zum Kristalldach hinauf: Es schneite aus schweren Wolken. Sie versuchte, ihren Atem zu beruhigen, aber mit jeder Vision fror sie stärker. Es war, als ob der Feind noch immer von ihrer Kraft zehrte, sie schien stetig schwächer zu werden. Mit dem Wachsen des Kindes wurden die Alpträume stärker, und die Mauern, die sie fern hielten, bröckelten. Ganz wie in ihrer Vision.

Die Herrin des Westens

Die Felswände schimmerten eisig, als das Schiff über den Fjord heranzog. Lyrelle stand am Bug und blickte in die Ferne, weit hinter ihr blieben die Inseln zurück. Vor sich in der ewigen Dämmerung erahnte sie den Schemen der Festung, wie ein Gespenst ragte er in das Zwielicht.

Sie fühlte, wie der Sturm, der das Segel blähte, durch ihr Haar streifte und den nachtblauen Umhang aufblies, den sie zu Ehren ihrer alten Heimat trug. Er war das letzte Erinnerungsstück aus einer Zeit, bevor sie aus den Nordhlanden verstoßen wurde. Der letzte Halt in einer alten Welt, die sich langsam vor ihr verschloss. Aber nun hatte sie einen Schlüssel gefunden. Sie zitterte – aus Vorfreude oder aus Angst.

»Mich durchfährt eine Erregung, die mich mit Glück erfüllt … und doch ertrage ich den Anblick der Festung kaum …« Sie flüsterte gegen den Wind, aber ihre Schwestern hatten sie gehört. Sanft berührten sie die Hände, die sich in das Holz der Reling gruben. Lyrelles Haut spannte frostig, in ihrem Leib rumorte die Magie. Die Kraft, die sie im Blut der Eiselfen trug, dürstete nach Befreiung.

»Bald wird es dir wieder besser gehen!« Die Ältere verengte die grünen Augen, als versuchte sie, mit Lyrelle zu fühlen, aber ihr Nicken beruhigte nur ihr Gewissen. Keine der beiden Ziehschwestern – die auf den Inseln geboren waren – konnte nachfühlen, was es hieß, aus der Heimat verstoßen zu werden, im Nacken den Atem des Unterdrückers, und die Spitze seines Schwerts zwischen den Rippen. Bereits im Leib ihrer Mutter hatte Lyrelle es gefühlt.

Und doch war dieses kalte Land schön und rau wie ein ungeschliffener Kristall: Weiß glänzende Steilwände mit Einschlüssen gefrorenen Lebens darin. Der Schnee, der um die Burg herum fiel, schien sie von der Welt zu entrücken – ein Ort, wie geschaffen für die Genesung der Seele, dachte Lyrelle.

Ihre Finger fanden das Medaillon an ihrer Brust; als sie es öffnete, sah sie in zärtliche Augen. Aber sie erinnerte sich, dass sie neu beginnen musste. Das Leben auf den Inseln lag hinter ihr, nun stieß sie unbekannte Tore auf. Wenn es dem Schicksal gefiel, würden sie sich vielleicht wieder sehen …

Ihr Prinz hatte versucht, sie zurück zu halten. Noch vor einem Tag hatten sie in den grünen Hügeln gelegen und zum leuchtenden Horizont geblickt. Immer wieder hatte er ihre Lippen gesucht und ihren Nacken gestreichelt. »Bleib bei mir!«, hatte er gefleht; er ahnte, dass sie sich in Gefahr begab. Sie hatte gelacht und sich auf ihn gerollt, ihr Haar war in sein Gesicht gefallen. Er hatte versucht, sie zu sich zu ziehen, doch sie hatte sich gegen seine Brust gestemmt. »Ich tue, was immer ich tun muss«, hatte sie gesagt und die Augen verengt. Sie verachtete die Qual in seinem Blick. »Du weißt, der Frieden ist mir das höchste Gut«, hatte er geflüstert, aber sie war wortlos aufgestanden. Seine Schwäche half ihr nicht weiter.

Sie schob das Mitleid der Schwestern fort, dann riss sie die Kette von ihrem Hals. Sie schloss ihre Faust darum, als sie spürte, wie ihre Gefühle die Magie weckten. Es würde sie aufhalten, egal, was sie tat. Also beugte sie sich über die Planken und ließ das Medaillon in die Wellen sinken. Sie hielt sich am Holz fest, weil sie glaubte, sich sonst hinterher zu stürzen.

»Wir sind immer bei dir.« Die Jüngere, die noch kunstvollere Zöpfe trug, blickte mitfühlend wie ihre Schwester, aber Lyrelle sah in ihren Gesichtern, dass sie nie verstehen würden, was sie durchlebte, was in ihrem Innersten wühlte. Die tiefe Pein der herausgerissenen Seele, die Demut, von Hieben und Ketten erzwungen. Eine süß lachende Finsternis war lange das Einzige gewesen, was sie empfing – aber jetzt endlich gab sie ihr Kraft, und Lyrelle stellte sich ihrem Schicksal, das die Klinge der Gerechtigkeit in ihren Schoß legte. Sie richtete sich auf und lächelte; dabei fühlte sie, wie ein Nagel brach.

Sie hob die blutige Hand und sah, dass ihre Finger gefroren waren. Die Magie sucht einen Weg hinaus, dachte sie und rieb die Handflächen gegeneinander. Dazwischen knirschte das Eis. Vorsichtig senkte sie die Hände auf das Holz, mit einem Lidschlag war die Planke von Reif überzogen.

Lyrelle war dankbar für die langen Ärmel des Inselkleids, die ihren Ausbruch vor den Schwestern verbargen. Sorgsam trat sie einen Schritt zurück und verschränkte die Finger ineinander. Die magische Kraft pulsierte in ihr so stark wie niemals zuvor.

 

* * *

 

Winterluft zog durch die Fensterläden und mischte sich mit dem Duft von Brennholz und staubigem Pergament. Auriel saß zwischen den Bücherborden; selbst ihr füllig gewordener Leib schien klein an dem Pult, das von Schriften begraben war. Sie streichelte ihren Bauch, um Ruhe zu finden, während Támin im Raum umherwanderte. Er gestikulierte mit dem Griffel, den er der Königin weggenommen hatte.

»Aeskae ist nicht einfach ein Baum, Majestät, es ist die Herrschaftsesche – die Krone, die dem König die Macht verleiht.« Der Skalde ging zum Fenster und lehnte sich an die Holzläden, die mit der Kälte der Polarnacht auch das wenige Licht abschirmten, das in die Bibliothek fallen konnte.

Ohnehin waren die Tage des neuen Jahres nur grau in grau, dachte Auriel. Schneewolken und Nordlichter, gegen die die Sonne nicht ankam. Sie spürte den Frost in ihren Gliedern und rieb über ihren Bauch, als könnte sie die Wärme darin wecken.

»Habt Ihr verstanden?«, fragte Támin und hob den Griffel wie einen Taktstock, der ihren Einsatz erwartete. Er registrierte es im selben Moment, kam zu ihr zurück und legte das Instrument nieder. »Schreibt es noch einmal!«, verlangte er.

Auriel rief sich in Erinnerung, was er den ganzen Morgen betont hatte. Gleichförmig rezitierte sie: »Die Esche ist das Symbol für die Weisheit, das Wissen um die Gestirne und die Ahnen, aber gleichzeitig die tiefe Verbundenheit des Herrschers mit seinem Volk.« Schon bei ihrer Hochzeit hatte man es so verkündet. »Ein Synonym für die Krone …« Mit einem Ziehen drehte sich das Kind in eine neue Position. Auriel sah auf ihre Hände, die die Spannungen massierten. Beinahe fühlte sie den kleinen Ozean, den der Thronfolger um sich versammelt hatte.

Der Skalde wiegte den Kopf hin und her. »Vielleicht sollten wir pausieren, Majestät. Ich bin unsicher, wie viel Ihr Euch zumuten dürft …«

Auriel schüttelte den Kopf. »Ich möchte so viel es geht über die Sprache der Nordleute lernen!« Und er musste zu seinem Wort stehen.

Sie nahm den Griffel von der Tischplatte und setzte ihn auf die Wachstafel. Sauber schrieb sie die Zeichen, die sie gelernt hatte, zwischen die vorgezogenen Zeilen. Sie wiederholte: »Die gerade Linie, wie ein Stamm mit zwei Ästen, ist Aeskae, die Herrschaftsesche, die für den König steht.« Der Skalde nickte knapp, und sie setzte neu an. »Dieses hier ist der Krieg.« Links daneben schrieb sie etwas, das für sie einen Bogen darstellte: Drei Linien, in einem Punkt verbunden. Sie deutete auf beide Zeichen und kombinierte: »Die Herrschaft des Krieges.«

Der Dichter verschränkte die Arme und trat auf das andere Bein. Wieder nickte er schweigend.

Davor schrieb sie das Zeichen, das Glück bedeutete: Ein Dreieck, das auf der Spitze stand. »Auja?«, fragte sie unsicher.

Támin hob an zu erklären, doch sie las es in seinem Blick. Ruhig sah sie auf das Bienenwachs, nur noch die Präposition fehlte. Sie suchte in den Zeilen darüber … Endlich fiel es ihr wieder ein.

Als sie fertig war, las sie vor: »Auj-und-stridh-aeskae. Zufrieden unter der Herrschaft des Krieges …«

Támin hob die Brauen wie sie, aber nicht, weil er den Wappenspruch seltsam fand.

»Die Aussprache ist noch nicht korrekt, Majestät. Das Ae am Ende müsst Ihr betonen, die Nordländer sprechen Endungen mit Klang – anders als in Eurem Volk, wo man sie verschluckt …«

Sie nickte. »Wie bei meinem Pferd: Svanvidhe …«

Am Zucken seiner Mundwinkel erkannte sie, wie sehr sie das Wort verunstaltete. Sie bemühte sich noch einmal, und er nickte mit schmalen Lippen.

Auriel atmete auf, das Kind in ihrem Bauch streckte sich. Sie legte den Griffel beiseite und rieb wieder über das Kleid, das Kaminfeuer wollte nicht bei ihr ankommen.

»Habt Ihr noch Fragen dazu?« Támin schien die Lektion beenden zu wollen, aber sie hielt ihn zurück.

»Natürlich!«

Einen Moment schien er zu kämpfen, zweimal glitt sein Blick zur Treppe. Mit einer Geste bat er sie fortzufahren.

Auriel nahm das Werkzeug auf. »Weshalb sehen das Zeichen für Zufriedenheit«, sie schrieb noch einmal das Dreieck, »und das Zeichen für Frieden so ungleich aus?« Sie erinnerte sich daran, dass sie aus den drei Linien, die Krieg bedeuteten, eine weglassen konnte, um den Sinn zu verändern – so als wäre der symbolische Bogen zerbrochen, obwohl ihr Lehrmeister betont hatte, dass diese Regel nur Kinder gebrauchten. In Wahrheit waren die Runen weit mehr als die Darstellung vereinfachter Bilder. Sie waren die Verschriftlichung von Lauten und ganzen Wörtern, die Gelehrte erdacht hatten, um eine Kommunikation aus der Einfachheit zu ermöglichen. Nur mit der Interpretation konnte man weit danebengreifen. Was Auriel in den Zeichen zu sehen glaubte – Bäume, Waffen oder Dächer – wuchs aus Erinnerungen an Dinge, die sie kannte. Die abstrahierte Ebene fiel ihr schwerer, sie ergab keinen Sinn.

Támin blickte so geheimnisvoll, dass sie nicht wusste, ob er sie auslachte oder ihr etwas offenbaren wollte. Nun schien er wieder ganz ruhig zu sein. Er hob an, es ihr zu erklären, aber dann unterbrach er sich selbst. Mit der Hand deutete er auf Auriel. »Ihr seid klug, Majestät, warum sagt Ihr es mir nicht?« Seine Augen ruhten auf ihr.

Sie starrte auf das Pult und freute sich heimlich über das Lob. Noch einmal ging sie alle Zeichen durch, dabei dachte sie über das Wesen der Eiselfen nach: Die Verbissenheit, die sie bei ihnen kennen gelernt hatte, passte gut zu dem Wappenspruch, den der verstorbene König einführte. Seine Züge, durchfurcht von Hass, standen Auriel noch vor Augen.

Ratlos hob sie die Schultern, dann sagte sie das Einzige, was für sie Sinn ergab: »In der Sprache der Nordischen sind wohl Frieden und Zufriedenheit nicht verwandt …«

Támin klatschte in die Hände.

---ENDE DER LESEPROBE---