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»Es war nur wenige Monate her, da hätte er die Krone mit Freuden seinem Rivalen überlassen. Aber nun ging es um mehr. Er fühlte, dass ihre Sicherheit auf dem Spiel stand – seine eigene, aber auch die seiner Schwester, seines Freundes und seiner Königin. Und das Schicksal eines ganzen Volkes.« Auriel fühlt sich einsam hinter den Mauern von Ángthurvest. Der König bereist sein Land, um seine Angelegenheiten zu regeln, und lässt seine Frau allein zurück. Erst als sie ein aufwühlendes Schreiben erreicht, sieht sie ihre Chance gekommen, Lúthien zu helfen. Gemeinsam ziehen sie tief in den Osten des Landes, wo ein Tyrann das Volk der Trolle unterdrückt ... »Thírions Erbe« ist der zweite Teil der EISELFEN-Saga, die von Feindschaften der Völker erzählt – und von Leidenschaft, die den Hass überwindet.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Josefine Gottwald
EISELFEN
THÍRIONS ERBE | Band 2
Copyright © 2022 Josefine Gottwald
Markt 9 | 01816 Bad Gottleuba-Berggießhübel | [email protected]
Umschlaggestaltung: Isis Sousa, www.helheimendesign.no
Innenillustrationen: Martin Mächler
Lektorat/Korrektorat: Jana Isabella Treuter
Alle Rechte vorbehalten.
Inhalt
Titel
Prolog
Leere Hallen
Thírions Erbe
Der Herr des Berges
Die Autorin
Zum Weiterlesen …
Der Troll hatte einen unverzeihlichen Fehler begangen. Er wusste, seine Strafe dafür konnte nur der Tod sein. Doch das Einzige, was ihm dabei leidtat, war, dass er nun nicht mehr für seine Familie sorgen konnte. Er streifte das Weibchen mit einem Blick, als man ihn an der Menge vorbeizerrte. Die Kindlein rieben sich vor Kummer die Augen, dicke Tränen rollten über ihre rundlichen Gesichter, ihre Quastenschwänze zuckten vor Aufregung.
Er hatte Angst – viel mehr als sie wahrscheinlich –, aber er versuchte, es ihnen nicht zu zeigen. Er musste stark sein, damit sie weiter hoffen konnten – in einem Land, in dem es keine Hoffnung mehr gab … in dem Willkür herrschte, weil der gerechte König weit fort war. Nun lag es bei den Jüngeren – bei seinem Sohn –, das Trollvolk in den Aufstand zu führen, auch wenn ihr Kampf Opfer forderte. Ohne Gegenwehr ließ er sich von den Männern weiterschieben.
Die Menge murmelte und protestierte; es gab nur wenig Jubelschreie. Selbst die Höheren, die großgewachsenen Elfen, genossen das Schauspiel nicht. Sie waren hochmütig, aber doch unterwürfig genug, ihrem Fürsten in seinem Wahnsinn zu dienen. Sie fürchteten den Trollaufstand. Vielleicht hatten auch sie Angst um ihre Kinder …
Das Schafott stand in der Mitte des Burghofs. Als man ihn hinaufstieß, suchte er mit den Augen die dichten Haarschöpfe der Kindlein. Sechs Enkel hatte ihm sein Sohn geschenkt: Rotes, braunes und schwarzes Haar, eine wuselnde Menge aus kurzen Ärmchen und Beinchen. Lachende Stimmen … Wenigstens die Erinnerung wollte er mit ins Jenseits nehmen. Er betete für ihre Zukunft.
Die Kleinen verstanden noch nicht, wofür er bestraft wurde. Aber sie fühlten, wie ihre Eltern sie eng an sich drückten, die Augen voller Verzweiflung. Sie hatten erkannt, wie man ihn richten würde; sie hatten die Ketten gesehen.
An allen vier Seiten legte man ihn in Eisen. Zwei Schellen um die Handgelenke und zwei um die Füße. Ihr Rasseln klang nervös, als die Ponys anzogen. Er musste auf dem Rücken liegen und konnte nur noch in den grauen Himmel starren, während die Ketten durch metallene Ösen schliffen. Das war das Geräusch des Todes. Er suchte nach einem Zeichen der Götter, die dort über den Bergen wohnten. Aber wenn es sie gab, waren sie nicht hier – in der Stunde, als sein Abschied nahte. Bald würde er vielleicht bei ihnen sein. Dann hätte zumindest sein Leid ein Ende und er konnte in Frieden auf die Seinen warten.
Der Elfenfürst verlas die Anklage selbst; es schien ihm ein persönliches Vergnügen zu sein. Sein Sohn, der junge Prinz, stand neben seiner Mutter auf einem Balkon der Burg, Mitleid in den Zügen. Schon hundertmal hatte er dieses Schauspiel gesehen, und vielleicht würden hundertmal mehr ausreichen, um ihn kalt und grausam genug zu machen, dass er seinem Vater ein ebenbürtiger Nachfolger wurde.
Der Herrscher kam zum Schluss; er fragte nicht nach letzten Worten. Seine Hand machte eine Bewegung, die über Leben und Tod entschied. Die Ponys wurden vorangeführt und der Troll hörte sein Weiblein kreischen. Es kam ihm vor, als ob es ihr Schrei war, der seinen Leib zerriss. Er sah seine Glieder in alle Richtungen fliegen. Dann verließ er diese Welt.
Ungeduldig schritt Auriel durch den gläsernen Turm. Ein Bote hatte die Rückkehr des Königs angekündigt, die sie seit Tagen erwartete; und nun musste sie kontrollieren, ob alles vorbereitet war. Sie hatte herausgefunden, dass Lúthien es genau wie sie mochte, wenn die Sonne durch das Kristalldach fiel; aber nun, da der Schnee taute, brauchte sie nicht mehr hinaufzusteigen, um den Winter mit Magie zu vertreiben. Das Licht flutete das obere Stockwerk des höchsten Turms von Ángthurvest, den Auriel mit ihm allein bewohnte. Eine Halle verband die Räume mit eleganten Türbogen und legte sich wie ein Ring um eine schlanke Wendeltreppe.
Die Zofe Jordis, das Menschenmädchen, folgte der Königin vom Baderaum in das Ankleidezimmer. Lúthiens Vorfahren hatten eine Konstruktion gebaut, die das Wasser bis in die Bäder herauf beförderte – nur wie sie funktionierte, hatte er seiner Frau nicht erklärt.
Nach dem Bad in den reinigenden Tannölen fühlte sich Auriel sauber und erfrischt – bereit, den König zu empfangen, auch wenn es bis dahin noch viel zu schaffen galt.
Sie schleifte den Morgenmantel hinter sich her und ging in Gedanken noch einmal das Mahl durch, das sie auftragen lassen wollte. Bei nahezu jedem Essen servierte man Fisch, weshalb sie sich entschieden hatte, einige der Fasane aus den Volieren stopfen zu lassen. Sie wollte Lúthiens Empfang zu einem Fest machen, das es ihn genießen ließ, heimzukehren. Beim Gedanken daran seufzte sie – beinahe resigniert, doch sie war entschlossen, noch nicht aufzugeben.
Seit das Frühjahr sich ankündigte, war der König viel auf Reisen. Er besuchte die Fürsten und Großfürsten, die ihn in die Provinzen einluden, und strukturierte manches um in seinem Land – zum Ärger der Berater des alten Königs. Mit Thírions Tod war auch ein Teil der früheren Ordnung gestorben, die Lúthien seinen eigenen Vorstellungen anpasste. Auriel konnte das gutheißen: Meist bedeutete es weniger Aufstände und bessere Handelsbeziehungen. Aber von den konkreten Dingen bekam sie nur wenig mit, und auf seine Reisen durfte sie den König nie begleiten.
Sie erinnerte sich wieder an das Essen und war gerade beim letzten Gang angekommen – einer Süßspeise aus Honig und Schafsmilch –, als Jordis die Kleidertruhe für besondere Anlässe aufschlug. Auriel hatte sich lange überlegt, worin sie ihren Gatten empfangen sollte, und sich dann für ein Mantelkleid in einer leuchtenden Farbe entschieden, die für die Eiselfen ganz und gar ungewöhnlich war. Doch als sie es nun in den Händen hielt – mit seinen Ebenholzfibeln und den Stickereien an der Taille –, war sie nicht mehr sicher, ob sie ihm darin gefiel. Es war nicht nur untypisch für seine Hallen und sein ganzes Reich, sondern gleichzeitig ein Symbol für ihre Unangepasstheit an seine Kultur. Andererseits musste er registrieren, dass sie trug, was er ihr zum Geschenk gemacht hatte. Er brachte es ihr von einer der Reisen mit, ebenso wie die anderen Dinge, die ihre Räume zierten: Ein bunter Vogel, der für sie singen sollte, Kämme aus Elchgeweih – der Form von Pferden nachempfunden –, die sie sich ins Haar stecken konnte, Halsringe aus Palladium, die Tageslicht in allen Farben reflektierten … Lúthien hatte schnell verstanden, dass man eine Frau nicht mit Jagdtrophäen begeistern konnte – oder sein Freund Támin hatte es ihm erklärt. Und nun begegnete Auriel überall in ihrem Umfeld den Zeichen der höflichen Wertschätzung seiner Majestät.
Er war stets zuvorkommend zu ihr, auch in der Nacht, und Auriel wusste, dass er viele Verpflichtungen hatte. Trotzdem hegte sie den Verdacht, dass er nicht richtig mit ihr umzugehen wusste und deshalb jede Gelegenheit nutzte, vor ihr zu fliehen. Wahrscheinlich machte es das Land stabiler, einen zurückhaltenden König zu haben, aber Auriel machte es einsam. Zwar hatte sie ein paar Damen am Hof, aber die schienen allenfalls dazu gut, die Soldaten für ihre Wettkämpfe zu motivieren.
Während Jordis ihr das Kleid schnürte, sah Auriel aus dem Fenster und verstand sich selbst nicht mehr, als sie spürte, wie sehr sie sich nach der Wildnis da draußen sehnte. In den Auen ihrer Heimat war sie noch im Sommer barfuß durch das nasse Gras gelaufen – das war nicht einmal ein Jahr her. Sie hatte mit ihren Schwestern gesungen und mit ihrer Mutter den Tempel mit Efeuranken geschmückt, die sie fast von den Bäumen reißen musste, so sehr klammerten sie sich an die Rinde. Bei dem Gedanken an das Gesicht ihrer Mutter, als sie einmal mit dem Haar voller Kletten und zerfetztem Rock zurückkehrte, musste sie lächeln. Hier gab es für sie keinen Tempel, nur einen kleinen Altar, an dem sie ihren Ahnen huldigen konnte. Aber immerhin gab es auch Jordis.
Während das Mädchen ihr die Locken zurücksteckte, fragte es Auriel nach ihrem Befinden. Die Königin bedankte sich und versuchte, sich wieder zu konzentrieren. Als sie in den Spiegel sah, war sie sich noch immer nicht sicher mit dem Kleid, aber was sie sagen konnte, war, dass es zumindest ihr selbst gefiel.
Aus dem Nebenraum hörte sie das Pfeifen des Eisvogels, der vergeblich versuchte, einen Partner anzulocken. Wie er in seinem Käfig aus Kupferdraht umherhüpfte, erinnerte er Auriel an die alte Ballade, die sie sich zu spielen verbot, seit sie diese Räume bezogen hatte – aus Angst, Lúthien könnte es als undankbar empfinden. Mehr als einmal hatte sie sich gefragt, ob sie es sich erlauben konnte, den Vogel freizulassen; doch dann hatte sie es nicht gewagt.
»Er ist fröhlich heute«, bemerkte Jordis, und Auriel fiel auf, dass auch das Mädchen die ganze Zeit lächelte und summte, als gäbe es nichts Schöneres als die Rückkehr des Herrschers, der sie entführt und eingesperrt hatte – genau wie Auriel.
»Freust du dich auf das Fest?«, fragte sie mit der Stimme der Königin, die inzwischen genau abwägen konnte, wann ein Gespräch zu persönlich wurde.
Jordis wirkte ertappt; sie begann zu stammeln, und Auriel wurde hellhörig. Da ihre Diener gut zu essen bekamen und nicht tanzen durften, bedeutete ein Fest für sie eigentlich nur mehr Arbeit, außer vielleicht, sie genossen die Musik und die Unterhaltung. Aber die Röte auf Jordis' Wangen sprach für etwas anderes.
»Freust du dich, jemanden wiederzusehen?«, wollte Auriel wissen und war plötzlich ganz versessen auf allen Klatsch und Tratsch, wenn er nur irgendeine Abwechslung bot.
Jordis schien nicht zu wissen, wie viel sie ihr anvertrauen wollte. »Es gibt einen Elf, der mir oft Blicke zuwirft«, gestand sie. »Er gehört zum Gesinde.«
Auriel lächelte zufrieden. Sie wusste zwar nur vom Hörensagen von Verbindungen zwischen Elfen und Menschen, aber sie hielt es für möglich und freute sich für das Mädchen. In letzter Zeit hatte sie nicht oft daran gedacht, dass ihre Zofe so einsam wie sie selbst sein mochte; ihr kam es immer vor, als würden die niederen Stände mehr Freiheit genießen. Sie durfte ja nicht einmal ihr Haar selbst flechten … Aber inzwischen hatte sie es Jordis gut beigebracht.
Während sie durch die runde Halle zur Treppe eilten, plauderten sie über die Dienerschaft am Hof. Sie lachten über die Tollpatschigkeit des Knechts, der die Köchin zur Weißglut trieb, und bewunderten die Duldsamkeit der Mägde, wenn sie den Sonderwünschen der feinen Damen nachkamen.
Als Auriel am Altar ihrer Ahnen vorbeischritt, legte sie ein Zweiglein in die Räucherschale und sandte einen Gruß an ihre Mutter. Sie beschloss, Lúthien endlich zu bitten, sie das nächste Mal mitzunehmen. Vielleicht würde er ja ein Einsehen haben.
Dann wandte sie sich ab und lief zur Treppe, wo sie fast mit dem König zusammenstieß. Mit offenem Mund sah sie ihn an, während Jordis tief knickste und sich ein paar Schritte entfernte.
»Du kommst zu früh!«, entfuhr es Auriel. Ihre Pläne stürzten zusammen wie ein Strohfeuer.
Der König überhörte es. Er verneigte sich vor ihr und sie tat dasselbe. Sie erkannte aus dem Augenwinkel, dass er unter seinem Arm einen Keramiktopf mit einer Pflanze trug, und dass seine Kleider schmutzig und feucht von Schweiß und Schnee waren.
»Lúthien«, wollte über ihre Lippen kommen, aber das Wort steckte noch in ihrem Hals, als sie seinem Blick begegnete. Er hatte eine ernste Falte auf der Stirn, und Auriel wusste plötzlich gar nicht mehr, worüber sie eben noch gelacht hatte.
»Königin Auriel, stets schön wie das Morgenlicht«, sagte er förmlich. Er küsste ihre Hand und zeigte ihr das Gewächs, ohne ihr den schweren Topf zu überreichen. Es war ein Liebesbäumchen, das er aus ihrer Heimat mitgebracht hatte, eine Weidenart mit feiner violetter Rinde, deren Zweige sich in fröhlichen Kringeln wanden und wenn sie alt genug waren, ein heilendes Sekret absonderten. In den Auen sagte man, der Baum wuchs, so lange eine Liebe Bestand hatte, und wurzelte ebenso in die Tiefe, wie er zu den Sternen am Himmel strebte.
»Die Königin der Auenelfen lässt dir Grüße überbringen.« Lúthien bekam es noch immer nicht fertig, von Askvára als ihrer Mutter zu sprechen. Auriel konnte sich vorstellen, dass das Treffen eher kühl abgelaufen war.
Er reichte ihr einen versiegelten Brief und sah dabei aus, als würde er sich ärgern, ihr Bote sein zu müssen. Sie bedankte sich und ging aus dem Weg, während er die restlichen Stufen hinaufstieg und das Geschenk vor der Wand abstellte.
»War die Reise beschwerlich?« Auriel folgte ihm und griff an seine Schultern, um seinen Mantel zu nehmen. Sie spürte, wie steif und verspannt er war, und am liebsten hätte sie ihn umarmt, ihn um irgendeine Berührung gebeten, die mehr als reine Etiquette war.
Auriel reichte den Umhang an Jordis weiter, behielt aber den Brief in den Fingern und drehte ihn unsicher hin und her. Sie würde ihn bitten müssen, ihr die Nachricht vorzulesen, aber sie glaubte, dass es nicht der richtige Moment war.
»Die Wege sind steil und steinig«, meinte er gedankenlos, aber seine Augen sagten: Nichts für eine Frau.
Auriel hatte genug von diesen Blicken. Die Anspannung erschöpfte sie und sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte, um nur einmal das Richtige für ihn zu tun.
Die Frage, ob er sie das nächste Mal mitnehmen würde, verlor jegliche Bedeutung, wenn sie sie überhaupt gehabt hatte. Auriel versuchte es mit Anmut. Sie legte die Hand noch einmal auf seine Schulter – dicht bei seinem Nacken, wo er sie durch die Kleider besser spürte als durch die Rüstung – und verstärkte ihren Griff, als ob sie ihn massieren wollte. Er sah sie an, als wüsste er damit nichts anzufangen, aber sie erklärte: »Ich könnte dir deine Reisen sicher angenehmer machen, wenn ich in deiner Nähe wäre …«
Er durchschaute sie sofort und schob sie weg. »Das ist zu gefährlich für dich.«
Statt einer weiteren Annäherung wagte sie nur einen bittenden Blick. »Ich würde wirklich gern mehr von meinem neuen Land kennenlernen«, sagte sie, in der Hoffnung, dass es ihm etwas bedeutete.
Er wich ihr aus. »Es ist das Beste so.« Mit einem Schritt in Richtung seiner Räume erklärte er die Diskussion für beendet.
Sie sah ihm nach und hob noch einmal die Stimme. »Zeigst du mir irgendwann einmal das Land?«
Aber er nahm ihr jede Hoffnung. »Dein Platz ist hier, in der Burg«, erklärte er, ohne sie anzusehen. »Entschuldige mich, du weißt, dass ich meine Verpflichtungen habe.«
Sie nickte gehorsam. Dann ließ er sie stehen.
* * *
Auriel ließ das Bäumchen in die gläserne Halle pflanzen, in einen Krug, der halb so hoch war wie sie selbst und mit einem marmornen Mosaik verziert.