Endstation Hauptbahnhof - Ingvar Ambjørnsen - E-Book

Endstation Hauptbahnhof E-Book

Ingvar Ambjörnsen

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Beschreibung

Keine Macht den Drogen! – Wie zahlreiche Jugendliche auf der ganzen Welt folgen Oslos Teenager diesem Motto nur bedingt. Jugend forscht eben gern, findet Peter, und lässt es damit gut sein. Als jedoch ihm nahestehende Menschen drohen, im Drogensumpf zu versinken, ergreifen er und der Prof die Initiative. »Hallo?« Es war Lenas Stimme, kein Zweifel. Aber seit unserem letzten Gespräch war etwas mit ihrer Stimme passiert. Etwas, von dem sich mein Bauch verkrampfte, das mir Angst machte. »Peter? Bist du das, Peter?« Ihre Stimme war bleischwer. Schwer und nuschelnd. »Ja. Stimmt was nicht?« »Stimmt was nicht? Wieso denn?« »Weiß nicht. Du hörst dich so fertig an.« »Alles klar. Wollte bloß …« Sie verschwand. Nach ihrem letzten gemeinsamen Abenteuer haben Peter und der Prof mit Schulschläger Filla Frieden geschlossen, Kopfzerbrechen bereitet er ihnen jedoch nach wie vor. Filla lebt im Jungenwohnheim »Hoffnung« – besser gesagt: lebte! Nachdem er und sein Kumpel Stein die Küche des Wohnheims kurz und klein geschlagen haben, ist er abgehauen und untergetaucht. Bereits in der Vergangenheit hatte Filla Drogenprobleme, und es steht zu befürchten, dass er rückfällig geworden ist. Als Peter und der Prof der Sache nachgehen, wird ihnen klar, dass die beiden Jungen Gründe für den Amoklauf gehabt haben müssen. Nur welche? Peter indes beschäftigt ein zusätzliches Problem: Die Begegnung mit einem wundervollen Mädchen weckt in ihm neue, bisher unbekannte Gefühle. Und in Lenas Leben scheint einiges schief zu laufen … »Endstation Hauptbahnhof« ist der zweite Band der Jugendkrimi-Reihe Peter und der Prof – alle Macht den Freunden! Aus dem Norwegischen übersetzt von Gabriele Haefs.

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Ingvar Ambjørnsen

Endstation Hauptbahnhof

Peter und der Prof

Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs

Copyright © 1988, Ingvar Ambjørnsen

Übersetzt von Gabriele Haefs

Copyright der überarbeiteten eBook-Ausgabe © 2013 bei Hey Publishing GmbH, München

Die Norwegische Originalausgabe erschien 1988 unter dem Titel »Døden par Oslo S« im J.W. Cappelens Forlag, Oslo

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: Sarah Borchart, ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: FinePic®, München

Autorenfoto: © Christine Poppe

ISBN: 978-3-942822-64-0

Endstation Hauptbahnhof ist der zweite Band der Jugendkrimi-Reihe Peter und der Prof. Eine Auflistung weiterer Titel finden Sie am Ende des Buches (bitte hier klicken).

Ingvar Ambjørnsen im Internet:

www.ingvar-ambjoernsen.de

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Keine Macht den Drogen! – Wie zahlreiche Jugendliche auf der ganzen Welt folgen Oslos Teenager diesem Motto nur bedingt. Jugend forscht eben gern, findet Peter, und lässt es damit gut sein. Als jedoch ihm nahestehende Menschen drohen, im Drogensumpf zu versinken, ergreifen er und der Prof die Initiative.

»Hallo?« Es war Lenas Stimme, kein Zweifel. Aber seit unserem letzten Gespräch war etwas mit ihrer Stimme passiert. Etwas, von dem sich mein Bauch verkrampfte, das mir Angst machte.

»Peter? Bist du das, Peter?« Ihre Stimme war bleischwer. Schwer und nuschelnd.

»Ja. Stimmt was nicht?«

»Stimmt was nicht? Wieso denn?«

»Weiß nicht. Du hörst dich so fertig an.«

»Alles klar. Wollte bloß …«

Sie verschwand.

Nach ihrem letzten gemeinsamen Abenteuer haben Peter und der Prof mit Schulschläger Filla Frieden geschlossen, Kopfzerbrechen bereitet er ihnen jedoch nach wie vor. Filla lebt im Jungenwohnheim »Hoffnung« – besser gesagt: lebte! Nachdem er und sein Kumpel Stein die Küche des Wohnheims kurz und klein geschlagen haben, ist er abgehauen und untergetaucht. Bereits in der Vergangenheit hatte Filla Drogenprobleme, und es steht zu befürchten, dass er rückfällig geworden ist. Als Peter und der Prof der Sache nachgehen, wird ihnen klar, dass die beiden Jungen Gründe für den Amoklauf gehabt haben müssen. Nur welche?

Peter indes beschäftigt ein zusätzliches Problem: Die Begegnung mit einem wundervollen Mädchen weckt in ihm neue, bisher unbekannte Gefühle. Und in Lenas Leben scheint einiges schief zu laufen …

»Endstation Hauptbahnhof« ist der zweite Band der Jugendkrimi-Reihe Peter und der Prof – alle Macht den Freunden!

Ein Spieler steht mit dem Rücken zur Wand

Als ich fünf Jahre alt war, überredete mich mein Vater einmal zu einer Partie Mensch-ärgere-dich-nicht. Er wusste nicht, was er tat. Denn seit damals bin ich total scharf auf Spiele. Ich spiele einfach alles. Monopoly, Scrabble, Scotland Yard, Domino, Schach. Beim Schach werd ich von meinem Kumpel, dem Prof, allerdings immer gründlich fertig gemacht. Der Prof wohnt einen Stock unter mir. Aber an seinem Spitznamen kannst du ja schon sehen, dass er fast überall der totale Prof ist. Ein Überflieger in der Schule und auch sonst ein unverzichtbarer Begleiter.

Aber an diesem Tag war der Prof weit weg und ich hatte gerade am Flipper in so einem Loch in der Innenstadt von Oslo fünfundsiebzig Eier verspielt. Ich hatte ganz einfach den Kopf verloren, wie man sagt. Das klingt vielleicht nicht so gefährlich. Aber die fünfundsiebzig Kronen waren genau die Hälfte von dem Geld, das mir Mutter mitgegeben hatte. Ich sollte mir nämlich neue Jeans kaufen, weil ein Laden gerade Ausverkauf machte.

Und eins muss ich ganz glasklar stellen, wo ich schon dabei bin. Meine Familie hat keine Notenpresse im Keller stehen! Wir haben ganz einfach wenig Kohle. Mutter verkauft in einem Theater Eintrittskarten und Vater wuselt mit Haaren bis zum Hintern herum und hält sich für einen Künstler. Fast immer ist er abgebrannt wie eine Kirchenmaus.

Deshalb war das einfach kritisch, um mich schonend auszudrücken. Natürlich hatte ich auch ein schlechtes Gewissen, wusste verdammt gut, dass Mutter sich für diese Eier abgeplackt hatte, mürrischen Leuten Eintrittskarten verkauft, die einen Blick auf Ibsen, Shakespeare und diesen Kram werfen wollen. Sie hatte mich in diesem Monat sogar meiner kleinen Schwester My vorgezogen. Hatte gedacht, eine neue Schulhose für mich wäre wichtiger als ein neuer Overall, den My im Kindergarten kaputtmachen könnte. Ich kann schon sagen, ich kam mir wirklich nicht wie ein Held vor, als ich die verdammte Stahlkugel anglotzte, die sich an einer gemalten Dame vorbei schlich und in ihrem Loch verschwand.

Vom Wetter war an dem Tag auch nichts Gutes zu melden. Es war Ende November und gerade der Monat ist in Oslo genauso schlimm wie überall sonst im Land. Es war fünf Uhr nachmittags und der Schneeregen kam waagerecht vom Fjord hereingetrieben, während der Himmel über dem Postgirogebäude und dem Hauptbahnhof voller drohender Wolken hing, schwarz wie ein Kohlenkeller. Ein böser Geist, der sich jederzeit auf die Straßen stürzen und in seiner Wut alles zerstören könnte. Und als ich eine Ladung frisch aufgewühlten Schnee in die Visage kriegte, dachte ich, der böse Geist wäre vielleicht schon gelandet, vielleicht schlugen seine Klauen so gewaltig zu und kratzten mich noch unter dem Schal.

Also nein. Abergläubisch bin ich nicht. Aber ich musste mir die Sache wirklich gründlich überlegen. Mir eine Erklärung für Mutter aus den Fingern saugen. Und Peter Pettersen, das bin ich, kann am besten denken, wenn er hinter einer Cola und einem Hamburger in einem Imbiss sitzt. Deshalb ging ich in den Burger King unten auf Karl Johan.

Dort saßen massenhaft Leute. Es waren noch mehr von schlechtem Gewissen und bösen Geistern hereingejagt worden. Ich bestellte das oben Erwähnte und fand einen nicht ganz überfüllten Tisch. Zwei Pakistaner in meinem Alter tranken Kaffee und redeten in rasantem Tempo auf Urdu, und eine Frau mit noch mehr Pickeln im Gesicht als ich trank Cola und glotzte in die Luft. Das war eine Gesellschaft, die mir ausgezeichnet passte.

Aber bloß dadurch, dass die Leute am Tisch nicht von der Nervsorte waren, wurde die Situation natürlich nicht im Geringsten verbessert. Was zum Henker sollte ich Mutter erzählen? Dass ich ausgeraubt worden wäre? Das wäre nun wirklich zu blöd. Ich meine, Leute, die Überfälle begehen, interessieren sich nun wirklich nicht für Fünfzehnjährige. Schließlich latschen wir selten durch die Gegend mit den Taschen voll Knete. Das Beste wäre vielleicht ganz einfach die Wahrheit zu sagen und dann die Schuld auf Vater und sein verdammtes Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel zu schieben. Aber diese Lösung gefiel mir auch nicht besonders. Ich bin wahrscheinlich nicht besser als die meisten anderen, stell ich mir vor. Aber mein Bauch verkrampfte sich total bei dem Gedanken daran, wie weh ihr die grausame Wahrheit tun würde. Außerdem wäre es ja trotz allem ein wenig zu krass, Vater auch noch mit hineinzureißen. Seitdem er vor ein paar Wochen aus einem Lagerjob gefeuert worden war, weil er morgens einfach nicht hochkam, hatte er ziemlich den Schnabel hängen lassen. Ich spielte mit dem Gedanken, den Prof anzurufen und zu fragen, ob er mir ein paar Mäuse leihen könnte, aber den Gedanken konnte ich gleich vergessen. Er hatte mittags, als wir aus der Schule kamen, versucht mich um einen Zehner anzuhauen. Mit anderen Worten: Die Situation war schwarz wie Tinte.

Mitten in der Cola sah ich Lena zum ersten Mal. In dem Moment hatte ich natürlich keinen Schimmer davon, dass die langbeinige Frau, die zur Tür hereinkam, Lena hieß, aber das spielte ja auch keine Rolle. Die Hauptsache war, dass mein Herz ein höheres Tempo einlegte, um es mal so zu sagen. Toll war sie! Grandios! Schon aus weiter Entfernung konnte ich sehen, dass sie blaue Augen von der schrägen Sorte hatte, die irgendwie ein bisschen chinesisch wirkten, und dass ihre glänzenden dunklen Haare über den Kragen auf ihre Daunenjacke flössen. Ich dachte, sie wäre vielleicht so alt wie ich oder ein bisschen älter, und phantasierte natürlich schon von ihr, ehe sie den Tresen erreicht hatte.

Die Tante vom Prof ist Christin. Sie glaubt an Wunder und solchen Kram. Seltsame Sachen, die irgendwie einfach passieren. Weiß nicht, was ich davon halten soll. Aber fest steht jedenfalls, dass ich einem Wunder nie näher gekommen bin als an diesem Tag bei Burger King. Denn wie in einem wilden Wunschtraum erhob sich die Frau mit den ganzen Pickeln und machte die Bahn frei. Und kaum war sie verschwunden, da glitt die tolle Frau auf ihren Platz ohne die Pakistaner oder mich zu fragen.

Ich versuchte mir einzureden, dass ich wirklich keinen Grund hätte, mir jetzt ganz toll vorzukommen, denn im Moment war im Imbiss wirklich kein anderer Platz frei, aber vielleicht ist das bei Wundern ja immer so. Und apropos Pickel: Über Nacht hatte ich mir ein solides Exemplar zugelegt. Einen von der Sorte, die nie so ganz zum Vorschein kommen und die stattdessen bedrohlich, rot und fies von unten gegen die Nasenhaut drücken. Aber na ja. Es wäre wohl auch zu viel verlangt, dass das Wunder zack meinen Pickel wegzauberte.

Bei Frauen bin ich immer stockblöd. Hab in einer Zeitschrift gelesen, dass das am Alter liegt, aber ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll. Jedenfalls konnte mir die Zeitschrift in diesem Moment überhaupt nicht helfen. Wenn ich nicht so doof wäre, hätte ich natürlich etwas Kluges von mir gegeben. Irgendwas, was gleichzeitig witzig und ein bisschen tiefsinnig war. Aber mein Gehirn war so leer wie Vaters Geldbeutel. Ich konnte ja schließlich nicht damit rausplatzen, wie toll ich sie fand - das wäre einen Tick zu aufdringlich gewesen. Eine Frau mit dem Aussehen hatte diesen Spruch auch bestimmt schon so oft serviert bekommen, dass sie ihn restlos satt hatte. Sie warf Pommes ein und trank Cola und schien an Schmeicheleien von mir oder sonst wem nicht das geringste Interesse zu haben.

Aber als sie fertig war, fischte sie eine Zigarette aus der Tasche und sah mich mit ihren chinesischen Veilchen so an, dass mir glatt schwindlig wurde.

»Hast du Feuer?«

Was bin ich für ein Idiot, dachte ich, was bin ich für ein Idiot, dass ich kein Feuerzeug bei mir habe, obwohl ich nicht rauche! So ein Feuerzeug ist doch immer nützlich, oder? Im Wald könnte ich damit Feuer machen, sogar noch, wenn das Holz ein bisschen feucht ist. Ich könnte das Dreckspapier im Hinterhof verbrennen. Oder ich könnte ganz einfach tollen Frauen Feuer geben.

»Sorry«, sagte ich. »Ich rauch nicht.«

Das »sorry« war mir gut gelungen, fand ich. »Sorry« ist so ein Wort, das irgendwie lässig aus dem linken Mundwinkel flutscht.

Aber ich ärgerte mich, dass ich nicht mit dem Rauchen angefangen hatte, wie andere in meiner Klasse. Von mir aus konnte das so ungesund sein, wie es lustig war. Ich hatte das ekelhafte Gefühl, dass sie mich für das totale Wickelkind hielt.

Einer der Pakistaner gab ihr mit einem roten Bic Feuer. Grinste sie mit unerträglich weißen Zähnen an. Und in seiner Visage gab es natürlich auch nicht die geringste Andeutung von so einem verdammten Pickel! Ich fand, diese Heinis sollten sich gefälligst verpissen, und zwar sofort. Sie hatten ihren Kaffee doch schon vor Ewigkeiten getrunken.

»Meine Fresse, was für ein Mistwetter!«, rutschte es aus mir heraus. Hatte wohl einen unterbewussten Wunsch, solchen Blödsinn zu vermeiden.

Doch. Da stimmte sie mir zu.

»Letztes Jahr um diese Zeit war ich auf Mallorca. Das war echt was anderes«, sagte sie lässig.

Himmel, dachte ich, es klappt, Peter! Aber ich nicht rauchender Trottel war natürlich noch nie auf Mallorca

gewesen. Ein kurzer Ausflug mit der Fähre nach Dänemark - und da hast du Peter Pettersens Auslandserfahrungen in einer Nussschale.

»Hab gehört, da soll's schön sein«, sagte ich. »Ich war kurz vor Weihnachten auf Beri.«

»Auf Beri?« Ein kleiner Unterton von Neugier hatte sich jetzt in ihre Stimme eingeschlichen.

Ich nickte. »Ja, auf Beri.«

»Nie von gehört. Wo liegt das denn?«

Ja, wo zum Henker konnte Beri wohl liegen? Vor ein paar Sekunden hatte ich ja auch noch nichts über Beri gewusst.

»Indischer Ozean«, brachte ich mühsam heraus und drückte die Daumen, dass sie keine Ahnung von Geografie hatte. »Tolles Inselchen. Kilometerlange Strände. Die Riesendisco!«

»Himmel!«, sagte sie. »Auf der anderen Seite der Welt, meine Güte!«

»Genau«, antwortete ich.

Sollte ich weiter lügen? Ihr von den wilden Stämmen erzählen, die sich im Inneren der Insel im Regenwald verstecken, vom Hai, der vier kleine Kinder verschlungen hat, die sich ins tiefe Wasser verirrt hatten? Von den Meerschildkröten, die gerade auf Beri tausend Jahre alt und so groß wie Volkswagen werden können, und von Peter Pettersen, der eigenhändig einen Corras von fast fünfzehn Kilo aus der blaugrünen Lagune gefischt hat?

Nein. Irgendetwas sagte mir, dass ich mich jetzt zusammenreißen müsste. Ich dachte an das Tagebuch von Trine aus meiner Klasse. Das Tagebuch, das Øyvind in einer Pause gemopst und gemeinerweise laut auf dem Schulhof vorgelesen hatte. Natürlich ist so was die totale Sauerei, aber ich konnte ja nicht vermeiden, dass ich einiges davon mitbekam. Und danach dachte ich, nun hätte ich wenigstens etwas über Mädchen gelernt.

»Ich liebe Frank«, hatte Øyvind aus Trines Tagebuch vorgelesen. »Weil er so anders ist. So ehrlich. Frank sagt alles so, wie es ist.«

Trine heulte und Frank fluchte.

Ich hätte nie gedacht, dass mir diese Sätze eines Tages in einem Imbiss in der Innenstadt eine Hilfe sein würden.

Ich wagte es einfach. Schlimmstenfalls würde sie mich auslachen. Und dann müsste ich mich eben verziehen.

»Verdammter Mist«, sagte ich. »Ich hab mich heute wirklich voll in die Kacke gesetzt.«

»In die Kacke gesetzt? Wieso denn?«

»Meine Mutter hat mir Kohle für eine Hose gegeben. Und dann hab ich den ganzen Mist dahinten um die Ecke am Flipper verdaddelt.«

Sie lachte. Himmel, die Frau konnte vielleicht lachen! Aber ich verzog mich trotzdem nicht.

»Alles?«

»Nein, nicht alles. Hab wohl noch sechzig Eier übrig, glaub ich. Ungefähr so viel. Das Problem ist bloß, dass wir so verdammt schlecht bei Kasse sind. Mutter wird total zusammenklappen, fürchte ich.«

Sie war mit ihrem schlimmsten Lachanfall fertig.

»Wollte nicht darüber lachen, wirklich nicht. Wenn sie in Ordnung ist, meine ich.«

»Verrückt, aber in Ordnung.«

Ich erzählte ihr, dass Mutter den Tick hatte, sich mit modischem Parfüm zu übergießen und in verrückten Kleidern voller Drachen und Pfauen in allen Farben herumzutoben. »Hippiekram«, erklärte ich.

Sie biss sich in die Lippe und sah mich nachdenklich an. »Weißt du was, vielleicht kann ich dir helfen!«

»Wie denn? In einer halben Stunde für sechzig Eier eine Jeans nähen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Gib mir die Knete und warte hier. Ich red mit einem Bekannten.« Sie schaute auf die Uhr. »Halbe Stunde oder so.«

Noch während ich in meinen Taschen nach der Kohle wühlte, dachte ich, dass Peter Pettersen sicher einer der größten Idioten auf der Welt sein müsse. Ich meine, ich bin doch schließlich nicht auf Beri oder sonst wo da unten aufgewachsen. Ich komme aus Oslo. Sogar aus Torshov. Und in dieser Stadt geben nur die Supertrottel einem Menschen, den sie noch nie gesehen haben, sechzig Eier mit - selbst wenn dieser Mensch wunderschön ist.

Aber ich hab's trotzdem getan. Gab ihr alles, was ich hatte und besaß.

»Okay!«, sagte sie und steckte Mutters Geld ohne nachzuzählen in die Tasche. »Welche Größe hast du denn? Wie heißt du überhaupt?«

»Peter. Über die Größe hab ich keine Ahnung. Muss immer anprobieren.«

»Dann steh mal auf! Lass dich ansehen!«

Ich stand auf und zog meine Daunenjacke hoch.

Sie nickte. »Dieselbe wie ich, glaube ich.«

»Vielleicht ein bisschen größer?«, meinte ich hoffnungsvoll.

»Jedenfalls keine längeren Beine«, gab sie zurück und damit hatte sie verdammt noch mal Recht.

Als sie gegangen war, musste ich schwer nachgrübeln. War ja auch kein totaler Grünschnabel mehr. Hatte Durchblick. Entweder würde ich weder Frau noch Kohle je wieder zu Gesicht bekommen oder ich würde in einer halben Stunde in eine handgestohlene Hose steigen können.

Muss meine Spielleidenschaft in den Griff kriegen, ehe ich restlos auf die schiefe Bahn gerate, dachte ich.

Blue jeans blue feeling

Eine halbe Stunde hatte sie gesagt. Eine Stunde verging. Ich schimpfte mich selber ordentlich aus und stand auf, um zu gehen. Ich hatte an diesem Nachmittag zwei verschiedene Spiele gespielt und beide verloren. Nun musste ich in der Straßenbahn schwarzfahren und zu Hause dem kalt gewordenen Essen und Mutters glühend heißer Verzweiflung gegenübertreten. Es war ein verdammter Mist.

Und da stand sie plötzlich vor mir. Ja, sie schien wirklich aus dem Boden geschossen zu sein. Ihre Zähne waren kreideweiß, als sie mich anlächelte. »Tut mir Leid!« Sie war ganz außer Atem. »Hat ein bisschen länger gedauert als geplant. Konnte meinen Bekannten nicht sofort finden.«

Ich sagte: »Macht nix.« Hätte ja auch gerade noch gefehlt. Ich hätte zehn Stunden auf so ein Lächeln warten können, wenn es darauf angekommen wäre. Aber eine Hose hatte sie nicht bei sich. Nur die kleine Schultertasche, die sicher nur Schminksachen und einen Kamm enthielt. Und ihre Zigaretten. Prince mild.

Aber da hatte ich mich total geirrt, wie sich herausstellte. Sie drückte mich wieder auf meinen Stuhl und steckte die Hand unter ihre Daunenjacke. »Geh mal aufs Klo und probier die an!«

Jeans. Ich meine, richtige Jeans, keine von diesen Nachahmungen, die Mutter beim Ausverkauf gesehen hatte.

»Meine Güte!«, sagte ich. »Hast du sie selber geklaut oder was?«

»Kann dir doch egal sein, oder? Geh sie jetzt anprobieren, Mann.«

Machte ich. Schloss die Tür nachdrücklich hinter mir ab und stieg aus meiner abgenutzten Cordhose.

Die neue saß wie angegossen. Wie angegossen! Nicht zu eng und nicht zu weit. Die Beine waren ein bisschen lang, aber die konnte ich ja umschlagen. Ich brachte es einfach nicht über mich, diese Hose wieder auszuziehen. Rollte die Cordhose zusammen und klemmte sie unter den Arm.

Sie wartete auf mich und hatte zwei neue Cola gekauft. Fast zu viel des Guten - ich hätte ihr doch einen ausgeben müssen.

»Na sieh an!« Sie lachte. »Total neuer Typ!«

Da hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen! Ich kam mir auch vor wie ein total neuer Typ. »Danke!«, sagte ich. »Wenn ich ganz ehrlich sein soll: Ich hatte schon gedacht, du hättest das nächste Flugzeug nach Beri genommen!«

»Für sechzig Eier kriegst du aber keinen Flug nach Beri, du Trottel!«

Wir mussten gleichzeitig lachen. Ich war so erleichtert, ich hätte auf den Tisch hüpfen und allen Weihnachtslieder vorsingen mögen, die welche hören wollten.

Wir blieben im Imbiss sitzen und quatschten. Die kalten Frikadellen oder was immer zu Hause auf dem Küchentisch stehen mochte, interessierten mich nicht die Bohne.

Sie hieß Lena. Sie kam aus Grorud. Ihr Vater war tot und ihre Mutter arbeitete in Böler im Supermarkt. Übel, das mit dem Vater, aber sie sagte, das machte nichts. Als er noch lebte, hatte sie auch nicht viel von ihm gesehen. Er war Seemann gewesen und über Bord gefallen, als sie drei Jahre alt war. Sie kannte sein Gesicht bloß von abgegriffenen Fotos. Ich versuchte mir vorzustellen, ich hätte meinen Alten bloß auf ein paar vergilbten Fotos gesehen, aber das schaffte ich nicht. Wir klönten weiter über Filme, dann sah sie auf die Uhr und leerte ihren Pappbecher. »Nein, nun muss ich abhauen, Mann!«

»Ich auch«, sagte ich, obwohl das ja eigentlich nicht stimmte. Ich hätte schon vor ein paar Stunden zu Hause sein müssen, aber ich wäre gern mit ihr bis zum Untergang der Welt hier sitzen geblieben.

Und dann musste ich noch das Schwierigste hinter mich bringen. Mich so verabschieden, dass es nicht bescheuert klang. Das Problem war nur, dass ich Lena so schrecklich gern wiedersehen wollte. Das musste doch möglich sein? Ein bisschen hatte sie mich doch leiden können, schließlich hatte sie schon mehrere Stunden mit mir verplempert.

Frank und seine Ehrlichkeit trugen abermals den Sieg davon. »Können wir nicht  … ich meine, deine Adresse  … vielleicht deine Telefonnummer?«

Plötzlich war sie ganz still und komisch. »Weiß nicht recht, Peter … meine Mutter … sie ist so verdammt nervös. Wär nicht okay, wenn du mich anrufst.« Sie lächelte. »Aber ich bin oft hier.«

»Alles klar«, sagte ich. »Aber schau her!« Ich griff nach einem Kugelschreiber und schrieb meine Adresse auf ihre Princepackung. Und meine Telefonnummer. »Ruf mich an oder komm einfach vorbei, wenn du willst! Meine Leute sind okay. Verrückt, aber okay!«

»In Ordnung, Peter!« Sie stand auf und ich stand wohl auch auf. Kriegte den weichen Kuss auf die Wange - und dann war sie verschwunden.

Weiß nicht mehr, wie ich nach Hause gekommen bin.

Ich hatte das Gefühl, dass Mutter genau durchschaute, dass irgendetwas anlag. Mütter riechen so was. Während ich die lauwarmen Frikadellen spachtelte (es gab wirklich Frikadellen!) und sie am Spülbecken stand, kam es mir so vor, als musterte sie mich aus den Augenwinkeln.

Als ich aufgegessen hatte und ihr den leeren Teller reichte, sagte sie: »Das ist aber eine tolle Hose für den Preis!«

»Manchmal hat man eben Glück«, sagte ich. Wieder dachte ich ans Spielen. Das Leben, der ganze Kram, ist im Grunde ja auch ein Spiel.

»Du hast Lippenstift auf der Backe«, sagte sie und wandte sich wieder dem Abwasch zu.

»Und du hast alles mit Messer und Löffel gegessen!«

Sie lachte herzlich. »Ja, Peter Pettersen hat heute wohl ordentlich Schwein gehabt, was?«

»Nun red doch keinen Quatsch!«, sagte ich. »Ich hab bloß die Schwester von einem Kumpel getroffen und die wollte mich verarschen!«

Ich rettete mich ins Wohnzimmer, weg von Mutters blödem Gekicher.

Vater und Klein-My hielten auf dem Sofa ihren Mittagsschlaf. Das heißt, Klein-My lag auf seinem Bauch und hielt sich mit ihren beiden Händen gut an seinen langen Fransen fest. Ich betrachtete sie und rieb meine Wange fieberhaft mit Spucke ab.

Eins von Vaters Augenlidern öffnete sich träge. Ein blaues Auge starrte mich an.

»Links«, sagte er. »Die linke Wange. Die andere Seite.«

Ich drehte mich auf dem Absatz um und rannte in mein Zimmer. Knallte die Tür hinter mir zu und brüllte, so laut ich konnte: »Ihr treibt mich zum Wahnsinn, kapiert ihr?! Ihr treibt mich zum Wahnsinn!«