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Eine Frau stürmt ins Büro von Privatdetektiv Eric Holler und beschwört ihn, ihr zu helfen. Felsenfest behauptet sie, zwei Leichen im Kanal unweit des Zoom-Zoos gesehen zu haben. Ihr Problem: Die herbeigerufenen Einsatzkräfte konnten keine Toten finden, wodurch nicht nur an ihrem Verstand gezweifelt wird. Neben einer monströsen Rechnung für den Einsatz der Polizei, Rettungs- und Bergungsdienste droht ihr durch die Stadt zudem eine Anzeige, die sogar in einer Haftstrafe enden kann. Kann Eric der Dame helfen, die Umstände aufklären oder hat er es mit einem Auftrag zu tun, der ihn in die Bredouille bringen wird?
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Inhaltsverzeichnis
Rückblende
01. Akt
Panik
Scheiß-Wochenende
Trauer, Tränen, Leiden
Amerika, Chapter Three
02. Akt
Schwarzer Sonntag
Puppentheater
Ein Scheiß-Wochenanfang
Puppenmord
03. Akt
Gewissensbisse
Kreuzgespräche
Deals
Gestank und Freude
04. Akt
Tiefe Schächte
Horatio
Stimmbrüche
Doppelspiel
Hinweise:
Veröffentlichungen des Autors
Kontakt zum Autor:
Impressum:
Eric Holler:
Leichen im Kanal
Ein Gelsenkrimi
von
Roman Just
P
rivatdetektiv Holler öffnete die Haustür, verkniff sich mit Mühe einen Lachanfall, und ließ Kriminalhauptkommissar Werthofen eintreten, der schräg, bunt und damit albern aussah. Ein Strohhut zierte seinen Kopf, wobei die Kopfbedeckung das einzige Teil war, das ihn nicht lächerlich machte. Sein Oberkörper wurde von einem schrillen Hawaii-Hemd bedeckt, dazu trug er kurze Hosen, die farblich ebenso gut ein Schottenrock hätten sein können. Sie ließen einen Blick auf die behaarten O-Beine des Beamten zu, der bester Laune zu sein schien. Der Clou waren jedoch die Sommerpantoffeln an seinen Füßen. Sie sahen aus als ob sie mit tausend Farben übergossen worden wären. An den Sandalen am Spann hingen drei kleine Glocken, die tatsächlich bei jedem Schritt zu läuten begannen. Im Büro erkundigte sich Eric nach der Herkunft der pompösen Fußbekleidung, dabei fiel es ihm immer schwerer, nicht ungehemmt loszulachen.
Werthofen erkannte es und sagte: »Ich weiß, wie komisch ich aussehe, aber ehrlich, es ist mir egal. Gewisse Leute zerreißen sich so oder so den Mund, deswegen lasse ich meinen Gefühlen freien Lauf. Ehrlich, Holler, der erste Urlaub seit einem Jahr wartet auf mich, ich könnte die Welt umarmen. Dass meine Frau und ich von unseren Kindern Lisa und Martin begleitet werden, rundet die gemeinsamen Ferientage ab. An den letzten Familienurlaub kann ich mich gar nicht mehr erinnern«, blühte Manfred vor Vorfreude auf und reichte Eric einen Schlüsselbund. »Echt, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie sich während unserer Abwesenheit um unser Haus kümmern. Wie gesagt, Sie müssen nichts tun, nur wöchentlich nach dem Rechten sehen. Im Haus bitte die Blumen gießen, und falls das Wetter so bleibt, den Wassersprenger im Garten fünf oder zehn Minuten laufen lassen. Vergessen Sie um Gotteswillen die Pflanzen meiner Ehefrau nicht, sonst werde ich für Ihr Versäumnis geschlachtet, schließlich habe ich Sie meiner Schwiegermutter als Hüter meines trauten Heimes vorgezogen. Wenn Sie zulassen, ein Gewächs ihres botanischen Gartes eingehen zu lassen, haben Sie ab sofort einen Feind, der schlimmer nicht sein könnte.«
Eric wusste, was Werthofen meinte. Es bezog sich sowohl auf dessen Gattin, als auch auf die Grünpflanzen. Er war höchstens zweimal im Haus des Kriminalkommissars gewesen, aber das Wohnzimmer hatte er in guter Erinnerung. Auf den Fensterbänken, extra angebrachten Regalen, neben dem Sofa, praktisch in jedem Winkel des Zimmers befanden sich kleine und große Pflanzentöpfe, die den Raum in einen Dschungel verwandelten. Der Privatdetektiv nahm an, dass die meisten Räume von Werthofens besserer Hälfte in ähnlicher Weise ausgestattet worden waren. Dass Heike, die Gattin des Kommissars, im Haus Werthofen den Ton angab, hatte er insbesondere bei der letzten Zusammenarbeit mit dem Beamten genüsslich zur Kenntnis genommen. Ob sie sich zudem überwiegend wie eine Furie benahm, konnte der Privatschnüffler nicht beurteilen. Werthofen behauptete es zwar in regelmäßigen Abständen, trat gelegentlich mit einer entsprechenden Laune auf, aber seiner warnend geäußerten Argumentation widersprach die Dauer der Ehe. Der Kriminalhauptkommissar war inzwischen seit dreißig Jahren verheiratet. Kein Mann würde eine Frau mit Haaren auf den Zähnen so lange ertragen. Eric hatte sich nach ihrem ersten Aufeinandertreffen über Werthofen schlau gemacht, dadurch ein paar interessante Zahlen in Erfahrung gebracht. Der Sohn des Kripoangehörigen war genauso alt wie die Ehe und Heike hatte ihren Mann nach ihrem Ja-Wort vom ersten Tag an mit seinem Beruf teilen müssen. Von daher sah er Werthofens Klagen als eine Jammerei auf hohem Niveau an. Im Moment hatte er keine Lust, auf Heikes Gefahrenpotenzial einzugehen, bat den Kommissar stattdessen, sich zu setzen und fragte: »Bisher haben Sie verschwiegen, wohin die Reise geht.«
»Nach Ibiza, drei Wochen Sonne, Strand, Leben pur. Endlich für geraume Zeit kein Schreibtisch vor der Nase und ein Dasein ohne die täglichen Anrufe der Schwiegermutter.«
Auch darauf wollte Eric nicht eingehen. »Haben Sie Ihr Haus gebaut oder gekauft?«, fragte er, obwohl es ihm gleichgültig war. Mit der Frage wollte er verhindern, nicht doch noch den Kampf gegen einen humoristischen Schreikrampf zu verlieren.
»Gekauft, anno dazumal. Die Bude ist doppelt so alt wie ich und manchmal kommt es mir so vor, als ob sie jeden Moment über unseren Köpfen zusammenfällt. Aber ich möchte nicht woanders wohnen und meine Frau würde mich mit meiner Dienstwaffe erschießen, sollte ich nur ansatzweise daran denken, an der Ruine irgendetwas zu verändern, sie ist eben ein Gewohnheitstier.«
»Wofür Sie ein Beweis sind«, erwiderte Eric trocken.
Werthofen blickte Holler versteinert an, erkannte, wie es der Privatdetektiv gemeint hatte, lächelte, und gab etwas von sich, worüber sich Heike gefreut hätte. »Stimmt schon, mein Mädchen hat es nicht immer leicht mit mir«, gestand der Kriminalhauptkommissar, hielt inne und fügte einen Satz hinzu, für den er von seiner Frau bis auf weiteres aus dem Schlafzimmer verwiesen worden wäre: »Sie hadert allerdings nur mit mir und manchmal mit meinem Beruf, ich hingegen mit ihrer Verwandtschaft, den Blumentöpfen und ihren Kommandos.«
»Möchten Sie ein Bier?«
Werthofen sah auf die Uhr. »Eines geht, danach muss ich aber sofort los. Ach, übrigens: Manuel Klarer hat sich bei mir gemeldet.«
Holler hatte aus dem angrenzenden Raum die Getränke geholt und die Flaschen geöffnet. Er stellte eine vor seinem Gast ab und nahm hinter dem Schreibtisch Platz. »Klarer«, fing er zu überlegen an. »Tut mir leid, der Name sagt mir nichts«, ergänzte er, da er sich nicht an eine Person mit dem erwähnten Familiennamen erinnern konnte.
»Das ist der Kerl, der mir bei unserem letzten gemeinsamen Fall nach meinem vorgetäuschten Zusammenbruch die Herzmassage verpasst hatte und fast eine Mund- zu-Mund-Beatmung verabreicht hätte.«
Eric nickte. »Ich erinnere mich«, entgegnete er schmunzelnd. Die Situation damals war ebenso komisch wie Werthofens Outfit heute. »Was gab es für Neuigkeiten? Wurde Hubert Schwarz endlich geschnappt?«, erkundigte er sich.
Werthofen nickte. »Ja. Die Kollegen in den Niederlanden haben ihn letzte Woche in Amsterdam festgenommen. Im Anschluss ist er vom BKA abgeholt und nach Wiesbaden gebracht worden. Man hat ihm einen Deal angeboten, wenn er ein vollumfängliches Geständnis ablegt.«
»Wie sieht der Deal aus?«
»Keine Ahnung, das bleibt ein internes Abkommen. Jedenfalls hat Schwarz zugestimmt, und für uns sind nur wenige Details von Bedeutung. Die Frau an Mikes Seite war die Geliebte von Schwarz und hat ihn mit ihren PC-Kenntnissen unterstützt. Alle anderen Beteiligten hatten keine Ahnung, welches Spiel ihr Boss treibt. Letztlich sind wegen ihm zwei Kronzeugen ermordet und eine im Zeugenschutz lebende Person umgebracht worden. Schließlich hatte er gestanden, auch Heusgen getötet zu haben und den Ort angegeben, wo seine Leiche liegt.«
»Wahnsinn, somit hat er vier Personen auf dem Gewissen, von denen wir wissen. Wie viele es am Ende tatsächlich sind, werden wir wohl nie erfahren.«
»Ich möchte es auch gar nicht wissen und nie wieder den Namen Hubert Schwarz hören«, entgegnete Werthofen.
»Vergessen Sie es«, sagte Eric, nachdem er wahrgenommen hatte, dass der Beamte nachdenklich geworden war.
Werthofen nickte und seine Miene wurde fröhlicher. »Vier Wochen Urlaub, drei davon auf Ibiza, was werden Sie ohne mich anfangen?«
»Auf jeden Fall nicht nach Ibiza fahren.«
»Für einen Mann, den ich heute zum ersten Mal öfter lächeln gesehen habe, geben Sie sich ziemlich selbstgefällig.«
Holler zuckte mit den Schultern. »Ist es Ihnen lieber, wenn ich sagen würde, ich komme auf die Insel nach?«
»Unterlassen Sie es, ich werde Sie genau so wenig vermissen, wie Sie mich.«
Der Privatdetektiv hob die Flasche, prostete Werthofen zu und brachte einen Trinkspruch hervor: »Auf Ihren Urlaub, die vierwöchige Regenerationszeit Gelsenkirchens, schließlich passieren seltsame Dinge, wenn Sie vor Ort sind.«
»Wozu Sie wiederum mächtig beigetragen haben.«
»Lassen wir den Quatsch, ich meine es ehrlich und wünsche Ihnen einen unvergesslichen Urlaub. Kommen Sie gesund zurück, und danach stellen wir Buer oder einen anderen Stadtteil auf den Kopf.«
»So wie Sie es sagen, hört es sich nicht nach einer Wiedersehensfeier an. Mensch, Holler, lassen Sie jeglichen Unsinn. Lassen Sie den Ereignissen ihren Lauf, mischen Sie sich nirgendwo ein, bremsen Sie zudem Ihre Neugier und nehmen nur noch Fälle an, die keinerlei Risiken beinhalten. Beschatten Sie untreue Frauen und Männer, kassieren ihr Honorar, gut ist es.« Werthofen trank aus und verabschiedete sich. An der Tür blieb er stehen und drehte sich Eric zu. »Nach meiner Rückkehr will ich in die Stadt zurückkommen, die ich kenne und schätze, nicht in Klein-Chicago landen, okay?«
O
hne anzuklopfen war die Dame außer Atem ins Büro gestürzt. »Sind Sie Eric Holler?«, fragte sie und nahm unaufgefordert Platz. »Typisch Frau«, dachte Eric und bestätigte seine Identität. »Ich brauche Ihre Hilfe, und zwar unverzüglich!«, erklärte sie schweratmend ihr Erscheinen.
»Um was geht es, Gnädigste?«, blieb der Privatdetektiv gelassen. Hysterische Frauen besaßen die Eigenschaft, einen Mann leicht um den Finger wickeln zu können. Hinzu kam die Gefahr, von der weiblichen Panik angesteckt zu werden, der Prozedur wollte er entgehen.
Die hereingeplatzte Frau öffnete ihre Handtasche, warf einen Brief auf den Schreibtisch und polterte trotz der Atemprobleme ohne Luft zu holen los: »Ich habe sie gesehen, bin meinen Bürgerpflichten nachgekommen und jetzt das! Finden Sie da noch Worte? Da treiben zwei Leichen im Kanal, ich alarmiere die Polizei, die wiederum die Feuerwehr und wie es mir vorkam, die gesamte Bundeswehr. Was war das Ergebnis? Die Blindgänger haben keine Leichen gefunden und jetzt soll ich dafür büßen! Ich soll nicht nur für die Kosten des Aufmarsches geradestehen, der Ähnlichkeit mit der Invasion der Alliierten in der Normandie hatte, nein, sondern werde auch noch wegen Irreführung der Behörden angezeigt. Wissen Sie, was darauf steht? Das kann mit bis zu fünf Jahren in schweren Fällen bestraft werden, und ich bin angeblich sogar ein sogenannter Härtefall. Einer Hirnprüfung soll ich mich unterziehen, was für eine Frechheit! Stellen Sie sich vor, das ist die Anordnung eines Richters. Über meine Person muss bis zur Verhandlung ein psychologisches Gutachten erstellt worden sein, findet man da noch Worte? Ich kann es nicht fassen! Jetzt werde ich vierzig Jahre jung, aber so etwas ist mir noch nie passiert. Da will man helfen und bekommt einen vor den Latz. Kein Wunder, dass die Leute nicht mehr hilfsbereit sein wollen. Das kann sich doch kein Mensch leisten. Wissen Sie, was die von mir verlangen? Fünfundvierzigtausend Euro! Dazu kommen dann noch die Rechtsanwaltskosten, die ich gezwungenermaßen ausgeben muss. Das nenne ich Nötigung! Mit der Summe könnte ich eine Söldnertruppe kaufen, die Ischia überrennt und zu meinem Eigentum macht. Übrigens, ich bin Silvia Riemer. Sie wurden mir von einem der Schaulustigen empfohlen, der am Kanal zugegen war«, stellte sich die Frau nach einem Wechselbad ihrer Stimmbänder vor.
»Aha. Hat er zufällig seinen Namen genannt?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein, ist das wichtig?«
»Wahrscheinlich nicht. Es hätte mich nur interessiert, wer in einer Horde von Neugierigen imstande ist, einen Privatdetektiv vorzuschlagen. Wie sah der Mann aus?«
Silvia Riemer lächelte. »Komisch, dass Sie mich danach fragen. Es war ein ausländischer Mitbürger, aber mit ziemlicher Sicherheit kein Türke.«
»Wieso nicht?«
»Er war freundlich, gab sich charmant und grinste unentwegt. Türken sind nur höflich, wenn man ihre angebotenen Dienstleistungen in Anspruch nimmt. Gehen Sie zum Friseur, in eine Dönerbude oder einen Handyladen, dort werden Sie meistens angelächelt, wenn auch nur scheinheilig. Außerdem besitzen sie nicht die Manieren eines Gentlemans und sind nur gut drauf, wenn Erdoğan wiedergewählt wird oder Galatasaray gewinnt.«
Eric lächelte. Silvia Riemer hatte ihm soeben ohne diskriminierende Worte zu verstehen gegeben, was sie von Menschen hielt, die den Vorzug einer Demokratie genossen und doch einen Autokraten gewählt hatten. »Möchten Sie einen Kaffee, um etwas ruhiger zu werden? Vielleicht hilft Koffein, damit Sie emotional herunterkommen und Luft holen können?«, erkundigte er sich.
»Ich dachte, Kaffee regt an«, erwiderte Silvia.
»Okay, kann ich Ihnen etwas anderes zum Trinken anbieten?«
»Haben Sie Alkohol im Haus, vielleicht ein Weißbier? Ein Ouzo dazu wäre schön. Ich weiß, für mein Geschlecht ist das eine ungewöhnliche Frage, aber Cocktails und Schampus können die Tussis trinken, zu denen ich nicht gehören will. Falls Sie kapitulieren müssen, ein Pils und ein Klarer täten es auch.«
Eric tischte die Getränke auf, an einem späten Freitagnachmittag waren ein Weißbier und nebenbei ein Schnäpschen nicht zu verachten. »Okay Frau Riemer …«
»Mensch, wo kommst du denn her? Sag Silvia zu mir, von mir aus kannst du mich auch Schätzchen nennen, aber bitte keinesfalls Frau Riemer. Ich habe trotz meines Alters keinen Hängebusen, meine Figur lässt sich sehen, ich bin körperlich fit und die brave Silvie zwischen meinen Beinen ist nicht verkalkt oder verrostet. Sie miaut noch regelmäßig, kann Kerle wie dich zum Wahnsinn bringen, aber bei Bedarf auch fauchen, kapiert?«
Erich nahm wieder Platz und begann, das Bier in Weißbiergläser einzuschütten, die mit dem Schalker Logo und der Nordkurve verziert waren. Für den Moment herrschte Ruhe. Holler fand Silvia beeindruckend. Die Frau hatte nicht nur ein solides Mundwerk, sie konnte sogar schweigen. Hinzu kam eine Offenheit, die Menschen außerhalb des Ruhrgebiets schockiert hätte. Mit der kurz zuvor getätigten Aussage wäre sie bei den Festspielen in Oberammergau mit Sicherheit gesteinigt worden. »Ich habe alles verstanden, Silvia«, entgegnete Eric und reichte ihr das gefüllte Glas. »Nun die ganze Geschichte von vorne, und zwar so, dass ich mitdenken kann und nicht nur zuhören muss. Was ist passiert? Du hast zwei Leichen gesehen, wo? Im Kanal-Wasser treibend, vielleicht am Ufer oder in der Kloake neben dem Kanal liegend? Wann hat es sich zugetragen? Bitte beschreibe alle Details und kläre mich darüber auf, was ich für dich tun kann.«
»Hör zu: Ich gehe spazieren, begebe mich aus der Crangerstraße in die Münsterstraße, gehe am Tierheim vorbei und schlendere die Treppen zum Kanalufer hinab. Im Übrigen stinkt es dort nicht mehr so wie früher. Trotzdem habe ich es mir anders überlegt, bin zurück und zum Rhein-Herne-Kanal. Ich hatte vor, das Gut Steinhausen aufzusuchen und der Plan war, die meiste Zeit des Spaziergangs nah am Wasser zu absolvieren. Über die Papageienbrücke habe ich den Kanal überquert, keinen Bock mehr zum Essen gehabt und bin deshalb auf der anderen Seite des Kanals zurückmarschiert. An der „Grimberger Sichel“ sah ich die Leichen im Wasser treiben und habe nach dem ersten Schock sofort die Polizei verständigt. Ich bin danach am Kanu-Club vorbei zur Rhein-Herne-Brücke und als ich dort angekommen bin, war schon Chaos. Rettungswagen, Feuerwehr, Polizei und was weiß ich waren vor Ort, nur die Leichen nicht.«
»Das ist verständlich, denn die Strömung verläuft entgegengesetzt. Böse gesagt, sind die vermeintlichen Leichen ein Geschenk an den Dortmund-Ems-Kanal und die an ihn angrenzenden Zecken.«
»Bitte?«
»Vergiss es! Weißt du, bis wohin nach den Toten gesucht wurde?«
»Bis zur Schleuse Wanne-Eickel, aber es wurden keine Leichen gefunden. Von selbst können sie die Hürde kaum bewältigt haben, oder?«
Eric zuckte mit den Schultern. »Wer weiß, die Erde ist rund, und künstlich angelegte Wasserstraßen wären ideal geeignet, um die Gesetze der Physik außer Kraft zu setzen. Aus welcher Entfernung hast du die Körper im Wasser treiben sehen?«
Silvia dachte kurz nach. »Von oben, von der Brücke. Wie viele Meter mögen das sein? Vielleicht zwanzig?«
Eric wurde nachdenklich und fragte sich, warum die Einsatzkräfte nicht direkt zu den Brücken der Bundesstraße 226 oder in die Recklinghauser Straße gefahren waren. Nicht Silvia hatte den Einsatz geleitet, sondern ein Schwachkopf, der womöglich nicht vorhatte, die Leichen zu finden. Natürlich war das eine Unterstellung, allerdings keine, die sofort als abwegig bezeichnet werden konnte. Fast jedes Kind wusste, in welche Richtung der Kanal verlief, wieso dann nicht der Einsatzleiter einer Bergungs- oder Rettungsaktion? Eric verzichtete darauf, die Überlegung zu erwähnen; die Möglichkeit, dass sich Silvia geirrt hatte, war größer als eine Panne der Einsatzkräfte. Eventuell hatte sie keine Leichen gesehen, sondern nur Leute, durch die ihr, aus welchen Gründen auch immer, ein Bild von leblosen Menschen vermittelt wurde. »Kannst du dich getäuscht haben? Hast du vielleicht keine Leichen gesehen, stattdessen Schwimmer, die so blöd waren, im Wasser inbrünstige Yoga zu betreiben?«
»Ich schwöre, die zwei waren tot!«
„Woran hast du es ausgemacht?«
»Die lagen auf dem Bauch im Wasser, nicht nur ein paar Sekunden, sondern solange ich sie nicht aus den Augen verloren hatte.«
»Wie lange war das?«
»Zwei, drei Minuten.«
»Ohne Schnorchel, Tauchmaske, ähnliche Utensilien?«
Silvia nickte. »Ja, die waren bekleidet, aber nicht so, als ob sie Spaziergänge unter Wasser vorgehabt hätten. Wer, in Gottes Namen, springt in voller Montur in den Kanal?«
Eric sah von seinem Notizblock auf. »Wie meinst du das?«
»Die hatten Overalls an, solche, wie sie von Gärtnern oder Bauarbeitern benutzt werden. Keine Ahnung, wie die Dinger heißen.«
»Welche Farbe hatten die Arbeitsanzüge, und trugen beide die gleichen?«
»Blau, aus der Ferne erschienen sie absolut identisch.«
»Okay, die entscheidende Frage: Wann hat sich die Sache zugetragen?«, fragte Eric.
»An einem der wenigen schönen Tage im März.«
»Hatten wir solche in dem Monat?«
Silvia nickte. »Zwei. Es war zwar trotz Sonnenschein nicht wirklich warm, dafür ideales Wetter zum Spazieren.«
Eric hob sein Weißbierglas, prostete Silvia zu, nahm einen Schluck, bei dem er die Frau nicht aus den Augen ließ. Mittlerweile, vor allem wegen der Zeitangabe zum geschilderten Ereignis, hatte er die Vierzigjährige eingeschätzt: attraktiv und naiv. Wie sonst hätte sich ihr Erscheinen zum gegenwärtigen Zeitpunkt erklären lassen können. Wann genau Silvia die Leichen im Kanal gesehen haben wollte, ließ sich leicht ermitteln, nicht jedoch ihr leichtfertiger Umgang mit der Angelegenheit. »Was hast du in der Sache bisher unternommen? Wie beurteilt dein Rechtsanwalt den erlassenen Kostenbescheid?«
»Hör zu, als mir im März gesagt wurde, was auf mich zukommen könnte, war ich baff, zudem skeptisch. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass es tatsächlich so eintreffen würde. Erst heute Morgen erhielt ich den Brief mit der Forderung. Prompt habe ich mich an dich erinnert.«
»Das heißt, du hast auch noch keinen Rechtsanwalt aufgesucht?«
»Bis heute war das auch nicht nötig«, rechtfertigte Silvia ihr Vorgehen.
»Steht ein Gerichtsverfahren an, wenn ja, wann?«
»Diesbezüglich habe ich noch keine Post bekommen.«
Einsatzkräfte an einen Ort zu rufen, konnte selbst für Leute teuer werden, die sich auf einem Gelände verletzt hatten, welches sie nie hätten betreten dürfen. Somit war Erics Antwort verständlich. »Die Mühlen der Justiz mahlen langsam, vielleicht sogar nur, um Angeklagte nervlich zu zermürben. Ein Termin wird dir sicher zugestellt. Was also kann ich für dich tun, nachdem der Vorfall zwei Monate zurückliegt?«
»Mann, schaff mir die Scheiße vom Hals. Ich will nicht in den Knast und auch nicht den Betrag bezahlen, der von mir gefordert wird. Falls du keine Ahnung hast, solltest du wissen, dass ich die Summe in Tagessätzen absitzen muss, wenn ich sie nicht sofort begleiche. Was sind das für blöde Regeln? Die Bürokraten glauben wohl, dass jeder mir nichts dir nichts auf der Stelle fast fünfzigtausend Euro parat hat.