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Roman Just

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Beschreibung

Detective Forrest Waterspoon wird in seinem vierten Fall wie nie zuvor gefordert. Ein merkwürdiger Suizid, ein Erpresserbrief und die Forderung von dreißig Millionen Dollar, dann ein Mord, der alles verändert. So beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, bei dem es nicht nur um das Leben unschuldiger Einwohner Bostons geht. Doch was und wer steckt hinter allem, welche Ziele werden mit den Drohungen verfolgt? Bald scheint klar, was vorgeht, doch verhält es sich tatsächlich so?

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Inhaltsverzeichnis

Über den Autor

Einladung zur Tea-Party

Tea-Party 1

Tea-Party 2

Tea-Party 3

Tea-Party 4

Tea-Party 5

Tea-Party 6

Tea-Party 7

Tea-Party 8

Tea-Party 9

Tea-Party 10

Tea-Party 11

Tea-Party 12

Tea-Party 13

Tea-Party 14

Tea-Party 15

Tea-Party 16

Tea-Party 17

Tea-Party 18

Tea-Party 19

Tea-Party 20

Tea-Party 21

Tea-Party 22

Tea-Party 23

Tea-Party 24

Impressum

 

 

Tea-Party

Tatort-Boston

Band 4

 

 

Über den Autor

Roman Just ist in der Welt der Literatur in verschiedenen Genres unterwegs. Mit den Thrillern der "Tatort-Boston-Reihe" hat er den Einstieg in die Literaturwelt begonnen, sie dann mit den "Gelsenkrimis" fortgesetzt. Neben den Thrillern und Krimis arbeitet er an einer mehrteiligen Dystopie und einer historischen Familiensaga, hinzu kommen Ausflüge in andere Genres.

Der Autor und bekennender Selfpublisher ist Jahrgang 1961, lebt in Gelsenkirchen, leidet mit dem vor Ort ansässigen Fußballclub zu allen Zeiten mit, spielt außerdem gerne Schach und beschäftigt sich gelegentlich mit der Astronomie.

Zur Person:

Sternzeichen: Jungfrau

Gewicht: Im Moment viel zu viel

Erlernter Beruf: Kellner

Derzeit tätig als: Autor/Selfpublisher

Charaktereigenschaften: Impulsiv/Hilfsbereit

Laster: Nie zufrieden mit einem Ergebnis

Vorteil: Meistens sehr geduldig

Er mag: Klare Aussagen

Er mag nicht: Gier und Neid

Er kann nicht: Den Mund halten

Er kann: Zuhören

Tea-Party

Tatort-Boston

 

Thriller

von

Roman Just

 

 

 

Einladung zur Tea-Party

C

lemens Burger war ein unscheinbarer Mann, zumindest äußerlich. Er trug einen Schnurrbart, beim Lesen benötigte er eine Brille. Sein dunkles, dichtes Haar besaß bereits graue Strähnen, was wohl nicht an seinen vierzig Jahren lag, eher seinem Beruf zugeschrieben werden konnte. Clemens lebte zu seiner Freude seit Jahren mit einem leichten Untergewicht, seine Größe ließ sich als durchschnittlich bezeichnen. Insgesamt hätte er mit dem Ruf eines Mitläufers klarkommen müssen, wäre er in Boston in gewissen Kreisen nicht eine bekannte Größe gewesen.

Wer nun dachte, Clemens sei berühmt und vielleicht reich, der täuschte sich. In der Öffentlichkeit ging sein Bekanntheitsgrad kaum über die Stadtgrenzen Bostons hinaus, dafür besaß er das Privileg, bei staatlichen und städtischen Sicherheitsbehörden und Gerichten landesweit ein gefragter Mann zu sein. Sein Einkommen erzielte Clemens als unabhängiger Gutachter, nicht etwa nach Unfällen und zerstörerischen Naturkatastrophen, sondern in der nahezu perfekten Beurteilung von Kapitalverbrechern. Seine Einschätzungen wiesen kaum Fehlerquoten auf, wenn, waren sie unbedeutend oder befanden sich sehr nah an der Wahrheit. Die verlässlichen Charakteristiken und Prognosen über Mörder, Triebtäter, Terroristen und sogar Kannibalen, brachte ihm den Ruf eines genialen Profilers ein, der wundersamerweise keiner Institution unterstand. Angebote bekam er über viele Jahre hinweg regelmäßig, mehrfach hatte die CIA versucht, ihn anzuheuern. Doch es hatte sich herausgestellt, dass sich der Auslandsgeheimdienst vor allem für seine Fähigkeiten interessierte, von einhundert Leuten neunundneunzig hypnotisieren zu können. Auch das FBI war öfter an ihn herangetreten, nur wollte er weder für einen Tiger noch für einen Bären arbeiten. Er sah in den Organisationen keinen großen Unterschied, weswegen seinerseits stets Absagen folgten. Bereut hatte es Clemens nie, nur war die Show des Lebens nicht so abgelaufen, wie er es sich vorgestellt hatte. Als Profiler und Gutachter der verbrecherischen, mitunter schwergeschädigten Psychen, verdiente er zwar nicht schlecht, aber große Sprünge waren nicht drin. Die Nebeneinkommen mit seinen Hypnosekünsten waren überschaubar, durch beides standen Bescheidenheit und Verzicht häufig auf dem Tagesprogramm. Dadurch wurde ein wachsender Frust geboren, der an Gewicht zunahm, wenn ein Wunsch unerfüllt blieb oder ein Urlaub ins Wasser fiel. Clemens lief finanziell seit Wochen am Stock, der Grund lag nicht nur, aber auch an seinen kostspieligen Gewohnheiten.

Er übte nämlich in seiner Freizeit Hobbys aus, ohne die er eingegangen wäre, die allerdings Geld kosteten. Tennis und Golf spielen, war schon teuer genug, sein lieb gewonnenes Reitpferd und das Tauchen übertrumpften diese Ausgaben um ein Vielfaches. Letztere Freizeitaktivitäten waren im Umland von Boston kein Problem. Die Landschaft lud zum Wandern und Reiten ein, der Atlantik lag praktisch vor der Tür. Den Clou stellten jedoch die Aquarien dar, die er besaß. Ein riesiges Aquarium stand im Hypnoseraum seines Häuschens in Revere, einem Vorort Bostons. Das andere Fischbecken befand sich in einem Gebäude der Hauptstadt des Bundesstaates Massachusetts, von dem nur staatliche Behörden wussten, dass es in dieser Form existierte. Tagtäglich gingen unzählige Leute an dem Haus vorbei, ohne zu ahnen, was sich hinter den Mauern abspielte. Offiziell gehörte das Objekt zu den in der Straße liegenden Gerichtsgebäuden. Es hatte einst den Spitznamen "Court-Coffee" erhalten, da Gerüchte zu der Annahme führten, dass sich Gerichtsmitarbeiter hinter der Fassade des Gebäudes ihre Pausen gönnten. Das widersprach den merkwürdigen Vorgängen, die verdeckt stattfanden. Zu den unmöglichsten Zeiten, meist bei Dunkelheit, fuhren kleine bis mittlere Transporter in den Hinterhof, wo dann seltsames geschah. Aus den uneinsichtigen Frachträumen stiegen Männer, die alle Hand- und Fußfesseln trugen. Tage oder Wochen später wurden sie auf die gleiche Weise wieder abgeholt.

Verantwortlich dafür war Clemens Burger. Seine Professionalität ergab eine hohe Nachfrage nach seinen fachmännischen Analysen, die er in ihrem Umfang unter den damals gegebenen Bedingungen nicht hätte bewältigen können. Ein Gutachten über einen Schwerverbrecher innerhalb von ein paar Stunden zu erstellen, machte keinen Sinn, denn vor Gericht wäre es wenig oder gar nichts wert gewesen. Jeder einigermaßen gute Rechtsanwalt hätte es in der Luft zerrissen. Clemens sprach die ungünstigen Umstände nicht an, stattdessen wurde ihm ein Angebot offeriert, welches er ausnahmsweise annahm. Der ihm gemachte Vorschlag konnte jedoch erst nach einer Vorbereitungs- und Umbauphase in die Realität umgesetzt werden, vorher und bis dahin sah der Tagesablauf von Clemens wie der eines Weltenbummlers aus. An einem Tag saß er einem Killer in Texas gegenüber, am nächsten in Michigan einem Serienvergewaltiger. Tags darauf flog er wieder nach Texas, um sich nachfolgend in Florida wiederzufinden, wo er einen Serienmörder einzuschätzen begann. So ging es Tag ein, Tag aus. Somit verbrachte er mehr Zeit im Flugzeug, anstatt mit Verbrechern in einem Zimmer, über die ein Gutachten benötigt wurde. Clemens Auftraggeber sahen die Lösung im einst leerstehenden "Court-Coffee", aus dem daraufhin ohne das Wissen der Bürger mitten in der Stadt eine geschlossene psychiatrische Anstalt wurde, die mit einem Hochsicherheitsgefängnis verglichen werden konnte. Die Räumlichkeiten ermöglichten eine Unterbringung von dreißig hochgefährlichen Straftätern, die Leitung des Hauses übernahm folgerichtig Clemens, mit einem Unterschied zur üblichen Praxis. Der Profiler übernahm die Stellung mit der Bedingung, unabhängig bleiben zu dürfen. Nachfolgend erhielt er je Gutachten die standardmäßigen Honorare, bis in die Gegenwart hatte sich daran nichts geändert.

Kaum war das "Court-Coffee" in Betrieb genommen worden, schaffte sich Clemens das zweite Aquarium an, es landete an seiner neuen Arbeitsstätte in seinem Büro. Mit der fast schon monumentalen Investition wollte der Gutachter nicht allein sein seelisches Gleichgewicht halten, sondern sie auch für seine berufliche Zwecke nutzen. Unabhängig davon, dass es besser funktionierte als er zuvor dachte, der feste Standort besaß keinen positiven Einfluss auf seine erwachte und tendenziell ansteigende Frustration, die an diesem Abend ihren Höhepunkt erreicht hatte.

Schuld daran waren mehrere Faktoren, zu ihnen gehörte sein Lebensstandard. Er wäre womöglich zufrieden gewesen, doch sämtliche Medien und die schreibende Presse hatten ihn endgültig in Rage gebracht. Über Wochen hinweg musste er sehen, hören und lesen, dass sich redliche Arbeit nicht lohnte. Er, der die Welt im Flugzeug meilenmäßig mehrfach umrundet hatte, insgesamt tausende von Stunden in Gesellschaft von Gewaltverbrechern zubrachte, musste jeden Cent umdrehen, um sich seine Hobbys zu gönnen, auch um abschalten zu können, während andere nur die Hand aufhielten und sich schmieren ließen. Enttäuschend für Clemens war zudem, dass sich unter den Bestochenen auch ein Mann befand, dem er beruflich viel zu verdanken hatte, ihn als Mentor, deshalb als Freund ansah. Von ihm selbst hatte er es erfahren. Immer mehr Abscheulichkeiten waren in den vergangenen Wochen zutage gekommen. Apotheker, Psychiater mittleren Formats und anerkannte Psychologen waren durch eine veröffentlichte Liste, die eigentlich hätte geheim bleiben sollen, als korrupt enttarnt worden. Eine Welle der Entrüstung war durch das Land geschwappt, löste weltweit Tsunamis der Empörung aus. Für Clemens war es wie ein Schlag ins Gesicht. "Die Schufterei all die Jahre, wofür? Nur um einen Urlaub zu verschieben, einen Tauchgang abzusagen, den Fischen weniger Futter in die Aquarien zu streuen, dem Pferd eine Möhre vorzuenthalten?", dachte er sich. Vor Jahren hatte ihm ein mehrfacher Raubmörder eine fette Summe angeboten, wenn er ein Gutachten erstellen würde, welches diesem zugutegekommen wäre. Clemens war sich und seinem Job treu geblieben, dabei hätte er leicht zugreifen können, dürfte nun irgendwo in Thailand in der Sonne liegen. Er sah auf die Uhr, die über der Tür zu seinem Büro hing, ein paar Minuten hatte er noch. Sein Ärger bezog sich nicht allein auf die Bestechlichen und seine finanzielle Situation, hinzu kam zum Beispiel sein Name. Wer hieß in Amerika schon Burger? Einen "Clemensburger" bot keine Fastfood-Kette an. Die Foppereien hielten sich inzwischen zwar in Grenzen, doch es schien, als ob sie nie vollends verstummen würden. Hinzu gesellte sich seine Einsamkeit, an der sein appetitanregender Familienname womöglich nicht ganz unschuldig war. Mit seinen Fischen und seinem Pferd führte Clemens mittlerweile genauso lange Gespräche, wie mit den Strolchen, die er analysieren sollte. Ihre Ausreden, Lügen, Motive, schwere Kindheiten, böse Eltern, es nervte einfach, erst recht die richtig Gestörten, die völlig hemmungslos töten konnten, aber unfähig waren, sich die Schuhe zu binden. Clemens Burger war Waise, deshalb in einem Internat groß geworden, in dem eine Brutalität vorherrschte, die ihm dabei half, Menschen beurteilen zu können. Er lebte allein, eine Liebschaft und Heirat hatte sich nie ergeben. Im Grunde genommen wusste er gar nicht, welches Geschlecht er lieber mochte, vertrat gefühlsmäßig die Ansicht, eher Frauen zugeneigt zu sein. Darauf deutete auch der plötzlich harte Umstand hin, der in seiner Unterhose präsent wurde, wenn er einer reizvollen weiblichen Person nachsah. Oft kam so etwas nicht vor, um sechs Uhr morgens betrat er das "Court-Coffee", zuhause traf er meistens erst nach acht Uhr abends ein, manchmal noch später. Er arbeitete fünf Tage in der Woche mit den zu beleuchtenden Schwerkriminellen zusammen, jeden Samstag legte er Berichte an und kümmerte sich um sonstige Aufgaben im Büro. Nur der Sonntag blieb ihm für seine geliebten Hobbys, was seine extreme Unzufriedenheit zusätzlich erklärte. Erneut blickte Clemens nachdenklich zur Uhr. Fünf Minuten blieben ihm noch, um eine Entscheidung zu treffen. Jeder der ihn kannte, hätte zurecht behauptet, der Mann könnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Tatsächlich war Clemens ein friedliebender Mensch, der jede Form von Gewalt hasste. Ihn zeichneten ein scharfer Verstand, angenehme Umgangsformen und ein Humor aus, der eventuell aufgrund seiner Tätigkeiten einen rabenschwarzen Einschlag besaß. Dem Leben gegenüber gab er sich aufgeschlossen, nur machte ihm häufig die verfügbare Zeit einen Strich durch die Rechnung. Falls bei ihm ein negativer Wesenszug ab und zu hervorstach, handelte es sich um einen ungesunden Egoismus. Er hatte wegen seiner Fähigkeiten auf so vieles verzichtet, geplante Vorhaben verschieben oder ganz absagen müssen, auch damit sollte nun ein für allemal Schluss sein. Er sah zu dem Aquarium, welches die Wand zu seiner linken Seite in der Länge fast vollständig einnahm. Stundenlang hätte er den eleganten Bewegungen der Fische zusehen können. Auch ihre schillernden Farben und das Blubbern des Wassers besaßen die Fähigkeit zu beruhigen. Das Aquarium verfügte über eine Magie, die auf Geist und Seele einwirken konnte. Manche der zu begutachtenden Kriminellen berichteten nach einem Aufenthalt in diesem Raum von intensiven und lebhaften Träumen, die ihnen eine neue Sichtweise auf ihre brutalen und im Nachhinein sinnlosen Verbrechen eröffneten. Zwar wurden sie dadurch selten einsichtig oder in vollem Umfang geständig, aber Clemens erhielt einen tiefen Einblick in ihre Psychen, womit er einem abschließenden Gutachten näherkam. Es war soweit: Stunden- und Minutenzeiger der Wanduhr lagen übereinander auf der Zwölf, die Glocke einer in der Nähe liegenden Kirche schlug Mitternacht. Clemens erhob sich, schloss das geöffnete Fenster, verließ sein Büro, dass er auch für Gespräche mit den Insassen der Anstalt nutzte. Er begab sich in den Kontrollraum, in dem sich über ein Dutzend Monitore befanden. Von hier aus konnten die Gänge, Etagen, Räume und Zellen gleichzeitig überwacht werden.

Das vor Ort anwesende Sicherheitspersonal schlief, es handelte sich um drei Männer. Sie wurden auch nicht wach, als er das Zimmer betrat. Clemens sah auf die Monitore, betätigte einige Tasten, bis er auf diese Weise das gesamte Gebäude durchforstet hatte. Ihm boten sich Bilder, die absurder nicht sein konnten. Einige Mitarbeiter des Wachpersonals lagen am Boden, sie waren bei ihren Kontrollgängen zusammengebrochen. Andere hingen wie leblos in ihren Stühlen oder, wie im Kontrollraum, scheinbar ohnmächtig über ihren Arbeitsplätzen. Insgesamt handelte es sich um fünfunddreißig Männer, die außer Gefecht gesetzt worden waren. Jede der drei Schichten im "Court-Coffee" umfasste dieselbe Anzahl an Wachpersonal: Einen Schichtleiter, zehn Mann je Etage, je zwei Leute waren für den Kontrollraum und die Personen zuständig, die das Gebäude betraten oder verließen. Um irgendeinen Vorgang durchzuführen konnten aus jeder Etage fünf Männer abgezogen werden. Eine Übersicht ergab, dass auf jeden Insassen ein Wachmann kam, wobei es so gut wie nie geschah, dass in den Etagen mehr als ein Häftling aus der Zelle geholt wurde. Clemens Burger war mit den Bildern sehr zufrieden, die sich ihm auf den Monitoren boten. Während sich das Sicherheitspersonal im Reich der Träume und Tatenlosigkeit befand, standen die Gefangenen in ihren Zellen wie Soldaten vor der Haftraumtür, blickten wie Mumien in die Kameras, von denen sie Tag und Nacht beschattet wurden.

Clemens nahm einen Generalschlüssel an sich, spazierte in den dritten Stock, wo er einen Arrestraum nach dem anderen öffnete. Damit waren die inhaftierten Kapitalverbrecher noch nicht frei, dazu musste noch eine elektronische Entriegelung im Kontrollraum vorgenommen werden, erst dann öffneten sich die Zellentüren automatisch. Auf dem Weg in den zweiten Stock ließ Clemens sämtliche Türen offen, wiederholte den Vorgang aus der Etage über ihm, anschließend passierte das gleiche im ersten Stock. Danach kehrte er ins Erdgeschoss zurück, sperrte den Haupt. und Hintereingang auf. Danach trat er erneut in den Kontrollraum, schaltete sämtliche Sicherheitsvorrichtungen aus, schließlich entriegelte er die Türen der Hafträume. Über die Monitore verfolgte er das weitere Geschehen. Die Häftlinge entkleideten einen Wachmann nach dem anderen. Alle Häftlinge wurden auf diese Weise fündig, zogen Uniformen an, die ihnen wie angegossen oder zumindest einigermaßen passten. Als ob ein Schichtwechsel stattfinden würde, verließen sie im Anschluss nacheinander und ungehindert das Gebäude. Sie gingen achtlos an Clemens vorbei, der sich vor den Kontrollraum aufhielt, als ob er nicht zugegen wäre. Dreißig Kapitalverbrecher schritten wie Vollzugsmitarbeiter in die Freiheit, hätten auf Dritte den Eindruck gemacht, froh zu sein, endlich Dienstschluss zu haben. Vor dem "Court-Coffee" schlug jeder bald eine andere Richtung in den nahezu leeren Straßen Bostons ein. Nachdem alle Gefangenen das Gebäude verlassen hatten, fing Clemens an, die zuvor durchgeführten Schritte rückgängig zu machen. Er schloss die Eingänge, aktivierte die Sicherheitsanlage, sperrte in allen Stockwerken sämtliche Türen und Zellen zu.

Um drei Uhr morgens saß Clemens in seinem Büro hinter seinem Schreibtisch. Was in den vergangenen drei Stunden abgelaufen war, dazu hatte er ein paar Wochen an Vorbereitungszeit benötigt. Gedrängt zu dem radikalen Schritt fühlte er sich durch eine Nachricht, die ihn halb wahnsinnig werden ließ. Ein Brief seiner Hausbank klärte ihn darüber auf, dass seine Ersparnisse in Form von Aktien über Nacht wertlos geworden waren. Bei den Spareinlagen handelte es sich um Papiere, in die er nur deshalb investiert hatte, da sie das Finanzinstitut als sicher einstufte. Sogar einen Kredit hatte er damals erhalten, um einen höheren Betrag in die Aktien stecken zu können. Den Verlust hätte Clemens ertragen, aber nicht die Konsequenzen, mit denen er sich plötzlich konfrontiert sah. Die halsabschneiderische Bank hatte ihm den Kredit gekündigt, das Konto und die Kreditkarten gesperrt. In der Begründung dazu hieß es, dass seine Kontoführung zu wünschen übrig ließ. Geldeingänge erfolgten unregelmäßig, weswegen die fortlaufende Kontoüberziehung nicht mehr geduldet werden konnte, da es wegen der ausgereizten Hypothek an seinem Haus an weiteren Sicherheiten fehlte. Gerügt wurde auch die Rückzahlung seines Darlehens, welches er bereits zur Hälfte getilgt hatte. Letztlich hatte er der Bank Schulden statt Ersparnisse zu verdanken, worüber er sich als jahrzehntelanger Kunde maßlos ärgern musste. Das Hauptproblem war jedoch ein anderes: Das nächste Gutachten über einen der Schwerverbrecher, somit ein Honorar in absehbarer Zeit, würde Clemens bei korrekter Arbeitsweise erst in frühestens ein paar Tagen fertigstellen können, was zur Folge hätte, mindestens einen Monat ohne einen Cent in der Tasche herumlaufen zu müssen. Natürlich bestand die Möglichkeit, sich da oder dort etwas zu leihen, um über die Runden zu kommen, aber ein kleines Privatdarlehen half ihm nicht weiter. Eine Alternative wäre, sich an seine Auftraggeber für die Gutachten zu wenden, doch das wäre am Ende mit der Aufgabe seiner Unabhängigkeit verbunden gewesen, was für ihn niemals in Frage käme. Die seelische Belastung spitzte sich zu, als ihm bewusst wurde, dass sein Haus in Revere, wegen des einstigen Darlehens, mehr oder weniger der Bank gehörte. Im Grunde konnte sie ihm alles wegnehmen, wovon er geglaubt hatte, es gehöre ihm. Das Haus, das Pferd, die Aquarien, sogar seine Taucherausrüstung, das Finanzinstitut würde alles unternehmen, um an seine Außenstände zu kommen. Damit nicht genug: Sein wirtschaftlicher Ruin bedeutete gleichzeitig seinen beruflichen Untergang. Welchen Stellenwert und was für eine Glaubwürdigkeit besaßen Gutachten von einem Mann, der seine Finanzen nicht im Griff hatte, somit sein Leben nicht koordinieren konnte. Selbst der schlechteste Rechtsanwalt wäre imstande, seine Analysen anzuzweifeln, wodurch die Chance stieg, ein Gegengutachten einzufordern. Kein Richter könnte einen solchen Antrag ablehnen, wodurch Clemens Auftraggeber sich nach und nach von ihm abwenden würden. Aus diesem Dilemma gab es keinen Ausweg. Die Bank hatte ihn auflaufen lassen, mit ihrem Brief einen Teufelskreislauf ausgelöst, der sich immer schneller zu drehen begann. Es gab niemanden der von seinen privaten Problemen wusste, nur die Mitarbeiter der Bank und sein bester sowie einziger Freund waren davon ausgenommen. Das soziale Umfeld des Profilers war mehr als überschaubar. Es lag an seinem Job, weshalb er Menschen nicht mochte, deshalb keine weiteren Freundschaften schließen wollte. Wäre es anders gewesen, hätte er sich auch wegen der ihn verfolgenden Schwierigkeiten niemals die Zeit nehmen können, um seinen Freundeskreis zu erweitern. Mehr Freunde hätten zudem bedeutet, noch öfter auf seine Hobbys verzichten zu müssen, das waren ihm die auf ihre Art stets undurchsichtigen klugscheißenden Zweibeiner nicht wert. Nur sein Kumpel kannte ihn in- und auswendig. Mit ihm konnte Clemens Burger über alles reden, ausschließlich er verfügte über das Wissen, wie der Profiler, dachte, fühlte, was er ablehnte und guthieß. In ihm sah der Gutachter einen Vaterersatz und zusammen hatten sie sich eine Lösung für seine Probleme ausgedacht. Clemens war zunächst skeptisch, doch bei Betrachtung der ihn umgebenden persönlichen und beruflichen Zustände, war es nur eine Frage der Zeit, bis er dem Vorschlag zustimmen würde. Das war eben vor ein paar Wochen passiert. Seitdem arbeitete der Profiler mehr als je zuvor, blieb oft bis tief in die Nacht im "Court-Coffee", übernachtete dort sogar manchmal in seinem Büro. Für das Sicherheitspersonal sah es aus als ob Clemens Burger bestrebt zu sein schien, so viele Gutachten über die Insassen des "Court-Coffee" zu erstellen wie er konnte. Die Emsigkeit des Profilers fiel natürlich auf, einige der Wachleute folgerten daraus einen typisch menschlichen Gedanken: Mehr Beurteilungen bedeuteten für den Gutachter höhere Einnahmen. Zwangsläufig wurde dadurch bei dem einen oder anderen Sicherheitsbeamten der Gedanke geboren, dass ihr erster Ansprechpartner in dem Gebäude entweder finanziell in der Klemme saß, oder etwas vorhatte, was mit höheren Ausgaben verbunden wäre. Der Kraftakt des Profilers ging nicht spurlos an ihm vorbei. Die täglichen Gespräche mit Kapitalverbrechern kosteten Substanz. Der Gutachter verfügte zwar über eine Sensibilität, die für seinen Beruf unabdingbar war, zugleich war sie so ausgeprägt, dass sie selbstzerstörerische Elemente in Bewegung setzen konnte.

Sie traten in Kraft, wenn er es mit besonders barbarischen Verbrechern zu tun hatte, ebbten jedoch nach Abschluss der psychischen Analyse schnell wieder ab. Ihre Auswirkungen zeigten sich in Schlaf- und Appetitlosigkeit, gelegentlich durch eine auffällige Passivität, die durchaus mit psychosomatischen Depressionen vergleichbar waren. Jeder Schritt und jede Handlung fielen Clemens in solchen Momenten sehr schwer, die Überwindung des inneren Schweinehundes gelang ihm jedoch relativ zügig. Mittlerweile gestaltete es sich allerdings so, dass die eingeleitete Selbstzerstörung von seinem Frust gefördert wurde. Dazu trug in erster Linie bei, dass er für seinen wochenlangen körperlichen, verbalen und geistigen Einsatz enorme Geduld aufbringen musste. Erst an diesem Tag waren die Vorbereitungen endlich abgeschlossen worden. Der Deal mit seinem Freund hatte mit der Freilassung der Kapitalverbrecher den Startschuss erhalten, in wenigen Tagen würde sich ihr Leben und auch das der Kriminellen gewaltig ändern.

Clemens Burger wäre nicht der Gutachter und Profiler gewesen der er war, wenn er seinem Freund gegenüber eine Gutgläubigkeit an den Tag gelegt hätte, die er den Schwerverbrechern vorenthielt. Sicher, er vertraute ihm, glaubte an ihn, bewunderte ihn wegen seiner Einstellung, dennoch war Vorsicht besser als Nachsicht. Noch einmal eilte er in den Kontrollraum, suchte und fand den Schalter für die Überwachungskamera, die in seinem Büro installiert war. Er schaltete sie aus, vollzog in seinem Arbeitsraum Schritte, die ungewöhnlich waren, danach nahm er die Kamera wieder in Betrieb. Anschließend verließ er das "Court-Coffee", begab sich zu seinem Wagen und steuerte ihn zum Treffpunkt, an dem er sich mit seinem Kumpel verabredet hatte. Es war logisch, dass die Vorgänge im "Court-Coffee" ihm zur Last gelegt werden würden, weshalb ihr Abkommen die Vereinbarung beinhaltete, dass ihn sein Freund bis zum erfolgreichen Abschluss ihres Deals verstecken sollte.

Während der Fahrt beschäftigte sich Clemens komischerweise mit düsteren Gedanken. Seit ein paar Tagen war er nicht mehr wie früher fähig, die Werdegänge der Schwerkriminellen innerhalb von wenigen Stunden zu verarbeiten. Selbst das bewusstlose Sicherheitspersonal, das nackt im "Court-Coffee" verstreut herumlag, auch ihre Kollegen, von denen sie nach acht Stunden abgelöst werden sollten, hatten diesbezüglich Veränderungen an ihm festgestellt, die ihm jederzeit zum Nachteil gereichen konnten. In dieser Hinsicht waren ihm bereits gewisse Gerüchte zu Ohren gekommen. Ihm war klar, dass auch diese Dinge an seiner Existenz nagten, sie über kurz oder lang zerstören würden. Dabei zusehen wollte er nicht, überhaupt, er hatte zu nichts mehr Lust, war saft- und kraftlos. Der Gedanke in Zukunft von Ganoven aller Art nichts mehr hören, lesen und sehen zu müssen, erfüllte ihn mit tiefster Vorfreude. Wie sein Kumpel schätzte er ihr Vorhaben als bombensicher ein. Obwohl er krimineller Natur war, er selbst über derartige Energien nicht verfügte, sich in diesem Fall auf seinen Ersatzvater verlassen musste, sah er in ihrem begonnenen Handeln einen Akt der Gerechtigkeit. Es verhielt sich nicht so, dass sein älterer Freund zu irgendeiner Kategorie von Schurken gehörte, doch besaß er mehr Lebenserfahrung, stand zudem mitten im Leben, was Clemens von sich und seinem Alltag keinesfalls behaupten konnte. Sein täglicher Trott bestand aus seinem Büro, den Schwerverbrechern, die er in diesem empfing und aus den Gesprächen, die er mit ihnen führte. Nur der Sonntag blieb ihm zum Leben und zum Durchatmen. Dieser Lebenswandel hätte ihn auf Dauer umgebracht, im Beruf vorhandene Begleitumstände wären auf Dauer dazu fähig gewesen, ihn verzweifeln zu lassen. Vieles lief im "Court-Coffee" so ab, wie es nicht vorauszusehen war, beinhaltete Methoden, mit denen er nicht einverstanden sein konnte. Einwände seinerseits hatten sich als sinnlos erwiesen, wodurch er sich irgendwie an den Zuständen mitschuldig fühlte. Zwei Häuserblocks vor dem Ziel blieb Clemens Burger am Straßenrand stehen. Er überdachte die letzten Stunden, vergewisserte sich, ob er nichts vergessen hatte. Er griff nach seinem auf dem Beifahrersitz liegenden unlängst erworbenen Prepaidhandy, kontrollierte die gespeicherten Kontakte. Es waren einunddreißig an der Zahl, die nur per Handy zu erreichen waren, weitere einhundertfünf, die über das Festnetz und sogar per E-Mail angeschrieben werden konnten. In der Gewissheit, an alles Erforderliche gedacht zu haben, setzte er seinen Weg fort.

Das Gespräch mit seinem befreundeten, väterlichen Komplizen war von kurzer Dauer, fand auf einem ansonsten leeren Parkplatz eines Supermarktes statt. Clemens Burger und sein Freund blieben in ihren Autos sitzen, unterhielten sich durch die geöffneten Fenster im ausreichenden Abstand zu dem Konsumgebäude. Dann trat das ein, was der Profiler befürchtete, doch nie imstande gewesen wäre zu glauben, dass es dazu kommen würde. Aus beruflicher Perspektive konnte somit gesagt werden, dass Clemens Burger erstmals über einen Menschen ein komplett falsches Gutachten ausgestellt hatte. Es war Mittwochmorgen, die Morgendämmerung versprach einen wunderschönen Tag, läutete zugleich die erste "Tea-Party" ein, von der noch niemand ahnte, dass sie stattfinden sollte.

 

Tea-Party 1

Boston, Juli 2019

D

etective Forrest Waterspoon stand auf einem riesigen Parkplatz eines Supermarktes, innerhalb eines von der Polizei abgesperrten Geländes. Konsumenten, die darauf gewartet hatten, dass der Einkaufsmarkt endlich seine Türen öffnen würde, war ein abseitsstehendes Fahrzeug aufgefallen. Einem besonders neugierigen, vielleicht auch besorgten Kunden blieb es schließlich vorbehalten, hinter dem Lenkrad des Autos einen Toten zu entdecken. Erschrocken sprang er von der Fahrertür zurück, rief umgehend die Polizei.

Mittlerweile hatte der Ermittler den Wagen mehrfach umkreist, die Leiche hinter dem Steuer aus allen Richtungen betrachtet. Im Anschluss musterte er den Leblosen in gebückter Stellung durch die offene Fahrertür, danach in gleichem Muster durch die Beifahrertür. Hinterher nahm Forrest seine gegenwärtige Position ein, zündete sich nachdenklich eine Zigarre an. Er vernahm Schritte in seinem Rücken, verzichtete darauf sich umzudrehen, wusste, wer auf ihn zukam.

»Womit haben wir es zu tun?«, fragte Morddezernatsleiter Joshua Jason Calbott, als er neben dem Detective zum Stehen gekommen war.

Forrest steckte sich die Zigarre in den Mund, zog sich die Jacke aus. Obwohl es noch nicht einmal zehn Uhr war, schien der Asphalt unter seinen Füßen bereits zu glühen. Er warf sich das Kleidungsstück über den linken Arm, nahm die Zigarre zwischen die Finger seiner rechten Hand. »Es sollte nach Selbstmord aussehen, aber hier stimmt vorne und hinten nichts«, antwortete er, deutete zu dem rund zehn Meter entfernten Wagen, indem der Tote saß. »Der Mann kann sich unmöglich hinter dem Steuer eine Kugel durch den Kopf gejagt haben. Wer das inszeniert hat, ist ein Laie. Jeder der sich regelmäßig Krimis im Fernsehen ansieht, hätte es glaubwürdiger hinbekommen.«

»Wie kommst du darauf?«

»Schau dir die Blutspritzer im Wagen an, dann weißt du Bescheid. Dem Toten wurde die Waffe nach dem Schuss in die Hand gelegt«, erklärte Forrest.

»Also ein inszenierter Suizid, somit Mord«, stellte JJ fest.

Waterspoon drehte sich seinem Vorgesetzten zu. »Darauf kannst du jede Wette eingehen. Merkwürdig ist eines: Wer trifft sich am frühen Morgen auf einem leeren Parkplatz vor einem Supermarkt? Geschäftsleute kaum, Ganoven eher. In welcher Form auch immer, der Mörder und das Opfer haben sich gekannt.«

JJ nahm Schritt auf, ging auf das Auto zu. Als er registrierte, dass Forrest ihm folgte, fragte er: »Was für Rückschlüsse und Überlegungen hast du noch parat?«

»Es war Mord, reicht das nicht? In welcher Verbindung Täter und Toter zueinander standen kann ich nicht einschätzen, nur eines vermuten: Der Treffpunkt war vom Schützen ausgewählt, nämlich in der Absicht, abseits jeglichen morgendlichen Trubels zu töten.«

»Genauso gut könnte es zwischen den beiden während des Gesprächs zu einem Streit gekommen sein.«

»Die Möglichkeit einer Affekthandlung schließe ich aus, wer so handelt, verschwindet auf der Stelle, macht sich nicht die Mühe mit der Waffe«, entgegnete Forrest.

Nachdem JJ das Wageninnere begutachtet hatte, richtete er sich auf, blickte den Detective an. »In einem Punkt hast du recht, es war Mord. Die Blutspuren belegen es. Hast du schon herausgefunden, ob es eine Parkplatzüberwachung gibt?«, sah der Morddezernatsleiter in Richtung des riesigen Supermarktes.

Dazu hatte sich Waterspoon noch keine Gedanken machen können, schließlich war er beim Rauchen gestört worden. »Ich frage nach, aber schau dich um. Einer der größten Supermärkte in Massachusetts kann sich noch nicht einmal Laternen auf dem Parkplatz leisten, dann weißt du Bescheid. Warum sollten wir auch mal Glück haben?«

Die Gesichtsbräune des Morddezernatsleiters, der erst vor wenigen Tagen aus dem Urlaub zurückgekehrt war, erhielt die Nuance eines Sonnenbrandes. »Mit meiner Frau war ich schon öfter abends hier. Wenn es dunkel ist, wird der Parkplatz von Strahlern beleuchtet, die sich auf dem Dach des Gebäudes befinden«, sagte er, schien peinlich berührt, zugegeben zu haben, seine Frau beim Einkaufen zu begleiten.

Forrest bemerkte es, zuckte mit den Schultern. »Lass mal JJ, ich spiele auch ab und zu den Tütenträger für Betty. Was ich mich frage, ist, wie der Schuss zustande gekommen ist. Die Leiche starrt geradeaus, die Blutspritzer auf der Beifahrerseite zeigen auf, dass er seinem Mörder direkt ins Gesicht gesehen haben muss. Stand der Täter vor der Fahrertür, saß er eventuell selbst in einem Fahrzeug?«

»Fragen, die dir die Spurensicherung und Gerichtsmedizin sicher bald wegen des Einschusswinkels beantworten werden. Sind die Details von Belang? Ich finde nicht, falls doch, was berücksichtige ich nicht?«, fragte Joshua Jason Calbott, der selbst viele Jahre seinen Dienst aktiv in verschiedenen Abteilungen des "BPD" verrichtet hatte.

Diesmal bewegte Forrest den Kopf leicht von links nach rechts. »Keine Ahnung!« Waterspoon trat einen Schritt zurück, wartete, bis JJ neben ihm stand, vollführte dann eine langsame Drehung um die eigene Achse. »Sieh dich mal um, stell dir folgendes vor: Du und ich vereinbaren hier zu einer bestimmten Uhrzeit ein Treffen, auf jeden Fall zu einem Zeitpunkt, in dem noch nicht einmal der Hahn gekräht hat. So oder so, zeitgleich auf die Sekunde werden wir nicht eintreffen, also fährst du oder ich zu dem bereits vor Ort befindlichen. Egal, wer von uns ein wenig zu spät dran war, sieht das Auto des anderen, was tut er?«

»Er fährt darauf zu«, antwortete JJ.

»Genau, angenommen du wärst es. Wo würdest du stehenbleiben?«, fragte Forrest, hob den Arm mit der Jacke an, um sich zu vergewissern, ob sich sein Hut noch dort befand, wo er hingehörte. Da er ihn fast immer trug, hatte er nämlich das Gefühl über sein Vorhandensein längst verloren.

»Da wir uns gut kennen, wahrscheinlich direkt neben deinem Wagen. Wenn es nicht so wäre, womöglich ein paar Meter entfernt, um vor oder nach dir auszusteigen. Es käme auf die Situation und den Grund an, weswegen wir uns hier verabredet hätten.«

»Schau dir mal das Loch in der Stirn des Toten an.«

Der Morddezernatsleiter kam dem Wunsch nach, warf auch einen Blick auf die Waffe. »Jetzt versteh ich«, gab er von sich, drehte sich dem Detectiv zu. »Kleinkaliber, der Schuss ist aus nächster Nähe abgegeben worden.«

»Richtig!«, stimmte Forrest zu, gab sogleich seine Meinung preis: »Die Kugel tritt am Hinterkopf aus, prallt gegen das geschlossene Beifahrerfenster, fällt zu Boden. Sie liegt vor dem Sitz. Der Mörder saß entweder in seinem Fahrzeug oder befand sich in gebückter Stellung an der Fahrertür. Würdest du mit einem völlig fremden Menschen so reden, wenn du ihn zum ersten mal triffst?«

»Eher nicht«, erwiderte JJ.

»Das sich Mörder und Leiche kannten, dafür spricht auch, dass der Tote im Wagen sitzt. Bei einem Kennenlernen wäre der Erschossene wahrscheinlich aus Anstand ausgestiegen.«

JJ sah noch einmal zu dem Toten. »Mich brauchst du nicht mehr zu überzeugen. Wenn man deine Argumente zu Rate zieht, muss man davon ausgehen, dass der Ermordete seinen Mörder kannte. Also heißt es, sein soziales Umfeld durchleuchten. Sag mal, kommt er dir nicht irgendwie bekannt vor? Ich glaube, ihn schon mal irgendwo gesehen zu haben.«

»Merkwürdig, dass du es erwähnst, geht mir ähnlich, aber ich wüsste nicht, wo ich ihn einordnen sollte. Soll ich noch bleiben oder kann ich ins Büro?«

Der Abteilungsleiter überlegte, entschloss sich Forrest gehen zu lassen. »Okay, verschwinde. Die Ermittlungen in diesem Fall übernimmst du. Trug der Tote etwas bei sich?«, erkundigte sich JJ, bevor Forrest Schritt aufnahm.

Forrest schüttelte den Kopf. »Nichts, womit er zu identifizieren wäre.«

Wann erscheinen die Spurensicherung und Gerichtsmedizin?«

»Müssten längst da sein, werden bestimmt jeden Moment eintreffen«, antwortete Forrest und trabte davon, da er keine Lust hatte, länger in der Sonne zu stehen.

Neben den Mördern, die er in seinem Job zu stoppen und zu fangen hatte, besaß Forrest drei weitere Feinde: Die Hitze, seine erbärmliche Fitness und sein gegenwärtig stets, wenn auch nur leicht, ansteigendes Übergewicht. Er konnte sich gar nicht mehr erinnern, wie oft er sich schon vorgenommen hatte, seinen ungesunden Lebenswandel zu ändern. Trotz einer herausfordernden Tätigkeit, eventuell auch wegen ihr, bewegte er sich zu wenig, aß zu viel, trank regelmäßig ein Bierchen, ohne es zu übertreiben. Er wusste, dass er seine miserable körperliche Form verbessern und den Umfang des Bauches mit mehr Bewegung reduzieren könnte. Aber die verfluchte Bequemlichkeit nach einem anstrengenden Arbeitstag ohne körperliche Anstrengungen benahm sich wie eine treue Ehefrau: Sie war dominant und anhänglich. Im verwaisten Büro, es war Mittwoch, und Jesse Owens, sein im Rollstuhl sitzender Partner, hatte noch bis Montag Urlaub, gelobte er diesbezüglich Besserung.

D

ie von Clemens Burger dreißig frei gelassenen Kapitalverbrecher hatten sich in Boston an den unterschiedlichsten Orten eingefunden. Per Luftlinie waren sie nur wenige hundert Meter bis zu einigen Kilometern voneinander entfernt, trotzdem schien jeder Einzelne in einer anderen Welt gelandet zu sein.

Vorab hatten sie Stellen aufgesucht, die in den Morgenstunden in Boston relativ vereinsamt dalagen. Dazu gehörten die ruhigen Uferpromenaden entlang des Charles River, wo nur wenige Jogger und Spaziergänger unterwegs waren. Auch die kleinen, versteckten Parks in den Wohnvierteln boten eine willkommene Abgeschiedenheit. Der Boston Common und der Public Garden, obwohl zentral gelegen, waren um diese Zeit erstaunlich leer. Manche der Inhaftierten, deren erzwungene Entlassung noch nicht registriert worden war, suchten Parkplätze auf, andere Sportstätten, die nichts anderes zu bieten hatten als das Wetteifern von schräg piepsenden und unmelodisch singenden Vögeln. Am Zielort fanden alle Häftlinge die gleichen Utensilien vor: Einen Rucksack mit unauffälliger Privatkleidung, Bargeld, ein Prepaid-Handy, eine volle Wasserflasche, zwei Snacks, eine Tafel Schokolade, ein Messer und eine Schusswaffe mit einer Schachtel Munition. Trotz des Abstands zueinander agierten die Schwerverbrecher nahezu synchron. Unbeobachtet zogen sie sich um, packten ungesehen die Uniformen ein. Zwischendurch aßen sie die Sandwiches auf, tranken in Abständen in aller Ruhe die Wasserflaschen leer. Danach brachen sie wie vorgeschrieben auf, nahmen die ihnen zugewiesenen Stellungen ein, in denen sie auf ihre Kommandos zu warten hatten. Kein Mensch wusste es, niemand besaß eine Vorahnung oder ein Wissen darüber, dass sich Boston schon zu dieser Zeit in der Hand von menschlichen Zeitbomben befand, bevor die Leiche von Clemens Burger aufgefunden worden war. Fast niemand wusste es, bis um sechs Uhr morgens im "Court-Coffee" wie üblich der Schichtwechsel stattfand. Die nacheinander aus der Bewusstlosigkeit erwachende Nachtschicht, die Erkenntnis, dreißig Kapitalverbrecher auf freiem Fuß zu wissen, erzeugte in den verantwortlichen Etagen Entsetzen und Panik. Die Ursache war einfach zu erklären: Das »Court-Coffee" besaß innerhalb der Justizbehörden einen "Top-Secret-Status", der unbedingt aufrechtgehalten werden musste. Das stellte die eine Seite des Spiegels dar, die andere und für Schwerverbrecher undurchsichtige, betraf die Kriminellen. Welche nachvollziehbare Erklärung hätte abgegeben werden können, um verständlich zu erläutern, dass sich mitten in einer Metropole eine solche Einrichtung befand, der nun die Insassen fehlten. Das jeder Flüchtige fähig war, Boston zu einem Schlachtfeld zu verwandeln, gehörte zu den Nebensächlichkeiten, die der Öffentlichkeit niemals zu Ohren gelangen durfte, ebenso wenig den Behörden, die mit solchen Vorgängen nicht vertraut waren. Dazu zählte in gewissem Umfang auch das "Bostoner-Police-Department". Solche kleine, inkompetente Institutionen besaßen nicht die Befugnis, die vom Justizministerium eingeleitete und angeordnete Vorgehensweisen in Zweifel zu ziehen. Trotz allen Gerüchten war das "Court-Coffee" offiziell ein kleines anerkanntes Untersuchungsgefängnis. Laut Insidern beherbergte das Gebäude Inhaftierte, über die in Boston zeitnah ein Urteil gefällt werden sollte, ebenso erfüllte es die Aufgabe, bei Überführungen von Sträflingen von einem Ort in den nächsten als Zwischenstation zu dienen. Schließlich lag es im Bestreben der Justizbehörden, Gewaltverbrecher jeder Art lebenslänglich hinter Gitter zu bringen. Nach Möglichkeit mit Todesstrafe, die in Massachusetts ausgesetzt war, unter dem Vorbehalt, sie bei schwersten Straftaten doch anwenden zu können. Dazu waren mitunter außergewöhnliche Schritte erforderlich, die im Sinne des Staates durchgeführt werden mussten, die allerdings von Klein- und Normalbürgern nicht verstanden werden konnten. Sie unterstanden aus Sicht der Obrigkeit einem Kleinbürgerleben, wurden als zu normal und naiv angesehen, faktisch als zu dumm betitelt, ohne es ausgesprochen zu haben. Natürlich hatte es gegen die Einrichtung eines solchen Objekts mitten in der City Proteste gegeben, aber wie so oft setzte der Staat seine Interessen durch. Der Stadt kam es gelegen, denn das leerstehende "Court-Coffee" wurde auf diese Weise lukrativ an den Staat vermietet und auf dessen Kosten saniert. Mit all diesen Gedanken und Sachverhalten mussten sich die freigesetzten Mörder, Serienkiller, Triebtäter, Schlächter und Kannibalen nicht auseinandersetzen. Sie hatten Aufgaben, klare Vorgaben, denen sie sich nicht entziehen konnten. Aus logischer Sicht wäre nur ihr Meister in der Lage gewesen, ihren hypnotischen Zustand zu beenden. Doch Clemens Burger war tot, lag inzwischen in der Pathologie von Peter Brandon, wo er im Zustand einer ewig anhaltenden Dauerhypnose obduziert wurde.

J

ohn Shaddock, Polizeipräsident Bostons, in der Metropole wurde seine Stellung als Kommissar der Stadt bezeichnet, war außer sich. Ein anonymer Brief hatte ihn in Rage gebracht, umgehend ein Treffen mit der Bürgermeisterin organisieren lassen. Die Zeilen lauteten:

VEREHRTE OBRIGKEIT!

ICH BIN IM BESITZ VON STRAFTÄTERN, DEREN AUFENTHALT IN BOSTON IHNEN UNBEKANNT WAR. ALS VERANTWORTLICHER FÜR DIE SICHERHEIT IN DER STADT, IST BEREITS DIESE UNVERZEIHLICHE UNWISSENHEIT IHRERSEITS EIN FREVEL UND EIN VERSAGEN GEGENÜBER DEN BÜRGERN BOSTONS! NICHTSDESTOTROTZ BIN ICH BEREIT, IHNEN JEDEN STRAFTÄTER AUSZUHÄNDIGEN, OHNE DAS VON DIESEN EIN WEITERES VERBECHEN VERÜBT WIRD.

MEINE FORDERUNG: JE STRAFTÄTER EINE MILLION DOLLAR. UM NACHHALTIGE SCHÄDEN VON DEN BÜRGERN BOSTONS ABZUWENDEN, IST DER BETRAG FÜR DEN ERSTEN VERBRECHER AUF EINE KONTONUMMER ZU ÜBERWEISEN, DIE SIE BEI EINEM TOTEN FINDEN WERDEN, DER ALS BEISPIEL DIENT, WAS SIE ZU ERWARTEN HÄTTEN, WENN EINE ZAHLUNGSVERWEIGERUNG ERFOLGT. DIE HEUTE MORGEN AUF EINEM PARKPLATZ GEFUNDENE LEICHE WIRD SIE AUFKLÄREN. DESWEGEN: ZAHLEN SIE ODER ES STERBEN WEITERE MENSCHEN. WIRD EINE ZAHLUNG VERWEIGERT, LASSE ICH EINEN DER KRIMINELLEN AUF UNSCHULDIGE MENSCHEN LOS, WOFÜR SIE DIE SCHULD TRAGEN WÜRDEN. MIT JEDER UNTERLASSENEN ZAHLUNG FÜR EINEN DER KRIMINELLEN STEIGT DER BETRAG PRO STARFTÄTER UM EINE WEITERE MILLION. SIE KÖNNEN ALSO ENTSCHEIDEN, OB SIE EINE ÜBERSCHAUBARE SUMME BEZAHLEN ODER DEM STEUERZAHLER IHRE FEHLER ZUR LAST LEGEN WOLLEN. MACHEN SIE SICH NICHT DIE MÜHE, MICH ZU FINDEN ODER ZU JAGEN. ICH BIN DER EINZIGE, DER ZUGRIFF AUF DIE KRIMINELLEN HAT. NACH MEINER VERHAFTUNG, WÜRDE BOSTON IN EINEM BLUTBAD VERSINKEN.

UM MEINEN FORDERUNGEN NACHDRUCK ZU VERLEIHEN, WIRD KOMMENDEN SONNTAG EIN EXEMPEL STATUIERT. DAS MUSTERBEISPIEL KÖNNEN SIE NUR VERHINDERN, WENN DER GESAMTBETRAG FÜR ALLE KAPITALVERBRECHER IN HÖHE VON 30 MILLIONEN DOLLAR VOR SONNTAG EINGEHT. FALLS SIE AN MEINEN WORTEN ZWEIFEL HEGEN, BEGINNEN SIE MIT ERMITTLUNGEN IM "COURT-COFFEE! BEI SÄMTLICHEN KONTAKTEN MÖCHTE ICH MIT "MISTER DEAD" ANGESPROCHEN WORDEN, OBWOHL SIE ÜBER LEBEN UND TOD ENTSCHEIDEN. ICH MELDE MICH!

Die Zeilen hatten John Shaddock am Nachmittag per Boten erreicht, der ihm nicht sagen konnte, wann, wo und von wem das Schreiben aufgegeben worden war. Er führte deshalb einige Telefongespräche, deren Gesprächsverläufe unbefriedigend verliefen. Keine angerufene Stelle war befugt oder wollte ihm sagen, was geschehen war. Zwangsläufig fand aufgrund der Ereignisse eine Lagebesprechung am Nachmittag zwischen ihm, der Bürgermeisterin, dem Morddezernatsleiter und Detective Waterspoon statt, auf dessen Anwesenheit er bestand. Es war auch Forrest, der sich als Erster zu den Zeilen äußerte: »Ich ziehe um«, sagte Forrest, nachdem er den Brief gelesen hatte. »In Philadelphia, New York, Chicago, egal wo, gibt es Morde und Verbrechen, aber nein, hier in Boston muss alles irgendwie anders ablaufen. Mir kommt es inzwischen vor, als ob ich seit Jahren in keinem normalen Mordfall ermittelt hätte, womit ich nicht sagen will, dass Tötungsdelikte über einen Normalzustand verfügen würden.«

John Shaddock lächelte aufgrund der Worte. Er und Forrest hatten berufsmäßig ein enges Verhältnis, woran auch der selten gewordene Kontakt nichts geändert hatte. »Forrest, der Tote auf dem Parkplatz! Gibt es ein Anzeichen, wodurch sich die Andeutungen in dem anonymen Schreiben bestätigen?«

Forrest zuckte mit den Schultern. »Sorry, aber ich habe mit Peter noch nicht gesprochen und möchte ihm bei der Arbeit nach Möglichkeit nicht assistieren.«

»Die Obduktion ist noch im Gange«, bestätigte JJ.

»Meine Herren«, riss die Bürgermeisterin das Wort an sich. »Ich bin Laie, aber sollen wir dieses lächerliche Schreiben wahrhaftig ernst nehmen?«

»Etwa nicht?«, sah John Shaddock zu der Frau, die neben ihm saß.

»Also wenn Sie mich fragen, erlaubt sich da jemand einen makabren Scherz. Ich meine, ich kenne es nur aus dem Fernsehen, aber seit wann schreiben Erpresser einen halben Roman, um Druck auszuüben«, erwiderte die Bürgermeisterin, sah vom Kommissar in die Runde.

Der Morddezernatsleiter nahm sich die Freiheit zu antworten: »Tja, wir sind nicht im Fernsehen, sondern befinden uns in der Realität. Hinwegsehen über die Zeilen können wir jedenfalls nicht. Die Länge des Schreibens mag verwundern, andererseits weiß der Absender von dem Toten, der heute tatsächlich auf einem Parkplatz gefunden wurde. Das kann kein Zufall sein.«

»Was haben die Worte zu bedeuten, der Leichnam wird uns aufklären?«, warf die Bürgermeisterin ein.

»Forrest, was denkst du dazu?«, interessierte den Kommissar der Stadt die Meinung des Detectives.

»Der Tote wurde ermordet, da bin ich mir sicher. Vielleicht wir Pathologe Peter Brandon bei ihm etwas finden, wie zum Beispiel die Kontonummer, doch zugleich werden er und die Spurenbesichtigung bestätigen, dass sich der Erschossene nicht selbst umgebracht haben kann. Seine Haltung und die Blutspritzer widersprechen einem Suizid.«

John Shaddock wandte sich an den Morddezernatsleiter. »Sie waren auch am Tatort, JJ. Ihr Resümee dazu?«

»Im Grunde gebe ich Forrest vollumfänglich recht«, entgegnete JJ zweideutig.

»Aber?«, bohrte John weiter.

Forrests direkter Vorgesetzter sah den Detective entschuldigend an, führte aus: »Es klingt verrückt, aber vielleicht will uns jemand vormachen, dass es Mord war, obwohl es sich in Wahrheit um einen Freitod dreht. Der Morddezernatsleiter erkannte, wie die auf ihm drei ruhenden Augenpaare seine Worte in Zweifel zogen. »Mir ist bewusst, es klingt total irre, nur erscheint es mir wegen einem Punkt nicht abwegig. Der Erpresser will, dass wir von einem Tötungsdelikt ausgehen, der durch eine Autopsie widerlegt wird. Geschieht es, hat er uns auf gewisse Weise vorgeführt und seine Macht demonstriert.«

»Forrest, halten Sie das für möglich?«, sprach John Shaddock erneut den Detektiv an.

Waterspoon holte tief Luft. »Fest steht, dass jemand die Leiche so gedreht haben muss, wie wir sie vorgefunden haben. Wäre es Suizid, hätte der Selbstmörder während der Tat seinem Gesprächspartner in die Augen oder zumindest ins Gesicht sehen müssen. Wer würde dabei zuschauen? Sicher, es geschahen schon viele Selbsttötungen, bei denen Dritte zugegen waren, aber nicht eine auf diese Weise. Zugegeben, es gibt viele Möglichkeiten einen Menschen soweit zu bringen, dass er den Freitod wählt. Erpressung, Folter, Drohungen, Gehirnwäsche sind nur einige Beispiele«, sagte er, ergänzte: »Ich bleibe dabei, halte es nach wie vor für Mord. Im Übrigen, wenn es sich so verhalten würde, wie ich eingangs erwähnte, dass der Zeuge des Suizids nur zusah, nichts dagegen unternahm, kommt es fast auf das gleich heraus.«

»Was wiederum schwer zu beweisen wäre«, kommentierte John die Aussage.

Forrest runzelte die Stirn, sein Ton wurde schärfer. »Frau Bürgermeisterin, John! Wir reden hier um den heißen Brei, was ist los?«, fragte er.

»Wir wissen es nicht genau«, erwiderte John Shaddock zerknirscht. »Wir alle hier am Tisch kennen die Gerüchte um das "Court-Coffee", nur Insider wissen, dass dieses Gebäude seit Jahren eine staatliche Einrichtung ist, zu der nur bestimmte Personen Zugang haben. Keiner von uns gehört zu dem Kreis der Auserwählten. Irgendetwas muss dort passiert sein, was, entzieht sich unserer Kenntnis.«

»Das soll ich jetzt glauben«, entgegnete Forrest mürrisch.

»Die Stadt hat das Gebäude vor Jahren an den Staat vermietet, wir haben seitdem keine Zugangsberechtigung. Was sich hinter den Mauern abspielt, geht uns schlichtweg nichts an«, erklärte das weibliche Stadtoberhaupt., unterbrach sich, nippte an ihrem Wasserglas, fuhr fort: »Ich war damals noch nicht im Amt, kenne aber den Mietvertrag zwischen Staat und Stadt.«

Waterspoon hob die Hand. »Mich interessieren keine Details des Vertrages, nur einen Punkt würde ich gerne wissen: Seit Jahren wird uns erzählt, dass drei Arten von Gefangenen im "Court-Coffee" gehalten werden. Bei ihnen handelt es sich angeblich um harmlose Untersuchungsgefangene, Kriminelle, die sich auf Schub befinden und um Inhaftierte, denen in Boston zeitnah der Prozess gemacht wird. Der Brief des Erpressers erwähnt nun dreißig Schwerverbrecher, verweist uns auf das "»"Court-Coffee". Was ist hier los?«

Die Bürgermeisterin schien wegen Forrests Verhalten ein wenig eingeschnappt zu sein, antwortete reserviert »Wie es bereits der "Chief" angedeutet hat, wir wissen es nicht.

---ENDE DER LESEPROBE---