:
Ostfrieslandroman
Dörte Ekhoff liebt Hinnerk Husmann, den Inhaber einer
Tauchschule. Hinnerk macht sich an Rena heran, Dörtes Schwester,
von der er nichts weiß. Rena wird von Jasper Frerich bedrängt, ihn
endlich zu heiraten, braucht aber noch etwas Zeit, sagt sie. Als
Jasper eines Tages Hinnerk und Rena zusammen sieht, steht für ihn
die Sachlage fest. Aber kann es nicht auch ganz anders sein?
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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books,
Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press,
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Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints
von
Alfred Bekker
© Roman by Author
“Fred Wiards” ist ein Pseudonym von Alfred Bekker.
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich
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Alles rund um Belletristik!
1
„Vorsicht!“, rief Coord Ekhoff, als das Boot plötzlich heftig
hin und her schaukelte. „Rena! Dörte! Seid ihr denn jetzt ganz
verrückt geworden! Wo habt ihr denn eure Gedanken?“
Sie waren zu dritt auf dem kleinen Boot – Coord Ekhoff und
seine beiden Töchter. Und das bedeutete nicht nur, dass es ziemlich
eng war, sondern dass jeder der drei auch sehr genau auf seine
Bewegungen achtgeben musste, damit das Fischerboot nicht kenterte.
Zwar waren sie alle drei gute Schwimmer, aber nach einem
unfreiwilligen Bad im eiskaltem Wasser der Nordsee stand Ekhoff
nicht der Sinn.
Und von seinen Töchtern war das eigentlich auch nicht
anzunehmen.
Die beiden bildschönen Mädchen sahen ihren Vater etwas
erschrocken an.
„Ja, was ist denn los mit euch?“, fragte Ekhoff. „Wenn man mit
dem Fischerboot auf die See fährt, ist das nicht gerade der
richtige Moment, um herumzuträumen.“
„Ach komm, Vater! Reg dich nicht auf, es ist ja nochmal gut
gegangen“, erwiderte Rena.
Ekhoff atmete tief durch.
„So gerade eben“, gab er dann zu. Seine umwölkte Stirn hatte
sich unterdessen aber schon wieder sichtbar geglättet.
Wirklich böse sein konnte er den beiden jungen Frauen sowieso
nicht.
Die Sonne stand schon tief über dem Horizont, der sich ringsum
erstreckte. Das Abendrot spiegelte sich auf der grauen
Wasseroberfläche.
Ekhoff Coord genoss diesen Anblick jedes Mal aufs Neue, wenn
er mit seinem Boot hinausfuhr. Das unablässige Schauspiel des
Meeres beeindruckte ihn immer wieder.
Daran hatte sich in all den Jahrzehnten nichts geändert, in
denen er nun schon seine Fischerei auf der Nordsee betrieb, deren
ungezügeltes Wasser seinesgleichen suchte.
Zusammen mit seinen Töchtern Rena und Dörte war er mit dem
Boot hinausgefahren, um die Reusen zu leeren. Die beiden Mädchen
waren zu hübschen, jungen Frauen herangewachsen und halfen fleißig
im elterlichen Fischerei-Betrieb mit.
Rena war die jüngere der beiden. Sie hatte blondes, leicht
gelocktes Haar, das sie mit einem Haarband zu bändigen pflegte.
Ihre grauen Augen waren von derselben Farbe wie die Oberfläche der
Nordsee bei gutem Wetter.
Ihre ältere Schwester Dörte hatte etwas dunkleres, aber immer
noch blondes Haar, das ihr bis auf die Schultern herabfiel. Sie
galt allenthalben als die Temperamentvollere und Mutigere der
beiden. Und so hatte Rena nicht selten das Gefühl, etwas ins
Hintertreffen zu geraten – besonders wenn es darum ging, einen der
ansehnlichen jungen Männer aus der Gegend anzusprechen.
Dörte wagte mehr und aufgrund ihrer charmanten Art gewann sie
auch fast immer. Sich einen Korb einzufangen, davor hatte das
Mädchen keine Angst. Außerdem spielte sie ganz gerne mit dem Feuer.
Rena war da von etwas vorsichtigerer und nachdenklicherer
Natur.
Im Ganzen waren die beiden Schwestern allerdings meistens ein
Herz und eine Seele – trotz oder gerade wegen ihrer
Unterschiedlichkeit.
Ekhoff wollte gar nicht daran denken, was geschehen würde,
wenn die beiden Mädchen irgendwann einmal nicht mehr im Betrieb
mithalfen. In diesem Fall musste er dann einen Gehilfen anstellen.
Auch wenn seine Frau ihm schon seit längerem riet, sich an diesen
Gedanken zu gewöhnen, so wollte der Fischer davon doch erst einmal
nichts wissen.
„Nein, Papa, du musst schon ein bisschen aufpassen, dass du
nicht vom Kurs abkommst!“, sagte Rena plötzlich.
Coord Ekhoff stellte fest, dass seine Jüngere recht
hatte.
Er war so in Gedanken gewesen, dass das Boot jene Uferstelle
mit ziemlicher Sicherheit verfehlt hätte, an der die Reusen
festgemacht waren. Selbst ohne Fernglas konnte man sie jetzt
bereits sehen. Die Pflöcke, an denen sie befestigt waren, ragten
leicht über die Wasseroberfläche.
Ekhoff riss die Pinne des Außenbordmotors herum, so dass das
Boot auf Kurs kam.
„Ja, ich war ein bisschen in Gedanken“, sagte Ekhoff. „Aber
das gilt heute ja wohl nicht allein für mich, oder?“
Sie erreichten gerade die Reusen, da tauchte in der Ferne ein
weißes Kajütboot auf, und die drei blickten einige Augenblicke lang
wie gebannt dorthin.
„Das ist die NORDMEERJUNGFRAU“, stellte Dörte fest und begann
zu winken.
„Lass doch, Dörte!“, meinte die Schwester. „Auf die Entfernung
sieht dich doch sowieso niemand!“
„Hinnerk wird mich schon bemerken“, meinte Dörte
selbstbewusst. „Wer weiß, vielleicht schaut er gerade jetzt mit dem
Fernglas in unsere Richtung …“
„Das ist doch Quatsch!“, stieß Rena hervor.
„Was bist du denn so widerborstig?“
„Du tust ja gerade so, als wärst gut bekannt mit
Hinnerk!“
„Und was würdest du sagen, wenn ich‘s wäre?“
„Dann würde ich sagen, dass du da gewiss nicht allein bist,
Schwesterherz!“
„Ich weiß gar nicht, was du hast, Rena! Du hast doch deinen
Jasper! Was ist denn dagegen einzuwenden, dass ich ihn mir genau
anschaue, wenn ein neuer Mann in der Gegend auftaucht!“
„Gegen das Schauen hat auch keiner was gesagt, Dörte!“
Ekhoff hatte seinen beiden Töchtern eine Weile erstaunt
zugehört. „Ja, was regt ihr euch denn auf? Hinnerk Husmann hat
scheinbar einen nachhaltigen Eindruck auf euch gemacht.“
Dörte zuckte die Achseln. „Ganz ansehnlich ist er ja …“
„… aber wie man so hört, lässt er auch nichts anbrennen“,
ergänzte Rena.
Dörte sah ihre Schwester mit erstauntem Gesicht an.
„Das braucht deine Sorge nicht zu sein – oder?“
Hinnerk Husmann war vor einiger Zeit in Greetsiel aufgetaucht
und hatte eine Tauchschule eröffnet. Ekhoff hatte es erst gar nicht
gefallen, dass dadurch mehr Touristen in die Gegend gezogen wurden.
Misstrauisch hatte er das Kajütboot Husmanns betrachtet und schon
geargwöhnt, dass das Treiben des Neulings vielleicht negative
Folgen für den Fischfang haben könnte. Inzwischen war er zu der
Erkenntnis gelangt, dass die Nordsee vielleicht doch groß genug für
sie beide war.
„Nun verdreht mal nicht vollends eure Hälse“, meinte Ekhoff
schließlich, während seine beiden Töchter dem weißen Kajütboot
nachblickten. „Oder wollen wir den Fang heute in der Reuse
lassen?“
Die beiden Mädchen lachten und dann machten sich die drei ans
Werk.
2
Es dämmerte schon, als Ekhoff mit seinen Töchtern zum
heimatlichen Fischerhaus zurückkehrte. Es lag idyllisch am Ufer des
Siels. Ein schmucker Bootssteg führte ins Wasser hinein.
Und ganz in der Nähe befanden sich ein paar
Räucherstuben.
Schon von Weitem sah Coord Ekhoff, dass zwei Personen auf dem
Bootssteg waren und ihnen zuwinkten. Die eine Person war seine
Frau. Und bei der anderen handelte sich um Jasper Frerich.
„Scheint, als wäre Besuch für dich da“, brummte Ekhoff zu
Rena. „Jedenfalls nehme ich an, dass Frerich deinetwegen gekommen
ist …“ Ekhoff seufzte. „Musste es denn ausgerechnet einer von denen
sein?“
„Ach, Papa! Hast du irgendetwas gegen Jasper vorzubringen? Er
ist ein ehrlicher arbeitsamer junger Mann – und für das, was damals
unserem Bruder passiert ist, kann er nichts!“
Das Gesicht Ekhoffs wurde düster.
„Eingebildet ist er, der Sohn des Kutterfischers! Hält sich
wohl für was Besseres als unsereins!“
„Das ist nicht gerecht, was du jetzt sagst!“, entgegnete Rena
sehr ernst.
Vor Jahren hatte Ekhoff neben seinen beiden attraktiven
Töchtern auch einen Sohn gehabt. Derk hatte er geheißen.
Zusammen mit Sören, Frerichs älterem Sohn, war er zu einer
ausgedehnten Wattenmeertour aufgebrochen. Die beiden jungen Männer
waren in die aufkommende Flut hineingeraten und nicht
zurückgekehrt. Später hatte man sie beide nur noch tot bergen
können. Seitdem war Ekhoff nicht gut auf alles zu sprechen, was den
Namen Frerich trug, denn er machte Sörens Leichtsinn für den Tod
seines Sohnes verantwortlich.
Allein, so pflegte er immer zu sagen, hätte Derk sich niemals
auf ein so riskantes Unternehmen eingelassen.
Und nun ging seine Tochter mit dem jüngeren Sohn des
Kutterfischers! Selbst von einer Verlobung war schon die
Rede!
Ekhoff konnte sich einfach nicht vorstellen, dass ihre beiden
Familien auf diese Weise miteinander verbunden sein sollten. Allein
der Gedanke daran war ihm schon unerträglich, denn jedes Mal, wenn
er Jasper sah, wurde er an diese tragische Geschichte erinnert. Die
Wunde in seinem Inneren, die nur sehr langsam heilen wollte, wurde
dann immer wieder aufs Neue aufgerissen.
Erschwerend kam noch hinzu, dass Jasper Frerich seinem älteren
Bruder wie aus dem Gesicht geschnitten war und sich darüber hinaus
in seiner Freizeit auch, genau wie dieser, als eifriger
Wattenmeergänger betätigte.
Unwillkürlich ballte Ekhoff die Hände zu Fäusten, als er
Jasper auf dem Steg stehen sah.
Kann er sich nicht ein anderes Mädchen aussuchen?, ging es dem
Fischer ärgerlich durch den Kopf. Muss es denn ausgerechnet meine
Rena sein?
Andererseits war Coord Ekhoff Realist genug, um zu wissen,
dass er nichts dagegen unternehmen konnte. Aber vielleicht, so
hoffte er nach wie vor, würde das Mädchen doch noch zur Besinnung
kommen und sich anderswo nach einem geeigneten Mann
umschauen.
Manchmal wünschte er sich sogar, dass Rena etwas mehr von der
Leichtlebigkeit ihrer Schwester gehabt hätte. Dann hätte sie den
Fischersohn längst vergessen, davon war er überzeugt.
„Ich sage dir, der ist nichts für dich!“, meinte er, obwohl er
wusste, dass Rena ihm kaum zuhören würde. „Jasper ist genauso
leichtsinnig wie sein Bruder war. Du willst es nur nicht
wahrhaben!“
„Weil es auch nicht der Wahrheit entspricht, Papa!“, versetzte
Rena bestimmt.
„Mädchen, Mädchen! So gut kannst ihn noch gar nicht kennen“,
schüttelte Ekhoff den Kopf. „Jasper ist doch mit dem goldenen
Löffel geboren. Genau wie sein Bruder! Und nur deshalb ist er so
leichtsinnig. Lass dir das gesagt sein.“
„Ach, Papa! Wenn du die Vergangenheit doch nur vergessen
könntest!“
„Vergessen?“, fragte Ekhoff etwas unwirsch. „Du sprichst von
deinem Bruder!“
Rena seufzte. „Das vergesse ich schon nicht. Darauf kannst
dich verlassen! Aber ein bisschen freundlicher könntest du trotz
alledem zu Jasper sein.“
Das Boot erreichte bald den Steg. Rena sprang an Land und
machte es mit geschickten Handgriffen fest.
Ihre Mutter begrüßte die Ankömmlinge mit einem herzlichen
Lächeln. „Früh seid ihr diesmal zurück“, stellte Neele Ekhoff fest.
„Ich hoffe nur, dass auch etwas in den Reusen war!“
„Ja, ein bisschen war es schon“, murmelte Rena und blickte
geradewegs an ihrer Mutter vorbei.
„Ja, du hast Besuch, mein Kind“, kommentierte Neele. Dann
beugte sie sich etwas vor und murmelte in gedämpftem Tonfall: „Tu
mir einen Gefallen und lass es heute Abend nicht zu spät werden
…“
„Nein, das wird es schon nicht“, erwiderte Rena.
Und diese Erwiderung hatte ihren guten Grund.
In letzter Zeit hing zwischen den beiden nämlich ein bisschen
der Haussegen schief. Nicht, dass sie sich lauthals gestritten
hätten, aber Jasper redete dauernd vom Heiraten und das Mädchen war
sich einfach nicht sicher, ob sie dazu schon bereit war. Irgendwie
fühlte sie sich für solche Gedanken noch ein bisschen zu jung. Erst
einmal etwas vom Leben haben, bevor man sich die ganze
Verantwortung auf den Hals lädt!, sagte eine Stimme in Rena. Es gab
da noch eine zweite, widerstreitende Stimme, der es eigentlich kaum
schnell genug damit gehen konnte, vor den Altar zu treten und einen
eigenen Hausstand zu gründen. Aber die zweite Stimme war im Moment
noch die Schwächere.
„Moin, Jasper“, seufzte sie, als sie Frerichs Sohn
gegenüberstand. „Nett, dass du vorbeischaust …“
Einträchtig gingen sie den Steg entlang und erreichten
schließlich das feste Land.
Jasper Frerich war ein attraktiver junger Mann.
Hochgewachsen, mit breiten Schultern und hellwachen Augen, mit
denen er das Mädchen begehrlich anblickte.
„Ja, selbst in deiner Arbeitskleidung siehst du hübsch aus,
Rena“, meinte er anerkennend. „Und die ist ja nun nicht gerade
figurbetont …“
„Ach komm, Jasper!“
„Das war als Kompliment gemeint!“
Rena lächelte. „Ich habe es auch so aufgefasst. Aber du
übertreibst damit ein bisschen!“
„Ich sehe das schon richtig.“
„Ich werde mich trotzdem erst mal umziehen, bevor wir zwei was
unternehmen … und ich denke, da wirst du wohl kaum etwas dagegen
einzuwenden haben!“
Eine halbe Stunde später spazierten die beiden etwas abseits
des Fischerhauses am Ufer entlang. Die Nordseewellen um Greetsiel
herum strahlten in den unterschiedlichsten Rottönen. Die Sonne sank
immer tiefer und würde bald hinter der Kimm verschwinden. Die
Gestalten der beiden jungen Menschen warfen lange Schatten auf den
Boden.
Hand in Hand gingen die beiden jungen Leute eine ganze Weile
lang schweigend am Ufer entlang. Die einsetzende Flut kräuselte die
Wasseroberfläche und begann, kleinere Wellen zu erzeugen, die sich
unaufhaltsam das Ufer hinauf bewegten.
„Ich verstehe nicht, warum du die Sache noch so weit
hinauszögern musst, Rena“, begann Jasper schließlich mit dem Thema,
das das Mädchen schon die ganze Zeit über gefürchtet hatte und
dessentwegen sie sich auch gar nicht mehr so richtig auf die
Treffen mit dem attraktiven Fischersohn freute. „In ein oder zwei
Monaten könnten wir heiraten! Ja, das würde ein Fest …“
„Ach, Jasper – hat das nicht noch Zeit?“
„Aber wenn man sich doch liebt!“
„Auf der einen Seite hast du ja recht – aber …“
Rena sprach nicht weiter. Sie stockte und brach ab. Zu
ungeordnet waren die Gedanken in ihr, als dass etwas über ihre
Lippen kommen würde, das sie später vielleicht bereut hätte.
Sie wollte Jasper nicht verletzen. Und eigentlich mochte sie
ihn ja auch wirklich gern.
Könnte er mir nicht einfach ein bisschen mehr Zeit lassen?,
ging es dem Mädchen durch den Kopf. Sie konnte es nicht ausstehen,
zu etwas gedrängt zu werden. Das war schon als Kind so gewesen, und
ihre Eltern hatten das hin und wieder seufzend zur Kenntnis nehmen
müssen.
„Aber was?“, hakte Jasper jetzt nach.
Sie blieben stehen.
Ihre Blicke trafen sich. Jasper fasste sie bei den
Schultern.
Auf seiner Stirn stand eine ernste Falte.
Rena öffnete halb die Lippen. Sie wollte etwas sagen, brachte
aber nicht einen einzigen Ton heraus. Ein Kloß saß ihr im
Hals.
„Es ist wegen deines Vaters, nicht wahr?“, stellte Jasper dann
fest.
„Na …“
„Gib es doch ruhig zu! Wir zwei können doch ehrlich
miteinander sein! Ich nehme nicht an, dass dein Vater dir gegenüber
anders redet, als er es sonst im Ort tut, wenn er zum Beispiel beim
Wirt am Tresen sitzt!“
„Jasper …“, versuchte Rena ihren Freund zu beruhigen.
Aber das war im Grunde sinnlos.
Eigentlich hatte er ja recht, was Ekhoffs Einstellung
anging.
Nur stimmte es nicht, dass diese nun etwa der tiefere Grund
dafür gewesen wäre, dass Rena bislang auf Jaspers Heiratsabsicht
eher zurückhaltend reagiert hatte. Über die Ablehnung ihres Vaters
hätte sich das willensstarke Mädchen notfalls hinweggesetzt.
Irgendwann, so war ihre Überzeugung, hätte der dann schon seinen
Groll aufgegeben. Spätestens dann, wenn sich Enkel
einstellten.
„Dein Vater glaubt, dass ich genauso wäre wie mein Bruder. Das
ist doch richtig, oder? Und den macht er für den Tod seines Sohnes
verantwortlich – obwohl Derk gewiss ein genauso risikofreudiger
Wattenmeergänger gewesen ist wie Sören!“
„Ja, das mag schon sein, Jasper!“
„Mache ich vielleicht deine ganze Familie dafür
verantwortlich, dass mein Bruder im Meer ums Leben gekommen ist?
Das ist doch einfach lächerlich so etwas. Die zwei waren Freunde,
haben sich in Gefahr begeben und leider das Risiko falsch
eingeschätzt. Das ist alles. Und so traurig das auch sein mag –
aber soll diese Geschichte vielleicht die Zukunft vergiften? Unser
Leben?“
„Ach, Jasper …“
„Dein Vater wird schon über seinen Schatten springen“, war der
Fischersohn überzeugt. Ihrer beider Blicke trafen sich,
verschmolzen für Augenblicke miteinander. Rena hatte in diesem
Moment fast das Gefühl, seine Gedanken lesen zu können. Er hingegen
schien nichts von dem erfasst zu haben, was in ihr vorging.
Rena seufzte.
„Mit meinem Vater hat das nichts zu tun“, sagte sie
dann.
Jasper sah sie etwas erstaunt an.
Einen Augenblick lang sagte er kein Wort. Dann ließ er ihre
Schultern los.
„Womit dann?“, fragte er nach. „Bist du dir vielleicht doch
nicht so sicher, ob du mich liebst? Glaubst du vielleicht, dass da
noch was Besseres kommt?“
Jasper atmete tief durch. Es war ihm anzusehen, wie sehr er
innerlich aufgewühlt war.
„Jasper, wie kannst du nur so etwas denken!“, erwiderte Rena.
„Natürlich liebe ich dich … Ich möchte nur, dass wir uns etwas mehr
Zeit geben. Wir sind doch jung! Läuft uns die Hochzeit vielleicht
davon?“
Jasper schüttelte den Kopf.
„Ich verstehe dich nicht, Rena. Tut mir leid.“ Er schüttelte
wütend den Kopf.
Nun war es also richtig zum Streit zwischen ihnen beiden
gekommen. Das hatte Rena immer befürchtet. Deswegen war sie auch
Jasper gegenüber bislang nicht mit der vollen Wahrheit
herausgekommen.
Doch nun war es geschehen. Und Worte, die einmal gesprochen
waren, konnte man nicht wieder zurückholen.
„Ich frage mich, was wirklich hinter deiner Zögerlichkeit
steckt, Rena, oder besser gesagt: wer!“
„Jasper!“
„Ja, man muss doch nur eins und eins zusammenzählen, um darauf
zu kommen …“ Jasper fasste sich an den Kopf. „Nun ergibt alles
plötzlich einen Sinn!“
„Jasper! Das ist doch nicht wahr, was du da sagst!“
„Ach nein?“
Jasper hatte die Hände zu Fäusten geballt.
„Lass uns doch in Ruhe über alles reden. Was ist schon dabei,
wenn wir die Sache nicht so überstürzen?“
„Vielleicht ist es wirklich besser, wenn wir alles noch einmal
überdenken, Rena.“
„Was soll das heißen?“, fragte Rena tonlos.
„Genau das, was ich gesagt habe. Nicht mehr und nicht
weniger.“
„Aber da ist wirklich kein anderer, Jasper! Das musst du mir
glauben!“
Rena nestelte am Jackenkragen von Jasper Frerich herum.
Dieser knurrte etwas Unverständliches vor sich hin.
„Ja, lange kannst mir doch sowieso nicht böse sein, Jasper!
Also lass es besser ganz!“
„Ganz verrückt machst du mich!“, erwiderte Jasper. Aber sein
Gesicht war schon wesentlich weniger ärgerlich. Doch ein gewisses
Misstrauen blieb. Und Rena wusste nur zu gut, dass sie dies auch
nicht im Handumdrehen ausräumen konnte.
Schließlich gab sich Jasper einen Ruck. Er legte den Arm um
Rena, und sie schmiegte sich an seine Schulter.
„Du musst nicht alles ernst nehmen, was ich so daher rede“,
meinte er dann. „Aber die Sache hat mich so aufgewühlt … Im Grunde
will ich doch nichts anderes, als mit dir zusammen glücklich
werden, Rena.“
3
Hinnerk Husmann blickte von der Veranda seiner Tauchschule aus
auf die abendliche Nordsee. Das Kajütboot, mit dem er seine
Tauchschüler hinausfuhr, lag gut vertäut an der Anlegestelle. Eike
Janssen, sein Gehilfe, hielt eine Angel in der Hand, aber das Glück
war ihm nicht hold. Immer wieder warf er den Köder aus, aber an
diesem Abend war es wie verhext. Er bekam nichts an den
Haken.
„Lass es gut sein, Eike!“, rief Hinnerk. „Heute fängst du doch
nichts mehr!“
Eike Janssen sah das etwas später selbst ein. Er rollte die
Angelschnur ein und kehrte in Richtung der Tauchschule
zurück.
Hinnerk Husmann hatte sie in einem leerstehenden Fachwerkhaus
eingerichtet, das zuvor schon jahrelang leer gestanden hatte.
„Ja, was machst denn für ein griesgrämiges Gesicht, Hinnerk?“,
meinte Eike. Er war einige Jahre älter als sein Arbeitgeber und
hatte zuvor als Seemann auf einem der Fischkutter gearbeitet. „Das
Geschäft geht doch nicht schlecht!“
„Hast du eine Ahnung“, murmelte Hinnerk, und sein Gesicht
verfinsterte sich dabei etwas.
Eike sah Hinnerk verwundert an.
„Ja, was soll das denn heißen? Waren denn nicht genug
Touristen auf dem Boot, die sich die Taucherei zeigen lassen
wollten? Mehr hätten wir doch kaum verkraften können – es sei denn,
du stellst noch ein paar Hilfskräfte ein. Aber so leicht wird wohl
niemand zu finden sein, der genug vom Tauchen versteht …“
„Unsere Kosten sind einfach zu hoch, Eike. Und jetzt am Anfang
drückt natürlich auch noch ein Berg Schulden. Ich muss mir was
überlegen.“
„Ich versteh das nicht“, schüttelte Eike den Kopf. „Die
Tauchschule ist doch gut angelaufen.“
„Nicht gut genug, Eike“, entgegnete Hinnerk Husmann. „Ich will
dir keine Angst machen, aber die Situation ist so ernst, dass es im
Handumdrehen vorbei sein kann.“
„Ich würde das sehr bedauern“, meinte Eike dann, nachdem er
einmal tief durchgeatmet hatte. „Schon deshalb, weil ich die Arbeit
sehr gerne mache … aber wenn‘s hart auf hart kommt, dann kann ich
jederzeit bei einem Fischer wieder anfangen!“
„Ich hoffe nicht, dass es soweit kommt!“
Eike Janssen nickte. „Es wird sich schon eine Lösung
ergeben.“
„Dein Wort in Gottes Ohr!“
„Mit ein bisschen mehr Zuversicht lebt es sich doch
entschieden leichter!“
Hinnerk Husmann schwieg dazu, dachte sich aber seinen Teil. Du
hast gut reden!, ging es ihm durch den Kopf. Dein Geld ist es ja
auch nicht, von dem alle Ausgaben bestritten werden müssen!
Dass es am Anfang nicht leicht sein würde, so ein Geschäft
aufzubauen, damit hatte er gerechnet.
Aber dass er schon nach so kurzer Zeit mit einem Bein im Ruin
stand, das konnte er selbst noch kaum glauben. Doch die Zahlen
waren eindeutig.
So oft er darin auch herumrechnete, sie wurden dadurch einfach
nicht rosiger. Sollte ich mich wirklich so verschätzt haben?, ging
es ihm durch den Kopf. Das Tauchen war seine Leidenschaft und
vielleicht hatte ihn das blind und leichtsinnig gemacht.
„Vergiss nicht, das das größte Kapital für uns dort liegt“,
hörte er nun die ermunternde Stimme seines Gehilfen, der bei diesen
Worten hinaus auf das Wasser deutete. „Es dürfte kaum ein Gewässer
mit so vielen Möglichkeiten geben. Ein Paradies für jeden
Taucher!“
„Ja, ich weiß“, seufzte Hinnerk. „Aber was auch immer werden
wird – dieser Tag ist erst mal vorbei … Für heute ist jedenfalls
Feierabend, ich werde versuchen, keinen Gedanken mehr an die Zahlen
zu verschwenden!“
Das war natürlich ein Wunsch, der sich wahrscheinlich nicht
realisieren ließ. Die Sorgen würden Hinnerk Husmann nicht
loslassen, so sehr er sich das auch gewünscht hätte.
Eike nickte und verabschiedete sich.
Einen Augenblick später hörte Hinnerk ihn mit dem Wagen
davonfahren.
Nachdenklich blickte Hinnerk Husmann dann eine ganze Weile auf
das weiße Kajütboot. Ein schöner Anblick, wie es da am Steg lag.
Hinnerk hatte viel in das Boot investiert. Ich hoffe nur, dass ich
das alles halten kann!, ging es ihm durch den Kopf.
4
Als Dörte Ekhoff die Tauchschule an diesem Abend erreichte,
sah sie Hinnerk Husmann in der Nähe des Stegs. Dörte war am
Flussufer entlanggegangen.
Aber es war durchaus kein Zufall, dass ihr Spazierweg sie
geradewegs an der Tauchschule vorbeiführte. Sie hatte gehofft,
Hinnerk hier zu treffen. Natürlich sollte es ganz zufällig
aussehen.
Und wie es schien, sollte das Mädchen Glück haben.
Hinnerk Husmann war sogar allein!
Dörtes Herz schlug etwas schneller.
Seit sie Hinnerk zum ersten Mal gesehen hatte, musste sie
dauernd an ihn denken. Immer wieder kreisten ihre Gedanken und
Empfindungen um diesen Fremden, der zur Nordseeküste gekommen war,
um hier Touristen das Tauchen beizubringen. Gut sieht er aus!,
dachte Dörte. Das dunkelblonde, leicht gewellte Haar, die
hochgewachsene Gestalt …
Jetzt nur nicht den Mut verlieren!, ging es ihr durch den
Kopf.
Die Mädchen aus Greetsiel waren ganz verrückt, seit Hinnerk
Husmann in die Gegend gekommen war. Und fast immer sah man ihn in
Begleitung. In der Disco rissen sich die jungen Frauen geradezu um
die Chance, mit Hinnerk über die Tanzfläche zu wirbeln. Er war
inzwischen überall als heiterer, geselliger Mensch bekannt, der
gerne scherzte und ein gekonnter Süßholzraspler war. Aber
festgelegt hatte er sich bislang wohl noch nicht. Jedenfalls hoffte
Dörte, dass es so war.
Sie fasste sich ein Herz und ging weiter.
„Hallo“, grüßte sie, als er sich eher zufällig nach ihr
umdrehte.
Er nickte ihr zu.
„Hallo!“ Sein Lächeln wirkte sympathisch. Der Blick seiner
braunen Augen ging Dörte durch und durch. „So allein am
Abend?“
„Ja, es ist nichts los heute im Ort.“
„Da sprichst du ein wahres Wort!“
„Aber das größte Schauspiel findet sowieso täglich hier
statt.“ Sie deutete zur Kimm, hinter der die Sonne inzwischen
versunken war.
„Du meinst den Sonnenuntergang in der Nordsee?“
„Ja. Ich glaube, mir wird es auch in Jahren noch nicht
langweilig, das anzuschauen!“
Hinnerk zuckte die Achseln. „Ich bin zwar noch nicht so lange
hier, aber ich kann wohl nachempfinden, was du meinst.“
Er zog ein wenig die Augenbrauen zusammen, als er sie
musterte.
„Bist du nicht Rena Ekhoff?“, fragte er dann. „Die Tochter des
Fischers?“
Dörtes Gesicht wurde dunkelrot, teilweise vor Scham, zum
anderen Teil aus Wut.
„Nein, ich bin nicht Rena!“, erwiderte sie, wobei sie sich
große Mühe geben musste, einen gekränkten Unterton zu verbergen.
Das fing ja gut an! Verwechselte dieser Mann sie einfach mit ihrer
Schwester!
Bin ich denn so unscheinbar?, ging es ihr ärgerlich durch den
Kopf.
Im Allgemeinen war es so, dass sie die Kontaktfreudigere und
Mutigere von beiden war, so dass man ihren Namen auch schneller in
Erinnerung behielt. Dass es mal umgekehrt sein könnte, passte Dörte
überhaupt nicht.
„Ja, aber …“
„Ich bin Dörte Ekhoff, nicht Rena. Das ist meine
Schwester!“
„Tut mir leid, dann habe ich euch wohl verwechselt!“
Dörte versuchte so zu tun, als hätte ihr das überhaupt nichts
ausgemacht. Sie zuckte die schmalen Schultern und meinte: „Woher
solltest du dich auch an mich erinnern? Wir haben uns ja auch beim
Fischerfest letzte Woche nur einen Tanz lang in den Armen
gehalten.“
Ein bisschen Verschnupftheit klang nun aber doch aus ihren
Worten heraus.
Und Hinnerk bemerkte das.
Er sah sie an.
„Ja, ich habe vielleicht den Namen verwechselt – aber das
Gesicht, das habe ich nicht vergessen!“, behauptete er. „Ich meine,
was ist schon ein Name? Es gibt sogar hier in Greetsiel mehrere
Mädchen, Rena oder Dörte heißen! Aber mit einem Gesicht ist das
etwas ganz anderes. Das ist einmalig. Und deines ganz
besonders.“
Dörte hob den Kopf.
„Ach, das sagst du jetzt so …“
„Ich sage nichts, was ich nicht auch so meine!“, erwiderte
Hinnerk im Brustton der Überzeugung.
„Ach, wirklich?“
Sie mussten beide lächeln.
„Natürlich!“, bekräftigte Hinnerk.
„Komisch, aber dir geht da ein ganz anderer Ruf voraus,
Hinnerk!“
Er näherte sich ihr etwas. Sie standen jetzt nur noch etwa
einen Schritt voneinander entfernt. Der Anfang ist gemacht!, dachte
Dörte. Er sah sie auf eine Weise an, die ihr gefiel.
Sie glaubte Schmetterlinge in ihrem Bauch zu haben.
Und gleichzeitig erhob sich eine warnende Stimme in ihrem
Inneren. Sei auf der Hut!, sagte diese Stimme. Du wärst nicht die
Erste, die auf dieses umwerfende Lächeln schon hereingefallen ist
und anschließend keinen freien Willen mehr hatte.
„Ja, wie das so ist, wenn ein Fremder in ein Dorf wie
Greetsiel kommt“, meinte Hinnerk dann, während Dörte wie gebannt an
seinen Lippen hing. Der Klang seiner Stimme schien sie zu
verzaubern. „Es wird eben viel geredet über den, der als Fremder
kommt! Das ist gewissermaßen ein Naturgesetz. Aber ich kann dich
beruhigen! Das meiste von dem, was du wahrscheinlich gehört hast,
stimmt nicht!“
„Dass du ein Süßholzraspler erster Klasse bist, stimmt aber!“,
erwiderte Dörte in gedämpftem Tonfall. „Davon habe ich mich heute
selbst überzeugen können …“
Hinnerk zuckte die Achseln. „Was bleibt mir anderes übrig –
wenn ich unverhofft einem so schönen Mädchen begegne?“
„Jetzt tust du es wieder!“
„Natürlich – ich werde durch deine Anwesenheit förmlich dazu
gezwungen!“
Sie lachten beide.
Und dann verschmolzen für einem Moment ihrer beider Blicke
miteinander.
Sie schwiegen, lauschten einen Augenblick den Wellen, die die
Flut vom Meer auf der Seeoberfläche bildete und in einem steten
Rhythmus ans Ufer spülte.
„Es freut mich sehr, dass wir uns heute Abend hier getroffen
haben“, sagte Hinnerk dann. Und das meinte er wirklich so, denn
Dörtes Anwesenheit hatte genau das bewirkt, wonach er sich zuvor so
gesehnt hatte.
Hinnerk hatte die Sorgen, die ihn plagten, für eine kurze Zeit
vollkommen vergessen.
„Es muss dabei nicht bleiben“, sagte sie dann. „Ich komme
öfter hier vorbei …“
„Warum habe ich dich dann nie bemerkt?“
„Vielleicht, weil du die Abende gewöhnlich in der Kneipe
verbringst!“ Dörte atmete tief durch. „Jetzt muss ich jedenfalls
wieder gehen“, sagte sie, obwohl sie eigentlich noch ganz gerne
geblieben wäre. Aber sie wollte sich ihm auf keinen Fall
aufdrängen. Umgekehrt sollte es sein! Hinnerk sollte an ihrer Angel
zappeln wie ein geköderter Fisch! Sie berührte ihn leicht am Arm.
„Mach‘s gut“, sagte sie und wandte sich zum Gehen.
„Bis Morgen!“, rief ihr Hinnerk Husmann nach, nachdem sie
schon einige Meter hinter sich gebracht hatte. Dörte drehte sich
noch einmal um, sagte nichts, sondern lächelte nur.
5
Es war schon spät, als Jasper Frerich an diesem Abend nach
Hause kam. Die Sonne war längst untergegangen, und seine Mutter
hatte sich schon ein wenig Sorgen gemacht.
Ihr Mann hatte sie zu beruhigen versucht.
„Der Junge ist alt genug, um auf sich selbst aufzupassen. Du
solltest dich deswegen nicht verrückt machen!“
Aber inzwischen war Mitternacht vorbei. Und selbst, wenn
Jasper in die Kneipe ging, war er nie so lange weggeblieben.
Als er das Wohnzimmer betrat, wirkte Jasper sehr in sich
gekehrt und niedergeschlagen.
Der Fischer und seine Frau saßen an einem großen, rustikalen
Holztisch und sahen ihn fragend an.
„Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“, fragte
Frerich.
„Es ist nichts“, brummte Jasper.
Mit seinem Vater konnte er nicht darüber reden, dass der Abend
mit Rena nicht so verlaufen war, wie der junge Fischersohn sich das
eigentlich vorgestellt hatte. Zwar wusste Frerich, dass sich sein
Sohn hin und wieder mit der Tochter des Reusenfischers traf, aber
begeistert war er davon nicht.
Allein der Name Ekhoff erinnerte ihn an den schmerzlichen
Verlust seines älteren Sohnes. Ein Verlust, der durch nichts zu
ersetzen war.
Die Mutter sah ihren Sohn prüfend an.
„Ist es wegen des Mädchens?“, schloss sie messerscharf.
Jasper wich ihrem Blick aus.
Aber seine Mutter kannte ihn nur zu gut. Ihr etwas vorzumachen
war für Jasper nahezu unmöglich.
„Ja …“
„Nun setz dich mal und heraus mit der Sprache!“, forderte
Witta Frerich. „Habt ihr Streit, Rena und du?“
„Ich weiß nicht …“
„Was weißt du nicht, Junge?“
„Sie meint, dass wir uns noch Zeit lassen sollen mit dem
Heiraten. Aber ich bin da ganz anderer Ansicht. Und mittlerweile
weiß ich nicht mehr, ob ihre plötzliche Zurückhaltung nicht einen
anderen Grund hat.“
Witta Frerich hob die Augenbrauen.
„Was meinst du denn damit?“
Er zuckte die Achseln. „Vielleicht muss ich auch erst mal eine
Nacht über alles schlafen“, meinte er dann. Aber insgeheim wusste
er, dass er am nächsten Morgen auch nicht glücklicher sein würde.
Nachdem er und Rena auseinandergegangen waren, hatte Jasper noch
einen weiten Umweg gemacht und hatte dabei nachgedacht. Zu einem
Ergebnis war er allerdings bislang nicht gekommen.
Was soll ich tun?, fragte er sich.
Er liebte Rena von ganzem Herzen.
Aber auf der anderen Seite fraß das Misstrauen an ihm. Er
glaubte ihr einfach nicht, dass die Tatsache, dass das Mädchen mit
dem Heiraten noch warten wollte, nichts mit der Person des jungen
Tauchlehrers zu tun hatte.
„Ja, such dir ein anderes Mädchen, Junge!“, meinte der Vater.
„Es gibt doch genug attraktive junge Frauen hier im Tal, du bist
doch nicht auf Rena Ekhoff angewiesen!“
Jasper seufzte.
„Wenn das so einfach wäre“, meinte er. Aber sein Herz hatte da
auch ein Wörtchen mitzureden und das sprach eine ganz eindeutige
Sprache.
Jasper wünschte seinen Eltern eine gute Nacht.
Er hatte keine Lust, sich noch länger über die leidige
Angelegenheit zu unterhalten.
„Willst du nicht noch etwas essen?“, fragte die Mutter.
Jasper schüttelte energisch den Kopf. „Nein, ich habe keinen
Hunger“, behauptete er und ging dann die Treppe hinauf, die zu
seiner Kammer führte.
Witta Frerich sah ihren Mann mit besorgtem Gesicht an.
„Der Junge ist nicht wiederzuerkennen!“, meinte sie. „Früher
hat er solche Dinge doch immer viel leichter genommen.“
„Ja, Rena Ekhoff hat ihm wohl ganz gehörig den Kopf verdreht.
Viel mehr, als wir vielleicht ahnen.“
„Wenn man mal davon absieht, dass sie aus einer Familie kommt,
gegen die du gewisse Vorbehalte hast, dann ist doch eigentlich
gegen das Mädchen auch nichts einzuwenden, finde ich“, meinte Witta
Frerich. Und dann legte sie, als sie den erstaunten
Gesichtsausdruck ihres Mannes sah, ihre schmale Hand auf die seine
und lächelte ihn zärtlich an. „Ich glaube, du brauchst dir keine
Sorgen zu machen. So, wie es ausschaut, wird sowieso nichts aus den
beiden! Jedenfalls kein Paar!“
6
„Erzähl mal, Schwesterherz! Wo bist du denn mit Jasper
gewesen?“, erkundigte sich Dörte aufgeregt, als die beiden
Schwestern noch sehr spät bei Rena im Zimmer saßen. Das taten sie
oft. Und dann teilten sie ihre großen und kleinen Geheimnisse
miteinander.
„Ach, nichts besonderes“, meinte Rena mit einer wegwerfenden
Handbewegung. „Es ist so, dass es Jasper einfach nicht abwarten
kann …“
„Was – abwarten?“
„Nein, dass wir heiraten. Er redet von nichts anderem.“
„Er hat dich also gefragt!“
„Ja …“
„Und was hast du ihm gesagt? Die Hochzeit werdet ihr dann wohl
auf dem Frerich-Anwesen feiern müssen. Ich glaube nicht, dass Papa
so schnell seine Meinung über Jasper ändern wird.“
„Ach, Dörte!“, erwiderte Rena mit tadelndem Unterton.
Die spontane, lebendige Art und Weise ihrer Schwester ging ihr
manchmal auch etwas auf die Nerven. Vor allem hatte sie so eine Art
des Auftretens, dass man ihr nach und nach alles erzählte, was sie
wissen wollte.
„Du hast ihm doch keinen Korb gegeben, oder?“, fragte Dörte.
„Jasper ist der reichste Fischersohn in der Umgebung. Und attraktiv
ist er noch obendrein!“
„Nein, aber ich will noch nicht heiraten, Dörte. Erst noch …
etwas erleben, verstehst du, was ich meine?“
Dörte lächelte hintergründig. „Natürlich verstehe ich
das.“
Rena zuckte die Achseln. „Ich glaube, Jasper versteht das gar
nicht. Ich habe versucht, ihm zu das erklären, aber …“
„Ich wollte dir das nie so direkt sagen, aber …“
„Was?“, hakte Rena nach.
Dörte drehte mit dem Zeigefinger in ihrem Haar herum. Sie
zuckte die Schultern.
„Vielleicht ist er auch nicht der Richtige für dich!“
Rena machte eine wegwerfende Geste. „Ja, bei jeder anderen
würde ich darüber jetzt sehr ernsthaft nachdenken, aber bei dir
…“
Dörte tat sehr empört. „Wieso?“
„Ach komm, Dörte, das sagst du doch nur, weil du den
attraktiven Jasper am Ende für dich selbst willst! Ich kenne dich
doch!“
Die Mädchen lachten beide herzhaft und ziemlich laut.
Dann schraken sie plötzlich zusammen, und Dörte legte einen
Finger vor ihre Lippen. „Nicht ganz so laut, Schwesterherz, wir
sind schließlich die einzigen, die im Moment in diesem Haus noch
auf den Beinen sind!“
„Also gut.“
Dörte seufzte. Sie sah ihre Schwester unverwandt an und wurde
wieder ernst.
„Du kannst ganz beruhigt sein, aber für mich ist Jasper
nichts. Ganz bestimmt nicht!“
Rena atmete tief durch. Ihr Blick war jetzt nach innen
gerichtet. „Ich weiß ja im Moment nicht einmal mehr, ob ich ihn
selbst noch möchte …“ Dann hob sie den Kopf und blickte ihrer
Schwester direkt in die Augen. „Aber was ist mir dir?“, fragte sie.
„Wo warst du denn heute Abend?“
„Naja …“
„Was heißt hier naja? Irgendwo wirst du doch gewesen sein,
auch wenn Mama den Eindruck hatte, du wärst wie vom Erdboden
verschluckt gewesen. Und erzähl mir jetzt bloß nicht, dass du
mutterseelenallein am Strand spazieren gegangen bist und den
Anblick der Nordsee genossen hast!“
Dörtes Gesichtsausdruck veränderte sich.
Ihre Augen begannen zu leuchten und eine sanfte Röte überzog
ihre Haut. So manchem mag sie ja etwas vormachen können, dachte
Rena bei ihrem Anblick. Aber mir nicht. Bis über beide Ohren
verliebt ist sie! Fragt sich nur in wen.
„Wer ist es?“, fragte Rena dann. „Etwa Hinnerk Husmann?“
Dörte zuckte zusammen.
„Quatsch, Rena, wo denkst du hin? Meinst du, ich habe Lust,
mich in eine lange Schlange zu stellen, um mal geküsst zu werden?
Nein, nein!“
„Und wer dann?“
„Einstweilen ein Geheimnis, Schwesterherz!“
„Das ist nicht fair!“, protestierte Rena. „Ich offenbare dir
mein Innerstes und du …“
„Gib mir noch ein bisschen Zeit damit, Rena. Was du vom Jasper
verlangst, wirst du mir jetzt wohl auch nicht abschlagen können,
oder?“
Dörte sah auf die Uhr.
Dann meinte sie: „Es ist schon spät. In aller Frühe müssen wir
raus und die Reusen kontrollieren. Besser, wir schlafen jetzt ein
bisschen, sonst fallen wir morgen vielleicht tatsächlich ins
Wasser.“
Rena nickte und erhob sich von dem groben Holzstuhl, auf dem
sie gesessen hatte.
„Gute Nacht, Schwesterherz“, sagte sie.
„Gute Nacht.“
Als Rena die Kammer ihrer Schwester verlassen hatte, lag Dörte
noch lange wach da, starrte gegen die Decke und sah vor ihrem
inneren Auge sein Gesicht.
Das Gesicht Hinnerk Husmanns.
Ja, was für ein toller Typ!, dachte sie.
Aber ihr war klar, dass sie noch einiges auf die Beine stellen
musste, wenn sie ihn wirklich für sich gewinnen wollte. Und solange
sie das noch nicht hundertprozentig geschafft hatte, wollte sie
auch mit niemandem darüber reden. Nicht einmal mit ihrer Schwester,
mit der sie sonst alles teilte.
7
Als Dörte am Morgen erwachte, hatte sie das Gefühl, die ganze
Nacht kein Auge zugemacht zu haben. Ihr Kopf war voll von Gedanken.
Und die meisten davon drehten sich um Hinnerk Husmann.
Ja, sei nicht verrückt!, versuchte sich selbst zu sagen. So
verliebt sie auf der einen Seite auch war, so gefiel es ihr doch
andererseits nicht, dass ein Mann sie derart konfus machte.
Der Morgen verging mit Arbeit auf der Fischerei. Aber alle,
die ihr begegneten, bemerkten sehr wohl den besonderen Glanz ihrer
Augen und das verhaltene Lächeln, das ständig um ihre Lippen herum
zu sehen war.
„Nun sag schon, wer es ist“, raunte Rena ihr zwischendurch
einmal zu, als die beiden allein waren.
Aber Dörte weigerte sich.
„Es ist und bleibt ein Geheimnis“, erklärte sie. „Und dabei
wird es auch bleiben, ganz gleich, wie oft du mich noch mit deinen
Fragen löcherst.“