Familie mit Herz 159 - Caroline Steffens - E-Book

Familie mit Herz 159 E-Book

Caroline Steffens

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Beschreibung

Mutlos betrachtet Adrian den Berg von Unterlagen, die er noch an diesem späten Abend bearbeiten muss. Dabei fühlt er sich heillos erschöpft! Sein wenige Monate alter Sohn Luca hat den ganzen Tag geweint, und Merle, seine vierjährige Tochter, bockt und mauert, wo sie nur kann. Natürlich kann Adrian sie so gut verstehen! Merle kann einfach nicht fassen, dass ihre geliebte Mama sie ohne ein Wort verlassen hat. Eine schwere Depression hat Nicola dazu gebracht, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Nicht nur, dass Adrian seine Frau jede Sekunde des Tages schmerzlich vermisst - er fühlt sich auch zunehmend mit Kindern, Beruf und Haushalt überfordert! Es ist einfach alles viel zu viel. Und dann fährt Adrian in einem unachtsamen Moment auch noch eine junge Radfahrerin mit dem Wagen an ...


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Inhalt

Cover

Crash der Herzen

Vorschau

Impressum

Crash der Herzen

Wenn Funken fliegen und die Liebe entflammt

Von Caroline Steffens

Mutlos betrachtet Adrian den Berg von Unterlagen, die er noch an diesem späten Abend bearbeiten muss. Dabei fühlt er sich heillos erschöpft! Sein wenige Monate alter Sohn Luca hat den ganzen Tag geweint, und Merle, seine vierjährige Tochter, bockt und mauert, wo sie nur kann. Natürlich kann Adrian sie so gut verstehen! Merle kann einfach nicht fassen, dass ihre geliebte Mama sie ohne ein Wort verlassen hat. Eine schwere Depression hat Nicola dazu gebracht, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Nicht nur, dass Adrian seine Frau jede Sekunde des Tages schmerzlich vermisst – er fühlt sich auch zunehmend mit Kindern, Beruf und Haushalt überfordert! Es ist einfach alles viel zu viel. Und dann fährt Adrian in einem unachtsamen Moment auch noch eine junge Radfahrerin mit dem Wagen an ...

Adrian Germann legte den Einkommenssteuerbescheid seines Mandanten zu dessen Kontoauszügen in die Akte. Er wollte heute ein wenig früher Feierabend machen, um nach Hause zu seiner Frau Nicola und den Kindern Luca und Merle zu kommen.

Seit ihr Sohn Luca vor drei Wochen zur Welt gekommen war, ging es Nicola nicht gut. Sie weinte viel, war ständig niedergeschlagen, interessierte sich für nichts mehr und fragte sich immer wieder, ob sie ihrer Aufgabe als Mutter von zwei Kindern gewachsen war. Dabei war Luca ein liebes, ruhiges Baby, das viel schlief und wenn es wach war, nur selten quengelte. Seine Schwester, die vierjährige Merle, stand häufig an Lucas Bettchen und fragte, wann das Brüderchen groß genug war, um mit ihm zu spielen.

Adrian nahm die Unterlagen des Mandanten, um sie seiner Sekretärin Hilde Gutberg zu geben, griff nach seiner Aktentasche und verließ das Büro.

Hilde Gutberg saß im Vorzimmer, hatte ihre Kopfhörer in den Ohren und tippte eifrig etwas in den Computer. Sie sah hoch, als er an ihren Schreibtisch trat.

»Frau Gutberg, ich mache etwas früher Feierabend.« Er legte die Akte des Mandanten auf ihren Arbeitsplatz. »Bitte sperren Sie die Unterlagen weg.«

Hilde Gutberg nahm die Kopfhörer ab. »Natürlich, Herr Germann. Wie geht es denn Ihrer Frau? Noch immer nicht besser?«

Adrian seufzte. »Leider nicht. Ich frage mich wirklich, was mit Nicola ist. Es ging ihr ja schon während der Schwangerschaft nicht so gut, aber ich dachte, wenn der Kleine erst einmal da ist, wird alles besser.«

»Was hatte sie denn für Probleme?« Voller Anteilnahme sah ihn seine Sekretärin an. Sie war selbst Mutter von drei erwachsenen Töchtern und hatte mittlerweile auch zwei Enkelkinder.

»Sie hatte lange Zeit mit Übelkeit zu kämpfen, später kamen Rückenschmerzen dazu, vorrübergehend Bluthochdruck, und sie hat sich viele Zukunftssorgen gemacht.«

»Hm«, murmelte Hilde Gutberg nachdenklich. »Bei Tina, meiner zweiten Tochter, ging mir das ähnlich. Aber als die Kleine da war, war das alles vergessen. Sie war so ein ausgeglichenes, freundliches Baby. Es gibt ja da den sogenannten ›Baby Blues‹ nach einer Geburt. Das ist eine kleine depressive Verstimmung. Aber die dauert nicht sehr lange, soweit ich weiß.«

»Ich versuche, so viel wie möglich für Nicola und die Kinder dazu sein, und hoffe ansonsten auf die Zeit«, erwiderte Adrian. »Als meine Frau mit Merle schwanger war, ging es ihr prächtig. Und auch nach der Geburt war sie so positiv und glücklich. Ich kann mir nicht erklären, was jetzt mit ihr los ist.«

Es tat gut, sich seiner ruhigen, lebenserfahrenen Sekretärin mitzuteilen.

»Machen Sie das.« Hilde Gutberg lächelte ihm zu.

»Bis morgen, Frau Gutberg.«

»Bis morgen, Herr Germann.« Sie griff wieder nach ihren Kopfhörern.

Adrian verließ das Vorzimmer und ging zügig den Flur entlang. Über sein Handy kam eine Nachricht herein. Im Laufen nahm er es aus der Hosentasche. Sie war von Nicola.

Ich liebe dich, hatte sie geschrieben. Dahinter war ein rotes Herz zu sehen. Liebe und Dankbarkeit erfüllten ihn.

Ich liebe dich auch, tippte er in das Mobiltelefon. Er setzte ebenfalls ein rotes Herz dahinter. Sekundenlang überlegte er, ob er ihr schreiben sollte, dass er schon auf dem Heimweg war, und entschied sich dagegen. Er würde sie überraschen und bei Blumen-Schmitt noch einen kleinen bunten Rosenstrauß für sie kaufen. Diese Blumen mochte sie besonders gerne.

♥♥♥

Adrian sperrte die Haustür auf. Er verhielt sich leise, um Luca nicht zu wecken, falls er schlief. Beim Betreten des Hauses empfing ihn unheilvolle Stille. Irgendetwas war anders als sonst. Was, das konnte er im Moment noch nicht sagen.

Er öffnete die Tür zur begehbaren Garderobe und bemerkte, dass der Kinderwagen des Kleinen fehlte. War Nicola mit den Kindern spazieren gegangen? Das war in den vergangenen Wochen noch nicht vorgekommen, doch es wäre ein Zeichen der Besserung. Vielleicht hatte der erste sonnige Tag nach zwei Wochen Regen Nicolas Stimmung gutgetan. Oder hatte er einen Arzttermin vergessen, zu dem sie mit Luca oder Merle gemusst hatte?

»Nicola? Merle?«, rief er wider besseres Wissen. Im Haus blieb es still.

Adrian stellte seine Aktentasche neben den Flurschrank und ging mit seinen Blumen in die Küche. Er holte eine Vase aus einem Schrank, füllte sie mit Wasser und stellte den Strauß hinein.

Es läutete an der Haustür, und er lächelte. Das war sicher Nicola mit den Kindern. Er hatte den Wagen in die Einfahrt gestellt, sodass sie wusste, dass er bereits zu Hause war. Früher hatte sie immer geläutet, wenn er zu Hause war. Sie liebte es, sich von ihm öffnen zu lassen. Ein weiteres gutes Zeichen. Rasch verließ er die Küche.

Sekunden darauf barst seine Welt in Stücke ...

Vor der Tür standen zwei Polizeibeamten. Ihre Mienen sprachen Bände. Adrian war es, als presste eine eisige Hand sein Innerstes zusammen. Doch noch weigerte sich sein Verstand zu akzeptieren, dass sie ihm etwas mitteilen würden, was er nicht aushielt.

»Herr Adrian Germann?«, fragte der Ältere der beiden.

Er konnte kaum nicken. Sein Nacken war steif, seine Hände wurden eiskalt.

»Dürfen wir hereinkommen?«

Nein, nein, nein! Er musste die Tür schließen, damit sie ihm nicht ins Haus trugen, was er nicht verkraften konnte. Es war etwas Grauenhaftes passiert, die Erkenntnis konnte er sich nicht fernhalten. »Bitte«, presste er hervor. Beinahe hätten seine Zähne aufeinandergeschlagen. Dennoch bat er die Beamten herein.

»... über den Abhang hinausgeschossen. Es tut uns sehr leid.«

Sein Innerstes brannte und tobte und schrie. Adrian saß wie gelähmt auf der Sofakante.

»Wir wissen noch nicht, ob ein weiteres Fahrzeug beteiligt war. Es gibt keine Bremsspuren.«

»Die Kinder ...«, stieß Adrian hervor. Sein Blickfeld hatte sich eingeengt. Links und rechts von ihm gab es nichts mehr, nur eine große, dunkle Leere.

»Ihre Frau war allein im Wagen«, fuhr der Beamte fort.

»Die Kinder ...«, wiederholte Adrian. Wo waren sie? Wieso war Nicola alleine weggefahren? Wohin hatte sie gewollt? Sie hatte ihm doch noch eine Nachricht geschrieben. Neues, eisiges Entsetzen umklammerte ihn und schaffte es doch nicht, das Brennen in ihm zu löschen.

»Möchten Sie damit sagen, Sie haben Kinder und wissen nicht, wo diese sich derzeit aufhalten?« Die Frage des Polizisten erreichte ihn wie aus weiter Ferne.

»Wieso ist sie ohne die Kinder weggefahren?« Hilflos wandte er sich an den älteren Beamten, obgleich ihm klar war, dass er ihm keine Antwort geben konnte.

»Wie alt sind Ihre Kinder? Gibt es Freunde oder Verwandte, bei denen sie sein könnten? Spielgefährten?«

»Luca ist drei Wochen, und Merle ist vier Jahre.« Ganz langsam tauchte er aus dem Tunnel der Fassungslosigkeit auf. Wo waren die Kinder? Was hatte Nicola vorgehabt – und vor allem: Warum hatte sie ihn nicht über ihre Pläne informiert, vorhin, als sie ihm geschrieben hatte? Etwas hämmerte in ihm, das er mit Macht kleinhalten wollte. Eine Ahnung, die so unvorstellbar war, dass sie nicht zur Gewissheit werden durfte.

»Was ist mit Freunden oder Verwandten?«

»Meine Schwiegermutter, Helga Schneeberger. Aber dort können sie nicht sein. Helga geht jeden Dienstagnachmittag in die Therme.«

»Bei wem könnten sie noch sein?«

Die Fragen des Beamten waren unerträglich und doch notwendig. Am liebsten wäre er aufgesprungen und losgelaufen, um die Kinder zu suchen, auch wenn er nicht wusste, wo er hätte schauen können. Und um Nicola zu sehen. Vielleicht war ja alles ein entsetzlicher Irrtum. Vielleicht lebte sie ja doch noch.

»Hat Merle Kindergartenfreunde? Gibt es jemanden, dem Ihre Frau die Kinder anvertraut haben könnte?« Sie ließen ihn nicht in Ruhe.

»Vivien Markstein, eine Bekannte. Aber ihre Kinder haben Scharlach. Niemals hätte Nicola unsere beiden jetzt dorthin gebracht.«

»Wer kommt noch infrage?«

»Niemand. Wirklich, mir fällt niemand ein.« Ihm war schlecht.

»Haben Sie Fotos von Ihren Kindern?«

In Adrians Kopf begann etwas zu rauschen. Der Beamte sprach weiter, doch er konnte nicht mehr aufnehmen, was er sagte. »Im Schlafzimmer«, erwiderte er auf die erste Frage. Er wusste nicht, ob seine Beine stark genug waren, ihn zu tragen. Er stand auf. Erstaunlicherweise funktionierten sie. Mit steifen Schritten ging er aus dem Raum.

Die Bilder hingen an der Wand über der Kommode. Es waren viele. Von Nicole und ihm, am Gardasee. Dort hatte er ihr den Heiratsantrag gemacht. Eine Aufnahme von ihnen beiden als Brautpaar, glückselig und strahlend. Voller Liebe sah sie zu ihm auf. Bilder von Merle, nach der Geburt, im Sandkasten, zu Beginn des Kindergartens. Das war das Aktuellste. Und Baby Luca zwei Tage nach seiner Geburt. Adrian nahm das Kindergartenbild von Merle und das bisher einzige gerahmte von Luca ab.

Er wandte sich um, um den Raum zu verlassen, und sah auf seinem Kopfkissen einen Briefumschlag liegen.

Für Adrian, stand in Nicolas schöner, geschwungener Schrift darauf. Ihm wurde noch kälter, falls das überhaupt möglich war. Beinahe hätte er die Fotos fallen lassen.

Mit zitternden Beinen ging er zum Bett, setzte sich und öffnete das Kuvert.

♥♥♥

Acht Monate später ...

Adrian saß vor seinem Computer und starrte ins Leere. Er war lähmend müde, und ihm fehlte jegliche Konzentration. Er hatte eine nahezu schlaflose Nacht hinter sich, weil Luca stundenlang geweint und gequengelt hatte. Jetzt schlief der Kleine, und er selbst fühlte sich zu keiner Arbeit fähig.

Adrian konnte sich den Luxus, sich tagsüber hinzulegen, nicht leisten. Solange Luca Ruhe gab und Merle noch im Kindergarten war, musste er so viel als möglich arbeiten. Seit Nicola nicht mehr war, erledigte er, was nur ging, von zu Hause aus. Musste er dennoch ins Büro, so nahm er Luca oder auch beide Kinder mit.

Frau Gutmann, die gute Seele, kümmerte sich dann, solange er im Gespräch mit Mandanten war. Doch das war nicht ihre Aufgabe, und er wusste, er brauchte eine andere Lösung. Zumal er sich nur schwer konzentrieren konnte, wenn Luca im Nebenzimmer weinte oder Merle herumsprang, als wäre sie in einer Turnhalle oder auf einem Spielplatz.

Von Tag zu Tag wurde es schwieriger für ihn, die Balance zwischen den Kindern und der Arbeit zu halten.

Der Haushalt stand auch noch an. Er musste die Wäsche aus der Maschine nehmen und aufhängen. Im Grunde genommen musste er auch dringend staubsaugen, und er brauchte ein Mittagessen für Merle und für sich natürlich auch. Vielleicht sollte er heute einen Kartoffelbrei aus der Tüte anrühren, dazu Karottengemüse zubereiten und Würstchen braten. Gemüsebrei und Püree konnte Klein-Luca auch essen.

Sein Blick wanderte zu dem gerahmten Foto seiner Frau. Sie lächelte ihm zu. In Adrians Kehle wurde es eng. Nicola fehlte ihm so sehr! Wie hatte sie ihm und den Kindern das antun können? Der Tag, an dem sie ihn für immer verlassen hatte, stand so klar und deutlich vor ihm, als wäre es gestern gewesen.

Über das Babyfon drang ein jämmerliches Geräusch. Luca war aufgewacht. Adrian warf einen Blick auf die Uhr und erschrak. Schon ein Uhr! Er hätte schon vor einer halben Stunde im Kindergarten sein müssen, um Merle abzuholen.

Er eilte in das Kinderzimmer seines Sohnes und hob Luca aus seinem Gitterbettchen. Das kleine Gesicht war gerötet, und sein Sohn sah ihn vorwurfsvoll an.

»Alles ist gut, mein Kleiner«, tröstete er ihn. »Wir holen jetzt Merle ab, und dann gibt es etwas zu essen.«

Eigentlich hätte Luca noch eine frische Windel gebraucht, ehe sie sich auf den Weg machten, wie immer nach dem Schlafen. Doch dafür war jetzt keine Zeit.

♥♥♥

Merle saß zusammengekauert und mit dem Gesicht zur Wand in der Spielecke der Mäuschengruppe im Kindergarten Kunterbunt.

»Merlchen. Es tut mir leid, ich weiß, ich bin zu spät«, sagte Adrian sanft, ging in die Knie und legte seiner Kleinen die Hand auf die Schulter.

Merle schüttelte sie ab, gab keine Antwort und senkte den Kopf.

»Nun komm, Kleines. Wir fahren nach Hause. Ich koche etwas für uns, wir essen gemeinsam, und später machen wir etwas Schönes.« Er wusste nur nicht, was, und Zeit hatte er eigentlich auch keine. Er war mit reichlich Arbeit im Rückstand. Aber vielleicht konnte er mit den Kindern für eine Stunde auf den neuen Spielplatz gehen, der am Ende der Stichstraße, in der sie wohnten, von der Gemeinde errichtet worden war.

»Mamam«, krähte Luca, der durchaus wusste, was ›essen‹ bedeutete, und fing an, auf seinem Arm zu zappeln. Er traf mit einem Fuß seine Schwester am Arm.

»Aua!«, heulte die kleine Merle auf, obgleich der Tritt kaum wehgetan haben mochte. Luca trug nur Söckchen, und gezielt getreten hatte er auch nicht. Wild fing das Kind an zu schluchzen und presste die Hand auf die getroffene Stelle.

»Merle. Luca hat das bestimmt nicht mit Absicht gemacht«, versuchte Adrian, seine Tochter zu besänftigen, und wusste, kaum hatte er es ausgesprochen, dass dieser Hinweis der absolut verkehrte gewesen war. Besser wäre es gewesen, auf ihren Kummer einzugehen, der mit Sicherheit mit dem leichten Stoß gar nichts zu tun hatte.

»Merle.« Sabine Friedrich, die Leiterin des Kindergartens, kam zu ihnen und ging in die Knie. »Magst du zu Kristina in die Küche gehen? Sie gibt ein bisschen Heilsalbe auf die wehe Stelle. Dann wird es bestimmt gleich besser.«

Merle hörte auf zu weinen. Sie schniefte, stand auf und warf ihrem Bruder einen finsteren Blick zu. Ihren Vater beachtete sie gar nicht.

Adrian erhob sich. Er sah seinem Kind nach, und von einem Moment zum anderen drohte er selbst die Fassung zu verlieren. Er sah angestrengt aus dem großen Fenster des Spielzimmers. Luca hielt nun auf seinem Arm still. Unerwartet legte der kleine Junge sein Köpfchen an Adrians Hals. Adrian versuchte, ruhig zu atmen. Es verging bestimmt gleich wieder. Er spürte den Blick von Frau Friedrich.

»Möchten Sie einen Moment mit in mein Büro kommen, Herr Germann?«, fragte sie sanft.

Er nickte nur. Schweigend folgte er ihr aus dem Zimmer und über den Flur. Sie betrat vor ihm ein kleines Büro.

»Wir lassen die Tür offen, dann sehen wir, wenn Merle aus der Küche kommt«, sagte sie. »Bitte, setzen Sie sich.«

Wortlos nahm er auf dem Stuhl gegenüber ihrem Schreibtisch Platz.

»Ich bin sicher, dass Merle nicht auf Sie böse ist und auch nicht auf Luca. Sie ist auf die Situation böse und weiß nicht, wohin mit ihrer Verzweiflung«, erklärte die Kindergärtnerin. Adrian nickte. Diese Gedanken hatte er sich auch schon gemacht.

»Ich möchte auf keinen Fall eine Grenze überschreiten, die mir nicht zusteht«, fuhr die Kindergärtnerin fort zu sprechen.

Ihm schien, als wägte sie jedes ihrer Worte genau ab. Irritiert sah er sie an. »Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen«, antwortete er, froh, dass er sich wieder unter Kontrolle hatte.

»Soweit ich von Merle weiß, arbeiten Sie seit dem Verlust Ihrer Frau weitgehend von zu Hause aus und versorgen nebenher Ihre Kinder«, sprach sie weiter.

»Das ist richtig.«

»Das ist eine enorme Belastung.«

»Ja, das stimmt. Ich weiß auch, dass es so nicht weitergehen kann. Die Verspätung heute tut mir sehr leid. Ich habe gearbeitet und dabei die Zeit nicht im Blick gehabt.« Dass er letzten Endes kaum etwas gearbeitet, sondern sich in Erinnerungen verloren hatte, musste sie nicht wissen.

»Haben Sie schon einmal daran gedacht, sich Hilfe zu holen?«

»Ich habe es in Erwägung gezogen, ja. Aber ich muss zugeben, bisher habe es auch vor mir hergeschoben, mich darum zu kümmern.« Auch das kostete ja wieder Zeit.

Außerdem wusste er gar nicht, wie das praktisch vonstatten gehen sollte. Er konnte doch nicht Merle und Luca in wildfremde Hände geben. Dass die beiden unter der Aufsicht eines Kindermädchens gut aufgehoben waren, hatte oberste Priorität. Wie sollte er das im Blick behalten? Natürlich, er konnte noch eine Weile von zu Hause aus arbeiten. Doch irgendwann würde unweigerlich der Moment kommen, und er musste in die Kanzlei, um Mandantengespräche zu führen.

»Gibt es denn niemanden in Ihrer Familie oder im Freundeskreis, der Sie unterstützen kann?« Für einen Moment war ihm, als müsste er sich vor der Kindergärtnerin rechtfertigen. Doch sie sah ihn so voller Anteilnahme an, dass sich dieser Eindruck verflüchtigte.

»Leider nein. Meine Eltern leben nicht mehr, Geschwister habe ich keine. Meine Frau und ich hatten einen kleinen, aber sehr verlässlichen Freundeskreis. Mit den meisten stehe ich noch in gutem Kontakt, doch es ist niemand dabei, der mich dauerhaft unterstützen könnte.«

Ihr Blick ruhte noch immer auf ihm. Sie sagte nichts mehr. Nach Sekunden des Schweigens meinte er, ihr mehr erklären zu müssen.

»Ludmilla war die beste Freundin meiner Frau. Sie stand mir in den ersten Tagen zur Seite und hat sich um Luca gekümmert. Sie ist aber vor einem halben Jahr mit ihrem Mann nach Berlin gezogen. Sie kann mir nicht mehr helfen.«

Sabine Friedrich nickte.