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"Will aber mit Tom spielen ..." Ganz matt klingt die Stimme der kleinen Marie, dann fallen ihr vor Erschöpfung die Augen zu. Ihre Mutter Verena spürt heiße Tränen hinter ihren Lidern brennen. Maries Diagnose "Leukämie" hat Verenas ganze Welt zum Einsturz gebracht. Denn nur eine Stammzellenspende kann ihr Kind jetzt noch retten ...
Mit ihren gerade mal vier Jahren versteht Marie noch nicht, was vor sich geht - und auch nicht, dass sie nicht mehr mit Tom und anderen Kindern spielen darf, um jede Ansteckung zu vermeiden. Doch es gibt etwas, was sie noch mehr ersehnt als die Spielenachmittage mit ihren Freunden: Marie wünscht sich einen Papa wie Toms Vater Hannes! Ihre Mama ahnt davon nichts. Aber das wird Marie, die kleine Kämpferin, ihr schon noch zeigen ...
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Seitenzahl: 147
Cover
Bist du mein Papa?
Vorschau
Impressum
Bist du mein Papa?
Maries Hoffnung auf eine richtige Familie in einer schwierigen Zeit
Von Caroline Steffens
»Will aber mit Tom spielen ...« Ganz matt klingt die Stimme der kleinen Marie, dann fallen ihr vor Erschöpfung die Augen zu. Ihre Mutter Verena spürt heiße Tränen hinter ihren Lidern brennen. Maries Diagnose »Leukämie« hat Verenas ganze Welt zum Einsturz gebracht. Denn nur eine Stammzellenspende kann ihr Kind jetzt noch retten ...
Mit ihren gerade mal vier Jahren versteht Marie noch nicht, was vor sich geht – und auch nicht, dass sie nicht mehr mit Tom und anderen Kindern spielen darf, um jede Ansteckung zu vermeiden. Doch es gibt etwas, was sie noch mehr ersehnt als die Spielenachmittage mit ihren Freunden: Marie wünscht sich einen Papa wie Toms Vater Hannes! Ihre Mama ahnt davon nichts. Aber das wird Marie, die kleine Kämpferin, ihr schon noch zeigen ...
Verena öffnete die Türen des Computerschranks, fuhr den Rechner hoch und zog die Platte mit der Tastatur unter dem Arbeitstisch hervor.
»Mama?«, vernahm sie die Stimme ihrer kleinen Tochter Marie. »Darf Lena zu mir kommen, zum Spielen?«, bat sie.
Verena, die sich bereits an ihren Arbeitsplatz gesetzt hatte, wandte sich um. Marie saß mit angewinkelten Beinen auf dem Wohnzimmerteppich. Vor ihr lagen ein Malbuch und ein paar Buntstifte.
»Lena ist ein paar Tage bei ihrer Oma, das weißt du doch«, erinnerte sie ihr Kind.
»Aber mir ist so langweilig«, maulte Marie. Um das Ausmaß ihrer Unterforderung kundzutun, warf sie sich rücklings auf den Boden.
»Schätzchen, hol dir was aus deinem Zimmer, womit du dich beschäftigen kannst. Deine Babypuppe zum Beispiel. Sie braucht bestimmt ihre Flasche.«
»Braucht sie gar nicht«, hielt Marie dagegen.
»Oder hör dir noch mal die neue CD von Benjamin Blümchen an«, bemühte Verena sich, ihrem Töchterchen eine weitere Anregung zu geben, womit sie sich die Langeweile vertreiben konnte.
»Nei-hein«, hielt die Vierjährige dagegen und bewegte Arme und Beine, als läge sie auf frischem Pulverschnee und wollte einen Schnee-Engel hinterlassen.
Verena merkte, dass ihre Geduld nachließ. Sie hatte jede Menge Arbeit auf ihrem Schreibtisch liegen, die erledigt werden musste. In letzter Zeit kam es immer häufiger vor, dass alles, was Marie üblicherweise interessierte, für sie langweilig war.
Es wurde höchste Zeit für die Kleine, in den Kindergarten zu gehen. Sie brauchte Spielgefährten und altersgerechte Anregungen zur Beschäftigung, wie sie sie ihr im Alltag nicht bieten konnte. Schließlich musste sie arbeiten.
Sie konnte sehr froh sein, dass ihr Vorgesetzter im Versicherungsunternehmen Strehweg-Konzern, Herr Schoppenbrink, umgehend ihrer Bitte um Homeoffice zugestimmt hatte, als sie ihn seinerzeit darum gebeten hatte.
Marie war ein halbes Jahr alt gewesen, als Verena von zu Hause aus ihre Tätigkeit als Sachbearbeiterin von Schadensfällen wieder aufgenommen hatte. Mittlerweile sehnte sie den Tag herbei, an dem sie zurück ins Büro konnte, wenn auch zunächst nur halbe Tage. Nachmittags würde sie weiterhin von zu Hause aus arbeiten.
In einem Vierteljahr würde es so weit sein. Marie kam in den Kindergarten, und sie konnte zurück an ihren Schreibtisch in der Versicherung. Sie würde wieder ihre Kollegen und Kolleginnen um sich haben, unter der Woche raus aus ihren eigenen vier Wänden kommen und während der Arbeitszeit ab und an ein paar Worte mit den anderen Mitarbeitern wechseln können, selbst wenn es ausschließlich dienstlich war.
Schon lange drückte es ihr aufs Gemüt, dass sie außer zum Einkaufen und für gelegentliche Unternehmungen mit der Kleinen kaum mehr vor die Tür kam. Auch die Kontakte zur ihren Freundinnen Stefanie und Anne waren mit der Zeit eingeschlafen. Sie hörten kaum noch voneinander.
Stefanie ging ganz in ihrem Beruf als Radio-Moderatorin eines örtlichen Senders auf, und Anne hatte sich vor zwei Jahren mit einer kleinen Boutique selbstständig gemacht. Nicht nur, dass beide Freudinnen wenig Zeit hatten, sie hatten auch kaum mehr gemeinsame Themen. Beide hatten einen Partner, aber keine Kinder, und ihr Verständnis für Verenas mütterliche Probleme hatte sich zumeist in Grenzen gehalten.
»Mama«, brachte sich Marie in Erinnerung und setzte sich. »Holst du mir meine Puppenküche aus dem Keller? Und darf ich was Richtiges zum Kochen haben?«
Das auch noch. Die Küche stand in der hintersten Ecke und war sicher gut eingestaubt. ›Was Richtiges‹ zum Kochen hieß, Marie wollte Puddingpulver, Reis, vielleicht auch Milch und dergleichen in den kleinen Plastiktöpfen und Schüsseln zusammenrühren.
Es war schade um die Lebensmittel. Doch damit würde die Kleine zumindest eine Weile beschäftigt sein. Allerdings musste auch der Teppich im Wohnzimmer zusammengerollt werden. Meistens landete so einiges auf dem Boden, wenn Marie mit ihrer Küche spielte.
»Gut«, gab Verena nach. »Aber danach muss ich in Ruhe arbeiten.«
Artig nickte ihre Tochter.
♥♥♥
Verena saß wieder vor ihrem Computer. Hinter ihr rührte Marie in einem kleinen Plastiktopf. Der Löffel klapperte gegen den Topfrand, und Marie erklärte ihrer Puppe Julchen, dass sie lieb sein musste, damit es später etwas Gutes zu essen geben konnte.
Mehrfach unterdrückte Verena den Drang, Marie zu bitten, keine Gespräche mit der Puppe zu führen, damit sie sich besser konzentrieren konnte. Immerhin war das Mädchen nun beschäftigt.
Es läutete an der Wohnungstür. Marie ließ ihren Löffel fallen.
»Darf ich aufmachen?«, rief sie.
»Du darfst mitkommen«, entschied Verena, nicht eben glücklich über die neuerliche Unterbrechung.
Wenn es ungünstig lief, hatte die Kleine nun keine Lust mehr auf ihr Koch-Spiel, und das Gequengel ging wieder von vorn los. Wahrscheinlich war es der Postbote, der ein Päckchen für den Nachbarn abgeben wollte.
Marie rannte voraus in den Flur und zur Wohnungstür.
Verena öffnete. Tatsächlich war es der Briefträger. Er lächelte ihr zu.
»Hallo, Frau Eckert. Ich habe ein Einschreiben für Sie«, verkündete er und hielt ihr bereits einen Umschlag entgegen. »Mit Rückschein«, ergänzte er.
Verena betrachtete verwundert das Kuvert. Es war von der Versicherung. Eine Erklärung für solch eine formelle Nachricht ihres Arbeitgebers fand sie auf die Schnelle nicht. Sie hatte erst gestern mit Schoppenbrink telefoniert. Er hatte nichts verlauten lassen, dass irgendwelche maßgeblichen Änderungen anstanden, über die sie schriftlich unterrichtet werden würde.
Sie unterzeichnete den Rückschein. Der Postbote verabschiedete sich, und Verena schloss die Tür hinter ihm.
»Was ist das, Mama?«, fragte Marie und sah zu ihr hoch.
»Noch weiß ich es nicht«, erwiderte Verena. Sie ging zurück ins Wohnzimmer, zu ihrem Arbeitsplatz, nahm den Brieföffner und schlitzte das Kuvert auf.
Nur Sekunden später setzte sie sich wie erschlagen auf ihren Stuhl. Man hatte ihr aufgrund von Stellenabbau im Innendienst gekündigt. Sie konnte es nicht fassen.
Wieder und wieder sah Verena auf das Schreiben, mit dem Betreff Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses. Die Worte schienen ihr entgegenzuspringen. In drei Monaten war sie arbeitslos. Wo sollte sie eine neue Anstellung finden, die mit ihrer Aufgabe als Mutter halbwegs zu vereinbaren war? Sie fühlte sich wie gelähmt.
»Mama?« Maries Stimme klang ein wenig ängstlich.
»Ja, meine Kleine?«
Sie versuchte, sich zusammenzunehmen. Finanziell war sie für die nächste Zeit noch abgesichert. Ein paar Wochen musste sie noch arbeiten, danach stand ihr ihr anteiliger Jahresurlaub zu, von dem sie noch keinen Tag genommen hatte, und ein paar Ersparnisse hatte sie auch. Dennoch würde sie sich sofort auf die Suche nach einer neuen Arbeit machen müssen.
»Steht in dem Brief was Schlimmes?«, fragte Marie.
Verena seufzte. Sie hätte der Kleinen gerne die Wahrheit erspart, aber früher oder später musste sie ja doch erfahren, dass sich etwas änderte.
»Ich brauche eine neue Arbeit«, erwiderte sie und beschränkte sich mit ihrer Antwort auf das Notwendigste.
»Ist das schlimm?«, erkundigte Marie sich besorgt und mit schief gelegtem Köpfchen.
»Nein«, behauptete Verena. »Es ist nur ein bisschen schwierig, was Neues zu finden.«
»Du musst nur doll suchen«, tröstete Marie sie.
Verena zwang sich zu einem Lächeln. Diese Worte benutze sie stets, wenn ihr Töchterchen etwas nicht wiederfand. Ein Spielzeug, eine Lieblingshaarklammer oder ein zweites Söckchen.
»Du hast recht«, sagte sie und zog Marie an sich.
Die Kleine kletterte auf ihren Schoß und schmiegte sich an sie.
»Darf ich Paw Patrol ansehen?«, bat ihre Tochter und wickelte eine ihrer braunen Locken um ihren Zeigefinger.
»Ja«, gab Verena sich geschlagen. »Aber in deinem Zimmer auf dem DVD-Player.«
»Na gut«, stimmte Marie zu. Lieber saß sie im Wohnzimmer vor dem großen Fernseher. Doch dass das nicht ging, während ihre Mutter arbeiten musste, war klar.
»Bekomm ich dazu auch was Süßes?«, bat sie und sah zu ihr auf.
»Auch das. Du holst dir deinen Schoko-Keks, und ich bereite den DVD-Player vor«, beschloss Verena.
»Ja«, rief Marie, sprang von ihrem Schoß und eilte aus dem Zimmer und über den Flur in die Küche.
Wenige Minuten später schloss Verena die Wohnzimmertür hinter sich. Glücklich war sie nicht mit der Lösung, Marie vor dem DVD-Player zu wissen. Doch der Kündigung zum Trotz musste sie ihrer Arbeit nachkommen, und da die Kleine sämtliche sonstigen Beschäftigungsmöglichkeiten heute abgelehnt hatte, beschloss Verena, sich ihre Entscheidung für die DVD selbst zu verzeihen.
Ihr Telefon läutete. Auf dem Display erkannte sie die Nummer ihrer Tante Ingrid. Sie nahm das Gespräch an.
»Hallo, Tantchen«, begrüßte sie sie.
»Hallo, Verena. Alles in Ordnung bei dir? Du klingst niedergeschlagen«, begann die Tante das Gespräch.
»Nichts ist in Ordnung.« Verena drehte das Kündigungsschreiben um, sodass sie nur noch die unbedruckte Rückseite sah.
»Was ist denn los? Ist Marie krank? Hast du Ärger mit dem Vermieter?«, fragte Ingrid Lorenz besorgt.
»Nichts von alldem«, erwiderte Verena und erzählte ihrer Tante von der Kündigung.
»Ach du liebe Zeit«, sagte sie betroffen, als Verena fertig berichtet hatte. »Und das, wo du dich so darauf gefreut hast, wenigstens vormittags wieder außer Haus zu kommen.«
»Allerdings. Ich bin furchtbar frustriert und verstehe das überhaupt nicht. Jetzt arbeite ich seit über zehn Jahren für den Strehweg-Konzern und davon die letzten sieben Jahre für Herrn Schoppenbrink. Gestern haben wir noch miteinander telefoniert. Er hat kein Wort verlauten lassen, dass mir gekündigt wird. Dabei hatte er zu dem Zeitpunkt den Brief mit Sicherheit schon unterschrieben.« Sie war regelrecht verbittert.
»Das ist wirklich schäbig«, stimmte die Tante ihr zu.
»Ja, ist es. Jetzt kann ich zusehen, wie ich zügig eine neue Arbeit finde, und das wird nicht einfach werden. Ich brauche eine Vollzeitstelle, sonst reicht mir das Geld nicht, und ich muss nachmittags im Homeoffice arbeiten, wegen Marie«, machte sie sich Luft.
»Ich weiß«, sagte Ingrid Lorenz voller Anteilnahme.
»Und alleinerziehende Mütter sind sowieso die allerletzten, die zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden«, fuhr Verena aufgebracht fort. »Es ist ja jederzeit möglich, dass das Kind krank wird und man dann ausfällt. Das sieht kein Arbeitgeber gerne.«
»Du hast recht. Es tut mir wirklich leid, Verena«, sagte Ingrid. »Hast du schon mit Schoppenbrink gesprochen wegen der Kündigung?«
»Nein. Ich weiß es erst seit etwa einer Stunde, da kam die Post. Aber ich rufe ihn auf jeden Fall an. Ändern wird das natürlich nichts«, erwiderte sie.
»Vermutlich nicht. Aber so wie ich dich kenne, bist du auch nicht bereit, diese Entscheidung der Versicherung ohne Stellungnahme zu akzeptieren«, erwiderte die Tante.
»Absolut nicht, da hast du recht«, gab Verena zu. Sie war in erster Linie von ihrem Vorgesetzten enttäuscht, der sie nicht auf ihre Entlassung vorbereitet hatte.
»Wo ist denn Marie? Hört sie unser Telefonat mit?«, erkundigte Ingrid sich.
»Nein. Sie sieht in ihrem Zimmer eine DVD an. Damit bin ich auch nicht glücklich. Der Film dauert anderthalb Stunden. Marie ist gerade erst vier Jahre alt geworden. Trotzdem muss ich meine Arbeit machen.«
»Sicher. Und es ist ja eine Ausnahme, soweit ich das mitbekomme«, versuchte ihre Tante, sie zu besänftigen.
»Ja, das ist es. Wobei ich fürchte, es könnte in der nächsten Zeit öfters vorkommen«, erwiderte Verena. »Marie interessiert sich für nichts mehr von all dem, was sie sonst gemacht hat, während ich gearbeitet habe. Alles ist langweilig geworden. Ihre Bilderbücher, ihre magnetische Tafel zum Malen, ihre Puppen, ihre Legosteine, einfach alles.«
»Es wird Zeit für den Kindergarten«, sprach ihre Tante aus, was Verena bewusst war.
»Ja, das wird es«, stimmte sie zu. »Entschuldige, Tante Ingrid«, sprach sie weiter. »Nun habe ich dir meinen ganzen Ärger vor die Füße gekippt und dich gar nicht zu Wort kommen lassen. Du hast doch sicher einen Grund für deinen Anruf?«, fragte sie.
»Natürlich habe ich einen Grund. Ich feiere doch in zwei Wochen meinen fünfundsechzigsten Geburtstag. Ich wollte dich und Marie einladen«, antwortete die Tante.
»Wie lieb von dir. Wir kommen gerne«, antwortete Verena. Sie hörte durch das Telefon ein lautes »Kikerikiii«.
»Ich muss Schluss machen, Verena.« Tante Ingrid klang jetzt in Eile. »Das war die Eieruhr, ich muss nach dem Eierlikör-Kuchen sehen.«
»Alles gut. Bis bald, Tantchen«, verabschiedete Verena sich.
Für einen Moment glaubte sie trotz ihrem Ärger, den Duft des Eierlikör-Kuchens zu schnuppern, den Tante Ingrid im Ofen hatte. Er war köstlich, wie eigentlich alles, was sie mit Mixer, Knethaken und in Handarbeit an Backwaren herstellte. Sie war gelernte Konditorin und backte für ihren einzigen Sohn Torben, Verenas Cousin, Kuchen und Torten für dessen Café in der Innenstadt von Büchenbach.
Verena betrachtete den Stapel ihrer unerledigten Schadensfälle. Inzwischen war es Mittag, sie hatte noch nichts geschafft, und die Termine drängten. Frustriert griff sie nach dem ersten Vorgang.
♥♥♥
Verena stand in der Küche und brühte sich eine Tasse Lavendeltee auf. Seit sie am Morgen ihre Kündigung bekommen hatte, kam sie nicht mehr zur Ruhe. Bei der Arbeit war sie unkonzentriert gewesen, und recht vorangekommen war sie auch nicht.
Zwei Versuche, Schoppenbrink zu erreichen, waren gescheitert. Bei ihrem ersten Anruf war er angeblich in einer Besprechung gewesen, bei ihrem zweiten bedauerlicherweise bereits außer Haus. Verena hatte den Verdacht, er wollte nicht mit ihr sprechen.
Um sechzehn Uhr hatte sie es aufgegeben zu arbeiten und hatte Marie vorgeschlagen, mit ihr zum nahegelegenen Spielplatz zu gehen. Marie war begeistert gewesen und hatte gebeten, ihren Roller mitnehmen zu dürfen. Das hatte Verena gerne erlaubt.
Zwei Stunden hatte die Kleine sich am Klettergerüst, auf der Rutsche, der Schaukel und der Seilbahn vergnügt, ehe sie sich wieder auf den Heimweg gemacht hatten.
Zum Abendessen hatte Verena ihrem Töchterchen ein Schinkenbrot zubereitet und ein paar Scheiben Salatgurke dazugelegt. Beides mochte Marie sehr gerne. Nun lag die Kleine frisch gebadet in ihrem Bett. Vermutlich schlief sie schon.
Verenas Handy meldete den Eingang einer WhatsApp-Nachricht. Sie war von Torben.
Hey, Verena. Falls du Zeit zum Telefonieren hast, ruf mich doch bitte an, schrieb ihr Cousin.
Verena setzte sich mit ihrem Tee an den Küchentisch und kam Torbens Bitte nach.
»Hey«, meldete er sich gleich darauf vergnügt. »Das ging ja schnell. Schläft Mariechen?«
»Hi, Torben. Ich hoffe es«, erwiderte Verena. Sie versuchte, an ihrem Tee zu nippen, und stellte fest, dass er noch viel zu heiß war.
»Verena, ich falle gleich mit der Tür ins Haus«, begann er. »Mama hat mir von deiner Kündigung erzählt. Das ist schon krass«, fuhr er fort.
»Allerdings«, bestätigte sie. Dass Tante Ingrid Torben zeitnah die unerfreuliche Neuigkeit mitteilen würde, war ihr klar gewesen. Es sprach auch nichts dagegen.
»Ich wollte dir einen Vorschlag machen«, sprach er weiter.
»Lass hören.« Verena lehnte sich im Stuhl zurück und spürte plötzlich einen Funken Hoffnung.
Torben kannte viele Leute, schon durch seine beiden Cafés, welche bestens frequentiert waren. Vielleicht wusste er jemanden, der eine für sie passende Stelle zu besetzen hatte. Auf die Idee war sie noch gar nicht gekommen.
»Ich brauche eine weitere Angestellte in Vollzeit im Service-Bereich für die Niederlassung in der Schillerstraße«, begann er. »Ich suche schon seit ein paar Wochen, aber es ist tatsächlich schwierig, jemanden zu finden.«
»Das tut mir leid«, erwiderte Verena. Sie verstand nicht, warum er ihr das erzählte.
»Ich wollte dir die Stelle anbieten«, erläuterte er. »Sobald du offiziell bei Strehweg raus bist«, ergänzte er.
»Mir?« Sie war so überrascht, dass sie nach vorne auf die Kante ihres Stuhls setzte und den Rücken durchdrückte.
»Ja. Ich weiß, du hast keine Ausbildung zur Service-Fachkraft, aber darin sehe ich kein Problem. Tanja und Gerti werden dich anleiten, und ich bin auch sehr oft vor Ort«, sagte er.
»Aber Torben, ich kann unmöglich Vollzeit bei dir im Café arbeiten. Wenn Marie in den Kindergarten geht, kann sie längstens bis fünfzehn Uhr dort bleiben. Dein Café hat bis neunzehn Uhr geöffnet«, erinnerte sie ihn.
»Darin sehe ich gar kein Problem«, versicherte er ihr. »Du kannst sie abholen, wann immer es für dich passt, mittags oder um fünfzehn Uhr, und mitbringen. Den Rest des Tages achtet Mama auf Marie. In unseren Privaträumen hinter dem Café ist genug Platz.«
»Torben, ich weiß gar nicht, was sich sagen soll.« Sie war derart verblüfft und überrumpelt, dass sie gar nicht klar denken konnte.
»Überleg es dir«, bat ihr Cousin. »Ich finde, das wäre eine sehr gute Lösung. Ich überbrücke die Zeit, bis du offiziell anfangen kannst, mit ein paar Aushilfen. Sowie du bei Strehweg raus bist und Marie in den Kindergarten geht, legen wir los.«
»Ich habe doch vom Service keine Ahnung«, gab Verena zu bedenken, obgleich Torben ihr ja schon versichert hatte, dass er darin kein Problem sah.
»Das lernst du schnell, da bin ich sicher«, bemühte er sich, sie zu überzeugen. »Denk bitte darüber nach, Verena. Uns wäre allen geholfen. Du hast wieder Arbeit, für Marie wird gut gesorgt, und ich bekomme eine verlässliche, kompetente Mitarbeiterin«, redete er ihr zu.
Verena lachte leise, obwohl ihr nicht wirklich danach war. Statt Schadensfälle zu bearbeiten, zukünftig Kaffee und Kuchen zu servieren, war schon eine gewaltige Umstellung.
»Dass mit der verlässlichen, kompetenten Mitarbeiterin ist nicht gesagt«, hielt sie dagegen.
»Ich kann mir sogar vorstellen, dass es dir Freude macht, im Café zu arbeiten«, sagte Torben, ohne auf ihren Einwand einzugehen. »Du sitzt jetzt seit Jahren im Homeoffice. Du hättest wieder viel mehr Kontakt zu anderen Menschen.«
Damit hatte er zweifelsohne recht. »Okay, versuchen wir es«, sagte sie rasch.
»Ernsthaft?« Nun hörte Torben sich verblüfft an.
»Ja, ernsthaft.«