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Nele und Konrad haben seit Jahren versucht, ein eigenes Kind zu bekommen. Doch alle Mühe war vergeblich, und so ist die Adoption ihr einziger Weg zum Glück. Neben ihrer anstrengenden Mutter Christa, die dem auf diesem Weg geplanten Familienzuwachs alles andere als positiv gegenübersteht, macht Nele auch ihr Mann Konrad große Sorgen. Immer wieder wirkt er gestresst, und starke Rückenschmerzen plagen ihn.
Als nach nur kurzer Wartezeit die kleine Sara zu ihnen kommen darf, scheint endlich wieder Freude in ihr Leben einzukehren, wäre da nicht die achtwöchige Frist, in der die leibliche Mutter das Mädchen zurücknehmen darf.
Die Wochen vergehen, und Konrad wirkt immer distanzierter. Nele kann sich die plötzliche Veränderung nicht erklären. Als sich dann auch noch das Jugendamt meldet und das Baby noch einmal der leiblichen Mutter vorstellen will, bröckelt die Fassade, und Nele verliert jegliche Hoffnung, dass das Schicksal ihr wohlgesonnen ist ...
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Seitenzahl: 149
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Der schwere Weg zum Glück
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Impressum
Der schwere Weg zum Glück
Müssen die Eltern ihr Adoptivkind wieder abgeben?
Von Caroline Steffens
Nele und Konrad haben seit Jahren versucht, ein eigenes Kind zu bekommen. Doch alle Mühe war vergeblich, und so ist die Adoption ihr einziger Weg zum Glück. Neben ihrer anstrengenden Mutter Christa, die dem auf diesem Weg geplanten Familienzuwachs alles andere als positiv gegenübersteht, macht Nele auch ihr Mann Konrad große Sorgen. Immer wieder wirkt er gestresst, und starke Rückenschmerzen plagen ihn.
Als nach nur kurzer Wartezeit die kleine Sara zu ihnen kommen darf, scheint endlich wieder Freude in ihr Leben einzukehren, wäre da nicht die achtwöchige Frist, in der die leibliche Mutter das Mädchen zurücknehmen darf.
Die Wochen vergehen, und Konrad wirkt immer distanzierter. Nele kann sich die plötzliche Veränderung nicht erklären. Als sich dann auch noch das Jugendamt meldet und das Baby noch einmal der leiblichen Mutter vorstellen will, bröckelt die Fassade, und Nele verliert jegliche Hoffnung, dass das Schicksal ihr wohlgesonnen ist ...
Nele Brunner strich ihren engen Rock glatt, straffte die Schultern und ging über den schmalen gepflasterten Gehweg zum Haus ihrer Mutter. In der rechten Hand hielt sie einen kleinen Blumenstrauß, über ihrer Schulter hing der Riemen ihrer Handtasche, und am Handgelenk baumelte die Tüte mit dem Geschenk.
Sie trat durch das schmiedeeiserne Gartentürchen. Im gepflegten Vorgarten von Christa Hartwig blühten wunderschöne Blumen in Gelb, Weiß und Lila. In den Zweigen der immergrünen Kletterspindel saßen etliche Vögel und zwitscherten, als unterhielten sie sich über den schönen Sommer.
Heute allerdings war der Nachmittag warm, aber trüb. Graue Wolken hingen am Himmel, und erste Tropfen fielen.
Nele senkte den Kopf und ging ein wenig schneller. Ehe sie bei der Haustür angekommen war und klingeln konnte, wurde bereits geöffnet.
»Nele, schön, dass du da bist. Komm rein, heute ist ja kein Königswetter. Wo ist Konrad?«, überfiel ihre Mutter sie mit dem für sie typischen Redeschwall.
»Hallo, Mama«, sagte Nele und betrat das Haus.
Im Flur duftete es nach frisch aufgebrühtem Kaffee.
»Alles Liebe zum Geburtstag«, fuhr Nele fort. Sie umarmte ihre Mutter und küsste sie auf die Wange. »Konrad lässt dich grüßen. Er kommt ein wenig später. Es hat sich in letzter Sekunde noch ein Mandant gemeldet, den er nicht abweisen wollte.«
»Danke für deine Glückwünsche, mein Kind. Sind die Blumen für mich?«, fragte Christa und betrachtete das Gebinde.
»Natürlich, entschuldige.« Nele gab ihrer Mutter den Strauß. »Und das hier ist von Konrad und mir.« Sie nahm ein schweres Päckchen aus der Tüte, das in rosa geblümtes Geschenkpapier eingewickelt war.
»Besten Dank. Ich hoffe, dein Mann lässt nicht allzu lange auf sich warten. Ich finde es unhöflich, ohne ihn mit dem Kaffee anzufangen. Und du weißt doch, nach 15 Uhr trinke ich keinen mehr, sonst komme ich nachts nicht zur Ruhe.« Ihre Mutter klang vorwurfsvoll, sah Nele dabei aber nicht an, sondern betrachtete den Blumenstrauß. Zwischen pinken Anemonen steckte weißes Schleierkraut, drei hellrosa Rosen vervollständigten das Bukett.
»Keine Sorge, Mama. Konrad hat extra betont, dass wir nicht auf ihn warten sollen«, erwiderte Nele.
Sie sah, dass ihre Mutter für einen Moment die Nase rümpfte, sich aber gleich wieder unter Kontrolle hatte.
»Setz dich doch schon mal ins Wohnzimmer, Liebes«, sagte Christa freundlich. »Ich stelle die Blumen ins Wasser und hole den Kaffee.« Sie wandte sich ab und ging in Richtung Küche.
Nele hielt noch immer das Geschenkpäckchen in der Hand. Sie unterdrückte ein Seufzen und betrat das Wohnzimmer.
Der ovale Esstisch aus glänzendem dunklen Holz war für drei Personen gedeckt. Ihre Mutter hatte das gute Service aus feinstem Porzellan aus dem Schrank geholt, das sie von ihrer Großmutter geerbt hatte. Die Ränder waren mit zierlichen goldenen Ornamenten bemalt. Mittig auf dem Tisch stand eine Platte mit einer Auswahl an Obstkuchen und Sahneschnitten.
Nele legte ihr Geschenk neben den Teller ihrer Mutter und setzte sich.
Christa betrat den Raum, in einer Hand die Kaffeekanne, in der anderen die Vase mit den Blumen. Sie stellte beides auf den Tisch und setzte sich.
»Danke für das Geschenk, Nele. Ich packe es erst aus, wenn Konrad da ist. Nimm dir Kuchen. Ich habe Schokoladen-Sahne-Torte gekauft, die magst du doch so gern. Süßes ist gut für die Nerven. Oder nimm was vom Obstkuchen, der hat vielleicht ein paar Vitamine.«
Nele gab keine Antwort. Stattdessen schenkte sie sich eine Tasse Kaffee ein und reichte die Kanne ihrer Mutter.
»Du siehst nicht gut aus, Kind.« Prüfend betrachtete Christa ihre Tochter und nahm ihr die Kanne ab.
Nele gab erneut keine Antwort.
»Immer noch das alte Thema?«, fragte die Mutter und klang, wie Nele fand, bemüht beiläufig.
Sie legte die Fingerspitzen aneinander und sah in ihre Kaffeetasse. Auf der schwarzen Flüssigkeit schwamm ein winziges Luftbläschen und zerplatzte.
»Man kann nichts erzwingen, Nele«, fuhr die Mutter fort. »Wenn es euch nicht bestimmt ist, Eltern zu werden, müsst ihr euch damit abfinden.«
Nele spürte Empörung aufsteigen. Die Mutter sprach mit ihr, als wäre sie ein Kind, das trotzig um seinen Willen rang. Sie spürte den Drang, Widerworte zu geben. Gleichzeitig wurde die Verzweiflung wieder übermächtig, die sie seit Jahren begleitete.
»Außerdem ist ja noch nicht aller Tage Abend«, fuhr Christa fort. »Du bist jetzt dreiunddreißig, und Konrad ist gerade mal zwei Jahre älter. Ihr habt doch noch Zeit. Lass einfach mal locker, Nele, und denk nicht immer daran, dass ...«
»Wir werden ein Kind adoptieren, Mama«, unterbrach Nele ihre Mutter, mühsam beherrscht. Hitze durchlief sie, noch während sie sprach.
»Was?« Entgeistert sah Christa sie an und ließ ihre Kaffeetasse sinken.
»Ja. Konrad und ich haben beschlossen, uns um eine Adoption zu bemühen. Wir haben uns im Internet informiert, welche Voraussetzungen man mitbringen muss, um infrage zu kommen. Es sieht gar nicht schlecht aus für uns.«
Sie biss die Zähne fest aufeinander, und Nele fragte sich, warum ihr das Gespräch mit ihrer Mutter so zusetzte.
»Nele!« Mit Nachdruck stellte Christa ihre Tasse ab. »Ich sagte doch gerade ...«
Nele sah ihre Mutter an. Sie ahnte, dass ihr Schmerz und Verzweiflung im Gesicht standen. Umso schlimmer, weil Christa einfach nicht verstehen wollte, wie sehr sie sich ein Kind wünschten.
»Ich weiß, was du gesagt hast, Mama«, erwiderte sie. Sie hatte einen bitteren Geschmack im Mund.
»Du kannst noch über Jahre hinweg schwanger werden«, beharrte Christa.
»Ich habe jetzt vier Fehlgeburten hinter mir, Mama. Vier!« Es schnürte ihr die Kehle zu.
Jedes Mal war sie voller Freude und Hoffnung gewesen, und Konrad hatte diese Gefühle mit ihr geteilt. Schon in den ersten Wochen hatten sie begonnen, das Kinderzimmer einzurichten. Bis sich dann das sehnlichst erwartete Glück quasi in nichts aufgelöst hatte.
Schon in der zweiten Schwangerschaft hatte sie von Anfang an die Sorge begleitet, es könnte wieder passieren. Dass es tatsächlich erneut so gekommen war, hatte sie nicht fassen können.
»Du bist zu verkrampft, Nele. Vielleicht solltet ihr in den Urlaub fahren. Euch ein paar schöne entspannte Tage gönnen ...«, schlug die Mutter vor.
»Mama!« Aufgebracht unterbrach Nele sie. »Was redest du denn da? Du hast keine Ahnung, wovon du sprichst.«
»Da hast du wohl recht.« Mit spitzem Finger tippte ihre Mutter auf einen winzigen Krümel, der auf der glänzenden Tischplatte lag. »Als ich damals mit dir schwanger geworden bin ... na ja. Dennoch ... eine Adoption? Ich bitte dich! Ihr habt doch gar keine Ahnung, wen ihr euch da ins Haus holt. Es gibt Gene, Veranlagungen, Charakterzüge, die möchte man doch nicht in der Familie haben.«
Nele wäre gern aufgestanden und gegangen. Ihrer Mutter fehlte jedes Einfühlungsvermögen – und das schon immer.
»Und ein aufwendiger Behördenkram steht dann ja auch an. Wie soll das gehen? Konrad ist doch in seinem Beruf als Steuerberater voll ausgelastet. Er kann dir kaum zur Seite stehen. Und wenn du allein ...«
Es läutete. Das musste Konrad sein. Endlich.
Noch mehr als die Anwesenheit ihres Mannes sehnte sich Nele jedoch das Ende des Kaffeetrinkens herbei. Sie hatte gewusst, dass ihre Mutter einer Adoption kritisch gegenüberstehen würde. Doch so hart, wie sie sich ausgedrückt hatte ... Damit hatte Nele dann doch nicht gerechnet.
♥♥♥
Konrad streifte sorgfältig seine Schuhe an der Fußmatte ab und rückte sein Jackett gerade. In der Hand hielt er eine Flasche Prosecco, um deren Hals eine goldene Schleife gewunden war.
Er hatte seine Sekretärin gebeten, ihm diese noch für seine Schwiegermutter zu besorgen – anlässlich ihres sechzigsten Geburtstages. Mit leeren Händen hatte er nicht kommen wollen. Die Blumen und den kleinen Kaffeevollautomaten mit Milchaufschäumer und einfacher Bedienung hatte Nele wie abgesprochen gleich übergeben.
Er spürte einen bohrenden Schmerz im Rücken, den er in letzter Zeit schon öfter gehabt hatte. Ausgerechnet jetzt wieder. Er drückte die Wirbelsäule durch und atmete vorsichtig ein und aus. Der Schmerz ließ nach, ging aber nicht weg. Er saß einfach zu viel hinter seinem Schreibtisch. Vielleicht sollte er wieder joggen gehen.
Konrad hörte Schritte hinter der Haustür, die gleich darauf geöffnet wurde.
»Konrad, wie schön«, begrüßte ihn seine Schwiegermutter und hielt ihm die Wange hin.
»Christa, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, sagte er freundlich, reichte ihr die Hand und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. »Entschuldige die Verspätung. Ich habe unerwartet noch einen Termin hereinbekommen.«
»Schon gut.« Christa sah nicht so aus, als hätte sein Argument Gültigkeit.
Er reichte ihr den Prosecco. Claudia Pfister hatte eine sehr gute und hochpreisige Sorte gekauft.
»Wie lieb von dir.« Christa zeigte den Anflug eines versöhnlichen Lächelns, das gleich wieder in sich zusammenfiel. »Du kommst gerade recht. Eben habe ich von Nele von euren Plänen erfahren. Seid ihr wirklich ganz sicher?«
Konrad hatte den Drang, seine Krawatte gerade zu richten, obwohl er gar keine trug. Warum nur war Christa oft so anstrengend? Er bemühte sich um ein entspanntes Lächeln.
»Du sprichst von der Adoption, nicht wahr? Lass mich doch erst einmal reinkommen. Dann können wir gern darüber reden.«
Im Grunde gab es nichts zu reden. Die Entscheidung betraf Nele und ihn, nicht Christa.
»Sicher«, stimmte seine Schwiegermutter zu.
Hinter ihr betrat er das Wohnzimmer. Nele saß am Tisch und lächelte ihm entgegen. Sie war bleich und sah angespannt und unglücklich aus. Eine Welle der Liebe und Zuneigung erfasste ihn. Nele war der wichtigste Mensch in seinem Leben. Er wollte sie glücklich sehen, und dafür war er bereit, nahezu alles zu tun.
»Hallo, Liebes.« Er beugte sich über sie und küsste sie.
Zärtlich erwiderte sie den Kuss.
Er nahm neben ihr Platz. Christa stellte den Prosecco zwischen die Blumen und den noch eingepackten Kaffeevollautomaten.
Seine Schwiegermutter schenkte ihm ein. Die Frage, ob er einen Kaffee wollte, stellte sie nicht.
»Nimm dir bitte von dem Kuchen«, forderte sie ihn freundlich auf und setzte sich.
»Danke, Christa.« Er entschied sich für die Sahneschnitte mit Früchten.
Neles Teller war noch unberührt.
»Ich mache mir wirklich Sorgen, Konrad. Ihr seid doch noch jung genug, um ... nun ja. Warum denn dieser Druck? Habt ihr erst einmal eure Pläne umgesetzt und euch ein fremdes Kind ins Haus geholt, dann bleibt euch das. Zurückgeben ist ja wohl nicht möglich, wenn die Unterschriften gegeben sind und sich alles unschön entwickeln sollte.« Sie sprach mal wieder ohne Punkt und Komma.
Konrad lächelte ihr zu.
»Es ist viel passiert in den letzten Jahren, das weißt du«, sagte er freundlich und sah wieder Nele vor sich, wenn sie eine Fehlgeburt hatte verkraften müssen. Er wusste um ihren Schmerz und ihre Verzweiflung, würde die Trauer und Tränen seiner Frau nie vergessen. Wie verzagt war sie gewesen und wie nah an der Depression. Erst als sie vor ein paar Wochen begonnen hatten, sich mit der Möglichkeit einer Adoption zu befassen, hatte Nele wieder ein wenig Mut geschöpft. Die Anregung war von Neles Gynäkologen gekommen. Er selbst, das musste er zugeben, hätte es nicht in Erwägung gezogen.
»Natürlich ist viel passiert. Aber ...«, begann Christa erneut.
Konrad lächelte ihr zu und sie verstummte. »Ich weiß, du meinst es gut. Aber unser Entschluss ist gründlich durchdacht und besprochen. Er steht fest. Wir bemühen uns um eine Adoption«, sagte er ruhig und verbot den Zweifeln, ob er einem angenommenen Kind ein guter Vater sein könnte, sich jetzt in den Vordergrund zu drängen.
Christa fuhr mit der Spitze des Zeigefingers über die Tischplatte. Die Missbilligung stand ihr ins Gesicht geschrieben.
»Es werden viele Formalitäten zu erledigen sein«, gab sie zu bedenken. »Als Neles Vater noch lebte und gearbeitet hat, da musste er einmal einen Artikel zu dem Thema schreiben. Er hatte viel recherchiert. Das Amt steckt ja seine Nase in alles, ich kann mich gut erinnern. Einkommensnachweise wollen die haben und ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis und so weiter«, mäkelte sie.
Konrad hatte seinen Schwiegervater, der als freier Journalist gearbeitet hatte, nicht mehr kennengelernt. Er war gestorben, ehe Nele und er ein Paar geworden waren.
»Das ist uns bekannt«, antwortete er seiner Schwiegermutter.
Ihm fiel auf, wie schweigsam Nele war. Seit seinem Eintreffen hatte sie noch kein einziges Wort gesagt. Christa mochte ihr bereits ordentlich zugesetzt haben.
»Und was, wenn ihr das alles auf euch nehmt und dann doch nicht berücksichtigt werdet?«, fuhr seine Schwiegermutter ungnädig fort.
Konrad legte eine Hand auf die von Nele.
»Ich bin sicher, dass wir sehr gute Chancen haben«, sagte er und lächelte seiner Frau zu.
Nele erwiderte das Lächeln dankbar.
»Wenn man bedenkt, dass die Ämter oft nur bis 16 Uhr geöffnet haben und freitags auch schon gegen Mittag schließen ... Du wirst dir hier und da freinehmen müssen. Geht das denn? Du hast doch viel zu tun«, meinte Christa, ihn aufmerksam machen zu müssen.
»Aber natürlich geht das«, versicherte er. »Wir haben am nächsten Montag einen Termin beim Jugendamt.«
Christa, die bereits erneut angesetzt hatte, etwas zu sagen, schloss den Mund.
Für das Gespräch beim Amt hatte er sich den kompletten Vormittag freigehalten und auch den Termin bei Doktor Schwellig wieder abgesagt, den er wegen seiner Rückenschmerzen hatte aufsuchen wollen. Nele hatte sich deswegen Gedanken gemacht, doch er hatte abgewunken. Die Beschwerden, so hatte er behauptet, seien schon besser und mit ein wenig mehr Bewegung sicher bald wieder in Ordnung.
Vielleicht brauchte er auch an seinem Arbeitsplatz in der Kanzlei einen neuen Stuhl, um die Haltung am Schreibtisch zu verbessern. Er wollte Frau Pfister bitten, ihm dazu ein paar Vorschläge aus dem Internet herauszusuchen. Außerdem konnte er ja zeitnah einen neuen Termin vereinbaren.
Nebenher, aber das hatte er nicht ausgesprochen, hatte er einen randvollen Terminkalender. Er würde ohnehin den kommenden Samstag zumindest teilweise im Büro verbringen müssen, um die Zeit hereinzuarbeiten. Doktor Schwellig stand jetzt erst einmal hinten an.
Wie zur Ermahnung bohrte es wieder in seinem Rücken. Sobald mit dem Jugendamt alles besprochen war, würde er zum Arzt gehen.
♥♥♥
Nele stand im Bad vor dem Spiegel und überprüfte zum wiederholten Mal ihr Aussehen. Ihre schulterlangen braunen Haare glänzten, sie hatte ihre Augenbrauen betont und sich die Wimpern getuscht. Auf ihren Lippen lag ein Hauch pfirsichfarbener Lippenstift und sie trug dezente Ohrstecker aus Roségold.
Sie sah an sich hinunter. Zu ihrer Jeans und der weißen Bluse würde sich gleich noch die blauen Ballerinas anziehen.
Nele presste die Handflächen aneinander. In einer halben Stunde hatten sie den Termin beim Jugendamt. Sie war so aufgeregt, dass ihr das Herz bis zum Hals schlug.
Konrad klopfte an die Badezimmertür. »Nele? Alles in Ordnung?«, fragte er.
Sie ging zur Tür und öffnete.
»Wow!«, machte Konrad und betrachtete sie voller Bewunderung. »Super siehst du aus.«
»Danke.« Sie lächelte ihm zu. Ein Zittern durchlief sie. »Ich bin furchtbar nervös. Was, wenn sie uns gleich wieder wegschicken?«, fragte sie.
Zärtlich legte Konrad seine Hände auf ihre Oberarme.
»Warum sollten Sie?«
»Ich weiß nicht ...« Sie ließ ihren Kopf an seine Brust sinken. Die Adoption war ihre letzte Hoffnung, doch noch Mutter zu werden und mit Konrad eine Familie zu gründen. Vielleicht konnten sie sogar, wenn alles gut lief, in ein paar Jahren ein zweites Kind ...? Stopp, dachte Nele, bestürzt über ihre Fantasien. Sie wollte nicht zu weit denken. Sie konnten fürs Erste froh sein, wenn sie überhaupt in eine Warteliste aufgenommen wurden.
Konrad streichelte ihren Rücken. »Lass uns fahren«, sagte er sanft.
»Ja.« Sie hob den Kopf, reckte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihren Mann. »Ich liebe dich«, flüsterte sie aus einem Impuls tiefer Zärtlichkeit heraus. »Und ich danke dir, dass du diesen Weg mit mir gehst.«
Konrad drückte sie an sich.
»Ich liebe dich auch, Nele und ich möchte jeden Weg mit dir gehen«, erwiderte er leise.
♥♥♥
Das Jugendamt war in einem schlichten Gebäude untergebracht, mit Flachdach und weiß gekalkter Fassade. Direkt neben dem Eingang, der aus einer zweiflügeligen Glastür bestand, gab es fünf Parkplätze. Konrad bekam den letzten freien Platz.
Nele spürte ihre Knie zittern, als sie das Gebäude betraten. Der Eingangsbereich war nicht allzu groß. Es gab einen Empfangstresen aus hellem Kunststoff, auf dem seitlich ein lila blühendes Usambaraveilchen stand. Eine junge Frau mit blondem Kurzhaarschnitt lächelte ihnen entgegen.
»Guten Morgen«, grüßte Konrad die Angestellte. »Unser Name ist Brunner. Wir haben um 10 Uhr einen Termin mit Frau Behr.«
»Guten Morgen«, erwiderte die Frau freundlich. Auf einem kleinen Schild, das neben dem Veilchen platziert war, stand Maxi Reichel – Empfang.
»Gehen Sie bitte den Flur entlang. Hinter der zweiten Tür rechts ist das Büro von Frau Behr«, sagte Frau Reichel.
»Danke«, antwortete Konrad.
Der schmale Flur war eng und dunkel, nur ganz am Ende gab es ein Fenster, durch das spärlich etwas Tageslicht drang. Durch die Scheibe waren die Blätter eines Laubbaumes zu sehen, beschienen vom Sonnenlicht, das es nicht in das Gebäude schaffte. Auf dem Fensterbrett stand ein einsamer Blumentopf mit einem Kaktus.
Auf dem mit PVC belegtem Fußboden quietschten die gummierten Sohlen von Konrads Schuhen.
Sie blieben vor der genannten Bürotür stehen und tauschten einen Blick, ehe Konrad anklopfte.
»Ja, bitte«, rief eine Frau.
Konrad öffnete und ließ Nele vorangehen.
Im Gegensatz zu dem bedrückenden Flur wirkte der Raum, in dem Frau Behr saß, hell und freundlich. Schräg hinter ihrem Schreibtisch stand eine mannshohe Fächerpalme in einem silbernen Übertopf. Durch die beiden großen Fenster war der Raum sehr hell. An der linken Wandseite befand sich ein halb hohes Regal aus Kiefernholz, auf dem eine Reihe von Stofftieren saß.