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Schwarzblau schimmert der Himmel in dieser Novembernacht. Ein Mann im Trenchcoat steht einsam vor leeren Bürohäusern. Schüsse fallen. Scheiben klirren. Welches grausame Ziel verfolgt der Schütze? Die Belegschaft einer alternativen Tankstelle ist einem Millionencoup auf der Spur. Kann der Mann im Trench helfen? Zwei Schwarze auf dem Weg in das Centrum der Stadt. Ihr Gepäck, ein Kanister mit zwei gekreuzten Bananen, birgt Gefahr. Was steckt in dem unheimlichen Kanister? Eine Zwei-Mann-Entrümpelungsfirma bei der Arbeit. Als die beiden Männer ein Nebenzimmer betreten, bleibt ihnen der Mund offenstehen: ein komplett eingerichtetes Zimmer aus einem amerikanischen Detektiv-Film – Sam Spade läßt grüßen! Wo kann man bloß diese Möbel kaufen? Ein Kriminalbeamter, wie er im Buche steht: wachsam, intelligent und gerecht. Nur Liebe kann ihn außer Gefecht setzen. Er arbeitet an einem schwierigen Fall, dem Pappnasenmord. Welche schöne Frau wird ihm zum Verhängnis? Eine Kaffeefirma in Hamburg wird Opfer eines Anschlags. Massenhysterie bricht aus. Menschen springen aus dem Fenster. Hat die Feuerwehr genügend Sprungtücher? Wissen Sie überhaupt, wie gefährlich Kaffeetrinken sein kann?
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Seitenzahl: 322
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Norbert Klugmann • Peter Mathews
Flieg, Adler Kühn
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Schwarzblau schimmert der Himmel in dieser Novembernacht. Ein Mann im Trenchcoat steht einsam vor leeren Bürohäusern. Schüsse fallen. Scheiben klirren.
Welches grausame Ziel verfolgt der Schütze?
Die Belegschaft einer alternativen Tankstelle ist einem Millionencoup auf der Spur. Kann der Mann im Trench helfen?
Zwei Schwarze auf dem Weg in das Centrum der Stadt. Ihr Gepäck, ein Kanister mit zwei gekreuzten Bananen, birgt Gefahr.
Was steckt in dem unheimlichen Kanister?
Eine Zwei-Mann-Entrümpelungsfirma bei der Arbeit. Als die beiden Männer ein Nebenzimmer betreten, bleibt ihnen der Mund offenstehen: ein komplett eingerichtetes Zimmer aus einem amerikanischen Detektiv-Film – Sam Spade läßt grüßen! Wo kann man bloß diese Möbel kaufen?
Ein Kriminalbeamter, wie er im Buche steht: wachsam, intelligent und gerecht. Nur Liebe kann ihn außer Gefecht setzen. Er arbeitet an einem schwierigen Fall, dem Pappnasenmord.
Welche schöne Frau wird ihm zum Verhängnis?
Eine Kaffeefirma in Hamburg wird Opfer eines Anschlags. Massenhysterie bricht aus. Menschen springen aus dem Fenster. Hat die Feuerwehr genügend Sprungtücher?
Norbert Klugmann und Peter Mathews, beide Jahrgang 1951, haben gemeinsam in der Reihe rororo thriller veröffentlicht: «Beule oder wie man einen Tresor knackt», «Ein Kommissar für alle Fälle», «Flieg, Adler Kühn», «Die Schädiger» und «Tote Hilfe».
Rochus Rose / ein Nachtwächter / vier Polizisten / alle Beamten der Revierwache / Hajo Pillau / ein BMW-Fahrer / Valentin Adler Kühn / Reinhold / ein Fiat-Fahrer / Irene Lachmund / Till Lachmund / Frau Drummer / Rolf, ihr Mann / Achim Golze / ein Wohnwagenfahrer / Henry St. Galleon / Gabriel Ekbono / Maria / eine Frau in Turbohosen / Frau Cathomen / Ilse / Klaus / Chantal / Martin / eine sympathische Kundin / Henry Pietsch / eine gemütliche Frau / ein Mann / zwei Frauen / ein Taxifahrer / sieben von neun Leuten / eine junge, attraktive Frau / ein Stadtstreicher / eine Passantin / die Nachbarin / noch ein Pförtner, ein Mann Anfang 40 / Ulf Bohnsack / ein blutjunges Paar / eine männliche Stimme / ein Polizist / ein Pfleger / Dr. Wüsthoff / ein vielleicht 55jähriger Mann / Frau Rodeländer / ein Paar / eine Frau / ihr Mann / der Philosoph / achtzehn Männer / Gernot Lustig / ein Baustoff-Händler / ein HNO-Arzt / ein Urheberrechtsanwalt / eine Empfangsdame / Maggie / Veronika / der Klempner / ein Nachbar / zwei Polizeibeamte / Kinder / ein Junge / Egon / ein Mann / ein aufgeschwemmter Mann / der Reiher-Direktor / eine dralle Frau / Menschen / der Tontechniker / Kameramann / Mechthild / ein Redakteur einer Boulevard-Zeitung / Frau Holländer / Krausi und Heino / Johannes / Hermann der Cherusker / ein Barkeeper / Roberta Bohnsack / Doris / ein Betrunkener / eine Gruppe junger Leute / ein Therapeut / ein ehemaliger Nachtwächter / ein Angestellter / zwei Frauen / eine Frau / ein junger Schnösel / ein Angestellter / eine ältere Frau / ihr Kollege / ein Mitglied des Betriebsrates / ein Passant / ein Dekorateur / die Feuerwehr / ein Untertrupp / der Muttertrupp / Polizisten / zwei Polizeibeamte / ein älterer Passant / ein junger Feuerwehrmann / ein nackter Mann / ein Chemiker / ein Glaser / ein Redakteur / Roswitha / ein Taxifahrer / ein Lexikon-Vertreter / ein Pfleger / zwei einkaufende Frauen / der dienstälteste Redakteur / ein älterer Herr / ein Wissenschaftsredakteur / eine Urlauber-Familie aus Dänemark / zwei Taxifahrer / eine Menge Uniformierter und zwei Zivile / achtzehn Polizisten / eine Chefsekretärin / der Direktor / sein persönlicher Referent / eine Wahrsagerin / Fred Frenzel / und einige mehr.
Ein böiger Nord-Nordwest und 4 bis 6 Grad plus sollten für eine durchschnittliche Novembernacht sorgen. Athen meldete 14 Grad Celsius, und vor Mallorca war eine komplette männliche Skatrunde aus Osnabrück ertrunken, als sie die laue Nacht zu einem Bad («Was uns nicht umbringt, macht uns stärker.») nutzen wollte. Norderney verzeichnete den mildesten Spätherbst seit zwei Jahren, der Wintergerste ging es in der gesamten Bundesrepublik gut. Und doch hatte der erste Nachtfrost eine dünne Eisschicht über die Pfützen östlich des Hamburger Hauptbahnhofs gezogen. Der Nachthimmel schimmerte, sein stählernes Schwarzblau zeichnete sich scharf von den Fassaden der menschenleeren Bürohäuser ab. Grell schrillten die Schienen, wenn zwischen den Stationen Hauptbahnhof und Berliner Tor S-Bahnen unterwegs waren.
Ein Halbschuh zermalmte die papierdünne Eiskruste auf den Pfützen.
Der Mann war allein mit den leeren Bürohäusern. Auf einer nahen Straße scheuerten Autoreifen über Asphalt und gewannen schnelle Fahrt. Ein Streifenwagen schaltete die Sirene ein, und der Mann wich auch der nächsten Pfütze nicht aus.
Der Trenchcoat mochte bis 18 Uhr eine angemessene Bekleidung gewesen sein, jetzt war er ein Fähnchen im Wind. Der Mann schlug den Kragen hoch und schritt zielstrebig voran. Atemwolken hinter sich lassend, passierte er das Gebäude einer bundesweit bekannten Bausparkasse und danach die geduckt im Hintergrund kauernde Verwaltung einer kleinen Krankenkasse. Ohne sich umzusehen, wechselte er die Straßenseite. Auf dem nahen Parkplatz startete ein Motor, der aufflammende Autoscheinwerfer riß die Silhouette des stämmigen Mannes sekundenkurz aus der Nacht. Die Tür des Pkws wurde geöffnet, etwas Nasses klatschte auf den Schotter. Dann verließ der Wagen den Parkplatz und bog dicht vor dem Mann auf die Straße ein. Weder sah er das gleichzeitig erleichterte und gedemütigte Gesicht des Mannes hinter dem Steuer noch das verbindlich-höhnische Grinsen der verfroren aussehenden Frau.
An der Einfahrt zum Firmen-Parkplatz der Passau Paderborner Versicherung blieb er stehen. Sein Atem beschleunigte sich. Der Mann blickte zurück, niemand war ihm gefolgt. Eine S-Bahn ratterte Richtung Berliner Tor. Es war, als ob der Mann jedes Fenster des elfstöckigen Gebäudes einzeln musterte. Ein paar Straßen weiter splitterte Glas, der Mann lächelte. Zwei mächtige Peitschen-Laternen beleuchteten einen fast leeren Parkplatz. Nur ein zerbeulter Audi 100, der mit dem Heck einen Laternenmast gerammt hatte, stand herum. 50 Meter weiter, unmittelbar vor dem Haupteingang, parkte ein Opel Rekord. Seine Bronze-Braun-Metallic-Lackierung harmonierte mit den gedeckten Farben der behäkelten Klorolle auf der Hutablage.
Der Mann ging auf den Haupteingang zu. Er blickte noch mehrere Male zu den oberen Stockwerken hinauf und hatte beinahe den Opel erreicht, als plötzlich in der Pförtnerloge ein Lichtschein hin- und herwischte. Der Mann griff in eine Manteltasche und legte die Pistole auf das Dach des Wagens. In der anderen hielt er eine runde Dose mit Munition. Der Mann ließ das Magazin ausklinken, schob Patronen ein und brachte das Magazin mit einem Schlag in die richtige Stellung. Rückwärtsgehend, entfernte er sich einige Meter vom Gebäude. Dann hob er mit beiden Händen die Pistole und schoß das Magazin, von links nach rechts auf die Fenster des obersten Stockwerks zielend, leer. Die Scherben fielen in die Büros und auf den Parkplatz. Sie zersplitterten mit lautem Klirren. Der Mann näherte sich dem Opel, wollte nachladen. In diesem Augenblick stürzte der Nachtwächter aus dem Haus.
«Sie, lassen Sie das! Verrückt geworden, was?»
Der Mann faßte den Nachtwächter ins Auge und griff nach den Patronen. Der Nachtwächter stockte im Lauf und sagte zögernd, fast scheu:
«Das gibt doch Kratzer im Lack.» Er deutete auf die Munitionsdose, die auf dem Autodach stand. Der Mann schlug das Magazin ein und wandte sich dem Nachtwächter zu. Der floh ins Innere des Hauses. Während der Mann die nächsten Fenster fixierte und einen Fehlschuß aus der ersten Serie korrigierte, wählte der Nachtwächter rasend schnell eine Telefonnummer.
Die Dose enthielt 100 Schuß. Sie war nicht mehr halb voll, als Sirenengeheul ertönte. Die beiden Streifenwagen schossen aus der dunklen Straße auf den milde erleuchteten Parkplatz. Dabei kam der eine Wagen ins Schleudern und prallte trotz leidenschaftlicher Lenkrad-Kurbeleien des Fahrers gegen den zerbeulten Audi. Während der Mann nachlud, bemerkte er ohne besonderes Interesse, wie zweimal zwei Fahrer und Beifahrer aus ihren Wagen sprangen und hinter den Türen in Deckung gingen. Der Schütze legte das vierte Stockwerk in Scherben, einer der Beamten rief:
«Achtung! Achtung! Hier spricht die Polizei! Sie sind umzingelt. Ergeben Sie sich!»
Der Schütze schoß, ging nachladen. In stummer Verzweiflung stand der Nachtwächter hinter den Scheiben der Eingangshalle.
«Noch mal», flüsterte ein Polizist, «vielleicht hat er nicht zugehört.» Vom anderen Wagen erscholl es:
«Aufhören, sofort aufhören! Wenn Sie nicht sofort aufhören, schießen wir. Dies war die erste, zweite und dritte Warnung.»
Der Mann im Trench schoß, er hatte seit vier Stockwerken kaum einen Fehlschuß zu verzeichnen.
«Mensch, wir müssen etwas tun», zischte ein Polizist, «der hört einfach nicht auf.»
«Ob wir mal vernünftig mit ihm reden …?» begann der Beifahrer des zweiten Wagens. Der Beamte hatte seit seiner Versetzung wegen fortgesetzter provozierender Milde gegenüber Rechtsbrechern keinen leichten Stand im neuen Revier.
«Verstärkung», sagte ein Polizist hocherfreut und forderte über Funk Verstärkung an.
«Ich mach’s», entschloß sich der Streifenführer. «Einer muß es ja machen.»
«Mach’s gut», sagte sein Beifahrer aufmunternd.
Der Streifenführer zielte.
«Laß dir Zeit.»
«Halt’s Maul», zischte der Streifenführer und zielte, was sein zusammengekniffenes Auge hergab. Viel war es nicht, weil es heftig tränte.
«Nimm das linke Bein», rief der Kollege, «die meisten sind ja Rechtshänder.»
«Keine Feinheiten. Ich bin schon zufrieden, wenn ich unterhalb des Schlipsknotens treffe.»
Der Mann im Trench schoß das Magazin leer und drehte sich um. Der Puls der Polizisten sprang auf gesundheitsfördernde 130 Schläge pro Minute.
«Nicht schlecht», flüsterte der Streifenführer, «in den Rücken kriegt er das Ding jetzt schon mal wenigstens nicht.»
Da warf der Mann die Pistole von sich, und dem Polizisten ging vor Schreck die Kugel los. Nachdem er den ersten Schock über die zertrümmerte Heckscheibe seines Wagens verwunden hatte, suchte der Nachtwächter in der Pförtnerloge trübsinnig nach der Nummer des Zentralrufs der Autoversicherer (33 44 66).
«Das ist ein Trick», mutmaßte der Streifenführer.
«Da ist was dran», erwiderte sein Kollege und begann, an der Unterlippe zu nagen. Währenddessen hatte der Minderheiten-Polizist den Mann erreicht.
«Mann Gottes», sagte er, «ich hoffe, Ihnen fällt eine verdammt gute Erklärung für das hier ein.» Er zeigte auf die Scherben und die Löcher im Gebäude. Der Mann blickte ihn an. Der Polizist bückte sich, hob die Pistole hoch. Aus dem Hintergrund stürmte ein Polizist und begann, den Arm des Schützen auf den Rücken zu hebeln.
«Ich ergebe mich», sagte der Mann.
Die Polizisten drängten den rabiaten Kollegen ab. Beim Einsteigen in den Fond des Streifenwagens nutzte der Streifenführer die Gelegenheit und rammte sein Knie in den Unterleib des Täters. Als der Streifenführer den Blick des Mannes sah, hätte er ihn am liebsten noch einmal getreten. Stück für Stück wurde die Stille der Nacht vom Geheul weiterer Polizeisirenen durchlöchert.
«So, du Knallschote, und jetzt zu dir», sagte der Streifenführer und fingerte Handschellen aus dem Handschuhfach.
«Ich bitte Sie, mich nicht zu duzen», erwiderte der Mann im Trench.
«Aber, hallo, was haben wir denn da?» sagte der Streifenführer.
Der Mann im Trench sah die ansatzlos geschlagene Hand nicht kommen. Der Handrücken traf ihn an der Wange und schleuderte seinen Kopf gegen die Schulter des Beamten, der auf der Rückbank neben ihm saß. Der Beamte schnüffelte: «Hat keine Fahne.»
«Nun komm schon», knurrte der Streifenführer, der die Handschellen anlegen wollte. Der Mann verbarg sein Gesicht in den Händen. Zu zweit rissen sie ihm die Hände herunter und ließen die Acht einschnappen. «Das ist für deinen Blick», fauchte der Streifenführer und zog die flache Hand noch einmal durch das Gesicht des Mannes.
Auf der Revierwache begutachteten alle Beamten den Fang. Der Festgenommene präsentierte einen Ausweis, der sich trotz eingehender Prüfung als nicht gefälscht erwies. Diverse Anfragen brachten Klarheit. Name: Rose; Vorname: Rochus; Alter: 45; Wohnort: Danziger Straße im Stadtteil St. Georg; Beruf: Nachtportier.
An einem frühen Märztag des folgenden Jahres rauschte ein BMW aus der Siebener-Reihe neben die Säule mit Superbenzin und begann sofort zu hupen. Hajo Pillau drehte den Kopf: «Kauf dir doch eine Tankstelle, du Pisser.» Nachdenklich betrachtete der Monteur dann wieder den Transit, er fand die Ursache für die wabbeligen Bremsen nicht. An der Bremsflüssigkeit – das stand zweifelsfrei fest – lag es nicht. Der Jetta-Fahrer, der von hinten eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Heck seines Wagens aufwies, zeigte mit neunmalklugem Gesicht auf das Selbstbedienungsschild. Mißmutig stieg der BMW-Fahrer aus, öffnete die hintere Tür, nahm das schneidige Jackett vom Haken und zog es an. Daneben sah der Jetta-Fahrer in seiner Hausjacke wie ein Beuteltier aus.
«Schöne Hupe haben Sie», sagte Hajo, als er am BMW vorbei zum Kassenraum ging.
«Wenn ich feststelle, daß ihr mir gepanschtes Benzin verkauft, mache ich euch zur Schnecke», erwiderte der BMW-Fahrer nicht unfreundlich. Während das Benzin einlief, blickte er über das Gelände. Sauladen. Wie nach einem Bombenangriff. Müßte von Grund auf renoviert werden. Alles flachlegen und vier bis sechs Klötze mit Eigentumswohnungen rauf. Den U-Bahn-Anschluß gleich mitbauen. Unvorstellbar, wie die sich hier in der Walachei halten können. Ist das überhaupt schon Hamburg? Der BMW-Fahrer fischte den Schal von der Rückbank.
Die Tankstelle besaß vier Zapfsäulen, zwei für Normal, je eine für Super und Diesel. In dem flachen Anbau waren der Kassenraum, ein Büro, eine kleine Küche, ein Aufenthaltsraum und ein Lagerraum untergebracht. Hinter einem überraschend großen Platz, der vom letzten März-Schnee schmutzig-weiß und matschig wirkte, lag eine Flucht von sechs Garagen, an die sich die Werkstatt mit einer Grube und einer Hebebühne anschloß. Die Tankstelle wirkte wirklich nicht besonders gepflegt. Doch alle technischen Einrichtungen waren erstklassig in Schuß. Die Augen des BMW-Fahrers sprangen von den Reifen-Stapeln zu den vier Schrottautos in der Lücke zwischen dem flachen Anbau und einer unmotiviert auf dem Gelände stehenden, verwahrlosten Mauer. Zwei Wagen standen auf den Dächern der beiden anderen.
Falls dieses Buch weitere Auflagen erleben sollte, stellen wir die Tankstelle – uns dem Zeitgeist nicht verschließend – auf Bleifrei um.
«He, Meister, Kundschaft», knurrte der BMW-Fahrer und warf ungeduldig den Hundertmarkschein auf den zerkratzten Glasteller im Kassenraum.
«Kundschaft. Hast also Zeit, dir eine bessere Ausrede zu überlegen», schnaufte Adler im Büro ins Telefon. «Diese Ausrede ist mir nämlich zu billig.»
Mißmutig gab er dem BMW-Fahrer heraus.
«Haben Sie vielleicht mal ein Kleenex oder so was? Ist nämlich alles ein bißchen dreckig bei euch», sagte der BMW-Fahrer und bewegte geziert sämtliche Finger. Adler griff neben die schwarze Registrierkasse und stellte eine Rolle Toilettenpapier auf den Tresen.
«Süßigkeiten verkauft ihr wohl auch nicht?» fragte der BMW-Fahrer während des Wischens. Adler schüttelte den Kopf.
«Bißchen was zu trinken? Cola oder so?»
Adler schüttelte den Kopf und ging ins Büro.
«Hähnchen, du fauler Hund», rief er ins Telefon. «Wir sind auf dich angewiesen. Das weißt du genau. Ich habe sonst nur noch Reinhold.» Anscheinend redete sich Hähnchen heraus.
«Hähnchen», vibrierte Adler, «ich will dich deiner Traumfrau nicht entfremden, aber bedenk doch: Wenn ihr euch zwei Stündchen nicht seht, hat der Akku Zeit, sich aufzuladen. Da fahrt ihr heute abend gleich mit ganz anderem Schwung aufeinander zu.» Adler hörte zu, lächelte kalt. «Okay, Hähnchen, okay. Du hängst dich bei deiner Traumfrau rein, und ich hänge in den Seilen. So hat jeder was. Wirklich toll. Tschüs, du halber Hahn.»
Adler hängte ein und trommelte mit drei Fingern auf dem Tisch herum. Dann ging er durch die winzige Teeküche in den Raum, den er immer dann, wenn er keine Lust hatte, nach Hause zu fahren, zum Schlafen benutzte. Reinhold saß im Ohrensessel zwischen dem durchgesessenen Sofa und dem Tisch. Dort standen noch Meßgerät und Lötkolben. Haßerfüllt starrte Adler auf das handliche Computerspiel in Reinholds Händen.
«Wie du mit dem Ding 62 Durchgänge geschafft haben willst, ist mir völlig schleierhaft», sagte Reinhold. «Du bist doch sonst nicht der Typ, der die große Geduld hat.»
Auf dem Weg zu seinem Wagen kam der BMW-Fahrer an dem Transit vorbei. Der Lieferwagen war fünf Jahre alt und viel bewegt worden. Dank Hajos Pflege sah er tipptopp aus. Das matte Schwarz gab dem klobigen Wagen etwas Flottes. Auf beiden Seiten stand in leuchtendgelber Schrift «Wir bewegen die Welt – Adler Kühn». Darunter das Bild eines grob skizzierten Mannes. Der Mann breitete seine zu Flügeln umgebildeten Arme aus.
Ein Fiat-Fahrer quengelte. Hajo ließ vom Transit ab und brachte ihm die Heizung in Ordnung. Danach fuhr Hajo mit dem Transit durchs Gewerbegebiet. Am Wochenende waren kaum Menschen auf den Straßen von Billbrook. Am Rand der breiten Straßen standen Container, unter die sich Montag früh eine Zugmaschine schieben würde. Die Parkplätze der Betriebe waren leer, in windgeschützten Ecken lagen Schneehaufen. Auf den Kanälen hatte sich das angetaute, auseinandergebrochene und erneut gefrorene Eis zu hohen, zackigen Bergen geschichtet. Hajo bremste, mit kleiner Verzögerung sprach der Wagen an. «Muß reichen», murmelte er, zündete sich eine Zigarette an und fuhr zur Tankstelle zurück.
Als Hajo zum Kassenraum ging, rauschte ein Taxi aufs Gelände. Irene parkte neben dem Transit ein, ein etwa achtjähriger Junge ließ sich aus dem Wagen direkt vor ein Hinterrad des Transit fallen. Hajo sprang dazu und verhinderte das Schlimmste.
«Sag deinem Sohn endlich, daß ‹Ventile pfeifen hören› kein Spiel ist, sondern Sabotage», forderte er Irene auf. Sie drückte ein bißchen in Tills Nackenregion herum. Für Hajo sah es aus, als ob sie den Lümmel liebkoste.
Hajo mußte zu einer kaputten Heizung. Irene ging in die Küche und fragte Adler, wie lange der Tee schon gezogen habe. Vorsichtig zog sie das dunkelbraune Netz aus der Brühe. Und es sieht doch aus wie ein Präser. Irene setzte sich im Aufenthaltsraum auf die winzige Stelle des Sofas, auf der Adler keine Blinker und Bremsleuchten gestapelt hatte.
«Wir ziehen das jetzt durch, Punktum», trumpfte Adler auf. «Wir schaffen das schon. Reinhold und ich, das ist ja fast so, als ob wir zu zweit wären.» Liebevoll grinsten sich Irene und Adler an, Reinhold schaffte drei Durchgänge mit dem Computerspiel und wurde regelrecht euphorisch.
«Ich habe eine Schicht übernommen», sagte Irene ohne Begeisterung. «Meine ach so hilfsbereiten Mitbewohner sind alle ausgeflogen.»
Adler, der es nicht mehr mit ansehen konnte, nahm Reinhold das Computerspiel fort und drückte ihm einen Teebecher in die Hand.
«Maria ist um acht wieder da, also um zehn bestimmt. Sie schickt den Bengel in die Federn. Bis dahin ist Asche. Vielleicht könntet ihr? Aber ihr macht wohl eine Tour?» Irenes Stimme war am Schluß immer zaghafter geworden.
«Frag Hajo», knurrte Adler. «Der hat die besten Nerven. Und sag deinem Sprößling, er soll die Ventile in Ruhe lassen. Sonst kriegt er hier nämlich Platzverweis.»
Irene fragte Hajo. Gemeinsam kesselten sie Till ein und hielten ihm einen Vortrag über Sinn und Unsinn von Ventilen. Till nickte und nickte. «Na, dann komm, kleiner Mann», sagte Hajo. Er konnte den altklugen Knaben gut leiden.
Sie brachen gleichzeitig auf. Adler versuchte, Irene zu rammen, die wich geschickt aus und fuhr das Tankstellen-Fahrrad um. Till reckte den Arm in die Höhe, die Erwachsenen hielten dies für Winken. Er wartete, bis Hajo zum Fahrrad ging, um es aufzuheben. Dann faßte Till das erstbeste Ventil ins Auge. Und Vorfreude ergriff den Knaben.
Während Reinhold sich darüber verbreitete, was für eine nette Person Irene Lachmund war, steuerte Adler die Adresse im Stadtteil St. Georg an. In der Gegend kannte er sich aus, er wohnte selber dort.
In der Danziger Straße gerieten sie prompt in den Abmarsch des Gottesdienstes. Die katholische Kirche spielte an Wochenenden praktisch nonstop. Adler parkte den Transit halb auf dem Bürgersteig und wartete die Abfahrt der Wagen ab. Dann stellte er den Transit genau vor die Haustür. Reinhold holte die Handschuhe aus der Kiste, Adler öffnete gerade die Hecktür, als eine Frau aus dem Mittelklasse-Pkw vor ihnen stieg. Ein Mann folgte ihr. Reinhold kümmerte sich nicht um die Frau. Er machte für 50 Mark seinen Job, der Chef war Adler.
«Herr Adler?» sagte die etwa vierzigjährige Frau in dem grundsoliden Mantel mit Pelzaufsatz. Valentin Kühn registrierte diesen Irrtum seit Jahren nur noch am Rande.
Adler nickte, die Frau hielt ihm die Hand hin: «Drummer. Frau Drummer. Ich bin die Schwester von meinem Bruder.» Adler nickte dem Mann im Hintergrund zu. «Das ist er doch nicht», sagte die Frau ärgerlich, «das ist doch mein Mann.» Adler nickte freundlich. Bevor du mal heiratest, denkst du eine Nacht lang an solche Ehepaare.
«Ich habe Ihnen doch am Telefon erzählt, daß es um die Wohnung von meinem Bruder geht. Mein Bruder ist nach Südamerika ausgewandert. Das ist mein Mann. Der bleibt hier, was, Rolf Scheißerchen, du bleibst doch bei deiner kleinen Karin?»
Adler blickte den Mann nicht an. «Dann wollen wir mal», sagte er und rieb die Hände. «Kommen denn nicht noch mehr?» fragte die Frau.
«Wir sind bärenstark», entgegnete Adler munter und wurde wieder sauer auf Hähnchen und dessen Traumfrau. Sie gingen ins Haus.
Seitdem es mit der Tankstelle nicht so lief – also praktisch seit Anfang an vor zwei Jahren –, inserierte Adler in diversen Anzeigenblättern und im Regionalteil der alternativen Tageszeitung: «Wir bewegen die Welt – und Ihre Möbel auch.» Die Anrufe hielten sich in Grenzen. Im Monat kamen sie auf vier, fünf Umzüge, Wohnungs-Auflösungen und Entrümpelungen von Dachböden und Kellern. Die Frau, auf deren unteren Lendenwirbel-Bereich Adler beim Treppensteigen blickte, hatte die Sache sehr dringlich gemacht. Ihr Bruder, der Hallodri, sei ganz kurzfristig Richtung Südamerika verduftet, diesmal für endgültig, der Weltenbummler. Er habe sie, seine Lieblingsschwester, gebeten, die Wohnung aufzulösen, weil er alle Brücken hinter sich abreißen wollte.
Reinhold freute sich, daß sie nur bis in den ersten Stock mußten. Der Ehemann blieb im Hintergrund. Adler wurde das Gefühl nicht los, daß der Mann sich nicht wohl fühlte.
«Kleiner Rundgang, die Herren, bitte sehr», sagte die Frau mit aufgesetzter Munterkeit. Sie begannen in der Küche. Reinhold spielte Gewichtschätzen. Der Schrank war für ihn «200 Pfund», und als Adler ihn darauf hinwies, daß man das Oberteil abschrauben konnte, war er «130 zu 70».
Hier hatte ein Junggeselle gelebt. Ein Klo, die umgebaute Speisekammer faßte gerade die Duschkabine. Im Wohnzimmer hatte der Mann wohl auch geschlafen, das Sofa war ausgezogen, eine Decke und ein Wintermantel lagen neben einer Reisetasche, die ausgekippt worden war und dem Mieter als Werkzeugkasten gedient haben mußte. Sessel, Schrank und Teppich addierte Adler seufzend zu maximal drei Blauen. Ein paar Grünpflanzen waren vertrocknet. Hoffentlich bringt das zweite Zimmer was. Sonst können wir den Klumpatsch gleich auf den Müll kippen.
Adler betrat den Raum und stutzte mitten in der Bewegung eines Schrittes. Hektisch fuhr sein Kopf herum. Er stand in einem Büro, das er seit fünfzehn Jahren kannte. Ungefähr so lange war es her, seit er zum erstenmal einen amerikanischen Detektiv-Film gesehen hatte.
Waagerecht gestellte Jalousien nichts wert vor beiden Fenstern, ein Schreibtisch, dicht vor den Fenstern, mit einem einfachen Bürostuhl 20DM, der aber Lehnen hatte. Auf dem Schreibtisch glatte 120 Märker ein schwarzes Telefon 30 Mark maximal, eine grüne Schreibunterlage, ein verblichen wirkender Tageskalender auf dunkelgelbem Holz. Eine schwarze, schmale, sehr längliche Schale mit Kugelschreibern, Büroklammern und Bleistiften Pipifax, ganz am Rand aktuelle Telefonbücher von Hamburg, Los Angeles und Asuncion Müll. An einer Schmalseite sowie zwischen Ecke und Fenster standen Rollschränke die Mechanik schien nicht ganz in Ordnung. Wenn ich die wieder hinkriege, bringt es jeweils mindestens einen Adler. Er liebte diese nach ihm benannten blaßblauen Flattermänner auf knitterigem Papier. Einen Rollschrank füllten zur Hälfte Fachbücher und Aktenordner. Neben dem Schrank stand ein Wasserbehälter. Wenn der noch funktioniert, lohnt er allein schon die ganze Chose. Verdutzt trat Adler vor den Behälter, der fast leer war. Er zog einen Pappbecher aus der Halterung und füllte einen Schluck Wasser ein. Er tat es nicht, weil er trinken wollte. Er mußte nur sofort den Beweis haben, daß das Ding funktionierte.
«Träum ich, oder wach ich?» ertönte Reinholds Stimme in Adlers Rücken.
«Das ist ja wirklich eine Überraschung», murmelte Adler.
«Nicht wahr?» sagte der Mann. Zum erstenmal verlor er seine verspannte Bedrücktheit.
«Rolf!» Mit einem Wort brachte ihn seine Frau zum Schweigen. Der Mann ging sofort hinaus. Reinhold strich mit der Hand über diverse Gegenstände und erzählte von Melville, Hammett, Cain, Fritz Lang und Cagney.
«Hat Ihr Bruder irgendwas mit Film zu tun?» fragte Adler. «Oder Fernsehen?»
«Rochus und Fernsehen», höhnte die Frau, «den hätten sie doch nicht ins Fernsehen gelassen. Verrückt war er, habe ich immer gesagt. Verrückt.»
«Wie, sagten Sie, ist der Name Ihres Bruders?»
«Rochus. Er heißt Rochus Rose», antwortete der Mann der Frau, der in diesem Augenblick das Zimmer betrat. Die Frau wurde immer lauter:
«Ich habe den Namen bisher nicht genannt. Ich habe auch nicht vor, das in meinem Leben je noch einmal zu tun.»
«Aber Karin, Kati», sagte der Mann kläglich und versuchte, seiner Frau besänftigend über den bemantelten Arm zu streichen. Abrupt entzog sie sich ihm.
Während das Ehepaar im Flur zischelnd miteinander stritt, trat Reinhold auf Adler zu. «Tolle Inneneinrichtung.»
Eine Tür schlug zu. Sie waren mit der Frau allein.
«Damit es keine Mißverständnisse gibt», sagte Adler, «150 fürs Leerräumen und der Verkaufserlös für uns, richtig so?»
«Ja, ja», sagte die Frau muffelig und zog ihr Portemonnaie. Adler wollte eine Quittung schreiben. «Sparen Sie sich die Mühe. Sie brauchen Ihre Kräfte noch», sagte die Frau. Sie ging bis zur Wohnungstür und drehte sich um. Auf einmal hatte ihr Gesicht die tiefen Kerben verloren. Adler glaubte, so etwas wie Wehmut zu erkennen. Aber du bist ein sentimentaler Hund, das können dir 200 Leute bestätigen.
«Ist noch was?» Die Frau zuckte zusammen.
«Nein, nein. Wir sind klar soweit. Die Schlüssel geben Sie bei den Nachbarn ab.» Sie schloß die Tür sehr leise.
Adler wollte endlich mit der Arbeit beginnen. Er wußte, daß sie mit dem Transit zwei Touren fahren mußten. Wir brauchen einen Lkw, verdammt noch mal. Und eine vernünftige Werkstatt. Und keine Schulden. Und eine Frau. Und endlich mal Urlaub.
Adler zerraufte sich die kurzen dunkelbraunen Haare, strich die abstehenden Seiten über die Ohren nach hinten und zog die Handschuhe an. Dann trat er Reinhold, weil der gerade so günstig stand, in den Hintern.
Die erste Fuhre luden sie gegen 18 Uhr in einer der Garagen ab. Da plärrte Till gerade und wollte zu seiner Mutter. Hajo hatte ihn an einem Ventil erwischt. Adler ging hin und ließ das Wort «Hausarrest» fallen. Till zog, was er in der Nase hatte, Richtung Stirnhöhle und verschwand im Aufenthaltsraum, wo er mit seinem Taschenrechner zu hantieren begann. «So macht man das», sagte Adler im Vorübergehen zu Reinhold.
Die zweite Ladung fuhren sie gegen 21 Uhr an. «Warum denn das noch abladen?» muffelte Reinhold. «Das kommt doch Montag sowieso alles zu den Händlern.» Sie standen vor der geöffneten Seitentür.
«Kann sein», sagte Adler versonnen.
«Willst du hier etwa ein Lager aufmachen?» fragte Hajo ziemlich scharf.
«Ich weiß noch nicht», sagte Adler. «Aber ich habe da was im Urin. Das da im Wagen ist das Büro von dem geheimnisvollen Mister X oder wie der heißt. Wir haben sogar die Scheibe aus der Tür mitgenommen.»
«Aha», sagte Hajo ohne Interesse. Beide fielen mit der Schilderung des Zimmers über ihn her. Danach hatten die Augen, mit denen Hajo die Ladung musterte, mehr Feuer.
«Ohne mich», sagte Reinhold und gähnte. «Ich starte jetzt ins Wochenende durch. Halb zehn, spätestens, war abgemacht.» Er streckte die Hand aus. Adler blickte Hajo an, der ging in den Kassenraum, Reinhold trottete hinterher. In der Tür drehte er sich zu Adler um, der gerade einen Lamellenschrank an den Rand der Ladefläche rückte. «Ich will ja nicht betteln.»
«Dann laß es», sagte Adler und kantete den Schrank.
«Aber einen Zehner könntest du ruhig noch rauftun. Ich habe genau gehört, was du mit der Tussi abgemacht hast. 150 De Em.» Hajo suchte Adlers Blick und legte einen Zehner drauf.
Müde atmete Adler aus und hob den Kopf. Eine der beiden Röhren im Innern des Tankstellenschildes war schon wieder ausgefallen. Der gelbe Flügelmann auf schwarzem Grund wurde nur einseitig erleuchtet. Flügellahm. Adler seufzte, als er die Schneeflocken wahrnahm.
«Manchmal», sagte Hajo, stellte sich neben ihn und ließ die Arme bis über die Ellenbogen in der Latzhose verschwinden, «manchmal, da weiß der Schnee nicht, ob er nun runterfallen oder ob er in der Luft stehenbleiben soll.»
«Bist du eigentlich mit Doris wieder klar?»
«Sand im Getriebe.»
Adler boxte dem Freund gegen die Brust, Hajo nahm Verteidigungsstellung ein und täuschte einige Schläge an, denen Adler nicht auswich.
«Wenn wir im Film wären, würden wir uns jetzt in die Arme fallen und auf unsere Männerfreundschaft eine Flasche Bourbon leeren», sagte Adler lachend.
«In solchen Momenten rauscht ja meistens eine Frau dazwischen», sagte Hajo und trat zur Seite, damit der Scirocco ihm nicht über die Zehen fuhr.
«Nicht schon wieder», stöhnte Adler und wandte sich den Möbeln zu.
«Das sind die Schattenseiten unseres Berufs», grummelte Hajo, holte tief Luft und zwang ein Lächeln herbei.
«Hallihallo», rief der Fahrer des Scirocco und warf eine Hand in die Höhe. «Ich werde langsam zum Stammgast bei euch, wie oder was?»
«Glaube ich nicht», murmelte Hajo. «Das würde ich auch nicht mehr erleben, weil ich nämlich vorher gekündigt hätte.»
Achim Golze trug eine grobe Cordhose, die er nachlässig in die Skistiefel gestopft hatte. Der mollige Skipullover war mit einem Muster geschlagen, das Golze wie ein Zebrastreifen in der dritten Dimension aussehen ließ. Dagegen wirkte das Halstuch fast zierlich. Kriminalassistent Golze hatte es bei einer Razzia im zweitbekanntesten Puff der Stadt unauffällig mitgehen lassen. Die Kürze des Tuches war für Golze wichtig. Seine vorletzte Freundin hatte ihm vor Jahren einen vier Meter langen Schal gestrickt, mit dem sich Golze in einer Drehtür fast besinnungslos gewürgt hatte. Der Halstuchträger führte die Zapfpistole ins Tankloch des Scirocco ein. Hajo sah ihm dabei so lange zu, bis Golze kurz davor war, eine zotige Bemerkung zu machen. Doch da waren die knapp zehn Liter schon drin, die ein befreundeter Schutzmann aus Golzes Tank abgesaugt hatte, damit er einen einleuchtenden Grund erhielt, die Tankstelle erneut anzufahren.
Hajo wärmte sich drinnen auf und sah zu, wie Golze mit langem Hals über das Gelände strich. Dann kam er zögernd in den Kassenraum. Hajo las den läppischen Preis ab und sagte: «Schluckt was weg, Donnerwetter aber auch.»
«Hajo. Ich glaube, ich habe das jetzt raus mit den Schweinen», sagte Till, der plötzlich in der Tür zwischen Teeküche und Kassenraum stand. Hinter dem Ohr steckte sein Bleistift, in einer Hand hielt er den Taschenrechner.
«Na, kleiner Mann, wie geht es uns denn so?» Till senkte den Kopf und schoß einen Blick auf Golze ab, daß dem die Knie weich wurden. Danach vergaß Till den blöden Neuen sofort. Als Hajo jedoch raus mußte, um einem Golf den Scheibenwischermotor zu richten, faßte Till den Neuen wieder ins Auge.
«Kommst du mit nach hinten? Dann erkläre ich dir die Sache mit den Schweinen.» Golze trottete hinter Till her.
Aus dem bißchen Schnee wurde ein solider Schauer. Adler fischte eine Pudelmütze ohne Bommel aus der Schmuddelecke der Garage und wartete, bis Hajo Zeit hatte, ihm beim Tragen des Schreibtisches zu helfen.
Irene kam. Hajo und Adler stellten den Schreibtisch ab und sahen zu, wie sie ausstieg. Der Wohnwagenfahrer aus dem Pfälzischen vergaß seine Mutti und gönnte sich ebenfalls einen Blick. Golze stand sieben Sekunden nach dem Ertönen des bulligen Diesel in der Tür. Locker wollte er seine Hand zur Begrüßung in die Höhe werfen, traute sich aber nicht. So kam ein abgebrochener Armwurf heraus.
«Mami, Mami, der kapiert das mit den Schweinen nicht», rief Till und eilte zu Irene.
«Du sollst nicht immer Mami zu mir sagen, verdammt noch mal, was sollen die Leute denken!»
«Aber wenn der das doch nicht kapiert», quengelte Till in genau dem Tonfall, der Irene noch nach acht Jahren an den Kindsvater erinnerte.
«Komm her, Schöne, Möbel gucken», rief Adler. Irene bekam die Geschichte von dem geheimnisvollen Zimmer erzählt und zeigte das Ausmaß an Begeisterung, das Adler sich erhofft hatte.
«Soll ich’s dir noch mal erklären?» fragte Till ohne viel Hoffnung. Golze winkte unwirsch ab. «Sonst geh ich an deinen Ventilen spielen», sagte Till leise. Golze winkte erneut ab, er hatte nicht zugehört. Till machte sich auf den Weg und pfiff mit gespitzten Lippen. Aber Ventile können das viel, viel besser.
Adler brachte Teewasser auf den Weg und ärgerte sich, daß er Golze für dessen Wunsch nach einem «Täßchen» Kaffee nicht einfach auslachte.
Sie saßen im Aufenthaltsraum um den Tisch herum. Adler biß die Wärme in den Augen, Hajo mußte immer wieder raus, kassieren. Aber zu selten, viel zu selten bei unserem Kontostand. Golze wurde es in seinem Pullover so warm, daß er bald einen ziemlich roten Kopf bekam. Er traute sich nicht, den Pullover auszuziehen. Dieses Hemd. Da gucken doch alle. Warum verläßt dich dein strategisches Genie immer beim Naheliegendsten?
Zwischendurch kam Till herein und strahlte so nachhaltig, daß Irene ihn aufmerksam musterte. Till mochte den Neuen jetzt eigentlich ganz gern, wenn er auch nicht in Raserei geriet, wie er das in jungen Jahren bei zwei, drei Liebhabern seiner Mutter getan hatte. Die meisten jedoch hatten sich bei ihm abgestrampelt wie eine Ratte, wenn sie in eine leere Badewanne fällt.
Golze suchte Irenes Blick, aber er fand ihn nicht. Adler war so nett: «Wie geht’s denn? Schon Erfolg gehabt?» Golze pumpte sich auf:
«Ich bin dran, hautnah. Im Haus heißt die Leiche nur noch ‹Pappnase›, weil es ihn ja beim Strullen erwischt hat und weil er doch diese Pappnase von der Karnevalsfeier von diesem Sparkassen-Verein … wie war gleich noch mal … ‹Penuntia› ist der Name vom Verein, wo er zum letztenmal in seinem Leben so richtig fröhlich gewesen ist, tragisch, tragisch. Und alles in dem Moment, als er den Hydranten umschiffen … Pardon, aber das kennt man doch, zwei, vier, acht Bier, und du glaubst, dir fliegt die Blase um die Ohren. Wenn du dann gerade noch rechtzeitig den Reißverschluß runterkriegst, das ist ein Gefühl, aber wem sage ich das …» Golze fing Irenes Blick auf und wurde von einer momentanen Sprachhemmung heimgesucht.
«Wir haben uns natürlich in den letzten Tagen schlau gemacht. Die Leiche liegt praktisch wie ein aufgeschlagenes Buch vor uns. Ha, ha, alter Pathologen-Scherz. Appetitlich sah er wirklich nicht aus. Ihr habt nichts versäumt, daß euch der Anblick erspart geblieben ist. Vorne der Hosenschlitz offen und hinten die Schädelplatte, ausgewogen irgendwie, wie beim Fernsehen.» Irene schickte Till aus dem Raum. Der wollte nicht, weil er hingerissen zuhörte. Sie versprach ihm, heute abend zehn Minuten seinen Kopf zu kraulen, und weg war er. Hajo kam rein. Er lehnte sich an den Türrahmen.
Golze merkte, daß es still war im Raum.
«Der Doktor hat ihn umgekrempelt wie eine Hosentasche. Heute morgen lag der Bericht auf meinem Tisch, ich kann euch sagen. Die haben Schrammen und Narben entdeckt, da wußte die Pappnase wahrscheinlich gar nicht, daß sie die hatte. Jetzt kann’s ihm ja egal sein. Obwohl, ich halte es für möglich, daß seine Frau Wert darauflegt, eine Kopie von dem Bericht zu kriegen. Das rundet die Sache doch irgendwie ab. Und wenn die Kinder mal groß sind … Fisch, Fisch hat er gegessen, einen halben Kutter voll. Und als Beilage Kartoffelsalat, war feste am Verdauen. Und dann natürlich gebechert wie die Kannibalen. Stichwort Karneval, kennt man doch, obwohl, also ich eigentlich nicht so. Ich komme ja aus Schwaben. Meine Mutter, die hat eigentlich ganz gern gelacht. Eins Komma neun acht Promille, für mich sind das ja schlicht und ergreifend zwei. Aber die Pathologen sind pingelig, sind im ganzen Haus bekannt dafür, richtige Popelzähler. Und was das Schönste ist: Personalausweis in der Aftertasche, wie es sich gehört. Aftertasche ist die hinten links und rechts auch, kennt ihr nicht, den Ausdruck? Ja, ja, geh zur Polizei, das weitet den Horizont, auch sprachlich.»
Golze schlürfte den restlichen Tee rein. Adler wurde immer müder, Hajo mußte kaum noch raus, weil am späten Samstag kaum jemand kam. Irene fing Till ein und verabschiedete sich. Golze sprang betroffen auf:
«Schon?» Irene deutete auf Till. «Ah ja, na klar, ist ja klar.» Golze wollte Till über den Kopf streichen, Till wollte nicht. «Na, du kleiner Butzemann, machst der Mami keinen Ärger. Augen zu, und morgen geht das Leben weiter. Du bist ja noch jung.»
Hajo folgte Irene in den Kassenraum. «Sag mal, glaubst du, daß wir dem irgendwie helfen müssen. Der braucht doch Behandlung, Arzt oder Monteur oder so was.» Irene lächelte.
«Ich hab ihn irgendwo ganz gern.» Und als Hajo sie fassungslos anblickte: «Ich weiß nur noch nicht, wo.»
«Guckt mal, da draußen», krähte Till, der mit dem Gesicht an der schmutzigen Scheibe klebte.
«Komm, Tilli, Abgang.»
«Gleich. Erst gucken.» Irene guckte und winkte Hajo herbei.
Zwischen Bürgersteig und Auffahrt zur Tankstelle, neben dem handgemalten Schild ‹Erste menschliche Station nach der Autobahn› standen zwei Männer.
«Neger in der Nacht», sang Hajo. Irene deutete mit strafendem Gesichtsausdruck auf das Kind. Das Neonlicht beleuchtete die Schwarzen. Sie waren Mitte Zwanzig oder auch Dreißig. Einer trug einen voluminösen Skipullover. «Das hat uns der Detektiv da drin aber nicht verraten, daß er einen Zwillingsbruder hat», sagte Hajo. Irene wies wieder heimlich auf das Kind.
Warum sind es zwei, und warum sind sie schwarz?
Allein sperren sie dich ein (alternative Spruchweisheit).
Dashiell Hammett (Autor von ‹Der Malteser Falke› und ‹Der dünne Mann›) beschäftigte in seinen wildesten Jahren auch zwei Schwarze, einen als Fahrer, den anderen als Koch. Die Schwarzen müssen raus aus der Dienstleistungsecke.
«Laß ihn doch, Mami», sagte Till. Der andere Schwarze trug einen schwarzen Mantel und trat von einem Bein aufs andere. Der mit dem Skipullover hielt ihm offensichtlich einen längeren Vortrag, wobei er abwechselnd auf das Schneegestöber und auf seinen Pullover zeigte. Sein Begleiter schien schlecht gelaunt zu sein. Neben den beiden standen ein Koffer, zwei Reisetaschen und ein Kanister, der mit Zeitungspapier umwickelt war.
«Mami, können Neger frieren?» Hajo blickte Irene an und verließ sicherheitshalber den Raum.
«Tschüs denn.» Irene schob Till zum Wagen.
«Nun hör endlich auf. Ich glaub’s ja», sagte Henry zu Gabriel. Der ließ sich aber nicht bremsen. «Das ist Hochmut. Nur weil du aus dem Morgenland kommst, glaubst du, die hier im Abendland haben kein eigenes Wetter. Das hast du nun davon.»
«Ja, ja», sagte Henry und schlug die Aufschläge des Mantels vor den Bronchien zusammen.
«Guck mal da, eine Eingeborene.» Gabriel drehte sich um. «Mit Jungem. Scheinen ganz zutraulich zu sein.»
Irene verfrachtete Till auf den Rücksitz und fuhr los. Neben den Schwarzen hielt sie an, stieß die Beifahrertür auf: «Ich fahre Richtung Innenstadt. Wollt ihr mit?»
Henry saß vorne, Gabriel und das Gepäck hinten neben Till. Im Rückspiegel beobachtete Irene ihren Sohn. Tu mir den Gefallen und halt deine Klappe. Nur einmal. Den Taxameter ließ sie aus.
«Du hast es auch nicht leicht, was?» sagte Adler. Golze nahm den Satz so dankbar an wie eine Meise die Brosamen im Winter.
«Darauf kannst du einen lassen. Man hat’s wirklich nicht leicht, aber leicht hat’s einen.» Adler verspürte ein Ziehen in der Gallengegend. «Bruno Gantenheim, kennt ihr zufällig Bruno Gantenheim?» Eine Sekunde dachte Adler ernsthaft nach, dann blickte er Golze an und ließ es sein. «Es gibt auch ein Foto», meinte Golze großspurig und stand auf. Hajo befürchtete, daß er jetzt den Pullover ausziehen und es sich gemütlich machen würde. Aber Golze fummelte nur eine Brieftasche hervor. «Hier, Bruno, als er noch jung und taufrisch war. Schwer zu erkennen, so ohne Pappnase. Das daneben könnt ihr vergessen, das ist seine Frau.» Gierig wartete Golze auf Beifall für seinen Scherz. Adler und Hajo blickten sich an. Dann eben nicht, ihr Ignoranten. «Heute mittag war ich bei Brunos Witwe, ich kann euch sagen. Die hat nicht nur geweint, die hat gegurgelt. Das waren Liter, ach, was sage ich, Zentiliter, oder wie heißt das, wenn es hundert Liter sind?»
«Bei einer Million heißt es Milliliter», sagte Hajo.