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Frauen sind für Andreas Altmann Wundergeschöpfe: anbetungswürdig und inspirierend. Doch auch rätselhaft und manchmal sogar furchteinflößend. Sein neues Buch ist den Frauen seines Lebens gewidmet, ganz gleich, ob es sich dabei um einmalige Begegnungen handelte oder längere Verbindungen und Freundschaften. Der Leser erfährt etwas vom mitreißenden und gelegentlich auch anstrengenden Drama zwischen Frau und Mann, es geht um bereichernde Erfahrungen, die Wunder der Liebe, aber auch um Enttäuschung, Lüge, Zurückweisung und Betrug. Es sind beglückende, aber auch traurige Momente dabei, beängstigend schwere und heiter-leichte, ja, aberwitzig lustige, die Andreas Altmann in seiner poetischen Sprache schildert. Denn ganz gleich, welcher Art die gemeinsame Erfahrung war, jede Frau war für ihn in gewisser Weise prägend und lehrte ihn etwas über sich selbst. Und über diese Frau. Und über die Welt.
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Mehr über unsere Autoren und Bücher:www.piper.deMeiner Mutter.Die so begabt jedem Glück aus dem Weg ging.ISBN 978-3-492-97099-0Februar 2017© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2015Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, MünchenCovermotiv: Wolfgang SchmidtDatenkonvertierung: Fotosatz Amann, MemmingenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.
Je länger ich über Frauen nachdenke, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass sie das Beste sind, was wir in dieser Art haben. GEORGCHRISTOPHLICHTENBERGTu die Finger da weg, ich zähl bis tausend. EINEFREUNDINThat it will never come again / is what makes life so sweet.EMILYDICKINSON
VORWORT
»Frauen« steht auf dem Cover. Weiß jemand einen Begriff im Universum, der mehr Hintergedanken, mehr Atemlosigkeit, mehr Kopflosigkeit, mehr Gier und Begehren lostritt? Und mehr Anbetung oder Verachtung, mehr Heuchelei und Geilheit, mehr Respekt oder Gewalt, mehr Poesie oder boshafte Nachreden? Gibt es ein Phänomen in der Geschichte der Menschheit, das so rastlos zum Träumen verführt, so penetrant die eine Hälfte der Weltbewohner – die Männer – mit Sehnsucht überflutet, ja, sie dazu treibt, etwa 600 Mal täglich – so die Untersuchungen – an die anderen fünfzig Prozent zu denken? Voller Sinnenlust. Denken zu müssen. Schier hilflos und zwangsweise. Weil wir doch alle wissen, dass noch immer nichts Bewegenderes zwischen Himmel und Erde entdeckt wurde. Als sie.
Ich erinnere mich an eine Szene in einer kleinen französischen Stadt. Ich saß auf einer Bank und die frühe Abendsonne leuchtete auf die Enten im Fluss. Zwei Bänke weiter befand sich eine Gruppe Männer, einer stand und unterrichtete den Koran. »Allah hört und sieht alles«, hörte ich ihn sagen. Und während der Eifrige Beispiele vom Alleshörer und Allesseher Allah vorbrachte, geschah etwas ganz Irdisches. Von der Brücke näherte sich eine hübsche Frau. Und Allah und ich sahen, wie die sechs verstohlen zur Seite, Richtung Sünde, schielten.
Wie beruhigend, dachte ich, dass eine weibliche Brust, obwohl zur Hälfte bedeckt, imstande war, letzte göttliche Wahrheiten zu unterlaufen. Und mit keinem Wort, mit keinem Versprechen einem halben Dutzend Gottesfürchtigen für Minuten den Verstand raubte. Was für ein überwältigender Beweis: dass Schönheit wirklich ist und alles andere daneben kläglich auf der Strecke bleibt. Ja, so nah fühlte ich mich den Muslims, jenseits aller Verschiedenheiten: Jeder von uns spürte seinen Hunger nach Eros, nach Nähe zu diesem Busen.
Über »seine« Frauen zu berichten ist ein waghalsiges Unternehmen. Das dürfen Pornostars, um ein bisschen Wind zu machen für ihren gar unerotischen Job. Leute eben, deren Gemächt unter Umständen – nach dem schweißtreibenden Reinundraus – im berühmten Phallusmuseum von Reykjavík landet. Damit wir ergriffen bestaunen, was alles menschenmöglich ist.
Ich bin kein professioneller Steher, an allen Ecken und Enden meines Körpers fehlt mir das erforderliche Werkzeug. Trotzdem schreibe ich das Buch. Weil ich etwas – so elegant wie möglich – preisgeben will. Eben keine »Bettgeschichten« (wie geisttötend), sondern Geschichten: über jene, die mein Leben bereichert haben. Und jene, die es eine Spur ruiniert haben. Und jene, die genug Entschlossenheit für ihre Träume mitbrachten. Und jene, die in ein biederes Dasein schlitterten. Und jene, die einmal Miss Schönheitskönigin waren und bald mit einem verwüsteten Leib daherkamen. Und jene, die von Melancholie und Lebensekel getrieben den Freitod wählten. Und jene, die an Drogen zugrunde gingen. Und jene, die von Männern vergewaltigt wurden. Und jene, die mit der Waffe an der Schläfe missbraucht wurde. Und jene, die von einem Mann getötet wurde. Und jene, die als Pastorin das rechte Sein von der Kanzel predigte. Und jene, der ich das Leben rettete. Und jene, die einmal 500-Kunden-Hure war. Und jene, die mir mit überirdischer Nachsicht meine Mittelmäßigkeiten vergaben. Und jene, denen Nachhilfeunterricht in puncto Sinnenfreude und Liebeskunst gut getan hätte. Und jene, die ihre Koffer voller Trostlosigkeiten bei mir abstellten. Und jene, die ein Meer der Freude ausbreiteten. Und jene, die in beispielloser Armut auf Matratzenfetzen schliefen. Und jene, die über dem Bett einen (echten) Lichtenstein und einen (echten) Rauschenberg hängen hatte. Und jene, die in meinen Armen in Tränen ausbrachen. Und jene, die an jedem Tag mehr Mut besaßen als ich. Und jene, mit denen ich bei einem Guru tage- und nächtelang das unbeschwerte Geben und Nehmen von Wärme und Begehren übte. Und jene, die als Peepshow-Girl endete. Und jene, die mir beim Schmusen 1001 Weisheiten und Heimlichkeiten verrieten. Und jene, die ihren Körper als lebloses Sperrgut wahrnahmen. Und jene, die – schlimmer noch – gelangweilt beim Liebemachen einschlief. Und jene, die mir erlaubten, ihren von den Göttern entworfenen und von den Liebesgöttern beseelten Leib einzuatmen. Und jene, die auf Geld bestanden für Nähe. Und jene, die mir Geld stahl. Und jene, die mir ein Kind aufbürden wollten. Und jene, die furchterregend jung waren. Und jene, die um viele Sterntaler generöser waren als ich. Und jene, die nackt mit mir in Räumen verschwanden, wo andere Frauen und Männer auf uns warteten. Und jene, die nie etwas wissen wollten von mir. Und jene, die Rache nahmen, weil ich jeder Versuchung nach ihnen widerstand. Und jene, die mit leichter Hand meinem Männerkörper die Furcht austrieben. Und jene, die meine Leichtigkeit genossen.
Sex war oft nur der (treibende) Vorwand, das Vorspiel: um von ihrem Leben zu erfahren. Nicht als Heiratsschwindler, um ihre Bankkonten auszuspionieren. Nicht als Dieb auf der Suche nach Diebesgut. Nicht als Schweinehund, um delikate Informationen abzugreifen. Nein, aber: Ich verlangte immer auch, in ihr Herz, in ihren Kopf zu dringen. Alles, was ich wollte, war alles. All ihr Wissen, all ihr Fühlen. So spielte ich nebenbei den Beichtvater. Damit sie erzählten. Auch ihre unzivilisiertesten Gedanken. Auch ihre dunklen Abgründe.
Doch keine wurde hinterher bestraft, keiner die Hölle in Aussicht gestellt. Denn zu meinen guten Eigenschaften gehört, dass mich die bürgerliche Moral nicht interessiert, sprich: Jede Frau durfte ihre Masken ablegen, die ihr die Gesellschaft, der religiöse Mumpitz, das Elternhaus, die Schule, wer auch immer, verpasst hatten. Etwas wie Wahrheit fand statt, auf fünf Kontinenten, mit allen Hautfarben: oft beflügelnd, bisweilen bitter und dramatisch.
Klar, niemand entkommt seiner Kindheit. So oder so wird sie einen begleiten. Die meine hat mich – nach langen Jahren der Drangsal – auf verheißungsvolle Weise angefeuert: mich nie so aufzuführen wie mein Vater in der intimen und nicht so intimen Nähe seiner Frau. Und partout jenen davonzulaufen, die meiner schönen Mutter glichen: leidend, duldend, gefügig, erbsündenverdummt, ja, ohne jeden Funken Lust im Leib: fürs Amlebensein, für die verspielten Eskapaden der Libido.
»Der Mensch hat ein Recht auf ein gutes Leben«, so Artikel 2.2. des Grundgesetzes. Und deshalb verbringe ich mehr Zeit mit Frauen als mit Männern. Sie versprechen mehr Swing und mehr Geheimnis und mehr Innigkeit. Denn Männer sind wie ich: weniger verschlungen, weniger rätselhaft, ein ganzes Lichtjahr weniger attraktiv. Wäre ich all diesen Frauen nicht begegnet, ein Ozean voll bewegender Stürme und Schiffbrüche würde mir fehlen. Frauen sind ein ungemein potentes Aphrodisiakum, um mein Leben auszuhalten. Das Buch ist folglich auch ein Loblied, eine Hymne von einem, der blüht, wenn ihm Schönheit und Klugheit über den Weg laufen. Und eingeht, wenn sie ausbleiben. Vom Zauber singen – das ist ein formidabler Zeitvertreib.
Jede Frau – egal, wie sie mit mir umging – hat mich etwas gelehrt. Über sich, über die Welt, über mich. Ob mir das gefiel oder nicht. Aber hinterher war ich klüger. Manchmal ein bisschen, manchmal viel. Begriff mehr über die Tiefen und Untiefen menschlichen Verhaltens. So handelt das Buch – nebenbei – von mir: der, wie so viele seiner Generation, in der Jugend ein Frauenbild verabreicht bekam, das vor Anmaßung und blanker Dummheit strotzte. Der eine Giftsuppe schlucken musste, die alte Säcke – ob nun von Religion korrumpiert oder eiskalt zynisch – tausende Jahre lang angerichtet hatten. Um ihre Pfründe zu behalten, um ihr vom Platzen bedrohtes Ego nicht zu gefährden. Ich hatte Glück, bald spuckte ich das Gift wieder aus. Was ich wohl den Frauen verdanke. Sie waren die ersten, die mir beibrachten, dass ewige Wahrheiten nichts taugen.*
* In diesem Buch berichte ich – stark komprimiert – auch von Personen, die bereits in anderen Texten von mir auftraten. Doch die nochmalige Erwähnung dieser Begegnungen scheint mir unabdingbar zu sein: um Zusammenhänge zu verstehen, Entwicklungen. Der Textanteil dieser »Wiederholungen« liegt unter drei Prozent.
1
Vor langer Zeit sah ich Herzflimmern, einen Film, der für Furore sorgte, ja, in einigen Ländern nicht gezeigt werden durfte. Regisseur Louis Malle verfilmte eine wohl autobiografische Geschichte über eine Mutter und ihren 15-jährigen Sohn, die sich irgendwann lieben. Wie Liebhaber. Das war grandios inszeniert und nie peinlich, nur wahr und raffiniert erzählt.
Ich verließ träumend das Kino. So wie dieser Junge kann man auch an Geheimnisse herangeführt werden: in einem herrlichen Hotel in einem herrlichen Kurort. Und mit einer herrlichen Lea Massari als Verführerin ihres an Herzflimmern leidenden Kindes. Der Titel ist wunderlich zweideutig. Einmal bezeichnet er eine gefährliche Herzrhythmusstörung, einmal ein Herz, das durcheinandergerät, weil das Leben es mit einer fulminanten Aufregung konfrontiert.
Nach dem Träumen musste ich grinsen. Mein Weg ins Reich der Sinne war bis dato von Pleiten gepflastert gewesen: aufgewachsen in der katholischen Spießergruft Altötting (und nicht, wie im Film, im hübschen Dijon), umzingelt von Pfaffen, von denen einige Kinder missbrauchten, einige schwule Sexorgien feierten, einige, nein, die meisten, Kinder – via Prügelstrafe – misshandelten. Und – alle gemeinsam – die Wut auf den Körper und seine Freuden lobpreisten. Dazu kamen ein Rosenkranztandler als Vater (und kein Gynäkologe wie in Herzflimmern) und eine Mutter, die den Schwanz des Rosenkranzgatten hasste, ja, anschließend den meinen, und nie zu einem Funken leichtsinniger Geilheit imstande war. Bis zum Sterbenmüssen.
2
Aber es gab Fluchtpunkte. Der früheste: die zwölfjährige Sandra, deren Bluse ich, der Zehnjährige, lautlos und verschwiegen öffnen durfte. Um ihren frühreifen Busen zu berühren. Wie tausend Meter unterm Meeresspiegel lagen wir da, so unhörbar, so verborgen, so unfähig, die Seligkeit zu kommentieren.
Ich vermute, dass ich an diesem Nachmittag süchtig wurde. Wie eine Epiphanie kam Sandras Mädchenhaut über mich. Als reinster Ausdruck von Vollkommenheit. Und nicht als Auslöser sexueller Erregung, die damals nicht stattfand. Ich wurde, innerhalb von Minuten, das schönheitsdurstige Tier, ich wurde abhängig. Wie sich herausstellen sollte: unheilbar, unwiderruflich.
Denis Diderot schrieb in der von ihm herausgegebenen Encyclopédie, einer der großen Aufklärungsschriften des 18. Jahrhunderts, über »femme«: »Frau – allein das Wort berührt die Seele.« Ach, wenn es nur die Seele wäre.
3
Jahre vergingen, inzwischen war die Pubertät über mich gekommen. Mit ihr die Hydra der Sexualität. Und damit die Hilflosigkeit. Unmöglich, sie auszuleben. Nicht genug: Zur totalen Hilflosigkeit – wohin mit der Wollust? – kam die totale Erniedrigung. Denn der Trieb war böse und Sex war böse und die Frau war das Böseste. Denn sie verführte. So predigten sie es in meinem Geburtsort. Der stank, wie alle Brutstätten der Lügen und Bigotterie stinken.
Nach jeder Masturbation – bei der die üppigsten Frauenleiber durch mein Hirn geisterten – war ich erlöst. Und platt vor Reue. Und trübsinnig von dem Wissen, dass ich zu linkisch oder zu feig war, eine dieser Unerreichbaren zu verführen. Ein Teufelskreis, der Schuldgefühl auf Schuldgefühl häufte. Was immer einer tat, das ätzende Bewusstsein von Sünde war schon da.
4
Sieben Jahre musste ich warten. Dann kam Britta, die Schuhverkäuferin. Ein warmer Mensch, mit einer Figur, wie sie nur 17-Jährige haben. Was uns nicht weiterhalf. War ihr Herz doch, wie meins, besudelt vom verabreichten Hass auf Zärtlichkeit, auf das Verlangen nach verschmuster Vertrautheit. Immerhin schafften wir es, nach Monaten, in ein Bett. Keine fünf Minuten lang, dann spürte sie meine unaufhaltsame Erektion – und stürmte hinaus. Auf die Straße. Nur weg.
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