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Ist ein Autor eigentlich verantwortlich für das, was er schreibt? Natürlich nicht! Bücher sind wie Kinder, die man ihrem Schicksal überlassen muss. Bücher müssen sich bewähren und Menschen irgendwann einmal Eigenverantwortung übernehmen. Doch halt: Seit wann tragen wir Verantwortung für das, was wir tun? Liegt die Verantwortung nicht immer bei den anderen? Wenn das stimmt: Ist nicht derjenige im Wortsinn »verantwortungslos«, der jede Verantwortung für sein eigenes Leben weit von sich, am besten gleich auf die Gesellschaft schiebt? Zum Ausgleich kann man ja dann gerne die Verantwortung für die großen Übel dieser Welt auf sich nehmen. Man sieht: Es ist gefährlich, mit der Verantwortung zu spielen. Gut, dass man dafür keine Verantwortung übernehmen muss.
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Seitenzahl: 31
Konrad Paul Liessmann
Gedankenspiele über die
Verantwortung
Literaturverlag Droschl
Vorspiel
Damit keine Missverständnisse entstehen: Für all das, was auf den nächsten Seiten zu lesen ist, übernimmt der Autor keine Verantwortung. Immerhin handelt es sich um Gedankenspiele, und man könnte sich durchaus einmal fragen, ob Menschen in einem strengen Sinn für die Gedanken, die sie denken, überhaupt verantwortlich gemacht werden können? Gedanken sind nur selten Resultat einer gezielten und bewussten geistigen Anstrengung, oft tauchen sie aus einem unergründlichen Nichts auf, pirschen sich an, stellen sich ein, bleiben unscharf, mäandern assoziativ herum, schweifen ab, verlieren sich im Ungefähren, müssten präzisiert und verbalisiert werden, doch bevor es dazu kommt, sind sie wieder verschwunden. Nein, für solche Gedanken übernehmen wir keine Verantwortung, denn es denkt eher in uns als dass wir souverän über unsere Gedanken verfügen.
Noch weniger Verantwortung übernehmen wir für das Spiel mit Gedanken. In der Sphäre des Spiels – dies ein zentraler Gedanke von Johan Huizinga – haben die Gesetze und Gebräuche des gewöhnlichen Lebens keine Geltung. Wir spielen, um uns vom Ernst des Lebens zu entlasten. Einmal gefunden, können wir einen Gedanken drehen und wenden, auch sein Gegenteil probieren, versuchsweise Schlussfolgerungen ziehen, dazu passende Begriffe finden, schärfen und wieder verwerfen, uns dabei von fremden Ideen, für die wir ohnehin nichts können, inspirieren lassen. Im Spiel, so liest man es bei Friedrich Schiller, liegt die ureigene Möglichkeit des Menschseins begründet. Und dies deshalb, weil nur im Spiel die Freiheit, die eigentliche Bestimmung des Menschen, ohne Einschränkungen ihren Ausdruck findet. Wer in Gedanken etwas durchspielen will, möchte unterschiedliche Möglichkeiten und Szenarien ausprobieren, ohne diese an der Wirklichkeit überprüfen zu müssen. Gedankenspiele sind keine Modelle, die den Anspruch haben, gegenwärtige oder zukünftige Wirklichkeiten zu erfassen.
Für die Gedanken im Spiel trägt der Mensch so wenig Verantwortung wie der Schauspieler des Othello für die Charakterzüge dieser Figur. Doch halt: Wehren sich nicht immer mehr Mimen, diese unsägliche Rolle noch zu übernehmen, eben aus dem Gefühl einer Verantwortung gegenüber allen Menschen, die sich durch diese Figur irritiert oder beleidigt fühlen? Das ist es: Sie wollen nicht mehr spielen, wollen nicht mehr diese Lust eines Was-wäre-wenn auskosten, nicht mehr so tun, als ob, nicht mehr in andere Personen schlüpfen, sie wollen die Regeln des Spiels nicht nützen, um auf der Bühne alles zu sein, was man im schäbigen Leben nicht sein kann oder sein darf. Mit den Gedanken ist es ähnlich. Wer mit ihnen spielt, darf sich mehr erlauben, ohne dafür gleich dingfest gemacht zu werden, er darf verschiedene Zugänge austesten, ohne sich gleich entscheiden zu müssen, er darf spielerisch über Verantwortung so denken, wie es in ernsten Zusammenhängen aus guten und auch schlechten Gründen meist nicht möglich ist. Böten Gedankenspiele diese Freiheit nicht, erübrigte es sich, sie zu spielen.