Theorie der Unbildung - Konrad Paul Liessmann - E-Book

Theorie der Unbildung E-Book

Konrad Paul Liessmann

0,0

Beschreibung

Was weiß die Wissensgesellschaft? Wer wird Millionär? Wirklich derjenige, der am meisten weiß? Wissen und Bildung sind, so heißt es, die wichtigsten Ressourcen des rohstoffarmen Europa. Debatten um mangelnde Qualität von Schulen und Studienbedingungen - Stichwort Pisa! - haben dennoch heute die Titelseiten erobert. In seinem hochaktuellen Buch entlarvt der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann vieles, was unter dem Titel Wissensgesellschaft propagiert wird, als rhetorische Geste: Weniger um die Idee von Bildung gehe es dabei, als um handfeste politische und ökonomische Interessen. Eine fesselnde Streitschrift wider den Ungeist der Zeit.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 204

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Zsolnay eBook

Konrad Paul Liessmann

Theorie der Unbildung

Die Irrtümer derWissensgesellschaft

Paul Zsolnay Verlag

ISBN 978-3-552-05625-1

Alle Rechte vorbehalten

© Paul Zsolnay Verlag Wien 2006

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele andere Informationen

finden Sie unter www.hanser-literaturverlage.de

Erfahren Sie mehr über uns und unsere Autoren auf www.facebook.com/ZsolnayDeuticke

Datenkonvertierung E-Book: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Inhalt

Vorwort

1.  Wer wird Millionär oder: Alles, was man wissen muß

2.  Was weiß die Wissensgesellschaft?

3.  Bildung, Halbbildung, Unbildung

4.  PISA: Der Wahn der Rangliste

5.  Wieviel wiegt Wissen?

6.  Bologna: Die Leere des europäischen Hochschulraumes

7.  Elitenbildung und Gegenaufklärung

8.  Unterm Strich: Der Wert des Wissens

9.  Schluß mit der Bildungsreform

Vorwort

WIR leben in einer Wissensgesellschaft. Dieser Satz beflügelt Bildungspolitiker und Pädagogen, Universitätsreformer und EU-Kommissare, er bewegt Forscher, Märkte und Unternehmen. Wissen und Bildung sind, so heißt es, die wichtigsten Ressourcen des rohstoffarmen Europa, und wer in die Bildung investiert, investiert in die Zukunft. Mit nicht geringem Pathos wird das Ende der industriellen Arbeit beschworen und alle Energie auf die »wissensbasierten« Tätigkeiten konzentriert. Aber auch in einem anderen Sinne ist Wissen en vogue.

Die Debatten um Eliteuniversitäten und Studienbedingungen gelangen auf die Titelseiten der Zeitungen und Magazine, die angeblich mangelnde Qualität von Schulen und Universitäten – PISA! – führt zu bildungspolitischen Panikattacken, der Kult und der Kampf um Spitzenforscher und potentielle Nobelpreisträger werden zu nationalen Anliegen stilisiert, in den Medien boomen die Science-Produkte, es werden nicht nur kurze Tagungen zu allen denkbaren Themen, sondern auch lange Nächte der Wissenschaft und Forschung inszeniert, und eines der erfolgreichsten TV-Formate überhaupt ist eine Wissensshow.

Auf den ersten Blick könnte es scheinen, als ob der vermeintliche Traum der Aufklärung vom umfassend gebildeten Menschen in einer rundum informierten Gesellschaft endlich Realität gewinne. Der zweite Blick auf die aktuellen Formationen des Wissens ist allerdings höchst ernüchternd.

Vieles von dem, was unter dem Titel Wissensgesellschaft propagiert und proklamiert wird, erweist sich bei genauerem Hinsehen als eine rhetorische Geste, die weniger einer Idee von Bildung als handfesten politischen und ökonomischen Interessen geschuldet ist. Weder ist die Wissensgesellschaft ein Novum noch löst sie die Industriegesellschaft ab. Eher noch läßt sich diagnostizieren, daß die zahlreichen Reformen des Bildungswesens auf eine Industrialisierung und Ökonomisierung des Wissens abzielen, womit die Vorstellungen klassischer Bildungstheorien geradezu in ihr Gegenteil verkehrt werden.

Der flexible Mensch, der, lebenslang lernbereit, seine kognitiven Fähigkeiten den sich rasch wandelnden Märkten zur Disposition stellt, ist nicht einmal mehr eine Karikatur des humanistisch Gebildeten, wie ihn Wilhelm von Humboldt in seiner knappen Theorie der Bildung des Menschen skizziert hatte, sondern dessen krasses Gegenteil. Bei allem, was Menschen heute wissen müssen und wissen können – und das ist nicht wenig! –, fehlt diesem Wissen jede synthetisierende Kraft. Es bleibt, was es sein soll: Stückwerk – rasch herstellbar, schnell anzueignen und leicht wieder zu vergessen.

Diese Entwicklung ist nicht mit kulturpessimistischem Gestus zu beklagen. Die Idee von Bildung war selbst nie frei von Dünkel, falschen Hoffnungen und ideologischen Ressentiments, aber es wäre ein verhängnisvoller Irrtum zu glauben, daß die Entwicklungen, die durch das Schlagwort von der Wissensgesellschaft indiziert sind, noch irgend etwas mit dieser Idee zu tun hätten. Gemessen an dem, was Bildung – wie fragwürdig auch immer – einmal intendierte, erweisen sich die Konfigurationen des Wissens heute – von den PISA-Tests bis zur Europäischen Studienarchitektur, von den Sensationen der naturwissenschaftlichen Forschung bis zu den Moden der Kulturwissenschaften, vom surfenden Wissensarbeiter bis zum jettenden Wissensmanager – als Erscheinungsformen der Unbildung. Das heißt nicht, daß nichts gewußt wird. Aber – und dies gehört zu den Paradoxien der Gegenwart: Je mehr der Wert des Wissens beschworen wird, desto schneller verliert das Wissen an Wert.

Als Theodor W. Adorno im Jahre 1959 – einige Jahre vor der ersten deutschen »Bildungskatastrophe« – seine Theorie der Halbbildung schrieb, konnte er dies noch unter der soziologischen Prämisse tun, daß die humanistische Bildung, wird sie zum Ziel von Menschen, denen die dafür notwendigen Voraussetzungen – vorab die Muße – nicht gewährt werden, zur Halbbildung herabsinken muß. Was Moment der Persönlichkeit hätte werden sollen, was Ausdruck des geistigen Gehalts von Bildung war, wird zu einem äußerlichen, verdinglichten Informationspartikel, das, oberflächlich angeeignet, kaum noch ausreicht, einen sozialen Anspruch zu dokumentieren. Die modernen Massenmedien, so Adorno damals, unterstützen strukturell diese Form der Halbbildung, die damit universell wird.

Unter den gegenwärtigen Bedingungen radikalisiert sich dieses Konzept und nimmt doch eine andere Wendung. Während Halbbildung noch kritisch auf die Idee von Bildung bezogen werden konnte, verliert diese nun jede Legitimität. Die Partikularisierung, Fragmentierung und gleichzeitige universelle Verfügbarkeit des Wissens läßt sich auf keine verbindliche Bildungsidee mehr beziehen, auch nicht in einem kritischen Sinn. Nicht Halbbildung ist das Problem unserer Epoche, sondern die Abwesenheit jeder normativen Idee von Bildung, an der sich so etwas wie Halbbildung noch ablesen ließe.

Die Idee von Bildung, wie sie als Programm der Selbstformung des Menschen vom Neuhumanismus formuliert und vom Bildungsbürgertum so recht und schlecht gelebt wurde, hat aufgehört, Ziel und Maßstab für die zentralen Momente der Wissensproduktion, der Wissensvermittlung und der Wissensaneignung zu sein. Diese Mechanismen funktionieren nicht nur jenseits einer Idee von Bildung, sondern sie setzen deren Abwesenheit geradezu voraus. Daß niemand mehr zu sagen weiß, worin Bildung oder Allgemeinbildung heute bestünden, stellt keinen subjektiven Mangel dar, sondern ist Resultat eines Denkens, das Bildung auf Ausbildung reduzieren und Wissen zu einer bilanzierbaren Kennzahl des Humankapitals degradieren muß.

Alle Bildungstheorie heute müßte, gemessen an dem, was in der europäischen Tradition seit der Antike unter der Bildbarkeit des Menschen verstanden worden war, und in Fortführung des kritischen Programms Adornos deshalb eine »Theorie der Unbildung« sein. Unbildung meint dabei nicht die schlichte Abwesenheit von Wissen, auch nicht eine bestimmte Form von Unkultiviertheit, sondern den mitunter durchaus intensiven Umgang mit Wissen jenseits jeder Idee von Bildung. Unbildung heute ist weder ein individuelles Versagen noch Resultat einer verfehlten Bildungspolitik: Sie ist unser aller Schicksal, weil sie die notwendige Konsequenz der Kapitalisierung des Geistes ist.

Erstaunlich immerhin, daß sich die Menschen die Erinnerung daran, was mit Bildung einmal gemeint gewesen war, offenbar so einfach nicht austreiben lassen. Die Sehnsucht nach einem gültigen ästhetischen Kanon zeigt so gut wie die Lust an der antiken Mythologie, daß die Menschen sich das, was ihnen die Bildungsreformer aller Schattierungen als Relikt humanistischer Bildungsschwärmerei hatten madig machen wollen, immer wieder zurückholen – wenn es sein muß mit den Mitteln der Wissens- und Mediengesellschaft, aber gegen deren Intentionen. Solche Sehnsüchte, in die sich auch so manche Attitüde mischt, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß daraus kein sozial verbindlicher Bildungsbegriff mehr erwachsen kann. Aber Reminiszenzen an das, was Bildung wohl nie war, aber immerhin einmal intendiert hatte, mögen das Ihrige dazu beitragen, um sich einen einigermaßen klaren Blick auf jenen trostlosen Zustand des Geistes zu gestatten, der mit dem Euphemismus »Wissensgesellschaft« nur notdürftig verdeckt wird.

Wien, am 1. Mai 2006

Konrad Paul Liessmann

1.Wer wird Millionäroder: Alles, was man wissen muß

DIE in Deutschland von einem Privatsender ausgestrahlte Quizshow Wer wird Millionär, die in Österreich unter dem Titel Millionenshow vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesendet wird, gehört seit Jahren zu den beliebtesten und erfolgreichsten Formaten dieser Art. Neben dem Erfolg von Dietrich Schwanitz’ Sachbuch-Bestseller Bildung. Alles, was man wissen muß und den Harry-Potter-Romanen von Joanne K. Rowling gehören diese Shows für viele Kulturoptimisten zu jenen Indizien, die zeigen, daß die Bildungs- und Leselust der Menschen ungebrochen ist.

Daß sich immer wieder und immer noch Menschen finden, die sich – durch das Studium von Lexika und einschlägigen Handbüchern mehr oder weniger gut vorbereitet – vor einem Millionenpublikum einem Wissenstest stellen, ist in der Tat bemerkenswert. Verantwortlich dafür mag nicht nur die Aussicht auf den Gewinn sein, auch nicht nur die Simulation einer Prüfungssituation, deren Beobachtung immer schon mit beträchtlichem Lustgewinn verbunden war, sondern auch die Sache selbst, um die es geht: das Wissen. Genau in diesem Punkt demonstriert diese Show, kulturindustrielles Produkt par excellence, einiges davon, wie es um das Wissen in der Wissensgesellschaft bestellt ist.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!