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Niemand weiß mehr, was Bildung bedeutet, aber alle fordern ihre Reform. Ein Markt hat sich etabliert, auf dem Bildungsforscher und -experten, Agenturen, Testinstitute, Lobbys und nicht zuletzt Bildungspolitiker ihr Unwesen treiben. Nach der "Theorie der Unbildung" nun also ihre Praxis: Das, was sich aktuell in Klassenzimmern und Hörsälen, in Seminarräumen und Redaktionsstuben, in der virtuellen Welt und in der realen Politik abzeichnet, unterzieht Konrad Paul Liessmann einer scharfen Kritik. Hinter der Polemik steht ein ernstes Anliegen: der Bildung und dem Wissen wieder eine Chance zu geben.
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Seitenzahl: 228
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Zsolnay E-Book
Konrad Paul Liessmann
GEISTER-
STUNDE
Die Praxis
der Unbildung
Eine Streitschrift
Paul Zsolnay Verlag
ISBN 978-3-552-05724-1
Alle Rechte vorbehalten
© Paul Zsolnay Verlag Wien 2014
Umschlag und Motiv: David Hauptmann,
Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Satz: Eva Kaltenbrunner-Dorfinger, Wien
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VORWORT
Warum Bildung nicht glücklich macht
1. PISA, PANIK UND BOLOGNA
Die Logik von Bildungskatastrophen
2. DER BILDUNGSEXPERTE
Zur Psychopathologie eines Sozialcharakters
3. KOMPETENTER UNGEIST
Das Verschwinden des Wissens
4. FÄCHERDÄMMERUNG
Die neue Disziplinlosigkeit
5. POWERPOINT-KARAOKE
Die Destruktion von Bildung durch ihre Simulation
6. WAS WEISS DAS NETZ?
An den Grenzen der Suchmaschinen
7. DIE ORALE PHASE ALS LEBENSPRINZIP
Zum Verhältnis von Konsum, Pädagogik und Infantilisierung
8. PHILOSOPHIE DER SCHULE
Anmerkung zu einer Anmerkung Humboldts
9. LESELUST UND LESELEID
Analphabetismus als geheimes Bildungsziel
10. DIE DIKTATUR DER GESCHÄFTIGKEIT
Von der Käuflichkeit des Geistes
11. DIE TRÄNEN DER MUSE
Über die Schönheit des Nutzlosen
ANMERKUNGEN
Warum Bildung nicht glücklich macht
Bildung, so hört und liest man immer wieder, ist nicht nur die wichtigste Ressource für rohstoffarme Länder, sie erfüllt nicht nur die Bedürfnisse der Wirtschaft nach kompetenten und hochqualifizierten Arbeitskräften, sie gleicht nicht nur die sozialen Unterschiede der Menschen und die Nachteile der Migranten aus, sondern sie ist auch eine beständige Quelle des Glücks für den Einzelnen. Bildung ist, so sagt man gerne, die Voraussetzung für ein erfülltes, selbstbestimmtes und gelingendes Lebens. Nur der Gebildete weiß seine Chancen zu nutzen, die Herausforderungen anzunehmen und seinem Leben einen zukunftsorientierten Sinn zu verleihen. Wie bei allen Phrasen besteht bei ihrem inflationären Gebrauch die Möglichkeit, dass sie nicht beim Wort genommen werden dürfen. Wie aber wäre es, wenn man einmal darüber nachdächte, inwiefern Bildung zum Glück der Menschen tatsächlich etwas beitragen kann? Diese Frage lässt sich nur beantworten, wenn man weiß, von welcher Bildung die Rede ist, welcher Bildungsbegriff dafür herangezogen wird. Wir wählen deshalb drei Varianten von Bildung aus und fragen nach deren Glückspotential.
Gesetzt den Fall, es gäbe noch in einem klassischen Sinn humanistisch gebildete Menschen. Könnten diese glücklich genannt werden? Oder müsste ihre Bildung nicht viel mehr als eine Quelle des Unglücks erscheinen? Denn wie sollten sie glücklich sein in einer Welt, die sie nicht mehr versteht und die alles verachtet, was ihnen wichtig ist – die toten Sprachen, den Kanon der klassischen Literaturen, profunde historische Kenntnisse, ein eurozentrisches Weltbild, das an den Idealen der Aufklärung festhält, ohne deshalb die antiken und religiösen Wurzeln dieser Kultur zu vergessen oder zu verachten, eine ästhetische Sensibilität, die an der Wertschätzung einer elaborierten Sprache und am Stil und an der Rhetorik der klassischen Vorbilder orientiert ist und deshalb an den Phrasen und Euphemismen der Politik, der Werbung und der Medien sofort deren Oberflächlichkeit, Verlogenheit und Gemeinheit erkennen könnte? Der Gebildete, so schrieb Friedrich Nietzsche, entwickelt einen veritablen Ekel vor den Falschheiten dieser Welt, vor allem vor der Sprache des Journalismus, einer Sprache, der mittlerweile niemand mehr entgehen kann und die durch die Gebote der politischen Korrektheit noch zusätzlich verhunzt wird. Wer aber möchte einen Menschen, der täglich von Ekel geschüttelt wird, glücklich nennen? Glück sieht anders aus.
Aber auch wenn wir den Bildungsbegriff modernisieren und, wie gerne geschehen, auf die Beherrschung der aktuell notwendigen Kulturtechniken und eine anspruchsvollere berufliche Ausbildung reduzieren, will sich das Glück nicht so recht einstellen. Denn wie sollten wir jemanden als glücklich bezeichnen, der ständig aufgefordert wird, seine Skills zu schulen und Kompetenzen zu erwerben, um im Wettbewerb bestehen zu können, der alles, was ihn neugierig machen könnte, auf seine Verwertbarkeit überprüfen muss, der ständig hört, wie viel an Bildungsballast er abwerfen solle, um für das Neue gerüstet zu sein, der täglich spürt, dass die Entwicklung und Entfaltung seiner Möglichkeiten und Fähigkeiten nur dem Ziel der ökonomischen Rentabilität dienen, der sich also immer in dieser Weise als fremdbestimmt erfahren wird? Vielleicht bleiben die Chancen auf einen Arbeitsplatz oder auf die richtige Platzierung der Ich-AG auf diese Weise halbwegs intakt. Das ist aber schon alles. Und im gar nicht so seltenen Ernstfall wird dieser Mensch die Erfahrung machen müssen, dass alle Bildungsanstrengung, alle Schulung, alle wundersame Kompetenzvermehrung wenig gefruchtet haben und der Arbeitgeber oder der Markt plötzlich ganz andere Dinge verlangen und wieder alles vergebens gewesen war. Und vor allem wird dieser Mensch den Eindruck bekommen, dass im Gegensatz zur herrschenden Bildungsideologie die großen und einträglichen Karrieren in der Wirtschaft und im Sport, in den Medien und im Show-Business ganz ohne Bildung möglich sind, und er wird sich betrogen fühlen. Glück sieht anders aus.
Aber sogar wenn wir annehmen, dass Bildung die entscheidende Möglichkeit ist, um kritisch und verantwortungsbewusst gestaltend an dieser Welt zu partizipieren, auch wenn wir unterstellen, dass Bildung zum mündigen Bürger führt, der sich seine eigene Urteilskraft bewahrt hat und deshalb resistent gegen die ideologischen Verlockungen und Verführungen aller Art ist, wird sich das Glück dadurch nicht einstellen. Denn nähmen wir diese Ansprüche ernst, wird Bildung vor allem Zweifel und Selbstzweifel bedeuten, eine Einsicht in die Unaufhebbarkeit von Ansprüchen und Wirklichkeiten, eine Auseinandersetzung mit sich ständig verändernden Werten, ein permanentes Eingeständnis des sokratischen Nichtwissens, das zu einer Verunsicherung führen wird, die im krassen Gegensatz zum auftrumpfenden Gebaren einer Gesellschaft der vermeintlich Hochbegabten und der selbsternannten und selbstgewissen neuen Eliten steht. Die Vorsicht, Skepsis und Bescheidenheit eines in dieser Weise Gebildeten würde ihn in einer Welt der gnadenlosen Selbstdarsteller und zutiefst Überzeugten zu einer einsamen und verunsicherten Figur machen. Glück sieht anders aus.
Natürlich gibt es eine Verbindung von Glück und Bildung. Aber die ist in unserer Zeit allen, ohne Ausnahme, verwehrt. Aristoteles hatte als höchstes Glück jene Muße bestimmt, die es den Menschen ermöglicht, in der kontemplativen Anschauung, im Wissen um seiner selbst willen, in der reinen Theorie, ohne Verwertungs- und Praxiszwang, jene Fähigkeiten zu entfalten, die allein den Menschen auszeichnen: die Freiheit und die Lust des Denkens, die Freiheit und die Lust am Erkennen, die Freiheit und die Lust am Verstehen, die Freiheit und die Lust am Schönen. Studenten, die schon im ersten Semester, bevor sie noch von den Wonnen der Theorie auch nur haben kosten dürfen, angehalten werden, die richtigen credit points zu sammeln und so schnell wie möglich ins erste Praktikum gehetzt werden, werden dann auch keine Chance haben zu erfahren, warum Bildung trotz allem manchmal doch auch glücklich machen kann.
Das aktuelle Glücksversprechen der Bildung ist ein falsches, weil es dabei weder um Bildung noch um Glück geht. Es geht, wenn überhaupt, um Abrichtung, Anpassung und Zufriedenheit durch Konsum. Was heute unter dem Titel Bildung firmiert, was von Bildungsjournalisten propagiert, was von Bildungsexperten verkündet, was von Bildungsforschern behauptet, was von Bildungspolitikern durchgesetzt, was an Schulen und Universitäten beworben wird, ist deren Gegenteil und Karikatur, eine Phrase, eine Schimäre, eine einzige riesige Sprechblase, ein Gespenst, das nicht um Mitternacht, sondern zur besten Unterrichtszeit sein Unwesen treibt: Geisterstunde! Die Konturen dieses Gespensts erinnern manchmal noch an die Idee der Bildung, die damit verbundenen Ansprüche und Verheißungen könnten wohltönender nicht sein, und doch verbirgt sich dahinter – nichts. Kein Wissen, keine Haltung, keine Kultur, kein Glück. Dieser Praxis der Unbildung, ihren Erscheinungsformen und Tendenzen, ihrer Ideologie und Verblendung, ihren Wortführern und Propagandisten, ihren Exzessen und Absurditäten gilt die vorliegende Streitschrift.
Wien, im Juli 2014Konrad Paul Liessmann
Die Logik von Bildungskatastrophen
Es ist gespenstisch: Zähneknirschend musste zu Beginn des Jahres 2014 das österreichische Institut für Bildungsforschung, das auch für Organisation und Durchführung der Pisa-Tests und der zentralen Reifeprüfung verantwortlich ist, ein »Datenleck« ungeheuren Ausmaßes einbekennen. Auf einem rumänischen Server waren unverschlüsselt die Daten von Schülern, Lehrern und die Testergebnisse aufgetaucht. Nach monatelanger Verzögerung reagierte das österreichische Bildungsministerium scharf: Der nächste Pisa-Test wurde kurzerhand abgesagt. Und nun das Erstaunliche: Anstatt eines erleichterten Aufatmens wurde die zuständige Ministerin mit Kritik überschüttet: Eine Schande sei dies für das Land, ohne internationale Vergleichstests gehe es mit der Bildung bergab, ja, auch ehemalige Pisa-Kritiker entdeckten nun plötzlich ihre Liebe zu Pisa und taten so, als würde sich Österreich aus der Gemeinschaft der zivilisierten Staaten dadurch verabschieden, dass bei Pisa einmal pausiert wird. Der Druck, nicht zuletzt auch von Seiten der OECD, wurde so stark, dass dieselbe Bildungsministerin einige Wochen später eine ebenso scharfe Kehrtwendung bekanntgab: Österreich werde doch wieder am Pisa-Test teilnehmen, man habe mit der »Sonderkonditionen« ausgehandelt, so die Erklärung dafür. Pikanterie am Rande: Der Wiedereinstieg Österreichs bei Pisa wurde just in dem Moment verkündet, als ein von Heinz-Dieter Meyer von der State University of New York initiierter und von zahlreichen internationalen Experten unterzeichneter offener Brief an Andreas Schleicher, den Pisa-Koordinator der , die Pisa-Tests einer grundlegenden Kritik unterzog und zu einem weltweiten Moratorium aufrief. Allein: Noch die treffendste Kritik perlt an den Pisa-Jüngern ab wie Wasser.
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