Geh vor die Hunde - U.H. Wilken - E-Book

Geh vor die Hunde E-Book

U. H. Wilken

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Beschreibung

Nun gibt es eine exklusive Sonderausgabe – Die großen Western Classic Diese Reihe präsentiert den perfekten Westernmix! Vom Bau der Eisenbahn über Siedlertrecks, die aufbrechen, um das Land für sich zu erobern, bis zu Revolverduellen - hier findet jeder Westernfan die richtige Mischung. Lust auf Prärieluft? Dann laden Sie noch heute die neueste Story herunter (und es kann losgehen). Dieser Traditionstitel ist bis heute die "Heimat" erfolgreicher Westernautoren wie G.F. Barner, H.C. Nagel, U.H. Wilken, R.S. Stone und viele mehr. »Die Yankees kommen! Holt eure Schießeisen!« Laut gellte die Stimme des Mannes über die Straße und trieb die Menschen fluchtartig in die Häuser. Drohend und wie ein Symbol der Gewalt tauchten die Reiter in ihren verwaschenen und vom Kampf zerfetzten blauen Uniformen auf, formierten sich und verhielten auf der Bodenwelle vor der Stadt. Aufgewirbelter Staub zog in Schwaden über Pferde und Reiter hinweg. Gezogene Kavalleriesäbel blitzten im Sonnenschein. Die Straße war wie leergefegt. Nun war der unselige Krieg auch nach hier gekommen. In einem kleinen Haus am Stadtrand stand ein grauhaariger Mann und starrte aus dem staubbeschlagenen Fenster hinaus. »Sam!« Die Stimme der Frau im halbdunklen Raum war voller Angst. »Geh nicht raus! Das ist nicht dein Krieg, Sam.« Der Mann am Fenster drehte sich nicht um, als er mit spröder Stimme sagte: »Es muss sein. Wir haben uns alle miteinander abgesprochen. Ich werde nicht der einzige Mann sein, der das Haus verlässt.« Im Hintergrund des Zimmers stand Dave Long. Niemals in seinem ganzen Leben sollte er diesen schrecklichen Tag vergessen, niemals die Worte seines entschlossenen Vaters und die Angst seiner Mutter. Er spürte das Unheil, das schon drohend über der Stadt lastete. Er hörte, wie seine Mutter aufstand und wie der Stuhl knarrte.

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Die großen Western Classic – 42 –

Geh vor die Hunde

Und das Unheil lag drohend über der Stadt

U.H. Wilken

»Die Yankees kommen! Holt eure Schießeisen!«

Laut gellte die Stimme des Mannes über die Straße und trieb die Menschen fluchtartig in die Häuser.

Drohend und wie ein Symbol der Gewalt tauchten die Reiter in ihren verwaschenen und vom Kampf zerfetzten blauen Uniformen auf, formierten sich und verhielten auf der Bodenwelle vor der Stadt. Aufgewirbelter Staub zog in Schwaden über Pferde und Reiter hinweg. Gezogene Kavalleriesäbel blitzten im Sonnenschein.

Die Straße war wie leergefegt.

Nun war der unselige Krieg auch nach hier gekommen.

In einem kleinen Haus am Stadtrand stand ein grauhaariger Mann und starrte aus dem staubbeschlagenen Fenster hinaus.

»Sam!« Die Stimme der Frau im halbdunklen Raum war voller Angst. »Geh nicht raus! Das ist nicht dein Krieg, Sam.«

Der Mann am Fenster drehte sich nicht um, als er mit spröder Stimme sagte: »Es muss sein. Wir haben uns alle miteinander abgesprochen. Ich werde nicht der einzige Mann sein, der das Haus verlässt.«

Im Hintergrund des Zimmers stand Dave Long. Niemals in seinem ganzen Leben sollte er diesen schrecklichen Tag vergessen, niemals die Worte seines entschlossenen Vaters und die Angst seiner Mutter. Er spürte das Unheil, das schon drohend über der Stadt lastete. Er hörte, wie seine Mutter aufstand und wie der Stuhl knarrte.

»Sam, hör auf mich, nur einmal. Ich flehe dich an, lass es sein. Der Süden hat den Krieg doch längst schon verloren! Du musst dich damit abfinden. Sam. Oh, ich weiß ja, was in euren stolzen Köpfen vor sich geht, aber es ist doch keine Ehre, zu sterben, nur um zu sterben, Sam!«

»Ich kann nicht als Einziger im Haus bleiben, Frau«, hörte Dave seinen Vater mit fester Stimme sagen.

»Aber weißt du denn so genau, dass die anderen gegen die Yankees kämpfen werden?«

Dave sah, wie seine Mutter zum Fenster lief, wie sie seinen Vater umarmte und ihn festzuhalten versuchte. Dann hörte er den fernen dumpfen Hufschlag, der dröhnend und unaufhaltsam näher kam.

Neunzehn Jahre lang hatte Dave in Frieden gelebt. Der Frieden war ihm zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Doch nun kam der Krieg aus dem Norden mit seinem ganzen Hass und Tod in die Stadt. Dave empfand das alles wie in einem schlimmen Albtraum, der nicht wahr sein durfte. Er versuchte, tapfer zu sein, doch in den braunen Augen flackerte die Angst, gegen die er sich nicht wehren konnte. Schweiß lief über sein schmales Gesicht, und das strohblonde Haar klebte nass auf der Stirn.

»Vater«, rief er, »hör auf Mutter! Lass sie doch kommen. Sie werden auch wieder verschwinden.«

Langsam drehte der Vater sich um, hob sich fast schwarz vor dem hellen Fenster ab und sagte: »Ich bin kein Feigling, mein Junge. Die Yankees werden unsere Stadt und die Felder verwüsten, wenn wir ihnen nicht entgegentreten. Du bleibst bei Mutter und sorgst für ihren Schutz. Hast du mich verstanden, Dave?«

»Ja, Vater.«

Klirrend und rasselnd kamen die Yankee-Soldaten näher.

Noch war kein Schuss gefallen. Der Hauch des Todes wehte die leere Straße hinauf.

»Sam!«, schrie Daves Mutter und umklammerte den Arm des Vaters. »Bleib bei uns!«

Sam Long sah seinen Sohn an.

»Kümmere dich um Mutter.«

Dave lief zum Fenster, schlang beide Arme um seine Mutter und hielt sie fest.

Sie wurde auf einmal ganz still. Starr sah sie zur Tür, wohin ihr Mann gegangen war.

»Vater«, stöhnte Dave, »lass es doch sein, bitte! Es sind zu viele Yankees. Ihr habt doch gar keine Chance. Sie schießen euch alle nieder.«

Sam Long antwortete nicht. Er öffnete die Tür, hielt das Gewehr in der Rechten und trat hinaus, drückte die Tür hinter sich zu und verharrte still in der Hausnische.

Das Verderben kam näher.

Dave zog seine Mutter sanft herum und blickte aus dem Fenster. Noch waren die Nordstaatler nicht zu sehen, aber das Klirren und Stampfen wurde immer lauter.

Und dann sah Dave sie.

Fremde in Uniformen, bewaffnet, verstaubt und bärtig. Sie kamen im Trab heran, geschlossen und formiert wie ein Keil. Sie hielten Gewehre und Revolver schussbereit und blickten umher. Vorn ritten zwei Männer, die diesen Keil von Soldaten führten.

In den wenigen Sekunden, da Dave sie sah, prägte er sich ihr Aussehen ein. Er tat es unbewusst, denn es waren Fremde.

Da war ein Sergeant, schwer und grobknochig, alt und hart. Mit verkniffenem Gesicht.

Gleich neben dem Sergeant ritt der Captain, er war jünger und größer. In der Faust hielt er einen Colt. Der linke Arm ruhte in einer Schlinge. Das Gesicht war von einer dicken Staubschicht überzogen. Mund und Augen wirkten ungewöhnlich hell.

Schon waren sie vorbei, schon folgten die anderen.

Dave wechselte die Fensterseite, erblickte wieder den Captain und den Sergeant, und dann sah er entsetzt, wie sein Vater auf die Straße hinauslief und irgendetwas hinausbrüllte, wie er dann das alte Gewehr anhob und zielte.

Alles geschah sehr schnell.

Der Captain drehte sich noch nicht einmal im Sattel um. Er nahm die Faust mit dem Colt nur etwas herum und schoss. Noch wahrend der Knall von den Hauswänden widerhallte, stoben die Yankees auseinander, wieherten schrill die Pferde, wallte Staub auf, und Sam Long sank vornüber in den heißen Sand.

»Sam!«, schrie Daves Mutter und taumelte, wollte zur Tür und wurde ohnmächtig.

Dave zog sie schnell zum Sessel, legte sie hinein und hetzte zur Tür, riss sie auf und eilte hinaus. Als er den Vater erreicht hatte, drehte er ihn auf den Rücken.

Der Vater war tot.

In der Stadt fielen mehrere Schüsse. Reiter jagten an den Häusern entlang und feuerten in die Fenster hinein. Glas zersprang, klirrte und regnete auf die Gehsteige. Frauen schrien, Kinder weinten. Tot kippte ein Mann aus dem Fenster, blieb auf den Brettern liegen.

Dave hörte das alles, doch er nahm den Blick nicht vom Gesicht des Vaters. Für Dave brach eine Welt des Friedens zusammen. Zitternd berührte er das Gesicht des Vaters und stöhnte in großer Verzweiflung.

Beschlagene Hufe stampften dicht vorbei. Leder ächzte, Zaumzeug rasselte. Eine heisere Stimme sagte: »Das ist der Sohn! Nehmt ihn euch vor!«

Dave ließ den Kopf hoch, sah den Sergeant zu Pferde, hörte etwas über sich und sah dann die Schlinge, die sich um den Oberkörper legte. Mit einem harten Ruck zog der Reiter neben dem Sergeant die Schlinge zu, straffte das Lasso und ritt an. Dave wollte sich wehren, aber er konnte nicht. Schon wurde er hinter dem Pferd hergezerrt. Er rutschte mit dem Oberkörper über die Straße, sah das Pferd groß und schwarz vor sich, sah die Hufeisen im Sonnenschein blitzen, hörte Schüsse und brüllende Stimmen. Erbarmungslos trieb der Soldat das Pferd an und ritt im Galopp die Straße hinauf. Dave wurde mitgeschleift, schlug gegen die Kante des Gehsteigs und schrie vor Schmerz.

»Halt!«, flehte er. »Halt, ich …«

Der Soldat lachte heiser, sah zurück, ritt weiter und verhielt erst am Stadtrand. Das Lasso lockerte sich ein wenig, doch die Schlinge hatte sich ganz fest um Daves Körper gezogen und presste ihm die Luft aus den Lungen.

Feuer schlug aus manchen Häusern. Schwaden von Rauch zogen über die Stadt hinweg. Jaulend lief ein Hund über die Straße und bellte kläglich.

Von links kam ein Reiter heran und sagte heiser: »Das reicht. Lass ihn los!«

Dave sah auf und in das grobe Gesicht des Sergeants. Zugleich spürte er, wie der furchtbare Druck nachließ. Der Soldat war abgesprungen und löste die Schlinge.

Zitternd wollte Dave sich mit dem Oberkörper aufrichten, doch er sank in den heißen Staub. Wie aus weiter Ferne hörte er den Sergeant sagen: »Der hat genug.«

Dann ritten sie davon. In der Stadt fielen Schüsse. Menschen stürzten aus ihren brennenden Häusern und flohen an den Stadtrand, wo sie sich zusammenrotteten. Reiter jagten über die Felder und warfen Feuer in die Schuppen. Blasse Flammen schlugen hoch und breiteten sich auf den Feldern aus, vernichteten die Ernte.

Dave lag halb bewusstlos am Stadtrand. Er war zerschunden und gequält worden. Das Herz schlug in schnellen und heftigen Stößen. Schweißnass war das Gesicht, und Sand klebte darauf.

Nach einer Ewigkeit kam er hoch, stand schwankend auf den Beinen, taumelte am Straßenrand entlang, fiel neben dem Vater zu Boden.

Die Yankees kümmerten sich nicht um ihn. Er beugte sich tief über den Vater und stöhnte laut auf.

Dann richtete er sich auf und lief ins Haus, stand seiner Mutter gegenüber.

Sie war totenblass.

Er umarmte sie ganz fest und geleitete sie zurück zum Sessel, ließ sie hineingleiten und machte kehrt. Yankees jagten an ihm vorbei, Befehle tönten über die Straße, ein paar Schüsse fielen noch. Er hob den Vater zitternd auf und schleppte ihn mühsam ins Haus, legte ihn aufs Bett.

Seine Mutter kam nach, setzte sich auf einen Stuhl und starrte mit leblosem Blick auf den Toten. Sie schien in einer anderen Welt zu sein. Alles, was um sie herum geschah, nahm sie gar nicht mehr wahr. Die Hände krampften sich ineinander. Das Haar war noch grauer geworden.

»Mutter«, flüsterte Dave, »wir haben doch alles versucht, um Vater zurückzuhalten.«

»Ja, Dave«, sagte sie klanglos, mit erschreckender Ruhe. »Mach dir keine Vorwürfe.«

Dave schluckte und legte die Hände auf ihre Schultern. Er wusste nicht, was er tun sollte.

Mit leerer Stimme flüsterte seine Mutter immer wieder: »Sie haben ihn umgebracht. Sie haben ihn umgebracht.«

Er nahm die Hände zurück, drehte sich um und ging hinaus. Das Gewehr seines Vaters lag noch im Staub. Pferde waren darüber hinweggetrampelt. Vielleicht war der Lauf verbogen. Dave dachte nicht daran. Er blickte die Straße hinauf, sah, wie die Yankees sich vor dem großen Saloon zusammenrotteten. Grauer Rauch wehte über die Straße. Auf den Feldern wütete das Feuer. Die Sonne stand schon tief über den Hügeln von Südwest-Texas. Dort im Westen stieg der Abenddunst aus den Niederungen empor und ließ die Konturen der Hügel verschwimmen.

Langsam ging Dave zum Gewehr, hob es auf und ging zurück, blieb im Hauseingang stehen und sah, wie mehrere Yankees mit gefesselten Männern zum Saloon kamen. Es waren vier Männer aus dieser Stadt, die erbittert Widerstand geleistet hatten, nachdem Daves Vater erschossen worden war. Dave kannte sie alle. Unwillkürlich wich er zurück und starrte wie gebannt zum Saloon. Deutlich erkannte er den Captain zwischen den Soldaten, und ihm wurde auf einmal heiß unter der Haut.

Der Captain hatte seinen Vater erschossen, aber niemand würde den Captain dafür zur Verantwortung ziehen. Sein Vater hatte den Tod herausgefordert.

Sonnenschein fiel über die Dächer der Häuser und brachte noch mal große Hitze in die Stadt. Lange Schatten krochen über die Straße.

Dave hielt das Gewehr fest umklammert und schluckte schwer. Er sah zum Saloon, wo die Gefangenen in einer Reihe standen. Der Captain sprach zu ihnen, doch Dave konnte die Worte nicht verstehen.

Er verließ seinen Platz an der Tür und ging in den Wohnraum zurück. Still stand er dort einige Sekunden und horchte. Stimmengemurmel tönte von der Straße herein. Er hörte nichts von seiner Mutter, keine Worte und kein Weinen.

Vor dem Saloon brüllte der Sergeant einen Befehl.

Dave lief zur Tür zurück und sah, dass die Yankees die vier Männer zum Mietstall nebenan zerrten. Das Stalltor war ein großes, dunkel gähnendes Loch. Zwei Soldaten holten vier Pferde aus dem Stall, brachten die ungesattelten Tiere unter den Holzpfosten, der weit über dem Stalltor hervorragte und an dem eine Winde befestigt war. Schon warf jemand einen Strick über den Balken, zog ihn stramm und knüpfte eine Schlinge. Reglos stand der Captain neben dem Tor und sah hoch. Die Schlinge baumelte herunter und bewegte sich im Abendwind.

Die vier Gefangenen wurden auf die sattellosen Pferde gehoben.

Voller Entsetzen begriff Dave, was geschehen sollte.

Das war der Krieg – mitleidlos, unmenschlich. Dave hatte manchmal vom Krieg gehört und nicht daran glauben wollen. Auch der Süden sollte entsetzliche Gräueltaten begangen haben. Aber er war ja immer in dieser Stadt gewesen, und darum glaubte er, dass nur die Yankees so unmenschlich wären.

Er warf sich herum, lief in den Wohnraum und stürzte in den kleinen Schlafraum.

Tot lag der Vater im Bett. Die Mutter saß reglos auf dem Stuhl und hatte den Kopf gesenkt.

»Mutter!«, keuchte Dave. »Die Yankees werden vier Männer aufhängen! Sie rächen sich für die Schüsse, Mutter! Großer Gott, was sollen wir tun, Mutter?«

Sie gab keine Antwort.

Dave kam näher, ging um den Stuhl herum und kniete nieder. Er sah in das Gesicht seiner Mutter und wurde auf einmal steif.

Frieden war in ihrem Gesicht. Die Augen waren geschlossen. Noch immer waren die Hände ineinandergelegt.

»Mutter, was ist denn?«

Ihr Mund war für immer stumm. Sie hatte ihn verlassen. Sie war tot. Das Herz hatte versagt. Aber das wusste Dave nicht. Er wusste nur, dass sie tot war.

Sein Gesicht sank auf ihren Schoß. Er weinte wie ein kleiner Junge.

Draußen wurde ein Befehl laut.

Dave stand auf. Sein Gesicht war nass, eine erstarrte Landschaft der Gefühle. Das Gewehr rutschte ihm aus der Hand, polterte auf den Bretterboden. Das harte Geräusch ließ ihn zu sich kommen. Er packte das Gewehr und rannte durch die Hintertür auf den Hof, lief in den Stall und sattelte das Pferd des Vaters in fieberhafter Eile. Er wollte hinausreiten und irgendwo dort draußen allein sein. Später wollte er zurückkehren und der traurigen Pflicht nachkommen.

Als das Pferd gesattelt war, hörte er einen Schrei. Er zuckte zusammen, lief ins Haus und nach vorn. An der Tür prallte er zurück.

Der erste der vier Männer hing schlaff und tot am Strick. Das sattellose Pferd war bis zum nächsten Haus gelaufen und dort von einem Yankee aufgehalten worden. Gerade holte ein Soldat den leblosen Mann herunter, löste die Schlinge und zwei andere brachten den zweiten Gefangenen zu Pferde unter die Schlinge.

»Nein«, stöhnte er, »nein, das dürft ihr nicht tun!«

Aber sie würden es tun. Das war das Gesetz eines grausamen Krieges. So und nicht anders hatte auch der Süden seine Feinde gerichtet.

»Nein«, flüsterte Dave mit zersprungener Stimme, »nein.« Doch schon befand sich der zweite Gefangene unter dem mörderischen Strick, wurde ihm die Schlinge um den Hals gelegt.

Dave sah ganz deutlich das Gesicht des Mannes, den er so gut kannte. Jeden Tag hatte er ihn irgendwo in der Stadt getroffen, und sie hatten auch manchmal ein paar Worte miteinander gewechselt, hatten einander einen guten Tag gewünscht. Jetzt saß der Mann unter der Todesschlinge.

Dave konnte das alles nicht verstehen.

Wie im Traum hob er das Gewehr seines Vaters an.

Niemand sah herüber. Die Yankees hielten Waffen in den Händen, aber sie kehrten Dave den Rücken. Rauch wallte von den Feldern herüber und wehte am Mietstall vorbei. In der Stadt brachen die brennenden Häuser zusammen, und Funken wirbelten über die Straße. Deutlich sah Dave den Captain und den Sergeant. Der Captain stand gleich neben dem Strick und sagte irgendetwas zum Gefangenen. Der gefesselte Mann schüttelte den Kopf und presste den Mund ganz hart zusammen. Tapfer saß er auf dem Pferd. Die Schlinge lag um den Hals. Noch hing der Strick locker durch.

Schwer ruhte das Gewehr in Daves nassen Händen. Der Lauf ragte über den Platz hinweg, auf dem sein Vater den Tod gefunden hatte.

Immer wieder zogen Rauchschwaden über die Yankees hinweg. Die beiden Männer, die etwas abseits gefesselt auf den Pferden saßen, waren so bleich wie der Tod. Sie klagten nicht.

Dave wusste nicht, dass er Schicksal sein würde. Er würde diese beiden Männer retten, aber er ahnte es nicht. Er wollte den Mann mit dem Strick um den Hals retten.

Oft hatte Dave am Rande der Stadt mit dem Gewehr auf kleine Ziele geschossen. Sein Vater hatte nie etwas dagegen gehabt. Dave konnte sicher schießen, und er traute sich auch jetzt zu, den Strick mit einem einzigen Schuss zu durchtrennen.

Auf einmal war er ganz ruhig. Die Hände zitterten nicht mehr. Er war allein und würde wohl immer allein bleiben. Das Pferd stand hinterm Haus bereit. Die Dämmerung kam immer näher. Schon sank die Sonne hinter den Hügeln, und auf der Straße herrschte seltsam fahles Licht.

Da hob der Captain die Hand.

Hinter dem Pferd stand ein Soldat mit einem schweren Waffengurt in beiden Händen. Damit sollte er auf das Pferd losschlagen, damit es vorwärtssprang. Dann würde der Gefangene vom Pferd rutschen und an der Schlinge hängen Schieß, schrie es in Dave. Rette ihn! Schieß auf den Strick! Du triffst den Strick bestimmt!

Seine Augen flackerten heftig. Sekundenlang konnte er nichts sehen. Er kniff sie schnell zusammen – dann war alles wieder erschreckend klar zu erkennen.

Und dann schoss Dave.

Laut peitschte der Schuss über die Straße. Das Pferd machte einen wilden Sprung. Der Strick straffte sich. Die Soldaten wirbelten herum.

Du hast vorbeigeschossen, dachte Dave erschrocken und schnellte ins Haus, sah zurück. Die Menge der Yankees klaffte auseinander. Eine breite Gasse tat sich auf. Der Mann hing am Strick. Am Boden, fast unter dem Erhängten, lag der Captain, von der Kugel tödlich getroffen.

Dave warf das Gewehr weg, als wäre es plötzlich ein glühendes Eisen.

Er hatte doch ganz ruhig auf den Strick gezielt und geschossen! Aber die Kugel hatte den Captain getroffen!

Dave hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Unter den Hufen der Pferde hatte sich der Lauf ein wenig nur verbogen. Es war eigentlich ein Wunder, dass Dave mit diesem Gewehr überhaupt noch hatte schießen können. Die Kugel hatte ein Ziel gefunden, auf das Dave niemals geschossen hatte.

Ein Bleihagel kam herüber und prasselte gegen das Haus. Kugeln fauchten durch die offene Tür und schlugen in den Wohnraum hinein. Dave rannte nach hinten, warf sich aufs Pferd und jagte hinterm Haus entlang. Er ritt im Schutz der Häuser, kam an einem brennenden Haus vorbei, jagte davon.

Angst peitschte ihn in die Nacht hinaus.

Er sah und hörte nichts mehr.

Yankees hetzten zu den Pferden und wollten Dave folgen. Der Sergeant rief sie zurück. Schon kniete er neben dem Captain.

»Ich werde ihn erwischen, Captain!«, keuchte er. »Der Bastard entkommt mir nicht!«

Noch war Leben im Captain. Er sah hoch und in das raue Gesicht des Sergeant. Mühsam flüsterte er: »Verständige – meinen Bruder, Sergeant. Er ist auch – Captain. Ihr werdet ihn – schon finden. Sagt ihm, dass ich …«

Über ihnen knarrte der Strick am hervorspringenden Dachbalken. Langsam stand der Sergeant auf, sah die Soldaten an und schüttelte den Kopf.

»Der Captain ist tot.«

Vielleicht hatten sie ihren Captain verehrt. Sie standen reglos und sagten nichts.