Genieße den Reichtum der Jahre - Jörg Zink - E-Book

Genieße den Reichtum der Jahre E-Book

Jörg Zink

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Beschreibung

"Wozu wird man alt?, fragt sich mancher und kann nichts Nützliches darin sehen. Aber diese Veränderung hat eine Botschaft in sich: Du wirst noch gebraucht, du hast noch etwas zu tun." Sehr persönlich und zuversichtlich, aber ohne Idealisierung spricht der bekannte Theologe Jörg Zink über das Älterwerden. Ein kleines Buch voller Gottvertrauen, das inspiriert und Kraft schenkt.

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Herausgegeben von Rolf Hartmann

Überarbeitete Neuausgabe 2021

© KREUZ VERLAG in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2011 Alle Rechte vorbehalten www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © JoseLuis / Adobe

Vignetten im Innenteil: © provector/shutterstock.com

Herstellung: Newgen Publishing Europe

ISBN E-Book 978-3-451-82118-9

ISBN Print 978-3-451-03267-7

Inhalt

I.Leben im Jetzt

II.Die Kunst des Älterwerdens

III.Gehalten sein

IV.Gemeinsam älter werden

V.Lebensbilanz

Quellenverzeichnis

Brücken

Im Laufe der Jahre

gehen wir langsamer über unsere Brücken.

Die Wasser reißen nicht mehr so gewaltig,

sie fließen gemächlicher. Sie ruhen fast,

und die Brücke und der Himmel spiegeln sich.

Ich finde es gut, dass ich älter werde.

Denn es ist nur mein Körper,

der seine Frische verliert, seine Spannkraft.

Die Seele altert nicht. Sie wird tiefer

und füllt sich mit Erfahrung und Gelassenheit.

Der Geist altert nicht.

Er ist näher an der Wahrheit

und freier zu neuen Einsichten.

I. Leben im Jetzt

Träume

Wozu wird man alt?, fragt sich mancher und kann nichts Nützliches darin sehen, dass seine Kräfte abnehmen. Aber diese Veränderung hat eine Botschaft in sich: Du wirst noch gebraucht, du hast noch etwas zu tun. Vielleicht nicht einmal für andere Menschen, wohl aber für den neuen Menschen in dir selbst. Und wenn dir das nichts sagen will, dann fang damit an, dass du auf deine Träume achtest und den Engeln vertraust, die dir dabei begegnen.

Und was wir in der Begegnung mit Träumen erfahren können, das ist, dass uns auf diesem Weg ein Strom geistig-seelischer Kräfte, kosmischer Kräfte, entgegenkommt. Denn Träume sind keineswegs Schäume, sie sind ein Ort, an dem Kräfte spielen, kämpfen, sich ausdrücken, auftauchen und weggehen. Wie Gedanken nicht aus Luft bestehen, sondern Energien sind, so sind es noch viel mehr die Träume. Wer das einmal ernst genommen hat, für den ist die Vorstellung von Wesen und Mächten außerhalb und oberhalb des Menschen im Grunde einfach und selbstverständlich. Ich habe einige der wichtigsten Einsichten in meinem Leben aus Träumen empfangen, nicht durch das, was der Kopf bei Tage dachte.

Gelassenheit ist eine Art anhaltender Geistesgegenwart, die den Horchenden und Schauenden souverän macht, unabhängig, vornehm, gesammelt und bescheiden zugleich. In der Gelassenheit liegt das Vertrauen, dass die Klaviatur des Lebens nicht nur eine Oktave umspannt, sondern mehrere, über die Hörfähigkeit eines menschlichen Ohrs hinaus unendliche. Und dass ihre Töne unser Ohr finden in dem Augenblick, in dem sie uns bestimmt sind.

Präsenz

Sei anwesend. Sei bewusst dort, wo du jetzt bist, innerlich oder äußerlich, und nicht anderswo. Lebe bewusst in der Stunde, die jetzt ist, und nicht irgendwo in deinen Erinnerungen oder in deinen Plänen. Sei dir nicht voraus und nicht hinter dir her. Lebe jetzt, im jetzigen Augenblick, und bringe deinen ganzen Menschen mit – so, wie er jetzt ist.

Die Freiheit des Augenblicks

Zu wissen, welche Stunde die Uhr geschlagen hat, sich selbst in der Lebensphase zu sehen, in der man wirklich steht, ist sehr schwer. Die meisten Menschen träumen sich voraus in die Zukunft oder hängen an der Vergangenheit. Sie halten die Phase des Erfolgs fest, wenn es um Erfolg längst nicht mehr geht, die Phasen des Leistens oder des Genießens, wenn Leid und Verzicht längst im Zimmer stehen. Viele andere wähnen sich in der Phase des Abbauens und des Ermüdens, solange noch gesunde Kräfte genug da sind. Die Uhren gehen falsch, und weil man die falsche Stunde abliest, hadert man mit dem Schicksal. Gingen die Uhren richtig, gäbe es bei Weitem mehr Freiheit zu eigenen freien Entscheidungen.

Wieder andere verlieren die Freiheit zu ihrem eigenen Ja, weil sie zwar ihr Geschick bejahen, aber sich selbst verneinen: Ich habe es verdient. Es musste so kommen. Das entspricht mir. Ich bin selbst schuld. Und das ist gefährlich, weil es nicht ein Ja zu einem Auftrag ausdrückt, sondern die Hinnahme einer Strafe.

Jesus sagt: „Es muss erfüllt werden, was geschrieben ist.“ Das heißt: Meinem Geschick liegt ein Plan zugrunde, eine Absicht, ein Wille. Der mir mein Schicksal zumisst, hat ein Ziel im Auge. Diesem Willen füge ich mich in Freiheit. Die Jünger gehen hinterher. Sie sehen, was Jesus tut. Sie können im Weg Jesu ihren eigenen Weg erkennen, abschätzen und bejahen. Sie können, auch wenn sie immer wieder in Angst und Abwehr zurückfallen werden, doch durchaus in die Freiheit durchstoßen, die Jesus ihnen eröffnet hat. Sie wissen von nun an, dass Freiheit kein Traum ist.

Erfahrungen

Ich bin an vielen Ecken vorbeigekommen, an denen ich nicht recht wusste, was ich tun sollte, und oft wusste ich es erst hinterher. Aber so ist das eben: Manches weiß man hinterher und kann es denen sagen, die noch davor stehen. Natürlich kann man, was man im Leben gelernt hat, nicht vererben wie ein Haus, aber man kann seine kleinen Erfahrungen zu den großen und wichtigen Erfahrungen legen, die die Menschheit seit der Steinzeit gemacht hat, und wenn einer sich für sie interessiert, kann man sie ihm auch weitergeben.

Mein Freund, der Baum

Ich liebe die alten Bäume

in ihrer Kraft und ihrer Zerbrechlichkeit.

Es gibt eine seltsame Verwandtschaft

zwischen uns Menschen und Bäumen,

und ich wandere gern ein paar Stunden,

um einen bestimmten Baum zu besuchen,

der nach einem halben Jahrtausend noch grünt

oder im Winter als harte, eindrucksvolle Struktur

vor einem grauen Himmel steht.

Ich sehe das nicht romantisch.

Es geht mich persönlich an.

Es geht um meine eigene Lebendigkeit,

mein Wachstum, mein Stehvermögen

bis in meine späten Jahre.

Lebenszeiten

Wenn wir am Ende unseres Lebens zusammenzählen, wie viel Zeit wir wirklich gelebt haben, ergibt sich möglicherweise eine erschreckend kurze Zeitspanne. Vielleicht werden es zusammengerechnet fünf Jahre sein, vielleicht nur ein paar Monate oder Wochen. Alles andere war Alltag, Routine oder Erfüllung von Pflichten und allenfalls noch Erwartung des wirklichen Lebens, Hoffnung auf die Erfüllung, die später einmal kommen würde. Wenn wir dann fragen, was denn in jenen guten Zeiten unseres Lebens gut war, stellen wir vielleicht fest: Es waren die Zeiten, in denen eine Kraft da war – nicht unsere eigene –, die wir in Anspruch nehmen konnten.

Ich werde gerne alt

Es ist deutlich: Ich werde alt.

Neulich stand ich im Garten,

an einem lauen und schönen Abend,

die Gartenschere in der Hand.

Drei Schritte seitwärts meine Frau.

Sie sagte etwas, aber ich verstand sie nicht.

Ich höre nicht mehr wie früher und frage zurück.

Sie möchte wissen,

ob ich Mittwochabend Zeit hätte.

Sattlers wollten vorbeischauen.

Mein Kalender liegt im Untergeschoss.

Ich gehe die Treppe hinab und merke unten:

Ich habe vergessen, weshalb ich herabkam.