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Was Christen glauben – der erfolgreiche Klassiker von Jörg Zink komplett überarbeitet
„Ist es heute noch möglich, nach Art eines kleinen Katechismus zu sagen, was den christlichen Glauben ausmacht? Ich denke: Ja.“
Der christliche Glaube wird, seit es Kirche gibt, in verbindliche Bekenntnisse gefasst. Das traditionelle »apostolische« Glaubensbekenntnis verwendet allerdings Worte und Bilder, die heute vielfach nicht mehr verstanden werden.
Dieser Neufassung seines erfolgreichen Buchs stellt Jörg Zink deshalb Überlegungen zum apostolischen Glaubensbekenntnis voran und erläutert dann in einfacher Sprache die Grundlagen des christlichen Glaubens, ergänzt durch neu formulierte Bekennt¬nisse und wichtige Texte der Bibel.
Das Buch zeigt das breite Spektrum der Worte und Bilder, in denen Glaubenserfahrung sich ausdrücken und christlicher Glaube beschrieben werden kann. Es will zur Diskussion anregen, Orientierung bieten und Hilfen geben, um in der stets sich verändernden Wirklichkeit aller Christen und ihrer Kirchen zum eigenen Glauben zu finden.
„In keiner Generation kann die Kirche leben, wenn sie sich nicht erneuern lässt.“
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Seitenzahl: 176
Jörg Zink
Was
Christen
glauben
Gütersloher Verlagshaus
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.
Vollständig überarbeitete und ergänzte Neuausgabe
des erstmals 1969 erschienenen Werks »Was Christen glauben«
Copyright © 2014 by Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Coverfoto: Taufstein der Ev. Stadtkirche Freudenstadt (11. Jhdt.); Jörg Zink
ISBN 978-3-641-13915-5
www.gtvh.de
Inhalt
Vorwort zur Neuauflage
Niemand kann leben, ohne zu glauben
IDas gemeinsame christliche Bekenntnis
Bekenntnisse entstehen beim Erzählen
Wir hören heute viele neue Glaubensbekenntnisse
Das Unbehagen am Apostolikum ist berechtigt
Am Anfang stehen immer Erzählungen Einzelner
Ein Bekenntnis, das Taufgemeinden verstehen können
IIDer Grundbestand des christlichen Glaubens
Ein Glaubensbekenntnis
Sagen, was gilt
Wer bürgt uns für die Wahrheit unseres Glaubens?
Wir glauben an Gott, den Vater – Das Vaterunser
Wir glauben an Gott, den Schöpfer der Welt
Wir glauben an Jesus, den Christus
Wir feiern das heilige Abendmahl
Wir glauben an die Kirche, denn wir glauben an den heiligen Geist
Wir sind Töchter und Söhne Gottes
Was sollen und können wir tun? Die Zehn Gebote und die Weisungen Jesu
Wir leben in Gott. Das drückt sich im Gebet aus
Unsere Hoffnung spricht in Bildern
IIIBeispiele für Glaubensbekenntnisse
Bekenntnisse aus der Sicht von Frauen
Bekenntnisse in kritischen Situationen
Bekenntnisse, mit denen wir Gott rühmen
Weitere Bekenntnisse des christlichen Glaubens
Wir müssen uns nicht entscheiden
IVEinige wichtige Worte der Bibel
Wozu machen wir uns Sorgen? Psalm 23
Gott ist alles. Wir Menschen sind – fast – nichts. Psalm 90
Es gibt kein Entrinnen vor Gott. Psalm 139
Wen Jesus glücklich schätzt. Matthäus 5
Wir sind getauft. Römer 6
Über die Einheit der Kirche. Epheser 4, 1. Korinther 10
Wir werden alle auferstehen. 1. Korinther 15
Zwischen Gott und uns ist Frieden. Römer 5
Das Lied von der Gewissheit. Römer 8
Das Maß ist Christus. Philipper 2
Das Größte ist die Liebe. 1. Korinther 13
Wir sind behütet. Eine persönliche Nachschrift. nach Psalm 121
Quellenverzeichnis
Vorwort zur Neuauflage
Was würden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, antworten?
Nehmen Sie an, jemand fragte Sie, was, woran und warum Sie glauben. Vielleicht stünden Sie eine ganze Weile stumm und ratlos. Stumm deshalb, weil eine Überzeugung sich umso schwerer in Worte fassen lässt, je wichtiger das ist, was sie meint. Möglicheremweise auch ratlos, weil Ihnen selbst Ihr Glaube nicht so recht klar ist und Sie lange brauchen würden, um ihn im eigenen Kopf und Herzen zusammenzusuchen, zu beschreiben und zu begründen.
Mit diesen Worten begann vor fünfundvierzig Jahren ein kleines, zusammen mit Rainer Röhricht, meinem leider kürzlich verstorbenen Freund verfasstes Buch, denn uns erging es ähnlich, als man uns vorschlug, auf ein paar kurzen Seiten möglichst einfach zu erklären, was wir selbst glaubten. Zunächst saßen wir eher unschlüssig im Garten unter einem der Bäume und wussten nicht recht, wie wir anfangen sollten. Als Lockerungsübung dichteten wir Schüttelreime, und als meine Frau mit einem Krug Buttermilch zu uns kam, fand Rainer Röhricht sekundenschnell diesen Vers: »Die Bilche liebt der Mutterbilch und säugt sie stets mit Buttermilch.« In dieser fröhlichen Stimmung entstanden die einfachen und doch möglichst genauen Verszeilen des ersten kleinen Buchs »Was Christen glauben«, das seitdem gut ein Dutzend allmählich veränderte und schließlich von mir allein verantwortete Folgeauflagen erlebte.
Ich denke, sie sind auch heute noch geeignet für ein prüfendes Nachdenken und ein meditatives Bewahren der Grundlagen des christlichen Glaubens. Als aber die Frage einer Neuauflage des Buchs im Raum stand, schienen sie mir doch nicht mehr zu genügen: Einerseits war ich einstweilen in einem anderen kleinen Buch der Frage nachgegangen, ob das in unseren Kirchen nach wie vor übliche apostolische Glaubensbekenntnis sich als Zusammenfassung des christlichen Glaubens noch eigne[1], und andererseits waren inzwischen neue Glaubensbekenntnisse zahlreicher Autorinnen und Autoren entstanden, die mir als Ergänzung unserer kurzen Zeilen sinnvoll und wichtig erscheinen.
So trägt diese Neuauflage zwar denselben Titel wie früher, aber sie wurde erweitert und gliedert sich nun in mehrere Teile: Ein erster Teil ist dem apostolischen Glaubensbekenntnis gewidmet, ein zweiter beschreibt die Grundlagen des christlichen Glaubens im Einzelnen, ein dritter Teil stellt verschiedene neue und ältere Glaubensbekenntnisse vor, und ein vierter enthält einige in diesem Zusammenhang wichtige Texte der Bibel.
Weiterhin gilt der abschließende Gedanke des früheren Vorworts:
Ich weiß, dass unser eigener Glaube uns immer ein Geheimnis bleiben wird, das wir nur von außen berühren. Ich kann so wenig wie sonst irgendein Mensch sagen, wie und warum alles ist, wie es ist, und was aus allem werden soll. Aber ich kann davon reden, was ich erfahren habe, was sich mir bewährt hat und was ich mir dabei gedacht habe. Wenn Sie feststellen sollten, dass Sie da und dort etwas oder auch das Ganze anders sehen, dann lassen Sie sich von mir nicht allzu schnell überreden.
Prüfen Sie Ihre Sicht des christlichen Glaubens an dem, was in diesem Buch steht, und finden Sie dabei die Wahrheit, die Ihnen und genau Ihnen zugedacht ist. Diskutieren Sie mit anderen darüber, bis Sie selbst die Worte finden, die Ihrem Glauben Ausdruck geben. Sie könnten am Ende geradezu dieses ganze Buch neu schreiben – so, wie es für Ihren Kopf und Ihr Herz gesagt werden müsste. Denn nur auf die Wahrheit, die Gott selbst Ihnen zeigt, werden Sie Ihre eigene Überzeugung gründen können, und nur sie wird sich dafür eignen, dass Sie anderen gegenüber zu ihr stehen.
Stuttgart, im Januar 2014
Jörg Zink
Niemand kann leben, ohne zu glauben
Jeder Mensch glaubt irgendetwas
Er glaubt sogar sehr viel,
auch wenn er meint, er glaube nichts.
Niemand kann von dem leben,
was er sehen und beweisen kann.
Niemand kann einen Menschen lieben,
wenn er nicht glauben will,
denn der andere kann ihm nicht beweisen,
dass er Vertrauen verdient.
Niemand kann etwas planen und tun,
ohne glauben zu wollen,
denn niemand weiß,
was die Zukunft bringt.
Hundert Vorgänge jeden Tag verlangen,
dass wir vertrauen,
dass wir irgendeinem Menschen etwas glauben,
wenn wir mit ihm zusammenleben wollen.
Glauben heißt vertrauen
Wenn jemand glaubt, heißt das nicht,
dass er etwas Unvernünftiges behauptet,
weil er seinen Verstand nicht gebrauchen will,
oder dass er etwas Ungenaues hinnimmt,
weil nichts Genaues zu wissen ist.
Es heißt nicht,
von einer jenseitigen Welt zu träumen,
weil man die diesseitige nicht liebt,
oder sich an Meinungen von gestern zu klammern,
weil man mit der heutigen Zeit nicht zurechtkommt.
Wer glaubt, kann vertrauen,
auch wo er nichts sieht.
Er ist seiner Sache gewiss,
auch wenn er keine Beweise hat.
Er steht auf einem festen Grund,
er sieht offenen Auges in die Welt,
und erwartet ein Gelingen,
das er nicht erzwingen kann.
Der Glaube ist nicht der Traum,
der ihm das Leben leichter macht,
sondern die Grundlage für jedes Leben,
das diesen Namen verdient.
Der Glaube ist immer ein Wagnis
Ein Seiltänzer führte,
hoch über den Köpfen der Leute,
seine atemberaubenden Kunststücke vor.
Die Leute waren begeistert.
Einmal blieb er auf dem Seil stehen und rief:
»Glaubt ihr, dass ich eine Schubkarre nehmen kann,
einen Mann hineinsetzen
und ihn sicher über das Seil schieben
bis an die andere Seite?«
»Ja! Ja!«, riefen die Leute.
Da rief der Seiltänzer einem Mann zu,
der besonders begeistert »Ja« gerufen hatte:
»Sie da! Kommen Sie herauf!
Kommen Sie, Sie sollen mit mir
über das Seil fahren!«
Der wurde bleich.
»Nein! Nein! Ich nicht.
Das ist etwas anderes!«
Ein Glaube, der ein Leben tragfähig machen soll,
erfordert nicht nur eine Zustimmung,
sondern Konsequenzen.
Nach Jesus werden nicht die glücklich sein,
die »Ja! Ja!« sagen,
sondern die ihrem Glauben entsprechend leben.
Manche kommen ohne Religion aus
Wenn jemand sagt,
er komme ohne Religion aus,
dann hat er vermutlich eine Religion,
ohne die man auskommen kann.
Glaube hat keine Garantien
Michael Francis Dei-Anang, der Dichter aus Ghana, ein Christ, sagt:
»Glaube ist ein Baum.
Er wächst in der Wüste.
Glaube lebt in der Hoffnung,
vergeblich zuweilen,
dass Gott den Regen schickt.
Glauben ist zärtliches Vertrauen,
vergeblich zuweilen.«[2]
Der Glaube eines Christen
hält dieses zärtliche Vertrauen fest,
auch wenn er keinen Erfolg hat
und nichts von Glück erlebt.
Er weiß, dass er geliebt ist,
und antwortet mit seiner Liebe.
Glaube ist letztlich Glaube an Gott
Im Glauben greift ein Mensch über alles hinaus,
was es im Leben zu greifen und zu beweisen gibt,
und findet die umfassende
und alles durchdringende Macht, die er Gott nennt.
Er ist kein Übermensch.
Seine Kraft hat Grenzen.
Er ist verletzlich an Leib und Seele
und kann sich nicht an sich selbst festhalten.
Er glaubt aber an Gott
und verlässt sich auf eine Macht, die ihn hält.
Sein Leben dauert eine begrenzte Zeit.
Am Ende erwartet ihn der Tod,
der allem Lebendigen bestimmt ist.
Er glaubt aber an Gott
und steht damit auf einem Grund,
der tragfähig bleibt.
Er möchte vieles erreichen.
Er tut und wirkt und schafft.
Er beherrscht sein Schicksal dabei nicht
und sieht nicht, was die Zukunft bringt.
Er glaubt aber an Gott,
und damit an ein Ziel und einen Sinn
dessen, was er tut und leidet.
An Gott glauben heißt: »im Frieden leben«
Wer an Gott glaubt, ist nicht allein.
Er kann mit ihm sprechen
und weiß, dass er gehört wird.
Er ist geborgen.
Wer an Gott glaubt, ist frei.
Er braucht nichts zu sein, was er nicht ist,
nichts zu zeigen, was er nicht hat,
und nichts zu leisten, was er nicht kann.
Er braucht Schwachheit und Tod nicht zu leugnen.
Er ist in der Angst nicht verlassen.
Wer an Gott glaubt, kann leben.
Wer mit Gott lebt,
wer sich in Gott weiß, findet Frieden.
Er kann sich mit seinem Schicksal aussöhnen,
er kann sich versöhnen mit anderen Menschen
und mit sich selbst.
Wer mit Gott lebt und in Ihm,
kann Frieden stiften um sich her
auf dieser Erde.
IDAS GEMEINSAME CHRISTLICHE BEKENNTNIS
Bekenntnisse entstehen beim Erzählen
Es gibt Sternstunden im Menschenleben. Etwa, wenn zwei Menschen nach langem Schweigen miteinander zu reden beginnen. Oder wenn sie nach bloßem Gerede zu einem ernsthaften Gespräch finden. Oder wenn einer sich endlich ein Herz fasst und ausspricht, was ihm zuinnerst wichtig ist, was er glaubt und wovon er lebt. Oft dauert es Jahrzehnte, bis jemand dieses Wagnis eingeht und sagt, was er erfahren und was danach seinen Weg bestimmt hat, bis er sagt, worauf er zugeht und was er erhofft, wenn er am Ende des Lebens über die Schwelle gehen wird.
Eigentlich ist es seltsam: Unser Leben besteht in ständigem Reden, aber kaum je kommen Gedanken über unsere Lippen, um die es sich wirklich lohnt. Kaum je sagt einer: Lass uns darüber reden, was mit unserem Schicksal auf dieser Erde wirklich gemeint ist, was das ist, was wir Gott nennen! Was für ein Bild wir selbst von uns haben. Wofür wir wirklich dankbar sind. Was wir wahrhaft lieben. Was der Grund ist, auf dem wir stehen, trotz allem, das uns misslingt. Was das Wichtigste ist zwischen uns.
Diese wunderseltenen Augenblicke sind zugleich die eigentlichen Lichtpunkte unserer Lebenszeit, die festlichen Augenblicke, die zu leben sich lohnt, sie sind wichtig und schön. Auch wenn sie vielleicht eine tiefe Traurigkeit nach oben bringen, zitternde Angst oder lähmende Ratlosigkeit, sie sind Augenblicke, in denen wirklich etwas zwischen Menschen geschieht. Wenn jemand die Türen und Fenster seiner Seele aufstößt und anderen zu sehen erlaubt, was in ihm ist, hinter Masken und Fassaden, sagt man, er »offenbare« sich. Und unter Christen spricht man, wenn sie gemeinsam, in Worten, die ihnen allen richtig erscheinen, beim Namen nennen, was für sie wichtig ist, von einem »Bekenntnis«, einem »Credo«. Christen halten solche Offenbarungen und – persönliche oder gemeinschaftliche – Bekenntnisse für lebensnotwendig: als Ausdruck dessen, wofür sie unbedingt einstehen wollen.
Es gehört deshalb zu den festlichen Augenblicken in einem Gottesdienst, wenn die versammelte Gemeinde aufsteht und gemeinsam sagt, wovon sie lebt, was sie glaubt, worauf sie hofft, wofür sie dankt und was sie tun will mit den Kräften der Liebe, die in ihr sind. Wenn sie etwas sagt wie dies:
»Wir glauben an Gott Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde. Wir glauben an Jesus Christus, unseren Herrn und Bruder. Wir glauben an den heiligen Geist, die Kraft Gottes, die bei uns und in uns ist.«
Dabei bleibt freilich die entscheidende und bange Frage, ob sie damit ausspricht, was alle mit eigenen Worten ähnlich sagen würden, oder ob die gemeinsamen Worte aufgesetzt sind durch eine Konvention oder Liturgie. Ob sie also eine Wahrheit ausdrücken, die jeden Einzelnen überzeugt, oder ob sie nur einer Form genügen. Denn sollten sie nichts mehr sagen, das aus den Einzelnen selbst kommt, nicht mehr die für sie persönlich geltende Wahrheit, gerät etwas Kostbares in Gefahr. Dann ist es Zeit zu fragen, was eigentlich gesagt werden müsste, damit wieder Wahrheit ausgedrückt wird.
Das ist heute eine der dringenden Fragen an Christen, Gemeinden und Kirchen: Ist das, was wir »unser Glaubensbekenntnis« nennen, wirklich noch ein Bekenntnis dessen, was wir glauben? Und was wäre, wenn es heute mehr Christen gäbe, die sich an ihm stoßen, als die es willig mitsprechen? Welche Worte könnten für mehr Menschen als bisher etwas ausdrücken, von dem sie sagen können: Ja, das ist es! Davon lebe ich. Darauf gehe ich zu. Das verbindet mich mit allen, die mit mir so sprechen. Mir erscheint nötiger denn je, darüber gründlich nachzudenken.
Unser »apostolisches Glaubensbekenntnis« – das »Apostolikum« – entstand um das Jahr 150 nach Christus in Rom und hatte um das Jahr 200 seine heutige Form. Es wäre interessant, den Umständen nachzugehen, unter denen es formuliert worden ist, von den Menschen zu wissen, die es zuerst gesprochen haben, und von der Weise, wie es sich in der Mehrzahl der christlichen Kirchen durchgesetzt hat. Aber ich rede nicht als Historiker und nicht als Kirchenvertreter, der vorgibt, was wünschenswert oder in den Kirchen durchsetzbar wäre. Ich möchte bei der Frage bleiben, wie Menschen von heute dem begegnen, was ihre Kirchen vorsagen und was sie nachsprechen sollen, bei den Schwierigkeiten, die sie damit haben, und den Hindernissen, die aus der alten Formel für sie entstehen. Ich bin ein Leben lang auf der Seite der Suchenden in meiner Kirche gewesen, und ich möchte auch hier auf ihrer Seite bleiben, als Anwalt derer, die unter der Last auch der Worte, die man ihnen vorsagt, mühselig und beladen leben. Denn Lasten sollen, sagt Jesus, abgenommen werden.
Natürlich kann man gegen alles, das ich hier sage, auch Einwände erheben. Das ist überall so, wo wir mit den schmalen menschlichen Möglichkeiten dem Geheimnis Gottes näherzukommen versuchen. Es werden immer Reste und Ungereimtheiten bleiben, aber das Evangelium hat helle und starke Lichter, die uns aufgehen können. Und ihnen möchte ich nachgehen.
Wir hören heute viele neue Glaubensbekenntnisse
Seit einigen Jahrzehnten beobachten wir eine in der Kirchengeschichte neue Entwicklung: Überall entstehen neue Texte, die einem Glaubensbekenntnis ähnlich sind und manchmal das alte kirchliche Glaubensbekenntnis ersetzen sollen. Sie werden in einzelnen Gemeinden formuliert, sie gehen aus Gesprächen in Jugendgruppen hervor, oder Einzelne schreiben in der Stille einsamer Stunden nieder, was ihren Glauben ausmacht und was sie gegenüber anderen vertreten wollen. In der lebendigsten Zeit der Kirchen seit dem Krieg – in den 1960er Jahren – entstanden so hunderte neuer Glaubensbekenntnisse, und diese Versuche setzen sich bis heute sehr kreativ fort.
Die Blickrichtungen sind dabei ganz verschieden: Die einen wollen ihrer persönlichen Frömmigkeit Ausdruck geben, andere versuchen abzulegen, was nach ihrer Meinung nicht mehr geglaubt werden kann, wieder andere möchten der politischen Apathie in den Kirchen entgegentreten, und so fallen ihre Versuche sehr unterschiedlich aus.
Zunächst griffen die neuen Glaubensbekenntnisse vor allem das Thema »Gerechtigkeit« in leidenschaftlichen Worten auf, denn seit wir Europäer den Menschen der Länder, die wir die Dritte Welt nennen, immer näher begegneten, wuchs auch das Bewusstsein für die grundlegende Ungerechtigkeit der Verhältnisse zwischen ihnen und uns.
Später entstanden im Rahmen der ökologischen Bewegung Bekenntnisse, die deutlicher als der erste Glaubensartikel des Apostolikums davon reden, die Welt sei Eigentum Gottes und nicht des Menschen. Der Mensch sei nicht der Herr der Schöpfung, sondern Teil von ihr, und er trage Verantwortung für sein Handeln.
In den Camps der Friedensbewegung der 1980er Jahre entstanden schließlich Bekenntnisse, die den von Jesus gemeinten Frieden zum Thema hatten. Neu war an ihnen, dass man erkannte, Bekennen bringe ein Risiko mit sich: Es erfordere Mut auch gegenüber einer überlegenen Staatsmacht, und das Nachsprechen von Glaubensbekenntnissen habe überzugehen in praktisches Handeln, wo immer der Wille Gottes erkennbar wird.
So erwuchsen Glaubensbekenntnisse aus unterschiedlichsten Situationen, und es ist heute fast schon üblich, sie zum Beispiel bei Taufen anstelle des Apostolikums zu sprechen, bei Abendmahlsfeiern, in Sonntagsgottesdiensten, auf Freizeiten oder auf Großveranstaltungen wie Kirchentagen. Ihr Sinn ist immer, zu zeigen, was in unserer Zeit gesagt werden müsse, wenn es darum geht, einen eigenen heutigen Glauben zu bekennen und nicht Worte von Menschen einer früheren Epoche zu wiederholen.
Manche dieser Bekenntnisse können nur in ihrer Entstehungssituation und innerhalb der Gruppe überzeugen, die sie formulierte. Andere aber – von katholischen Autoren geschriebene ebenso wie von evangelischen – reden gültig und ausdrucksstark und sagen ungleich deutlicher aus, was christlicher Glaube sei, als die überlieferten altkirchlichen Worte, sie deuten konkreter, genauer und hilfreicher, was Glauben für heutige Christen bedeutet. Dennoch beobachten wir auch, dass keines der neuen Glaubensbekenntnisse sich allgemein durchsetzen konnte. Alle galten und gelten sie für einen kleinen Kreis in der Christenheit, alle galten und gelten sie für kurze Zeit, eine einmalige Gelegenheit oder für seltene Wiederholungen. Keines ist von einer einzelnen Kirche als ähnlich verbindlich wie das Apostolikum anerkannt worden.
Hinter all diesen Versuchen steht aber ein tiefes Unbehagen am apostolischen Glaubensbekenntnis – ein Unbehagen, das auch mich erfasst, wenn Familien, die vom christlichen Glauben wenig wissen, ihre Kinder zur Taufe bringen und dort Worte hören oder mitsprechen sollen, die zu erklären ich eigentlich einige Stunden brauchte. Ein Unbehagen, das mich erfüllt, wenn in Gottesdiensten das Apostolikum gesprochen wird und die Sprechenden mit ihren sehr unterschiedlichen Glaubensvorstellungen regelmäßig im Unklaren darüber bleiben, ob nur zur christlichen Kirche gehört, wer alle Aussagen nachvollzieht und bejaht. Ob also das, was die Einzelnen glauben, ausreicht, um als redliche Christen zu gelten, oder umgekehrt, ob das Apostolikum wiedergibt, was am christlichen Glauben zum Leben und Sterben nötig ist. Dieses Unbehagen reicht tief in den inneren Kreis der Gemeinden hinein, in die engagierten Gruppen, auch in das Nachdenken zahlreicher Pfarrer, die ihren Gemeinden die alten Worte vorsagen oder sie mit ihnen gemeinsam sprechen sollen.
Da sagen wir also:
Ich glaube an Gott,
den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde,
und an Jesus Christus,
seinen eingeborenen Sohn,
unsern Herrn,
empfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel;
er sitzt zur Rechten Gottes,
des allmächtigen Vaters,
von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten.
Ich glaube an den Heiligen Geist,
die heilige christliche Kirche,
Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden,
Auferstehung der Toten
und das ewige Leben.
Martin Luther hat dazu vor 500 Jahren seine unvergleichliche Erklärung geschrieben:
»Ich glaube,
dass mich Gott geschaffen hat
samt allen Kreaturen,
mir Leib und Seele, Augen, Ohren
und alle Glieder,
Vernunft und alle Sinne gegeben hat
und noch erhält;
dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof,
Weib und Kind, Äcker, Vieh und alle Güter bescheret,
mich mit aller Notdurft und Nahrung
dieses Leibes und Lebens
reichlich und täglich versorget,
wider alle Fährlichkeit beschirmet
und vor allem Übel behütet und bewahret;
und das alles
aus lauter väterlicher, göttlicher Güte
und Barmherzigkeit,
ohn all mein Verdienst und Würdigkeit;
des alles ich ihm zu danken und zu loben
und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin.
Das ist gewisslich wahr.
Ich glaube,
dass Jesus Christus, wahrhaftiger Gott
vom Vater in Ewigkeit geboren
und auch wahrhaftiger Mensch
von der Jungfrau Maria geboren,
sei mein Herr,
der mich verlorenen und verdammten
Menschen erlöset hat,
erworben, gewonnen von allen Sünden,
vom Tode und von der Gewalt des Teufels;
nicht mit Gold und Silber,
sondern mit seinem heiligen, teuren Blut
und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben;
auf dass ich sein eigen sei
und in seinem Reich unter ihm lebe
und ihm diene
in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld
und Seligkeit,
gleichwie er ist auferstanden vom Tode,
lebet und regieret in Ewigkeit.
Das ist gewisslich wahr.
Ich glaube,
dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft
an Jesum Christum, meinen Herrn, glauben
oder zu ihm kommen kann;
sondern der Heilige Geist
hat mich durch das Evangelium berufen,
mit seinen Gaben erleuchtet,
im rechten Glauben geheiliget und erhalten;
gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden
beruft, sammelt, erleuchtet, heiliget
und bei Jesu Christo erhält
im rechten einigen Glauben;
in welcher Christenheit er mir
und allen Gläubigen
täglich alle Sünden reichlich vergibt
und am Jüngsten Tage
mich und alle Toten auferwecken wird
und mir samt allen Gläubigen in Christo
ein ewiges Leben geben wird.
Das ist gewisslich wahr.«