GESCHICHTEN AN DER KREUZUNG - Roland E. Ruf - E-Book

GESCHICHTEN AN DER KREUZUNG E-Book

Roland E. Ruf

0,0

Beschreibung

Die Kreuzung in der Vorstadt! – Bezugspunkt für die Menschen, Sonderlinge inklusive, denen dieses Buch eine Stimme gibt. Möglich, dass sich ihre Wege kreuzten, dass sie sich an der Haltestelle wahrgenommen oder am Kiosk kurz getroffen haben! Letzten Endes sind sie Einzelgänger. Präzise, nachdenklich, auch mit Humor gezeichnet, fügen sich ihre Geschichten zu einem Kaleidoskop des Lebens an der Kreuzung.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 114

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Autor

Roland E. Ruf * 1939

lebt und arbeitet in Freiburg im Breisgau

www.roland-e-ruf.de

Roland E. Ruf

Geschichten an der Kreuzung

11 Erzählungen

© 2023 Roland E. Ruf

Lektorat, Layout, Cover-Design, Fotografie:

Inge Reuter-Eck

Druck und Distribution im Auftrag des Autors durch tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany

Softcover

ISBN

978-3-347-91126-0

E-Book

ISBN

978-3-347-91127-7

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Vorwort

I: Bruno oder der Kiosk Der Spaziergang Die Nacht

Bruno oder der Kiosk

Der Spaziergang

Die Nacht

II: Der Schuhkauf Beachtlich Der Beweis

Der Schuhkauf

Beachtlich

Der Beweis

III: Die Untersuchung Einakter

Die Untersuchung

Einakter

IV: Gut gegangen? Das schwarze Büchlein Moses

Gut gegangen ?

Das schwarze Büchlein

Moses

GESCHICHTEN AN DER KREUZUNG

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Vorwort

Moses

GESCHICHTEN AN DER KREUZUNG

Cover

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

41

42

43

44

45

46

47

48

49

50

51

52

53

54

55

56

57

58

59

60

61

62

63

64

65

66

67

68

69

70

71

72

73

74

75

76

77

78

79

80

81

82

83

84

85

86

87

88

89

90

91

92

93

94

95

96

97

98

99

100

101

102

103

104

105

106

107

108

109

110

111

112

113

114

115

116

117

118

119

120

121

122

123

124

125

126

127

128

129

130

131

132

133

134

135

136

137

138

139

140

141

142

Vorwort

Kreuzungen sind mehr als Schnittpunkte von Straßen. Einmal konzipiert, lagert sich das Leben an: Haltepunkte für Bahnen, Busse und Geschäfte für den täglichen Bedarf. Es folgt, wer hier einen Standortvorteil sieht.

So auch an dieser Kreuzung! In einer süddeutschen Großstadt um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden, hat sie sich in Nachkriegsjahren zu einem kleinen Zentrum im Viertel entwickelt. Längst ist sie Element des Lebens geworden und hat ihre Rolle als Unterzentrum in der Stadt behalten. Dazu gehört auch die Grünanlage, die nach Verlagerung einer Bahnstrecke in den dreißiger Jahren entstand. Vormals führte die mitten durch das Viertel. Noch heute ist der aufgelassene Bahndamm als Strukturlinie in der Bebauung zu erkennen. Südlich die Stadtvillen Begüterter und nördlich – sowie an ihr selbst – das Wohngebiet der ‚Normalbürger’ der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts angewachsenen Stadt.

Der Autor, selbst seit zwanzig Jahren Bewohner eines nachträglich errichteten Gebäudes auf dem ehemaligen Bahngelände, lebt sozusagen auf dieser sozialen Grenze, die jedoch heute in solcher Deutlichkeit kaum mehr zu erkennen ist. Dafür sorgen Renovierungen beidseitig der Kreuzung. Die Preise für Wohnraum sind überdurchschnittlich angewachsen besonders in renovierten Altbauten.

Die elf ‚Storys’ dieses Buches widmet der Autor der Verschiedenheit der Bewohner des Viertels, Sonderlinge inklusive. Die sorgen mitunter für das Skurrile in seinen Erzählungen. Vielleicht haben sie sich flüchtig wahrgenommen, vermutlich nie getroffen, aber für sie alle ist die Kreuzung ein Bezugspunkt ihres Alltags. Der Kiosk vor dem Haus spielt dabei eine besondere Rolle.

Roland E. Ruf

I

Bruno oder der Kiosk Der Spaziergang Die Nacht

Bruno oder der Kiosk

Aus Sicht der Verkehrsplaner ist die Kreuzung nur zu Stoßzeiten stark frequentiert – so das dürre Ergebnis einer Langzeitstudie. Bildet sich auf dem Autobahnzubringer ein Stau oder ist die Innenstadt gesperrt, nimmt der Verkehr rapide zu. Auf der Suche nach Schleichwegen drücken dann die Fahrzeuge im Pulk über die Kreuzung. - Motorisierte Lemminge kennen kein Pardon.

Zwei Straßen stoßen hier von Osten auf die Nord-Süd-Traversale durch das Viertel. Zwischen diesen beiden zunächst ein Parkplatz und Container für Glas, Altkleider und elektrische Geräte. Dahinter beginnt eine Grünzone auf der Fläche der ehemaligen Bahntrasse. Der verbliebene kleine Bahnhof ist heute Kulturzentrum im Stadtteil.

Von Westen mündet eine schmale Straße ein, eng bebaut und von der Kreuzung kaum einzusehen. Ampeln sucht man an der Kreuzung vergebens! Zu kompliziert und kostspielig, bei normalem Verkehrsaufkommen auch nicht hilfreich, wird die Stadtverwaltung im Bürgerblättchen des Viertels zitiert. Und so nutzt, wer sich im Recht glaubt, jede Chance. Fußgänger überqueren ohne Beachtung der Verkehrslage die Zebrastreifen. Autofahrer schieben sich in Reihen über die Kreuzung oder blockieren sie in plötzlicher Verwirrung. Und zwischen alledem die Radfahrer! Einzig die Tram nötigt zur Vorsicht. Resultat – oft ein Durcheinander!

„Sie gehören wohl zur Autofahrerlobby!“, schrie mich unlängst eine ältere Frau an, als ich mich auf dem schmalen Trottoir nicht an die Hauswand drückte. Mit gefülltem Gemüsekorb auf dem Gepäckträger sah sie sich genötigt, vom Rad zu steigen. Es fehlte nur noch der Zuruf: „Sie Rüpel!“

Die ‚Jungs‘ am Kiosk auf der Westseite der Traversale sind hier seit Jahren Stammgäste. Mit Bierflaschen in Feierabendstimmung oder aus Langeweile reagieren sie auf ihre Weise auf das Geschehen an der Kreuzung: „Haste den gesehen? Mann, der mit dem Stern quetscht sich noch vor die Tram. So ein Idiot! Kann der nur, weil andere aufgepasst haben.“

Die Straßenbahn hält mit surrendem Gebimmel, was den Typen auf der Kreuzung nicht beeindruckt. Stur schiebt er sich zentimeterweise über die Schienen.

„Das ist eben ein Erfolgstyp!“, sage ich zu dem in der weißen Malerhose am Kiosk. „Von dem können wir uns eine Scheibe abschneiden.“ Der Kerl lacht und schlägt mir gönnerhaft auf die Schulter: „Na, du gehörst doch nicht zu uns! Nebenan ne Eigentumswohnung, gell? Hast wohl dein Leben lang die Groschen zusammengekratzt. Ich habe dich hier noch nie mit der Bierflasche gesehen. Ha, bei mir war das anders! Aber ich sag dir gleich, ich bereu nix! Is’ schon lange Schluss mit lustig. Jetzt ein Bier am Nachmittag und eins am Abend: Das muss sein!“

„Nur eins?“ frage ich skeptisch.

„Ja, du klugschei . . . nender Mitbürger! Abends is’ hier nix los, und mich interessiert der Kram auf der Mattscheibe nich’ außer Fußball. Mir wirds zu eng in meiner Einzimmerwohnung und dann geh ich lieber früh ins Bett. Is’ sowieso besser für mich nach sechs OPs - ein Bier statt Schlafpillen!“

Und dann zählt er auf: Eine Niere raus, zweimal Rückenwirbel oben, Meniskus und ein Splitterbruch im linken Unterarm, weil es ihn vor zwei Jahren bei Glatteis hingehauen hatte. Ein harter Winter damals! Nach Tagen wollte er mal wieder zum Kiosk. „Gell, Werner“, sagt er zu dem Kiosk-Mann, „wir sind auch bei Eis und Schnee da. Auf uns ist Verlass!“

„Und die sechste OP?“, frage ich.

Er lacht: „Nur Statistik, der Blinddarm vor über dreißig Jahren.“

Er geht hinter den Kiosk zu den anderen Jungs. Einer fegt, ein zweiter gibt ihm technische Ratschläge, die anderen Anwesenden erörtern die Aussichten der Bayern auf die Tabellenspitze. Am Briefkasten nebenan lehnt ein älterer Mann, diskret die Bierflasche ans Hosenbein gehalten, und öffnet mit „Bitte sehr!“ die Klappe. Er ist mir bisher noch nicht aufgefallen.

„Ach der!“, sagt Werner. „Den habe ich die Tage schon mal am Briefkasten entdeckt. Das Bier bringt er noch selbst mit. Na, mal sehen, ob er den Weg zu uns schafft.“

Werner hält zu den Jungs, wie er sie bezeichnet. „Wissen Sie, Herr Ruf, der Jürgen“. . . - „Der mit der Malerhose und dem Ohrring?“ – „Ja, der! . . . hat einiges hinter sich.“ – „Ich hab’s vernommen: seine Operationen.“ – „Die auch! Danach ist es ihm erst dreckig gegangen!“ - Werner lehnt sich im schmalen Fenster vor. - „Also, nach irgendeiner der OPs kommt er aus dem Krankenhaus nach Hause: die Arbeitsstelle weg und die Frau mit beiden Kindern auf und davon.“ – „Seine Kinder?“ – „Natürlich seine! Die Frau, eine Kroatin, hat’s hier nicht mehr ausgehalten und ist in die Heimat zurück.“ – „Seinetwegen?“ – Werner lacht verhalten. – „Wahrscheinlich auch, aber Herr Ruf . . .“

Er muss unterbrechen, eine sportlich-elegante Frau, um die Vierzig, reicht ihm einen Lottoschein.

Ich warte, sehe mir die ausländischen Zeitungen auf dem Ständer an. La Stampa, Corriere della Sera, Express, außerdem die Tageszeitungen der Nachbarn aus der Schweiz und dem Elsass, El Pais, dann ein türkisches Blatt, Financial Times . . . Erstaunlich, was an dieser Ecke des Viertels geht!

Die Dame löst sich vom Bord an Werners Schalterfenster. Mit dem Kopf gibt er mir Zeichen. Ich drehe mich um und sehe, was er meint: An einem Ungetüm von Auto, einem SUV, öffnet sie die Wagentür.

„Die hat eben für rund hundert Euro Lotto gespielt, wie jeden Monat“, flüstert mir Werner zu. – „Hat sie schon mal satt gewonnen?“ – „Ach wo! Höchstens Kleinbeträge. Müsste ich doch wissen! - Zurück zu Jürgen, Herr Ruf!“ Er könne sich über ihn nicht beklagen: Korrekt, lässt nicht anschreiben und ist zuvorkommend gegenüber Kunden, sieht den Abfall vor dem Kiosk und holt hinten den Besen. „Also der ist in Ordnung!“, sagt er. Andere machen schon mal Probleme. Die Kunden würden ja nicht durchweg freundlich auf die Jungs reagieren.

Unvermittelt meint er: „Herr Ruf, ich habe Sie beobachtet, wie Sie den Zeitungsständer durchgemustert haben. Da kommt ab und zu, so um die Mittagszeit, eine Jüngere, ärmlich, aber ordentlich. Die liest hier fast zwei Stunden lang Zeitung. Sind Sie der auch schon mal begegnet?“

„Nein, die ist mir noch nicht aufgefallen.“

„Mit der Frankfurter fängt sie an, dann nimmt sie sich die Süddeutsche vor und schließlich die Financial Times. Bevorzugt Wirtschaft, kann wohl Englisch. Solche Typen gibt’s hier auch. Sonst weiß ich nichts über sie. Sie spricht nicht viel, und mit den Zeitungen geht sie vorsichtig um. Na ja, ich lasse sie halt machen, wird knapp bei Kasse sein!“

Jürgen huscht von hinten heran, knallt Münzen auf den Zahlteller, nuschelt: „Gib mir mal!“ Werner greift ins Regal und legt einen Flachmann aufs Brett. – „Is’ heute ne Ausnahme!“, raunt mir Jürgen zu und verschwindet wieder hinter dem Kiosk.

„Ja, das ist eine Ausnahme!“, sagt Werner. „Er wird Schmerzen haben. Kommt ab und zu bei ihm vor“ - er lacht -, „und alleine leert er das Ding da hinten sowieso nicht.“

*

Gegen Mittag hole ich am Kiosk in der Regel die Tageszeitung, kaufe zweimal wöchentlich Äpfel, hin und wieder Gemüse und ab November Feldsalat. Besseren kenne ich nicht. Alles aus eigenem Anbau, von drüben, den Lösshügeln dem Rhein zu. Meistens verbinde ich den Gang zum Kiosk mit Einkäufen in umliegenden Geschäften - der Neukauf-Filiale, der Bäckerei an der Ecke, der Apotheke, jenseits der Kreuzung der Gemüseladen der Chinesin. Daneben eine chemische Reinigung und weiter vorne der Drogeriemarkt neben dem Blumenladen, schließlich eine Buchhandlung und der Friseur - gegenüber ALDI, ein Reisebüro und die Sparkassenfiliale. Zwischen all den Läden diverse Arztpraxen und vereinzelt Rechtsanwälte. Ein kleines Zentrum um die Kreuzung.

Vor ALDI und Neukauf wird gebettelt. Die Bettler vor Neukauf kennt man mit der Zeit. Sieht so aus, als hätten sie einen Wochenplan abgesprochen. Vorgestern war wieder der servile Alte da, der sich ständig verbeugt und gute Wünsche für den Tag bereit hat. Der mit dem Hund sitzt nur stumm da, einen Plastikbecher vor sich und dreht Zigaretten. Ein anderer hockt mit untergeschlagenen Beinen auf einem Kissen und liest in längst vergessenen Romanheftchen aus der Altpapiertonne. Die Dicke im Rollstuhl kann unangenehm werden. Wer zu nahe vorbeikommt und nichts gibt, vernimmt schon mal eine derbe Bemerkung.

Die Gegend - kein schlechtes Viertel, sowohl für Bewohner, als auch für die am Rand der Gesellschaft. Nennen wir sie Tagesgäste.

Ach ja, da ist noch das Kloster gegenüber – ehemals Franziskaner, jetzt verwaist. Mittags, so ab elf, gab es an manchen Tagen warme Suppe. Eine Regel konnte ich nicht erkennen. Bis zu einem Dutzend Obdachlose fanden sich von Frühjahr bis Herbst ein, mit Rucksäcken, aufgerollten Isoliermatten und prall gefüllten Plastiktüten - in Wintermonaten nur einzelne.

Sie saßen unter dem Vorbau auf der Treppe. Aus der spaltbreit geöffneten Pforte wurde ihnen in Schüsseln die Suppe gereicht.

„Mit denen hatten wir nichts zu tun“, meinte Werner mal. Das klang geringschätzig, und Jürgen, mein mittlerweile Vertrauter am Kiosk, sagte nur - „Ach die!“ - und winkte ab. – „Nein, nein!“, ließ daraufhin Werner aus seinem Kioskfenster hören. „Das ging da drüben schon in Ordnung! Das waren die Ärmsten der Armen, lebten auf der Straße. Von denen ist noch kaum einer mal bei mir gewesen. . . . Aber Herr Ruf, Sie haben mich doch letzte Woche gefragt, ob die Bettler auch hierherkommen. Gestern Abend war der mit dem Hund da, so gegen sechs. Ich war schon beim Aufräumen. Da schiebt er mir eine Plastiktüte mit Münzen zu, eine richtig pralle, und meint: Zähl mal! Du brauchst doch Kleingeld morgen früh. - Ja, das stimmte, und ich habe gezählt.