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Szenen mit Töchtern...... Um den Alltag mit seinen beiden Töchtern Anna und Franziska, das Bemühen um Vertrauen und Verlässlichkeit, geht es Roland E. Ruf in diesen Erzählungen. Einfühlsam und authentisch nimmt er uns mit auf die Reise im Auto mit der kleinen Anna, in Diskussionen mit Franziska, in kritische und komische Situationen bis weit in beider Erwachsenenalter hinein. Szenen mit Töchtern - ein anschauliches Plädoyer für die Bedeutung gegenseitiger Wertschätzung von Generation zu Generation. -Lesenswert!
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Seitenzahl: 109
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Der Autor
Roland E. Ruf * 1939
lebt und arbeitet in Freiburg im Breisgau
www.roland-e-ruf.de
Roland E. Ruf
Szenen mit Töchtern
Erzählungen
© 2022 Roland E. Ruf
Lektorat, Layout, Cover-Design, Fotografie:
Inge Reuter-Eck
Druck und Distribution im Auftrag des Autors
durch tredition GmbH, Halenreie 40-44,
22359 Hamburg, Deutschland
Paperback
ISBN 978-3-347-72056-5
e-Book
ISBN 978-3-347-72063-3
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter:
tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.
Vorwort
Bin ich gewollt auf dieser Welt? Diese Frage hat sich vermutlich schon fast jeder gestellt, sie auch ausgesprochen in einer Situation, die zu einer unumgänglich gewordenen Selbstbesinnung veranlasste, oder kokett bis ironisch gemeint, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Oft bleibt sie aber nur zu vermuten.
Schon als Kind, so erzählte mir Roland, geriet er in den Sog dieser Frage nach dem Sinn des Inder-Welt-Seins, betroffen von Krieg, Flucht und dem Mangel an so gut wie allem. Selten bleiben solche bedrohlichen Erlebnisse ohne Auswirkungen auf die Seele. Erwachsene empfinden sich als ausgegrenzt, entwurzelt, nicht mehr gebraucht, neigen schlimmstenfalls zum Suizid. Für Kinder bleibt das Unwägbare eine Quelle von Ängsten. Ersetzt nicht Erfahrung die Angstfantasien, wird der Gang in den dunklen Keller vermieden, selbst bei friedlicher Annäherung eines Hundes die Straßenseite gewechselt. Den achtjährigen Roland warf der Bademeister ins tiefe Wasser eines Schwimmbeckens. Ein traumatischer Kampf für ihn, trotz der ‚Schwimmbüchse‘1, die er trug. Fehlt es an verständnisvoller Führung, bleibt der Verlust des Selbstvertrauens durch solche Situationen eine Wunde, die bis zum Erwachsenenalter bestenfalls vernarbt.
Der Vater verhielt sich gegenüber Roland, dem ältesten seiner vier Söhne, diesem Bademeister vergleichbar. Obwohl der Grundschullehrer auf seine verzögerte Gesamtentwicklung hingewiesen hatte und deshalb Englisch als erste Fremdsprache empfahl, meldete er ihn am Gymnasium für die Lateinklasse an. Resultat - eine Fünf in Latein und in keinem Hauptfach eine Zwei - die etwaige ‚Schwimmbüchse‘. Mit nur einer Fünf war zwar die Probezeit überstanden, doch der Vater beorderte ihn zurück an die Volksschule -, das weniger tiefe Wasser‘, wie Roland es empfand. Zum verletzten Selbstvertrauen kam die Angst vor Fremdsprachen und die Scham.
Und seine Mutter? Roland beschrieb sie mir als einfühlsam, aber zu schwach, um sich dem tonangebenden Vater in den Weg zu stellen.
Dem ging voraus - zusätzlich erschwerend für das Kind -, dass die Ehe seiner Eltern auf Druck der Großmutter mütterlicherseits zustande gekommen war. Die ledige Tochter war schwanger geworden für ihre Mutter nur peinlich vor ‚den Leuten‘. So fragte sich Roland bereits als Kind, was gewesen wäre, wenn es ihn nicht gegeben hätte.
Mit den Jahren erwachte in ihm eine von Trotz gelenkte Selbstbehauptung, die ihn nach einer als Branchenbester abgeschlossenen Lehrzeit auf den Weg brachte, der ihm das verhieß, was er sich bereits als Jugendlicher erträumt hatte: den Beruf des Lehrers, eine von Liebe bestimmte Ehe und Töchter - sozusagen das Gegenprogramm zu seiner Herkunftsfamilie.
Nun traf ihn - und seitdem kenne ich ihn - als Vater diese Frage nach dem ‚Gewolltsein‘, die Anna und Franziska zwar nie wörtlich gestellt haben, die er aber in Erinnerung an seine Jugend prinzipiell in ihren Köpfen vermutete. Von Anfang an fühlte er sich dafür verantwortlich, dass beide diese Frage, obwohl sie durchaus Krisen zu bewältigen hatten, mit einem Ja beantworten konnten.
Von dem Bemühen, das Fundament des Vertrauens über die Jahre bis weit ins Erwachsenenalter hinein zu erhalten und zu festigen, erzählt Roland in diesem Buch. Dabei entstehen selbstverständlich Zeitbilder der erinnerten vierzig Jahre und schimmern als Kulisse im Hintergrund. Über diese hinaus sind Szenen mit Töchtern jedoch ein grundsätzliches Plädoyer für die Bedeutung der gegenseitigen Wertschätzung von Generation zu Generation.
Im August 2022
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Als seine Töchter klein waren, hatte ich als Architekt mit Roland zu tun. Jetzt sind wir beide im Ruhestand, Freunde geworden, und ich lese gerne seine Manuskripte, zumal er offensichtlich etwas übrighat für Architekten. Er hat mich gebeten, das Vorwort für dieses Buch zu schreiben. Mein Name spielt hier keine Rolle. Nennen Sie mich einfach Felix.
1 Zu der Zeit eine zugelötete Büchse für Gasmasken, als Schwimmhilfe, mit einer Kette um den Oberkörper befestigt
SZENE 1
Rückfahrt
1974
Es war etliche Kilometer nach Troyes, als wir endlich an die Stelle kamen, wo die Straße zum Lac de la Forêt de l’Orient von der N 19 abzweigte. Anrührend, wie Anna mit angewinkelten Beinen auf der Rückbank schlief. Die letzten hundert Kilometer in der Dämmerung waren quälend gewesen, trotz mehrfachen Wechsels am Steuer, und wir zu müde, um uns nach einem Restaurant für eine Pause umzusehen. Strapaziös, dieser erste Rückreisetag.
Was hatten wir uns nur zugemutet - vor allem dem Kind! Das ‚große weite Meer‘ sollte es erleben, wir Landschaften und Orte wenigstens streifen, die wir aus Büchern und Filmen kannten und die unsere Frankreich-Romantik angestoßen hatten. Zu einer Art Bummeln sollte die Reise zum Atlantik werden, das Zelt dort aufgeschlagen, wo wir auf in inneren Bildern gespeicherte Sehnsüchte zu treffen meinten.
Doch bitte alles ohne ‚Kulturzwang‘, sich nur vom Auge führen lassen. Unsere kleine Tochter würde schon zu ihren Erlebnissen kommen, wenn wir sie mitnähmen, mit ihr in Kathedralen im Licht der bunten Fenster über deren Höhe und Weite staunen, in Schlössern an der Loire die Ausstattung aus glanzvollen Zeiten bewundern und in Schlossgärten über Terrassen mit kunstvoll beschnittenen Sträuchern, vorbei an Blumenrabatten zu Brunnenbecken gelangen.
Durch enge Gassen in alten Städten wollten wir schlendern, innehalten vor für sie und uns seltsamen Geschäften. Auf Märkten lebende Seefische und Krabben in Bottichen betrachten, uns vom Schwall der Gerüche zu bunten Gewürzständen locken lassen. Die kleinen Köstlichkeiten der Pâtisserien im Salon de thé probieren, anschließend auf dem Platz vor dem Hôtel de Ville bei Straßenmusikanten verweilen, während sich die Tochter am Kinderkarussell im Schatten der Platanen erfreut, von Königskutsche bis zum Feuerwehrauto mit Glocke. Danach würden wir erschöpft und hungrig ein Restaurant im historischen Zentrum der Stadt aufsuchen. Der Kellner in der Dreiviertelschürze würfe im Vorübergehen die Speisekarte auf den Tisch, die in rätselhaften Wortkombinationen Überraschendes verspricht.
Alles kalter Kaffee - es kam anders!
An der Atlantikküste regnete es schier ununterbrochen. Auch nach einer Woche keine Aussicht auf Wetterwechsel. Es gab nur eins: Am Morgen in der Nässe das Zelt abbauen, abreisen! Anna, sechs, hatte am Vortag erhöhte Temperatur, und wir schnupften und husteten. Doch offen gesagt, das Wetter war nicht der ein-zige Grund, eher Anlass, dass Rita und ich uns immer wieder fragten, wie es Franziska gehen mag. Die dreijährige Schwester war bei den Großeltern geblieben. Das erste Mal ohne uns, und wir mit zunehmend schlechtem Gewissen unterwegs. Das kam hinzu - und war doch eigentlich zu ahnen. Die Hoffnung, nach ‚Kinderjahren‘ nun endlich reisen zu dürfen, war stärker - und zerfloss nun in den Regenströmen eines ortsfesten Tiefs.
Das Netz der französischen Autobahnen Richtung Osten wies noch große Lücken auf. Über Paris wäre es zwar möglich gewesen, auf der Autobahn zu bleiben, doch die Orientierung im Verkehr einer Millionen-Metropole schreckte uns ab. - Und dann in einem bepackten Kleinwagen auf der Autobahn? Wir wären kaum über 90 km/h gekommen, eingeklemmt zwischen Lastkraftwagen im Gestank ihrer Abgase. Also zurück Richtung Rheinebene auf möglichst direkter Linie über rote Routes Nationales und weiße Regionalstraßen auf den Michelin-Karten.
Das war Ende Juli 1974. In einem NSU-Prinz waren wir unterwegs, nicht so eng wie vormals Ritas alter Käfer und flotter als der betagte Benz-Diesel, den uns vor sechs Jahren ihre Eltern überlassen hatten. Der schlich den Lkws hinterher, schaffte an Steigungen das Überholen nur mit Anlauf. Leider erwies sich auch das Fahrverhalten des erst kürzlich erstandenen Jahreswagens auf langer Strecke als nicht so aristokratisch, wie seine Typenbezeichnung suggerierte. Den ‚Prinz‘ bei Seitenwind und in engen Kurven auf der Fahrbahn zu halten, das verlangte Aufmerksamkeit und geschicktes Wechseln vom Gas- zum Bremspedal. Mit seinem Heckmotor war er vorne einfach zu leicht.
Schließlich der Schock: Beim Start heute früh hing nach dem Anlassen das Gaspedal durch. Unter Vollgas heulte der Motor im Leerlauf. Was tun im Dauerregen? Rita, kreidebleich aber autoerfahrener als ich, meinte: „Mit Gefühl die Kupplung kommen lassen, Fahrt aufnehmen, wieder auskuppeln, wenn der Wagen rollt, dann das Spiel von Neuem beginnen. So schaffen wir die fünf Kilometer zum nächsten Ort. Dort wird man uns hoffentlich helfen.“
Wir stellten das Warndreieck ins Rückfenster und hoppelten in Schüben zur Tankstelle im Nachbarort. Ein uns verblüfft entgegen schauender Tankwart öffnete hinten die Motorhaube. Sein Kopf verschwand, die Hand wackelte an Kabeln und Schläuchen. Dann erhob er sich aus der gebückten Haltung, schwenkte nachdenklich den Kopf: „Tout va bien!“, meinte er ratlos. Motor probeweise anlassen - gleiches Resultat. Rita fragte nach einem réparateur. Eifriger Wortschwall, zwei Hände wiesen die Straße hinauf, formten so etwas wie ein Firmenschild. Ich verstand nur garage und atelier agricole.
Geduldig hörte sich der Fachmann für Landmaschinen und Motorfahrzeuge aller Art an, was Rita ihm auf Französisch erzählte. Würde sie sich verständlich machen können? Technische Begriffe vermeidet sie sie bereits in der eigenen Sprache, umschrieb daher wortreich das malheur. Ich versuchte es mit Zeichensprache. Wortlos öffnete der Mann die Motorhaube, suchte und fand sogleich den Fehler: Voilà, le ressort spiral! Er hängte eine erschlaffte Spiralfeder aus und hielt sie uns hin: cassé!
„Ressort muss Feder heißen, habe ich noch nie gehört“, raunte Rita. Der Mann, etwa sechzig, schaute sie zunächst erstaunt an und meinte dann gelassen: „Alors, sprechen wir deutsch!“
„Ich habe diese Art ressort nicht. Nur für“ - er suchte nach einem Wort - „tondeuses à gazon.“ - „Vermutlich Rasenmäher mit Benzinmotor“, flüsterte Rita. - „In Frankreich pas de chance, peut-être in Paris. Werde jetzt versuchen, drehen le truc.“
Daraufhin verschwand er in der Werkstatt, kam nach etwa 20 Minuten mit einer Spiralfeder zurück, die dem gebrochenen Teil glich und setzte sie ein. „Starten Sie le moteur!“ Der lief nun im Standgas einwandfrei. Der Mann zog den Kipphebel des Vergasers, an dem er sie eingehängt hatte, - der Motor heulte auf. „Bien, ça marche!“ meinte er, schloss die Motorhaube und rieb zufrieden die Hände an einem Tuch ab. „Nehmen Sie éventuellement Route über Schweiz. Dort hat man auch diese Enn-Esse-Üü, ist mehr sicher.“
Er klopfte auf die Motorhaube und meinte selbstbewusst: „Aber ich meine, ce truc hält!“
Nachdem ich die Geldbörse aus dem Handschuhfach geangelt hatte, wehrte er sofort ab. Dann erzählte er: Als junger Soldat sei er in deutsche Gefangenschaft geraten und kam auf einen Bauernhof im Allgäu. Er zuckte mit den Achseln. „Keine Männer da. Alle im Krieg, Madame! Und an mich gerichtet: „Monsieur, dort bin ich gewesen fünf Jahre der Bauer. Nicht leicht, aber besser als Lager.“ Er lachte verlegen. „Zeit, lernen die Sprache. Aber jetzt ich spreche fast nix deutsch. Immer weniger Wörter im Kopf - keine occasion.“ Er hob die Arme: „Mon Dieu, man war gut zu mir - alors, dann ich auch helfe!“
Der Prinz tat nun wieder, was man von ihm erwarten durfte: ordentlich beschleunigen. „Rooland, bei deiner Fahrweise wird Anna bald spucken. Willst du’s etwa darauf ankommen lassen und bis Bruchsal durchfahren? Mach langsam, wir übernachten nochmal in France!“
„Ich hab Duurst . . . möchte bitte eine Orangina!“, quengelte die Tochter.
„Mittagszeit, Rita! Bei Les Routiers pausieren die Brummi-Fahrer, das möchte ich nutzen. Die Straßen sind wie leergefegt, der Regen hat aufgehört. Etwa bis Troyes sollten wir’s heute auf jeden Fall schaffen. Der Karte nach noch ein ordentliches Stück, und Annas Orangina bekommen wir an einer Tankstelle.“
„Nein, Roland! Wir machen es genauso wie die Kerle im Unterhemd: Pause! Sobald Anna getrunken hat, sollte sie auf eine Toilette, will dann vermutlich auch Pommes mit Wurst. Mir wäre jetzt eine Salatplatte recht, und du bekommst dein FernfahrerSteak.“ Sie beugte sich vom Rücksitz vor und kurbelte das Seitenfenster halb herab. „Ich halte mal Ausschau. Anna machst du mit?“ Sie beschrieb ihr das blaurote Schild, und Anna war sofort dabei.
„Gleich da vorne, Papa!“- „Roland, halt doch mal an!“, kam alle zehn, fünfzehn Minuten vom Rücksitz.
Einmal war die Zufahrt nicht rechtzeitig zu entdecken gewesen, andermal der Parkplatz belegt, aber endlich, nach einer Stunde wieder das blaurote Schild! Direkt an der Straße ein schmuckes Haus mit Geranien vor den Fenstern, mit Tischen und Stühlen unter Sonnenschirmen und einem großen Parkplatz voller Pfützen, kaum belegt, daneben eine Pferdekoppel.
Da waren wir richtig und belegten einen der runden Tische im Freien. Die Wolkendecke hatte sich gelockert, ließ hin und wieder die Sonne hindurch. Anna hatte ihre Orangina vergessen, rannte gleich zum Gatter an der Weide.
Pommes frites und Bratwurst für Anna und dann Zitronencreme, für uns das Tagesmenu und hinterher, beim Studium der Straßenkarte, Kaffee. Ihre angebissene Wurst habe ich gegessen, Rita den Rest Pommes frites. Anna hatte keine Zeit - die Pferde! Vom Dorfladen gegenüber holten wir noch zwei Baguettes, ein ordentliches Stück Käse, gekochten Schinken in Scheiben und drei Flaschen Mineralwasser.
„Wer weiß, wann wir wo etwas zu essen bekommen und - vor allem! - ein Hotelzimmer. Wenn das schiefläuft, müssen wir durchhalten!“, stöhnte Rita und verstaute den erworbenen Proviant im Fußraum vor dem Beifahrersitz.