Gleichheit, Nächstenliebe, Gerechtigkeit - Manfred Chaluppa - E-Book

Gleichheit, Nächstenliebe, Gerechtigkeit E-Book

Manfred Chaluppa

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Beschreibung

Vom Anfang der Nächstenliebe bis zum Sozialstaat. In erzählerischer Darstellung, suchend nach einer Antwort.

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DAS BUCH

Vom Anfang der Nächstenliebe bis zum Sozialstaat. In erzählerischer Darstellung, suchend nach einer Antwort.

Dieses Werk wurde im Zeitraum 1976 bis 2021 verfasst.

DER AUTOR

Geboren 1944 im damaligen Ostpreußen, besuchte Manfred Chaluppa die Volksschule und wurde von Beruf Maschinenschlosser. Nach einer Berufsqualifizierung erhielt er die Möglichkeit, an einer Fachhochschule und Universität zu studieren. Die meiste Zeit seiner Berufsjahre war er als Sozialpädagoge mit der Betreuung neuro-psychisch Erkrankter beschäftigt.

Er ist ein begnadeter, guter Zuhörer und macht sich stets Notizen über Gespräche. Nun fühlt er, dass seine Lebenserwartung immer kürzer wird. Auch das abnehmende Suchen hat ihm die innere Ruhe verschafft, all diese Mitteilungen in seinen Erzählungen darzulegen. Die Mitteilenden wurden dazu von ihrer Zahl her immer weniger.

Inhalt

Wegweisender Überblick

1.

TEIL

Von der Nächstenliebe hin zur Suche nach Gerechtigkeit

Ein prägendes Erlebnis

Der Weg hin zum Sozialstaat – Die gegenwärtigen Familienstrukturen

Nun das Familiengespräch

Familien in der Antike und das Aufkommen der Nächstenliebe

Religion-Staat und dessen Verständnis von Nächstenliebe

Nächstenliebe als barmherziges Almosen

Der Beginn der Fürsorge durch Wohlfahrt

Die Bauern und ihr Gottesglaube

Revolution und Vernunft zur Gerechtigkeit

Anteilnahme mit den Notleidenden

Arbeit und soziale Absicherung

Entwicklung der Demokratie mit sozialrechtlicher Präambel

Gesetzliche Neufassung der Grundsicherung für Arbeitsfähige

Gesetzliche Neufassung der Reha-Teilhabe von Behinderten

Digitalisierung als Chance für Behinderte

Methoden der Sozialarbeit durch ein Fördern und Fordern

Einzelfallgespräche

Gruppenarbeit

Lösungsorientierter Einzelfall

2.

TEIL

Gerechtigkeit, kommst du wieder?

Wegweisende Einführung

Aufrecht begreifend zum Führer

Der Führer findet den Unbegreiflichen

Die Sünderin wird verschlungen

Glauben in Demut nach ewigem Leben

Im hoffnungsvollen Glauben mit seinem Nächsten

Ein Herrscher, ein Gottgewollter

Geistiges Handeln in Eigennutz

Es bleiben immer Gewinner und Verlierer

Eigennütziges, freiheitliches Handeln

Ablösung der Gewinner durch die Verlierer

Einzelherrschaft durch den Sieg der Verlierer

Die Beteiligung an dem eigennützigen Geist

Die Entscheidung für die Selbstverwirklichung, aber gegen das Leben

Geist und Leben in Hoffnung eins

Trauer, Auflösung, Suchen

3.

TEIL

Dasein verlangt nach Ausbeutung

Fragen an den Wanderer

Die Herleitung des Erschaffenen

Die Menschen, naturbezogene Wesen

Daseinsmuss zur Ausbeutung

Mit Wissen, was gerecht sein könnte?

Freiheit in Vernunft?

Freiheit, Technisierung und gerechteres Werden

Demokratie und sozialistische oder soziale Gerechtigkeit?

Ausbeutung trotz digitaler Entwicklung?

Ausbeutung als Realität

4.

TEIL

Vom Eingekerkerten zum Kerkermeister

Der Anfang wurde vollzogen

Der Mensch gebraucht die Natur

Der Mensch gebraucht seinen Nächsten

Nächstenliebe als Hoffnungsschimmer?

Freiheit und Gleichheit kommen sich näher

Soziale oder sozialistische Demokratie?

Ausbeutung der Natur und der Menschen zum Wohle aller?

5.

TEIL

Schließt er doch das Tor auf?

Schließt er doch das Tor auf?

Weitere Veröffentlichungen

Wegweisender Überblick

Es beginnt in der Gegenwart, mit der Unterhaltung in einer Familie.

Auslöser ist der Kampf des Sohnes. Dann der Einwand seiner Mama, dass eine Nächstenliebe schon vor sehr langer Zeit eingefordert wurde.

Wann geschah dieses? Erstmals aufkommend durch diesen Jesus?

Nein, nein! Sicherlich viel, viel früher schon. So mit dem Beginn der Zeit unter den Menschen des Beherrschens und den Beherrschten. Bestimmt traten viele auf, um das zu ändern. Unzählige, die dafür ihr Leben lassen mussten. Keiner kennt ihre Namen.

Weiter dann, das geschichtliche Werden, im Auf und Ab diese Nächstenliebe Realität werden zu lassen. Bis hin in die Gegenwart des Aufbaues eines demokratischen Sozialstaates, hier in diesem Lande.

Im Zusammenhang damit, dass aus der Suche nach einem »Miteinander« auch immer das Bemühen zu einem gerechten Dasein unter den Menschen erreicht werden könnte. Was ist gegenwärtig von diesem schon gegeben?

In den Folgen der einzelnen Erzählungen kommt es zu inhaltlichen Wiederholungen bestimmter Ereignisse. Mit dem Unterschied, dass diese sich verändernd in ihren Erscheinungen fortentwickelt haben. Auch wenn sich Geschehnisse von gestern niemals wiederholen, aus dem Vorherigen aber doch Neues erblüht. Das Heute trägt somit auch immer das Gestrige in sich.

Die Hauptakteure in dieser Erzählung sind die immer wieder auftauchende »Nichtfassbare« sowie auch dieses Unbegreifbare, das »Ewig Wirkende« in der Natur. Für die Gläubigen das Göttliche, der Allmächtige.

Die »Nichtfassbare« kann der Glaube, das Ideelle, die Hoffnung, das Sehnsuchtsvolle nach einer Heimstätte sein.

1. TEIL

Von der Nächstenliebe hin zur Suche nach Gerechtigkeit

Ein prägendes Erlebnis

Er vernahm dieses Wort. Er? Ein Suchender!

Welches war wohl gemeint?

Nächsten…? Liebe …?

Nächsten-Liebe!

Welch ein wohlklingendes, zusammengesetztes Substantiv. Immer wieder auftauchend in den menschlichen Gefühlswallungen. Doch wie sind beide Wörter belebend konkret zu füllen? Wem, welchen Fassbaren, kann man beide Wörter unterordnen, damit man sie von ihrem Inhalt her auch konkret begreifen könnte?

Das Wort »der Nächste« plastisch darzustellen, scheint nicht allzu schwer zu sein. Das hat man ja bildlich in all seinen Formen vor sich. Die Materie, die Erde, die Luft, das Wasser. Daraus die Wesen, wie Pflanzen, Tiere, Menschen. Es ist ja gegeben, alles ist erfassbar, wird begreifbar.

Doch dieses, was Liebe sein könnte? Erfassen wie eine Sache, einen Gegenstand, das scheint schier unmöglich zu sein!

So begab er sich, eigentlich nun schon sein ganzes Leben lang, auf die Suche, um zu erfahren, herauszufinden, was diese Liebe nun bedeutet, um diese konkret fassbar zu machen.

Oh, er hörte darüber unzählig viel Beschreibendes, in Gedichten, Romanen, in Liedern.

So hieß es: Liebe sei wie ein Rausch, eine Sehnsucht, ein Verzehren, ein unzerstörbarer Drang, ein besitzen Wollen; etwas Anbetungsvolles, ein Beherrschen, ein Folgen.

Sie sei auch so wie weiches Wasser, das aber doch den harten Stein höhlt. Wie ein scharfes Messer, das tief im Herzen brennt. Für den einen ein Rosen-, für den anderen mehr ein Dornenstrauch …1 So könnte man ewig Weiteres aufzählen, was nun alles so unter diesem Wort zu verstehen sei.

Doch dies alles gab dem Suchenden keine zufriedenstellende Antwort. Es war einfach nichts konkret Fassbares darunter.

Dann so, in seinen der Endlichkeit zuneigenden Lebensjahren, waren alle Familienangehörige zu einem festlichen Anlass zusammengekommen. Es befand sich auch eine junge Mutter mit ihrem Neugeborenen, ein wenige Monate altes Mädchen, unter ihnen. Sie hielt dieses behütend bei sich, liegend auf ihrem Schoß. Es schaute dabei, irgendwie verlangend, nach seiner Mama hoch. Diese fühlte sogleich, dass ihr Kindlein nach ihrer warmen Muttermilch ein Verlangen hatte.

Sie legte behutsam ihre Brust frei. Ihr Kindlein strebte sofort danach. Umschloss diese mit seinem Mündlein. Saugte so lange, bis es gesättigt sein Köpfchen wegdrehte. Die Mutter wiegte es nun weich in ihren Armen.

Ja, und dann fiel es ihm sogleich auf. Beide, Mutter und Kindlein, blickten sich sanft an und lächelten sich warmherzig zu. Es entstand, wie er es verspürte, dabei eine Atmosphäre, als wenn nun beide miteinander verschmolzen und zu einem Einheitlichen geworden seien.

Der Suchende, mitfühlend, spürte dies auch alles. Dann war es da, in ihm, das Empfinden, gefunden zu haben, was Liebe ist.

Es ist so einfach und doch so faszinierend: »Liebe ist Leben und Leben ist Lieben.« Ein zusammengehöriges Aufnehmen und Abgeben.

Oh, fiel ihm so ein, warum habe ich, um dieses zu erfahren, nur eine so lange Zeit dazu gebraucht?

Der Weg hin zum Sozialstaat – Die gegenwärtigen Familienstrukturen

Diese Familie, wie sie im Jahr 2020 auch hier in dieser Gesellschaftsstruktur vorzufinden ist, wird als Kleinfamilie bezeichnet. Großfamilien existieren ebenfalls. Aber meist mitgebracht von Migranten, die in ihren Traditionen hier wie in ihren angestammten Ländern weiterleben wollen. In der Erstgenannten gibt es meist nur ein, zwei Kinder in einem Haushalt, wohnend mit ihren Eltern. Bezeichnet als Ein-Generationen-Familie. Somit nicht mehr, wie zu früheren Zeiten, mit weiteren Angehörigen und Verwandten zusammenlebend.

Doch auch hier gibt es gravierende Unterschiede, wenn man die soziale Schichtenzugehörigkeit hinzuzieht. Es existiert ja eine sogenannte »gehobene Schicht«, die meist sehr vermögend ist. Dann auch die breite Masse der mittleren sozialen Schicht, mit normalem bis gut ausreichendem Einkommen. Des Weiteren noch, auch in hoher Zahl, die Ärmeren, genannt auch Unterschicht. Das von diesen erzielte Einkommen reicht häufig nicht für deren Lebensexistenz, sodass man auf staatliche finanzielle Unterstützung angewiesen ist. Diese wird aber meist von den Betroffenen, da nicht mit ihrem Ehrgefühl übereinstimmend, nicht in Anspruch genommen.

In der gehobenen sozialen Schicht haben die Frauen in der Mehrzahl auch eine gute Schul- und Berufsbildung oder einen Studienabschluss erhalten.

Mit den meist hohen finanziellen Einkommen wird zur Erledigung der häuslichen Arbeiten sehr häufig eine Haushaltshilfe beschäftigt. Somit können die Ehefrauen auch einer Berufstätigkeit nachgehen. Jedenfalls in den Morgenstunden, um dann nachmittags ihre Kinder zu betreuen. Deren Ehegatten teilen selten ihre Berufstätigkeit mit den Frauen. Bleiben in einer Vollzeitbeschäftigung. Zur Erziehung der Kinder wird sehr großen Wert auf eine gehobene Schulbildung gelegt und dass diese einen gymnasialen Abschluss, das Abitur, erreichen sollen.

Nur eins ist fast gänzlich verschwunden: Dass zur Betreuung der Kinder eine Kinderfrau oder auch nach der Geburt eine Amme angestellt wird. Der Tagesablauf für die Kleinen wird mehrheitlich von den Kindertageseinrichtungen oder den Schulen durchgeführt.

In den mittleren und unteren sozialen Schichten ist die Struktur der Familien noch anders geprägt. Überwiegend ist der Ehemann der Hauptverdiener. Die Ehefrauen nehmen, wenn es möglich ist, auch immer häufiger eine »geringfügige Beschäftigung« auf. Doch meist haben sie rein die Rolle einer Hausfrau und Mutter inne. Viele dieser Frauen haben nur eine »niedrige Schulbildung« und meistens keine Berufsausbildung mitgemacht.

Die Kommunikation in den Familien hat sich allerdings weiterentwickelt. Viele der Frauen sind nicht rein ihren Ehemännern untergeordnet. Der Wortschatz aller hat, wahrscheinlich mit durch die Beeinflussung der Massenmedien, zugenommen. Auch die Wissensanreicherung der Angehörigen hat sich gesteigert. Häufig ist dadurch der Wissensstand der Frauen höher als der ihrer Ehemänner.

Auch wenn die Kindersterblichkeit fast bei null liegt, so kommt es doch häufiger vor, dass die Kinder der unteren, aber auch mittleren Schichten alkohol-, nikotin- oder drogenabhängig sind.

1 Abgeleiteter Liedertext aus: Liebe ist wie wildes Wasser (Komponistin Amanda McBroom, 1979, USA).

Nun das Familiengespräch

»Oh Gott!«, so kam es entsetzt klingend aus dem Munde seiner Mutter hervor.

»Junge, wie siehst du denn aus! Wer hat dich denn so zugerichtet? Was ist mit dir passiert? Du hast ja einen hochroten Kopf. Deine Haare sind so zerzaust. Ja, und schrecklich, du blutest ja am Auge und an deiner Nase.«

Ihr Sohn schaute seine Mutter heldenhaft wirkend an, prustete dann sogleich los: »Dem anderen hab ich ganz schön seine Visage poliert.«

»Waaas?«, entkam es dieser.

»Ja, ja«, fuhr er fort. »Der wollte mir mein Taschenmesser nicht zurückgeben. Dies musste ich mir dann im Kampf mit ihm zurückholen. Auge um Auge, Zahn um Zahn«, posaunte er noch dazu.

Wer sei denn nun dieser andere, fragte seine Mama.

Ach, den kenne sie nicht. Der gehe mit ihm in eine Klasse. So ein Angeber und Aufschneider. Der gerne der Stärkste unter den Jungs sein mochte.

Seine Mutter desinfizierte nun seine Blessuren. Kämmte ihn fürsorglich und klebte auf die Wunde an seinem Auge ein Pflaster. Junge, Junge, meinte sie noch liebevoll zu ihm, er sei ja ein richtiger Krieger. Dann erhielt er noch ein leckeres Essen von ihr.

Seinem Vater, am Abend von der Arbeit heimkehrend, fiel die Verletzung an seinem Auge gleich auf.

Was denn da geschehen sei, fragte er ihn.

Der Bub zögerte etwas mit dem Antworten. Wollte ihm nicht so recht das, was geschehen war, erzählen.

Der Papa fühlte dieses Unentschlossene und forderte ihn auf, mit der Wahrheit nicht hinter dem Berg zu halten. Betonte dann noch, das mache erst den richtigen Menschen aus, nichts zu verschweigen.

Nun ja, meinte sein Sohn, er habe halt gegen einen anderen kämpfen müssen, der ihm was wegnehmen wollte. Das sei doch gerecht.

»Oder Papa?«, fragte er.

»Recht hast du, mein Kleiner.«

Wenn es sein muss, dann müsse man seinen Mann stehen. Auch mit Gewalt zu seinem Recht kommen. Sogar dem anderen eins hinter die Löffel geben. Man dürfe sich nicht unterbuttern lassen. So sei das überall. Nicht nur in der Schule, auch im Arbeitsleben. Ja, und das war auch schon so vor Abertausenden von Jahren.

»Man muss schon den Kampf aufnehmen, damit etwas besser, gerechter werden kann. Ja, das war auch unter den Menschen vor langer, langer Zeit schon so.«

»Wann war das denn?«, fragte der Sohnemann.

»Oh«, meinte der Papa, »das muss schon vor dreitausend Jahren, sogar in noch weiter zurückliegender Zeit gewesen sein, wie man erforschend dies entschlüsselt hat.«

So erkannten auch die zwei Philosophen Karl Marx und Friedrich Engels2, dass es damals unter den Menschen »Klassen« gab. Das Entscheidende ist, dass zwischen beiden ein nicht überwindbarer »antagonistischer« Gegensatz besteht.

Die einen existierten nur rein von der Aneignung der Arbeitserträge der anderen. Die Letzteren mussten arbeiten. Die Ersteren nicht, sondern nahmen diesen die erarbeiteten Werte weg, um leben zu können.

Sie nannten diese gesellschaftlichen Zustände eine »klassenartige Sklavenhaltergesellschaft«. Diese Ausbeutung der erarbeiteten Werte durch andere bestehe auch heute noch. So sehen es viele der darüber Bescheid Wissenden.

Einfügend in der nun weiteren Erzählung wird auch dargestellt, dass es gesellschaftlich die sogenannten »sozialen Schichten« gibt. Das bedeutet keine Verneinung des Klassenbegriffs. Es ist eine differenzierte Darstellung der menschlichen Gruppierungen in der Gesellschaft. Diese existieren, auch wenn nicht antagonistisch, aber doch in unterschiedlich erscheinender Lebensweise. Meist wird diese Definition von Soziologen gebraucht.

2 Karl Marx, 1818-1883; Friedrich Engels, 1820-1895; Philosophen, Theorie des Historisch-Dialektischen Materialismus. Orientierten sich nach F. Hegels idealistischer, dialektischer Philosophie. Lehnten aber die Vorstellung von einem »absolut objektivem Geist«, in dem, was erkennbar ist, ab.

Familien in der Antike und das Aufkommen der Nächstenliebe

Seine Mama hörte auch alles mit; meinte dann, mit etwas sanfter Stimme:

»Es gab mal da jemanden, genannt Jesus3, von dem ich weiß, dass er vorschlug, die Menschen untereinander sollten einen anderen Weg einschlagen. Das hat mir meine Mutter schon erzählt.«

»So, so«, kam die Frage vom Sohn herüber. »Was hat die Oma dann so alles gebabbelt?«

»Er, also Jesus, setzte sich dafür ein, dass man seinen Mitmenschen lieben solle, wie man sich selbst liebe.«

»Ja, aber der andere, der Heini, war doch derjenige, der mir Böses wollte«, prustete der Sohnemann ihr entgegen.

Mama fuhr aber ohne zu zögern weiter fort. »Dazu sagte dieser Jesus, wenn einer dir eine Ohrfeige gibt, dann schlag nicht zurück, sondern halte deine andere Wange hin. Bleib also friedfertig. Denn nur so erreicht man letztendlich etwas Gutes. Ein Miteinander wie eine Nächstenliebe.«4

»Puh, dann müssten aber alle untereinander, ob stark oder schwach, reich oder arm, Herr oder Untertan, gemeinsam an einem Strang ziehen.«

»Das wird es wohl nie geben«, meinte dazu der Papa. Falls man sich nicht zur Wehr setze, dann bilde der andere sich doch noch ein, dass er der Stärkste sei.

Die Mutter ergänzte weiter: »Dafür, dass die Menschen alle Brüder und Schwestern werden für diesen Glauben, nahm er sogar seinen irdischen Tod in Kauf.«

»Es ist ja sehr spannend«, meinte der Sohn. »Wie war das denn so damals, in der Zeit des Römerreichs mit den Familien?«

»Oh, dieses war die Zeit, als das römische Imperium bestand. So von 750 vor Christi an. Es wird auch Sklavenhaltergesellschaft genannt. Die Familien müssen sich in dieser Zeit sehr krass unterschieden haben«, erzählte sie weiter. Auch etwas glücklich über diese Neugierde ihres Kindes.

Es gab eine herrschende Oberschicht, auch Herrenklasse genannt. Das waren anfänglich erst die Könige und die Priester mit ihrem Hofstaat.

Dann, in der Zeit, als ein demokratisches System, die Volksversammlungen, ähnlich einem Parlament, eingeführt wurde, waren es meist die Großgrundbesitzer, der wohlhabende Adel, die Händler, Bauern, Handwerker, auch Patrizier genannt, welche mit einem Staatsapparat, den Beamten (Konsuln), dem Senat (Gewählte der Versammlungen), einer Justiz sowie Statthaltern und einer mächtigen Armee regierten.

Doch dann kam es zu einer Einzelherrschaft mit einem Cäsaren5 und weiter folgenden, genannt auch Kaisern. Die größte Machtentfaltung war zirka 100 Jahre nach Christi Geburt.

An sozialen Schichten kamen zu der oben Genannten recht breite Bürgerschichten hinzu, die auch ein Stimmrecht im Senat besaßen. Die waren meist recht vermögend. Dann gab es die Ärmeren, die Plebejer. Das waren Stadtbewohner oder Bauern, die eine Zeitlang, erfolgreich durch ihren Aufruhr, auch in den Vollversammlungen stimmberechtigt waren. Deren Stimmrechte waren aber häufig von den Reichen zu deren Gunsten einseitig abgekauft worden.

Die Familienstrukturen waren prinzipiell so gegeben, dass die Männer »absolute Oberhäupter« waren. Das durchweg in allen sozialen Schichten, außer bei den Sklaven. Die Frauen hatten sich ihren Ehemännern vollkommen unterzuordnen. Deren Männer hatten sogar das Recht zu strafen. Die Frauen durften alleine keine größeren Verträge abschließen. In den ärmeren Schichten versorgten sie im Haushalt die Familie. In den oberen Schichten hatten die Frauen dazu ihre Diener und Sklaven.

Unter den vielen Sklaven, die ja wie Arbeitstiere behandelt wurden, herrschte eine ganz andere Daseinsweise. Immerhin waren in der Machtblüte Roms, etwa 400 v. Chr. bis 300 n. Chr., über die Hälfte der dort Lebenden Sklaven. Sie durften weder Familien gründen noch als Familie existieren. Gebaren die Frauen Kinder, dann wurden diese zur Adoption an reichere Familien freigegeben. Oder, das gab es auch häufig, die Kinder wurden in Sammelbehausungen wiederum zu Sklaven oder Diener erzogen.

So krasse Unterschiede gab es damals in diesem Römerreich.

Deswegen war es kein Wunder, dass immer wieder Menschen dazu aufriefen, eine bessere und gerechte Welt zu schaffen. Oder auch, sich von ihrer Vernunft leiten zu lassen. Diese Lebensauffassung musste dieser Mensch mit Namen Jesus ebenso gehabt haben. Auch vor seinem Erscheinen gab es immer wieder diese Vorausschauenden, Propheten, die ähnlich Tugendhaftes den Menschen verkündeten.

Doch wie ein Wunder, lebte sein Rufen als ideelle Hoffnung, als Glauben, einem Bekenntnis zu etwas Göttlichem, welches auch die Menschen in ihren Handlungen erreichte, damit sie untereinander sich achten sollen, weiter. Die daran glaubten und so auch leben wollten, genannt nun Christen, hatten es damals sehr schwer. Sie nannten sich deswegen so, da sie darin überzeugt waren, dass Jesus, wie in der Bibel geschrieben stehe, der Messias, der gesalbte Heilskönig sei. Diese Bezeichnung heißt in der griechischen Sprache »Christus«. Sie konnten sich nur im Verborgenen treffen, denn sie wurden vor allem von den Herrschenden und deren Anhängern verfolgt, eingekerkert, gequält, sogar getötet. Es gibt Berichte darüber, dass sie gekreuzigt oder auch in großen Arenen, mit unzähligen sensationshungrigen Zuschauern, den Raubtieren zum Zerfleischen ausgesetzt wurden. »Brot und Spiele«, wie es hieß, das gefiel den meisten der dort Lebenden. Das hatte ihnen ihr Cäsar in Erfüllung einer angenehmen Existenz versprochen. Hier nun wurde es verwirklicht, und sie dankten es diesem mit ihrem frenetischen Applaus, aber auch angepasster Untergebenheit.

»Ja, warum denn das? Waren denn alle anderen, die dem Grausamen so zujubelten, alles böse Menschen?«, fragte der Sohn.

Nein, dies nicht, meinte die Mama. Sicher gab es damals auch schon viel Gutes. Nur passte es vielen nicht, dass diese Christen nur von einem einzigen Gott sprachen. Die meisten waren davon überzeugt, dass es viele Götter, überall im Verborgenen wirkend, geben musste. Vor allem galt das für diejenigen, welche außerhalb der Städte lebten. Diesen Heidemenschen. Die Christen bezeichneten sie danach als Heiden. Dann war es für die meisten auch noch unverständlich, dass es keine Unterdrückten, andere ihnen Ungleiche geben sollte. Keine Arbeitssklaven, keine Landarbeiter. Dass die Frauen gleichwertig wie die Männer sein sollten. Das empfanden viele der dort Lebenden nicht als etwas Unrechtes, sondern als ganz Selbstverständliches. Die Damaligen, auch die von einem Gottesglauben überzeugten, so auch die Juden mit ihrem Gott Jehova, sagten, dies habe ihnen dieser schon über einen seiner Propheten, genannt Moses, in seinem Heiligen Buch, der Thora, kundgetan. Es gebe Herren und Diener oder auch Sklaven. Die Frau sei ihrem Mann untertan. Damit musste es doch gerecht sein, so wie es nun war.

Andere Bewohner, die genügend Geld oder Vermögen hatten, um sich dadurch auch die Sklaven kaufen zu können, waren davon überzeugt, dass diese nicht, wie sie selbst, Menschen, sondern als ihre Arbeitstiere, so wie ein Stück Ware oder Werkzeug seien. Auch die Herrscher wollten ihre Macht nicht mit einem Gott als dessen Untergeordnete teilen. Da sie ja gegenüber dem Volk verkünden ließen, dass sie selbst erhaben, so wie Gottes Herrlichkeit an dessen Seite seien.

Dazu waren auch die befähigten Theoretiker, diese Philosophen, diese Schriftgelehrten, häufig in ihren Erkenntnissen überzeugt, es sei richtig, dass es nicht nur Herrscher und Beherrschte gebe, sondern unter diesen auch das Menschliche existiere. Ansonsten seien sie doch reine Arbeitswesen oder auch »Barbaren«, Rohlinge, die damit auch kein Recht hätten, wie die freien Bürger Roms als Menschen gleich behandelt zu werden.

Den damaligen Herrschenden waren diese weisen Aussagen sicherlich sehr genehm.

So dauerte auch die Verfolgung dieser christlichen Gemeinschaften mehrere Jahrhunderte an.

Religion-Staat und dessen Verständnis von Nächstenliebe

Bis dann der oströmische Kaiser Konstantin der Große6 zirka 300 n. Chr. in dem damaligen Byzanz, heutigen Istanbul, überzeugt werden konnte und sogar Anhänger dieser Christen wurde. Von seinem Machteinfluss müsse er deswegen nichts einbüßen, so überzeugten ihn einige der Apostel, die meist auch weise religiöse Philosophen waren. Es sicherlich damit auch erreichen wollten, dass der christliche Glaube, seine Lehre, nicht wie angenommen im Gegensatz der sogenannten antiken Philosophie eine vielzählige, bigottische Verehrung sei. Mit einem einzigen Gott sei auch er als Weltlicher der einzig berufene Herrscher, Auserwählte Gottes.

Mit dieser Zustimmung des Kaisers nahm die grauenvolle Christenverfolgung ein Ende, der ja auch so maßgebende Apostel, wie Petrus und Paulus, zum Opfer gefallen waren. Beide hatte man in Rom hinrichten lassen. Unter dem heutigen Petersdom, dem Papstpalast, soll Petrus begraben worden sein.

Überzeugen mussten diese, genannt auch christlichen Apologeten, die Herrschenden aber auch, dass die von Jesus geforderte Gleichstellung aller Menschen sich nicht auf die bestehende Ausbeutung der Sklaven bezogen hatte. In ihren Aussagen entfernten sie sich davon, dass das Gelingen der geforderten Gleichstellung dieser Arbeitssklaven und anderer Ausgebeuteten nicht mehr in der religiösen Ausrichtung von maßgebender Bedeutung sei.

Vielmehr setzten sie Inhalte, dass Herrschaft und Ungleichheit gegenüber ihren gläubigen Untertanen etwas von Gott Gewolltes sei. Es beweise auch, dass es ein Oben und Unten allgemein gebe. Das sei überall festzustellen. Im Himmelreich, in der Natur, unter den Tieren, den Menschen. All dies werde so von dem Göttlichen bestimmt, gelenkt. So blieb es dann auch bei dem bestehenden System, dass der Herrscher ein von Gott Bestimmter, sein ausersehener göttlicher Bote oder sogar Gleichgestellter sei. Die anderen seine Untergeordneten.

Die christliche Lehre wurde somit eine stabilisierende Doktrin der Herrschaftssysteme, so steht es in vielen Geschichtsbüchern.

Auch konnte sich damit die Annahme wieder festigen, dass es Gottes Wille, Entscheidung sei, wer von den Menschen Herrscher, Mächtigster, Reicher, Habender, sogar Klügster werde. Auch dem entgegengesetzt, wer als Untertan, Sklave, später auch Leibeigener, sogar in Armut mit Krankheit geschlagen, auf der Erde sein Dasein zu ertragen hatte.

Nächstenliebe als barmherziges Almosen

Es kam aber auch die Vorstellung auf, hergeleitet aus Jesus’ Bergpredigt, dass das Leben mit der Glaubenserfüllung der Barmherzigkeit gegenüber anderen erreicht werden könne. Vorbildlich dieser göttlichen Rücksichtsname gegenüber denjenigen, die an ihn glauben. Wer nun von Gott genügend bedacht worden sei, der solle doch dem Armen, dem Elenden etwas zukommen lassen. Ihm mit einem Almosen teilhaben lassen. Das habe Jesus in seiner Bergpredigt als Barmherzigkeit, Mitleiden verstanden und auch so verkündet, hieß es.

Als dieser nicht mehr real unter den Menschen Verweilende, aber doch als sich überall geistig Ausbreitender, dieses vernahm, wird er wohl in aller Traurigkeit eine Handvoll Sand über sein Haupt gestreut haben. Es muss wohl ein Symbol des Versagens dargestellt haben, dass seine Predigten, sein Aufrütteln, sich nicht so schnell erfüllten, eher wie Staub vom Winde davongetragen wurden. Es muss wohl noch eine weitere, lange Zeit folgen, damit man ihn vielleicht richtig annehmen werde, so meinte er, dieses in seinem Innern zu spüren.

Nun, mit dieser neuen Religion ließ sich nun vorzüglich herrschen!

Zwar kam es wegen der lebensverachtenden Behandlung von Gladiatoren, die zum Töten abgerichtet wurden, zu einem Aufstand, dem sich auch viele andere der Unterdrückten, der Ausgebeuteten, anschlossen. Dieser wurde aber dann doch niedergeschlagen. Deren Niederlage geschah auch wahrscheinlich deswegen, weil sie kein Konzept, keinen Plan, kein ideelles Ziel hatten, eine bessere Welt zu errichten, so wird es von einigen Geschichtsschreibern vermutet.

Jedenfalls orientierte man sich an diesem winzigen Überbleibsel der Nächstenliebe, der Almosengabe, um zu zeigen, dass man demutsvoll den auferlegten Geboten, von Gott so verlangt, folgte.

Etwa im vierten Jahrhundert nach der angenommenen Geburt Jesus wurden sogar die Gefolgsleute der Herrscher für ihr barmherziges Handeln, ein Almosen herzugeben, »heiliggesprochen«. Sowie auch der Bischof Martin7, derselbe angeblich in eiskalter Jahreszeit an einem frierenden Bettler vorbeiritt, dessen Elend bemerkte, mit seinem Schwert ein Stück von seinem, ihn warmhaltenden Umhang abschnitt und fürsorgend diesem Frierenden das Stück Stoff zum Aufwärmen überreichte.

Das war ein Almosen in höchster Reinheit. Vorbild des Mitleids für seinen Nächsten. Gedacht an diese gute Tat wird auch heute noch, am 11. November, dem St. Martinstag.

Die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse blieben lange Jahre weiterhin stabil. Wie wirkten sich diese in den Familienstrukturen aus?

Es war so in der Zeit des dreizehnten Jahrhunderts, als das Kaiserreich der Hohen-Staufer8 immer mehr an Machteinfluss einbüßte.

Hier in diesen deutschen Landen waren es die Adligen, die Fürsten, später sich auch selbsterhaben betitelnd als Kurfürsten, die immer mehr an politischem Einfluss erringen konnten. Die erbliche Regelung der Kaisernachfolge wurde abgeschafft. Die mächtigsten Fürsten »kürten«, bestimmten nun, wer als König eingesetzt werden sollte. Daher stammt die Bezeichnung »Kurfürst«.

Doch auch die Städte wuchsen immer mehr heran. Florierend durch die gestiegene Warenproduktion wurden die Kaufleute mit ihren Kontoren und auch deren Kreditgeber, die Geldbanken, immer einflussreicher. Dazu entfaltete sich zunehmend die Anzahl der handwerklichen, der textil- und nahrungserzeugenden Betriebe. Diese nun immer einflussreichere soziale Schicht nannte sich Stadtbürger. Deren Bezeichnung entstand dadurch, da sie um ihre Ansiedlungen, Städte, zum Schutz den Burgen ähnlich, stabile, hohe Mauern bauen ließen.