Gruselkrimi Romanpaket Extraband 1002 - W. A. Hary - E-Book

Gruselkrimi Romanpaket Extraband 1002 E-Book

W. A. Hary

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: (499) W.A.Hary: Labyrinth des Grauens W.A.Hary: Die lauernde Tiefe W.A.Hary: Hexentick W.A.Hary: Verflucht W.A.Hary: Der Pakt James Melvoin: Moronthor und Ashas Höllenfahrt Alfred Bekker: Die Mumien von Dunmore Manor Die Menschheit unmittelbar am Abgrund – nur ahnt sie nichts davon! Denn die vorher gegeneinander konkurrierenden Mächte des Bösen haben sich vereint, um das Schicksal der Welt zu besiegeln, und dies geht ausgerechnet von London aus. Tief unter der Millionenstadt indessen lauert ein schreckliches Geheimnis. Aber was hat es mit der globalen Bedrohung zu tun? Sie hockten schweigend und niedergeschlagen am Boden, als Rainer Bray vollends aus der Bewusstlosigkeit erwachte und erstaunt umherschaute. Stöhnend richtete er sich auf. „Was ist inzwischen passiert?“

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W.A.Hary. James Melvoin, Alfred Bekker

Gruselkrimi Romanpaket Extraband 1002

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Inhaltsverzeichnis

Gruselkrimi Romanpaket Extraband 1002

Copyright

​W. A. Hary Labyrinth des Grauens

​W. A. Hary Die lauernde Tiefe

W. A. Hary Hexentick

W. A. Hary Verflucht

​W. A. Hary Der Pakt

​Moronthor und Ashas Höllenfahrt

Die Mumien von Dunmore Manor von Alfred Bekker

Gruselkrimi Romanpaket Extraband 1002

W.A.Hary, James Melvoin, Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Romane:

W.A.Hary: Labyrinth des Grauens

W.A.Hary: Die lauernde Tiefe

W.A.Hary: Hexentick

W.A.Hary: Verflucht

W.A.Hary: Der Pakt

James Melvoin: Moronthor und Ashas Höllenfahrt

Alfred Bekker: Die Mumien von Dunmore Manor

Die Menschheit unmittelbar am Abgrund – nur ahnt sie nichts davon! Denn die vorher gegeneinander konkurrierenden Mächte des Bösen haben sich vereint, um das Schicksal der Welt zu besiegeln, und dies geht ausgerechnet von London aus. Tief unter der Millionenstadt indessen lauert ein schreckliches Geheimnis. Aber was hat es mit der globalen Bedrohung zu tun?

Sie hockten schweigend und niedergeschlagen am Boden, als Rainer Bray vollends aus der Bewusstlosigkeit erwachte und erstaunt umherschaute.

Stöhnend richtete er sich auf.

„Was ist inzwischen passiert?“

Ken erzählte es ihm und schloss mit den Worten:

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

​W. A. Hary Labyrinth des Grauens

„ Wen es verschlingt, gibt es nie wieder her!“

Mark Tate und Don Cooper sind immer noch unterwegs, zurück von dem kleinen Ort Hillock in Richtung London. Und dort werden sie dringend gebraucht. Es geht um nichts weniger als um die ganze Welt. Denn ausgerechnet in London scheint sich das Zentrum einer Zusammenballung des Bösen zu bilden, um die Welt endgültig in Besitz zu nehmen. Aber sie beide sind nun einmal mit einem Auto unterwegs und können nicht fliegen. Es sei denn…

Don drehte sich halb um und schaute kurz nach dem Daedrafürsten auf der Rückbank des Wagens. Dann richtete er wieder seinen Blick nach vorn auf die nächtliche Fahrbahn.

Es klang verbissen, als er fragte:

„Und wieso beschleunigst du nicht das Ganze, indem du uns nach London teleportierst? Den Wagen können wir dann ja später noch abholen. Ich meine, es wäre nun wirklich äußerst dringend.“

„Nein, nein!“, wehrte der grausig anzusehende Daedra erschrocken ab und hob auch noch beide Klauen, als wollte man ihn schlagen.

„Und wieso nicht?“, klagte ihn Don Cooper an.

Mir war das irgendwie unangenehm. Vor allem, weil ich schon ahnte, wie die Antwort ausfallen würde: Wieso überhaupt noch fragen? Kannten wir die sprichwörtliche Feigheit des Daedra nicht schon zur Genüge? Wir hätten eigentlich froh sein sollen, dass er uns überhaupt auch nur mit Informationen versorgte und sich nicht gleich schon gänzlich aus der Angelegenheit zurückzog. Und genau das konnte uns durchaus blühen, wenn Don nicht vorsichtig war.

Allerdings hatte Don überhaupt nicht vor, auch nur im Geringsten so etwas wie vorsichtig zu sein!

Ich befürchtete bereits das Schlimmste, während der Daedra endlich ausführte:

„Es geht deshalb nicht, weil das auffallen würde. Denn überlege doch einmal selber, Don: Wenn ich euch teleportiere, ist das eine Energieemission, die niemals unbeobachtet bleiben würde. Ich müsste mich dadurch outen. Mit der Gefahr, mich dem tätigen Angriff des Schwarzen Adels auszusetzen und auch der X-Organisation. Ich erwähnte ja schon, dass diese vorher dermaßen verfeindeten Fraktionen inzwischen gemeinsame Sache machen. Zumindest so lange, bis sie ihr oberstes gemeinsames Ziel, nämlich die Versklavung der Menschheit, geschafft haben.“

„War ja klar“, beschwerte sich Don. „Du hast ja immer Argumente parat, um deine Feigheit zu begründen.“

„Was heißt hier Feigheit?“, regte sich der Daedra jetzt auf. „Wenn ich euch auch in Zukunft zunutze sein soll, muss ich ja wohl überleben – oder?“

„Wie könntest du uns überhaupt in Zukunft von Nutzen sein, wenn wir nicht rechtzeitig in London eintreffen, sondern erst dann, wenn sowieso alles zu spät ist? Wir beide sind ebenfalls Menschen. Vergessen? Und wenn es dem Konglomerat des Bösen gelingt, die Menschheit zu versklaven und die menschliche Zivilisation endgültig auszulöschen, sind wir mit betroffen. Immer noch nicht begriffen?“

„Ihr werdet das schon schaffen!“, versuchte der Daedra, zuversichtlich zu wirken.

„Wie denn?“, brüllte Don Cooper ihn an und hieb mit beiden Händen auf das Lenkrad ein, dass man befürchten musste, es würde sich unter seinen Hieben verbiegen. Ich schaute unwillkürlich hin, konnte aber nichts dergleichen feststellen.

Kein Grund für mich, jetzt erleichtert aufzuatmen. Ich wollte mich aber auch nicht unmittelbar in den Streit einmischen, denn eigentlich konnte ich die Argumente von beiden Seiten nachvollziehen, so widersprüchlich sie auch klingen mochten.

Derweil fuhr Don Copoper unbeherrscht fort:

„Diese verdammte Karre hier hat es nun einmal nicht drauf, Überschall zu fahren oder sich gar in die Lüfte zu erheben. Würdest du uns teleportieren, möglichst nahe an das Geschehen heran jedoch…“

„Das wäre überhaupt völlig unmöglich“, unterbrach ihn der Daedrafürst und erschien dabei seltsamerweise wieder völlig ungerührt. „So genau weiß ich selber nicht, wo ein solches Zentrum zu finden wäre. Ich kann mich einfach nicht detailliert genug darum kümmern. Leider habe ich auch den Kontakt mit den beiden Wissenschaftsjournalisten Bing Darcel und Ken Kiley verloren. Seit sie mit diesem Rainer Bray zusammen sind, muss ich da verstärkt vorsichtig sein.“

Don Cooper seufzte ergeben und enthielt sich weiterer Worte. Ich sah ihm an, dass er alle Mühe hatte, nicht noch einmal die Beherrschung zu verlieren und sich stattdessen auf die Fahrt zu konzentrieren, damit wir nicht noch mehr Zeit verloren.

Wir kamen eigentlich ziemlich flott voran. Aber dennoch war damit zu rechnen, dass wir nicht vor Mittag am Ziel angelangt waren.

Ich hatte dabei zumindest eine Hoffnung: Dass uns nämlich der Daedrafürst rechtzeitig sagen konnte, wohin wir uns überhaupt wenden mussten, um nicht auch noch innerhalb von London unnötig Zeit zu verlieren.

Zumal wir nicht die geringste Ahnung hatten bisher, was uns vor Ort wirklich erwarten würde. Noch weniger konnten wir wissen, wie wir vorgehen mussten.

Dabei hoffte ich, dass es wenigstens gelang, wieder die Spur der Wissenschaftsjournalisten aufzunehmen, und dass sich der Daedra zumindest dahin gehend bemühte, sah ich, als ich kurz den Kopf wandte: Die Rückbank war leer. Der Daedra war spurlos verschwunden.

Befand er sich jetzt in London? Hatte er sich hin teleportiert, was für ihn absolut kein Problem bedeutete?

Und ich fragte mich in diesem Augenblick zusätzlich, wieso das für ihn selbst anscheinend völlig risikolos blieb, aber mit uns zusammen unmöglich erschien.

Nun, was sollten wir machen? Wir mussten ihm Vertrauen schenken, ob es uns passte oder nicht. Und vor allem Don Cooper passte es ganz und gar nicht, wie sein deutlich hörbares Zähneknirschen bewies…

*

Knapp nachdem der neue Tag erwacht war und sie sich mühsam durch den dichten morgendlichen Verkehr einen Weg gebahnt hatten erreichten sie ihr Ziel: Nämlich das Haus des toten Magiers und Astrologen Fermes, von dem immer noch neue Schriften veröffentlicht wurden.

Dazu hatten sie sich entschieden. Eben hierher zu kommen. Erstens sowieso, weil die beiden Wissenschaftsjournalisten Bing Darcel und Ken Kiley hier entscheidende Erkenntnis erlangt hatten im Rahmen ihrer speziellen Recherchen über okkulte Kräfte. Zweitens, weil Rainer Bray ihnen verraten konnte, dass er längst davon wusste, wie sehr dieses Haus eine besondere Rolle zu spielen schien. Er hatte zwar selber keine Ahnung, inwiefern sich dies überhaupt auswirkte, aber in Kreisen von echten Magiern war das Haus allgemein bekannt, weil sie es bei Annäherung deutlich genug spüren konnten. Allerdings war dieses Gefühl eher dazu geeignet, sie zur Flucht zu bewegen als zum Verweilen einzuladen. Das war auch der Grund dafür, dass sich niemand ernsthaft mit diesem Haus in der langen Zeit beschäftigt hatte, die es schon da stand.

Bing und Ken hatten solche Vorbehalte natürlich nicht. Sie waren ja auch keine Magier und hatten bei ihrer ersten Annäherung nichts von irgendeiner Ausstrahlung spüren können. Ganz im Gegenteil. Das Haus hatte sich sogar als äußerst kooperativ erwiesen.

Etwas, was Rainer Bray enorm wunderte – und ihm andererseits zu denken gab. Weshalb er sich keine Sekunde dagegen gesträubt hatte, sich als nächstes hierher zu wenden. Nach dem, was sie bereits hinter sich gebracht hatten, war sowieso klar für sie, dass sie eigentlich nichts mehr zu verlieren hatten. Das Konglomerat des Bösen hatte sie eindeutig auf der Abschussliste. Dass sie nicht forscher gegen sie drei vorgingen, bewies lediglich, dass sie anderweitig arg beschäftigt waren. Rainer Bray hatte dazu eine Theorie entwickelt, die der Wahrheit schon ziemlich nah kam: Das Konglomerat war in der Endphase seiner Vorbereitungen. Und das konnte nichts anderes bedeuten, als dass der ahnungslosen Menschheit die größte Katastrophe bevorstand, die überhaupt denkbar war…

Das Haus machte indessen einen ziemlich verwahrlosten Eindruck. Das riesige Areal war von Unkraut überwuchert. Immerhin im Umkreis von etwa einer halben Meile. Nahe des Hauses endete der Pflanzenwuchs gar völlig und ziemlich abrupt - wie abgeschnitten nämlich. Da war wohl ein schmaler Streifen Mutterboden, der bis zum Haus reichte, aber er erschien wie mit einem Pflanzengift behandelt.

„Ihr bleibt vorerst zurück im Wagen“, befahl Rainer Bray knapp, während er ausstieg.

Die beiden Wissenschaftsjournalisten gehorchten ihm nur zu gern, denn zum ersten Mal spürten sie selber etwas von diesen negativen Ausstrahlungen – und das am helllichten Tag. Sie fühlten sich dabei wie in einem Albtraum, der Realität geworden war. Seltsam, dass dies bei ihrem ersten Besuch anders erschienen war. Dasselbe Bild hatte sie erwartet, doch die Ausstrahlung hatte gänzlich gefehlt. Als hätte das Haus damals die Gelegenheit nutzen wollen, sich zwei Menschen endlich zu offenbaren…

Jetzt jedenfalls erschien eben alles völlig anders.

Als Rainer Bray ausstieg, verfolgten sie ihn mit angehaltenem Atem mit ihren Blicken.

Keiner von beiden konnte auch nur ein Wort sagen. Ja, es ging etwas von dem Gemäuer aus, das körperlich spürbar und noch viel eindringlicher war als das, was sie in jener Ruine heute Nacht empfunden hatten.

Das Erlebnis kam ihnen inzwischen vor wie ein überstandener besonders übler Albtraum, nicht so, als hätten sie es tatsächlich erlebt.

Und jene Nancy? Wie hieß sie noch gleich? Vierock? Seltsamer Name. Sie war jedenfalls tot, ganz unwiderruflich tot.

Sie schüttelten sich unwillkürlich in Erinnerung daran und schauten wieder nach dem Magier.

*

Rainer Bray hatte das dunkle Gemäuer erreicht. Er wusste, dass er dieses Wagnis niemals bei Dunkelheit hätte eingehen dürfen. Die Kraft, die das Anwesen beherrschte, hätte ihn zerschmettert. Doch das Tageslicht schützte ihn. Die ultravioletten Strahlen schadeten vielen Dämonen, und auch Rainer Bray merkte jedes Mal, sobald der Morgen graute, wie seine Kräfte schwanden, sich zumindest gewaltig verringerten.

Rainer Bray umrundete halb das Haus und geriet so aus dem Blickfeld der beiden Beobachter. Fenster und Türen waren von innen vernagelt, wie er sich vergewisserte. Es machte alles den Eindruck, als habe schon seit Jahren niemand das Anwesen betreten. Dennoch galt es immer noch als offizieller Wohnsitz von Fermes - wer immer sich hinter diesem offenkundigen Pseudonym auch verbarg.

„Fermes“, murmelte Rainer in beschwörendem Ton und blieb stehen. „Fermes, ich werde dein Geheimnis ergründen. Wie groß auch deine und die Macht deiner Verbündeten sein mag. Auch im Namen von Nancy! Eure Macht kann nicht groß genug sein, als dass sie niemand brechen könnte.“

Das Unglaubliche geschah: Das Haus reagierte auf diese Worte! Er spürte es deutlich.

Bray erinnerte sich an die Erzählung der beiden Journalisten. Er wusste nicht mehr, wer von den beiden davon gesprochen hatte: von der alten Frau, die eine halbe Meile weiter südlich wohnte und tatsächlich behauptete, das Gebäude besäße Eigenleben, wäre beseelt von dem Vermächtnis Fermes‘.

Rainer Bray hätte das nur zu gern als Unsinn abgetan, aber er hatte oft genug in seinem Leben die Erfahrung gemacht, dass auch das Unwahrscheinlichste zur Wahrheit werden konnte.

Ein leises Lachen klang in seinem Innern auf.

Bray ballte die Hände zu Fäusten. Seine Augen waren starr auf das Gemäuer gerichtet. Er mobilisierte seine Tagkräfte.

„Was ist an der Geschichte wahr?“

Wieder als Antwort leises Lachen.

Bray blickte sich suchend um, fand einen abgebrochenen, trockenen Ast und rammte ihn schadenfroh grinsend in eine morsche Mauerfuge.

Ein leiser Schmerzensschrei.

Dann:

„Warum tust du das?“

„Ganz einfach: Ich mag es nicht, wenn man mich auslacht.“

„Wer bist du?“

„Also bist du nicht allwissend“, stellte Rainer Bray befriedigt fest.

„Allwissend ist tatsächlich ein zu weiter Begriff. Trotzdem, ich weiß mehr, als du ahnst.“

„Akzeptiert.“ Wieder rammte Rainer Bray den Ast in die Fuge und begann mit einem sadistischen Grinsen, darin zu rühren.

Unterdrücktes Stöhnen.

„Das sollst du nicht tun!“

„Du bist ein negativer Dämon und ich ein positiver Magier. Genügt dir das als Entgegnung?“

Bray rührte weiter. Dreck rieselte herab.

Das Stöhnen verstärkte sich.

Rainer Bray verfolgte einen bestimmten Zweck mit seinem rigorosen Tun. Er wollte den bösen Geist, der die Mauern bewohnte, aus der Reserve locken, wollte mit ihm seine Tagkräfte messen.

Die Herausforderung wurde angenommen.

Der Gegenangriff kam blitzschnell und überraschend.

Eine ungeheure Welle von Angst, Panik und Depressionen drohte Rainer Bray zu überrennen.

Der Magier hielt tapfer stand.

Bohrender Schmerz blieb in seinem Schädel zurück, als die Attacke beendet war. Jedoch konnte er diesen mühelos verdrängen.

Jetzt sah er sich doch nach den beiden Journalisten um. Er musste dafür ein paar Schritte zurück gehen.

Mit bleichen Gesichtern starrten sie herüber. Hatten sie etwas von dem kurzen Duell mitbekommen?

Rainer Bray ging langsam wieder weiter. Den Stock in der Rechten entschwand er erneut den Blicken der beiden Männer.

Jetzt befand er sich im Sonnenschatten und musste vorsichtiger sein. Hier hatte die Sonne nicht dieselbe Kraft.

Er kam an einem der verbarrikadierten Fenstern vorbei.

Erschrocken blieb er stehen. Leises Wimmern drang an sein Ohr. Es schien aus dem Innern des Hauses zu kommen.

Das Wimmern verstärkte sich, als komme es näher, um sich sofort wieder zu entfernen.

Rainer Bray überlegte kurz. Eine Falle?

Ach was, sagte er sich, was kann schon passieren? Und eine Wahl habe ich sowieso nicht!

Entschlossen schlug er gegen das erstaunlicherweise noch völlig intakte Fenster. Die Scheibe zersprang. Scherben schnitten in seine Hand.

Bevor er weiter machte, beeinflusste er den Heilprozess der Wunden, bis sie sich wieder geschlossen hatten. Dann drosch er mit bloßen Fäusten auf das Holz ein, das immer noch den Zugang verbaute.

Es war erstaunlicherweise alles andere als morsch. Keinen Millimeter gab es nach.

Rainer Bray sah sich nach einem geeigneten Werkzeug um und entdeckte einen dicken Stein, der halb gegen die Mauer gelehnt war.

Rainer hob ihn auf.

Er stutzte einen Moment. Das wimmelnde Kleingetier, das sich die Erde unter Steinen gern als Behausung wählte, fehlte hier gänzlich. Der Boden darunter war trocken und tot.

Aber Rainer Bray führte das auf die magische Ausstrahlung des Hauses zurück und machte sich weiter keine Gedanken mehr darüber.

„Ist da jemand?“, flüsterte eine Stimme.

Erst jetzt vermisste Rainer das Wimmern, das plötzlich verstummt war.

„Hilfe, ich bin hier gefangen“, wisperte es ersterbend.

Es war, als könnte Rainer Bray nicht mehr klar denken. Er wollte helfen und erkannte dabei nicht die Unsinnigkeit der Tatsache, dass die Stimme geklungen hatte, als wäre es Nancy Vierock, die hinter dem Verschlag gefangen gehalten wurde.

Nicht nur seine Liebe zu Nancy, zu seiner toten Verlobten, zu dem Mädchen, das er nie zu heiraten gewagt hatte, weil sie beide keine reinen Menschen gewesen waren, machte ihn blind. Da war ein für ihn unmerklicher geistiger Einfluss, eine Suggestion, gegen die sich Rainer Bray nicht wehrte, weil er sie eben nicht als solche wahrnahm, die ihn aber blind gegenüber der Gefahr machte.

Er hieb wuchtig gegen das Holz.

Immer wieder krachte der schwere Stein gegen das Hindernis. Es gab nicht nach. Nicht einmal ein Kratzer entstand.

Das war doch nicht möglich!

„Rainer, bist du das?“, wisperte es verführerisch. „Mein Geliebter, mein Retter!“

Auf einmal war Rainer Bray, als erkannte er durch eine schmale Ritze das Gesicht seiner Verlobten.

Ein letztes Mal holte er aus. Beide Hände umklammerten den Stein. Er legte alle Kraft in diesen einen Schlag.

Aber es gab kein Hindernis mehr. Plötzlich wichen die Bretter einfach zurück.

Rainer Bray riss entsetzt die Augen auf. Aber er konnte das Unheil nicht mehr aufhalten. Die Wucht seines eigenen Schlages riss ihn nach vorn und in die entstandene Öffnung hinein.

Eine Woge von schwarzmagischer Energie, im Innern des Gebäudes, im ewigen Dunkeln, unglaublich stark, schlug über ihm zusammen und raubte ihm das Bewusstsein.

Du verdammter Narr!, schalt er sich noch selber. Dann erfüllte die Finsternis auch sein Inneres.

*

Der Magier verschwand erneut um die Hausecke, und die beiden Zurückgebliebenen wussten immer noch nicht so recht, was sie tun sollten.

Sie stiegen zumindest einmal aus, obwohl der Magier ihnen befohlen hatte, im Wagen zu bleiben.

Aber sie konnten ihn doch nicht so einfach ganz allein handeln lassen? Wieso waren sie denn dann überhaupt mitgekommen?

Die Entscheidung wurde ihnen von anderer Stelle abgenommen: Schritte knirschten hinter ihnen im Sand.

Ken und Bing wirbelten alarmiert herum.

Zwei Männer kamen auf sie zu. Ihre Mienen zeigten Entschlossenheit.

Bing Darcel und Ken Kiley sahen sich an. Sie verstanden sich auch ohne Worte.

Der niedrige Grundstückszaun machte zwanzig Schritte weiter einen Knick nach rechts und verlief dann parallel zur Straße. Die beiden Fremden befanden sich im Innern und schritten quer über das verwilderte Grundstück.

Bing und Ken rannten außen am Zaun entlang.

Die Fremden beschleunigten ihre Schritte nicht. Ruhig gingen sie weiter.

Das ermahnte die Freunde zur besonderen Vorsicht: Wieso nahmen die beiden nicht die Verfolgung auf? Und sie hatten es auf die Fliehenden abgesehen, ganz eindeutig….

Und ihre Achtsamkeit wurde belohnt.

Ken sah an der Zaunbiegung als erster die Bewegung und hielt Bing am Arm zurück. Sie stoppten ihren schnellen Lauf, warfen sich herum und rannten den Weg zurück, den sie gekommen waren.

Aber es gab keinen Ausweg mehr. Man hatte sie unbemerkt eingekreist. Sie hatten zu sehr auf Rainer Bray geachtet.

Ken Kiley und Bing Darcel gaben dennoch nicht auf. Sie zögerten nur den Bruchteil einer Sekunde, dann übersprangen sie den Zaun und liefen zu dem düsteren Gebäude hinüber.

Jetzt wurden die Fremden schneller. Die draußen überwanden den Zaun, nahmen jedoch nicht sofort die Verfolgung auf. Etwas hielt sie zurück. Fürchteten sie sich vor dem Haus? Wer waren sie? Was wollten sie von den beiden Journalisten?

Bing und Ken hatten keine Zeit zu überlegen. Sie folgten dem Weg, den vorher der Magier Rainer Bray genommen hatte.

Unvermittelt gelangten sie vor die Öffnung, durch die dieser ins Innere des Hauses gestürzt war.

Alles sträubte sich in den Freunden dagegen, hineinzugehen, aber dann hörten sie das Knacken von Zweigen, das Rascheln von Gesträuch. Viele Füße trampelten das Unkraut nieder. Offensichtlich hatten die Verfolger sogar auch noch Verstärkung bekommen.

Die Öffnung lockte, und die beiden Bedrängten konnten dieser Lockung nicht länger widerstehen. Bevor ihre Verfolger um die Ecke bogen, befanden sie sich schon in einer trügerischen Sicherheit.

Fast lautlos schwang das mit Brettern verschlagene Fenster hinter ihnen zu. Auch ansonsten war im Innern alles ruhig.

Dann waren draußen plötzlich Stimmen. Jemand unterhielt sich. Schritte gingen an ihrem Versteck vorbei, kamen zurück. Die Fremden suchten das Gelände ab.

Dann hörten es die beiden Freunde ganz deutlich:

„Sie müssen irgendwie in das Haus gekommen sein.“

„Glaubst du wirklich, dass das Anwesen eine Rolle spielt?“

„Ich weiß nicht. Jedenfalls haben die beiden in ihrer kurzen Fernsehsendung nicht umsonst davon gesprochen. Wir hätten schneller reagieren sollen.“

„Es war besser so. Einmal mussten sie schließlich hierher kommen. Ich hätte nicht gedacht, dass Bray so unvorsichtig sein und sogar gemeinsam mit ihnen hierher kommen würde.“

„Das Ganze geht ins Auge“, mischte sich eine dritte Stimme ein. „Wenn der Chefinquisitor davon erfährt, sind wir geliefert.“ Nach kurzem Zögern sagte dieselbe Stimme: „Tut mir leid, aber ich kann mich an die neue Bezeichnung Inquisitoren nur schwer gewöhnen. X-Agenten hat mir vorher besser gefallen.“

„Ein Zugeständnis an den Schwarzen Adel“, sagte eine bislang unbekannte Stimme. „Wir müssen mit denen zusammenarbeiten, und dabei hat die X-Organisation zumindest diesen Teil ihrer Identität angepasst. Außerdem ist mir das egal. Geändert hat sich ja für uns dadurch eigentlich gar nichts. Außer natürlich, dass wir nicht mehr gegen den Schwarzen Adel vorgehen, sondern diesen ganz im Gegenteil sogar unterstützen.“

Bing und Ken hielten unwillkürlich den Atem an. Also hatte Rainer Bray ihnen die Wahrheit erzählt. Es gab tatsächlich so etwas wie eine Inquisitionsabteilung! Und die Inquisitoren hatten sich vorher als X-Agenten bezeichnet? Ja, handelten sie denn nicht in der Tradition der mittelalterlichen Inquisition?

Oh doch!, kam ihnen sogleich die Erkenntnis: Genau deshalb war die Bezeichnung nämlich gewählt worden. Eben weil die X-Agenten nicht mehr losgelöst vom Schwarzen Adel handelten, sondern gewissermaßen diesem zuspielten.

Eben genauso wie die mittelalterliche Inquisiton damals!

„Schließlich war es nicht unsere Schuld.“ Eine fünfte Stimme. Wie viele Männer waren es insgesamt? „Wir konnten doch nicht so offen nach Bray fragen. Als ich dann den beiden folgte und auf seine Adresse kam, musste ich auf euch warten. Das war auch mein Glück. Ihr hättet sehen sollen, was der mit dem Vampir des Schwarzen Adels angestellt hat.“

„Schluss jetzt! Wir müssen etwas unternehmen.“ Das war eine neue Stimme, und diese gehörte offenkundig dem Führer des Trupps. „Sie sind bestimmt im Haus.“

„Vielleicht wäre es doch besser gewesen, sie gleich zu schnappen, als sie hier ankamen?“

„Du weißt genau, warum wir das nicht taten. Wir wollten mehr über das Haus erfahren.“

Erst jetzt fiel den beiden Freunden auf, dass das Gemäuer sich völlig ruhig verhielt, abgesehen davon, dass sie herein gelassen worden waren.

Ken schauderte es immer wieder, wenn er daran dachte, wie sie sich vor Wochen, im Rahmen ihrer Recherchen, mit dem Haus „unterhalten“ hatten. Ein unglaublicher Vorgang. Wie war das Phänomen entstanden?

Jemand schlug mit einem harten Gegenstand gegen den Verschlag, hinter dem die Journalisten hockten.

Sie zuckten zusammen. Der Boden hier wurde ihnen sozusagen zu heiß. Sie mussten tiefer in das Innere des Hauses hinein.

Leise erhoben sie sich und tasteten sich durch die absolute Dunkelheit. Es war ihnen dabei alles andere als wohl zumute. Sie wussten nicht, was sie erwartete, aber da waren die Schergen der Inquisition. Das Wort verbanden sie unwillkürlich mit dem Erleiden furchtbarer Folterqualen und einem schrecklichen Tod. Schlimmer als das konnte wohl kaum etwas sein, was ihnen hier widerfahren mochte.

Kens Finger tasteten plötzlich über etwas Weiches. Unwillkürlich wollte er zurückzucken, aber er überwand sich.

Ein Mensch!, durchfuhr es ihn. Hier lag ein Mensch.

Rainer Bray?

Das Gespräch der Inquisitoren hatte ihnen gezeigt, dass sie auch den Magier aus den Augen verloren hatten. Weil er vor ihnen durch dieses Loch hier herein gekommen war?

Ken tastete über ein kühles, jedoch unbewegtes Gesicht.

Ohne Zweifel, es konnte nur Bray sein.

Ken packte den Magier an den Schultern und rüttelte ihn.

Vergebens. Es kehrte kein Leben in ihn zurück.

War er schon tot oder nur bewusstlos?

Bing schob sich dicht an Ken vorbei.

„Moment“, flüsterte Ken. „Ich habe Rainer Bray gefunden.“

Es raschelte in der Dunkelheit.

„Tatsächlich“, entfuhr es Bing Darcel. „Was machen wir mit ihm?“

„Nun, er kann schlecht hier liegen bleiben.“

„Aber warum ist er ohne Bewusstsein? Oder ist er gar tot?“

Ken zuckte mit den Achseln. Da erinnerte er sich, dass das sein Freund nicht sehen konnte, und wollte etwas sagen.

Die Worte blieben ihm regelrecht im Hals stecken: Die Inquisitoren draußen hatten nämlich ihre Bemühungen verstärkt. Wuchtig ausgeführte Schläge krachten gegen das verrammelte Fenster und hallten im Haus tausendfach wider.

Panik überfiel die beiden Journalisten. Sie griffen sich den leblosen Rainer Bray und arbeiteten sich vorsichtig weiter.

*

Es vergingen endlos erscheinende Minuten - ihre Verfolger hatten das Hindernis noch immer nicht überwunden —, als sie endlich gegen eine Wand stießen.

„Ich dachte schon, hier gäbe es gar keine Zwischenmauern und dieser Raum sei so groß wie ein Fußballplatz“, brummte Ken.

Sie setzten Bray ab. Mit den Händen suchten sie nach einem Ausgang.

Bing fand eine Holztür. Sie war nur angelehnt und ließ sich lautlos öffnen. Was sich dahinter befand, lag ebenfalls in absoluter Finsternis.

Immer noch hallten die Schläge dumpf durch das Haus.

Bing wollte in den Raum hinter der Tür gehen, erkannte jedoch, dass es gar keinen Raum gab, sondern eine Treppe, die nach unten führte. Er ertastete sie mit seinen Füßen.

„He!“, rief Ken hinter ihm gedämpft, „ich habe einen Ausgang aus diesem Raum entdeckt.“

„Ich auch“, gab Bing leise zurück.

„Wohin sollen wir uns wenden?“

„Da ist eine Treppe, die nach unten führt.“

„Lassen wir Bray hier und untersuchen erst mal den Raum, vor dem ich stehe“, bestimmte Ken Kiley.

Bing tastete sich zu ihm. Gemeinsam traten sie ein, vorsichtig Fuß vor Fuß setzend. Sie wollten keine unangenehmen Überraschungen erleben.

Bing stieß als Erster mit der Hand gegen ein weiches Polster.

„Moment, da ist etwas.“ Er tastete weiter. Es schien sich um ein altes, hochlehniges Sofa zu handeln. „Ein Möbelstück. Vielleicht befinden sich noch mehr hier?“

Die Schläge dröhnten. Hatten sie sich verstärkt?

„Das ist doch sinnlos“, zischte Ken ungeduldig. „Komm, wir verschwinden doch lieber über die Treppe nach unten, die du entdeckt hast. Die werden bald hier sein. Bis dahin haben wir nicht einmal ein Versteck gefunden.“

„Bist du denn sicher, dass es überhaupt eines gibt?“

Bing schob sich an dem Sofa vorbei. Mit dem Knie strich er dabei an der vorderen Kante entlang, um nicht die Orientierung zu verlieren.

Plötzlich hielt ihn etwas auf.

Bing bückte sich und griff zu. Da war etwas, was über den Rand des Sofas hing.

Als es Bing in der Hand hatte, entrang sich ein ächzender Laut seiner Kehle. Das Entsetzen ließ ihn erstarren.

Dann fuhr er so heftig zurück, dass er Ken anrempelte.

„Was ist denn mit dir los?“, schimpfte dieser leise.

„Eine – eine…“ Bing bekam es nicht heraus.

„Mensch, reiß dich zusammen!“

„Eine Hand!“, stieß Bing endlich hervor. „Eine Hand hat mich aufgehalten. Auf dem Sofa liegt jemand.“

„Unsinn, du hast dich geirrt.“

„Sag nicht Unsinn“, ereiferte sich Bing. „Ich - ich habe es doch angefasst. Es war eine eisige Hand.“

Entschlossen schob ihn Ken beiseite und tastete mit vorgestreckten Händen in die Finsternis hinein. Bis seine Hände den eiskalten, schwammigen Körper eines Menschen berührten, der schon seit Wochen tot sein musste.

Gleichzeitig zersplitterte draußen das Holz. Licht fiel herein.

Ken blickte direkt in ein grünlich verfärbtes, halb verwestes Gesicht, aus dem ihn die relativ gut erhaltenen Augen wie vorwurfsvoll anstarrten.

Und dann erkannte Ken den Verstorbenen trotzdem: Es war Daniel Ferrand, der Moderator und Chefredakteur der Magazinsendung, nach der Bing Darcel und Ken Kiley aufgetreten waren!

Er war völlig nackt, und in dem diffusen Licht erschien es, als grinste er im Tode.

Bing stieß einen erstickten Laut aus.

„Ferrand!“, keuchte er fassungslos. „Wie kommt der denn hierher?“

„Frage lieber, wieso er schon so lange tot ist, obwohl wir ihn erst gestern in seiner Sendung gesehen haben“, meinte Ken grimmig.

Schaudernd wandte sich Bing ab.

„Verdammt, das Holz ist hart wie Stahl und mehrere Zentimeter stark“, fluchte einer der Inquisitoren draußen. Gedämpft drang es zu ihnen herein. „Das hätte ich nicht gedacht.“

„Red nicht so viel und arbeite lieber weiter!“, fuhr ihn ein anderer an.

Die Inquisitoren waren emsig bemüht, mit ihren Werkzeugen die entstandene Öffnung so weit zu verbreitern, dass sie hindurchkriechen konnten.

Für die beiden Journalisten wurde es höchste Zeit!

Ken riss sich von dem Anblick der Leiche los und eilte zur Tür.

Bing folgte ihm.

Sie griffen sich Rainer Bray, der noch immer ohne Bewusstsein war. Und sie fragten sich erneut: Lebte er eigentlich noch?

„Wo ist denn jetzt eigentlich die Treppe, die du vorhin gefunden hast?“, knurrte Ken Kiley. Es klang ein wenig verzweifelt.

Dann hatte er die dunkel gähnende Türöffnung gefunden, durch die sie mussten.

Es wurde immer heller hinter ihnen. Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bis der erste Inquisitor herein kam.

Den beiden Freunden krampfte es das Herz zusammen, wenn sie daran dachten.

Sie schleppten Rainer Bray keuchend die steinernen Stufen hinunter und vergaßen nicht, vorher hinter sich die Tür zu schließen.

Absperren ging leider nicht. Dafür hätte von innen ein Schlüssel stecken müssen. Das wäre ja auch zu schön gewesen…

Aber dann würden die Eindringlinge sofort wissen, wohin sie sich zu wenden hatten. Wenn sie jedoch die Tür einfach offenstehen ließen…? Vielleicht gab das ein wenig mehr Aufschub? Außerdem konnten sie das dürftige Licht gut gebrauchen, das durch die offene Tür auf die Treppe fiel.

Kurz entschlossen kehrte Ken nach oben zurück und öffnete die Tür wieder.

Als er wieder bei Bing war, murmelte er tonlos:

„Nicht auszumalen, wenn dieser Weg hier unten sich als Sackgasse erweisen sollte!“

„Einfach nicht daran denken“, riet Bing ohne Überzeugung.

„Du hast gut reden.“

*

Endlich hatten sie die Treppe überwunden und waren unten angelangt. Das Licht von oben reichte nicht aus, um hier etwas erkennen zu lassen.

Die beiden Journalisten bewegten sich aufs Geratewohl in die Dunkelheit hinein.

Ein Hindernis. Es war eine bröcklige, unverputzte Bruchsteinwand. Sie schoben sich an ihr entlang.

Wieder wurden sie aufgehalten: Die Mauer machte einen scharfen Knick und führte rechter Hand weiter.

„Setz Bray ab, wir müssen erst nach einem Ausgang suchen“, entschied Bing.

Kin gehorchte nur zu gern.

Langsam tasteten sie sich an der Wand entlang und - kamen wieder zur Treppe.

„Verdammt, verdammt“, murmelte Bing immer wieder vor sich hin. „Deine Befürchtung erfüllt sich leider hundertprozentig: Wir sind in einer Falle. Es gibt keinen Ausweg.“

Ken brachte keinen Ton hervor.

Mit hölzernen Schritten kehrten sie zu Rainer Bray zurück.

In diesem Augenblick kam dieser zu sich. Er sprang auf die Beine. Obwohl es dunkel war, erkannte er sie sofort.

„Was ist los?“, fragte er fassungslos. „Wie kommt ihr denn hierher?“

„Leiser!“, zischte Ken. „Die da oben sollen ruhig ein wenig suchen. Wir wollen ihnen nicht unseren Standort verraten.“

„Endlich!“, rief oben jemand. Keuchen folgte, dann Fußgetrappel. „Du gehst in diese Richtung und du in diese.“

Sekundenbruchteile später schon:

„Ich habe etwas gefunden! He, kommt mal her, hier geht es lang!“

Schritte näherten sich der Treppe.

„Wer ist das?“, flüsterte Bray erregt.

Ken antwortete genauso leise:

„Das sind die Schergen der Inquisition. Durch unsere Sendung haben wir sie auf uns aufmerksam gemacht.“ Er fragte sich indessen, woher er angesichts dieser Situation seine innere Ruhe nahm.

Bray ließ zischend die Luft aus seinen Lungen entweichen.

Schatten schoben sich oben vor die Türöffnung.

Das ist das Ende!, dachte nicht nur Bing Darcel.

*

Drei der Männer hatten Spitzhacken in den Händen. Ein vierter zog seine Pistole, die mit Silberpatronen geladen war.

„Die haben die Tür hinter sich verrammelt“, rief der fünfte. Die drei mit den Spitzhacken machten sich an die Arbeit.

„Lasst das!“, kommandierte ihr Anführer. „Weg da! Das ist der falsche Weg. Ich glaube, die Tür führt nur zurück ins Freie. Das hält uns zu lange auf. Wir müssen einen anderen Weg finden.“

Aber so sehr sie auch suchten, es gab keine weitere Tür. Nichts. Nur diesen einen Raum. Oder waren alle weiteren Räume, so es sie denn gab, nur von außen erreichbar?

Seltsam erschien ihnen das schon. Sie konnten es sich jedenfalls nicht erklären.

Wo, um alles in der Welt, waren die Flüchtigen denn eigentlich abgeblieben? Konnten sie sich wirklich so geirrt haben, und die beiden waren gar nicht in das Innere des Hauses geflohen?

Sie wollten das Haus durch die Öffnung wieder verlassen, durch die sie eingedrungen waren.

Ein Schuss krachte dabei von draußen. Der Querschläger zirpte durch den Raum. Niemand wurde getroffen.

„Sagte ich doch gleich, dass die Burschen längst das Haus wieder verlassen haben - irgendwie. Vielleicht gibt es einen geheimen Ausgang? Jedenfalls, ihr habt zu lange gebraucht!“, schimpfte der Anführer und schoss blind zurück.

Trotz der drohenden Gefahr drängte er seine Leute hinaus. Die Verfolgten, die anscheinend von dort draußen auf sie geschossen hatten, hatten das Feuer wieder eingestellt. Offenbar hatten sie eingesehen, dass sie gegen die Übermacht der Inquisitoren sowieso keine Chance hatten.

Die Inquisitoren gelangten ungeschoren nach draußen und rannten zur Hausecke.

Ein Schatten sprang gerade über den niedrigen Zaun. Es schien fast so, als schwebe er. Dann entschwand er ihren Blicken.

„Ihm nach!“, brüllte der Anführer und fuchtelte wild mit den Armen.

Die insgesamt fünf Inquisitoren, die ihm unterstellt waren, rannten so schnell sie konnten. Es war gar nicht auszudenken, was mit ihnen passierte, wenn ihnen Kiley, Darcel und Bray schon wieder entkamen.

Als sie den Zaun erreicht hatten, hielten sie vergeblich nach den Verfolgten Ausschau.

Auch auf der Straße war niemand. Das Mietauto, mit dem sie gekommen waren, stand allein und vor allem leer. Alles war totenstill. In dieser Gegend herrschte praktisch kein Verkehr. Das nächste Haus befand sich immerhin erst eine halbe Meile entfernt.

Ob man dort die Schüsse gehört hatte?

Jedenfalls kam niemand nachsehen.

„Sucht nach Spuren!“, befahl der Anführer der Gruppe.

Es fanden sich keine Spuren, außer denen, die an der Öffnung endeten, die sie geschlagen hatten. Erst durch diese Spuren hatten sie ja den Verdacht gehabt, wohin die Flüchtigen sich abgesetzt hatten. Sonst wäre keiner von ihnen auf die Idee gekommen, in dieses unheimlich erscheinende Haus mit Gewalt eindringen zu wollen. Jetzt waren diese offensichtlichen Spuren natürlich zertrampelt – von ihnen selbst.

„Es scheint so, als wären sie doch noch im Haus“, murmelte einer der Männer, obwohl sie es nach dem Erlebten besser zu wissen glaubten. Immerhin hatten sie die Tür nach draußen entdeckt. Verbarrikadiert zwar… Dann die Schüsse und die Gestalt, die über den Zaun gesprungen war. Nein, Darcel, Kiley und Bray waren auf und davon.

„Aus und vorbei“, knirschte der Anrührer resignierend. „Ich wage gar nicht daran zu denken, was der Chefinquisitor mit uns macht, wenn wir unverrichteter Dinge zurückkommen.“ Er gab sich sichtlich einen Ruck. „Los, vielleicht ist doch noch nicht alles verloren. Zwei Mann bewachen das Haus und natürlich auch das Mietfahrzeug, mit dem die drei gekommen sind. Wir anderen suchen die Umgebung ab. Das wäre doch gelacht!“

Sie teilten sich.

Keiner von ihnen ahnte, dass die Gesuchten in Wirklichkeit immer noch im Keller saßen.

Die Inquisitoren waren erfahrene Leute. Sie verstanden ihr Handwerk. Aber hier hatten sie einen Gegner, der ihnen nicht nur gewachsen, sondern sogar noch überlegen war.

*

„Was war das?“, flüsterte Ken Kiley verstört.

Er gönnte Rainer Bray einen misstrauischen Blick.

Der schüttelte den Kopf.

„Nein, ich bin an der Sache unschuldig.“

„Das Haus!“, murmelte Bing Darcel.

Sie standen auf der Treppe, direkt hinter der geöffneten Tür, und fragten sich immer noch verzweifelt, wieso die Inquisitoren die Treppe nicht entdeckt hatten.

Ken hatte sie beide verlassen und hatte den Raum oben betreten, nachdem die Inquisitoren wieder weggegangen waren. Es gab keine Tür nach draußen, wie diese geglaubt hatten. Hier gab es nur kahle Wände, die eine Tür in den Raum mit der Leiche und außerdem zusätzlich zwei nach wie vor verrammelte Fenster. Wie konnten sich die selbst ernannten Inquisitoren nur so irren?

Jetzt verließen auch Bing Darcel und Rainer Bray die Treppe, um sich oben umzusehen.

„Bing hat recht“, sagte Bray leise, „obwohl ich mir nicht über das Motiv klar werden kann.“

„Ist das nicht ganz einfach?“, fragte eine flüsternde Stimme aus dem Unsichtbaren.

Die drei Männer zuckten erschrocken zusammen. Sie wirbelten um die eigene Achse, konnten aber niemanden entdecken.

Rainer Bray fasste sich als erster.

„Warum hast du mich überwältigt, wenn du auf unserer Seite bist?“

„Du hast schon recht gehabt, als du sagtest, ich sei nicht allwissend. Nein, das bin ich in der Tat nicht. Du warst mir unbekannt. Dein Benehmen war feindlich. Ich wusste nicht, wie ich dich einordnen sollte. Jetzt weiß ich es - durch Bing Darcel und Ken Kiley, mit denen ich schon einmal gesprochen habe.“

„Aber du hättest uns früher helfen können“, stieß Ken hervor.

„Ja, das hätte ich. Ich war jedoch im Ungewissen. Vergesst nicht, dass ihr mich verraten habt!“

Ken und Bing sahen sich betroffen an.

Rainer Bray nickte grimmig.

„Klar, durch die Magazinsendung ist die Inquisition auf das Haus aufmerksam geworden. Was glaubt ihr, warum diese Teufel hier aufgetaucht sind? Ihr habt nicht nur euch selbst, sondern auch mich, ja, die ganze Organisation in Gefahr gebracht.“

„Organisation?“, wiederholte das Haus gedehnt.

Jetzt verstanden sie es endlich: Die Stimme klang direkt in ihrem Innern auf.

Bray schluckte. Er erkannte, dass er sich verraten hatte.

„Okay“, sagte er, „ist ja jetzt ohnehin egal. Wir sitzen im selben Boot. Aber, bevor ich spreche, will ich wissen, wie sicher wir hier sind.“

„Bombensicher“, war die trockene Antwort. „Ich habe den Inquisitoren etwas vorgegaukelt. Draußen stehen noch zwei, die nicht wissen, was sie tun sollen. Sie streifen umher und beobachten das Haus. Außerdem bewachen sie euer Auto. Die anderen sind vorläufig weg.“

„Du sprichst von dem Haus in dritter Person“, stellte Rainer Bray fest.

Leises Kichern.

„Natürlich, obwohl ich mich manchmal mit dem alten Gemäuer identifiziere. Ich bin schon seit Jahrhunderten hier gefangen. Aber das ist eine zu lange Geschichte. Sie wird euch nicht interessieren. - Nun zu dir, Rainer Bray“, wechselte der Geist unvermittelt das Thema.

Bray blickte sich unsicher um, bevor er redete:

„Es gibt viele Organisationen, auf der ganzen Welt verstreut. Wir wissen nicht, wie viele es sind. Jede kümmert sich nur um sich. Die Abkapselung liegt im gegenseitigen Misstrauen begründet. Es ist oft genug vorgekommen, dass zwei Gruppen beschlossen haben, zusammenzugehen, was hernach im Chaos endete. Es gibt immer wieder Verräter, und vergessen wir nicht unsere Feinde. Sie sind skrupellos und dadurch viel mächtiger. Alles deutet darauf hin, dass sie sich zu einer gewaltigen, weltweiten Gemeinschaft vereinigt haben. Sie nennen sich meines Wissens nach Schwarzer Adel oder auch Schwarze Mafia. Und dann gibt es noch eine konkurrierende Vereinigung, deren höchst inoffiziellen Namen ich leider noch nicht herausgefunden habe. Zumindest nicht definitiv. Irgendwie nennen sie sich X-Organisation, aber das kann falsch sein. Ich weiß nur sicher, dass die Inquisitoren zu dieser Gemeinschaft gehören. Angeblich nannten sie sich vorher X-Agenten. Diese beiden mächtigen Organisationen machen neuerdings gemeinsame Sache. So schlimm war es eigentlich noch nie…“

„Du meinst die X-Organisation! Das ist tatsächlich der offizielle Name, den ihnen ihr oberster Meister, nämlich Mister X, gegeben hat“, belehrte ihn die Geisterstimme. „Die X-Agenten sind zumeist normale Menschen, ohne spezielle magische Begabung, jedoch schlimmerer Abschaum als die schlimmsten Verbrecher. Denen ist es egal, dass sie mithelfen, die menschliche Zivilisation zu vernichten.“

„Und wir armen Würstchen wiederum wollen sie aufhalten?“, sagte Bing Darcel niedergeschlagen.

In den Augen Kens hingegen funkelte es fanatisch. Er knurrte:

„Zumindest müssen wir alles tun, was in unserer Macht steht!“

„Wie groß ist eure Organisation, Rainer Bray, also diejenige, der du angehörst?“, erkundigte sich indessen der Geist.

Rainer Bray zögerte mit der Antwort.

„Wir sind nur eine Handvoll.“ Mehr sagte er nicht.

„Dann lassen wir mal den hochtrabenden Begriff Organisation beiseite. Also: Werden uns die anderen aus der Gruppe helfen?“

„Nein.“ Bray schüttelte entschieden den Kopf. „Sie haben sich von mir abgewandt, nachdem ich erkannt worden war. Nur Nancy hielt noch zu mir. Aber sie ist…“ Er verstummte.

„Ein schöner Haufen ist das“, sagte Ken verächtlich. „Keiner hilft dem anderen, wenn einer mal in Not ist.“

Bray ging nicht darauf ein.

„Also sind wir nur zu viert“, überlegte der Geist. Eine Weile war es still. „Meine Macht ist begrenzt“, fügte er dann hinzu. „Außerdem wissen jetzt die Schergen der Inquisition von mir. Sie werden mich vernichten, sobald ihr keine Gefahr mehr darstellt.“

„Können wir dir helfen?“, fragte Bray brüchig.

„J-ja“, kam es zögernd zurück. „Aus diesem Keller gibt es einen Ausgang. Es ist eine Geheimtür. Sie führt in ein unterirdisches Labyrinth. - Bist du nachtsichtig?“

„Ich schon, aber was ist mit den beiden Menschen?“

„Ihr beiden, ihr müsst euch Fackeln machen. Geht nach nebenan. Dort werdet ihr finden, was ihr dazu braucht.“

Ken fiel die Leiche Ferrands ein.

„Was ist mit dem Toten in diesem Nebenraum?“, fragte er.

Es dauerte lange, bis er eine Antwort bekam.

„Er - ist nicht tot!“

„Was?“, entfuhr es Bing Darcel.

Rainer Bray blickte erstaunt von einem zum anderen.

Bing rief aus:

„Wir haben doch mit eigenen Augen gesehen, dass er…“

„Also gut, geht zu ihm.“

Mit steifen Schritten durchquerten sie den Raum, in den das Tageslicht fiel, und betraten das Nebenzimmer.

Die Wände lagen im Schatten. Ein schmaler Lichtstreifen fiel auf das Sofa.

Die Leiche hatte sich erschreckend verändert. Die Verwesung war weiter fortgeschritten.

Der Zerfall erfolgte völlig geruchlos!

Ken beugte sich über den Leichnam und berührte ihn. Das Fleisch war trocken und fühlte sich mehlig an. Außerdem war es heiß!

Kens Hände zuckten zurück.

Sogar Bray verschlug es die Sprache.

„Was geht hier vor?“, flüsterte er endlich fassungslos.

„Das - das war einmal unser Chefmoderator, Daniel Ferrand“, stammelte Bing Darcel an seiner Seite. Er hob seine Stimme. „Du bist uns eine Erklärung schuldig!“

„Das Tageslicht vernichtet ihn“, kam die Antwort sofort. „Lasst es einfach geschehen. Er soll endlich erlöst werden.“

„Wer hat das getan?“

„Er war ein Mensch, aber ein Verbündeter der Dämonen, die meine Feinde sind. Ihr habt ihn neugierig gemacht. Er folgte euren Spuren. Das war vor Wochen. Ich habe ihn zu dem gemacht, was ihr vor euch seht!“

„Das ist ungeheuerlich“, murmelte Ken Kiley.

„Ihr müsst mich verstehen“, verteidigte sich der Geist. „Ich hatte keine Wahl. Ihr habt mein Geheimnis herausbekommen. Dann kam er. Erst glaubte ich an euren Verrat. Niemand hat das bisher ungestraft getan. Ich bin relativ hilflos, weil ich an diesen Ort gebunden bin, aber jeder, der mit mir einmal in Kontakt gestanden hat, ist für mich erreichbar. Ihr wart eine Ausnahme. Nach der Sendung, und sogar schon während, kümmerten sich meine Feinde um euch. Ich konnte es nicht wagen, um mich nicht zu verraten. Dann wart ihr in Begleitung von Rainer Bray. Ich spürte seine Ausstrahlung und wusste nicht, ob ich ihm vertrauen konnte.“

„Du wolltest uns etwas über Ferrand erzählen“, unterbrach Ken den Redeschwall.

„Ich behielt ihn hier, als ich merkte, wer er in Wirklichkeit war. Auch ich habe Verbündete, wenn auch nur menschliche. Deshalb kann ich auch heute noch meine Schriften veröffentlichen, ohne selbst in Erscheinung treten zu müssen.“

„Dann bist du Fermes?“, fragte Bing.

„Ja. Ich ließ einen meiner Vertrauten kommen und übertrug einen Teil meiner Kraft auf ihn - gleichzeitig mit Ferrands Geist. Der Verbündete veränderte mittels meiner Kraft sein Äußeres und lebte fürderhin als Daniel Ferrand.“

Eiskalte Schauer rieselten Ken Kiley über den Rücken.

„Aber was ist mit dem Leichnam? Du sagtest, Ferrand sei gar nicht tot“, stieß er hervor.

„Ferrand hätte niemals mehr ein normaler Lebender sein können. Die Prozedur, der ich ihn hatte unterziehen müssen, ist nicht vollständig rückgängig zu machen. Ken Kiley, es war Notwehr! Völlig vernichten konnte ich ihn nicht, da ich seinen Geist für den Doppelgänger brauchte. Wie anders hätte ich mein Vorhandensein verheimlichen können? Nachts belebte ich den Körper und ließ ihn wandeln. Tagsüber lag er in Agonie. Die Sonne ist tödlich für dieses Wesen. Wenn es sich völlig aufgelöst hat, wird es auch keinen Doppelgänger mehr geben.“

„Du willst auch einen deiner Verbündeten dem Tod preisgeben?“, fragte Bing ungläubig.

„Natürlich nicht. Er ist gewarnt und zieht sich bereits zurück. Bevor sich die Rückverwandlung vollzieht, ist er in Sicherheit. Es wird ihm nichts geschehen.“

„Ich verstehe deine Beweggründe“, sagte Rainer Bray fest. Glänzte es feucht in seinen Augen?

Ken schüttelte unwillkürlich den Kopf. Rainer Bray war und blieb ihm ein Rätsel. Er konnte dem Mann trotz allem nicht ganz vertrauen. Er hatte inzwischen für seine Begriffe schon zu oft erlebt, wie schnell Bray nicht nur seine Stimmungen, sondern auch seine Gesinnung ändern konnte.

Das galt seiner Meinung nach auch für Fermes, den Geist. Auch dieser war unberechenbar. Er tötete skrupellos, sobald er eine Gefahr für sich witterte.

„Und nun führe uns in das Labyrinth, damit wir dir helfen können“, forderte Bray.

„Moment, erst noch die Fackeln“, wurde seine Tatkraft von Bing Darcel gedämpft.

*

Eine halbe Stunde später waren sie bereit. Der Leichnam Ferrands hatte sich in Staub aufgelöst, und die Inquisitoren suchten indessen offenbar immer noch die Umgebung ab. Sie waren jedenfalls nicht mehr zurückgekommen. Nur die beiden Wachen waren noch draußen.

Vorerst kümmerte das die drei nicht. Sie hatten im Moment anderes im Sinn.

Mit zwei entflammten Fackeln in den Händen gingen Bing Darcel und Ken Kiley hinter Rainer Bray die Kellertreppe hinunter. Auch Rainer Bray hatte Fackeln gebastelt, allerdings nicht für sich, sondern für seine beiden Begleiter. Es war sicherlich nötig, genügend Ersatzfackeln mitzuführen.

Tatsächlich: Kaum waren sie unten, schwang vor ihnen eine Geheimtür auf.

„Diesen Weg hättest du uns zeigen können, als wir ihn am dringendsten gebraucht haben“, meinte Bing vorwurfsvoll.

„War es so nicht viel besser?“, verteidigte sich Fermes.

Bing Darcel ging nicht darauf ein.

Modriger Geruch schlug ihnen entgegen. Etwas huschte quiekend über Kens Füße. Im flackernden Licht bewegten sich dicke, fette Ratten. Die Männer fragten sich unwillkürlich, wovon sich die Tiere ernährten. Was gab es hier unten für sie?

„Viele Menschen haben dieses Labyrinth gesehen und es nie mehr verlassen“, sagte der Geist dumpf.

Weiter vorn irrlichterte etwas.

Bing und Ken blieben stehen.

„Ist es hier nicht zu gefährlich?“, fragte Bing, zu Bray gewandt.

Der Geist antwortete für Rainer Bray:

„Ihr braucht den Orientierungssinn des Magiers, wenn ihr das Labyrinth betretet - seinen Orientierungssinn und seinen Schutz.“

„Seinen Schutz?“, wiederholte Ken gedehnt.

„Ich sagte bereits, dass sich viele hier verirrt haben. Ihre Geister streifen immer noch hilflos durch die unterirdischen, weitverzweigten Gänge. Einige sind wahnsinnig geworden, bevor ihnen der Tod wenigstens die körperlichen Qualen nahm.“

„Du sparst nie mit Überraschungen, Fermes, vor allem bösen Überraschungen“, murmelte Bing Darcel trocken. „Warum hast du das nicht gleich gesagt?“

„Noch kannst du ohne Brays Hilfe zurück“, war die lapidare Entgegnung.

„Vielleicht ist das alles nur eine verdammte Falle für uns?“, knurrte Ken Kiley.

„Glaubst du, ich sei darauf angewiesen? Du unterschätzt meine Macht.“

„Kommt weiter“, drängte Rainer Bray, „wir wollen nicht noch mehr Zeit verlieren.“

„Ja, geht!“, rief der Geist „Befreit mich, tut das, worauf ich seit Jahrhunderten warte, was ich sehnsüchtig herbei wünsche und dennoch fürchte.“ Plötzlich schwang Euphorie in der „geistigen Stimme“ mit. „Wenn ihr es ohne Schaden übersteht, werdet ihr es nicht zu bereuen haben, denn mit meiner Befreiung ist noch anderes verbunden.“

„Jahrhunderte?“, echote Ken gedehnt. „Soll das heißen, seit Jahrhunderten simulierst du in einem unbewohnten Haus den Wohnsitz von Fermes und veröffentlichst irgendwelche okkulte Schriften? Aber wieso…?“

„Was wartet dann auf uns? Womit ist deine Befreiung für uns verbunden?“, konnte sich hingegen Bing Darcel nicht verkneifen zu fragen.

„Ihr werdet es sehen!“, wich der Geist aus.

Ken musste ununterbrochen an die Worte denken „wenn ihr es ohne Schaden übersteht“, dennoch ging er mit den anderen beiden weiter.

*

Der Gang, den sie betreten hatten, führte zunächst steil abwärts. Wasser rieselte an den Wänden herunter. In regelmäßigen Abständen hingen eiserne Halter an den brüchigen Mauern. Darin steckten heruntergebrannte, von der Feuchtigkeit halb zersetzte Fackeln.

Flackerndes Licht wies den drei Männern den Weg. Der Boden war glitschig und die Gangdecke mit Rissen übersät.

Immer steiler wurde schließlich der Weg, bis die Männer fast fürchten mussten, auszugleiten und den Rest rutschend zurückzulegen.

Ken spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals pochte. Eine unheimliche Atmosphäre war hier unten, und die faulige Luft drückte schwer auf die Lungen.

Manchmal waren dämonische Fratzen an die Wände gemalt. Dann folgten düstere Nischen.

Aber da waren auch schmale, niedrige Seitengänge, in denen sich das Licht ihrer Fackeln verlor.

Die Männer gingen unbeirrbar weiter.

Endlos schien der Gang zu sein, bis er plötzlich jedes Gefälle verlor und sich gabelte.

„Das eigentliche Labyrinth beginnt erst jetzt“, murmelte Rainer Bray. Sein Gesicht war ausgebleicht und die Augen wie glühende Kohlen. Der Mund war zu einem schmalen Schlitz zusammengekniffen. Eine unheimliche Macht ging von dem Mann aus. Hier unten, wo noch nie ein Sonnenstrahl hin gekommen war, konnte er seine Kräfte offenbar voll entfalten. Es würde sich noch herausstellen müssen, welcher Art sie wirklich waren — positiv, wie von ihm behauptet, oder… negativ.

Rainer Bray ließ anhalten.

Er schloss die Augen. Seine Lippen bewegten sich zu einem fast lautlosen Spruch.

Ken kam näher und hob die Fackel über den Kopf.

Das unruhige Licht warf taumelnde Schatten, die ständig ihre Umrisse veränderten.

Brays Gesicht leuchtete wie ein Totenschädel. Die Backenknochen traten weit hervor.

Rainer Bray öffnete die Hand, die eine der Ersatzfackeln hielt. Die Fackel fiel mit einem leisen Geräusch zu Boden.

Ken blickte direkt in dieses unmenschlich erscheinende Gesicht. Das Grauen fiel ihn an bei diesem Anblick. Mit einem erstickten Aufschrei sprang er zurück.

Bray bleckte die Zähne. Seine Augen waren immer noch geschlossen. Sein Gesicht wirkte wie aus Stein gemeißelt. Die Arme breiteten sich weit auseinander und malten seltsame Zeichen in die Luft.

Dann brach ein furchtbarer Laut über Rainer Brays Lippen - ein Laut, der tausendfach in den unendlich verzweigten Gängen widerhallte, was wie ständig wiederholtes Antworten klang.

Der Laut schien nicht mehr abreißen zu wollen.

Musste der Magier nicht einmal nach Atem schöpfen?

Brays Hände ballten sich zu Fäusten, dass die Knöchel weiß hervortraten.

Sein Mund schloss sich wieder, aber der schreckliche Schrei blieb.

Unheimliches Stöhnen mischte sich hinein, vielfach verstärkt. Die unheimlichen Töne verebbten nur langsam wieder.

Schließlich öffnete Rainer Bray die Augen wieder. Ein Zittern ging durch seinen Körper. Seine Arme senkten sich herab.

Mit irrlichterndem Blick sah er nach den beiden Männern. Er bückte sich nach der Ersatzfackel.

Bing Darcel und Ken Kiley erwachten aus ihrer Erstarrung. Sie tasteten taumelnd nach Halt.

„Zum Teufel, was war das?“, ächzte Bing nach einer Weile.

„Ich an Ihrer Stelle würde besser nicht den Teufel anrufen“, sagte Bray mit einem zynischen Unterton, „wenigstens nicht an diesem Ort.“

„Was war das?“, wiederholte Bing.

„Das Vorspiel!“, war die lapidare Antwort.

Ken Kiley strich sich mit einer fahrigen Handbewegung über die Stirn.

„Ich wollte mit einem magischen Spruch diese Stelle markieren, damit sie uns gleichsam wie ein Leuchtfeuer den Weg zurück weist, falls es nötig werden sollte“, sagte Bray. „Damit aber rüttelte ich die Geister hier unten auf. Sie attackierten mich, und ich musste mich zur Wehr setzen. Das ist alles.“

„Das ist alles?“, wiederholte Ken und schüttelte fassungslos den Kopf.

„Ja, und wie schon erwähnt, war das erst das Vorspiel.“ Rainer Bray richtete sich schadenfroh lächelnd auf. „Doch jetzt müssen wir weiter. Das magische Zeichen ist gesetzt. Ich werde auch den folgenden Weg markieren. Ihr braucht nicht zu fürchten, dass ihr nicht mehr zurück findet.“

„Und wenn Ihnen etwas zustößt?“, warf Bing Darcel ein.

„Dann, mein lieber Mister Darcel, sind Sie ohnehin verloren“, meinte Bray lakonisch und ging voraus.

Bing und Ken taumelten hinterdrein.

So müssen sich Hühner fühlen, die man zur Schlachtbank führt, dachte Ken grimmig.

*

Abzweigung folgte auf Abzweigung. Die Wände erschienen gut erhalten.

Der Gang war überall gleich hoch und gleich breit. Es gab keine Orientierungshilfen. Schon nach einer halben Minute hatten sich Bing Darcel und Ken Kiley hoffnungslos verirrt.

„Ich hoffe sehr, Sie kennen nicht nur den Weg zurück, sondern auch den nach vorn“, knurrte Bing.

Rainer Bray lächelte dazu.

„Warum so misstrauisch?“, fragte er. „Vertrauen Sie mir doch. Etwas anderes bleibt Ihnen ohnehin nicht übrig.“

Das war deutlich. Bing hielt den Mund.

„Spüren Sie immer noch die Ausstrahlung des Geistes?“, erkundigte sich Ken.

Bevor Rainer Bray antworten konnte, hob Ken seine Stimme und rief: „He, Fermes, warum mussten wir eigentlich mit von der Partie sein? Wir hätten doch ebenso gut oben warten können?“

Der Geist meldete sich nicht mehr.

„Er ist noch da“, sagte Rainer Bray. „Ich spüre ihn deutlich. Seine Ausstrahlungen zeigen mir ungefähr den Weg. - Es kann natürlich dennoch durchaus vorkommen, dass wir uns unterwegs ein paar Mal verlaufen“, fügte er zögernd hinzu.

Ken spürte nackte Angst in sich aufkeimen. Plötzlich hatte er das Gefühl, diesem Labyrinth nie mehr entkommen zu können - wie viele Menschen schon vor ihm, wenn man den Worten Fermes' Glauben schenken mochte.

*

An einer fünfsternigen Kreuzung ließ Rainer Bray anhalten. Sie waren inzwischen schon über eine halbe Stunde unterwegs. Wenn sie gingen, hallte das Knallen ihrer Absätze durch die Gänge und verlor sich in unergründlichen Fernen. Jetzt, wo sie ruhig da standen, brach lähmende Stille auf sie ein - Stille, die man fast körperlich spüren konnte.

War es wirklich möglich, dass sie sich immer noch unter London, einer Millionenstadt, befanden? Es musste so sein, wenn es auch den beiden Freunden so vorkam, als befänden sie sich plötzlich auf einem fernen, feindlichen Planeten, von dem es keine Rückkehr mehr gab.

„Was ist los?“, fragte Bing Darcel. „Wissen Sie nicht mehr weiter?“

„So ungefähr“, gab Rainer Bray zu und setzte sich wieder in Bewegung.

Er entschied sich für den Gang rechter Hand.

Sie waren noch nicht zwanzig Schritte weiter gegangen, als ein kalter, modriger Hauch über sie hinweg wehte und schlagartig die Fackeln löschte.

Abrupt blieben die drei stehen. In die plötzliche Finsternis mischte sich wieder jene bedrückende Stille, die aber nicht lange andauerte. Im nächsten Augenblick nämlich klang vor ihnen ein gellendes Lachen auf. Eine eiskalte Hand strich Ken über das Gesicht, und er war unfähig, sich dagegen zu wehren.

Etwas Schleimiges legte sich um seinen Hals.

Noch immer war Ken zu keiner Regung fähig.

Da flammte Licht vor ihnen auf. Es war wie der Schein einer untergehenden Sonne. Es schien jedoch eine Art rote Laterne zu sein, die jemand hin und her schwenkte. Löcher stanzten sich hinein. Das Ding wurde zu einem Gesicht mit Augen, Nase, Mund und Ohren, die von innen flackernd erleuchtet wurden.

Feuer löste sich aus den Augenhöhlen und schoss in einem dicken Strahl auf Ken zu.

Ken Kiley wollte seinen Kopf zur Seite drehen, aber das schleimige Etwas um seinen Hals hielt ihn unerbittlich fest.

Höhnisches Lachen marterte seine Trommelfelle. In das Lachen mischte sich ein schrecklicher Schrei. Es dauerte Sekunden, bis Ken wusste, dass er selbst es war, der da schrie.

Der Feuerstrahl brauchte überraschend lange. Es musste eine ungeheure Entfernung zwischen dem glühenden Gesicht und Ken sein.

Aber dann hatte die Hitze Ken Kiley erreicht. Flammen hüllten ihn ein.

„Mein Gott, ich verbrenne“, keuchte Ken und schlug um sich. Das Feuer schien auch von dem schleimigen, unsichtbaren Wesen nicht vertragen zu werden. Mit einem leisen Schmerzenslaut zog es sich zurück. Aber dann lachte es wieder und schien sich über die verzehrenden Flammen köstlich zu amüsieren.

Ken brach zusammen. Schmerzen durchwühlten seinen gemarterten Körper, stießen sein Bewusstsein in einen dunklen Abgrund.

*

Er träumte.

Furchterregende Dämonen schwebten durch die Luft, haschten nach ihm, aber er lachte ihnen nur in die fratzenhaften Gesichter.

Er hatte eine kleine, spitze Nadel in der Hand. Wenn er damit die schwebenden Dämonen pikste, zerplatzten sie mit einem lauten Knall wie Luftballons.

Und tatsächlich erkannte er tief unter sich einen lachenden kleinen Jungen mit dem Gesicht von Rainer Bray. Der Junge winkte ihm fröhlich zu, blies die Dämonen auf und ließ sie steigen.

Ken erwartete sie und pikste immer wieder, bis keine mehr da waren.

Dann erwachte er. Langsam schlug er die Augen auf.

Über ihm schwebte ein Gesicht. Tiefe Schatten hatten sich in das verzerrte Antlitz gegraben, Schatten, die sich bewegten. Die Augen weiteten sich und strahlten ein kaltes Feuer aus.

Es brannte in seinem Innern, und Ken schrie leise auf.

Das Gesicht schwebte näher.

Aber Ken hatte keine Angst. Er lachte.

Daraufhin zuckte die verzerrte Grimasse erschrocken zurück.

Kens Lachen schwoll an, brach sich an unsichtbaren Wänden und brachte ihn vollends in die Wirklichkeit zurück.

„Gott sei Dank“, murmelte Rainer Bray erschöpft und lehnte sich schwer atmend gegen die feuchte Gangwand. Auf seiner Stirn perlte der Schweiß. „Ich dachte schon, Sie seien wahnsinnig geworden.“

Ken Kiley richtete sich mühsam auf.

„Was ist passiert?“, erkundigte er sich verwirrt.

Er blickte nach seinem Freund Bing Darcel, der bleich am Boden saß, ebenfalls mit dem Rücken zur Wand.

„Wenn ich das wüsste“, sagte Bing tonlos.

„Es war eine Falle.“ Rainer Bray atmete tief durch. Offenbar hatte er sich von seiner Erschöpfung schon wieder erholt. „Es gelang ihnen, uns hierher zu locken, indem sie mich störten, so dass ich die Orientierung verlor.“

„Orientierung verlor“, äffte Bing nach. „Das kann ja heiter werden. Wenn das öfter passiert, dann gute Nacht.“

„Sie wurden ja von Fermes gewarnt!“, fuhr ihn Bray unbeherrscht an. Sofort hatte sich der Magier jedoch wieder in der Gewalt. „Auf jeden Fall müssen wir hier weg, bevor sich die Geister zu einem neuen Angriff formieren.“

Ken und Bing erhoben sich.

„Ich hatte ein seltsames Erlebnis“, sagte Ken. „Waren das alles Trugbilder?“

Rainer Bray antwortete nicht sofort. Er zog eine Ersatzfackel aus der Tasche und entzündete sie an der fast ganz herunter gebrannten Fackel, die er in eine eiserne Halterung gesteckt hatte.

Hoch loderte die Flamme auf. Sofort wurde es heller.

Die beiden Freunde taten es Bray gleich.

Rainer Bray hob seine Fackel hoch über den Kopf.

Erstaunt sahen sich die Journalisten um. Die Gangwände erweiterten sich vor ihnen trompetenförmig und umschlossen eine Höhle. Sie hatte eine Grundfläche von mindestens zwanzig mal zwanzig Yards und eine Höhe von etwa dreißig Fuß.

„Ihr Erlebnis war sehr real - außer dem Feuer zu Beginn. Dieses war magischer Natur. Ich baute es in das Geschehen ein, um Sie von den Geistern zu befreien.“ Rainer Bray deutete auf eine Öffnung im Hintergrund der Höhle. Sie war kopfgroß. „Das war die untergehende Sonne, also jenes Licht, das Ihnen zuerst auffiel. Die Geister hatten…“

„Sagen Sie mal, wie oft haben Sie uns inzwischen eigentlich schon das Leben gerettet?“, unterbrach ihn Bing.

Rainer Bray lächelte nur.

Ken fröstelte es.

„Mir gefällt es hier nicht. Wissen Sie den Weg zurück?“

Bray hob die Augenbrauen.

„Sollte ich nicht?“

Er ging voraus.

Nach ein paar Schritten jedoch blieb er schon wieder stehen.

„Es ist besser, wenn Sie Ihre Fackeln wieder löschen. Meine genügt. Wir müssen sparsam sein“, sagte er über die Schulter zurück. „Wer weiß, wie weit wir noch zu gehen haben. Ich komme zwar durchaus auch ohne Licht aus, aber es wäre nicht gut, wenn ihr mir blind in der Finsternis folgen müsstet.“

Die beiden Freunde gehorchten zögernd und schlossen dann mit gemischten Gefühlen auf.

*

Wir hatten inzwischen den Randbezirk von London erreicht. Immerhin. Allerdings um diese morgendliche Stunde war auf den Straßen im wahrsten Sinne des Wortes die alltägliche Hölle los: Ungezählte Menschen versuchten, rechtzeitig ihren Arbeitsplatz in der Stadt zu erreichen. Das Gedränge war zwar nicht schlimmer als in anderen Metropolen dieser Welt, aber das hieß nicht, dass es nicht ungeheuer nervte. Denn auch wir wollten rechtzeitig auf unserem „Arbeitsplatz“ sein, und dabei ging es um nicht mehr und auch nicht weniger als möglicherweise den Fortbestand der menschlichen Zivilisation.

Es fiel mir auf dem Beifahrersitz, während Don Cooper voll auf die Straße konzentriert war, schwer, an mich zu halten. Da kam mir in den Sinn, dass sich eigentlich unser Freund beim Yard, Tab Furlong, noch gar nicht bei uns gemeldet hatte. Auch Dons Freundin Lydia Hamilton hatte sich ziemlich rar gemacht, wie ich jetzt erst fand.

Einigermaßen erstaunt zog ich mein Mobile und kontrollierte es. Es erschien einwandfrei.

Ich schaute nach, ob ich Nachrichten erhalten hatte, ohne es bemerkt zu haben.

Ebenfalls Fehlanzeige.

Ich warf einen Seitenblick auf Don Cooper, der gar nicht auf mich achtete. Dann wählte ich die fest einprogrammierte Nummer von Tab Furlong im Yard.

Es läutete schier endlos, doch niemand ging dran.

Ich fluchte halblaut vor mich hin und versuchte es erneut. Was war da los?

Selbst über seine mobile Rufnummer war Tab einfach nicht erreichbar. Genauso wenig wie seine Frau Kathryn.

„Keine Chance!“, bestätigte jemand hinter mir zusätzlich.

Ich fuhr herum: Endlich war der Daedrafürst wieder aufgetaucht.

Endlich?

Sein schreckliches Aussehen war etwas, woran ich mich wohl nie gewöhnen konnte, obwohl ich inzwischen nun wirklich als ziemlich abgebrüht gelten durfte. Für einen Daedra jedoch war das anscheinend völlig normal.

„Was ist passiert inzwischen?“, fragte ich verstimmt.

„Nicht viel. Außer dass Tab ziemlich isoliert ist. Er versteht sozusagen die Welt nicht mehr, dass er niemanden telefonisch erreichen kann. Er ist auch selbst nicht mehr erreichbar. Alle Telefonverbindungen, egal ob drahtlos oder per normalem Telefonnetz, werden kontrolliert. London ist im Grunde genommen bereits in den Klauen des Gegners, und von hier aus, wie ich schon vermutet habe, soll die große Offensive starten gegen die ganze Welt. Dabei scheint das alte Anwesen von Fermes irgendwie eine Rolle zu spielen. Welche, das konnte ich noch nicht herausfinden. Jedenfalls fuhren die beiden Wissenschaftsjournalisten dorthin, gemeinsam mit diesem Rainer Bray. Um anschließend spurlos zu verschwinden. Sogar die Inquisitoren, wie sich die X-Agenten inzwischen großspurig nennen, seit die X-Organisation mit der Schwarzen Mafia beziehungsweise dem Schwarzen Adel überraschenderweise gemeinsame Sache macht, können sie nicht mehr finden.“

„Fermes?“, echote ich und grübelte kurz. Ja, jetzt erinnerte ich mich. Da war ein altes Gebäude, um das sich haarsträubende Geschichten rankten. Bisher ging keine echte Gefahr davon aus, weshalb ich keinen Anlass hatte, mich darum zu kümmern. War das etwa ein Fehler gewesen?

Ich fixierte den Daedra mit meinen Blicken und kniff dabei die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.

„Das Anwesen von Fermes… Es wird behauptet, es sei schon seit Jahrhunderten unbewohnt. Ich war ein einziges Mal dort. Das ist schon einige Jahre her. Einfach nur aus Neugierde. Das Haus sieht zwar ziemlich verwahrlost aus, aber ich konnte nicht die geringsten schwarzmagischen Ausstrahlungen feststellen, selbst mit meinem Schavall nicht. Ich dampfte dann wieder ab.“

„Offensichtlich hat dich Fermes ausgetrickst“, schlussfolgerte der Daedra. „Er veröffentlicht ja sogar noch Artikel, Bücher und andere Schriften unter seinem Namen. Jeder scheint zu wissen, dass er mindestens schon seit Jahren tot ist. In Wirklichkeit sind es ja wohl Jahrhunderte.“

„Was weißt du über ihn?“, fragte ich gerade heraus.

Er zögerte kurz mit der Antwort. Für meine Begriffe trotzdem ein wenig zu lang. Konnte ich dennoch seinen folgenden Worten vertrauen?

„Also, Fermes agierte vor Jahrhunderten. Er war Mitglied des Schwarzen Adels. Ein Halbdämon, also halb Mensch, halb Dämon. Allerdings mit ziemlich großer Macht. Dann verschwand er plötzlich. Ich habe nicht so viel mitbekommen, weil ich vorsichtig sein musste.“

„Ja, klar“, brummte Don, während er weiter den Blick auf die Straße gerichtet hielt. „Und wieso wundert mich das jetzt nicht?“

Der Daedra fuhr ungerührt fort:

„Jedenfalls, er schien sich im Zwiespalt mit dem Schwarzen Adel zu befinden, und dann verschwand er offiziell völlig. Sein Haus blieb verwaist. Bis vor Jahrzehnten. Seitdem ist es von seltsamem Leben erfüllt. Nicht immer allerdings. Ich nehme an, es hängt mit einer Art Geist von Fermes zusammen. Mehr weiß ich leider nicht zu sagen.“

„Und wieso gingen die beiden Wissenschaftsjournalisten ausgerechnet dorthin?“, erkundigte ich mich erstaunt.

„Na, du hast halt die Fernsehsendung von den beiden nicht gesehen, Mark. Da haben sie das Haus erwähnt. Sie erzählten, dort recherchiert zu haben. Das Haus habe sich regelrecht mit ihnen unterhalten und für einige Infos gesorgt, die sie sonst nicht bekommen hätten.“

„Aha?“, machte ich nachdenklich. Irgendwie wurde ich aus alledem dennoch nicht so recht schlau. Wie passte es zusammen? Was hatte dieses Haus von Fermes mit dem großen Schlag gegen die Menschheit zu tun? Ja, gab es da überhaupt irgendeinen Zusammenhang? War es überhaupt sinnvoll, sich weiterhin um die beiden Wissenschaftsjournalisten zu kümmern und ihren Begleiter, jenem Rainer Bray?

Aber es war immerhin der einzige Anhaltspunkt, der uns gegeben war.

Mir fiel Lydia wieder ein.

„Was ist mit Dons Freundin? Wieso meldet sie sich nicht mehr?“

„Wieso meldet sich Don nicht bei ihr?“, war die Gegenfrage.

Don brummte dazu:

„Weil Don die ganze Zeit schon Auto fahren muss und dabei alle Konzentration braucht? Heißt es nicht, es sei zu gefährlich, während der Fahrt zu telefonieren? Muss ich dir jetzt sagen, dass es manchmal besser ist, unnötige Risiken zu vermeiden? Ausgerechnet dir?“

Ich hätte gelacht, wäre die Situation nicht so ernst gewesen.

Die Nummer von Lydia hatte ich selber einprogrammiert. Kurzerhand drückte ich die Ruftaste und lauschte.

Das Freizeichen.

Einmal, zweimal, dreimal…

Egal, wie oft ich es versuchte: Es war keine Verbindung möglich.

„Das Telefonnetz?“, fragte ich den Daedra.

„Ja!“, antwortete er einfach. „Sowohl Tab als auch Lydia Hamilton werden isoliert.“

„Wenn Lydia jetzt etwas geschieht…“, rief Don alarmiert.

Ich hatte soeben denselben Gedanken. Er war mir nur zuvor gekommen.

Der Daedra meinte jedoch:

„Keine Bange, der Gegner ist voll und ganz beschäftigt mit den Vorbereitungen. Ich gehe sogar auch noch einen Schritt weiter: Er befindet sich in der Endphase, und die Menschheit ahnt noch nicht einmal etwas davon.“

„Und die drei Männer sind im Haus von Fermes. Was geht dort drin vor?“, überlegte ich laut. „Sie sind darin verschwunden? Und die Inquisitoren nehmen nicht die Verfolgung auf? Wieso durchsuchen sie das Haus nicht sorgfältiger?“

„Weil sie normale Menschen sind“, erläuterte der Daedra seine Meinung. „Sie haben keine magischen Fähigkeiten und lassen sich narren. Ich spüre die magischen Ausstrahlungen dabei und kann es leider nicht wagen, näher heran zu gehen. Die Inquisitoren bewachen zwar das Haus und suchen nach den Verschwundenen, allerdings außerhalb, nicht innerhalb.“

„Und wenn sie jetzt Meldung machen an ihre Zentrale?“, rief Don Cooper. „Dann schicken die einen Magier oder was und dann…“

„Nein, die machen keine Meldung!“, unterbrach ihn der Daedra. „Die haben doch viel zuviel Angst, ihr Versagen zuzugeben, und sie müssen von sich in der Tat annehmen, versagt zu haben. Deshalb suchen sie so verzweifelt nach den Dreien. Wahrscheinlich haben sie den Auftrag, sie zu töten. Die eigentliche Bedeutung des Hauses ist ihnen offensichtlich völlig unbekannt. Da hapert es anscheinend doch etwas mit dem Informationsaustausch zwischen der X-Organisation und der Schwarzen Mafia.“

„Gottlob“, murmelte ich.

„Kein Grund zum Optimisums“, bremste mich Don sogleich. „Für die ist das anscheinend eine Kleinigkeit, etwas also, das man vernachlässigen kann.“