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"So eine Freundin wie Du fehlt mir jetzt ganz besonders", schreibt Brigitte Reimann 1969 an Irmgard Weinhofen ins ferne Amsterdam, und dann vertraut sie ihr all das Traurige an, was ihr gerade widerfahren ist. Die Briefe, die sie einander in bösen wie in guten Zeiten schicken, zeugen von einer besonders innigen Freundschaft, der auch die räumliche Entfernung nichts anzuhaben vermag. Als Brigitte Reimann kaum mehr selbst schreiben kann, übernehmen es Freunde, Irmgard Weinhofen von ihrem Krankenlager zu berichten. So fügt diese Korrespondenz bisher unbekannte Bausteine zur "Eine Freundin, für die es keine Nachfolge gegeben hat", sagt Irmgard Weinhofen über Brigitte Reimann, die sie seit 1948 kannte. Als Irmgard Weinhofen einen Niederländer heiratete und nach Amsterdam zog, bedeuteten Brigitte Reimann ihre lebendigen Berichte einen Blick in jene Welt, die ihr nicht zugänglich war. Wie die Freundin sich in den fernen Niederlanden durchschlug, verfolgte sie mit Bewunderung und der Neugierde der Autorin, die einen Romanstoff witterte. Sie selbst schrieb ihr oft ausführlicher über Privates, Klatsch, Kulturpolitik und Manuskripte, als sie das bei anderen Briefpartnern oder in ihren Tagebüchern tat. Mal übermütig, mal verzweifelt, mal verschwörerisch - diese Briefe dokumentieren die Freundschaft zweier temperamentvoller, begeisterungsfähiger, leidenschaftlicher Frauen über Ländergrenzen hinweg.
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Seitenzahl: 495
Brigitte Reimann, geb. 1933 in Burg bei Magdeburg, war Lehrerin und seit ihrer ersten Buchveröffentlichung 1955 freie Autorin. 1960 zog sie nach Hoyerswerda, 1968 nach Neubrandenburg. Nach langer Krankheit starb sie 1973 in Berlin. Wichtigste Veröffentlichungen: Die Frau am Pranger (Erzählung, 1956), Ankunft im Alltag (Erzählung, 1961), Die Geschwister (Erzählung, 1963), Das grüne Licht der Steppen. Tagebuch einer Sibirienreise (1965), Franziska Linkerhand (Roman, 1974, vollständige Neuausgabe 1998), Ich bedaure nichts. Tagebücher 1955–1963 (1997, als Lesung mit Jutta Hoffmann DAV 066-5), Alles schmeckt nach Abschied. Tagebücher 1964-1970 (1998, als Lesung mit Jutta Hoffmann DAV 110-6). Außerdem erschienen die Briefwechsel mit Christa Wolf, Sei gegrüßt und lebe. Eine Freundschaft in Briefen 1964–1973 (1993), mit Hermann Henselmann, Mit Respekt und Vergnügen (1994); Aber wir schaffen es, verlaß Dich drauf. Briefe an eine Freundin im Westen (1995), und mit Irmgard Weinhofen, Grüß Amsterdam. Briefwechsel 1956–1973.
Angela Drescher, geboren 1952, ist Lektorin und gab Werner Bräunigs Roman »Rummelplatz« heraus, außerdem die Tagebücher Brigitte Reimanns und die ungekürzte Neuausgabe des Romans »Franziska Linkerhand«.
Irmgard Weinhofen, geb. 1931, war u. a. Lehrerin, Germanistin; 1959 Heirat mit einem Niederländer, mit dem sie 1963 nach Amsterdam zog, wo sie bis vor einigen Jahren lebte. Mit Brigitte Reimann war sie seit 1948 befreundet.
»So eine Freundin wie Du fehlt mir jetzt ganz besonders«, schreibt Brigitte Reimann 1969 an Irmgard Weinhofen ins ferne Amsterdam, und dann vertraut sie ihr all das Traurige an, was ihr gerade widerfahren ist. Die Briefe, die sie einander in bösen wie in guten Zeiten schicken, zeugen von einer besonders innigen Freundschaft, der auch die räumliche Entfernung nichts anzuhaben vermag. Als Brigitte Reimann kaum mehr selbst schreiben kann, übernehmen es Freunde, Irmgard Weinhofen von ihrem Krankenlager zu berichten. So fügt diese Korrespondenz bisher unbekannte Bausteine zur Biographie Brigitte Reimanns hinzu.
»Eine Freundin, für die es keine Nachfolge gegeben hat«, sagt Irmgard Weinhofen über Brigitte Reimann, die sie seit 1948 kannte.
Als Irmgard Weinhofen einen Niederländer heiratete und nach Amsterdam zog, bedeuteten Brigitte Reimann ihre lebendigen Berichte einen Blick in jene Welt, die ihr nicht zugänglich war. Wie die Freundin sich in den fernen Niederlanden durchschlug, verfolgte sie mit Bewunderung und der Neugierde der Autorin, die einen Romanstoff witterte. Sie selbst schrieb ihr oft ausführlicher über Privates, Klatsch, Kulturpolitik und Manuskripte, als sie das bei anderen Briefpartnern oder in ihren Tagebüchern tat.
Mal übermütig, mal verzweifelt, mal verschwörerisch – diese Briefe dokumentieren die Freundschaft zweier temperamentvoller, begeisterungsfähiger, leidenschaftlicher Frauen über Ländergrenzen hinweg.
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Brigitte ReimannIrmgard Weinhofen
Grüß Amsterdam
Briefwechsel1956–1973
Herausgegebenvon Angela Drescherund Dorit Weiske
Inhaltsübersicht
Über Brigitte Reimann
Informationen zum Buch
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Irmgard WeinhofenDenke ich an Brigitte …
Briefwechsel 1956–1973
1 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
2 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
3 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
4 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
5 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
6 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
7 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
8 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
9 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
10 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
11 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
12 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
13 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
14 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
15 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
16 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
17 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
18 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
19 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
20 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
21 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
22 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
23 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
24 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
25 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
26 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
27 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
28 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
29 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
30 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
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35 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
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49 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
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61 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
62 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
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75 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
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79 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
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81 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
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85 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
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87 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
88 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
89 Juergen an Irmgard Weinhofen
90 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
91 Juergen an Irmgard Weinhofen
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95 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
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99 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
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101 Juergen an Irmgard Weinhofen
102 Juergen an Irmgard Weinhofen
103 Juergen an Irmgard Weinhofen
104 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
105 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
106 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
107 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
108 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
109 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
110 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
111 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
112 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
113 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
114 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
115 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
116 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
117 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
118 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
119 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
120 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
121 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
122 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
123 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
124 Irmgard Weinhofen an Brigitte Reimann
125 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
126 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
127 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
128 Dieter Jürn an Irmgard Weinhofen
129 Dieter Jürn an Irmgard Weinhofen
130 Dieter Jürn an Irmgard Weinhofen
131 Dieter Jürn an Irmgard Weinhofen
132 Brigitte und Elisabeth Reimann an Irmgard Weinhofen
133 Dieter Jürn an Irmgard Weinhofen
134 Dieter Jürn an Irmgard Weinhofen
135 Juergen an Irmgard Weinhofen
136 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
137 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
138 Brigitte Reimann an Irmgard Weinhofen
139 Juergen an Irmgard Weinhofen
140 Juergen an Irmgard Weinhofen
141 Juergen an Irmgard Weinhofen
Anhang
Anmerkungen
Personenverzeichnis
Lebensdaten Brigitte Reimann
Zu dieser Ausgabe
Impressum
Wenige Jahre nach dem Tod von Brigitte Reimann bat mich Frau Elten-Krause, damals Mitarbeiterin des Literaturzentrums Neubrandenburg, einige ihrer Briefe, in denen insbesondere »die Probleme ihres Frauenlebens und -erlebens«* zum Ausdruck kommen sollten, für ein geplantes Buchprojekt zur Verfügung zu stellen. Ich brachte es damals einfach nicht übers Herz, Vertraulichkeiten zwischen Brigitte und mir der Öffentlichkeit preiszugeben. Inzwischen sind zwei Jahrzehnte vergangen, doch noch immer bin ich nicht frei von diesen Zweifeln. Den Anstoß dafür, meine Bedenken zu überwinden, gab eine junge Germanistin, die, fasziniert von der Lektüre der Reimannschen Tagebücher, den Kontakt zu mir suchte. Sie war es schließlich, die mich von der Veröffentlichung des Briefwechsels überzeugte. Zunächst hatten wir die Absicht, ausschließlich Brigittes Briefe herauszugeben. Uns wurde jedoch schnell klar, daß es für das Verständnis von Vorteil ist, wenn man meine Briefe hinzufügt, da Brigitte auf vieles, was ich geschrieben habe, reagierte. Meine Briefe, von denen etliche nicht mehr auffindbar sind, werden auszugsweise wiedergegeben. Sie sollen in erster Linie Zusammenhänge herstellen und Sachverhalte erläutern.
Überschaue ich unsere Korrespondenz heute aus der Distanz, dann werden die sich inzwischen in Europa vollzogen habenden gesellschaftspolitischen Veränderungen nur allzu deutlich sichtbar. Uns umgab in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren, als unsere Briefe von einem Ort zum andern, später von einem Land ins andere hin- und hergingen, eine völlig andere gesellschaftliche Realität. Diese unsere damalige Welt bildete den historischen Hintergrund unseres Gedankenaustauschs. Unsere persönlichen Erfahrungen, Erkenntnisse, Einsichten, aber auch Vor- und Fehlurteile, Mißverständnisse oder Unkenntnisse, die mir heute selbst oft unverständlich erscheinen, spiegelten sich in der Geschichte unserer Zeit: Brigittes Erlebniswelt in der DDR und meine im Erleben beider Systeme.
Denke ich heute an Brigitte, dann scheint es mir, als fielen Vergangenheit und Gegenwart zusammen. Schon seit Jahrzehnten lebt sie nicht mehr unter uns. Dennoch ist sie auf andere Weise nachdrücklich, lebendig anwesend, als sie es zu Lebzeiten war. Vor allem ihre beeindruckenden Tagebücher fanden wegen ihrer literarischen und historischen Bedeutung größte Resonanz. Nach wie vor ist das Interesse an Brigitte Reimanns Leben als Schriftstellerin und als Frau ungebrochen. Die zahlreichen aktuellen Veröffentlichungen und Neuauflagen ihrer Werke sprechen für sich. Deshalb möchte ich nun unseren Briefwechsel ihrem literarischen Nachlaß hinzufügen.
Unser kontinuierlicher Briefaustausch begann 1951. Leider ist von Brigittes frühen Briefen nur einer aus dem Jahr 1956 erhalten geblieben. 1959 heiratete ich einen niederländischen Staatsbürger, mit dem ich 1963 von Ostberlin nach Amsterdam zog. Bedauerlicherweise sind die anderen frühen Briefe während dieses Umzuges verlorengegangen. Ab dem Jahr 1958 jedoch liegen alle ihre an mich gerichteten Briefe lückenlos vor.
Denke ich an die erste Begegnung mit Brigitte in Burg im Jahre 1948, dann sehe ich vor mir das Bild der noch mittelalterlich anmutenden Kleinstadt mit ihren beiden gotischen Kirchen in der Ober- und der Unterstadt sowie der Hauptstraße, die Brigitte in ihrem Roman »Franziska Linkerhand« liebevoll die »Magistrale« nennt, auf deren einer Seite ein altes Tor den Zugang zum städtischen Badehaus gewährte. Dort wurden damals auch die balneologischen Nachbehandlungen verschiedener Gelenkerkrankungen vorgenommen. In dieser frühen Nachkriegszeit waren Lebensmittel knapp, die Menschen litten Hunger, Krankheiten und Epidemien waren an der Tagesordnung. Brigitte war an Kinderlähmung erkrankt, und mich hatte ein ähnliches Unglück getroffen. Der Verzehr von verdorbenem Fisch hatte bei meiner ganzen Familie zu schweren Lähmungen an Händen und Füßen geführt. Wie Brigitte wurde auch ich in dem Badehaus mit Massagen, Bestrahlungen und Reizstrom behandelt. Wir lagen nebeneinander auf den Massagebetten, kämpften mit den gleichen gesundheitlichen Problemen und blinzelten uns verlegen zu. Wir waren nahezu gleichaltrig, Brigitte 15, ich 17 Jahre alt. Unser beider Situation, die eine hilfloser als die andere, und die wiederkehrenden Behandlungen zur gleichen Zeit legten die Basis zu einem ersten schüchternen Kontakt.
Nach dem Ende der Behandlungen trafen wir uns oft zufällig auf der Burger Flaniermeile, grüßten und lächelten uns vielsagend zu, im Schlepptau unsere ersten jugendlichen Eroberungen. Die Erinnerung läßt mich schmunzeln, wie wir uns an so manchen Nachmittagen beim Aufund Abflanieren mehrmals begegneten – und sich das Spiel des Lächelns und Grüßens stets wiederholte. Dort, wo sich die Burger Jugend traf, waren auch wir beide zu finden: beim Tanz in der »Stadtschänke« oder im Café »Roland«.
Zu einem engeren Kontakt kam es wenige Jahre später, ab 1951, als Brigitte meine neun Jahre jüngere Schwester in der Schule unterrichtete. Ich wohnte und arbeitete damals schon in Ostberlin, besuchte aber regelmäßig meine Familie in Burg. Der Mittelpunkt des Interesses meiner kleinen Schwester war ihre Lehrerin Brigitte. Sie schwärmte von ihr und verehrte sie. Beide hatten sich angefreundet: die intelligente, gehbehinderte Schülerin und die gleichfalls gehbehinderte Lehrerin. So entwickelte sich über meine Schwester unsere Freundschaft. War ich in Burg, besuchten wir uns gegenseitig. In diesen frühen Jahren – ich denke, kaum jemand erinnert sich heute noch daran – machte Brigitte erstmals literarisch auf sich aufmerksam, als in der Burger Tageszeitung eine Liebesgeschichte von ihr als tägliche Fortsetzungsfolge erschien, mit dem Resultat, daß sich die Stadt darüber köstlich amüsierte.
Denke ich an Brigitte, dann erinnere ich mich besonders lebhaft an ein unerwartetes Wiedersehen im Sommer 1956. Strahlendes Sommerwetter vergoldete den Strand von Ahrenshoop, als wir uns dort überrascht in die Arme fielen. Wir hatten nicht geahnt, daß wir dort zur gleichen Zeit Urlaub machen würden. Brigitte genoß den Aufenthalt am Meer, rannte den Strand entlang, soweit es ihre Behinderung zuließ, warf Steinchen ins Wasser und sang dabei fortwährend und unbekümmert voller Lebensfreude »Minhe, minhe, haha …«, einen Hit jener Zeit.
Brigitte, damals dreiundzwanzigjährig, schwamm auf der Wolke ihres ersten Erfolges mit »Die Frau am Pranger«. Sie bekam dafür – nach unseren Vorstellungen – unwahrscheinlich viel Geld, das sie, unter anderem auch allabendlich in der Bar von Ahrenshoop, mit vollen Händen wieder ausgab.
Eines Morgens lief ich an dem Fischerhäuschen vorbei, in dem Brigitte mit Günter, ihrem ersten Ehemann, logierte. In diesem Augenblick öffnete sie die nächtlich geschlossenen Fensterläden. Das frühe Sonnenlicht erhellte einen wunderschönen Anblick: Die junge, sonnengebräunte Brigitte, nur mit einem dünnen, ärmellosen Blüschen bekleidet, zeigte einen üppigen, formvollendeten Oberkörper, der noch heute jede Frau vor Neid erblassen ließe. Die Schönheit dieses Fensterbildnisses glich einem Barockgemälde. Es hat mich dermaßen beeindruckt, daß meine Sinne es für immer aufbewahren werden.
1959 heirateten wir fast gleichzeitig: Brigitte Siegfried Pitschmann, mit dem sie 1960 nach Hoyerswerda zog, und ich Frederik Weinhofen in Berlin. Natürlich war Brigitte neugierig, was ich mir da für einen Prinzen aus den fernen Niederlanden geangelt hatte – und ein Besichtigungs- bzw. Bekanntmachungsbesuch folgte sehr bald.
Denke ich an Brigitte und Hoyerswerda, dann frage ich mich noch heute, weshalb ich sie dort damals nicht besucht habe. Oft kam etwas dazwischen, Gelegenheiten blieben ungenutzt. Zu den schönsten Erinnerungen aus jenen Tagen zählen unsere Treffen in dem berühmt-berüchtigten Presse-Café am Bahnhof Friedrichstraße, wenn Brigitte in Berlin zu tun hatte. Meistens wartete sie bereits auf mich, saß an einem der kleinen Kaffeehaustische am großen Fenster, beobachtete die Leute und schrieb. Damals war sie noch relativ gesund und konnte so herrlich und unbeschwert lachen. Den DDR-Behörden war das illustre intellektuelle Völkchen, das sich in dem Café ein Stelldichein gab, ein Dorn im Auge – und damit war die Schließung vorprogrammiert.
In diesem Zusammenhang fällt mir etwas geradezu Mysteriöses ein: Häufig geschah es, daß wir beide zufällig, aber wie bestellt, aufeinandertrafen, obwohl wir uns gar nicht verabredet hatten. Und das passierte meistens an der Uhr am Bahnhof Friedrichstraße.
Dann kam die Mauer und mit ihr das Ende meines »geraden Weges«, wie Brigitte meine bisherige Vita so schön zu bezeichnen wußte.
13. August 1961. Was für ein schicksalhaftes Datum! Was den Berlinern einfach undenkbar erschien, der Irrsinn, ihre Stadt zu teilen, die organische Zusammengehörigkeit zu sprengen, die Familien auseinanderzureißen, das wurde mit jenem Tag zur grausamen Realität. Der Freiheitsentzug traf die Berliner bei der nunmehr endgültig vollzogenen Teilung Deutschlands am härtesten, und er brachte auch unser Leben völlig aus dem Gleichgewicht.
Von nun an begannen die politischen Probleme meiner zweistaatlichen Ehe. Erschwerend kam noch das kapitalistische Herkunftsland meines Ehemannes hinzu. Für einen Niederländer, ganz gleich welcher Weltanschauung und Konfession, erzogen in einem aus der Vergangenheit erklärbaren, ausgeprägten Freiheitsverständnis, war eine derartige Einschränkung seiner persönlichen Bewegungsfreiheit unvorstellbar. So war die entstandene Situation auch für meinen Mann inakzeptabel. Der politische und ökonomische Druck in unserem Alltag gestaltete sich zunehmend unerträglicher, ging mit Schikanen und Verdächtigungen einher, so daß wir uns schließlich entschlossen, die Ausreise aus der DDR zu beantragen, um gemeinsam in die Niederlande, nach Amsterdam, zu ziehen.
Der Weggang aus Ostberlin fiel mir wahrlich nicht leicht. Die mir liebsten Menschen, meine Eltern, vor allem meinen geliebten Vater, der mich nach dem frühen Tod meiner jüngeren Schwester besonders vermißte, Verwandte und Freunde hier zurückzulassen bedeutete für mich langjähriges Herzeleid. Wegzugehen über Grenzen in ein etwa 700 km entferntes unbekanntes Land, obendrein mit gegensätzlicher Gesellschaftsordnung, hieß 1963, in unerreichbare Ferne zu ziehen und nur wenig Aussicht auf ein schnelles Wiedersehen zu haben.
War der Abschied aus meiner bisher vertrauten Welt, Ostberlin, schon schmerzhaft genug, so war der Neuanfang in Amsterdam – wegen gänzlicher Unkenntnis der dortigen Lebensverhältnisse – trotz aller Illusionen beschwerlich und hart. Ich habe geraume Zeit gebraucht zu lernen, mich einzugewöhnen und anzupassen. Es dauerte länger als ein Jahr, bis ich mich in der Lage fühlte, meinen Briefwechsel mit Brigitte wiederaufzunehmen. Von Anfang an war ich mir der Brisanz unseres Kontakts bewußt. Sehr schnell bestätigte sich der Verdacht der Überwachung unserer gesamten Korrespondenz. Brigittes Briefe waren, bevor sie mich in Amsterdam erreichten, geöffnet und kontrolliert worden. Der Postverkehr in umgekehrter Richtung, von Amsterdam nach Hoyerswerda und später nach Neubrandenburg, unterlag ebenfalls intensiver Schnüffelei. Es geschah auch, daß Päckchen überhaupt nicht ankamen, man scheute sich nicht einmal, Banknoten aus den Sendungen zu entfernen, und meine Briefe benötigten stets eine ungewöhnlich lange Zeit, bevor sie Brigitte erreichten. Ein Dritter las immer mit. Diese Situation hat die Inhalte meiner Korrespondenz aus Sorge, Brigitte schaden zu können, wesentlich beeinträchtigt. Ich vermied es tunlichst, auf politische bzw. literaturpolitische Themen einzugehen, von denen mir Brigitte berichtete, denn die Angst schrieb ständig mit. Meine in all den Jahren ausgestandenen Ängste um das Wohl meiner Lieben vermag ich nicht zu beschreiben. Daß diese Angst nicht unbegründet war, bestätigte mir später die Einsichtnahme in meine Stasi-Akte. Daher schrieb ich viel mehr über meine privaten und beruflichen Eindrücke, über unsere Reisen, später über mein Studium an der Universität von Amsterdam.
Inzwischen hatte ich den niederländischen Alltag längst im Griff und meine Lebensfreude zurückgewonnen. Mein Leben hatte Normalität erlangt, da bekam ich von Brigitte beunruhigende Briefe über eine sich ankündigende Krankheit, die für sie relativ schnell zur bösen Gewißheit wurde.
Berichten meiner Eltern zufolge schienen sich die Wellen über meine »offizielle« Ausreise geglättet zu haben, und ich faßte Mut, den ersten Antrag auf eine »besuchsweise Einreise«, wie das damals in DDR-Deutsch hieß, nach Ostberlin zu stellen. Und siehe da, die erwartete Ablehnung blieb aus. Daraufhin wiederholten sich meine Berlin-Besuche in zeitlich dichterer Folge. Trotz ihres angegriffenen Gesundheitszustandes ließ es sich Brigitte nicht nehmen, für ein paar Stunden des gemeinsamen Wiedersehens die strapaziöse Reise von Hoyerswerda nach Berlin zu machen. Unser geliebter Treff, das Presse-Café, war inzwischen zum Fundus des Metropol-Theaters degradiert worden, aber wir fanden eine andere Lokalität. Fortan ging es in die Lunch-Bar des Hotels »Unter den Linden«. Unsere Wiedersehensfreude hatte zwar die Überschwenglichkeit früherer Jahre eingebüßt, krank, wie Brigitte war, doch noch immer genoß sie es in vollen Zügen, auszugehen und als schöne Frau bewundert zu werden.
Denke ich an Brigitte, dann bleibt mir der Augenblick unvergessen, als sie mir sagte, sie habe Krebs. Im Herbst 1968, nach ihrer Brustkrebsoperation, hatte sie sich wieder auf den Weg gemacht, um mit mir ein paar Stunden in Berlin zu verbringen. Am späten Nachmittag begleitete ich sie zum Bahnhof Lichtenberg. Dort hatten sich Abfahrtszeit und -ort des Zuges unerwartet geändert. Adlershof hieß das neue Ziel. Der Weg nach Adlershof war, gelinde gesagt, eine Zumutung. Da standen wir nun beide bei wolkenverhangenem Himmel mutterseelenallein am Rande des zugigen Bahnsteigs eines verödeten Güterbahnhofs. Kaum zu glauben, daß hier ein Fernzug halten sollte. Die gottverlassene Tristesse hatte sich zusätzlich auf unser beider Gemüt gelegt. Tapfer, wie sie immer war, nahm Brigitte ihre ganze Fassung zusammen, um nicht hemmungslos draufloszuheulen, schaute mich an und fragte nur immer wieder: »Warum gerade ich, warum?« Dabei streifte ihr Blick Bein und Hüfte, und sie fügte bitter hinzu: »Ich hatte doch schon mein Teil.« Der Zug fuhr ein. Wir hielten uns an den Händen. Was wir fühlten, brauchte keine Worte. Wir waren nur unendlich traurig. Dennoch: Vielleicht geschah doch ein Wunder!
Ich bewunderte damals Brigittes Mut, trotz ihrer angeschlagenen Gesundheit einen Neuanfang zu wagen. Aber ich verstand sie. Hoyerswerda hatte sie psychisch aufgerieben.
Neubrandenburg – die Stadt im Grünen. Gegensätzlicher hätte sie zu Hoyerswerda mit seinen monotonen Wohnsilos wohl nicht sein können. Brigitte hatte Neubrandenburg von Anfang an ins Herz geschlossen. Die Schönheit der Natur, die instand gehaltene mittelalterliche Stadtmauer mit den Toren, den Wiekhäusern, dem Wall, auf dem Brigitte so gern spazierenging, ihre Wohnung in einem Zweifamilienhaus, an dessen Wänden das grüne Laub des Weins emporrankte, die Sonnenterrasse mit der Aussicht auf die kleinen Beete und den wildwüchsigen Garten dahinter bereiteten ihr viel Freude. Neubrandenburg, die Stadt, die ihr beruflich ein neues Zuhause gab, in der sie sich von hilfsbereiten Schriftstellerkollegen und Freunden umgeben fühlte, ließ sie schnell heimisch werden.
Während ihrer letzten Lebensjahre war es für mich immer weniger schwierig geworden, Brigitte – trotz der Argusaugen der Staatssicherheit – von Berlin aus zu besuchen. 1969 und 1970 kam ich mehrmals zu Tagesbesuchen, 1971 und 1972 sogar zu mehrtägigen Aufenthalten.
Einmal, im Sommer 1971, hatte Brigitte sich besonders gut auf meinen Besuch vorbereitet, eingekauft und sogar ein Fleischgericht gekocht. Das war für sie schon eine beachtliche Leistung, denn mit dem Kochen hatte sie nicht viel im Sinn. Sie selbst aß wenig. Dafür rauchte sie viel, trank ausgiebig schwarzen Kaffee und verachtete auch einen Schluck Wodka nicht. Als Gegenmittel dazu, und auch im Hinblick auf ihre Krankheit, trank sie besonders viel Milch. Diesmal aber machte Brigitte die Backröhre auf und zog eine riesige gußeiserne Bratpfanne, angefüllt mit Gulaschwürfeln, hervor. Ich traute meinen Augen nicht. Diese Portion hätte mindestens für zehn Personen gereicht. Wir aßen den ersten, den zweiten und auch noch den dritten Tag davon, aber der Vorrat wollte nicht schrumpfen. Am vierten Tag schaute sie wieder in die Pfanne, schlug die Backofentür zu – und sagte resolut: »Komm, wir gehen essen!«
Bei Brigitte lernte ich zwei großartige, hilfsbereite junge Menschen kennen. Der eine, Dieter, stellte für mich – wie selbstverständlich – Bett und Wohnung zur Verfügung, der andere, Juergen, ein Allroundtalent, organisierte alles Nötige und sorgte für Geselligkeit. Beide waren auch mir zu Freunden geworden. Sie berichteten mir später getreulich über Brigittes Ergehen, als es ihr schwerfiel oder sie nicht mehr in der Lage war, mir zu schreiben. In Neubrandenburg brach für sie die schwerste Zeit ihres Daseins an, in der wir schon um ihr Leben bangen mußten. Es war die Zeit der furchtbaren, unbeschreiblichen Schmerzen, der immer kürzer werdenden Atempausen zwischen ihren Krankenhausaufenthalten, die Zeit, in der sie mit letztem Kraftaufwand gegen den sich ausbreitenden Krebs ankämpfte, in der sie ihm jede Zeile ihres Romans »Franziska Linkerhand« abtrotzte, der schließlich doch unvollendet bleiben mußte.
Dann kam die Vorweihnachtszeit 1972. Wieder in Berlin, machte ich mich auf den Weg nach Buch in die Rössle-Klinik. In jener Zeit war es eine Strapaze für den Besucher, dort hinzukommen, ganz zu schweigen von der Aussichtslosigkeit, irgendwo Blumen aufzutreiben. Vor einem halben Jahr hatte ich Brigitte zum letztenmal gesehen. Da ich ja wußte, wie krank sie war, hatte ich mich innerlich gewappnet, mir bei einer gravierenden Veränderung ihres Äußeren nichts anmerken zu lassen. Zu meiner Erleichterung hatte die Krankheit sie weder gezeichnet noch entstellt. Ihr Gesicht war wohl schmaler, auf dem kleiner gewordenen Kopf rutschte eine viel zu große Perücke hin und her, aber sie war noch ganz Brigitte, saß gepflegt, schön geschminkt, in einem hübschen Nachthemd – ganz Dame – in ihrem Bett und machte einen aufgeräumten Eindruck. Sie freute sich sehr über meinen Besuch, wie sie sich überhaupt über alles Gute und Schöne immer von Herzen freuen konnte.
Wenn sie über ihre Krankheit sprach, dann tat sie das nicht etwa larmoyant, sondern ganz objektiv, vor allem über die unerträglichen Schmerzen wie auch die Gefahr einer Querschnittslähmung – der fortschreitende Krebs hatte ihre Wirbelsäule angegriffen –, gegen die man ihr vorsorglich ein Korsett anfertigen wollte. Zwischendurch kam eine Schwester, die ihr hin und wieder eine schmerzstillende Spritze gab. Wir plauderten munter weiter. Brigitte berichtete über die Besuche von Günter de Bruyn und Christa Wolf, die ihr viel bedeuteten und Lebensmut gaben. Da sie sich nach wie vor für alles Fremdländische interessierte, wollte sie von mir viel über Amsterdam wissen. Ich hatte ihr versprochen, sie nach Amsterdam zu holen, notfalls im Rollstuhl.
Wir schwatzten wie in alten Zeiten, sie wandte sich den mitgebrachten Aufmerksamkeiten zu, betrachtete sie nachdenklich und sagte dann: Das Wichtigste bei einem schönen Geschenk wäre es, sich darüber freuen zu können, und sei es auch nur für kurze Zeit. Dann hätte das Geschenk seinen Sinn erfüllt. Diese Worte wurden für mich zum Leitgedanken jedes Schenkens.
Bei dieser Begegnung erzählte sie mir etwas, das mich überraschte: Sie habe sich in der Klinik mit einem netten Pater angefreundet, der sie am Krankenbett besuche, mit dem sie interessante und aufbauende Gespräche führe. Als Quintessenz dessen meinte sie: Gäbe es für sie jemals die Chance, diese Klinik noch einmal zu verlassen, dann würde sie in den Schoß der katholischen Kirche zurückkehren. Innerlich hatte Brigitte sich dem Glauben und dem Gebet als Anker letzter Hoffnung zugewandt.
Die Besuchszeit ging zu Ende. Wir umarmten uns und nahmen innigen Abschied. Auf dem Korridor verlor ich völlig meine Fassung. Ich zögerte noch wegzugehen. Mich überkam ein unbestimmtes Gefühl der Endgültigkeit. Noch einmal lief ich in ihr Zimmer zurück. Sie tröstete mich, indem sie ganz ruhig zu mir sagte: »Hab keine Angst, ich gehe noch nicht!« Doch schon bald sollte sie für immer fortgehen …
Denke ich an Brigitte, dann spüre ich auch heute noch ihre in mir nachwirkende, unerklärliche Nähe. Für mich bleibt sie die jahrzehntelange Freundin und Vertraute, mit der ich über alle meine Lebensfragen sprechen konnte und die mir das Gefühl gab, mich zu verstehen. Unsere Freundschaft spielte sich außerhalb der Literaturszene ab, da meine berufliche Entwicklung eine andere Richtung genommen hatte. Trotzdem ließ sie mich intensiv an ihrer schriftstellerischen Arbeit teilhaben und förderte meine Leselust, die mich schließlich noch zu einem Germanistikstudium animierte. Sie war die stille Begleiterin meines Studiums, auch nach ihrem Tode. Noch heute ist sie mir Vorbild bei meinen literarischen Arbeiten.
Ich habe sie bewundert um ihrer ausnehmenden Intelligenz, ihres ausgeprägten Gerechtigkeitssinns willen und besonders wegen ihrer politischen Aufrichtigkeit. Sie war kein Freund fauler Kompromisse und hat sich wegen ihrer kritischen Haltung zum Staat im allgemeinen als auch im Hinblick auf die Zensur ihrer Werke mehr Nach- als Vorteile eingehandelt. Meine Freude über Brigittes schriftstellerischen Nachruhm geht einher mit einem Gefühl der Wehmut, daß es ihr nicht vergönnt war, wenigstens »Franziska Linkerhand« zu vollenden, geschweige denn die Veröffentlichung mit den vielen Nachauflagen zu erleben. Ich hätte ihr so sehr die Erfüllung wenigstens einiger ihrer Träume gewünscht, die der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung ihr heute ermöglichen würden. Das Honorar für »Franziska Linkerhand« hätte es ihr spielend erlaubt, noch einmal nach Herzenslust einkaufen gehen zu können – und sie gab doch so gern Geld aus. Und ich hätte mir gewünscht, mit ihr einmal über die Amsterdamer Grachten zu bummeln, ihr Staunen, ihre kindliche Verwunderung über all das Unbekannte, Ungewohnte, Extreme, über all die Buntheit dieser Stadt zu erleben und aus dem Trödel auf dem Waterlooplein »einen echten Rembrandt« hervorzukramen, so wie ihre Franziska sich das ersehnt hatte.
Unerfüllte Wünsche, unerfüllte Träume!
Meine Zuneigung galt Brigitte in ihrer ganzen Spontaneität, Freude und Herzlichkeit, auch in ihrer Traurigkeit und Verzweiflung, so wie sie eben war mit all ihren Eigenschaften, Eigenheiten und dem Genuß am Leben.
Was bleibt, ist die Erinnerung an einen wunderbaren, tapferen Menschen, an eine Freundin, für die es keine Nachfolge gegeben hat.
Oktober 2002
* Elisabeth Elten-Krause in einem Brief vom 1. März 1981.
Burg, am 23. 8. 56
Liebes Irmchen,
es hat noch einmal eine ganze Woche gedauert, aber jetzt habe ich alles hinter mir, und es ist, unberufen! gut gegangen.
Ich hätte Dir gern ausführlicher geschrieben, aber die Defa hat mir einen unmöglichen Termin aufgehuckt, und jetzt schufte ich, trotzdem mich Günter am liebsten ins Bett stecken möchte, Tag und Nacht, um meine Verpflichtungen zu erfüllen. Ich weiß nicht, ob die Defa sehr streng ist in solchen Terminfragen, unter Umständen riskiert man eine hübsche Konventionalstrafe …
Ich hoffe, ich werde Dich bald wieder einmal sehen, wenn ich in Berlin bin oder Du mal nach Burg kommst. Ich schicke Dir heute mein neues Buch mit; von der »Frau am Pranger« konnte ich leider kein Exemplar mehr auftreiben, aber wenn ich bei der neuen Auflage wieder einige Bücher bekomme, werde ich natürlich gleich an Dich denken.
Mit herzlichen Grüßen
Deine Brigitte
Burg, am 14. 1. 58
Liebes Irmchen,
ich danke Dir schön für Deine guten Wünsche zum Neuen Jahr – die ich von ganzem Herzen erwidere. Schade, daß wir uns Silvester nicht getroffen haben, aber ich saß zuhaus und habe gearbeitet, seit Wochen zum ersten Male wieder. Du weißt ja, daß Günter seit Anfang Dezember verhaftet ist, und ich war schrecklich deprimiert und habe keine Zeile schreiben können, weil ich immerfort nur an ihn denken mußte und an die mindestens sechs Monate Gefängnis, die ihn erwarten.
Die Feiertage waren natürlich reizend ohne ihn; am Heiligen Abend durfte ich mal eine Viertelstunde mit ihm sprechen – und das war beinahe noch schlimmer, als wenn ich ihn gar nicht hätte sehen dürfen: kein Kuß, kein liebevolleres Wort möglich, weil die Wache dabeisitzt. Mein armer Junge! Er ist seelisch und körperlich ganz kaputt; er ist ein richtiger Naturbursche, weißt Du, und leidet entsetzlich unter dem Freiheitsentzug.
Dafür hab ich jetzt die absolute Freiheit, die mir sonst fehlte – bloß, sie macht mir keinen Spaß mehr. Es ist einfach reizlos, wenn man alles tun und lassen darf und nicht darum kämpfen muß. Ich bin sehr brav und treu und gehe selten aus dem Haus; ich staune selbst über meine Tugend. Jetzt hab ich mich wieder einigermaßen gefangen und bin fleißig; ich schreibe an einem neuen Roman, für den mir der Verlag einen sehr kurzen Termin gesetzt hat. Es wird auch Zeit, daß ich mal wieder was rausbringe; zwei Jahre habe ich mit einem Film verplempert und mit zwei Büchern, die mir abgelehnt wurden – das eine war angeblich »konterrevolutionär«, das andere »dekadent«. Na, da kann man nichts machen – der Kampf gegen die Dekadenz ist große Mode, und leider schießen die Verlage dabei weit übers Ziel hinaus. Neulich hatten sie eine hübsche Geschichte genommen, die die Liebe zwischen einem verheirateten Mann und einem jungen Mädchen schildert; nach dem Referat von Abusch schickten sie sie mir zurück. Urteil: »morbid-erotisch.« Weil es ja in der DDR nicht mehr vorkommt, daß ein verheirateter Mann und ein junges Mädchen … Na, Du verstehst – wir sind ja alle schon so moralische Sozialisten.
Da bleibt einem nichts übrig, als die Zähne zusammenzubeißen und den Kopf oben zu behalten und was Neues anzufangen.
Du machst ja ganz schön Karriere in Berlin; hast es schon zur Dozentin gebracht. Mußtest Du da vorher nicht studieren? Ich freue mich für Dich, daß Du eine Wohnung bekommen hast – wenn ich mal wieder in Berlin bin, muß ich Dich unbedingt besuchen. Du hättest ruhig mal zu mir kommen können; ich habe auch eine süße Bude, ganz modern und ein bißchen verrückt.
Ich wünsch Dir alles Gute und Schöne und grüße Dich herzlich –
Deine Brigitte […]
Burg, am 21. 2. 59
Liebes Irmchen,
ich danke Dir herzlich für Deinen Brief, den ich nun allerdings recht verspätet beantworte. Du hast inzwischen meine Hochzeitsanzeige erhalten und wirst Dir denken können, was so in den letzten Monaten bei uns los war. Das kann man schon als Entschuldigung gelten lassen, nicht wahr?
Freilich kann ich Dir nur einen verhältnismäßig kurzen Brief schreiben, denn ich arbeite zur Zeit wie ein Kettensklave, um meinen Termin wenigstens annähernd zu schaffen (inzwischen bin ich mit meinem Roman beim Aufbau-Verlag gelandet, und das darf schon als Beweis für eine gewisse Qualität gelten – kein Vergleich mit meinen ersten Büchern, Tatsache!)
Zunächst muß ich Dir sagen, daß ich mich sehr, sehr gefreut habe zu hören, daß Du nun endlich einen Gefährten hast, mit dem Du Dich für immer zusammentun willst. Du mußt doch froh sein, aus dem bedrückenden Verhältnis mit Deinem verheirateten Freund herausgekommen zu sein. Wenn ich auch überzeugt bin, daß er die besten Absichten hatte – solche Geschichten gehen meist recht unglücklich aus; das weiß ich – leider! – aus eigener Erfahrung.
Ich will versuchen, Dir so kurz wie möglich meine Geschichte zu erzählen: Ich hatte voriges Jahr im Schriftstellerheim einen jungen Schriftsteller kennengelernt, einen hochbegabten Burschen, der momentan [an] einem großartigen Buch über die Schwarze Pumpe schreibt (er war als Betonarbeiter dort). Ich war damals ziemlich runter, ich hab gesoffen und mit allen möglichen Idioten geflirtet, ich kam mit meinem Buch nicht weiter und war ganz hoffnungslos und abscheulich allein. Na, und da kam Siegfried – die ganz große Liebe, verstehst Du? Er war auf demselben Tiefpunkt wie ich, und wir haben uns aneinander aufgerichtet, wir konnten wieder arbeiten – und besser als jemals zuvor. So lächerlich und unglaubwürdig das klingt, aber wir beschlossen am ersten Abend, zusammen zu bleiben. Wir haben uns von da ab nicht einen Tag getrennt. Als mein Mann aus dem Gefängnis zurückkam, sagte ich ihm sofort die Wahrheit, und wir trennten uns (er hat sich übrigens die ganze Zeit, auch bei der Scheidung, fabelhaft anständig benommen, obgleich es ein großer Schmerz für ihn war).
Du weißt vielleicht, wie sehr ich an Günter hing, trotz unserer verschiedenen Bildung und Lebensart und trotzdem wir überhaupt keine geistige Gemeinschaft hatten, und Du kannst mir glauben, daß es auch für mich wahnsinnig schwer war, von ihm wegzugehen. Ich war verrückt vor Kummer und vor allem vor Mitleid, aber gegen die Liebe zu Siegfried kam nun mal nichts anderes auf. […]
Unsere Scheidungen zogen sich ziemlich lange hin und waren mit tausend Schwierigkeiten verbunden; ich bin dann im November, er ist im Dezember geschieden worden. In der Zwischenzeit lebten wir illegal zusammen. Wir hatten beide keinen Pfennig Geld (wir stecken heute noch bis über die Ohren in Schulden), und es ging und geht uns verdammt schlecht. Wir haben buchstäblich trocken Brot gegessen – aber ich finde es nur gut, wenn man auch mal solch Elend teilt; das schmiedet zusammen. Außerdem macht es uns nicht viel aus, wir sind bescheidene Leute, und ich bin Gott sei Dank nicht eitel, so daß ich ruhig mal ein Jahr ohne neues Kleid auskommen kann. Überdies sind wir beide fanatische Schriftsteller und meinen, daß man für die Literatur auch mal hungern können muß.
Na, im Juni liefere ich mein Manuskript ab, dann gibt es Moneten. Siegfried hat jetzt ein Förderungsstipendium vom Ministerium für Kultur bekommen, wo man begeistert ist von seinem Buch. Allmählich kriegen wir Luft.
Im Februar konnten wir nun endlich heiraten. Vorläufig hausen wir noch in meinem Zimmer, aber das stört unsere Arbeit nicht – im Gegenteil. Wir helfen und kritisieren uns gegenseitig – es gibt wirklich nichts Schöneres, als wenn zwei denselben Beruf haben und sich ergänzen.
Schade, daß ich kein gutes Bild von Siegfried habe. Er ist vier Jahre älter als ich und eigentlich gar kein Frauentyp: schmal und schmächtig wie ein Junge und keine Schönheit, aber er hat wunderbare Augen – und vor allem ist er ein echter Dichter, bis in die Fingerspitzen. Du kannst mir glauben, daß ich trotz aller Liebe objektiv bin, wenn ich Dir sage, daß er einer der begabtesten Autoren in der DDR ist. Na, Du wirst es ja selbst sehen, wenn sein Buch rauskommt.
Im Sommer gehen wir auf zwei Jahre in die Schwarze Pumpe; vielleicht hast Du davon im ND gelesen. Leider macht man schon in verschiedenen Zeitungen Reklame für uns, ehe wir noch dort sind.
So, das wär’s. Nun habe ich doch mehr geschwatzt, als ich eigentlich wollte, und ich muß langsam wieder umschalten auf meinen Roman, der mir viel Sorge macht. Ich hab ein diffiziles Thema – Rückkehr eines Kriegsverbrechers –, und ich leide geradezu darunter, denn ich muß dazu Bücher lesen wie »SS im Einsatz«, und das ganze Grauen dieser Zeit kann einen fast um den Verstand bringen.
Schreibst Du mir wieder mal, Irmchen? Ich muß doch wissen, ob es bei Dir auch ein happy end gegeben hat.
Sei recht, recht herzlich gegrüßt
von Deiner Brigitte
Burg, am 9. 3. 59
Liebes Irmchen,
[…] Ich habe mir diesen Sonntagnachmittag freigenommen für ein paar Zeilen an Dich; eigentlich ist der Sonntag seit langem für uns ein Arbeitstag wie jeder andere, und wir freuen uns schon auf die Zeit, wo unsere Bücher im Druck sind und wir endlich einmal den Sonntag genießen können wie andere normale Menschen (sogar zum Lesen kommen wir immer erst nach Mitternacht; Du kannst Dir vorstellen, wie es bei den paar Stunden Schlaf um unsere strapazierten Nerven bestellt ist).
Apropos Bücher: Es hat mich sehr interessiert, zu hören, daß Dein Frederic auch an einem Buch arbeitet. Kannst Du mir mal andeutungsweise schreiben, was für ein Thema er hat? Ich glaube, Du wirst ihm eine gute Kritikerin sein – eine gescheite Frau ist allemal der beste und nützlichste Lektor, und Du hast soviel gelesen, daß Du strenge Maßstäbe anlegen wirst. Du fragst, ob der Verlag für Nationale Verteidigung noch besteht. […] Ich denke aber, es ist besser, zu einem anderen Verlag zu gehen – falls es sich um ausgesprochene Belletristik handelt. Der Verlag f. N. V. ist bekannt für seine Herausgabe von Militärschriften. Ich würde Euch raten […], zum Verlag Neues Leben zu gehen […]. Dort gibt es junge und sehr aufgeschlossene Lektoren, bei denen man wirklich Rat und Hilfe findet. Ich habe die besten Erfahrungen mit ihnen gemacht, und ich wäre jetzt noch bei diesem Verlag, wenn nicht durch Siegfried die Verbindung zum Aufbau-Verlag geknüpft worden wäre.
Ich schicke Dir Ersatz für das verlorengegangene Buch; ich habe noch ein paar Exemplare. Übrigens: das Honorar für die neue Auflage ist gleich beim Verlag geblieben, bei dem ich noch mehr als 5 000 Mark Schulden hatte.
Du hast auch nach Siegfrieds Arbeit gefragt: Er hat vor sechs Jahren eine Erzählung im Aufbau herausgebracht und dafür den Anna-Seghers-Preis bekommen. Seitdem hat er nichts mehr veröffentlicht; er hat eine Menge Sachen angefangen und nichts beendet (sogar diese Fragmente sind großartig, und es ist jammerschade um die Themen) […].
Er hatte gerade die ersten Seiten seines neuen Buches weggeworfen und wollte endgültig aufgeben. Er las mir daraus vor, und ich war hingerissen […]. Es war in der ersten Zeit verflucht schwer, ihm ein bißchen Selbstbewußtsein wiederzugeben, und manchmal war ich verzweifelt über seine Unsicherheit, seine Zweifel an sich selbst. Nun, nachdem wir die häßlichen Scheidungsgeschichten hinter uns haben, hat er sich endlich gefangen und arbeitet konstant. […] Zum 10. Jahrestag der DDR soll das Buch rauskommen […].
Du schreibst, ich sollte nicht böse sein, wenn Du uns gelegentlich mal mit einer Kleinigkeit überraschst. Das darfst Du auf keinen Fall, Irmchen! Es ist sehr, sehr lieb von Dir, daß Du auf einen solchen Gedanken kommst, aber wir können nicht das Geringste annehmen. Wir haben uns auch schon ganz gut an unsere miserable Lage gewöhnt, weißt Du, und ich halte eine Schulung im Verzichten für recht nützlich. Wir haben den Wert des Geldes jetzt erst richtig kennengelernt. Außerdem wird Siegfried bald durch seinen Vertrag mit dem Ministerium für Kultur eine monatliche Beihilfe von fast 200 Mark bekommen, und in einer Kleinstadt wie Burg kann man mit 200 M. schon auskommen. Unsere Mägen sind nicht verwöhnt, und wir haben inzwischen gelernt, neidlos an vollen Schaufenstern vorbeizugehen. Natürlich träumen wir auch von neuen, eleganten Kleidern und tausend anderen Annehmlichkeiten, aber das haben wir ja alles noch vor uns. Na, Schluß mit diesem unerfreulichen Thema!
Wir werden also tatsächlich in die Schwarze Pumpe gehen. Mich graust es schon beim Gedanken an die Rennerei wegen einer Wohnung und an den Umzug. Aber die »Basis« ist für einen Schriftsteller von heute wirklich unerläßlich, und eine Großbaustelle ist die beste Erziehungsanstalt. In unseren Verlagen und in unserer ganzen recht bürgerlichen oder vielmehr kleinbürgerlichen Umgebung merkt man ja noch nicht allzu viel vom Sozialismus, wohl aber unter Arbeitern – wenn man ihnen auch die Sozialisten nicht gleich an der Nasenspitze ansieht. In der Schwarzen Pumpe kriegt man mehr Mut und Schwung als sonstwo – und die Geschichten liegen auf der Straße. Das sehe ich an Siegfried, der vollgestopft ist mit den tollsten Geschichten und Schicksalen, die er dort kennengelernt hat. Wir wollen Material sammeln und dann beweisen, daß man auch Betriebsromane schreiben kann, die nicht stinklangweilig oder verlogen sind, sondern so bunt und spannend wie ein Abenteuerroman.
Ich muß zu meinem Buch zurück, das mir im Moment mal wieder zum Hals raushängt. Aber das passiert einem jede Woche einmal, daß man am liebsten alles in die Ecke werfen möchte. […]
Mit den herzlichsten Grüßen
immer Deine Brigitte
Burg, am 29. 3. 59
Liebes Irmchen,
ich danke Dir herzlich für Dein Paket und Deinen lieben Brief. Mir war zum Heulen zumute, als ich ausgepackt habe. Wir hatten uns so von Gott und aller Welt verlassen gefühlt, weißt Du, und allein die Tatsache, daß jemand an uns gedacht hatte, genügte, uns wieder froher zu stimmen. Morgens war die letzte Fleischbüchse, die wir als eiserne Reserve aufgehoben hatten, alle geworden, und ich hatte zu Siegfried gesagt, wir könnten uns jetzt also zum Sterben hinlegen, um unseren Hungertod zu erwarten. Wenn man wochen- und monatelang ohne einen Pfennig Geld dasitzt und sich recht und schlecht durchs Leben borgt, geht einem doch mal der Heroismus flöten, und man möchte einfach kapitulieren. Wenn wir nicht solche verdammten Narren wären und so an unsere Arbeit glaubten, würden wir es wahrscheinlich wie viele unserer Kollegen machen und irgendwelche blöden Kurzgeschichten oder Artikelchen schreiben, die kein Mensch ernstnimmt und die eben nur zum Verdienen verzapft werden.
Am meisten ärgert es uns, daß alle möglichen Stellen sich für Siegfrieds Buch interessieren und uns mit Briefen zudecken, wir sollten Durchschläge schicken und ihnen zur »Auswertung« überlassen – bloß materielle Hilfe bietet niemand. Das Ministerium für Kultur hat […] das Stipendium noch immer nicht geschickt. Na, vielleicht erinnern die sich jetzt nach Ostern an uns. Ich kriege schon die Wut, wenn ich daran denke, daß dieses Stipendium, das für fünf Monate reichen muß, insgesamt einem Monatsgehalt eines Abteilungsleiters im Ministerium entspricht.
Aber wir trösten uns mit der Hoffnung auf die Zeit, wenn unsere Bücher rausgekommen sind. Mein Buch wird sich sicher sehr gut verkaufen, und Siegfried wird Preise bekommen, davon bin ich überzeugt. […]
Entschuldige, bitte, daß ich Dir nicht schon eher geantwortet habe, aber meine Schwiegereltern waren gekommen, um mich endlich kennenzulernen, und Du kannst Dir ja vorstellen, wie aufregend eine solche Premiere ist.
Zur Hochzeit darf ich Dir vorher ja noch nicht gratulieren, aber wenigstens kann ich Dir ein schönes, harmonisches Fest wünschen. Ich sage Dir nochmals schönsten Dank und grüße Dich und Deinen Frederic (auch in Siegfrieds Namen) recht herzlich – Deine Brigitte
Burg, am 19. 6. 59
Liebe Irmgard,
sei mir, bitte, nicht böse, daß ich solange nichts von mir habe hören lassen. Wir waren – und sind es heute noch – in einer scheußlichen Situation mit unseren Büchern, und ich kann Deinem Gatten nur wünschen, daß er es leichter haben möge mit seinen Lektoren.
Wir kommen wirklich aus dem Unglück nicht raus, und ich kann nicht umhin, Dir wieder etwas vorzujammern. Freilich ist es diesmal ernster als irgendwelche Alltagssorgen; mein Buch ist in Gefahr, und wenn ich Dir sage, daß ich zwei Jahre schon daran gearbeitet habe, dann wirst Du ermessen können, was es für mich bedeutet, wenn mir jetzt alles zerschlagen wird.
Vor vier Wochen war ich – allerdings nur auf ein paar Stunden – in Berlin, um mit meinem Cheflektor zu reden, der mir eröffnete, daß seiner Ansicht nach mein Buch schiefläuft. Ich habe zwar nicht ganz begriffen, wieso – wahrscheinlich stört es ihn, daß meine Helden ihre Entscheidungen individualistisch fällen, das heißt, sie machen ihre Konflikte mit sich selbst, in ihrer eigenen Brust ab, statt sich von der sozialistischen Umgebung beeinflussen zu lassen. Außerdem sind sie seelisch angeschlagene Existenzen – als ob es bei uns bloß innerlich gesunde, unbelastete, strahlend optimistische Menschen gäbe!
Ich bin grundsätzlich anderer Meinung als der Chef, und wir haben uns nicht einigen können. Andererseits will er mir […] meinen Vertrag nicht zurückgeben, so daß ich vorläufig nicht zu einem anderen Verlag gehen kann. Das alles ist sehr verwickelt und verfahren, und ich habe theoretisch nur die Wahl, entweder mein Buch wegzuschmeißen (nach 450 Seiten!) oder es nach den Ideen des Verlags umzuschreiben. Zu beidem habe ich keine Lust, schließlich schreibe ich das Buch und möchte mir nicht reinpfuschen lassen. Auch ein Lektor ist nicht unfehlbar (leider bilden die meisten sich das ein), aber er ist der Stärkere, weil er eine finanzielle Macht hinter sich hat.
Man ist einfach ein Idiot, wenn man sich mit Gegenwartsbüchern abquält; andauernd eckt man irgendwo an. Meinem Mann geht es jetzt genau so; er ist auf einer öffentlichen Sitzung des Verbandes diffamiert worden – obwohl man gleichzeitig sein großes Talent hervorgehoben hat – wegen seiner angeblich ›harten Schreibweise‹. Aber die Schwarze Pumpe ist nun mal keine idyllische Rosenlaube, und es gibt gewisse Dinge, die man, wenn man bei der Wahrheit bleiben will, so schonungslos und realistisch unzart aussprechen muß, wie sie nun mal in Wirklichkeit sind. Wahrscheinlich haben die großfressigen Kritiker niemals auf dem Bau gearbeitet, sonst wären sie nicht so maßlos erstaunt und entrüstet darüber, daß Arbeiter gelegentlich mal so unfeine Worte wie ›Scheiße‹ sagen.
Wir sind beide ganz schön fertig, und es nur ein schwacher Trost, daß die anderen Autoren im Bezirk ähnliche Sorgen und Ärgernisse haben. Es ist verdammt schwer, sich erstmal durchzusetzen, und wenn man nicht ungeheuer zäh ist und seine Arbeit fanatisch liebt, kann man gleich einpacken.
Als ich von Berlin zurückkam, hatte ich einen soliden Nervenzusammenbruch, und wenn ich Siegfried nicht gehabt hätte, dann hätte ich wahrscheinlich Schluß gemacht, aber ein für alle Male. Immerhin hatte diese Zerschmetterung auch ihre positive Seite: aus lauter Trotz und Wut setzte ich mich hin, nachdem ich mich einigermaßen wieder erholt hatte, und schrieb in sehr kurzer Zeit eine Erzählung, an der auch meine strengen Lektoren nichts auszusetzen haben werden (unberufen!). Gestern habe ich sie an den Verlag geschickt, und ich bin ziemlich sicher, daß sie in der ›Reihe‹ veröffentlicht wird. Mit dem Honorar könnten wir unsere dringendsten Schulden abzahlen und noch eine Weile ganz gut leben – was wir so unter ›gut‹ verstehen. Du kannst den Daumen für mich drücken; nächste Woche erwarte ich den Bescheid.
Das sind so unsere Probleme. Hoffentlich geht es bei Euch leichter und reibungsloser mit dem Manuskript Deines Mannes. Habt Ihr schon einen Vertrag oder wenigstens eine bindende Zusage? […]
Im übrigen leben wir glücklich und friedlich miteinander und verstehen uns wunderbar. Seit ich mit Siegfried zusammen bin, geht mir kein Unglück mehr unter die Haut, ich tröste mich rascher und komme über alles Unangenehme leichter hinweg. Es gibt wirklich nichts Besseres als gemeinsame Arbeit, und ich denke manchmal mit einem wahren Grauen an meine erste Ehe zurück, die mich auf eine niederdrückende Art zur Einsamkeit verurteilt hatte. Übrigens habe ich meinen ersten Mann lange nicht mehr gesehen; vermutlich hat er sein altes Leben wieder aufgenommen und widmet sich dem Sport und den Mädchen und vielleicht auch wieder dem Alkohol. Es ist ein bißchen erschreckend und beschämend, festzustellen, wie schnell man einen Menschen innerlich überwinden kann, mit dem man fünf Jahre lang zusammengelebt hat. Aber Siegfried füllt mich so vollkommen aus, daß ich an niemanden anders mehr denken kann. Ich wünschte, Du könntest ihn mal kennenlernen – selbst wenn er nicht Dein Typ ist, wirst Du sicherlich zugeben müssen, daß er der ideale Lebensgefährte ist. Wir haben schon soviel Elend miteinander geteilt, daß mir eigentlich vor nichts mehr bange ist.
Ich muß jetzt Schluß machen; wir haben eine Unmenge Korrespondenz zu erledigen, die während meiner wilden und verbissenen Arbeit an der Erzählung liegengeblieben ist. Vor allem müssen wir uns endlich an die Schwarze Pumpe wenden, um unsere Übersiedlung vorzubereiten, denn die Wohnungssuche wird bestimmt lange Zeit in Anspruch nehmen. […]
Entschuldige, bitte, daß ich mit der Maschine geschrieben habe; meine Handschrift ist ja einfach eine Zumutung. Und entschuldige auch die Tippfehler; ich bin immer noch ziemlich nervös und durchgedreht und kann mich nicht richtig konzentrieren.
Die herzlichsten Grüße – auch von Siegfried –
schickt Dir und Deinem Mann Deine Brigitte
Burg, am 11. 7. 59
Liebe Irmgard,
in dieser Woche ist Deine Mutter bei uns gewesen, und wir haben wieder einmal Grund, Dir von ganzem Herzen zu danken für Deine Hilfe gerade im rechten Augenblick. Ich bin schon ganz beschämt
Beinahe hätte ich Deine Mutter verfehlt; sie verließ eben das Haus, als ich vom Zahnarzt zurückkam. Ich mußte mir zwei Zähne rausreißen lassen, und wahrscheinlich habe ich bei der Unterhaltung leicht beschränkt gewirkt, denn ich war noch halb betäubt von Spritzen und Tabletten. Durch Deine Mutter habe ich endlich mal ein bißchen mehr von Dir und Deinem Mann erfahren, von Euren Schwierigkeiten wegen des Zuzugs und von dem wunderbaren Plan für eine große Auslands-Reise. (Wir drücken Euch die Daumen, daß es mit den Pässen klappt.) Ich glaube, Deine Mutter ist sehr froh, daß Du einen älteren und ernsthaften Menschen gefunden hast, der einen guten Einfluß auf Dich ausübt und zu dem Du richtig gehörst. Ich weiß ja von mir zuhaus, daß Mütter sich über die Sorgen ihrer Töchter mehr grämen als die Töchter selbst.
Am Montag werden wir in Berlin sein, und ich hätte Dich sehr gern mal besucht, aber die Zeit wird bestimmt nicht reichen, weil wir sowohl vom Verband als auch vom Verlag mit Beschlag belegt werden. Montag steigt nämlich endlich die große Aussprache über das Buch meines Mannes. […] wir hoffen, daß die ganze schmutzige Angelegenheit jetzt in Ordnung kommt, nachdem wir uns bei Strittmatter beschwert haben. Strittmatter hat Siegfrieds Buch gelesen und sagt, er sei eine außergewöhnlich große Begabung. Das macht uns natürlich wieder Mut; vielleicht kann das Buch nun doch in der vorliegenden Fassung erscheinen.
Auch mit meiner Erzählung, die ich zwischendurch geschrieben hatte, werden wir wahrscheinlich Glück haben. Unser Cheflektor sagte uns am Telefon, daß er sie so schnell wie möglich rausbringen will. Nun kann ich ihn am Montag mit gutem Gewissen auf die Zehen treten und Geld fordern. Nun muß ich mich bloß noch mit ihm über meinen Roman einigen, dann sind wir seelisch und finanziell aus dem dicksten Dreck raus.
Auch der Gedanke an die Übersiedlung nach Hoyerswerda nimmt feste Formen an. Mein Mann war vor ein paar Tagen zu einer Verbands-Sitzung in Cottbus und hat sich mit der Partei in Verbindung gesetzt. Es gibt nur ganz wenige Schriftsteller im Bezirk Cottbus, deshalb ist man dort sehr interessiert daran, daß wir möglichst bald kommen. Wir können im Kulturhaus oder in einer Bibliothek arbeiten und von dem Gehalt leben; es ist zwar bescheiden, aber immerhin doch eine Sicherung.
Sogar eine Wohnung ist uns versprochen worden, aber ich bin noch skeptisch. Allerdings wird in H. sehr viel gebaut, es entsteht praktisch eine ganz neue Stadt. Die Häuser sind großartig, bunt und modern und mit allem Komfort eingerichtet, mit riesigen Fenstern, Fernheizung, fließend heißem Wasser und, zum Teil wenigstens, mit eingebauten Kühlschränken in den Küchen.
Wir werden wahrscheinlich eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung bekommen, und das, nachdem wir jahrelang in einem Zimmer gehaust haben. Du kannst Dir vorstellen, wie wir uns darauf freuen, endlich kultiviert wohnen zu können. In Gedanken richten wir unsere Zimmer schon ein; freilich müssen wir noch eine Menge Geld verdienen, ehe wir unsere Ideen verwirklichen können. Vor allem möchte ich mal ein richtiges Schlafzimmer haben; eine Schlafcouch ist ja ganz hübsch und praktisch, aber auf die Dauer nicht das Ideal. Bei uns in Burg gab es neulich ein entzückendes französisches Schlafzimmer, Du kennst diese Sorte ja sicher. Von H. haben wir es dann nicht weit nach Hellerau, und da man im Werk selbst bestellen darf, kann man sich die schönsten Sachen gleich an Ort und Stelle aussuchen.
Im Herbst ziehen wir um, und wir laden Euch jetzt schon dringend ein – falls ihr mal in die Nähe von H. kommt, uns zu besuchen. Freilich liegt es so ziemlich am Ende der Welt, aber die Eisenbahn-Verbindungen sind ganz ordentlich. Es tut mir bloß leid um meine Eltern, daß wir wegziehen; sie werden immer einsamer, und an jedem Ende der Republik sitzt eins ihrer Kinder. Bloß meine kleine Schwester ist noch zwei Jahre zuhaus, dann wird sie zum Studium gehen. Mein zweiter Bruder geht für zwei Jahre zur Volksarmee, bevor er eine Universität bezieht. Mein großer Bruder, der Lutz, ist vorläufig noch in Rostock, wo er seinen Diplom-Ingenieur gemacht hat. Übrigens hat er sich vor ein paar Tagen verlobt, mit einem ungewöhnlich hübschen und charmanten Mädchen – das muß sogar ich, trotz meiner schwesterlichen Eifersucht, anerkennen.
Ich möchte später gern nach Burg zurückkommen, obgleich Siegfried diese muffige Kleinstadt verabscheut; ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß meine Eltern auf ihre alten Tage so allein sein sollen. Und sie zu einem Umzug zu bewegen, wird kaum möglich sein, sie haben ihr ganzes Leben hier verbracht und werden sich wohl nicht mehr verpflanzen lassen in eine Gegend, wo sie niemanden kennen. Siegfried ist ungebunden, weil seine ganze Familie drüben im Westen ist. Sie möchten ihn zwar überreden, auch rüberzukommen, aber das ist absurd. Wir als Schriftsteller, ›kommunistisch verseucht‹, haben dort natürlich keine Chance und vor allem keine Aufgabe.
Wenn Du mal Zeit hast, Irmchen, dann schreib mir wieder und erzähl von Eurem Leben und von dem Buch Deines Gatten.
Sei herzlichst bedankt und gegrüßt von Deiner
Brigitte […]
Berlin, den 14. 7. 1959
Meine liebe Brigitte!
Hab tausend Dank für Deine letzten beiden Briefe. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich immer über Deine lieben Zeilen freue. Besonders Dein letzter Brief gab Grund für Dich die Daumen zu drücken. Ich wünsche Euch beiden von ganzem Herzen, daß Ihr endlich aus dieser Misere herauskommt und ein wenig freier atmen könnt.
[…] Inzwischen hat Mutti von ihrem Besuch bei Euch berichtet. Sie schrieb, daß sie Deinen Mann sehr, sehr nett findet. Sie meinte, er sei wirklich ein guter Partner für Dich. […]
Gestern, am Montag haben wir daran gedacht, daß Ihr in Berlin seid. Leider wird wohl die Zeit für einen Besuch nicht gereicht haben. […]
[…] Wir haben eine hübsche kleine Wohnung, die vollkommen unseren Ansprüchen genügt. Ein großes Zimmer, 20 qm, eine Küche, einen geräumigen Abstellraum […]. Wenn wir eine größere Wohnung hätten, könnte ich wahrscheinlich die Hausarbeit gar nicht bewältigen. […]
Lange habe ich davon geträumt, endlich einmal ein bißchen was von der Welt zu sehen. Das wird mit Beginn des 30. Juli geschehen. Unsere Pässe haben wir bereits in der Tasche, das notwendige Geld dazu liegt auf der hohen Kante, also es kann an sich nichts mehr schief gehen. Ich freue mich wahnsinnig darauf, meine Schwiegereltern und damit Amsterdam kennenzulernen. Außerdem will mir mein Frederik vor allem Paris und Brüssel zeigen. […]
Nun zu unseren ersten Versuchen in der Schriftstellerei. Wenn ich das Wort höre, muß ich an sich lachen. Unser erstes Manuskript schlug natürlich fehl. Aber die Thematik interessierte und so unterbreitete uns der Verlag andere Vorschläge, den Stoff entsprechend zu verarbeiten. Die ursprüngliche Fassung sah so aus, daß die Erlebnisse meines Mannes während der Partisanenzeit in Italien aneinandergereiht waren und mit einer kleinen Liebesgeschichte verbunden wurden. Das war dem Verlag zu konfliktlos. […] Heute habe ich nun das von […] Frederik angefertigte Exposé abgeschrieben, um es morgen zum Verlag zu bringen. […] Außerdem hatte mein Frederik ein Konzept über die holländische Widerstandsbewegung mit einem tollen Konflikt bereits vor mehreren Monaten angefertigt […]. Liebe Brigitte, bei uns muß sich ja die Schreiberei überhaupt erst entwickeln […]. Wir haben beide einen guten Beruf und verdienen damit unser Geld. Aber […] Frederik schreibt gern. Deshalb habe ich ihm Mut gemacht. […] Ich habe auch schon langsam Gefallen daran gefunden. Nur habe ich beruflich noch andere Pläne. Wenn ich […] Zeit finde, dann möchte ich gar zu gern auf dem Gebiet Arbeitsökonomik ein Staatsexamen ablegen und vielleicht später promovieren. Aber wie gesagt, das sind ferne Pläne. […]
Von unserer Reise werden wir Euch ein paar freundliche Grüße schicken, damit Ihr einen kleinen Eindruck vom »kapitalistischen Ausland« erhaltet. […]
Für heute grüße ich Dich ganz herzlich
in alter Freundschaft als
Deine Irmgard […]
Burg, am 23. 7. 59
Liebe Irmgard,
[…] bevor ihr, heftig beneidet von uns, zu eurer großen Reise aufbrecht, sollst Du noch ein paar Zeilen von mir bekommen. Ich habe mir eine Abendstunde ergaunert – mein lieber Junge läuft inzwischen in den Feldern herum, betet den Mond an und wird sicher wieder große Abenteuer mit streunenden Igeln und Besoffenen erleben.
Wir haben uns nach Wochen der Stagnation und Krise endlich wieder aufgerafft, etwas zu tun. Ich überarbeite meine Erzählung nach den Vorschlägen meiner Lektoren –
obgleich ich sie durchaus nicht alle einsehe und für richtig halte –, und Siegfried schreibt sie für mich in die Maschine. Er ist jetzt sowieso nicht imstande, an seinem eigenen Buch weiterzuschreiben. Wir waren restlos geschafft, als wir an jenem Montag aus Berlin zurückkamen. Die Arbeit von vielen Monaten ist uns zertrümmert worden, und manchmal fragen wir uns, ob es überhaupt noch Zweck hat, unter diesen Umständen zu schreiben. Keiner der prominenten Herren, die bei der Aussprache im Verband anwesend waren, ist jemals in der Schwarzen Pumpe gewesen – aber jeder weiß besser als der ehemalige Betonarbeiter Pitschmann, wie es dort zugeht. Fehler und Mißstände werden einfach wegargumentiert, und unser Hinweis auf die Realität wird erledigt mit dem Satz, daß der Schriftsteller den Massen immer um zehn Schritte vorauseilen muß. Siegfried hat die führende Rolle der Partei nicht genügend gewürdigt, sein Held ist ein Kleinbürger, die Leute arbeiten zu schwer (während Betonschippen doch solch ein nettes Spielchen ist), und die bitteren inneren Auseinandersetzungen seines Helden sind uninteressante Wehwehchen eines Intellektuellen.
Das Buch ist noch nicht einmal fertig, und schon hat man das Verdammungsurteil gefällt. Es wurde zwar mit herzlichen Lobsprüchen über seine große Begabung, seine herrliche Landschaftsschilderung etc. verbrämt, aber das nützt uns verflucht wenig. Am Ende verabschiedeten sich die Herren von uns in der fröhlichen Gewißheit, daß sie uns geholfen und um einen wichtigen Schritt weitergebracht hätten. Siegfrieds Zusammenbruch zuhaus brauchten sie sich ja nicht anzusehen; auch stehen sie selbst nicht vor der schwierigen Aufgabe, ein Gegenwartsbuch über eine Großbaustelle schreiben zu müssen.