Hedwig Courths-Mahler Collection 10 - Sammelband - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Hedwig Courths-Mahler Collection 10 - Sammelband E-Book

Hedwig Courths-Mahler

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Beschreibung

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Hedwig Courths-Mahlers "Märchen für Erwachsene", wie sie ihre Romane selbst nannte, sind ebenso zeitlose Klassiker wie die Themen, die sie behandeln: die Liebe, ihre Gefährdung und deren Überwindung, die Verwirrung der Gefühle und der Weg zum Glück. Seit über 100 Jahren verzaubert sie ihre Leserinnen und Leser mit ihren wundervollen Geschichten immer wieder neu, und mit einer Gesamtauflage von über 80 Millionen Exemplaren gilt Hedwig Courths-Mahler heute als DIE Königin der Liebesromane.


Dieser zehnte Sammelband enthält die Folgen 28 - 30:

VERGANGENHEIT

Auf einem Empfang zu Ehren einer amerikanischen Delegation lernen sich der Gutsbesitzer Alfred Letzingen und der junge Deutsch-Amerikaner Fred Gartner kennen. Das Außergewöhnliche daran ist: Zwischen diesen beiden Männern besteht eine frappierende Ähnlichkeit. Fred Gartner misst dieser Tatsache keine Bedeutung bei, Alfred Letzingen hingegen beunruhigt das sehr. In dem Gutsbesitzer steigt der Verdacht auf, dass Fred sein Sohn sein könnte. Doch noch ehe er darüber Nachforschungen anstellen kann, geschieht etwas völlig Unerwartetes: Fred Gartner verliebt sich in Letzingens Tochter Lottemarie ...

ES WAR KEINE UNTREUE

Ruth Waldeck hatte im Grunde genommen eine glückliche Jugend, obwohl ihr das Schicksal schon in jungen Jahren die Mutter nahm. Der Vater aber hatte ihr diesen Verlust mit viel Liebe zu ersetzen versucht. Doch eines Tages teilt Konsul Waldeck seiner einzigen, innig geliebten Tochter mit, dass er sich in aller Stille mit einer jungen Sängerin vermählt hat.

Schon allein der Gedanke, dass Ruth nun zu einer fremden Frau Mutter sagen soll, erfüllt das Mädchen mit Entsetzen. Zu Ruths Enttäuschung gesellt sich tiefe Sorge, als sie dann die Stiefmutter kennenlernt. Und diese Sorge scheint berechtigt, denn schon bald wendet sich die schöne, gefallsüchtige Frau anderen Männern zu...

FEENHÄNDE

Der reiche Fabrikant Karl Wernher macht keinen Hehl daraus, dass seine Pflegetochter Felizitas Rogga einmal seine Universalerbin sein wird. Wernhers Verwandte sind sehr erbost darüber und sehen in dem jungen Mädchen eine Erbschleicherin. Sie versuchen alles, um die junge Felizitas auszuschalten.

Eine Ausnahme gibt es allerdings: Dr. Richard Wernher, der Felizitas zu großem Dank verpflichtet ist. Doch auch er kann nicht verhindern, dass schon bald ein großes Unglück über Felizitas hereinbricht, das ihr die Heimat und den einzigen Menschen nimmt, der ihrem Herzen nahe stand...


Über 240 Seiten Romantik und Herzenswärme!

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv: shutterstock/Irina Alexandrovna ISBN 978-3-7325-5716-5

Hedwig Courths-mahler

Hedwig Courths-Mahler Collection 10 - Sammelband

Inhalt

Hedwig Courths-MahlerHedwig Courths-Mahler - Folge 028Roman um das Schicksal einer liebenden Frau, deren Glück fast an fremder Schuld zerbrach. Auf einem Empfang zu Ehren einer amerikanischen Delegation lernen sich der Gutsbesitzer Alfred Letzingen und der junge Deutsch-Amerikaner Fred Gartner kennen. Das Außergewöhnliche daran ist: Zwischen diesen beiden Männern besteht eine frappierende Ähnlichkeit. Fred Gartner misst dieser Tatsache keine Bedeutung bei, Alfred Letzingen hingegen beunruhigt das sehr. In dem Gutsbesitzer steigt der Verdacht auf, dass Fred sein Sohn sein könnte. Doch noch ehe er darüber Nachforschungen anstellen kann, geschieht etwas völlig Unerwartetes: Fred Gartner verliebt sich in Letzingens Tochter Lottemarie ....Jetzt lesen
Hedwig Courths-Mahler - Folge 029Roman um eine schöne Frau mit Vergangenheit. Ruth Waldeck hatte im Grunde genommen eine glückliche Jugend, obwohl ihr das Schicksal schon in jungen Jahren die Mutter nahm. Der Vater aber hatte ihr diesen Verlust mit viel Liebe zu ersetzen versucht. Doch eines Tages teilt Konsul Waldeck seiner einzigen, innig geliebten Tochter mit, dass er sich in aller Stille mit einer jungen Sängerin vermählt hat. Schon allein der Gedanke, dass Ruth nun zu einer fremden Frau Mutter sagen soll, erfüllt das Mädchen mit Entsetzen. Zu Ruths Enttäuschung gesellt sich tiefe Sorge, als sie dann die Stiefmutter kennenlernt. Und diese Sorge scheint berechtigt, denn schon bald wendet sich die schöne, gefallsüchtige Frau anderen Männern zu....Jetzt lesen
Hedwig Courths-Mahler - Folge 030Einer der schönsten Romane von Hedwig Courths-Mahler. Der reiche Fabrikant Karl Wernher macht keinen Hehl daraus, dass seine Pflegetochter Felizitas Rogga einmal seine Universalerbin sein wird. Wernhers Verwandte sind sehr erbost darüber und sehen in dem jungen Mädchen eine Erbschleicherin. Sie versuchen alles, um die junge Felizitas auszuschalten. Eine Ausnahme gibt es allerdings: Dr. Richard Wernher, der Felizitas zu großem Dank verpflichtet ist. Doch auch er kann nicht verhindern, dass schon bald ein großes Unglück über Felizitas hereinbricht, das ihr die Heimat und den einzigen Menschen nimmt, der ihrem Herzen nahe stand....Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Vergangenheit

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Bastei Verlag

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-8387-5431-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Vergangenheit

Roman um das Schicksal einer liebenden Frau, deren Glück fast an fremder Schuld zerbach

In einem exklusiven Berliner Hotel war im Festsaal eine glänzende Gesellschaft versammelt. Es fand ein Empfang zu Ehren einer amerikanischen Delegation statt.

Die Mitglieder der amerikanischen Botschaft mit ihren Damen, Diplomaten, Vertreter der Wirtschaft, verschiedene Finanzgrößen waren zusammengekommen, um miteinander Fühlung zu nehmen.

Nach aufgehobener Tafel bildeten sich überall einzelne Gruppen. Man plauderte angeregt miteinander und hofierte die schönsten Damen – oder die einflussreichsten.

So fand sich auch eine Gruppe in einem Nebenzimmer unter einem großen Wandspiegel zusammen, in deren Mittelpunkt Alfred Letzingen stand. Er war Gutsbesitzer; hier jedoch weilte er in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Handelsdelegation. Er war eine imponierende Erscheinung mit vollem, grau meliertem Haar und Augen, die noch in jugendlichem Feuer strahlten.

Zu dieser Gruppe trat der Vertreter der amerikanischen Delegation, Mr. Howard, in Gesellschaft eines jungen Deutschamerikaners. Der junge Mann sah unverwandt in das Gesicht Letzingens. Es lag Staunen im Ausdruck seines Gesichts.

Mr. Harry Howard hatte während der Tafel zu ihm gesagt: „Sieh dir dort Alfred Letzingen an, Fred! Solange ich ihn kenne, habe ich ihn immer mit dem vagen Gefühl angesehen, als seien mir seine Züge von früher her bekannt oder als erinnere er mich an jemand. Ich konnte nur nicht ergründen, an wen. Jetzt weiß ich es – er hat mich an dich erinnert. Es ist eine ganz frappierende Ähnlichkeit zwischen euch beiden. Sieh ihn dir an!“

Fred Gartner hatte mit seinen Augen Letzingen gesucht, und als er ihn erblickte, stutzte er.

„Wahrhaftig, Harry, du hast Recht! So ungefähr wie er werde ich einmal aussehen, wenn mein Haar grau ist.“

Howard nickte.

„Und so wie du muss er ausgesehen haben, als sein Haar noch braun war. Nach der Tafel werde ich dich dem alten Herrn vorstellen.“

Lächelnd sah Fred Gartner den Freund an.

„Bist du näher mit ihm bekannt?“

Das hübsche Gesicht Mr. Howards rötete sich ein wenig. Er lachte sichtlich verlegen. „Oh, ich verkehre viel in seinem Haus.

„Unterhält man sich dort gut?“

„Ausgezeichnet.“

„Ist die Gattin Letzingens auch anwesend?“

„Er ist Witwer. Seine Gattin ist vor einigen Jahren gestorben. Dafür hat er eine sehr schöne Tochter und eine ebenso schöne Nichte.“

„Ah! Ein ernster Fall, Harry?“

Mr. Howard erwiderte den Blick. „Von meiner Seite – ja.“

„Und die Gegenpartei?“

Ein leises Lächeln spielte um Howards Lippen. „Ich hoffe, dass auch ich für die Gegenpartei ein ernster Fall bin.“

Auch Fred Gartner lächelte. „Dann ist ja alles in bester Ordnung.“

Mit einem leisen Seufzer schüttelte Howard den Kopf.

„Nicht so ganz, wie du glaubst. Es ist nicht so leicht für einen freien Amerikaner, um eine Deutsche zu werben. Du ahnst nicht, welcher Kastengeist noch bei alten deutschen Familien herrscht. Obwohl du Deutscher von Geburt bist, kennt du die Verhältnisse weniger als ich. Die deutsche Eigenbrötlerei habe ich an der Quelle studiert. Freilich gibt es auch unter diesen Deutschen freidenkende Männer; zu ihnen gehören gottlob Letzingen und sein Schwager Kanitz.“

„Ist das derselbe Kanitz, der jetzt der Handelsmission in Washington zugeteilt werden soll?“

„Er ist es.“

„Nun, so, wie du die Herren schilderst, kann ich mir nicht vorstellen, dass dir von dieser Seite Schranken gesetzt werden.“

Harry Howard warf den Kopf zurück.

„Ich würde auch im gegenteiligen Fall nicht daran denken, die Waffen zu strecken. Aber das bleibt unter uns Fred.“

„Selbstverständlich.“

Sie sahen sich lächelnd an und tranken sich zu.

Bald darauf wurde die Tafel aufgehoben, und nun standen die beiden Freunde in nächster Nähe Letzingens und warteten auf eine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen.

Es dauerte eine Weile, und während dieser Zeit verglich Howard das Gesicht seines Freundes mit dem Letzingens. Die Ähnlichkeit zwischen diesen beiden Männern verwischte sich in der Nähe durchaus nicht. Sie trat sogar noch schärfer hervor. Beide Männer besaßen die gleiche schön geformte Stirn, unter der dieselben entschlossenen Augen blitzten. Dieselben dunklen, eigenartig gezeichneten Brauen wölbten sich über den Augen und verliefen an den Schläfen wie feine Striche.

Es machte Howard Vergnügen, alle Einzelheiten dieser beiden Gesichter zu vergleichen. Und er konstatierte, dass eine so auffallende Ähnlichkeit zwischen zwei sich fernstehenden Menschen kaum noch einmal existieren könne.

Die einzigen Unterschiede bestanden in der Farbe der Haare und in dem verschiedenen Alter; denn auch die schlanken, sehnigen Gestalten zeigten große Gleichheit.

Schließlich aber entdeckte Howard noch eine Ähnlichkeit, die ihm ein staunendes Lächeln entlockte. Dicht neben dem feinen Strich der verlaufenden rechten Augenbraue befand sich bei beiden Herren ein kleiner brauner Leberfleck von der Größe einer Linse.

Howard machte seinen Freund darauf aufmerksam, und lächelnd betrachtete auch Fred Gartner dieses seltene Naturspiel.

„Ist das nicht fabelhaft?“, fragte Howard.

Fred Gartner nickte lächelnd. Inzwischen war die Ähnlichkeit einigen Herren in der Gruppe aufgefallen, und sie nahmen wohl an, Fred Gartner sei ein Verwandter des alten Herrn, denn sie traten zurück und ließen die beiden Freunde vor.

Letzingen bemerkte nun zuerst Howard und begrüßte ihn freundlich.

„Ich habe noch keine Gelegenheit finden können, Sie zu begrüßen, Herr Letzingen“, sagte Howard.

„Auch mir war es noch nicht vergönnt, Sie zu sprechen. Ich kam sehr spät, fast hätte ich nicht kommen können, da eine Verwandte gerade heute Berlin passierte. Meine Tochter hat sich geopfert und ist bei ihr geblieben.“

„Ich habe schon mit Bedauern bemerkt, dass Ihr Fräulein Tochter nicht anwesend ist. Gestatten Sie mir, Herr Letzingen, Ihnen einen Freund vorzustellen.“

Damit trat Howard beiseite, und Alfred Letzingen erblickte nun Fred Gartner.

Er stutzte sichtlich und sah forschend in das Gesicht des jungen Deutschamerikaners.

Howard lächelte.

„Ich sehe an Ihrem Erstaunen, Herr Letzingen, dass auch Ihnen, gleich uns, die große Ähnlichkeit aufgefallen ist, die zwischen Ihnen und meinem Freund besteht.“

Letzingen neigte, noch etwas überrascht, den Kopf.

„Allerdings. Ich war einen Moment fassungslos – das ist ja, als sähe ich mein Spiegelbild vor dreißig Jahren. Verzeihen Sie, und, bitte, machen Sie mich mit Ihrem Freund bekannt.“

Mr. Howard verneigte sich.

„Mr. Gartner – Herr Letzingen“, sagte er.

Es war, als stehe Letzingen einen Moment wie erstarrt. Seine Augen bohrten sich forschend in Fred Gartners Gesicht, als wolle er alle Einzelheiten in sich aufnehmen. aber er blieb Herr der Situation, und niemand hatte bemerkt, welch ein heißes, tiefes Erschrecken plötzlich seine Seele durchzuckt hatte, als er den Namen des jungen Deutschamerikaners hörte.

Er lächelte scheinbar amüsiert, als er sich nun an Fred wandte.

„Ich bin frappiert von der großen Ähnlichkeit, die zwischen uns herrscht. Verzeihen Sie, dass ich ein wenig konsterniert bin. Sie sind Amerikaner, Mr. Gartner – nicht wahr, so war Ihr Name?“

Fred Gartner verneigte sich.

„Ja, Herr Letzingen, Deutschamerikaner.“

„Deshalb sprechen Sie ein so reines Deutsch – wie Ihr Freund Howard, der wie ich weiß, zwar einen englischen Vater, aber eine deutsche Mutter hat. Sie haben jedenfalls umgekehrt einen deutschen Vater?“

Es lag ein heimliches Forschen in dieser Frage, das aber Fred Gartner entging.

„Meine Eltern sind beide in Deutschland geboren.“

„Und sind auch Sie gleich Ihrem Freund Howard der amerikanischen Handelsdelegation zugeteilt?“

„Nein, ich bin privat in Deutschland, um die Heimat meiner Eltern näher kennen zu lernen.“

„Also sind Sie das erste Mal in Deutschland?“

„Nein, ich war schon vor einigen Jahren hier und habe damals sogar ein Semester an einer deutschen Universität studiert.“

„Sie haben die Absicht, auch diesmal länger hier zubleiben?“

„Einige Monate.“

„Nun, so hoffe ich, noch öfter das Vergnügen zu haben, mit Ihnen zusammenzutreffen.“

Fred Gartner verneigte sich.

„Es würde mir eine große Ehre sein, Herr Letzingen.“

Letzingen wandte sich zu Howard. „Sie wissen ja, Mr. Howard, dass in meinem Haus donnerstags Empfangstag ist; ich hoffe, Sie bringen uns Ihren Freund ins Haus.“

„Wenn Sie es erlauben, gern. Aber wir wollen Sie jetzt nicht länger stören. Komm, Fred, gehen wir in den Saal zurück.“

Die beiden Freunde verneigten sich und merkten nicht, dass es seltsam im Gesicht Letzingens zuckte, als er hörte, dass Howard seinen Freund Fred nannte. Mit einer leichten Handbewegung hielt er Fred Gartner zurück.

„Ich hörte eben, dass Mr. Howard Sie beim Vornamen nannte – Fred. Es sollte mich nicht wundern, wenn wir nun auch noch einen gemeinsamen Vornamen hätten. Ich heiße Alfred“, sagte er mit einem Lächeln.

Fred merkte nicht, dass dieses Lächeln erzwungen war und dass ein unruhiges Forschen in den Augen des alten Herrn lag. Auch er lächelte überrascht.

„Auch ich heiße Alfred.“

Letzingen lachte amüsiert auf, aber seine Augen starrten grübelnd vor sich hin.

„Das ist wirklich ein drolliger Zufall! Also, auf Wiedersehen, Mr. Gartner – auf Wiedersehen!“

Die beiden Freunde zogen sich zurück, und Letzingen wurde sofort von anderen Herren ins Gespräch gezogen. Er stand auch Rede und Antwort, aber er wusste nicht, was er sprach.

Es war, als lausche er in sich hinein, und sein Blick folgte verstohlen Fred Gartners schlanker, kraftvoller Gestalt.

Sobald er eine Gelegenheit dazu fand, brach er das Gespräch mit den Herren ab und trat in den menschenleeren Wintergarten des Hotels.

Hier ließ er sich mit einem Aufatmen, das eher einem Stöhnen glich, in einen Sessel fallen und verbarg das Gesicht in den Händen.

So saß er eine Weile, und seine Gedanken flogen wie aufgescheuchte Vögel in seine Jugend zurück. In seinem Herzen war die Vergangenheit plötzlich mit quälender Deutlichkeit lebendig geworden.

Endlich erhob er sich wieder und ging zur Gesellschaft zurück. Am Saaleingang traf er mit Howard zusammen. Letzingen hielt ihn an.

„Ich hatte vorhin keine Zeit, mich länger mit Ihnen zu unterhalten, Mr. Howard. Sie haben mir eine recht interessante Bekanntschaft vermittelt. Die Ähnlichkeit Ihres Freundes mit mir ist sehr auffallend, zumal wenn man bedenkt, dass keinerlei Verwandtschaft zwischen uns besteht.“

Howard verneigte sich lächelnd.

„Dieselbe Betrachtung stellte auch ich vorhin an. Mein Freund Gartner hat sogar, wie ich vorhin zu beobachten Gelegenheit hatte, dasselbe kleine Muttermal, das auch Sie neben der Augenbraue an der rechten Schläfe haben – genau an derselben Stelle.“

Letzingens Blick irrte nach dem Wandspiegel hinüber.

„Das habe ich nicht bemerkt. Ich muss es mir ansehen, wenn ich wieder mit Mr. Gartner zusammentreffe. Ist er in New York ansässig?“

„Ja. Die großen Fabriken, die seine Mutter besitzt, befinden sich in New York. Er ist seit einigen Jahren Kompagnon der Firma. Im Winter bewohnt er ein Haus in New York und im Sommer eine Villa am Meer.“

Letzingens Gesicht zeigte eine heimliche Spannung.

„Sie sagen, die Fabriken gehören seiner Mutter – also lebt sein Vater wohl nicht mehr?“

„Nein. So viel ich weiß, hat er seinen Vater schon in frühester Kindheit verloren.“

„Aber er ist in New York geboren?“, fragte Letzingen.

„Das kann ich Ihnen im Augenblick nicht einmal beantworten. Jedenfalls besitzt seine Mutter seit fast dreißig Jahren die großen Keksfabriken in New York, das heißt – vor fünfundzwanzig Jahren war dieses Riesenunternehmen nur in den bescheidensten Anfängen. Man sagt, Mrs. Gartner, die Mutter meines Freundes, habe damals die Kekse noch eigenhändig gebacken, und deshalb seien sie so berühmt geworden. Jedenfalls erfand sie all die guten Rezepte selbst, und die Harald-Kekse fehlen in Amerika auf keinem Teetisch.“

Sinnend sah Letzingen vor sich hin.

„Und damit hat Mrs. Gartner ein großes Vermögen gemacht?“, fragte er lächelnd, als amüsiere ihn dieser Gedanke.

Mr. Howard sah ihn mit seinen hellen, scharfen Augen fest an.

„Mrs. Gartner ist allerdings eine sehr reiche Frau. Ihr Vermögen zählt nach Millionen – ihr selbst verdientes Vermögen. So etwas findet man drüben bei uns bewundernswert. Man schätzt Mrs. Gartner wegen ihrer geschäftlichen Tüchtigkeit und ihres Fleißes. Sie ist außerdem eine kluge, geistvolle Frau, und ich kenne bedeutende Männer, die es nicht verschmähen, sich bei ihr Rat zu holen. Sie gilt sehr viel, und man schätzt sie hoch. Meine Eltern zählen sie stolz zu ihren Freunden.“

Letzingen verneigte sich.

„Dann wird sie es sicher auch verdienen. Und Ihr Freund – ist er Kaufmann? Ich meine, er hätte mir gesagt, dass er eine deutsche Universität besuchte.“

„Er hat eine ausgezeichnete Erziehung genossen und hat mit mir zusammen studiert. Auch er ist ein äußerst intelligenter und tüchtiger Mensch. Nach Beendigung seiner Studien ist er neben seiner Mutter an die Spitze ihres Unternehmens getreten und hat es noch bedeutend vergrößert.“

„Soso! Nun, es soll mich freuen, ihn näher kennen zu lernen. Ich hörte jedenfalls den Namen des Unternehmens heute zum ersten Mal, obwohl ich gut orientiert bin über die Verhältnisse drüben.“

Howard verneigte sich lächelnd.

„Ich weiß, Sie waren früher selbst einige Jahre in Amerika.“

„Woher wissen Sie das?“

„Ihr Fräulein Tochter hat es mir erzählt.“

Letzingen nickte hastig.

„Ganz recht, in meiner Jugend war ich einige Jahre drüben – nicht gerade zu meinem Vergnügen. Deshalb spreche ich nicht gern davon. Aber jedenfalls danke ich es diesem Aufenthalt, dass ich Land und Leute kennen gelernt habe.“

Wieder verneigte sich Howard.

„Man hätte in meiner Heimat viel Wert darauf gelegt, wenn Sie den Posten angenommen hätten, den man nun Ihrem Herrn Schwager zugewiesen hat. Herr Kanitz wurde nach Ihrer Ablehnung in Vorschlag gebracht.“

Letzingen wehrte leicht ab.

„Ich kann Deutschland nicht auf Jahre verlassen. Als Hüter unseres Gutes habe ich Verpflichtungen, obwohl ich es keinem Sohn hinterlassen kann – oder gerade deshalb. Außerdem hoffe ich auch hier meinem Vaterland zu nützen.“

„Das ist außer Zweifel, Herr Letzingen. Aufrechte Männer kann jeder Staat brauchen. Im Übrigen ist Herr Kanitz eine zuverlässige Persönlichkeit und nach Ihnen wohl am besten geeignet, sein schwieriges Amt zur Zufriedenheit beider Staaten auszufüllen.“

Letzingen nickte. „Wenn es einer ausfüllen kann, ist er es. Er ist ein aufrechter Mann, der weiß, was er will und seinem Willen Geltung verschafft, auch wenn es diesem und jenem unbequem ist.“

Hier wurden die beiden Herren gestört.

Harry Howard ging nach kurzem Zögern in den Saal, um seinen Freund aufzusuchen, der dem beginnenden Tanz zuschaute.

Als er zu ihm trat, fasste Fred ihn beim Arm.

„Kennst du die junge Dame, die da drüben an der Säule mit einem alten Herrn steht? – eben tritt Letzingen zu ihnen!“

Howard sah unauffällig in die bezeichnete Richtung und neigte das Haupt. „Das ist Regina Kanitz, die Nichte Letzingens. Der Herr, der neben ihr steht, ist ihr Vater.“

„Ah – dies ist also Kanitz, der den Posten in Washington erhalten hat?“

„Ja. Seine Frau und die verstorbene Gattin Letzingens waren Schwestern. Willst du noch mehr Aufschlüsse?“

Fred Gartner sah interessiert nach der anmutigen Dame hinüber und lächelte. „Ich möchte nur noch wissen, ob du mich der jungen Dame vorstellen kannst. Ich möchte mit ihr tanzen.“

Mr. Howard sah mit einem forschenden Blick in das Gesicht seines Freundes, sagte aber dann ruhig: „Das kann ich tun. Komm, lass uns gleich hinübergehen, dann kann ich dich mit Kanitz bekannt machen.“

Sie schritten langsam durch den Saal. Letzingen stand noch mit seinem Verwandten zusammen und blickte Gartner mit brennenden Augen entgegen. Während Howard den Freund Kanitz und seiner Tochter vorstellte, hefteten sich seine Blicke auf das kleine braune Mal an Fred Gartners Schläfe.

Auch Kanitz und seiner Tochter fiel sofort die Ähnlichkeit des jungen Deutschamerikaners mit Letzingen auf, und als sich nach einer Weile Regina Kanitz plaudernd mit den beiden Freunden entfernte, legte Kanitz seine Hand auf Letzingens Arm.

„Hast du dir diesen Mr. Gartner angesehen, Alfred?“

Der alte Herr schrak aus seinem Grübeln auf. „Ja, Rudolf.“

„Und ist dir nicht aufgefallen, dass er dir unglaublich ähnlich sieht?“

Kein Zug regte sich in Letzingens Gesicht. „Es ist mir natürlich auch aufgefallen. Außerdem machte mich Mr. Howard auf diese Ähnlichkeit aufmerksam.“

„Also dem ist es auch nicht entgangen!“

„Ja, es muss auffallen, wenn sich zwei völlig fremde Menschen so ähnlich sind.“ Mit heimlichem Entsetzen hatte Letzingen das kleine Muttermal entdeckt, das gleiche, das er selbst trug. „Ein seltsames Naturspiel!“

Kanitz sah ihn verblüfft an.

„Frappant! Mein lieber Alfred, man könnte da auf seltsame Gedanken kommen.“ Die letzten Worte Kanitz’ klangen scherzhaft.

„Auf was für Gedanken?“, fragte Letzingen hastig.

„Nun, du warst vor ungefähr dreißig Jahren auf längere Zeit drüben im Amerika. Wenn man diesen jungen Deutschamerikaner ansieht, kann man auf den Gedanken kommen, dass du damals einen illegitimen Spross drüben zurückgelassen hast. Es könnte so ungefähr mit dem Alter des jungen Mannes stimmen.“

Letzingen stieg eine leichte Röte in die Stirn, und sein Gesicht bekam einen unwilligen Ausdruck.

„Ich bitte dich, Rudolf, solche Witze sind nicht am Platz!“

Kanitz lachte. „Aber Alfred, sei nicht so heftig! Ein harmloser Scherz. Du bist doch sonst nicht so leicht verletzt.“

Letzingen atmete tief auf.

„Verzeih! Aber du weißt, an die Jahre drüben lasse ich mich nicht gern erinnern.“

Kanitz nickte und schob die Hand unter seinen Arm.

„Ich weiß, ich weiß, an so schlimme Zeiten erinnert man sich nicht gern. Das war damals eine verzweifelte Situation für dich. Dein Onkel war immer knickerig. Er hätte deine Schulden wohl bezahlen können, hätte nicht den unversöhnlichen Richter zu spielen brauchen. Lieber Gott, jung und leichtsinnig sind wir alle einmal gewesen. Na, es hat dir nichts geschadet, dass du dir fremden Wind um die Nase hast wehen lassen müssen. Es war freilich eine riskante Sache, dass dir dein Onkel weiter nichts als die Überfahrtskarte zur Verfügung stellte und den guten Rat, dass ein armer Schlucker nur eine Existenzberechtigung hat, wenn er sie sich durch eigene Arbeit erwirbt. Es hätte schlecht ablaufen können. Du konntest ebenso gut vor die Hunde gehen. Er war ein verdammt rigoroser Herr.“

„Aber er war im Recht, Rudolf. Ich war leichtsinnig und musste es büßen. Und das habe ich getan. Aber zugleich habe ich auch arbeiten gelernt und den Ernst des Lebens erfasst.“

„Richtig. Du bist als ganzer Mann zurückgekommen, nachdem deinen Onkel der Schlag getroffen hatte, als er hörte, dass sein einziger Sohn beim Rennen zu Tode gestürzt war. Das hattest du freilich nicht erwarten können, dass du einmal Erbe auf Letzingen werden würdest.“

„Nein, bei Gott nicht, sonst – sonst hätte ich jene Zeit vielleicht anders verlebt.“

„Nun ja, aber das hat dir nicht zum Schaden gereicht. Und deshalb könntest du mit Stolz und Genugtuung an jene Zeit zurückdenken, da du den Lebenskampf siegreich bestanden hast.“

Letzingen strich sich über die Stirn.

„Trotzdem – man möchte manches ungeschehen machen. Und wie gesagt – ich erinnere mich nicht gern an jene Zeit.“

„Die Sturm- und Drangperiode ist längst überwunden, und du bist jetzt auf der Höhe des Lebens und kannst lächelnd auf Jugendtorheiten zurücksehen. Aber natürlich hätte ich den dummen Scherz vorhin unterlassen können. Nichts für ungut! Komm, lass uns einen Kognak trinken! Der Erbe von Letzingen kann über diese längst vergangene Epoche lachen.“

Damit führte Kanitz seinen Schwager zum Büfett. Letzingen versuchte in den heiteren Ton mit einzustimmen, aber in seinen Augen blieb der grübelnde Ernst zurück.

Wie kam dieser Ähnlichkeit Mann zu der auffallenden Ähnlichkeit mit ihm?

***

Inzwischen stand Fred Gartner Regina Kanitz gegenüber und plauderte mit ihr. Mr. Howard war von einem anderen Herrn fortgeführt worden. Regina hatte lachend in Freds Gesicht gesehen und gesagt: „Ich war sprachlos, als ich Sie sah, Mr. Gartner.“

Er sah lächelnd in ihr reizendes Gesicht. Sie hatte braune Augen, die klar ins Leben sahen. Über ihrer ganzen Erscheinung lag ein Hauch lebensfrischer Anmut, gesunder Lebensfreude und ein gewisses Etwas, das die Herzen warm machte.

„Warum waren Sie sprachlos, mein gnädiges Fräulein?“, fragte er.

„Weil Sie meinem Onkel so ähnlich sehen. Das ist beinahe unheimlich.“

„Ich hoffe, Sie rechnen es mir nicht als Verbrechen an“, scherzte er.

Sie schüttelte den Kopf. „O nein, es kann Sie nur gut bei mir einführen.“

„Dann darf ich wohl so kühn sein, Sie um diesen Tanz zu bitten?“

Munter blitzten ihre Augen zu ihm auf.

„Muss es gerade dieser Tanz sein, Mr. Gartner? Dieser neueste aller Tänze ist ganz abscheulich.“

Fred Gartner sah erst wohlgefällig in ihr lachendes Gesicht und blickte dann auf die tanzenden Paare, die sich in einem der allerdings wenig graziösen Schiebetänze hin und her bewegten.

„Sie haben Recht, gnädiges Fräulein, schön ist dieser Tanz nicht. Sie mögen ihn also nicht leiden?“

Sie schüttelte energisch das Haupt.

„Nein, ich kann ihn nicht ausstehen.“

„Darf ich Sie dafür um den nächsten Walzer bitten?“

Sie nickte in ihrer resoluten Art. „Das dürfen Sie.“

„Und gestatten Sie mir, bis zu diesem Walzer mit Ihnen zu plaudern?“, fragte er lächelnd.

„Gern, wenn Sie mir ein wenig von drüben erzählen. Ich bin nämlich sehr wissensdurstig, es interessiert mich alles, weil ich in wenigen Monaten meine Eltern nach drüben begleiten werde.“

Er verneigte sich. „Ich habe gehört, dass Ihr Herr Vater zu uns kommen wird, und es freut mich, dass Sie ihn begleiten.“

Sie lachte ihn übermütig an. „Wer weiß, ob das so erfreulich für Sie ist!“

„Sicher! Ich hoffe, die Ehre und das Vergnügen zu haben, Sie drüben wiederzusehen.“

„Wann reisen Sie denn nach New York zurück, Mr. Gartner?“

„Anfang Mai wahrscheinlich.“

Leuchtenden Blickes sah sie zu ihm auf. „Zur selben Zeit reisen wir auch. Vielleicht benutzen wir denselben Dampfer zur Überfahrt.“

„Das wäre für mich ein sehr angenehmer Zufall.“

Sie sah ihn forschend an. „Reisen Sie nicht mit Ihrem Freund Howard zusammen.“

„Wenn sich alles so fügt, wie er annimmt, wird das der Fall sein.“

Ihre Blicke flogen zu Howard hinüber, der auf der anderen Seite des Saals im Gespräch mit einigen Herren stand.

„Es könnte eine amüsante Überfahrt werden. Mr. Howard ist ein guter Gesellschafter, und ich hoffe, Sie stehen in dieser Beziehung nicht hinter ihm zurück.“

„Ich will mir Mühe geben, mein Fräulein.“

Sie lachte. „Ach, bitte nicht! Wenn Sie sich erst Mühe geben müssen, wird es nichts. Das muss ganz von selbst kommen.“

Mit einem amüsierten Lächeln forschte er. „Glauben Sie, dass es von selbst kommen wird?“

Die beiden Augenpaare blitzten fröhlich ineinander.

„Ich glaube sicher“, sagte sie lachend. „Aber nun erzählen Sie mir von drüben.“

„Was wünschen Sie zu wissen, Fräulein Kanitz?“

„Alles!“

Er lachte. „Ein wenig viel für eine so kurze Zeit. Aber ich will wenigstens versuchen, diese Aufgabe zu lösen, so gut es geht.“

Und er erzählte in seiner lebhaften, anschaulichen Art frisch drauflos, was ihm gerade einfiel. Sie hörte aufmerksam zu und warf ab und zu eine Frage dazwischen.

Dann begann der nächste Tanz – ein Walzer.

Fred Gartner verneigte sich bittend.

Sie gaben sich nun dem Genuss des Tanzes hin, und als er zu Ende war, sagte sie aufatmend: „Sie tanzen Walzer wie ein Deutscher. Wo haben Sie das gelernt?“

Er zeigte beim Lachen seine festen weißen Zähne. „Zuerst habe ich es von meiner Mutter gelernt – als ich noch ein Knabe war. Dann habe ich aber auch in Deutschland während eines früheren Aufenthalts getanzt.“

„Nun, man merkt Ihnen an, dass Sie nicht das erste Mal in Deutschland sind. Sie sprechen auch ein ganz einwandfreies Deutsch.“

Ein weiches Lächeln spielte um seinen Mund. „Auch das habe ich von meiner Mutter gelernt – sie ist Deutsche von Geburt, wenn sie auch jetzt amerikanische Bürgerin ist.“

Interessiert sah sie zu ihm auf. „Und Ihr Vater – ist er auch Deutscher? Ihr Name klingt so.“

„Mein Vater lebt nicht mehr, aber er war Deutscher.“

„Oh, Sie haben Ihren Vater verloren? Wie traurig für Sie!“

Seine Augen blickten ernst. „Ich habe meinen Vater nie gekannt; er starb vor meiner Geburt, und deshalb habe ich ihn nie vermisst. Meine Mutter war mir alles – sie hat mir den Vater ersetzt. Sie ist für mich überhaupt der Inbegriff alles Guten, Lieben und Schönen.“

Ihre Augen bekamen einen weichen Schimmer. „Ich habe geglaubt, Amerikaner könnten nicht so tief empfinden, wie Sie es tun.“

Er sah sie lächelnd an. „Ich bin viel mehr Deutscher als Amerikaner. Aber auch die Amerikaner haben ein Herz, wenn man drüben auch daran gewöhnt ist, das Leben ohne Sentimentalität zu erfassen.“

Reginas Blicke flogen wieder verstohlen zu Mr. Howard hinüber. Und sie bemerkte, dass er sich von den anderen Herren verabschiedete und auf sie zukam. Sie plauderte angeregt weiter mit Fred Gartner und gab sich den Anschein, Howard erst zu bemerken, als er neben ihr stand.

„Mein gnädiges Fräulein, darf ich um den nächsten Tanz bitten?“

Regina nickte lächelnd. „Gern, Mr. Howard, ich muss mich fleißig mit Jung-Amerika eintanzen.“

Howard verneigte sich. „Das ist recht, mein Fräulein. Gartner hat von diesem Ihrem Vorhaben auch schon profitiert, wie ich bemerken konnte.“

Ihre Augen blitzten ihn an.

„Ihr Freund tanzt einen ausgezeichneten Walzer. Sie müssen ihn zu unserem nächsten Tanzabend mitbringen.“

Mr. Howard sah Fred lächelnd an. „Gern, wenn es erlaubt ist. Wann findet dieser Tanzabend statt?“

„Am Freitag. Es ist der letzte, den wir in dieser Saison veranstalten, überhaupt vorläufig für Deutschland der letzte. Da dürfen Sie nicht fehlen.“

„Um keinen Preis“, bekräftigte Howard.

„Vorher sehen wir uns am Donnerstag – bei Letzingens. Meine Kusine erwartet Sie bestimmt.“

„Ich werde mir erlauben, auch meinen Freund Gartner einzuführen. Letzingen ersuchte mich darum.“

Regina lachte. „Famos!“

Jetzt begann die Musik einen neuen Tanz, und Howard verneigte sich vor Regina. „Darf ich bitten, mein Fräulein?“

Sie ließ sich fortführen, nickte aber Fred ein lächelndes „Auf Wiedersehen!“ zu.

Er sah ihr nach und freute sich an den graziösen Bewegungen der schlanken Gestalt.

Regina sagte während des Tanzes zu ihrem Partner: „Ihr Freund ist ein sympathischer Mensch. Er hat sich gut eingeführt durch seine Ähnlichkeit mit meinem Onkel.“

Mr. Howard sah in ihre Augen. „Der Glückliche! Wer sich doch auch so gut bei Ihnen einführen könnte!“

Sie lachte. „Nun, Sie können ganz zufrieden sein. Übrigens sagte mir Ihr Freund Gartner eben, dass er auch Anfang Mai nach New York zurückfährt. Wenn Sie denselben Dampfer benutzen könnten, würde es eine vergnügte Fahrt, zumal meine Kusine, Lottemarie Letzingen, uns begleiten wird.“

Fragend sah Howard sie an. „Fräulein Letzingen geht mit nach drüben?“

Regina nickte. „Sie wünscht es sich wenigstens sehr, weil sie Amerika kennen lernen möchte. Ihr Vater hat freilich seine Einwilligung noch nicht gegeben, aber wir beide hoffen bestimmt, sie zu erhalten.“

Howards Augen strahlten in die ihren. „Letzingen wird Ihren gemeinsamen Bitten nicht widerstehen können, wenn ihm auch die Trennung von seiner Tochter schwer werden wird.“

„Gern lässt er sie natürlich nicht gehen, aber er weiß sie bei meiner Mutter in sicherer Hut. Und er selbst hat so wenig Zeit für Lottemarie. Seine Geschäfte nehmen ihn vollkommen in Anspruch – gerade wie mein Vater davon in Anspruch genommen wird. Mama und ich sehen Papa sozusagen nur auf Gastrollen daheim. Lottemarie würde vielleicht noch einsamer sein als ich, wenn wir uns trennen müssten. Und deshalb muss Onkel Letzingen seine Einwilligung geben.“

Er lachte. „Ich glaube nicht, dass er gegen Ihre Energie etwas ausrichten wird.“

„Nun, finden Sie es nicht besser, wenn Lottemarie mit uns geht?“, fragte Regina kriegerisch.

Er beeilte sich, zuzustimmen. „Selbstverständlich! Wann wird es sich entscheiden?“

„In diesen Tagen. Donnerstag hoffe ich, Ihnen schon definitiven Bescheid geben zu können. Jedenfalls können Sie sich schon jetzt bemühen, sich auch bis Anfang Mai freizumachen, damit Sie mit uns reisen können. Wir wären dann eine nette kleine Gesellschaft, und – und meine Kusine würde sich sicher sehr freuen, wenn Sie mit uns kommen würden.“

Er sah sie mit einem sonderbaren Blick an. „Ihre Kusine würde sich freuen? Und Sie?“

Ein helles Rot schoss jäh in ihr Gesicht. „Nun, mir wäre es natürlich auch lieb. Sie und Ihr Freund Gartner könnten uns sicher am besten in New York und Washington einführen.“

„Ganz gewiss, und wir werden es uns auch nicht nehmen lassen. Jedenfalls setze ich Himmel und Hölle in Bewegung, mich für Anfang Mai freizumachen. Es wird schon alles nach Wunsch gehen.“

„Nach meinem Wunsch?“, fragte sie schelmisch.

Er sah ihr tief in die Augen.

„Nach Ihrem Wunsch – und nach dem meinen. Ich weiß mich in dieser Beziehung eins mit Ihnen, gnädiges Fräulein.“

Ihr Gesicht glühte. Der Tanz war zu Ende. „Es ist sehr heiß im Saal“, sagte sie ablenkend.

„Darf ich Sie in einen der Nebenräume führen, da ist es sicher kühler.

„Bringen Sie mich zu Mama, Mr. Howard, sie ist da drüben! Und dann stellen Sie bitte Mr. Gartner Mama vor.“

Er verneigte sich und tat, wie sie ihn geheißen hatte.

Ein halbe Stunde später war das Fest zu Ende. Mr. Howard und sein Freund hatten sich von Regina Kanitz mit fröhlichen Worten verabschiedet, als sie mit ihren Eltern aus der Garderobe kam.

Auch Letzingen verabschiedete sich liebenswürdig von den beiden Freunden und wiederholte seine Einladung für Fred.

Nun traten die beiden Freunde aus dem Hotelvestibül ins Freie, um noch ein Stück die Allee entlangzubummeln.

Es lag eine dünne Schneeschicht auf den Straßen – Großstadtschnee von grauer, schmutziger Färbung. Die Luft war nicht sehr kalt, sie ließ schon den kommenden Frühling ahnen.

Wagen um Wagen rollte an den Freunden vorbei.

Schweigend schlenderten sie nebeneinander her.

Endlich blieben sie wie auf Verabredung stehen und sahen sich lächelnd in die Augen.

„Jetzt haben wir uns in allen gangbaren Sprachen ausgeschwiegen, Harry.“

Mr. Howard nickte. „Es war ein sehr ausdrucksvolles Schweigen, und ich bin vollkommen deiner Meinung – wir müssen noch eine Flasche Wein trinken, ehe wir zu Bett gehen.“

Fünf Minuten später saßen sie in einem gemütlichen Eckchen und ließen die Gläser aneinander klingeln.

„Auf das, was wir hoffen und wünschen, Fred.“

Fred Gartner lächelte. „Sag ruhig, auf das, was wir lieben, ich tue dir Bescheid.“

Sie leerten ihre Gläser bis zum Grund.

***

Am nächsten Donnerstag führte Mr. Howard seinen Freund Gartner bei Letzingens ein.

Mit einem lieben Lächeln reichte Lottemarie Letzingen Fred die Hand. „Ich habe von Ihnen gehört, von Ihrer großen Ähnlichkeit mit meinem Vater. Es freut mich, Sie kennen zu lernen, Mr. Gartner, seien Sie uns willkommen!“

Fred verneigte sich zum artigen Gruß und sah sie dann mit einem frohen Empfinden an. Was waren das für eigenartige, leuchtende Augen! Sie strahlten wie Sterne. Der Atem stockte Fred Gartner ein wenig, wenn er in diese herrlichen Mädchenaugen sah.

„Finden auch Sie eine Ähnlichkeit zwischen Ihrem Herrn Vater und mir heraus, mein gnädiges Fräulein?“, fragte er, nicht ganz Herr über die Verwirrung, die ihn befallen hatte.

Sie sah ihn prüfend an. „O ja, die Ähnlichkeit ist frappierend. Ich muss Ihnen nachher ein Jugendbildnis meines Vaters zeigen. Dann werden Sie glauben, es sei Ihr eigenes.“

Jetzt begrüßte auch Letzingen Fred Gartner, und wieder überkam den alten Herrn ein beklommenes Gefühl, als aus dem Gesicht des jungen Deutschamerikaners seine eigenen Augen wie aus einem Spiegel herauszuschauen schienen.

Die beiden Herren plauderten eine Weile miteinander. Fred Gartners Blicke aber folgten verstohlen der schlanken Mädchengestalt.

Lottemarie Letzingen stand nun mit Regina und Mr. Howard zusammen. Regina hatte den Arm um die Kusine geschlungen, und Fred konnte die beiden jungen Damen miteinander vergleichen.

Seltsam, so sehr ihm Regina Kanitz neulich auf dem Fest gefallen hatte, neben Lottemarie Letzingen schienen ihre Reize zu verblassen, wenigstens in seinen Augen. Von Lottemarie ging ein Zauber aus, der sein Herz in Unruhe versetzte.

Letzingen machte Fred Gartner mit verschiedenen Herrschaften bekannt, und er wurde in Gespräche gezogen. Aber seine Augen suchten immer wieder Lottemarie. Und als ihre Blicke einige Male den seinigen begegneten, hatte er das Gefühl, etwas sehr Schönes zu erleben.

Lottemarie löste sich zögernd aus einer Gruppe junger Herren und Damen, als Fred wieder vor ihr stand. Sie sah schnell zu ihm auf und lächelte ihm zu. Er meinte, nie ein süßeres und lieberes Lächeln gesehen zu haben.

„Wie unterhalten Sie sich, Mr. Gartner?“

„Ausgezeichnet, mein Fräulein.“

„Das freut mich. Ich muss Sie immer wieder ansehen, weil Sie meinem Vater so ähnlich sind. Sogar Gang und Haltung gleichen sich.“

Fred sah wie gebannt zu ihr. „Sie wollten mir ein Jugendbildnis Ihres Herrn Vaters zeigen. Darf ich Sie darum bitten?“

„Gewiss! Kommen Sie!“

Sie schritten durch mehrere Zimmer bis in einen kleinen, behaglich eingerichteten Salon. Hier hing über einem Damenschreibtisch ein fast lebensgroßes Porträt Alfred Letzingens.

„Da, sehen Sie! Dieses Porträt hat mein Vater malen lassen, kurz nachdem er Herr auf Letzingen geworden war. Er zählte damals zweiunddreißig Jahre. Sie werden ebenso alt sein – und wenn Sie dieselben Kleider trügen, könnten Sie zu diesem Porträt Modell gestanden haben. Nur die Partie um Mund und Kinn ist bei Ihnen energischer, als es auf diesem Bild der Fall ist.“

Fred Gartner sah staunend zu dem Gemälde auf.

„Dieses Bild bringt mir noch mehr als die Bekanntschaft mit Ihrem Herrn Vater die große Ähnlichkeit zwischen uns zum Bewusstsein. Aber vielleicht ist daran der Maler schuld.“

„Oh, Sie können auch eine Fotografie meines Vaters aus jener Zeit sehen, und Fotografien pflegen unbestechlich zu sein.“

Mit diesen Worten trat Lottemarie an ein kleines Tischchen heran, auf dem ein Album lag. Sie blätterte darin und zeigte ihm dann eine Fotografie des Vaters.

Lächelnd betrachtete es Fred.

„Es ist erstaunlich! Ich wünschte, ich könnte meiner Mutter dieses Bild zeigen. Sie wird es sonst kaum glaublich finden, dass ein mir völlig Fremder mir so sehr gleichen kann.“

Schnell entschlossen löste Lottemarie die Fotografie aus dem Album.

„Hier, nehmen Sie! Wenn Sie Ihrer Frau Mutter das Bild gezeigt haben, können Sie es mir zurücksenden. Ich überlasse es Ihnen gern zu diesem Zweck.“

Er nahm die Fotografie, und als sich dabei ihre Hände berührten, zuckten sie leise zusammen. Lottemarie stieg leichtes Rot ins Gesicht, Fred Gartner sah dieses zarte Erröten, und sein Herz klopfte rebellisch.

„Ich danke Ihnen“, sagte er leise.

Er barg die Fotografie zwischen anderen Papieren in seiner Brieftasche – es waren Schreiben seiner Mutter dabei.

***

Zur gleichen Zeit saß drüben im Nebenzimmer der Hausherr mit seiner Schwägerin an einem kleinen Tischchen. Seit dem Tod seiner Frau machte seine Schwägerin bei festlichen Gelegenheiten die Honneurs seines Hauses.

Frau Kanitz, eine hübsche, sympathische Dame von etwa vierzig Jahren, sah ihren Schwager fragend an.

„Wie stellst du dich zu Lottemaries und Reginas Wunsch, Alfred?“

„Welchen Wunsch meinst du?“, fragte Letzingen geistesabwesend.

„Ich meine Lottemaries Wunsch, uns nach drüben zu begleiten.“

Letzingen atmete auf. „Ah – davon sprichst du.“

Frau Kanitz nickte. „Ich will dich natürlich nicht beeinflussen. Du musst selbst entscheiden, ob du dich auf längere Zeit von Lottemarie trennen willst. Ich brauche dir nicht zu versichern, dass ich sie gern in meiner Nähe behalten möchte. Regina ist mit Lottemarie schwesterlich verwachsen und kann sich nicht an den Gedanken einer Trennung gewöhnen. Ich, offen gestanden, auch nicht. Aber ich weiß, dass du Lottemarie lieb hast und dass es dir schwer fallen wird, dich längere Zeit von ihr zu trennen.“

Letzingen strich sich über die Stirn. „Allerdings. Lottemarie wird mir fehlen. Aber für sie würde es noch viel schwerer sein, ohne euch auskommen zu müssen. Ich werde, wie gewöhnlich, wenig Zeit für Lottemarie haben und müsste sie viel allein lassen. Auch müsste ich ihr unbedingt eine Ehrendame engagieren, wenn du fort bist – und solche Damen sind oft sehr anspruchsvoll. Ich habe deshalb Lottemarie vorhin bereits meine Zusage in Aussicht gestellt. Sie mag euch begleiten, sagen wir, auf ein halbes Jahr vorläufig. Sollte ich es ohne sie nicht aushalten, kann sie ja früher zurückkommen. Vielleicht hole ich sie auch selbst ab. Ich weiß nur nicht, ob ich mich freimachen kann.“

Frau Kanitz sah sehr erfreut aus.

„Das wäre natürlich das beste. Ich freue mich, dass du Lottemarie die Erlaubnis gibst, uns zu begleiten. Und für dich wäre es sicher eine angenehme Ausspannung, wenn du hinüber kämst und Lottemarie selbst abholtest.“

„Ich will sehen, ob ich es möglich machen kann.“

„Es muss dich interessieren, dich wieder einmal drüben umzuschauen, damit du selbst beurteilen kannst, was sich in dreißig Jahren geändert hat.“

Es zuckte leise im Gesicht des Freiherrn.

„O ja, es würde mich manches interessieren. Für dich sind die Verhältnisse drüben ganz neu, Beate. Wie wirst du dich eingewöhnen?“

Frau Kanitz zuckte mit humorvollem Lächeln die Schultern.

„Man muss sich das Leben nicht schwerer machen, als es ohnehin schon ist. Rudolf hat Gelegenheit, sich auszuzeichnen, und wir sind nicht in der Lage, auf solch eine Gelegenheit, die auch eine finanzielle Verbesserung mit sich bringt, verzichten zu können, zumal wir eine heiratsfähige Tochter besitzen, der wir keinerlei Vermögen hinterlassen können.“

Letzingen lächelte.

„Um Regina brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Sie ist ein reizendes und resolutes Persönchen und wird unter ihren Freiern wählen können.“

Frau Kanitz seufzte.

„Du lieber Gott, als ob unsere heiratsfähigen Männer sich um ein armes Mädchen rissen, wenn es auch noch so reizend wäre.“

„Wer weiß, vielleicht macht sie drüben ihr Glück.“

„Du meinst, sie könnte einen Amerikaner heiraten?“

„Warum nicht – wenn er die nötigen Dollars hat und ein anständiger Mensch ist.“

Frau Kanitz lächelte.

„Nun, mir sollte es recht sein, da wäre ich meine Sorge um Regina mit einemmal los. Jedenfalls wäre es mir schon lieb, sie heiratete einen bürgerlichen, gut fundierten Amerikaner.“

Letzingen lächelte. „Man merkt, dass – du die Gattin eines demokratisch gesinnten Mannes bist.“

„Und die Schwägerin eines ebenso demokratisch gesinnten Handelsherrn. Ihr habt beide auf mich abgefärbt. Jedenfalls wünsche ich mir sehnlichst, dass meine Tochter ihr Herz nicht an einen Mann verliert, dessen Verhältnisse ihm nicht gestatten, sie zu heiraten. An einem solchen Unglück in der Familie ist es genug.“

Die Stirn des Schwagers zog sich jäh zusammen. „Du denkst an Elisabeth?“

Sie griff über den Tisch nach seiner Hand.

„Verzeih, Alfred, dass ich unbedacht daran rührte! Deine Frau, meine arme Schwester, war allerdings ein Schulbeispiel. Sie hatte freilich nach ihrer ersten traurigen Herzenserfahrung das Glück, einen Mann wie dich zu finden.“

Er zog die Lippen herb zusammen.

„Das Glück! Nun, du weißt ja, dass unsere Ehe nie glücklich gewesen ist, obwohl wir uns beide Mühe gaben. Aber lassen wir das! Um nochmals auf Lottemarie zu kommen – sie mag euch also begleiten. Ihr Interesse für Amerika ist sehr stark. Sie hatte damit gerechnet, dass ich Rudolfs Posten annehmen würde, und hat sich auf amerikanische Verhältnisse vorbereitet. Deshalb hat sie auch in letzter Zeit ihren Verkehr hauptsächlich unter den Amerikanern gesucht, die hier anwesend sind.“

„Wie Regina auch. Nun ist es anders gekommen, du hast Rudolf den Posten überlassen. Ich habe mich gewundert, da es dir doch sehr am Herzen lag, gute Verbindungen mit drüben abzuschließen.“

„Allerdings, aber …“ Er sah eine Weile starr vor sich hin, dann fuhr er hastig fort: „Nein, nein, nach reiflichem Ermessen habe ich zu Rudolfs Gunsten verzichtet – ich habe meine Gründe.“

Sie nickte verständnisvoll. „Dein Gut – dein Amt, das kann ich schon verstehen.“

Es zuckte in seinem Gesicht. Nein, wegen des Gutes hätte er nicht darauf verzichtet, nach Amerika zu gehen. Das war in der Hut seines Administrators gut aufgehoben. Er hatte einen anderen Grund. Dieser Grund lag in der Vergangenheit, und aus diesem Grund hatte er darauf verzichten müssen, in Amerika eine offizielle Stellung einzunehmen.

Davon ahnte kein Mensch etwas. Er allein wusste, weshalb er vermeiden wollte, drüben die Blicke der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen. Er fürchtete sich … vor zwei Augen.

Aufatmend richtete er sich empor. „Ganz recht – wegen diesem und jenem“, gab er hastig zu.

Frau Kanitz erhob sich.

„Wir wollen wieder zu den anderen gehen“, sagte sie. Gefolgt von Letzingen schritt sie hinüber in den Musiksaal, wo sich die meisten der Gäste zusammengefunden hatten.

Fred Gartner stand an der Tür gelehnt, als der alte Herr zu ihm trat. Liebenswürdig fragte er: „Ich hoffe, dass Sie sich gut in meinem Haus unterhalten, Mr. Gartner?“

Fred nickte versonnen. „O ja, es gefällt mir sehr bei Ihnen.“ Er lächelte. „Das ist ja eigentlich auch kein Wunder bei so vielen Landsleuten, die man hier treffen kann. Wie ich hörte, haben Sie vor Jahren selbst längere Zeit in Amerika gelebt?“

Letzingen strich sich über die Stirn. „Das ist sehr lange her. Damals hatte ich noch keine Pflichten als Herr eines großen Gutes und einer wichtigen Handelsmission.“

„Darf ich fragen, wie es Ihnen damals in Amerika gefallen hat?“

Letzingen sah eine Weile starr vor sich hin. Das Gespräch peinigte ihn, und doch führte er es weiter.

„Gefallen? Ich kann nicht sagen, dass es mir gefallen hat. Damals war der Gegensatz zwischen hüben und drüben zu groß für mich. Heute würde ich wahrscheinlich mit unparteiischem Blick das Leben und Treiben drüben verfolgen. Heute könnte ich mich eben über die Situation stellen, kraft meiner Verhältnisse. Damals stand die Situation über mir. Aber nun darf ich Sie wohl auch fragen, wie Ihnen Deutschland gefällt?“

„So, wie es mir meine Mutter vorausgesagt hatte. Als ich das erste Mal nach Deutschland reiste, sagte sie zu mir: ‚Du wirst zuerst über die engen Verhältnisse erschrecken, weil du sie nicht verstehen kannst. Aber wenn du sie wirst verstehen lernen, wird ein wohliges Behagen über dich kommen. Du wirst dich mit einem Lächeln später daran erinnern und dich vielleicht manchmal danach zurücksehnen – wie ich es auch tue.‘“

Forschend, sah Letzingen in Freds Augen. „Ihre Frau Mutter scheint eine kluge Frau zu sein.“

Freds Augen leuchteten.

„O ja, die klügste, die ich kenne – und die liebevollste Mutter, der beste, warmherzigste Mensch.“

Eine Weile sah Letzingen wieder starr vor sich hin.

„Der beste, warmherzigste Mensch? Das ist viel, sehr viel gesagt.“

„Und doch nicht zu viel.“

„Sie lieben Ihre Mutter sehr?“

„Über alles. Zwischen meiner Mutter und mir herrscht ein ideales Verhältnis. Sie hat ein schweres Schicksal siegreich bezwungen und ist mir die opferfreudigste Mutter gewesen. Wir sind einander bisher alles gewesen.“

Letzingen atmete tief und schwer. „Und Ihr Vater?“, rang es sich über seine Lippen.

Fred Gartner antwortete harmlos: „Mein Vater starb schon vor meiner Geburt, ich habe ihn nie gekannt und nie vermisst.“

Einen Moment schloss Letzingen die Augen. „Und nie vermisst“, wiederholte er leise.

„Nein, meine Mutter hat mir auch den Vater ersetzt“, sagte Fred, ahnungslos, dass Letzingen von diesem Gespräch tief berührt wurde.

Er merkte auch nicht, dass der Ältere etwas fragen wollte, aber dann jäh die Lippen zusammenpresste. Letzingen hätte viel darum gegeben, wenn er auf diese unausgesprochene Frage hätte eine Antwort erhalten können.

Und diese Frage hätte gelautet: Wie hieß Ihre Mutter mit ihrem Vornamen und mit ihrem Mädchennamen? Weil er wusste, dass diese Frage hätte auffallen müssen, wagte er sie nicht auszusprechen. Hastig brachte er ein anderes Thema auf.

Und als eine Stunde später die Gäste die Wohnung verlassen hatten, saß Letzingen in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch und hatte den Kopf in die Hände gestützt. Seine Augen sahen starr ins Leere. So saß er lange, in quälende Gedanken versunken. Als er sich endlich erhob, um zu Bett zu gehen, sagte er vor sich hin: „Nein, nein – es kann nicht sein, das hätte sie mir nicht verschweigen dürfen, das nicht. Diese Ähnlichkeit ist nichts als ein Zufall – ein Spiel der Natur. Es kann nicht sein.“

Und er machte eine Bewegung, als schiebe er etwas weit von sich.

***

Als Fred Gartner mit Mr. Howard das Haus Letzingens verlassen hatte, schritten die beiden Herren auf der Straße dahin, bis sie ein Auto anrufen konnten, das sie nach dem gemeinsam bewohnten Hotel brachte. Sie begaben sich dort in die Weinstube und saßen noch ein Stündchen zusammen.

Fred vermochte nicht länger die brennende Frage zurückzuhalten, die ihn seit dem Augenblick quälte, da er zuerst in Lottemaries Augen gesehen hatte.

„Harry“, sagte er mit unsicherer Stimme, „ich muss dich daran erinnern, dass du mir gesagt hast, dein Herz sei im Haus Letzingen engagiert. Du sprachst von Letzingens Tochter und Nichte. Darf ich dich heute fragen, welche der beiden jungen Damen deinem Herzen teuer ist?“

Howard sah betroffen in Freds Gesicht.

„Du fragst mich das sonderbar ernst, Fred. Ist dir die Beantwortung deiner Frage aus irgendeinem Grund wichtig?“

„Ja.“

„Darf ich den Grund wissen?“

„Wenn du meine Frage beantwortet hast.“

Mit einem unruhigen Blick sah Howard dem Freund ins Gesicht.

„Fred, es gibt für mich nur eine Erklärung, dass du diese Frage stellst. Du interessierst dich selbst für eine der jungen Damen. Ist es so?“

Fred fuhr sich über die Stirn. „Nimm an, was du willst – nur antworte mir!“

Howard atmete tief und schwer.

„Jetzt ist mir bange, Fred! Wenn ich nun deine Frage nicht so beantworte, wie du hoffst und wünschst – was soll dann werden?“

Fred richtete sich straff empor. „Ich gebe dir mein Wort, Harry, dass ich dann morgen Berlin verlassen und deinen Weg nicht eher wieder kreuzen werde, bis dein Geschick entschieden ist.“

Howard trank hastig einen Schluck Wein und stellte das Glas hart auf den Tisch.

„Verwünschte Situation! Kannst du mir nicht lieber sagen, welchen Namen du zu hören fürchtest?“

„Nein, Harry, ich fragte zuerst. Und wenn du die liebst, die auch mir gefährlich werden könnte, dann – dann ist es ja noch nicht zu spät. So tief kann es bei mir noch nicht sitzen, dass ich nicht darüber hinwegkommen könnte. Nur müsste ich eiligst die Flucht ergreifen.“

„Also, so tief sitzt es doch schon, dass du fliehen müsstest. Lieber Fred, mir ist gar nicht wohl bei dem Gedanken, dass unsere Herzen sich bei der einen begegnen. Aber wir sind ja Männer und keine Memmen. Fort mit diesem selbstquälerischen Hin und Her! Das Schicksal verhüte, dass ich dir ein Leid zufüge. Ich liebe – Regina Kanitz.“

Fred atmete auf und drückte Howard mit leuchtenden Augen die Hand.

„Ich danke dir für deine Offenheit – und brauche die Flucht nicht zu ergreifen.“

Howard lächelte erleichtert. „Also Lottemarie Letzingen hat es dir angetan – so schnell?“

„Auf den ersten Blick. Sie ist wundervoll“, erwiderte Fred erregt.

Sie sahen sich mit heißen Augen an und lachten dann froh und erlöst.

Und dann plauderten sie noch lange von dem, was ihre Herzen bewegte. Howard musste Fred erzählen, was er über Lottemarie wusste. Da er schon oft mit ihr zusammengekommen war, wusste er allerlei kleine Züge von ihr zu berichten. Lottemarie war fast unzertrennlich von Regina, und was die eine betraf, galt auch für die andere. Und da Howard, wenn er von Lottemarie sprach, zugleich von Regina sprechen konnte, war er sehr mitteilsam.

***

Am nächsten Abend trafen die beiden Freunde wieder mit den beiden Kusinen zusammen. Und Lottemarie errötete unter Fred Gartners aufleuchtendem Blick, als er sie begrüßte.

„Ich bin sehr glücklich, Sie wiederzusehen, Fräulein Letzingen“, sagte er, gar nicht den Versuch machend, seine Gefühle zu verheimlichen.

Lottemarie suchte ihre Verlegenheit unter einem Scherz zu verbergen.

„So sicher Sie auch die deutsche Sprache beherrschen, Mr. Gartner, jetzt haben Sie sich doch wohl falsch ausgedrückt.“

Er ließ die Blicke nicht von ihr: „O nein, ich habe genau gesagt, was ich empfinde. Ich habe die Zeit nicht erwarten können, bis ich Sie wiedersah.“

Lottemarie vermochte nicht, seine kühnen Worte zurückzuweisen. In seinen Augen lag ein so starkes, ehrliches Empfinden, dass ihr das Herz warm wurde.

„Und heute Abend müssen Sie mit mir tanzen, mein gnädiges Fräulein – Sie müssen es tun.“

Ein Lächeln huschte um ihren Mund.

„Ich muss?“, fragte sie schelmisch.

Er atmete auf und lächelte. „Verzeihung, jetzt habe ich mich falsch ausgedrückt. Eine Frau soll nie müssen. Aber ich bitte sehr darum, dass Sie mit mir tanzen. Es würde mich sehr, sehr traurig machen, wenn Sie es nicht tun wollten.“

Es lag eine heiße, innige Bitte in seinen Worten. Ihre Blicke wollten sich von den seinen lösen, aber es gelang ihr nicht. Wie gebannt musste sie ihn ansehen. So standen sie sich eine Weile gegenüber, Auge in Auge, und Lottemaries Herz klopfte bis zum Hals hinauf. Endlich riss sie ihren Blick los und sagte, wie einer inneren Macht gehorchend: „Nein, traurig will ich Sie nicht machen; ich werde mit Ihnen tanzen.“

Er fasste ihre Hand und drückte sie fest und warm zwischen der seinen.

Schnell wandte sich Lottemarie ab und plauderte mit einigen jungen Damen, die eben eingetreten waren. Fred ließ sie nicht aus den Augen.

Und dann tanzte er mit ihr, hielt sie in seinen Armen, und sein heißes Fühlen strömte wie ein zwingender Wille auf sie über.

Sie sprachen während des Tanzes kein Wort, aber ihre Herzen schlugen gegeneinander, und die Welt versank um sie her. Erst als der Tanz zu Ende war, sahen sie einander wie verträumt in die Augen. Und dann legte er ihre kleine Hand fest auf seinen Arm und führte sie auf ihren Platz.

Er entfernte sich nicht weit von ihr, und wenn ein anderer sie zum Tanz holte, hatte er ein Gefühl, als müsse er es verhindern.

Auch Mr. Howard widmete sich an diesem Abend der Dame seines Herzens mehr als je zuvor. Die Aussprache mit Fred hatte sozusagen den letzten Zweifel in ihm besiegt. Er war sich nun ganz klar darüber geworden, dass Regina Kanitz seine Frau werden müsse.

Harry Howard war besonnener und bedächtiger als Fred, und er war erst lange und gründlich mit sich zu Rate gegangen, ob Regina als Frau zu ihm passte. Prüfend und abwägend hatte er ihr gegenübergestanden und sich immer wieder gegen ihren Liebreiz zur Wehr gesetzt. Denn er war nicht nur der Sohn einer warmblütigen deutschen Mutter, sondern auch der eines kühl abwägenden englischen Vaters, der ihn gelehrt hatte, sein Herz fest im Zaum zu halten.

Nun meinte er aber lange genug besonnen und zurückhaltend gewesen zu sein, und wenn er sich auch nicht so impulsiv gab wie Fred, war er heute Abend besonders lebhaft und zeigte Regina deutlicher als sonst, dass sie ihm teuer war.

Regina merkte seine Veränderung und sah mit ihren lustigen Augen zu ihm auf.

„Sie sind heute so gut gelaunt, Mr. Howard, fast übermütig. So habe ich Sie noch nicht gesehen.“

Er sah ihr tief in die lachenden Augen hinein.

„Ich habe auch einen besonderen Grund zum Vergnügtsein, mein gnädiges Fräulein. Ich bekam heute den positiven Bescheid, dass ich Ende April von meinem Posten hier abgelöst werde.“

Reginas Augen verrieten deutlich die Freude über diese Nachricht.

„Oh, und nun freuen Sie sich, dass Sie in Ihre Heimat zurückkehren dürfen.“

„Ich freue mich vor allem, dass ich in Ihrer Gesellschaft zurückreisen werde. Es steht fest, dass ich denselben Dampfer benutzen werde wie Sie und Ihre Angehörigen. Hoffentlich freut es Sie auch ein wenig.“

Sie sah mit schelmischer Anmut zu ihm auf.

„Hm! Ein ganz klein wenig freue ich mich schon – weil Sie ein guter Gesellschafter sind.“

„Es hätte Ihnen hoffentlich Leid getan, wenn ich hätte zurückbleiben müssen?“, fragte er.

Seine bisher so wohlbewahrte Selbstbeherrschung drohte ihn zu verlassen, als ihn ein aufleuchtender Blick aus ihren Augen traf. „Natürlich hätte es mir Leid getan. Gerade auf die gemeinsame Seereise freue ich mich am meisten.“

Die Erregung ging mit ihm durch. „Ich hätte keinem anderen gegönnt, Sie in meiner Heimat einzuführen, Miss Regina. Oh, verzeihen Sie – gnädiges Fräulein.“

Sie errötete jäh, sagte aber scheinbar unbefangen: „Sie brauchen nicht um Verzeihung zu bitten. Es klingt sehr hübsch – Miss Regina. Bei Ihnen drüben wäre es die selbstverständliche Anrede.“

„Allerdings.“

„Nun, also. Wenn wir erst drüben sind, gestatte ich es Ihnen, mich immer so anzureden.“

„Immer?“, fragte er, als habe er an diesem „Immer“ etwas auszusetzen.

Sie schien ihn zu verstehen, dass er auf die Dauer mit dieser Anrede nicht zufrieden sein würde. Aber schnell gefasst, sagte sie scheinbar unbefangen: „Natürlich erst drüben. Hier wollen wir es lieber bei dem üblichen gnädigen Fräulein lassen.“

Seine Augen blitzten sie an. „Es macht mich sehr froh, dass Sie es mir drüben gestatten wollen.“

Ihre Augen irrten zur Seite.

„Man muss sich befleißigen, die Menschen froh zu machen, wenn man die Macht dazu hat“, scherzte sie. Aber ihre Stimme zitterte dabei ein wenig.

„Es steht ganz sicher in Ihrer Macht, mich froh zu machen.“

„Ihre Eltern werden glücklich sein, dass Sie wieder heimkommen“, sagte sie ablenkend.

„Das ist sicher. Vor allem meine Mutter wird sehr froh sein – sie sehnt sich am meisten nach mir.“

„Sind Sie das einzige Kind Ihrer Eltern, Mr. Howard?“

„Nein, ich besitze noch eine Schwester, die ein Jahr jünger ist als ich. Aber sie ist schon seit zehn Jahren verheiratet und lebt in San Franzisko. Meine Eltern sehen sie meist nur einmal im Jahr, dann allerdings für längere Zeit.“

„Oh, dann kann ich mir denken, dass Ihre Frau Mutter froh sein wird, wenigstens eines ihrer Kinder wiederzuhaben.“

Es begann jetzt ein Tanz, und Mr. Howard führte Regina unter den Klängen eines Walzers davon.

Auch Fred und Lottemarie tanzten wieder zusammen. Die beiden Paare hielten eine Weile nebeneinander und sahen sich in die strahlenden Augen.

Als nach dem Tanz die beiden Kusinen in einem Nebenzimmer zusammentrafen, umarmten sie sich.

„Es ist ein reizender Abend, Lottemarie. Du, Mr. Howard fährt mit unserem Dampfer.“

Schelmisch sah Lottemarie die Kusine an. „Dann verstehe ich deine strahlenden Augen.“

Regina hielt ihr den Mund zu. „Still! Du sagst kein Wort mehr.“

„Ich schweige. Ach, Regina, ich freue mich sehr, dass ich euch begleiten darf. Der Abschied von Papa wird freilich schwer, aber ich habe ihn oft monatelang entbehren müssen, wenn ihn seine Geschäfte fortführten. Auch in diesem Sommer würde es kaum anders sein. Und wenn ich dann dich nicht hätte und Tante Beate – das wäre trostlos für mich.“

„Das hat dein Vater auch eingesehen, Lottemarie, deshalb lässt er dich mit uns gehen. Ich freue mich – ich freue mich!“

Und Regina drehte Lottemarie im Wirbel rundum.

„Du Unband! Hast du heute noch nicht genug Bewegung?“, schalt Lottemarie lachend.

„Nein, ich möchte fliegen“, jauchzte sie.

„Wohin willst du fliegen?“

„In den Himmel hinein.“

***

Wochen waren vergangen. Fred Gartner war in dieser Zeit oft mit Lottemarie Letzingen zusammengetroffen, und je öfter er sie sah, desto lieber wurde sie ihm: Zu seiner aufrichtigen Freude merkte er bald, dass sie ihm nicht gleichgültig gegenüberstand.

Zusammen mit Howard und Regina plauderten sie, spielten Tennis, besuchten Rennen und trafen auch sonst in Gesellschaft zusammen. Frau Kanitz fungierte dabei als Ehrendame. Ihr Gatte und Letzingen waren zuweilen ebenfalls dabei und beteiligten sich an der Unterhaltung, ohne die jungen Herrschaften viel zu stören.

Letzingen hatte versucht, so viel wie möglich über Fred Gartners Familienverhältnisse zu erfahren, aber das, was ihm hauptsächlich am Herzen lag, hatte er nicht ergründen können.

Sein Interesse an Fred Gartner wurde immer stärker. Es kam so weit, dass er jede Gelegenheit wahrnahm, um mit ihm zusammenzutreffen. Und so begünstigte er den Verkehr der jungen Leute, weil auch er dabei Gelegenheit fand, Fred zu sehen.

Sooft es ging, suchte er Fred Gartner in ein längeres Gespräch zu verwickeln, und dabei hatte er immer den Wunsch, Näheres über seine Mutter in Erfahrung zu bringen. Da Fred aber keine Ahnung hatte, wie brennend sich der alte Herr für seine Mutter interessierte, kam er ihm in keiner Weise zu Hilfe.

So hatte Letzingen noch immer nicht erforschen können, welchen Mädchennamen Freds Mutter führte. Großes Interesse hatte er auch an Freds Alter. Er ließ sich unter irgendeinem harmlosen Vorwand von Fred das genaue Datum seiner Geburt geben. Und als er es wusste, wurde er erneut grüblerisch und unruhig.

Da er, ohne aufzufallen, den Mädchennamen von Freds Mutter nicht erfahren konnte, griff er endlich zu einem anderen Mittel, um sich Gewissheit zu verschaffen. An einem regnerischen Apriltag schrieb er an ein Auskunftsbüro in New York, das ihm durch seine Tätigkeit bekannt war.

Ich bitte Sie, in diskreter Weise alle Personalien von Mrs. Gartner, Inhaberin der Harald-Keksfabriken in New York, in Erfahrung zu bringen und mir ausführlichen Bericht darüber zu senden. Vor allen Dingen liegt mir daran zu wissen, welchen Mädchennamen Mrs. Gartner führte, wie alt sie ist und wo sie sich aufhielt, ehe sie nach New York kam.

Als dieser Brief abgegangen war, wurde Letzingen etwas ruhiger.

Schnell vergingen die letzten Tage vor der Übersiedlung der Familie Kanitz. Die Damen hatten sehr viel mit Reisevorbereitungen zu tun und die Herren Geschäfte zu erledigen.

Am Vorabend der Abreise hatte Letzingen seine Verwandten sowie Mr. Gartner und Mr. Howard zu einem gemeinsamen Abendessen eingeladen. Ehe die Geladenen kamen, saß Letzingen mit seiner Tochter in dem kleinen Salon, wo sein Jugendporträt hing.

Lottemarie sah unverwandt zu dem Porträt empor. Ihr war dabei zumute, als sähe sie Fred Gartner vor sich.

„Ich werde in Zukunft oft allein speisen müssen, Lottemarie“, sagte Letzingen mit leiser Wehmut.

Lottemarie erhob sich und umarmte ihn. „Es wird dir doch nicht zu einsam werden, lieber Papa?“

Er streichelte über ihr goldig flimmerndes Haar und sah lächelnd in ihre schönen Augen. „Sieh nicht so ängstlich aus, Lottemarie! Du weißt, ich habe selten genug mit Mama und dir zusammen speisen können. Du kannst unbesorgt sein, Langeweile werde ich auch in deiner Abwesenheit nicht haben, denn meine Geschäfte halten mich in Atem.“

Sie strich sanft über seine Stirn. „Du mutest dir entschieden zu viel zu, Papa. Letzingen macht dir schon Arbeit genug, und du könntest eigentlich deine Ämter niederlegen und dir etwas mehr Ruhe gönnen.“

„Darüber werden wir reden, wenn ich noch einige Jahre älter bin. Vorläufig fühle ich mich kräftig genug und denke nicht ans Ausspannen.“

„Dir bliebe aber doch auf Gut Letzingen noch ein großer Wirkungskreis.“

Er lächelte seltsam. „Auf Letzingen? Kind, wenn ich einen Sohn hätte, dem ich das Gut übergeben könnte, dann hätte ich ein Interesse daran, meine Kräfte voll einzusetzen. Aber ich habe keinen Sohn – nach meinem Tod fällt Letzingen an Menschen, die mir gleichgültig sind.“

Sie streichelte seine Hand und sah ihn forschend an. „Du warst wohl sehr betrübt, Papa, als ich geboren wurde?“

Erstaunt sah er sie an.

„Als du geboren wurdest? Warum soll ich da betrübt gewesen sein?“

Sie lächelte. „Weil ich kein Junge war.“

Er sah vor sich hin und schüttelte dann hastig den Kopf.

„Nein, nein, Lottemarie, es war für mich kein Grund zum Betrübtsein, dass du kein Junge warst“, sagte er mit einem seltsamen Lächeln.

Sie atmete hastig. „Wirklich nicht?“

„Nein, nein, ganz sicher nicht.“

Sie setzte sich auf die Lehne seines Sessels und legte ihre Wange an die seine. „Sieh, so töricht bin ich immer gewesen, anzunehmen, du würdest mich viel lieber haben können, wenn ich ein Sohn wäre.“

Er streichelte ihre Wange.

„Aber Lottemarie, hast du jemals empfunden, dass ich dich nicht lieb habe?“

Unsicher sah sie ihn an.

„Darf ich ganz offen sein, Papa?“

„Du sollst es, Lottemarie.“