Hedwig Courths-Mahler Collection 12 - Sammelband - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Hedwig Courths-Mahler Collection 12 - Sammelband E-Book

Hedwig Courths-Mahler

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Beschreibung

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Zum Sparpreis drei Geschichten, drei Schicksale, drei Happy Ends - und pure Lesefreude!


Hedwig Courths-Mahlers "Märchen für Erwachsene", wie sie ihre Romane selbst nannte, sind ebenso zeitlose Klassiker wie die Themen, die sie behandeln: die Liebe, ihre Gefährdung und deren Überwindung, die Verwirrung der Gefühle und der Weg zum Glück. Seit über 100 Jahren verzaubert sie ihre Leserinnen und Leser mit ihren wundervollen Geschichten immer wieder neu, und mit einer Gesamtauflage von über 80 Millionen Exemplaren gilt Hedwig Courths-Mahler heute als DIE Königin der Liebesromane.


Dieser zwölfte Sammelband enthält die Folgen 34 - 36:

IM BUCHENGRUND

Das Schicksal meint es nicht gerade gut mit der jungen Jutta Falkner: Die Mutter ist krank, der Bruder macht immer wieder Schulden und nun muss sich auch noch die Schwester einer schweren Operation unterziehen. Das Geld, das Jutta mit ihren Zeichnungen verdient, reicht kaum zum Leben. Deshalb ist sie froh, als sie von einer adeligen Dame einen größeren Auftrag erhält.

Im Haus dieser Dame lernt Jutta den jungen Schriftsteller Günter von Hohenegg kennen, zu dem sie sich auf den ersten Blick hingezogen fühlt. Und auch Hohenegg ist von diesem bezaubernden jungen Geschöpf sehr angetan. Er ahnt nicht, dass Jutta eine nahe Verwandte jener Frau ist, die ihn einst aus der Heimat vertrieben hat ...

DER VERLORENE RING

Die junge Käte Harland lebt seit dem Tod ihrer Eltern im Haus des reichen Fabrikanten Heinrich Warneck. Ihr Herz gehört schon lange Warnecks Sohn Günter, der mit seinem Vater ständig in Streit gerät.

Der stattliche junge Mann hingegen sieht in Käte nur das unscheinbare Mündel seines Vaters. Ihn zieht es eher zu der schönen, leichtlebigen Schauspielerin Lori Leixner. Er ist entschlossen, sie zu heiraten, notfalls auch gegen den Willen seines Vaters, der Günter vor dieser Frau warnt. Doch als Günter die wahren Charakterzüge Loris erkennt, scheint es für jede Reue zu spät, denn sein Vater hat ihn in seinem Gram enterbt ...

ASCHENBRÖDEL UND DOLLARPRINZ

Wieder einmal hat der Dollarmillionär John Stratter mit seinem Sekretär die Rollen getauscht. Unter falschem Namen kommt er also in das Haus Doktor Waldorfs, um eine Dankesschuld abzutragen, die sein Vater ihm ans Herz gelegt hatte. Als Sekretär Bernau bleibt der junge Mann unbeachtet und findet im "Aschenbrödel" der Familie, Ruth Waldorf, eine reizende Gesprächspartnerin.

Währenddessen umschwärmen Ruths Stiefschwestern den falschen John Stratter in der Hoffnung, dass er eine von beiden heiraten wird. Dem echten John ist das nur recht, denn so kann er sich in aller Ruhe mit der bezaubernden Ruth beschäftigen. Die Liebe zu diesem Mädchen hatte ihn mit all ihrer Zaubermacht schon beim ersten Zusammentreffen gepackt. Und auch Ruth liebt ihn, ahnungslos, wer der bescheidene Sekretär Bernau wirklich ist und welche Stürme er im Haus Doktor Waldorfs noch entfesseln wird ...


Über 240 Seiten Romantik und Herzenswärme!

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Seitenzahl: 511

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv: shutterstock/HTeam ISBN 978-3-7325-6932-8

Hedwig Courths-mahler

Hedwig Courths-Mahler Collection 12 - Sammelband

Inhalt

Hedwig Courths-MahlerHedwig Courths-Mahler - Folge 034Das Schicksal meint es nicht gerade gut mit der jungen Jutta Falkner: Die Mutter ist krank, der Bruder macht immer wieder Schulden und nun muss sich auch noch die Schwester einer schweren Operation unterziehen. Das Geld, das Jutta mit ihren Zeichnungen verdient, reicht kaum zum Leben. Deshalb ist sie froh, als sie von einer adeligen Dame einen größeren Auftrag erhält. Im Haus dieser Dame lernt Jutta den jungen Schriftsteller Günter von Hohenegg kennen, zu dem sie sich auf den ersten Blick hingezogen fühlt. Und auch Hohenegg ist von diesem bezaubernden jungen Geschöpf sehr angetan. Er ahnt nicht, dass Jutta eine nahe Verwandte jener Frau ist, die ihn einst aus der Heimat vertrieben hat ...Jetzt lesen
Hedwig Courths-Mahler - Folge 035Die junge Käte Harland lebt seit dem Tod ihrer Eltern im Haus des reichen Fabrikanten Heinrich Warneck. Ihr Herz gehört schon lange Warnecks Sohn Günter, der mit seinem Vater ständig in Streit gerät. Der stattliche junge Mann hingegen sieht in Käte nur das unscheinbare Mündel seines Vaters. Ihn zieht es eher zu der schönen, leichtlebigen Schauspielerin Lori Leixner. Er ist entschlossen, sie zu heiraten, notfalls auch gegen den Willen seines Vaters, der Günter vor dieser Frau warnt. Doch als Günter die wahren Charakterzüge Loris erkennt, scheint es für jede Reue zu spät, denn sein Vater hat ihn in seinem Gram enterbt ...Jetzt lesen
Hedwig Courths-Mahler - Folge 036Wieder einmal hat der Dollarmillionär John Stratter mit seinem Sekretär die Rollen getauscht. Unter falschem Namen kommt er also in das Haus Doktor Waldorfs, um eine Dankesschuld abzutragen, die sein Vater ihm ans Herz gelegt hatte. Als Sekretär Bernau bleibt der junge Mann unbeachtet und findet im "Aschenbrödel" der Familie, Ruth Waldorf, eine reizende Gesprächspartnerin. Währenddessen umschwärmen Ruths Stiefschwestern den falschen John Stratter in der Hoffnung, dass er eine von beiden heiraten wird. Dem echten John ist das nur recht, denn so kann er sich in aller Ruhe mit der bezaubernden Ruth beschäftigen. Die Liebe zu diesem Mädchen hatte ihn mit all ihrer Zaubermacht schon beim ersten Zusammentreffen gepackt. Und auch Ruth liebt ihn, ahnungslos, wer der bescheidene Sekretär Bernau wirklich ist und welche Stürme er im Haus Doktor Waldorfs noch entfesseln wird ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Im Buchengrund

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Bastei Verlag/Anne von Sarosdy

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-8387-5437-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Im Buchengrund

Roman um zwei junge Menschen im Schicksalssturm

Mein lieber Fredy!

Diesmal kann ich dir nicht helfen, es ist unmöglich, das Geld zu beschaffen. Und Mutter kann auch nicht helfen. Ich wage es gar nicht, ihr deinen Brief zu zeigen. Sie hat vor einigen Tagen wieder einen furchtbaren Anfall gehabt und muss das Bett hüten. Eine große Aufregung war schuld. Denke dir, unsere Schwester Lena ist krank; sie muss auf ärztliche Verordnung sofort nach Deutschland reisen. Es ist ganz plötzlich gekommen. Drei Jahre lebt sie nun mit ihrem Mann in Südostafrika. Wenn das Blockhaus, das sie bewohnen, nicht in ziemlicher Höhe am Kilimandscharo stünde, dann wäre sie wohl schon längst erholungsbedürftig gewesen. Nur ganz gesunde Menschen können das Klima vertragen. Lena war ja so gesund, so kräftig, dass wir sie beruhigt ziehen lassen konnten. Aber seit der Geburt ihres jetzt dreijährigen Töchterchens ist sie nicht mehr so widerstandsfähig.

Du kannst dir Mutters Sorge denken, obwohl ich es ihr so schonend wie möglich beibrachte. Jetzt ist sie wieder ruhiger und freut sich auf Lena, die auch ihr kleines Mädchen mitbringt. Aber es waren aufregende Tage – auch für mich. Georg sandte eine Depesche, darin teilte er uns mit, dass Lena sofort reisen muss, er aber das Reisegeld momentan nicht flüssig machen kann. Nun bat er uns, zu senden, was wir irgend entbehren können. Im August bekommt er Urlaub und wird uns dann das verauslagte Geld zurückerstatten.

Siehst du, lieber Fredy, da mussten wir alles zusammenraffen, bis auf den letzten Groschen. Auch unser Sparpfennig für besondere Fälle ist dahin. Wir ließen das Geld telegrafisch an die Handelsbank in Tanga anweisen. Nun wird sich unsere Lena mit ihrem Kind dieser Tage von Usambara auf den Weg machen.

Das alles lastet schwer auf mir, dazu muss ich noch angestrengt arbeiten, damit wir Geld ins Haus bekommen. Zum Glück habe ich Aufträge. Jetzt vor Weihnachten fertigen die Damen viele Handarbeiten an; dazu sind meist Zeichnungen nötig. Die Firma, für die ich arbeite, zahlt sehr gut. Der Geschäftsinhaber lässt mir auch manchen lohnenden Extraauftrag zukommen. Das ist ein Glück, ich wüsste sonst nicht, wovon wir leben sollten. Mutter muss kräftige Kost haben. Sie ist so hinfällig; meine Angst um sie ist grenzenlos.

Das alles schreibe ich dir nur, lieber Fredy, um dir klar zu machen, dass wir dir nicht helfen können – diesmal nicht. Ach, Fredy, warum machst du uns immer solche Sorgen! Wir haben wahrscheinlich ohnedies genug. Wenn du wüsstest, wie schwer mir das Herz ist! Unser lieber alter Doktor hat mir gestern gesagt, Mutter dürfe keinen so schlimmen Anfall mehr bekommen, sonst stehe er für nichts. Wenn sie wüsste, dass du wieder leichtsinnig warst! Sei doch, um Gottes willen, endlich vernünftig! Du musst mit der Zulage auskommen, die Tante Laura dir gibt. Ich kann dir jetzt nichts mehr von meinem Verdienst schicken. Solange Lena mit dem Kind bei uns ist, kostet der Haushalt mehr. Und vor August ist von Georg keine Hilfe zu erwarten. Vielleicht versuchst du einmal, ob Tante Laura dir diese dreitausend Mark gibt. Es ist mir zwar ein fürchterlicher Gedanke und ich glaube auch kaum, dass sie dir hilft, denn sie hat kategorisch erklärt, mehr als die Zulage gäbe es nicht; aber versuchen kannst du es ja.

Bitte, schreibe mir gleich, wie du dir aus diesem Dilemma hilfst, denn ich sorge mich sehr.

Mit herzlichem Gruß und Kuss

deine Schwester Jutta

Mit müder Bewegung legte Jutta Falkner die Feder aus der Hand und kuvertierte den Brief. Eine Weile starrte sie mit brennenden Augen darauf nieder. Dann erhob sie sich hastig und steckte ihn seufzend in ihre Handtasche.

Sie trat an ihren am Fenster stehenden Arbeitstisch, wo sie ihre Zeichnungen anzufertigen pflegte. Neben dem Tisch stand eine Staffelei mit einem halb vollendeten Bild einer Landschaft in Öl.

Es war Juttas Arbeitszimmer, in dem sie sich befand. Nach dem Tod ihres Vaters hatten die Witwe und Tochter des Geheimrats Falkner die Wohnung bezogen. Sie bestand außer aus Juttas Arbeitszimmer aus dem gemeinsamen Schlafzimmer für Mutter und Tochter, einem kleinen Wohn- und einem noch kleineren Empfangszimmer. Daran schloss sich die Küche mit der Mädchenkammer. Es war die typische kleinbürgerliche Wohnung, in der jeder Zentimeter Raum ängstlich berechnet war.

Jutta versuchte noch zu arbeiten, aber die Dämmerung brach rasch herein. Nun ging das junge Mädchen leise durch das Wohnzimmer nach dem Schlafzimmer, um nach der Mutter zu sehen.

Die alte Dame lag, von Kissen gestützt, im Bett. Sie hatte ein schmales, feines Gesicht. Es sah plötzlich sorglos, fast heiter aus. Die wunderschönen grauen Augen leuchteten voll warmer Liebe zur Mutter hinüber. Als sie sah, dass die Mutter aufwachte, trat sie schnell an das Bett heran.

„Hast du ein Nickerchen gemacht, Mutter?“

Frau Geheimrat Falkner schüttelte lächelnd den Kopf und hob das schmale Gesicht mit dem stillen Leidenszug zur Tochter empor. „Nein, Jutta, ich konnte nicht schlafen. Ich musste an Lena denken – und an mein Enkelchen Wally. Ich habe versucht, sie mir vorzustellen. Die Fotografien, die Georg uns gesandt hat, sind für meine Augen nicht deutlich genug. Wenn du nachher Licht angezündet hast, gibst du mir die Bildchen und Lenas Brief. Ich will sie alle noch einmal ansehen. Heute darf ich ja das Bett noch nicht verlassen.“

„Nein, Mutter, aber morgen darfst du wieder ins Wohnzimmer in deinen Lehnstuhl“, erwiderte Jutta.

„Ob Lena sich schon eingeschifft hat?“, fragte die Mutter.

„Nein, Mutter, erst am Sonnabend wird die ‚Rhenania‘ in See gehen.“

„Ach Gott, die lange Reise! Sie ist für Lena so anstrengend.“

„Bis zum Schiff hat sie ja genügend Beistand, Mutter, und auf dem Schiff hat sie doch auch Bedienung. Du sollst sehen, auf der Seereise wird sich Lena viel wohler fühlen. Wenn sie hier ankommt, ist sie wieder frisch und gesund.“

„Dazu mag Gott helfen. Unser lieber Doktor hat das auch schon gesagt. Er meint, bei Lenas kräftiger Konstitution habe das nicht viel auf sich.“

„Siehst du wohl.“ Jutta strich sanft über das graue Haar der Mutter. „Jetzt hole ich dir Lenas Briefe und die Bilder. Dann will ich ein halbes Stündchen ins Freie. In der Dämmerstunde kann ich ohnedies nicht viel arbeiten“, sagte sie heiter.

Die alte Dame nickte. „Ja, Kind, geh ein wenig an die frische Luft, sonst wirst du mir blass und müde. Du musst ja so viel arbeiten.“

Jutta streckte wie im übermütigen Kraftgefühl die Arme aus und reckte die schlanke, jugendschöne Gestalt in dem schlichten, dunkelblauen Kleid, das sich knapp um die edlen, fein gerundeten Formen schmiegte. In ihr liebes, freundliches Gesicht trat eine leichte Röte.

„Damit hat es keine Not, Mutter! Von Mattigkeit fühle ich keine Spur, und an roten Wangen soll es nicht fehlen, wenn ich wieder heimkomme. Ich glaube, wir bekommen Frost. Es liegt so etwas in der Luft. Also, ich hole dir jetzt die Bilder und Lenas Brief.“

Sie ging ins Wohnzimmer zurück und holte das Gewünschte. Dann zündete sie die über dem Bett befindliche Gaslampe an und stellte eine Klingel bereit.

„So, Mutter, nun weiß ich dich gut versorgt. Hier ist die Klingel für Minna. Brauchst du noch etwas?“

„Nein, Kind, so ist alles recht. Nun gehe ruhig!“

Jutta küsste die Mutter und ging hinaus.

Frau Geheimrat Falkner betrachtete sich nun erst die Fotografien, die ihre älteste Tochter aus Ostafrika geschickt hatte. Da waren Aufnahmen vom Urwald, im Hintergrund der Bergrücken des Kilimandscharo, dann stille Waldwiesen, von tropischer Vegetation umgeben. Am aufmerksamsten betrachtete die alte Dame die Aufnahmen des Heims ihrer Tochter. Da war ein roh gezimmertes Blockhaus mit einer großen überdachten Veranda davor. Auf dem einen Bild saßen um den Tisch einige Herren in Tropenuniform, wie sie dort die Forstbeamten tragen. Der eine war Georg von Haller, ihr Schwiegersohn. Neben ihm saß mit lachendem Gesicht Lena.

Auf einem anderen Bild sah man einen Neger, der die kleine Wally hoch empor hob. Es war ihr Wärter.

Während die Mutter sich andächtig die Bilder anschaute, ging Jutta mit schnellen Schritten zum nahen Postamt, um den Brief an den Bruder aufzugeben. Als er mit seltsam dumpfem Geräusch in den Postkasten fiel, überkam sie ein unbestimmtes, banges Gefühl.

Aber dann schüttelte sie energisch dieses Bangen ab.

„Ich kann ihm nicht helfen, ich kann nicht. Und die Mutter kann es erst recht nicht, es hat keinen Zweck, sie damit zu beunruhigen. Fredy muss sich selbst helfen.“

Ach, was für Opfer hatte sie diesem Bruder schon gebracht, welche Sorgen hatte er ihr schon gemacht! Wie oft hatte sie ihm ihre kleinen Ersparnisse geschickt, wenn er wieder und immer wieder um Geld bat und sie es die Mutter nicht wissen lassen wollte.

Und doch konnte Jutta ihm nicht zürnen. Sie liebte diesen schwachen, leichtsinnigen Bruder unsagbar, der die Freuden des Lebens nicht missen konnte, und sorgte sich wie eine zärtliche Mutter um sein Wohlergehen.

Solange der Vater noch lebte, ging alles gut. Er hielt den Bruder mit Ernst und Strenge im Zaum. Aber als der Vater vor vier Jahren starb, wurde alles anders. Mit seinem Tod erloschen die guten Einkünfte, und nun musste Mutters Pension ausreichen. Nur widerwillig hatte sich Tante Laura, eine Cousine der Mutter bereitfinden lassen, Fredy einen Zuschuss zu gewähren, damit er Offizier bleiben konnte. Lena, Juttas vier Jahre ältere Schwester, war bald nach Vaters Tod mit ihrem Gatten nach Ostafrika gegangen. Georg von Haller hatte seinen Abschied als Offizier nehmen müssen, weil er ebenso arm war wie Lena und er die Heiratskaution nicht stellen konnte.

Lena wusste, wie leidend die Mutter war und dass sie vor allen Aufregungen behütet werden musste. Deshalb berichtete sie nur Gutes nach Hause. Wenn sie aber einmal etwas auf dem Herzen hatte, wenn sie Rat und Hilfe brauchte, dann wandte sie sich an Jutta. Ihren Briefen an die Mutter lag dann ein Schreiben an die Schwester bei, das sie immer gleich an sich nahm, ehe sie der Mutter die Briefe überreichte. So wusste Jutta, dass Lena nicht bloß nach Deutschland kam, um sich zu erholen, sondern dass sie sich einer Operation unterziehen musste, die sie in Deutschland vornehmen lassen wollte. Aber davon erfuhr die Mutter nichts.

Als Jutta von der Post aus nach den nahen Anlagen ging, war ihr das Herz schwer. Nicht nur die Sorge um Fredy bedrückte sie, sie dachte auch daran, wie sie sonst alles schaffen sollte.

Ach, dass sie doch reich wäre, so reich, dass sie allen ihren Lieben helfen könnte!

Sie seufzte auf.

Wohl würde es Fredy nicht sein, wenn er ihren Brief bekam. Jutta sah im Geist sein hübsches Gesicht vor sich. Seine Augen schienen ihr zu sagen: „Ich weiß ja nicht, wo das Geld bleibt, Jutta; ich kann nun mal nicht rechnen.“ So hatte er schon oft zu ihr gesprochen.

Ach, wie sie ihn liebte, den leichtsinnigen Bruder! Wie gern sie ihm der die Sonne liebte, ein sonniges Dasein verschafft hätte!

Schnellen Fußes hatte sie die Anlagen durchkreuzt. Als sie über den freien Mittelplatz schritt, begegnete ihr ein schlanker junger Mann. Er war mit unauffälliger Eleganz gekleidet.

Als Jutta ihn erblickte, vertiefte sich das Rot ihrer Wangen, und sie sah zur Seite, um seinen Augen nicht zu begegnen. Sie war diesem Herrn in letzter Zeit schon einige Male begegnet. Sein interessantes Gesicht hatte sich ihr eingeprägt, und der eigentümliche Blick seiner Augen hatte sie verwirrt, so dass sie diesem Blick jetzt lieber auswich.

Schnell ging sie an ihm vorüber; sie merkte nicht, dass er nach einer Weile stehen blieb und ihr nachsah. Er tat es sehr diskret, nicht wie ein Mensch, der ein flüchtiges Abenteuer sucht, sondern wie einer, den ein ernstes Interesse fesselt.

***

Am nächsten Tag herrschte starker Wind und Schneegestöber. Jutta benutzte heute die Dämmerstunde, um fertige Zeichnungen in dem Geschäft in der Leipziger Straße abzuliefern. Sie war froh, dass ihr der Betrag an der Kasse gleich ausgezahlt wurde und sie auch neue Aufträge erhielt.

Gerade als sie gehen wollte, rief sie der Geschäftsführer noch einmal zurück.

„Einen Augenblick, Fräulein Falkner, ich habe noch einen besonders lohnenden Auftrag für Sie. Am besten ist es, Sie sprechen mit der Dame, sie ist zufällig hier. Bitte, kommen Sie!“

Er führte Jutta in die erste Etage. Dort saß an einer der Verkaufstafeln eine sehr schöne und elegante Dame, die mit einer Verkäuferin über die Stickerei eines Wandbehanges sprach.

Frau von Wengern, so hieß die Dame, wollte in die Mitte dieses Wandbehanges, der schon ziemlich fertig war, ein bestimmtes Wappen gemalt haben. Der Chef sagte ihr, dass Fräulein Falkner diese Wappen in künstlerischer Ausführung malen würde. Frau von Wengern möge der jungen Dame ihre Wünsche äußern.

Die schöne Frau wandte sich liebenswürdig an Jutta und zeigte ihr ein Wappensiegel, das ein springendes Pferd unter einer Burgzinne zeigte.

Sie gab Jutta genau die Farben an.

„Werden Sie das können, Fräulein Falkner? Mir liegt viel an einer vorzüglichen Ausführung“, sagte Frau von Wengern.

„Ich glaube, Ihnen eine solche versprechen zu können, gnädige Frau“, antwortete Jutta höflich.

„Und ich bürge Ihnen dafür, gnädige Frau. Fräulein Falkner ist eine Künstlerin und hat schon schwierigere Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit gelöst“, beeilte sich der Chef zu versichern.

Frau von Wengern sah mit Interesse in Juttas Gesicht. Das feine Wesen der jungen Dame gefiel ihr.

„Nun gut, Fräulein Falkner. Die Arbeit ist ein Geschenk, und ich möchte Ehre damit einlegen. Auf den Preis kommt es nicht an.“

Jutta verneigte sich. Die beiden Damen besprachen noch einiges, dann ging Frau von Wengern.

Jutta packte ihre Arbeit zusammen und verließ ebenfalls das Geschäft. Als sie auf die hell erleuchtete Straße trat, sah sie Frau von Wengern neben ihrem Wagen stehen und mit einem großen, schlanken Herrn sprechen. Gerade als Jutta heraustrat, wandte er sich nach ihr um. Sie erkannte errötend in ihm den Herrn, der ihr schon öfter begegnet war und den sie gestern in den Anlagen gesehen hatte.

Sein Blick leuchtete auf, er erkannte sie. Es lag eine helle Fröhlichkeit in diesem Blick und ein überschüssiges Kraftbewusstsein, zugleich aber ein so zwingender Wille, dass Jutta ihre Augen nicht von ihm losreißen konnte.

Sein Blick folgte ihr noch eine Weile. Er hörte kaum, was die schöne Lolo von Wengern zu ihm sprach. Aber dann half er ihr mit vornehmer Liebenswürdigkeit in den Wagen.

„Also auf Wiedersehen, Herr von Hohenegg!“, rief Frau von Wengern ihm zu.

„Auf Wiedersehen, gnädige Frau. Bitte grüßen Sie Ihren Herrn Gemahl herzlich von mir!“

Sie neigte das Haupt, und ihre schönen, feurigen Augen sahen ihn mit einem koketten Blick an.

Lolo von Wengern hätte brennend gern mit Günter von Hohenegg, dem Freund ihres Gatten, ein wenig geflirtet; aber er kam diesem Wunsch gar nicht entgegen. Mit einer ruhigen Verbeugung schloss er den Wagenschlag und trat zurück.

Jutta war inzwischen weitergegangen. Sie fragte sich, ob der Herr, den sie soeben neben Frau von Wengern gesehen hatte, wohl derjenige sei, für den das Geschenk der schönen Frau bestimmt war.

Für einen Freiherrn von Hohenegg sollte es sein, hatte ihr Frau von Wengern gesagt. Mit einem Freiherrn von Hohenegg war Tante Laura in zweiter Ehe vermählt gewesen. Jutta wusste über diese freiherrliche Familie, in die Tante Laura vor etwa zehn Jahren hineingeheiratet hatte, nicht das geringste.

Tante Laura war in erster Ehe mit dem Maschinenfabrikanten Brinkmeyer verheiratet gewesen, der sie, als er starb, als kinderlose und steinreiche Witwe zurückließ. Jutta hatte Tante Laura in ihrem Leben nur ein einziges Mal gesehen, als sie einen Besuch bei ihren Eltern machte. Jutta war damals noch ein Kind gewesen, und Tante Laura hieß noch Frau Brinkmeyer. Sie war Jutta nicht gerade in angenehmer Erinnerung geblieben; sie hatte etwas Lautes, Aufgeputztes und wenig Freundliches im Gedächtnis behalten. Zwischen Juttas Eltern und Tante Laura bestanden nur oberflächliche Beziehungen. Jutta erinnerte sich, dass ihr geistvoller, feinsinniger Vater gutmütig gespottet hatte, als Laura Brinkmeyer ihre Vermählung mit dem Freiherrn von Hohenegg anzeigte. Auch ihre Mutter hatte gelächelt und gesagt: „Laura als Freifrau – nein, das kann ich mir nicht denken!“

So hatten fast gar keine Beziehungen mehr zwischen den Cousinen bestanden. Als Geheimrat Falkner starb, fand seine Witwe nicht den Mut, Laura zu bitten, dass sie Fredy einen Zuschuss gab. Laura war inzwischen zum zweiten Mal Witwe geworden und hatte, außer dass sie die Todesanzeige ihres Gatten sandte, nichts von sich hören lassen. Da hatte ein alter Freund der Familie, Dr. Görger, der zugleich Hausarzt bei Falkners war, erklärt, er wolle an Frau Laura von Hohenegg schreiben, die er gekannt hatte, als sie noch Fräulein Laura Seidel hieß. Nach einigem Hin- und Herschreiben hatte sich Tante Laura dann auch bereit erklärt, Fredy den nötigen Zuschuss zu gewähren. Fredy hatte bei ihr angefragt, ob er nach Hohenegg kommen und persönlich seinen Dank abstatten dürfe. Darauf hatte die alte Dame jedoch kurz und wenig liebenswürdig erklärt, sie lebe ganz zurückgezogen, empfange keine Besuche und wünsche keinen Dank. Sie ließ auch gleich durchblicken, dass Fredy außer dieser Zulage nie etwas zu erwarten habe. Und dem Doktor hatte sie unverblümt mitgeteilt, die Falknerischen Kinder sollten sich nicht etwa einbilden, dass sie eine so genannte Erbtante sei, sie habe bereits andere testamentarische Bestimmungen getroffen.

Als Jutta nach Hause kam, erzählte sie der Mutter von dem Wandbehang, der für einen Freiherr von Hohenegg bestimmt sei. Aber dass sie vermutete, diesen Herren zu kennen, verschwieg sie.

***

Jutta hatte sich sofort an die Arbeit gemacht; nun war sie fertig. Befriedigt betrachtete sie das Wappen, das sich inmitten des Wandbehanges befand. Es sollte nur noch trocknen, dann wollte sie es abliefern. Frau von Wengern hatte es eilig gemacht, weil sie an dem Behang noch zu sticken habe.

Eilig fertigte Jutta, während das Wappen trocknete, noch einige kleine Zeichnungen an, die sie gleich mit abliefern wollte. Ein Spruchband und eine gotische Borte entstanden unter ihren fleißigen Händen.

Gerade war sie damit fertig, als Minna ihr einen Brief hereinbrachte.

Jutta fasste schnell nach dem Brief, den sie schon sehnlichst erwartet hatte. Er kam von ihrem Bruder, der in der Nähe Berlins in einer kleinen Garnison lebte.

Beunruhigt öffnete sie das Kuvert und las:

Liebe Jutta! Bei Tante Laura hatte ich bereits angefragt, sie hat mich schroff zurückgewiesen. Von ihr ist nichts zu erwarten. Auch sonst war es mir unmöglich, das Geld aufzutreiben. Nun befinde ich mich, da auch du mich im Stich lässt, in einer scheußlichen Klemme. Ich will dir nur gestehen, Jutta, es handelt sich um eine Ehrenschuld. Ich habe mich zum Spiel verleiten lassen, wobei ich hoffte, meinen Finanzen aufzuhelfen. Bis morgen muss ich das Geld haben! Unter allen Umständen muss ich dich heute noch sprechen. Ich komme mit dem Vieruhrzug nach Berlin, aber nicht nach Hause! Mama kann ich in meiner Verfassung nicht unter die Augen treten; sie würde sofort merken, dass ich in Unruhe bin. Bitte komme zwischen fünf und sechs Uhr in die Anlagen nahe eurer Wohnung an das Denkmal, das dort steht! Dort werde ich auf dich warten. Ich muss um sieben Uhr wieder zurückfahren, weil ich keinen Urlaub habe. Bitte, lass mich nicht vergeblich warten! Auf Wiedersehen.

Dein Bruder Fred

Jutta seufzte tief auf.

Das war schlimm. Angstvoll dachte sie nochmals an jede Möglichkeit, wie sie dem Bruder helfen könnte, aber es fiel ihr kein Ausweg ein. Sie hoffte zwar, heute für ihre Arbeiten wieder Geld zu bekommen und auch neue Aufträge, aber diese Einnahmen brauchte sie für den Haushalt und die Miete. Nein, sie konnte Fredy keinen Pfennig geben.

Bekümmert sah sie nach der Uhr. Wenn sie jetzt gleich in das Geschäft ging, konnte sie auf dem Rückweg zur bestimmten Zeit in den Anlagen sein, um Fredy zu treffen.

Sie machte sich schnell zum Ausgehen fertig. Mit heiterem Gesicht trat sie bei der Mutter ein. Sie saß im Lehnstuhl und strickte Strümpfe, die Fred als Weihnachtsgeschenk erhalten sollte.

„Na, Mutter, so fleißig?“, sagte Jutta, liebevoll die Wangen der alten Dame streichelnd.

„Ach, Jutta, diesmal können wir Fredy leider nicht die kleinste Weihnachtsfreude machen. So soll er wenigstens die üblichen warmen Strümpfe haben, die ihm im Dienst bei dem kalten Wetter gut tun. Ich kann ja nichts anderes als stricken und häkeln.“

Zärtlich drückte Jutta der Mutter das Kissen im Rücken zurecht, küsste sie und ging lächelnd davon.

Aber draußen verschwand das Lächeln schnell, ihre Züge verdüsterten sich, und die Augen blickten ernst und sorgenvoll.

Eilig schritt sie dahin. Schnell wurde sie in dem Geschäft abgefertigt. Nur den Wandbehang nahm man ihr nicht ab. Der Inhaber erklärte, Frau von Wengern wünsche Fräulein Falkner selbst zu sprechen, weil sie, ihren künstlerischen Rat für eine andere Handarbeit hören wolle. Jutta solle in Frau von Wengerns Wohnung kommen.

Man fragte telefonisch bei der Dame an, ob sie an diesem Abend zu sprechen sei. Frau von Wengern ließ sagen, sie erwarte Fräulein Falkner um sieben Uhr.

Das passte Jutta sehr gut, sie konnte also erst Fred treffen und dann zu ihr gehen.

„Lassen Sie sich Ihre Zeitversäumnis nur mit bezahlen. Fräulein Falkner, es kommt da auf ein paar Mark nicht an!“, riet ihr die Direktrice, mit der sie meistens zu tun hatte.

Jutta kehrte zunächst nach Hause zurück, um ihrer Mutter zu sagen, dass sie um sieben Uhr zu Frau von Wengern bestellt sei.

„Ich mache inzwischen noch ein paar Einkäufe, Mutter, dann komme ich noch mal heim, ehe ich zu Frau von Wengern gehe.“

„Ja, ja Kind. Aber fahre lieber mit der Elektrischen. So spät sehe ich dich nicht gern unterwegs.“

Jutta nickte lächelnd. „Natürlich, Mutter, ich kann ja bis fast an die Wohnung von Frau von Wengern fahren. Also sei ganz unbesorgt!“

Es war ein Viertel nach fünf Uhr, als Jutta in die Anlagen kam. Voll Unruhe sah sie nach dem Denkmal hinüber. Die Lampen brannten bereits und warfen ihr helles Licht über den freien Platz, aber die Büsche und Bäume warfen über die Seitenwege dunkle Schatten. Und aus dem Dunkel eines solchen Schattens heraus trat jetzt ein schlanker junger Mann, mit einem hübschen etwas weichlichen Gesicht.

„Fredy, ach lieber Fredy!“, rief Jutta leise, ihm die Hand entgegenstreckend.

Er fasste sie und drückte sie krampfhaft, wie in großer Erregung. „Gottlob, dass du kommst, Jutta! Ich war so in Sorge, du könntest nicht abkommen oder hättest meinen Brief nicht erhalten“, sagte er hastig, mit unstet flackernden Augen. Er trug elegantes Zivil, trotzdem sah man ihm sofort den Offizier an.

„Wie ist es, Fredy, hast du das Geld irgendwo auftreiben können?“, fragte Jutta besorgt.

„Nein, alles vergebens. Und du – du bringst mir wirklich nichts?“

„Ach nein, Fredy. Ich habe dir doch geschrieben, dass ich nichts, gar nichts habe.“

Er schwieg eine Weile. Sie gingen langsam auf und ab. Die Anlagen waren fast menschenleer. Nur ab und zu begegneten sie einem Passanten.

Endlich stieß Fredy hervor: „Schilt mich nur aus, Jutta! Ich bin ein leichtsinniger Mensch! Ich habe es verdient, dass ich nun vor Sorge nicht aus und ein weiß. Herrgott, ich weiß wirklich nicht, wie es kommt, aber die paar Kröten reichen eben nicht aus! Könnte man doch dumpf und stumpf leben wie das liebe Vieh, ohne Wünsche, ohne die Sehnsucht nach ein bisschen Freude und Genuss! Und nun sitze ich in der Klemme – ganz niederträchtig. Ich schäme mich vor dir, Jutta, wahrhaftig. Du trägst dein freudloses Dasein mit Würde. Ich komme mir so schlecht vor, dass ich mich nicht auch zufrieden geben und so ruhig wie du auf alle Annehmlichkeiten des Lebens verzichten kann. Ich bürde dir auch noch meine Sorgen auf; weiß Gott, manchmal bin ich mir selbst verhasst wegen meiner Schwäche. Und doch komme ich jetzt wieder zu dir wie zu einem letzten Rettungsanker. Du musst mir noch einmal helfen, Jutta, du musst! Ich weiß sonst nicht, wo aus und ein.“

Er drückte ihren Arm so fest an sich, dass es ihr wehtat.

„Ich kann nicht, Fredy. Jede Möglichkeit habe ich durchdacht, es geht nicht“, sagte Jutta mit bebender Stimme.

Sie liebte ihn so sehr, und sein Kummer schnitt ihr ins Herz.

Er riss an seinem Kragen, als sei er ihm zu eng.

Dann sagte er heiser: „Du könntest, Jutta, wenn du nur wolltest.“

„Aber wie denn, Fredy? Sag mir doch nur, wie?“

Er schluckte, als fiele ihm das Sprechen schwer. Dann stieß er hastig hervor: „Du weißt, Mutters Brillantbrosche, Jutta, die ihr Vater zur silbernen Hochzeit geschenkt hat, kurz vor seinem Tod. Ich weiß, er hat so lange darauf gespart, um ihr diese Freude zu machen. Sie hat sechstausend Mark gekostet. Es ist mir ja ein fürchterlicher Gedanke. Aber diese Brosche ist meine letzte Hoffnung. Man könnte doch dreitausend Mark darauf leihen. Irgendwie schaffe ich nach und nach das Geld, und wir lösen die Brosche wieder ein. Mutter trägt sie doch nie mehr, sie braucht ja nichts davon zu wissen. Du nimmst sie heimlich fort und bringst sie mir her. Wenn ich sie eingelöst habe, legst du sie wieder an ihren Platz. Es ist meine einzige Hoffnung. Deshalb kam ich her. Du musst mir die Brosche holen!“

Wie erschöpft schwieg er. Jutta war stehen geblieben und sah ihn mit großen, traurigen Augen an. Ihr Antlitz war sehr bleich. Müde schüttelte sie den Kopf.

„Auch diese Hoffnung muss ich dir zerstören, Fredy. Mutter besitzt diese Brosche nicht mehr. Als du im letzten Frühjahr die zweitausend Mark brauchtest, habe ich sie verkaufen müssen. Dreitausend Mark bekam ich dafür. Auf mein Zureden ging Mutter dann im Sommer nach Nauheim. Mutter wünschte, du solltest nie erfahren, dass sie sich dir zuliebe von der Brosche getrennt hat. Es ist ihr auch sehr hart angekommen. Sie hat Vaters Bild immer angesehen und hat gesagt: ‚Es ist ja für unseren Fredy, Hermann, du verstehst, dass ich mich davon trennen muss.‘ Sie wollte dir in ihrer großen Liebe die Beschämung ersparen, aber nun muss ich es dir doch sagen.“

Fred Falkner war zusammengezuckt, als er hörte, dass die Brosche verkauft sei. Nun starrte er die Schwester wie geistesabwesend an.

„Verkauft! Die Brosche verkauft!“, stieß er rau hervor, und die Zähne schlugen ihm wie im Frost zusammen.

„Ja, Fredy“, erwiderte Jutta tonlos und sah angstvoll in sein verzerrtes Gesicht.

Er riss sich gewaltsam aus seiner Erstarrung und versuchte, Ruhe zu heucheln, obwohl ihm jetzt die letzte Hoffnung verloren gegangen war, sich aus seiner verzweifelten Lage zu retten.

„Dann also – dann habe ich mich umsonst bemüht, Jutta. Und – nicht wahr – sonst haben wir wohl keinen Wertgegenstand, den wir zu Geld machen könnten?“

„Nein, Fredy. Als wir Lenas Aussteuer beschaffen mussten, ist alles überflüssige zu Geld gemacht worden. Außer Mutters Brosche blieb uns nur das Nötigste, das weißt du selbst.“

Ein zitternder Atemzug kam über seine Lippen.

„Ja, ja, das weiß ich selbst. Wir sind erbärmlich arme Schlucker. Herrgott, warum hat man nur ein Herz mit allerlei Wünschen in der Brust, wenn man so ein armer Schlucker ist!“, sagte er verzweifelt.

Jutta rüttelte ihn angstvoll am Arm. „Fred! Fred! Komm doch zu dir! Ach, dass du uns diese Sorge machst!“

Er lachte höhnisch, verzweifelt. „Nicht wahr, ein herrlicher Bruder bin ich! Nichts als Sorgen packe ich dir auf – dir und Mutter. Ich bin ein schlechter Mensch, Jutta, einer, der untauglich ist für den Lebenskampf. Lass nur! Mir geschieht schon recht. Schlecht bin ich, dass ich mit Mutters Brosche rechnete. Und nun höre ich von dir, dass sie mir dieses geliebte Andenken schon klaglos geopfert hat. Ich könnte heulen wie ein Schuljunge. Wenn ich das gewusst hätte! Es war meine letzte Hoffnung, Jutta.“

Er sank schlaff in sich zusammen.

Sie umfasste ihn in leidenschaftlicher Angst, unbekümmert darum, wo sie sich befanden. Sie bemerkten beide nicht, dass auf dem Nebenweg ein Herr daherkam, der sie durch die blattlosen Sträucher deutlich sehen konnte. Sie standen im hellen Schein der Lampe.

„Fredy, mein lieber, lieber Fredy!“, schluchzte Jutta in Angst und Sorge.

Diese Worte vernahm der Herr jenseits des Gebüsches. Er sah, wie sich die junge Dame leidenschaftlich in die Arme des jungen Mannes warf. Der wehe, zärtliche Ton bannte seine Schritte. Er blieb stehen und schaute forschend hinüber. Er sah, dass die junge Dame beschwörend auf ihren Begleiter einsprach. Die Worte konnte er nicht verstehen, er vernahm nur die von Schluchzen halb erstickte Mädchenstimme, deren zärtlicher Ton ihn so seltsam berührte. Auf den jungen Mann achtete er kaum. Er sah nur, dass er das weinende Mädchen küsste und dann einige müde, abwehrende Bewegungen machte.

Fred Falkner richtete sich mit einem entschlossenen Ausdruck auf und löste Juttas Arme von seinem Hals.

„Weine nicht, Jutta! Ich bitte dich, sei ruhig!“, hörte der Lauscher ihn sagen. Er wusste, dass es nicht recht von ihm war, aber etwas bannte ihn wider Willen an seinen Platz. Es war der unklare Wunsch, das weinende Mädchengesicht da drüben zu sehen. Er hatte es noch nicht erblickt; nur das Gesicht des Mannes war ihm zugewandt. Dass er ein Liebespaar vor sich hatte, erschien ihm zweifellos.

Die beiden sprachen nun wieder leiser miteinander, so dass der Lauscher nichts mehr verstehen konnte.

„Ist denn bei Tante Laura alles vergebens, Fred?“, fragte Jutta.

Er wehrte ab. „Du hättest nur ihren kurzen Brief lesen sollen. Sie wünscht ungestört zu bleiben, sonst zieht sie auch ihren Zuschuss zurück. Sie ist geizig!“

„Ach, sag das nicht, Fred!“ Es war doch sehr lieb von ihr, dass sie den Zuschuss gab. Eine Verpflichtung dazu hatte sie doch nicht.“

„Nun ja, aber sie ist doch so reich. Doch das hilft nichts, und ich muss nun gehen, Jutta, da du mir doch nicht helfen kannst.“

„Leider nicht, Fred. Wenn das mit Lena nicht dazwischen gekommen wäre. Aber wir mussten doch sorgen, dass sie sofort abreisen konnte. Es gilt vielleicht ihr Leben. Da muss alles andere zurückstehen.“

Ein seltsamer Ausdruck glitt über Freds Gesicht.

„Ja, da muss alles andere zurückstehen, wenn es das Leben gilt. Lenas Leben. Aber nun leb wohl, Jutta! Hab Dank für all deine Liebe! Nein, geh nicht weiter mit mir – lass uns hier Abschied nehmen! Ich fahre gleich wieder zum Bahnhof.“

Jutta umarmte und küsste ihn zärtlich. „Gott mit dir, Fredy! Und – sag – ach, Fredy, lieber Fredy – wenn du das Geld nun nicht beschaffen kannst – dann kann es wohl kommen, dass du den Abschied nehmen musst?“

Er biss die Zähne zusammen. „Ja, dazu … könnte es … wohl kommen.“

Sie presste die Hände aufs Herz. „Ach, das dürfte Mutter nicht erfahren, sie würde sich schrecklich aufregen.“

Er strich sich über die Stirn. „Nein, nein, das darf sie nicht erfahren – überhaupt nichts. Nicht wahr, Jutta, sorge dafür, dass sie unvorbereitet keinerlei Nachricht in die Hände bekommt?“

„Sei unbesorgt, Fredy, ich habe strengen Befehl gegeben, dass alle Post zuerst mir ausgeliefert wird.“

„Das ist gut, sehr gut. Und nun leb wohl, Jutta – tapfere Jutta – bist viel tapferer als dein Bruder, der doch sechs Jahre älter ist als du … gib Mutter heute Abend diesen Kuss … Sie braucht nicht zu wissen, dass er von mir ist.“

Mit schmerzhafter Innigkeit presste er Jutta an sich. Dann riss er sich los. „Leb wohl, Jutta!“

Jutta wischte hastig die Tränenspuren aus den Augen. Mutter durfte sie nicht entdecken. Langsam schritt sie dann auf dem schmalen Pfad in die Helligkeit des großen Platzes hinaus. Und da erblickte der Lauscher klar und deutlich ihr Gesicht. Er zuckte zusammen.

„Sie ist es“, stieß er leise zwischen den Zähnen hervor.

Es war derselbe Herr, den Frau von Wengern mit „Herr von Hohenegg“ angeredet hatte und der schon seit Wochen mit großem, warmem Interesse Jutta Falkner verfolgte.

Auch heute war er in die Anlagen gegangen, weil er Jutta neulich um diese Zeit hier getroffen hatte. Nun hatte sich seine Hoffnung ihr zu begegnen, erfüllt – aber anders, als er hoffte. Es war für ihn kein Zweifel, dass Jutta hier mit dem Mann zusammengetroffen war, dem ihr Herz gehörte. Alles deutete auf ein Stelldichein zwischen zwei Liebenden hin.

Günter von Hohenegg war zumute, als habe er etwas Köstliches verloren, obwohl er noch nie ein Wort mit Jutta gewechselt hatte, obwohl er nichts weiter von ihr wusste, als dass sie Jutta hieß.

Ihre angstvolle, zärtliche Stimme klang ihm noch im Ohr. Ihm war, als könne er sie nie vergessen. Wie glücklich war der Mann, dem diese Zärtlichkeit galt! Aber ihre Liebe schien nicht vom Glück begünstigt zu sein, es schien sich viel Leid beizumischen. Dem Anschein nach musste sie ihre Liebe vor ihren Angehörigen verheimlichen. Wer mochte sie nur sein?

So stand Günter von Hohenegg reglos und grübelte. Aber dann warf er den Kopf zurück.

„Unsinn, was geht mich dieses fremde Mädchen an!“, dachte er ärgerlich.

Langsam setzte er seinen Weg in derselben Richtung fort, in der sich Jutta entfernt hatte.

Er bemühte sich, zu vergessen, was er in den Anlagen erlauscht hatte. Aber es wollte ihm nicht gelingen. Und als sollte es nicht sein, sah er plötzlich dicht vor sich aus einem Haus Jutta Falkner treten.

Sie war schnell nach Hause gegangen, hatte das Paket mit dem Wandbehang geholt und trat nun, auf dem Weg zu Frau von Wengern, aus der Haustür. Ohne Günter zu bemerken, ging sie schnell vorwärts, um die Haltestelle der elektrischen Bahn zu erreichen.

Zufälligerweise hatte Günter von Hohenegg das gleiche Ziel; auch er war auf dem Weg zu Wengerns.

In Gedanken verloren, ließ er seinen Blick auf der vor ihm herschreitenden Mädchengestalt ruhen. Welch elastischen Gang sie hatte! Wie anmutig sie das feine Köpfchen auf den Schultern trug! Es war doch schade, dass sie einem anderen gehörte. Sonst hätte er sich wohl von diesem anmutigen, graziösen Gang, von dieser liebreizenden Erscheinung verleiten lassen – ja, zu was denn?

„Unsinn – Hirngespinste! Lass die junge Dame mit ihrem Liebesschmerz, den du erlauschtest, aus deinen Gedanken, lieber Günter! Sie darf dich nicht interessieren. Da kommt die Elektrische. Sei so gut und schwinge dich hinauf, und reiße die Augen los von dieser verlockenden Erscheinung da vorn! Du bist doch wahrhaftig kein Schürzenjäger.“

Ohne noch auf das vor ihm gehende Mädchen zu achten, trat er an die Elektrische heran. Mehrere Personen stiegen ab, und eine größere Anzahl von Menschen, die einsteigen wollte, drängte sich an die Haltestelle.

Er schwang sich als Letzter auf die hintere Plattform und blieb da stehen, um seine Zigarette fertig zu rauchen.

Als er aber seinen Blick über die Insassen des Wagens schweifen ließ, sah er Jutta in der Ecke dicht neben dem Fenster sitzen. Sie bemerkte ihn nicht. Ihre Augen blickten, traurig und ernst, und er sah ganz deutlich, wie es um den fein geschwungenen Mund zuckte wie in heimlicher Erregung.

Armes Ding, dachte er mit warmen Mitleid. Und er musste sie immer wieder ansehen, als könne er hinter ihrer klaren Stirn. die schmerzlichen Gedanken lesen.

Die Elektrische fuhr nach dem vornehmen Westen Berlins. Als Günter von Hohenegg an einer Haltestelle den Wagen verlassen wollte, sah er Jutta vor sich aussteigen. Sie war viel zu sehr in ihr schmerzliches Grübeln versunken, als dass sie ihn bemerkt hätte. Er sah, dass sie in dieselbe Straße einbog, die auch er suchte. Da hielt er die Schritte an, um ihr einen Vorsprung zu lassen. Noch einmal sah er im Schein der Bogenlampen das feine Köpfchen vor sich, dann war die junge Dame um die Straßenecke verschwunden.

Als auch er um die Ecke bog, war nichts mehr von ihr zu sehen. Sie musste in eines der nächsten Häuser gegangen sein. Langsam trat auch er nun an ein vornehm wirkendes Gebäude heran und zog die Klingel.

Das Gesicht des Portiers erschien an dem kleinen Fenster neben dem Portal, gleich darauf sprang die Tür, wie von unsichtbarer Hand geöffnet, auf.

In der ersten Etage dieses Hauses wohnten Wengerns, Fritz von Wengern war ein Studienfreund Günters. Seit dessen Verheiratung verkehrte Günter als gern gesehener Gast im Hause des Freundes. Zuerst kam er mit großem Vergnügen in die elegante Häuslichkeit, wo die schöne Frau Lolo mit Anmut und Liebenswürdigkeit das Zepter schwang. Aber schon seit geraumer Zeit kam er mit einer gewissen unbehaglichen Vorsicht.

Günter von Hohenegg hatte bemerkt, dass Frau Lolo sehr gefallsüchtig war, und die Liebe ihres gutmütigen Gatten ihr unbequem zu sein schien. Frau Lolos kokette kleine Manöver, ihn zu einem Flirt zu verlocken, entgingen ihm nicht.

Günter von Hohenegg war durchaus kein Ofenhocker. Er interessierte sich für schöne Frauen. Und Frau Lolo war schön. Aber sie war Fritz von Wengerns Frau, die Frau seines besten, treuesten Freundes und als solche unantastbar für ihn.

Auch heute war er zu Wengerns eingeladen. Während er die breite, teppichbelegte Treppe emporstieg, dachte er darüber nach, was Frau Lolo heute wohl wieder anstellen würde, um ihn zu bezaubern.

Und neben Lolos schönem, sprühendem Gesicht sah er im Geist das blasse, zuckende Mädchenantlitz mit den traurigen Augen.

Ärgerlich über sich selbst, nahm er die letzten Stufen und zog die Klingel.

Ein Diener öffnete und ließ Günter von Hohenegg, nachdem er abgelegt hatte, ins Zimmer des Hausherrn treten.

Fritz von Wengern erhob sich aus einem Klubsessel und trat ihm mit dem Ausdruck herzlicher Freude auf dem klugen Gesicht entgegen.

„Tag, Günter! Herzlich willkommen! Meine Frau musst du noch einige Minuten entschuldigen, sie hat Besuch. Oder vielmehr – sie ist damit beschäftigt, sich mit Wichtigkeit in eine Überraschung für dich zu vertiefen.“

„Für mich?“, fragte Günter.

„Hm! Ich sage dir, ein wahres Kunstwerk entsteht unter ihren Händen. Ist mir nur schleierhaft, ob du es überhaupt gebrauchen kannst. Ich wollte ihr erst abraten, aber sie behauptet, du hättest sie schon mit so viel Aufmerksamkeiten überschüttet, dass sie dir auch mal ein Geschenk machen müsse. Also trage es mit Fassung, wie ein Mann – und hier, stecke dir eine Zigarette an!“

Günter hatte in komischer Zerknirschung den Kopf zwischen die Schultern gezogen. „Guter Gott, ich soll wohl ewig euer Schuldner bleiben, Fritz? Wenn deine Frau mir nicht einmal gestatten will, dass ich mich durch kleine Aufmerksamkeiten für eure wahrhaft ideale Gastfreundschaft revanchiere.“

Fritz lachte gutmütig. „Lass ihr den Willen, Günter! Sie muss immer jemanden haben, den sie mit kunstvollen Handarbeiten beglücken kann. Früher war ich das Opfer. Ich wusste schon nicht mehr, wohin mit all dem Segen. Aber nun setz dich! Hoffentlich verabschiedet meine Frau die junge Dame, die sie soeben als künstlerischen Beirat konsultiert, bald. Sie ist freilich eben erst gekommen; ein Viertelstündchen werden wir wohl noch warten müssen, ehe dieses Fräulein Falkner ihre Weisheit ausgekramt hat.“

Günter von Hohenegg horchte auf. Eine junge Dame, die eben erst gekommen war? Sollte seine interessante Unbekannte dieses Fräulein Falkner sein?

„Wer ist das – Fräulein Falkner?“

„Ach eine junge Malerin, die für das Geschäft, in dem meine Frau kauft, Zeichnungen anfertigt. Unter uns, das Fräulein hat für dein Geschenk ein Wappen gemalt. Aber davon darfst du natürlich nichts wissen. Du musst furchtbar überrascht tun.“

Günter fragte nicht weiter und sah gedankenvoll dem Rauch seiner Zigarette nach.

Fritz lachte. „Ich glaube, du hast Hunger, wie ich auch. Komm, wirf die Zigarette fort, wir wollen hinübergehen in den Salon und uns bemerkbar machen, damit Lolo hört, dass du da bist.“

Er zog Günter mit sich fort. Sie mussten über die Diele, die, wie alle Räume des Wengernschen Heims, sehr schön und geschmackvoll eingerichtet war. In demselben Augenblick, als die beiden Herren aus dem Zimmer des Hausherrn traten, wurde gegenüber eine Tür geöffnet, und Lolo erschien an der Seite Jutta Falkners.

Lächelnd und sichtlich erfreut begrüßte Lolo Herrn von Hohenegg. Er küsste ihr artig die Hand, aber sein Blick flog dabei zu Jutta hinüber. Er bemerkte, dass sie bei seinem Anblick errötete und sichtlich befangen war.

Vielleicht hat sie bemerkt, dass ich sie stets mit großem Interesse betrachtete, wenn ich ihr begegnete. Das ist ihr wohl unangenehm gewesen, dachte er.

Dennoch konnte er es nicht unterlassen, sich in den süßen Reiz dieses Mädchengesichts zu versenken. Ein Gefühl heißen Neides gegen den unbekannten Fred, der ihre Liebe besaß, stieg in ihm hoch.

Flüchtig stellte Frau von Wengern Jutta Falkner und Günter von Hohenegg einander vor und bat noch um ein wenig Geduld.

„Ich habe noch einige Minuten mit Fräulein Falkner zu verhandeln. Bitte, gedulden Sie sich so lange, Herr von Hohenegg“, sagte sie mit einem aufstrahlenden Blick in Günters Augen.

Jutta bemerkte diesen seltsam feurigen Blick, und er gab ihr zu denken. So durfte ihrer Meinung nach eine verheiratete Frau nur ihren eigenen Mann ansehen. Instinktiv wandte sie ihren Blick zu Günter von Hohenegg hinüber. Aber sein Gesicht war unbewegt – seine Augen begegneten den ihren. Sie fühlte, dass ihr wieder das Blut ins Gesicht schoss, und wandte sich ab.

Fritz von Wengern, der unbefangen dabeigestanden hatte, machte der Situation durch ein liebenswürdiges Scherzwort ein Ende.

Lolo von Wengern ging mit Jutta in ihr Boudoir. Sie hatte für Weihnachten noch verschiedene Handarbeiten vor, zu denen sie Zeichnungen brauchte. Jutta gefiel ihr, und gutmütig, wie sie war, wollte sie das junge Mädchen ein wenig protegieren.

Die Herren gingen wieder ins Zimmer des Hausherrn zurück und plauderten noch eine Weile.

„Eine sehr angenehme Persönlichkeit, dieses Fräulein Falkner. Scheint aus guter Familie zu sein“, sagte Fritz, sich wieder in seinen Klubsessel werfend. „Und begabt ist sie wohl auch. Sie malt Ölbilder und aquarelliert. Lolo drohte mir an, dass sie sich gelegentlich die Arbeiten von Fräulein Falkner ansehen will. Nun, von mir aus! Gar zu teuer wird eine so junge Künstlerin nicht sein.“

Günter nickte nur. Er war nicht in der Stimmung, über Jutta Falkner zu sprechen. Aber er lauschte, während er mit Fritz über Tagesfragen plauderte, bis er draußen eine Tür zuschlagen hörte.

Jetzt ist sie gegangen, dachte er. Und er fragte sich, ob sie nun wieder so still und traurig in der Straßenbahn sitzen würde.

Er konnte nicht lange diesen Gedanken nachhängen, denn der Diener öffnete die Tür und rief die Herren zu Tisch.

In dem großen, reich ausgestatteten Speisezimmer trat ihnen Lolo entgegen. Sie war in blendender Laune und sah in der eleganten Gesellschaftsrobe, die ein klein wenig zu kostbar war für dieses intime Souper, entzückend aus. Fritz strahlte vor Verliebtheit und war ebenfalls sehr heiter gestimmt. So fiel Günters Schweigsamkeit nicht auf.

***

Am nächsten Morgen saß Jutta mit der Mutter im Wohnzimmer am Frühstückstisch. Sie hatte eine unruhige Nacht hinter sich. Zwar war sie zuerst schnell eingeschlafen, weil sie todmüde war, aber dann wachte sie plötzlich mit einem jähen Ruck auf. Ihr war, als sei sie laut beim Namen gerufen worden. Sie setzte sich im Bett aufrecht und lauschte nach der Mutter hinüber. Aber sie vernahm nur ihre leisen Atemzüge. Die Mutter schlief.

Ich habe wohl nur geträumt, dachte sie und legte sich wieder zurück.

Aber der Klang der Stimme, die ihren Namen gerufen hatte, tönte noch in ihrem Ohr. Und da wusste sie es ganz genau: Das war Freds Stimme gewesen!

Als sie noch so lauschte, hörte sie die Uhr im Wohnzimmer zwölf schlagen. Es war Mitternacht. Eine unerklärliche Bangigkeit war in ihrer Seele. Sie vermochte nicht ruhig im Bett zu bleiben. Leise erhob sie sich und schlich zum Fenster, um durch die herabgelassenen Jalousien auf die stille Straße hinabzusehen, als hielte sie es für möglich, dass Fred da unten stehe und nach ihr gerufen hätte.

Aber kein Mensch war zu sehen. Seit einigen Stunden schneite es, und eine fleckenlose weiße Schneedecke lag auf der Straße.

Fröstelnd legte Jutta sich wieder nieder, aber einschlafen konnte sie nicht mehr. Die Gedanken hielten sie wach. Sie dachte erst an Fred, dann an Lena, die nun schon auf dem Schiff war. Ob sie eine gute Fahrt hatte?

Tausend Fragen legte sie sich in der Stille der Nacht vor.

Und dann trat ein anderes Bild vor sie hin und sah sie mit zwingenden Augen an: mit stahlblauen Augen, in denen ein so fester Wille lag und doch ein so frohes, lebenswarmes Leuchten. Günter von Hohenegg! Ganz deutlich sah sie ihn vor sich. Die hohe Stirn, das scharf geschnittene Gesicht mit den charakteristischen Linien um den Mund. Wie Spott zuckte es zuweilen um diesen Männermund. Das war ein Gesicht, in dessen prägnante Züge man sich gern vertiefen möchte. Ein interessanter Mensch. Ob auch ein guter, edler Mensch, edel, wie die Züge seines Gesichts?

Da sah sie wieder im Geist den seltsamen aufflammenden Blick, mit dem Frau von Wengern ihn angesehen hatte, und das Herz tat ihr weh.

Warum?

Sie wehrte sich gegen dieses Gefühl.

Was ging Günter von Hohenegg sie an, was Frau von Wengern? Sie hatte doch wahrlich mit ihren eigenen Angelegenheiten genug zu tun! Sie hatte doch an andere Sachen zu denken, wenn sie des Nachts einmal nicht schlafen konnte!

Sie versuchte, sich freundliche Bilder auszumalen.

Lena würde noch vor dem Weihnachtsfest eintreffen mit der kleinen Wally. Dann sollte ein Tannenbaum geschmückt werden. Dann kam Fredy auf Urlaub zum Fest, und sie konnten einmal alle zusammen sein, wie früher. Väterchen fehlte freilich – der kam nie wieder. Das war traurig genug. Aber die kleine Wally würde sie alle erheitern. Es musste ein drolliges Persönchen sein. Wie Mutter sich über das Kind freuen würde!

Knapp würde es bei dieser Weihnachtsfeier ja zugehen. Aber das war nicht so schlimm.

Jutta fing an zu rechnen, und konnte nicht wieder einschlafen. Als es fünf Uhr schlug, erhob sie sich leise von ihrem Lager, kleidete sich behutsam an und schlich aus dem Schlafzimmer hinüber in ihr Arbeitszimmer.

Minna war noch nicht wach, das Zimmer noch nicht geheizt, aber Jutta ging dennoch an die Arbeit.

Sie hatte schon einige Stunden fleißig gearbeitet, als die Mutter klingelte. Nun saßen sie im durchwärmten Wohnzimmer am Frühstückstisch. Minna reinigte inzwischen Juttas Arbeitszimmer.

Mutter und Tochter plauderten natürlich von Lena und Wally. Jutta zeigte sich frisch und munter, gar nicht, als habe sie eine schlaflose Nacht hinter sich. Ein paar Mal hatte es draußen im Flur geklingelt. Jutta schien es gar nicht zu beachten, bis die Mutter sagte: „Was ist nur heute? Es klingelt ja in einem fort.“

Jutta zuckte scheinbar sorglos mit den Schultern, obwohl sie bereits unruhig hinausgelauscht hatte.

„Es waren wohl Hausierer, Mutter. Du weißt, um die Weihnachtszeit laufen viele Händler herum. Wäre es etwas anderes gewesen, hätte Minna es schon gemeldet“, antwortete sie ruhig, obwohl sie genau wusste, dass Minna auch etwas Wichtiges nicht melden würde.

Die Mutter seufzte. „Ich dachte nur, der Briefträger sei da gewesen. Von Fredy haben wir so lange keine Nachricht.“

„Minna hätte gewiss die Post hereingebracht, wenn etwas gekommen wäre, Mutter, Fredy wird viel Dienst haben, und du weißt doch, er ist schreibfaul.“

„Ja, doch, aber eine Postkarte hätte er wieder mal schreiben können.“

Sie beendeten das Frühstück. Frau Falkner setzte sich in ihren Lehnstuhl am Fenster und nahm ihren Strickstrumpf zur Hand.

„Na, Mutter, nun ist das halbe Dutzend bald fertig?“, scherzte Jutta.

„Ja, Kind, es ist der letzte Strumpf. Wer weiß, ob ich je wieder welche für meinen Jungen stricken kann“, antwortete die Mutter wehmütig.

Zärtlich strich Jutta über den grauen Scheitel der Mutter.

„Nicht so sprechen, mein liebes Mutterle“, bat sie leise.

Dann setzte sie das Frühstücksgeschirr auf ein Tablett und trug es in die Küche.

Minna sah ihr schon erwartungsvoll entgegen.

„Ist Post gekommen, Minna?“

„Jawohl, gnädiges Fräulein, ein Brief und auch eine Depesche. Ich habe alles in Ihr Arbeitszimmer gelegt.“

Jutta nickte und eilte in ihr Arbeitszimmer.

Mit unruhigen Händen fasste sie zuerst nach dem Brief. Sie sah, dass er von Fred kam.

Sie ließ sich in einen Stuhl gleiten, öffnete hastig das Schreiben und las. Ihre Augen flogen über die Zeilen, und in diese Augen trat, je weiter sie las, Entsetzen. Ihr Antlitz wurde weiß – dann plötzlich sank sie wie in halber Ohnmacht in sich zusammen, und der Brief entglitt ihren Händen.

So saß sie eine Weile, als sei alles Leben aus ihr geflohen. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Brust hob sich in mühsamen Atemzügen. Nach einer Weile richtete sie sich empor und tastete nach dem Brief. Als sie sich nach ihm bückte, brach sie, vom Stuhl gleitend in die Knie. Die Hände vor das Antlitz pressend, schauerte sie zusammen.

„Fredy – Fredy!“, wimmerte sie in tiefster Qual.

So lag sie lange, wie zerschmettert, wie aller Kraft beraubt, und eisige Kälte durchrann ihren Körper.

Endlich richtete sie sich langsam empor und sah mit toten, leeren Augen um sich. Mit zitternden Händen entfaltete sie den Brief, glättete ihn mechanisch und las ihn nochmals durch.

Meine liebe Jutta, meine liebe, tapfere Schwester!

Als ich mich heute von dir trennte, wusste ich schon, dass es für mich keine Hilfe mehr gab und dass ich Abschied von dir nahm für immer. Ich bitte dich, liebste Schwester; sei stark und tapfer, wie du es bisher gewesen bist und wie ich es leider nie sein konnte.

Ich will und muss aus dem Leben gehen, Jutta, heute noch. Wenn es Mitternacht schlägt, ist meine Lebensuhr abgelaufen. Ich muss dir gestehen, dass ich viel mehr Schulden habe als diese Ehrenschuld, die ich bis morgen Früh decken soll. Ich bin nicht mehr zu retten, ich mag auch nicht mehr leben. Ein Dasein, wie es vor mir liegt, ist mir nicht mehr des Lebens wert.

Weine nicht über mich, liebe Jutta, ich habe euch nur Not und Sorge gemacht mit meinem Leichtsinn.

Denke nicht, dass ich euch nicht lieb habe, weil ich euch das antue. Es ist auch für euch besser, wenn ich euch von der Sorge um mich befreie.

Du musst Mutter schonend darauf vorbereiten. Ich darf nicht daran denken, wie sie die Nachricht aufnehmen wird. An gar nichts will ich denken, sonst werde ich weich und verliere gar noch die Fähigkeit, einen Schwächling aus der Liste der Lebenden zu streichen.

Grüße und küsse die Mutter und Lena ein letztes Mal von mir Ich will mich zur letzten Ruhe niederlegen, als legte ich mich in Mutters Schoß. Sie wird mir nicht zürnen. Sanft und leise wird sie mir über die Stirn streichen, und ich werde sanft einschlafen, wie als Kind unter ihren streichelnden Händen. Verdamme auch du mich nicht, meine liebe, starke Schwester, wir Menschen sind aus verschiedenem Stoff. Vergib mir, dass ich dir diesen Schmerz antue, küsse die Mutter, leb wohl, Jutta!

Dein Bruder Fred

Mit starren Augen sah Jutta auf diesen Brief hinab. Es wäre ihr eine Wohltat gewesen, wenn sie hätte laut aufschreien können in ihrer Qual. Aber da drüben saß die Mutter, ihre bedauernswerte, ahnungslose Mutter. Ihr war, als müsse sie ersticken an diesem namenlosen Leid. Fredy, ihr heiß geliebter Bruder, tot! Und da drüben saß die Mutter und strickte für ihn Strümpfe. „Den letzten Strumpf“, so hatte sie vorhin gesagt. Wahrlich, es war der letzte.

Jutta dachte an den Ruf, der sie um Mitternacht aus dem Schlummer gestört hatte. Um Mitternacht? Hatte da der Bruder in seiner letzten Not gerufen? War das Schreckliche schon geschehen, oder konnte man es noch verhüten?

Sie sprang auf, von neuer Hoffnung beseelt, und blickte wirr um sich. Da fiel ihr Blick auf die Depesche, die sie noch nicht geöffnet hatte.

Mit zitternden Händen tastete sie danach und riss sie auf. Sie kam von Oberst Heyden. Das war der Vorgesetzte ihres Bruders. Ein Schauer rann über Jutta hin, und mit weit geöffneten Augen las sie:

leutnant alfred falkner heute morgen in seiner wohnung tot aufgefunden stopp die anwesenheit eines angehörigen dringend erwünscht stopp oberst heyden stopp

Jutta sank in den Stuhl zurück. Nun erst glaubte sie das Schreckliche, Unfassbare, nun war jede Hoffnung verloren!

Was sollte sie tun?

Sie war keines klaren Gedankens fähig. Nur eins wusste sie: Wenn Mutter gleich das Schreckliche erfuhr, war es ihr Tod.

In ihrer Herzensangst fiel ihr der alte Freund ihres Vaters ein, Dr. Görger, der Helfer und Berater in den vielen Nöten, die ihr schon die Seele belastet hatten. Ja, zu ihm und seiner Frau musste sie gehen, sie würden ihr helfen.

Sie sprang auf, barg Brief und Telegramm in ihrer Tasche und ging leise hinaus in die Küche. Minna starrte sie erschrocken an.

„Um Gottes willen, gnädiges Fräulein, Ihnen ist wohl nicht gut?“, rief sie.

Jutta würgte den aufsteigenden Jammer hinab.

„Ich habe furchtbare Kopfschmerzen, Minna, ich muss unbedingt eine Weile an die frische Luft. Aber Sie wissen, Mama sorgt sich gleich, und das darf sie nicht. Hören Sie gut auf die Klingel! Sollte Mama nach mir verlangen, dann sagen Sie, ich sei schnell gelaufen, um mir Farbe zu kaufen.“

Minna nickte verständnisvoll. „Jawohl, gehen Sie nur, gnädiges Fräulein! Ich werde schon alles machen. Wollen Sie nicht ’n bisschen Essig riechen? Das hilft manchmal.“

Jutta schüttelte aber nur stumm den Kopf; Minna half ihr in den Mantel und ließ sie leise zur Tür hinaus.

Dr. Görgers Sprechstunde war gerade zu Ende, als Jutta anlangte. Der Diener ließ sie gleich eintreten. Er kannte sie und wusste, dass sein Herr immer für sie zu sprechen war.

Dr. Görger, ein rüstiger alter Herr Ende der Fünfzig, mit klugen, hinter Brillengläsern verborgenen Augen und gelichtetem Haar, erhob sich von seinem Schreibtisch, als Jutta eintrat.

Sie taumelte, haltlos vor Schmerz, auf ihn zu und stieß ein jammervolles „Onkel Doktor!“, hervor.

Erschrocken fing er sie in seinen Armen auf und sah forschend in ihr verstörtes Gesicht.

„Was gibt es, Jutta – die Mutter?“, fragte er hastig und ließ sie voll väterlicher Teilnahme in einen Sessel gleiten.

Sie schüttelte den Kopf. „Nicht die Mutter – Fred – Fred!“

Sie schrie den Namen des Bruders heraus, als könne sie den Schmerz nicht mehr in sich verschließen.

Dr. Görger machte ein finsteres Gesicht. „Macht euch der Bengel wieder Sorgen? Himmeldonnerwetter, ich möchte das Bürschlein mal abbeuteln, dass ihm Hören und Sehen vergeht“, sagte er wütend und strich doch zugleich beruhigend über das blasse, verstörte Mädchengesicht.

„Schilt ihn nicht, Onkel Doktor – Fred ist tot.“

Der alte Herr erschrak. „Tot? Fred tot?“

Sie nickte, zog Brief und Depesche hervor, und reichte ihm beides.

„Lies selbst“, bat sie.

Dr. Görger las, sein Gesicht wurde noch finsterer. Seine Lippen formten das Wort: „Schwächling.“ Aber er sprach es nicht aus.

Sanft nahm er Juttas kalte Hände in die seinen.

„Du hast es Mutter noch nicht gesagt, Jutta?“

Sie schrak empor. „Nein, nein, wie kann ich das! Es ist ihr Tod, wenn sie es erfährt. In meiner Angst komme ich zu dir und Tante Maria; ich weiß ja nicht, was ich tun soll.“

Der Arzt trat an seinen Arzneimittelschrank, ließ aus einer Flasche einige Tropfen in ein halb gefülltes Wasserglas fallen und reichte es Jutta.

„Trink das, Jutta! Du armes Ding bist zu sehr erschrocken. Und doch musst du den Kopf oben behalten, Kind – für deine Mutter. Wir dürfen ihr jetzt nicht sagen, was geschehen ist. Sie ist von dem letzten Anfall noch nicht zur Ruhe gekommen. Auch nach der schonendsten Vorbereitung wirft diese Nachricht sie um. Wir müssen schweigen, wenigstens bis Lena kommt. Ist sie wohlbehalten mit dem Kind angekommen, hält deine Mutter die beiden geliebten Menschen im Arm, dann wollen wir es in Gottes Namen versuchen, sie auf die schreckliche Nachricht vorzubereiten.“

Jutta hatte gehorsam das Glas leer getrunken. Jetzt schluchzte sie trocken auf.

„Ach, Fredy, mein lieber Fredy! Mein Herz tut so weh, wenn ich denke, was er gelitten haben mag, ehe er uns das antat. Wenn ich doch wenigstens zu ihm könnte! Nur noch einen letzten Blick in sein Gesicht, einen letzten Gruß möchte ich ihm bringen. Ich kann ihn so nicht einsargen lassen. Rate mir, hilf mir, ich muss zu ihm! Der Oberst verlangt ja auch die Anwesenheit eines Angehörigen. Aber wie komme ich fort, ohne dass Mutter etwas merkt? Hilf mir, lieber Onkel Doktor!“

Der Arzt drückte ihr beruhigend die Hand.

„Ja, ja, ich helfe dir schon. Aber jetzt komm erst mal mit hinüber zu Tante Maria. Sie wird uns nachdenken helfen, wie wir alles am besten einrichten.“

Er führte Jutta in das behagliche Wohnzimmer. Da saß eine stattliche alte Dame mit frischem Gesicht und vollem, grau melierten Haar.

Ihr Gatte erzählte ihr kurz, was geschehen war. Sie zog Jutta liebevoll an sich. Ganz blass wurde ihr frisches Gesicht. Sie besaß selbst zwei erwachsene Söhne und zwei Töchter und erfasste mit ihrem Mutterherzen die Tragik dieser Nachricht.

Sorglich führte sie Jutta zu einem Sessel. Erst wollte sie nichts davon wissen, dass man der Mutter den Tod ihres Sohnes verheimliche. Als ihr Gatte ihr jedoch alles auseinander setzte, sah sie ein, dass die Ärmste noch immer früh genug das Schreckliche erfahren würde. Entschlossen und umsichtig, wie eine echte Arztfrau, beriet sie nun mit ihrem Gatten, was zu tun sei.

Jutta saß schweigend dabei und empfand es als Wohltat, dass andere für sie handelten und dachten.

Endlich war alles reiflich erwogen.

Jutta sollte jetzt heimkehren, damit die Mutter nichts von ihrer Abwesenheit bemerkte. Gleich danach sollte der Doktor einen Besuch bei ihrer Mutter machen. Zu derselben Zeit sollte des Doktors Diener zu Falkners hinübergehen und Minna melden, Fräulein Falkner möge sofort ins Geschäft von Brühl kommen, sich aber einrichten, den ganzen Tag dort zu bleiben, da sie gleich an Ort und Stelle eine Arbeit vornehmen müsse. Der Doktor wollte dann sagen, seine Frau solle zu Juttas Mutter kommen und da bleiben, bis Jutta am Abend zurückkehren würde.

Jutta dankte den beiden hilfsbereiten Menschen mit tränenfeuchten Augen.

Dann brach sie auf. Der alte Herr drückte ihr die Hand.

„Also tapfer, Jutta, tapfer! Wenn dich je einmal der Jammer überwältigt in der Gegenwart deiner Mutter, dann sag ihr, du hättest Zahnschmerzen. Es hilft nichts, Kind! Wenn du dir und Lena die Mutter erhalten willst, dann musst du den Schein aufrechterhalten.“

Jutta biss die Zähne zusammen. Etwas von ihrer alten Energie lag um den blassen Mund.

„Es muss gehen! Gott mag mir verzeihen, dass ich meiner armen Mutter diese Komödie vorspiele. Adieu, ihr lieben, guten Freunde, habt vielen Dank. Wenn ich euch jetzt nicht hätte!“

Jutta erfuhr von Minna, dass die Mutter ihre Abwesenheit gar nicht bemerkt habe.

Als sie am Wohnzimmer vorüber in ihr Arbeitszimmer gehen wollte, blieb sie einen Moment vor der Tür stehen, als wollte sie hineingehen. Aber sie vermochte es nicht, sie fürchtete sich geradezu, der Mutter in die Augen zu blicken.