Hedwig Courths-Mahler Collection 16 - Sammelband - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Hedwig Courths-Mahler Collection 16 - Sammelband E-Book

Hedwig Courths-Mahler

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Beschreibung

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Hedwig Courths-Mahlers "Märchen für Erwachsene", wie sie ihre Romane selbst nannte, sind ebenso zeitlose Klassiker wie die Themen, die sie behandeln: die Liebe, ihre Gefährdung und deren Überwindung, die Verwirrung der Gefühle und der Weg zum Glück. Seit über 100 Jahren verzaubert sie ihre Leserinnen und Leser mit ihren wundervollen Geschichten immer wieder neu, und mit einer Gesamtauflage von über 80 Millionen Exemplaren gilt Hedwig Courths-Mahler heute als DIE Königin der Liebesromane.


Dieser sechzehnte Sammelband enthält die Folgen 46 - 48:

DIE ADOPTIVTOCHTER

Britta Lossen ist überglücklich, als sie eine Stellung als Gesellschafterin bei der reichen, geschiedenen Claudine Steinbrecht erhält. Doch schon bald merkt sie, dass ihre Herrin eine verbitterte, vom Leben enttäuschte Frau ist. Einst hat Claudine ihren Mann durch ihr ständiges Misstrauen aus dem Haus getrieben. Und ausgerechnet Britta ist die Tochter dieses Mannes. Nie hat Claudine den Maler Heinz Lossen vergessen können. Eine heiße Zuneigung zu seiner Tochter aus zweiter Ehe erwacht in der einsamen Frau. An Britta will sie gutmachen, was sie ihrem Vater antat. So entschließt sie sich, das junge Mädchen zu adoptieren und es zu ihrer Alleinerbin zu bestimmen. Claudine ahnt nicht, dass ihre Bestimmungen zu einer Quelle des Leids für Britta werden sollen ...

ICH WILL

Kommerzienrat Hochstetten ist der reichste Mann weit und breit. Bereitwillig hilft er seinen Nachbarn, wenn sie in eine Notlage geraten. Doch trotz seiner Hilfsbereitschaft verachten ihn die adeligen Gutsbesitzer als bürgerlichen Emporkömmling. Hochstettens Tochter Renate leidet besonders darunter.

Aus dem liebenswerten jungen Mädchen wird nach und nach immer mehr eine kaltherzige, spöttische Verführerin, die die jungen Adeligen in ihre Netze zieht, um sie hernach kalt lächelnd abzuweisen. Das ist ihre Art, sich für die Herabsetzung, die ihrem Vater widerfährt, zu rächen. Einer allerdings lässt sich nicht verführen: Heinz von Letzingen. Und gerade er treibt Renate damit fast bis zur Weißglut. Das Mädchen weiß nicht, dass der junge Baron ganz andere Pläne mit ihr hat ...

SCHWEIG STILL, MEIN HERZ

Die hübsche Traute Ramin lebt schon von Kindheit an auf Gut Grundhof, das sie von ihren Eltern geerbt hat. Dort verbringt sie den größten Teil des Jahres in ziemlicher Zurückgezogenheit.

Doch ganz abrupt hat diese Ruhe ein Ende: In die bisher unbewohnte Villa Martens, die in der Nachbarschaft von Gut Grundhof liegt, zieht ein Amerikaner ein: John Knight. Wie im Sturm fliegt dem stattlichen Mann Trautes Herz zu. Aber schon bald werden dunkle Wolken ihr berauschendes Glücksgefühl überschatten, denn ein Geheimnis umgibt John, das Trautes Liebe schon bald auf eine harte Probe stellen wird ...


Über 240 Seiten Romantik und Herzenswärme!

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv: shutterstock/Forewer ISBN 978-3-7325-6936-6

Hedwig Courths-mahler

Hedwig Courths-Mahler Collection 16 - Sammelband

Inhalt

Hedwig Courths-MahlerHedwig Courths-Mahler - Folge 046Britta Lossen ist überglücklich, als sie eine Stellung als Gesellschafterin bei der reichen, geschiedenen Claudine Steinbrecht erhält. Doch schon bald merkt sie, dass ihre Herrin eine verbitterte, vom Leben enttäuschte Frau ist. Einst hat Claudine ihren Mann durch ihr ständiges Misstrauen aus dem Haus getrieben. Und ausgerechnet Britta ist die Tochter dieses Mannes. Nie hat Claudine den Maler Heinz Lossen vergessen können. Eine heiße Zuneigung zu seiner Tochter aus zweiter Ehe erwacht in der einsamen Frau. An Britta will sie gutmachen, was sie ihrem Vater antat. So entschließt sie sich, das junge Mädchen zu adoptieren und es zu ihrer Alleinerbin zu bestimmen. Claudine ahnt nicht, dass ihre Bestimmungen zu einer Quelle des Leids für Britta werden sollen ...Jetzt lesen
Hedwig Courths-Mahler - Folge 047Kommerzienrat Hochstetten ist der reichste Mann weit und breit. Bereitwillig hilft er seinen Nachbarn, wenn sie in eine Notlage geraten. Doch trotz seiner Hilfsbereitschaft verachten ihn die adeligen Gutsbesitzer als bürgerlichen Emporkömmling. Hochstettens Tochter Renate leidet besonders darunter. Aus dem liebenswerten jungen Mädchen wird nach und nach immer mehr eine kaltherzige, spöttische Verführerin, die die jungen Adeligen in ihre Netze zieht, um sie hernach kalt lächelnd abzuweisen. Das ist ihre Art, sich für die Herabsetzung, die ihrem Vater widerfährt, zu rächen. Einer allerdings lässt sich nicht verführen: Heinz von Letzingen. Und gerade er treibt Renate damit fast bis zur Weißglut. Das Mädchen weiß nicht, dass der junge Baron ganz andere Pläne mit ihr hat ...Jetzt lesen
Hedwig Courths-Mahler - Folge 048Die hübsche Traute Ramin lebt schon von Kindheit an auf Gut Grundhof, das sie von ihren Eltern geerbt hat. Dort verbringt sie den größten Teil des Jahres in ziemlicher Zurückgezogenheit. Doch ganz abrupt hat diese Ruhe ein Ende: In die bisher unbewohnte Villa Martens, die in der Nachbarschaft von Gut Grundhof liegt, zieht ein Amerikaner ein: John Knight. Wie im Sturm fliegt dem stattlichen Mann Trautes Herz zu. Aber schon bald werden dunkle Wolken ihr berauschendes Glücksgefühl überschatten, denn ein Geheimnis umgibt John, das Trautes Liebe schon bald auf eine harte Probe stellen wird ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Die Adoptivtochter

Vorschau

Die Adoptivtochter

Roman um ein Waisenmädchen

Dr. Hermann Frensen und Frau Claudine Steinbrecht saßen einander gegenüber. Zwischen ihnen stand ein massiver, viereckiger Tisch.

Dr. Frensen entnahm einer Mappe ein kleines Paket.

„Hier sind die Fotografien der Damen, die ich zur engeren Wahl herausgesucht habe. Von etwa vierzig Bewerberinnen kommen nur diese vier in Frage. Bitte, wollen Sie sich die Bilder ansehen!“

Frau Claudine Steinbrecht nahm die Fotografien in Empfang und seufzte dabei. Sie sah ihrem langjährigen Geschäftsführer, dem Notar Dr. Frensen, mit einem kurzen, scharfen Blick in die Augen. „Also vier Stück? Natürlich kommt bei dieser Wahl wieder nichts heraus.“

„Aber meine verehrte gnädige Frau, wenn Sie gleich im Voraus davon überzeugt sind, so …“

Frau Claudine winkte ab. „Lassen Sie nur, lieber Doktor! Ihnen erscheint es als Laune, dass ich mich nicht wieder an eine neue Gesellschafterin gewöhnen kann. Aber wer kann gegen sein Temperament? Mit Else Grabow habe ich doch drei Jahre friedlich gelebt. Die hätte bei mir bleiben können bis ans Ende meiner Tage. Natürlich muss mir diese sympathische Person weggeheiratet werden! Und die drei, die nach ihr kamen – Sie wissen, ich konnte nicht mit ihnen in Kontakt kommen. Ich habe alle drei schleunigst wieder entlassen und suche weiter, bis ich eine Gesellschafterin finde, die mir sympathisch genug ist, um sie stets um mich zu haben.“

Dr. Frensen zuckte die Achseln. „Ja, liebe, gnädige Frau, auf diese Weise können Sie noch lange experimentieren, bis Sie zufriedengestellt sind. Wenn Sie ein wenig Geduld haben würden – man lebt sich doch mit der Zeit ein und übersieht dann manches.“

„Aber die Persönlichkeit muss mir sympathisch sein“, sagte Frau Claudine lebhaft.

Dr. Frensen sah sie lächelnd an. „Anscheinend waren Ihnen diese drei jungen Damen doch erst ganz sympathisch?“

Auch Frau Claudine musste nun lächeln.

„Ja, einen Tag lang hielt ich es mit jeder aus – und sie mit mir. Aber dann störte mich dies und das, worüber ich nie hinweggekommen wäre. Ich habe vielleicht mehr Untugenden, als diese drei jungen Dinger zusammengenommen. Und ich habe es bis heute nicht gelernt, mein heftiges Temperament zu zügeln so viel Leid mir das auch schon gebracht hat.“

Die letzten Worte sagte Claudine Steinbrecht wie geistesabwesend. Gleich darauf warf sie einen scharfen Seitenblick auf das ernste Gesicht Dr. Frensens, der den Blick auf die vor ihm liegenden Papiere gesenkt hatte.

Er kannte seine Klientin fast ein Menschenalter lang und wusste, dass es nicht wohlgetan war, derartige Äußerungen zu bemerken. Claudine Steinbrecht war die einzige Tochter und Erbin des vor Jahren verstorbenen mehrfachen Millionärs Klaus Steinbrecht. Er war der reichste Mann der großen Provinzialstadt gewesen. Claudine hieß eigentlich nicht Steinbrecht, sondern Lossen, denn sie war mit dem Maler Heinz Lossen verheiratet gewesen.

Gegen den Willen ihres Vaters hatte sie die Verbindung mit dem unbekannten Maler ertrotzt. Klaus Steinbrecht hätte viel lieber einen Schwiegersohn gehabt, den er zu seinem Geschäftsnachfolger hätte machen können. Aber er liebte seine einzige Tochter zu sehr, um sich ihrem heißen Wunsch, Lossens Frau zu werden, auf die Dauer widersetzen zu können.

Er ließ für das junge Paar auf seinem eigenen riesigen Grundstück, droben auf dem Berg, eine reizende Villa erbauen.

Die Steinbrechtsche Besitzung war sehr ausgedehnt. Seit Jahrhunderten hatte die Familie Grund und Boden um sich her angekauft. Auf dem ältesten Teil dieses Grundbesitzes standen die Fabrik- und Geschäftsgebäude; das ehemalige Wohnhaus der Familie Steinbrecht bewohnte jetzt der Direktor der Aktiengesellschaft, in das Klaus Steinbrecht sein Unternehmen verwandelt hatte. Das von ihm erbaute neue Wohnhaus stand, durch eine hohe Mauer und ein großes Gartengrundstück von der Fabrik getrennt, weiter hinten im Park. Hier wohnte Frau Claudine seit dem Tod ihres Vaters allein.

Zwei Jahre nur hatte sie droben in der Villa am Berg mit ihrem Gatten gewohnt. Dann war er eines Tages verschwunden.

Man erzählte sich damals allerhand von einem Zerwürfnis der jungen Gatten. Genaues erfuhr niemand, man wusste nur, dass Heinz Lossen verschwunden und seine junge Frau bleich und verstört in das Haus ihres Vaters zurückgekehrt war. Seit dieser Zeit stand die reizende Villa verlassen.

Als ihr Gatte nicht zurückkehrte, hatte sie die Scheidung durchgesetzt. Dr. Frensen hatte damals ihren Scheidungsprozess geführt; er war der Einzige, der näheres über diese Angelegenheit wusste. Claudine nannte sich wieder Steinbrecht, es wuchs Gras über diese Affäre, und niemand dachte mehr an Heinz Lossen.

Claudine Steinbrecht hielt die Lorgnette vor die Augen und betrachtete die vier ausgewählten Fotografien. Alle vier zeigten hübsche, junge Gesichter.

Gleich das zweite Bild schien Frau Claudine zu fesseln. Sie betrachtete es lange und legte es zögernd beiseite. Als sie dann alle angesehen hatte, griff sie wieder zu dem einen und sagte dann in ihrer raschen, lebhaften Art:

„Also diese, lieber Doktor.“

„Das dachte ich mir“, sagte Dr. Frensen.

„So? Warum denn?“ Frau Claudine zuckte die Achseln.

„Fotografien täuschen leider oft über die Persönlichkeit. Also soll ich diese junge Dame für Sie engagieren?“

„Ja, bitte. Unter den üblichen Bedingungen. Gefällt sie mir nicht, habe ich das Recht, sie sofort wieder zu entlassen. Sie erhält dann als Entschädigung für drei Monate Gehalt und Verpflegungsgeld ausbezahlt.“

„Im Grunde können diese Gesellschafterinnen gar kein besseres Geschäft machen“, meinte der Notar.

Frau Claudine zuckte die Achseln.

„Ich mag niemand schädigen Doktor. Es kann doch schließlich keine dafür, dass sie mir missfällt.“

Frensen verneigte sich.

„Ich weiß, dass Sie bei aller Schroffheit ein durchaus vornehmer Charakter sind, gnädige Frau“, sagte er warm.

Ihr Gesicht rötete sich, und sie sah sehr jung und hübsch aus mit diesem Rot auf den Wangen. „Komplimente zwischen so alten Freunden, Doktor?“, sagte sie schroff. „Ich weiß leider nur zu gut, dass ich ein unleidlicher Mensch bin.“

Er kannte ihre Eigenart und ließ sich nicht beirren.

„Ich habe Ihnen kein Kompliment gemacht, sondern eine Tatsache konstatiert“, sagte er ruhig. Er fühlte sich durchaus nicht verletzt. So verschlossen diese Frau sich auch zeigte, manchmal verriet sie doch in ihrer raschen Art, wenn auch widerwillig, ihr innerstes Sein, und wenn ein Mensch sie gut kannte, dann war er es.

„Also diese junge Dame wird engagiert, Nummer zwei trägt das Bild, nicht wahr?“, sagte Frensen, aus seiner Mappe ein Kuvert hervorziehend. „Gestatten Sie, dass ich Sie mit den Personalien bekannt mache? Ich selbst habe nur flüchtig in diese Schriftstücke Einsicht genommen, da mein Bürovorsteher sie eingehend geprüft hat.“

Claudine Steinbrecht legte abwehrend ihre Hand auf das Kuvert.

„Verschonen Sie mich damit! Ihr Bürovorsteher hat sicher alles geprüft, ehe er Ihnen die junge Dame zur engeren Wahl vorschlug. Vorläufig habe ich kein Interesse dafür. Für mich ist einzig und allein ausschlaggebend, ob ich diese neue Gesellschafterin erträglich finde.“

Dr. Frensen hatte einige flüchtige Bleistiftnotizen auf dem Kuvert, die von der Hand seines Bürovorstehers herrührten, geprüft.

„Nun, jedenfalls ist die junge Dame, wie Sie wünschen, völlig unabhängig. Sie ist Waise, hat ein glänzendes Zeugnis ihrer früheren Herrin, die sie nur entlässt, weil sie eine verarmte Verwandte bei sich aufnehmen muss, wodurch eine Gesellschafterin überflüssig geworden ist.“

„Gut, gut, das genügt. Veranlassen Sie also, bitte, alles weitere, lieber Doktor! Die junge Dame soll möglichst bald eintreffen.“

Frau Claudine erhob sich.

„Das wäre erledigt. Und nun muss ich Sie fortschicken, Doktor; ich habe eilige Besorgungen in der Stadt zu erledigen, und mein Wagen wartet schon. Auf Wiedersehen also! Ich sehe Sie doch Sonnabend mit Ihrer lieben Frau und Ihren beiden Neffen bei mir?“

„Gewiss, gnädige Frau“, erwiderte Frensen, sich gleichfalls erhebend.

„Also auf Wiedersehen und einen Gruß daheim?“

Damit verließ Frau Steinbrecht das Zimmer. Frensen ordnete erst noch in aller Ruhe die Papiere in seiner Mappe.

Draußen half ihm dann der Diener in seinen Mantel.

Vor dem Portal stand die Equipage für Frau Steinbrecht bereit, das große Parktor war bereits geöffnet.

Gleich hinter dem Notar trat Frau Steinbrecht aus dem Vestibül ins Freie. Sie sah Dr. Frensen noch gehen und rief ihn an:

„Steigen Sie doch zu mir in den Wagen, Doktor, ich setze Sie an Ihrer Wohnung ab.“

Frensen wandte sich zurück und stieg ein.

Der Wagen rollte über den breiten, mit Kies bestreuten Weg zum Parktor hinaus.

***

Drei Tage später stand Dr. Frensen mit einer großen, schlanken jungen Dame an der großen Einlasspforte zum Steinbrechtschen Park und drückte auf den dicken Messingknopf der Klingel. Wie von unsichtbaren Händen geöffnet, sprang eine kleinere Tür in der großen, schmiedeeisernen Pforte auf.

Dr. Frensen ließ die junge Dame vor sich eintreten. Sie schritten beide den breiten Kiesweg entlang bis zum Portal des Hauses.

Die junge Dame, die ein einfaches, aber gut sitzendes Reisekleid trug, sah mit ihren großen Augen erwartungsvoll auf das in vornehmer Ruhe daliegende zweistöckige Haus.

Ob ich hier wohl eine Weile Wurzeln schlagen werde?, dachte sie mit dem beklemmenden Gefühl, das wohl jeder empfindet, der sich fremd in einen neuen Wirkungskreis begibt.

Dr. Frensen sah von der Seite in das schöne Gesicht mit den lieblichen Zügen.

Ihre Blicke flogen über das Haus und den Park. Bewundernd nahm sie die Schönheit der Umgegend in sich auf.

„Wie schön ist es hier!“, sagte sie mit leuchtenden Augen zu ihrem Begleiter.

Dr. Frensen nickte lächelnd. „Nicht wahr, ein herrlicher Besitz?“, sagte er.

„Wunderschön! Ach, wenn ich doch hier bleiben dürfte!“

„Ich wünsche es Ihnen von Herzen, mein Fräulein. Abgesehen von einigen kleinen Eigenheiten Ihrer künftigen Herrin ist die Stellung, die Sie in diesem Haus einnehmen sollen, äußerst angenehm. Ein kluger Mensch findet sich leicht mit kleinen Eigenheiten ab. Trotz unserer kurzen Bekanntschaft halte ich Sie für einen klugen Menschen.“

Ein sonniges Leuchten flog über das ernste junge Gesicht.

„Ich bin Ihnen sehr verbunden für diese gute Meinung, Herr Doktor. Überhaupt, ich möchte Ihnen meine Dankbarkeit dafür beweisen, dass Sie Frau Steinbrecht von den vielen Bewerberinnen gerade mich in Vorschlag brachten“, sagte sie warm.

„Oh, ich habe Sie nur zur engeren Wahl gestellt. Entschieden hat sich Frau Steinbrecht selbst für Sie“, wehrte der Notar ab.

Sie blickte lebhaft auf.

„Sagten Sie nicht, Frau Steinbrecht habe Ihnen alles überlassen?“

„Das wohl, aber Ihre Fotographie hat sie selbst ausgesucht. Das ist auch eine ihrer kleinen Eigenheiten. Sie will nichts als die Person auf sich einwirken lassen. Ihr Gesicht hat ihr jedenfalls gefallen.“

Die junge Dame lächelte.

Dr. Frensen betrachtete sie wieder wohlgefällig und dachte dabei, dass er vor einer Stunde noch sehr im Zweifel gewesen war, ob er diese junge Dame seiner Klientin zuführen sollte. Vor einer Stunde hatte er nämlich zum ersten Mal ihren Namen gehört, und er war nicht sicher, ob der Name Frau Steinbrecht nicht stören würde. Bei ihrer Empfindlichkeit war das nicht ausgeschlossen. Immerhin hatten ihn die schönen Augen der jungen Dame veranlasst, sie trotzdem ins Steinbrechtsche Haus zu führen.

Inzwischen hatten sie den Aufgang unter dem Säulendach erreicht.

„Wir sind zur Stelle“, sagte der alte Herr. Das Portal war bereits geöffnet, ein Diener stand wartend im Vestibül.

Dieses Vestibül machte einen gediegenen Eindruck. Der Fußboden war mit kunstvoller Mosaikarbeit ausgelegt. In der Mitte befand sich, reich mit Blattpflanzen dekoriert, ein schöner Marmorbrunnen. In den Ecken waren Gruppen von Sitzmöbeln aufgestellt, und unter jeder Gruppe lag ein großer, kostbarer Teppich. Zwei hohe, mit wundervollen Glasmalereien versehene Fenster zu beiden Seiten des Portals ließen ein warmes Licht hereinfallen.

Die junge Dame zögerte einen Moment. Es war ihr, als ob hinter diesen Mauern ihr Schicksal sie erwartete.

Dann schritt sie weiter.

Im Hintergrund führte eine breite, teppichbelegte Treppe in den ersten Stock. Die Wirtschaftsräume und die Küche lagen im Souterrain. Im Parterre befanden sich außer dem Speisezimmer und den Empfangszimmern der große Festsaal und ein daran anschließender Musiksaal.

Im ersten Stock lagen die Wohn-, Schlaf- und Arbeitsräume der Besitzerin. Der zweite Stock bestand aus Gastzimmern, den beiden Zimmern für die Gesellschafterin und einem Zimmer für Frau Stange, die Haushälterin.

Dr. Frensen befahl dem Diener, ihn Frau Steinbrecht zu melden. Dieser streifte die junge Dame mit einem schnellen, neugierigen Seitenblick und sagte devot:

„Die gnädige Frau ist ausgefahren, Herr Doktor, und lässt um Entschuldigung bitten. Eine notwendige Komiteesitzung ließ sich nicht aufschieben. Ich habe Befehl bekommen, das neue Fräulein zu Frau Stange zu führen und mich nach ihren Wünschen zu erkundigen. Bis zum Tee wird die gnädige Frau zurück sein.“

Dr. Frensen sah unschlüssig auf die junge Dame.

„So lange kann ich leider nicht warten, mein Fräulein. Schade, ich hätte Sie gern selbst der gnädigen Frau zugeführt. Nun, Frau Stange wird vorläufig für Sie sorgen. Auf gut Glück also! Friedrich, empfehlen Sie mich der gnädigen Frau und führen Sie das Fräulein zu Frau Stange.“

Er verabschiedete sich mit einer Verbeugung und einem warmen Händedruck von der jungen Dame und ging.

Friedrich wandte sich der neuen Hausgenossin mit einem vertraulich lächelnden Gesicht zu.

„Kommen Sie, Fräulein!“

Sie schritt neben ihm, sein vertrauliches Lächeln ignorierend, die Treppe hinauf. Auf halber Höhe kam ihnen eine mittelgroße, rundliche Frau entgegen. Sie trug über einem glatt anliegenden schwarzen Kleid eine breite weiße Schürze und auf dem grau melierten, schlicht gescheitelten Haar ein weißes Häubchen. Im Arm trug sie einen Schlüsselkorb.

Es war Frau Stange. Sie sah das junge Mädchen forschend an.

„Oh, das neue Fräulein, nicht wahr?“, fragte sie lächelnd.

Die junge Dame atmete auf. Das freundliche Gesicht der alten Frau berührte sie wie eine gute Vorbedeutung.

„Ja, es ist das neue Fräulein, Frau Stange. Der Herr Doktor ist gleich wieder fortgegangen“, berichtete der Diener.

„Es ist gut, Friedrich. Sie können wieder auf Ihren Posten gehen; ich werde das Fräulein selbst hinaufführen.“

Die junge Dame schritt nun neben der rundlichen Frau Stange weiter hinauf bis in den zweiten Stock.

Dort betraten sie ein großes, freundliches Zimmer. Es war behaglich eingerichtet mit weiß lackierten Möbeln, die mit hübschen Bezügen versehen waren. Von demselben Stoff waren die Vorhänge und Portieren.

An dieses Zimmer stieß ein kleineres, ebenso eingerichtetes Schlafzimmer. Alles sah blitzsauber aus und entbehrte nicht einer behaglichen Eleganz.

Die neue Gesellschafterin fühlte sich angenehm berührt.

„Ach, wenn ich doch hier bleiben dürfte“, dachte sie, als sie über die Schwelle schritt, und impulsiv rief sie:

„Wie schön – wie wunderschön!“

Frau Stange sah lächelnd in das junge Gesicht.

„Gelt, es sind zwei hübsche Zimmerchen? Hier sind auch schon Ihre Sachen angekommen, Fräulein. Aber mit dem Auspacken können Sie sich Zeit lassen.“

Es lag ein besonderer Ausdruck in ihren Worten, der der jungen Dame nicht entging. Fragend sah sie in das gute, alte Gesicht. Frau Stange wurde ganz seltsam zumute unter diesem Blick.

„Ich meine bloß so, Fräuleinchen, dass Sie sich jetzt ein bisschen auffrischen sollen. Die gnädige Frau kommt bald zurück, und dann müssen Sie den Tee mit ihr nehmen. Beim Auspacken kann Ihnen später eins der Mädchen helfen.“

Die junge Dame lächelte traurig und sagte leise:

„Ach, Sie meinten gewiss, ich solle erst abwarten, ob es sich auch lohnt, die Koffer auszupacken.“

Die Haushälterin bekam einen roten Kopf, richtete sich dann aber entschlossen auf.

„Na, ich will es nicht leugnen, etwas Ähnliches wollte ich allerdings sagen, obwohl ich mir wahrhaftig nicht denken kann, dass Sie der gnädigen Frau nicht gefallen. Mir gefallen Sie viel besser als Ihre Vorgängerinnen, ja, wahrhaftig“, sagte sie resolut.

Das Fräulein fasste impulsiv ihre kleine, rundliche Hand.

„Das ist doch ein kleiner Trost“, erwiderte sie lächelnd. „Ich weiß von Herrn Dr. Frensen, dass meine Vorgängerinnen nur wenige Tage hier weilten – und ich fürchte, dass ich ihr Schicksal teilen muss.“

„Es kann auch anders kommen. Freilich, die gnädige Frau hat ihren eigenen Geschmack. Sie kann Fräulein Else nicht vergessen, die sich verheiratet hat. An fremde Gesichter gewöhnt sich die gnädige Frau zu schwer. Aber vielleicht haben Sie mehr Glück als die anderen!“

Das junge Mädchen legte seufzend Hut und Handschuhe ab.

„Darf ich Ihnen eine Erfrischung heraufschicken?“, fragte Frau Stange.

„Ich danke sehr, Frau Stange, vorläufig habe ich weder Hunger noch Durst.“

„Nun, nachher nehmen sie ja mit der gnädigen Frau den Tee. Ich will Sie nun allein lassen, Fräuleinchen, damit Sie sich fertig machen können. Wenn die gnädige Frau Sie zu sehen wünscht, melde ich es Ihnen.“

„Vielen, vielen Dank für Ihre Freundlichkeit, Frau Stange“, sagte das Fräulein herzlich.

„Ist schon gut. Man weiß ja selbst aus Erfahrung, wie einem zumute ist in einer neuen Stelle. Ich bin schon an die zwanzig Jahre hier im Haus, aber früher habe ich auch wechseln müssen. Aber nur Kopf hoch! Es wird hoffentlich gut gehen.“

Damit verließ Frau Stange das Zimmer.

Etwa eine Stunde später trat sie wieder in das Zimmer der Gesellschafterin.

„So, na, nun kommen Sie, Fräuleinchen; die gnädige Frau erwartet Sie am Teetisch.“

Dabei sah sie prüfend über die jugendfrische, schlanke Erscheinung. Das Fräulein hatte nur das Haar geordnet und einen schmalen weißen Kragen am Hals befestigt. Sie sah sehr vornehm und hübsch aus.

Frau Stange nickte zufrieden. „Das ist gut – das mag die gnädige Frau gern, so ein Streifchen Weiß um den Hals. Wenn ich Ihnen raten darf, Fräuleinchen, nicht viel reden! Sie liebt das nicht. Und nicht zieren beim Essen und Trinken, überhaupt so recht frisch und natürlich, keine Angst spüren lassen! Zweimal müssen Sie die Tasse der gnädigen Frau füllen – in jede nur ein Stück Zucker, sonst nichts. Versäumen Sie auch nicht, ihr ein Fußbänkchen unterzuschieben! Dann über ihrem Sessel liegt ein seidenes Schultertuch. Das legen Sie ihr um, sobald sie sich gesetzt hat. Und achten Sie darauf, dass die Sonne die gnädige Frau nicht blendet. Um diese Zeit scheint sie gerade ins Zimmer.“

So sagte Frau Stange leise unterwegs zu dem jungen Mädchen, als sie es hinab in den ersten Stock führte. Nun schwieg sie still, weil sie vor dem Zimmer angelangt waren, in dem Frau Steinbrecht ihre neue Gesellschafterin am Teetisch erwartete.

Die junge Dame drückte hastig die Hand der alten Frau und prägte sich ihre Worte ein.

Dann stand sie in einem schönen, kostbar ausgestatteten Zimmer, das ganz mit einem dicken, hellgrauen Teppich ausgelegt war. Der Teetisch stand in einer Erkernische am Fenster und war einladend gedeckt. Ein Teewagen mit allem Zubehör stand daneben.

Frau Claudine Steinbrecht war im Zimmer auf und ab geschritten. Nun stand sie still und sah dem jungen Mädchen entgegen. Sie trug ein grau- und weiß gestreiftes Seidenkleid, mit schwarzen Spitzen garniert. Es fiel in schönen Falten um die stattliche Erscheinung der reichen Frau. Ihr noch volles, dunkles Haar, durch das sich nur wenige graue Fäden zogen, war einfach, aber gefällig geordnet und umgab locker die hohe Stirn.

Frau Stange war mit eingetreten.

„Hier ist das neue Fräulein, gnädige Frau.“

Frau Steinbrecht nickte kurz.

„Es ist gut, Stange, du kannst gehen“, sagte sie nur.

Sie nannte die alte Frau, die sie sehr schätzte, immer „Du“ und „Stange“. Auf diese Vertraulichkeit war Frau Stange sehr stolz. Sie ging hinaus und ließ die beiden Damen allein.

Das Fräulein machte eine artige Verbeugung vor der imponierenden Frauengestalt. So sehr ihr aber auch das Herz klopfte, ließ sie sich nichts merken, sondern sah mit einem offenen, ruhigen Blick in das Gesicht ihrer neuen Herrin.

Frau Claudines dunkle Augen ruhten eine Weile prüfend auf dem jungen Mädchen.

„Welch ein schönes Geschöpf“, dachte sie, angenehm berührt, „und diese Augen! Was für seltsame Augen sind das?“

Und von dem Blick dieser schönen, ernsten Mädchenaugen bezwungen, ging sie einige Schritte auf die junge Dame zu. Den stummen, ehrerbietigen Gruß erwiderte sie mit einem Neigen des Kopfes.

„Ich hörte, dass Dr. Frensen Sie selbst in mein Haus geführt hat.“

„Ja, gnädige Frau, der Herr Doktor war so freundlich.“

„Sie kommen aus Berlin, wenn ich nicht irre?“

„So ist es, gnädige Frau.“

„Dort befanden Sie sich bisher in Stellung?“

„Bei General von Feldheim.“

„Konnten Sie denn sofort abkommen auf meinen Ruf?“

„Ja, gnädige Frau. Frau General Feldheim hatte mir gestattet, in ihrem Haus zu bleiben, bis ich eine andere Stellung gefunden haben würde.“

Frau Steinbrecht ließ bei diesem Verhör das junge Mädchen nicht aus den Augen und grübelte dabei unablässig darüber nach, an wen diese seltsamen Augen sie erinnerten – diese Augen, in denen so eigenartige goldene Lichter spielten.

„Dr. Frensen hat Ihnen doch wohl mitgeteilt, dass ihr Engagement in meinem Haus noch nicht bindend ist?“

Die junge Dame errötete leicht. Ihr feiner Mund zuckte wie in unterdrückter Erregung. Aber sie sagte anscheinend ruhig: „Allerdings, gnädige Frau, Herr Dr. Frensen hat mir diese Mitteilung gemacht.“

„War es da nicht ein wenig voreilig von Ihnen, auf diese ungewisse Aussicht hin das Haus des Generals zu verlassen?“, fragte Frau Claudine weiter.

„Nein, gnädige Frau“, sagte das Fräulein, ohne den Blick vor den herrischen Augen zu senken. „Es widerstrebte mir ohnehin, die Güte meiner Herrin noch länger in Anspruch zu nehmen. Ich wurde nicht mehr gebraucht und – um das Gnadenbrot zu essen, dazu bin ich Gott sei Dank zu jung und gesund.“

„Und wohl auch zu stolz?“, fragte die Dame.

Das junge Mädchen hob unwillkürlich das Haupt.

„Ja – auch zu stolz“, gestand sie freimütig.

Wieder traf sie ein scharf musternder Blick.

„Wir wollen den Tee einnehmen“, sagte Frau Steinbrecht und schritt zum Teetisch. Dort ließ sie sich in einen Sessel gleiten.

Dabei fasste sie tastend über die Lehne. Dort hing das Tuch, von dem Frau Stange gesprochen hatte. Sofort beeilte sich die junge Dame, ihr das Tuch um die Schultern zu legen.

Frau Claudine blickte überrascht empor und nickte dankend. Dann dachte das Fräulein auch an das Fußbänkchen und schob es unter Frau Steinbrechts Füße.

Wieder blitzte es in ihren Augen auf. Sie sah auf die vor ihr Kniende herab und gewahrte bewundernd das wundervolle Haar ihrer Gesellschafterin.

„Welch ein bildschönes Geschöpf“, dachte sie wieder und empfand einen wirklichen Genuss beim Anblick dieser Schönheit.

Die junge Dame bediente ihre Herrin mit flinken, geschickten Händen, als wäre sie schon lange in ihren Diensten. Sie füllte ihre Tasse und gab ihr nur ein einziges Stück Zucker hinein, ohne zu fragen. Dann reichte sie ihr das Tablett mit den kleinen, braunen Kuchen, die Frau Stange für Frau Steinbrecht bereitete. Dass sie auch damit zufällig das rechte traf, verriet ihr ein erneutes Aufblitzen in Frau Claudines Augen.

Nachdem ihre Herrin bedient war, versorgte sich die junge Dame selbst in bescheidener, aber durchaus ungezierter Weise.

Die Unterhaltung beschränkte sich darauf, dass Frau Steinbrecht einige allgemeine Fragen an ihre Gesellschafterin richtete, die sie höflich beantwortete.

Als die Sonne weiter ins Zimmer hereinschien und der erste Strahl über Frau Steinbrechts Gesicht fiel, erhob sich die junge Dame und zog den seidenen Vorhang zur Hälfte zu, so dass die Sonne zwar noch ins Zimmer schien, die alte Dame aber nicht störte.

Da zuckte ein verlorenes Lächeln um das stolze Gesicht. Aber es verlor sich, ehe das Fräulein wieder Platz genommen hatte. Ihre Stimme hatte aber nicht mehr den schroffen Klang, als sie sagte:

„Das war sehr aufmerksam, Fräulein. Sie scheinen sich schon darüber informiert zu haben, was mir angenehm ist oder nicht.“

Die junge Dame errötete, dann huschte ein Lächeln um ihren Mund. Die Augen groß und voll aufschlagend, sagte sie offen:

„Frau Stange war so freundlich, mir einige Winke zu geben, damit ich Ihnen nicht mit Fragen lästig fallen muss, gnädige Frau.“

Das Lächeln auf Frau Claudines Gesicht erschien wieder ganz flüchtig.

„Soso, die Stange hat Ihnen diese Instruktionen gegeben.“

Die junge Dame sah bittend zu ihr hinüber.

„Es war sehr freundlich von Frau Stange. Sie sah wohl meine Sorge, dass ich Ihnen missfallen könne. Ich wäre sehr glücklich, in Ihrem Haus bleiben zu dürfen, gnädige Frau.“

„Glücklich?“, fragte Frau Steinbrecht sarkastisch. „Für eine junge Dame sieht das Glück doch wohl anders aus. Ich kann mir nicht denken, dass es Sie glücklich machen kann, die Gesellschafterin einer sehr oft recht verdrießlichen älteren Frau zu sein.“

Die junge Dame blickte sie ernst an.

„Gnädige Frau, wenn man arm und heimatlos und darauf angewiesen ist, sein Brot zu verdienen, ist es immer ein Glück, wenn man ein sicheres Unterkommen gefunden hat.“

Frau Claudine sah wie gebannt in die beseelten Mädchenaugen und konnte den Blick nicht von ihnen losreißen.

„Haben Sie Ihre Eltern schon lange verloren?“

„Meine Mutter starb, als ich erst ein paar Jahre zur Schule ging; mein Vater starb vor zwei Jahren. Er war die letzten beiden Jahre krank und konnte nichts verdienen. Das hat unsere wenigen Ersparnisse aufgezehrt. Als er starb, reichte der Ertrag aus unseren Habseligkeiten gerade aus, um sein Begräbnis zu bestreiten und mich über Wasser zu halten, bis ich die Stellung bei General Feldheim fand.“

Frau Claudine fühlte sich durch diese Worte bewegt. Armut war etwas, das sie in ihrem Leben nicht verstehen gelernt hatte. Und doch empfand sie in diesem Augenblick, welche Tragödie das Wort „arm“ umschließen konnte. Bei all ihrer großzügigen Wohltätigkeit hatte sie es nie so verstanden wie in diesem Augenblick. Zugleich aber wehrte sich etwas in ihr dagegen, dass dieses fremde junge Mädchen sie gleichsam in der ersten Stunde gefangen zu nehmen wusste. Ihre selbstherrliche Natur sträubte sich gegen solchen heimlichen Zwang. Sie lehnte sich wie gelangweilt in ihren Sessel zurück und sagte in ihrer kurzen, herrischen Art:

„Da drüben auf dem Tisch liegt ein Buch. Es würde zu Ihren Obliegenheiten gehören, mir zuweilen ein Stündchen vorzulesen – das heißt, nur wenn Ihr Organ mir sympathisch genug ist, sonst verzichte ich lieber. Wir wollen die Probe machen.“

Dabei beobachtete sie das junge Mädchen, ob sein Gesicht Empfindlichkeit verriet.

Das Fräulein erhob sich jedoch ruhig und holte das Buch. Sie setzte sich ihrer Herrin gegenüber und schlug das Buch da auf, wo sie ein Lesezeichen fand.

„Darf ich hier fortfahren, gnädige Frau?“

Frau Claudine nickte.

Die Gesellschafterin begann zu lesen. Sie hatte eine klare, warme Stimme, betonte gut und besaß eine fesselnde, interessante Vortragsweise.

Frau Claudine lauschte angenehm überrascht auf den warmen Klang des jugendfrischen Organs. Das war ein wirklicher Genuss! Sie lehnte sich in ihren Sessel zurück und ließ ihren Blick nicht von dem schönen, schlanken Mädchen, das ihr in bescheidener Haltung gegenübersaß.

Zum ersten Mal, seit Fräulein Else Grabow sich verheiratet hatte, fühlte sie sich so recht behaglich. Sie spann sich förmlich ein in dieses Behagen. Es war doch sehr angenehm, so ein schönes, junges Wesen um sich zu haben. Dr. Frensen schien diesmal einen guten Griff getan zu haben.

So viel stand schon jetzt bei ihr fest: Wenn sich nicht irgendwelche Schattenseiten im Wesen der jungen Dame herausstellen, dann würde sie sie gewiss nicht entlassen.

Hätte das neue Fräulein nur eine Ahnung gehabt von den Gedanken, die hinter der stolzen Stirn ihrer Herrin kreisten, wie froh und leicht wäre ihr ums Herz gewesen!

***

Etwa eine Stunde lang hatte sie vorgelesen, als das Buch zu Ende war. Sie schloss es langsam und schwieg noch eine Weile. Erst nach einiger Zeit fragte sie bescheiden: „Befehlen Sie neue Lektüre, gnädige Frau?“

Frau Claudine richtete sich auf. „Nein – für heute ist es genug, Sie sollen sich nicht überanstrengen“, sagte sie nicht unfreundlich.

„Oh, ich kann es gut noch länger vertragen, gnädige Frau.“

„Nein, nein, es ist genug.“

Die schönen Augen blickten bang in das stolze Frauengesicht. „Waren Sie unzufrieden, gnädige Frau? Herr Dr. Frensen sagte mir, dass Sie Gewicht auf gutes Vorlesen legen.“

Wieder huschte ein verlorenes Lächeln über Frau Claudines Gesicht.

„Sie haben einen guten Vortrag und einsympathisches Organ.“

Die Augen des Mädchens leuchteten seltsam auf.

„Ach – wie mich das freut!“

Dieses intensive Aufleuchten der Augen sah aus, als wenn Sonnenfunken drin tanzten. Frau Claudine sah zusammenzuckend in diese seltsamen Augen. Es war ihr plötzlich, als würde blitzschnell ein Vorhang von ihrem Erinnerungsvermögen zurückgeschoben. Sie wusste jetzt: die Augen, an die die des neuen Fräuleins sie erinnerten, hatten einmal eine Bedeutung für sie gehabt.

Halb versonnen sagte sie, die junge Dame nachdenklich betrachtend:

„Wie war doch Ihr Name? Ich glaube, ich habe ihn noch gar nicht gehört.“

„Ich heiße Britta Lossen, gnädige Frau“, antwortete das junge Mädchen.

Als habe plötzlich der Blitz vor ihr in die Erde geschlagen, so zuckte Frau Steinbrecht in jähem Erschrecken zusammen. Starr und doch voll wilden Lebens blickten ihre Augen in die Britta Lossens, und ihre Hände umklammerten die Armlehnen ihres Sessels, als brauche sie einen Halt.

„Was – was ist das für ein Name?“, stieß sie heiser hervor.

Das junge Mädchen blickte betroffen in das seltsam veränderte Gesicht.

„Brigitta, gnädige Frau, der Abkürzung halber wurde ich Britta gerufen – Britta Lossen“, sagte sie in der Annahme, Frau Steinbrecht habe ihren Vornamen nicht verstanden.

Frau Claudine erhob sich und stand hoch aufgerichtet da, wie zu Stein erstarrt. Mit zitternden Lippen murmelte sie:

„Lossen? Ich höre doch recht Lossen heißen Sie?“

„Ja, gnädige Frau“, erwiderte Britta.

Frau Steinbrecht zwang sich mit Aufbietung aller Willenskraft zur Ruhe und strich sich mit zitternder Hand über die Stirn.

„Mir – mir ist – nicht wohl – ein leichter Schwindel“, stieß sie hervor und sank wieder in den Sessel zurück.

Britta eilte an den Tisch und füllte ein Wasserglas. Das hielt sie besorgt ihrer Herrin an die Lippen und sagte voll warmen Mitleids:

„Kann ich helfen, gnädige Frau? Vielleicht ein Schluck Wasser? Oder darf ich Ihnen die Schläfen damit kühlen?“

Frau Claudine wehrte matt.

„Dann will ich lieber Frau Stange rufen – ich weiß ja nicht, wie ich Ihnen helfen kann.“

Frau Steinbrecht richtete sich aber schon wieder, wenn auch mit Anstrengung, empor.

„Nein, nein – lassen Sie – ich danke, es ist schon vorüber. Also was war es doch? Ah, richtig, Ihr Name – davon sprachen wir. Nicht wahr – Lossen – ich hatte recht gehört?“

„Ja, gnädige Frau, Britta Lossen.“

„Und – und – Ihr Vater – was war doch Ihr Vater?“, fragte Frau Claudine mit einem rätselhaften Blick.

„Mein Vater war Maler, gnädige Frau. Vielleicht haben Sie einmal von ihm gehört – Heinz Lossen, Landschaftsmaler.“

Da wurde Frau Claudines Gesicht so fahl wie das einer Sterbenden.

„Gehen Sie – verlassen Sie mich – ich will – ganz allein will ich sein!“, keuchte sie mühsam, und ein heiseres Stöhnen folgte ihren Worten.

Britta beugte sich über sie. „Gnädige Frau!“

„Hinaus – allein sein!“

Wie ein Schrei brachen sich diese Worte in leidenschaftlicher Heftigkeit Bahn über die blassen, schmerzverzogenen Lippen, und aus den schwarzen Augen loderte es wie ein Feuerbrand.

Entsetzt floh Britta aus dem Zimmer.

***

Frau Claudine hatte lange wie erstarrt auf dem Diwan gelegen. Nun richtete sie sich empor, strich das Haar aus der Stirn und sah mit großen, brennenden Augen, in denen ungeweinte Tränen lagen, vor sich hin.

Das also war’s? Seine Tochter!

Die Tochter des Mannes, den sie einst mit der ganzen Leidenschaft ihres stolzen Herzens geliebt hatte – geliebt so grenzenlos und glühend, dass sie sich nicht mit dem begnügen konnte, was er ihr bot. Mehr und mehr hatte sie von ihm verlangt, eifersüchtig war sie gewesen auf alles, was in ihm war sogar auf seine Kunst, seine Arbeit. Und nun waren es seine Augen, die sie aus dem Antlitz seiner Tochter ansahen! Seine Augen, die golden aufstrahlenden Künstleraugen, die eine Welt von Wonne und Seligkeit für sie gewesen waren – und die sich dann im Zorn und Schmerz von ihr gewandt hatten – für immer.

Er war tot – tot seit zwei Jahren schon, so hatte seine Tochter gesagt. Und sie hatte es nicht gewusst, nicht geahnt. So ausgelöscht war sie aus seinem Leben gewesen, dass nicht einmal die Kunde von seinem Tod zu ihr gedrungen war.

Hätte bei seinem letzten Herzschlag nicht auch das ihre aufhören müssen, sich zu regen? So groß und stark war, trotz allem, ihre Liebe auch jetzt noch gewesen, dass es ihr unmöglich erschien, dass sie seinen Tod nicht gespürt hatte.

Freilich, sie waren getrennt gewesen – ein Vierteljahrhundert getrennt.

Als armer, unbedeutender Maler war Heinz Lossen in das Haus ihres Vaters gekommen, um im Treppenhaus das große Wandgemälde anzubringen. Dabei hatte sie ihm zu tief in die leuchtenden Künstleraugen geblickt und ihr Herz an ihn verloren. Bis dahin hatte ihr das Schicksal nie etwas versagt, und so ertrotzte sie sich auch den Mann, den sie liebte.

Heinz Lossen vergaß nicht, dass er ein armer Schlucker war und sie eine reiche Erbin. Er wäre wieder gegangen, ohne die Hand nach ihrem Besitz auszustrecken. Und weil sie das wusste und ihn nicht lassen wollte, verriet sie ihm selbst, dass sie ihn liebte und zwang ihn so zum entscheidenden Wort.

Daran krankten später, als der erste Glücksrausch vorüber war, ihr Stolz und ihre Liebe.

Es gab Stunden, in denen sie sich in wilder Qual einredete, er habe sie nur ihres Geldes wegen und aus Mitleid mit ihrer Liebe geheiratet. Nur solange er bei ihr war und sie in seine zärtlichen, leuchtenden Augen blickten konnte, war sie glücklich. Zog er sich in sein Atelier zurück, um zu arbeiten, dann folgte sie ihm und gab nicht eher Ruhe, bis er den Pinsel fortwarf und sie in seine Arme nahm. Als er aber ernstlich in sie drang, ihm Zeit und Ruhe zur Arbeit zu lassen, da wurde sie so heftig, dass er sie erschrocken anblickte und sich still in sich selbst zurückzog. Dann warf sie ihm eines Tages in maßloser Heftigkeit vor, dass er sie nicht liebe und nur ihr Geld begehrt habe.

Da war er sehr bleich geworden und hatte sich von ihr gewandt. Reuevoll warf sie sich in seine Arme und bat um Verzeihung. Da konnte er nicht mehr zürnen. Er beteuerte ihr seine Liebe und bat sie dringend, nie wieder so hässliche Worte zu sagen. Sie versprach alles und war in seinen Armen glückselig – bis eine Kleinigkeit ihren Verdacht wieder weckte. Dann gab es eine neue Szene, neue Tränen und Versöhnung.

So ging es monatelang zwischen Glückseligkeit und Verzweiflung hin und her.

Und wieder kam ein Tag, an dem ihre Leidenschaft mit ihr durchging – und wieder traf ihn der alte Vorwurf. „Mitgiftjäger“ tönte es ihm entgegen.

Mit todblassem Gesicht hatte er sich von ihr gewandt und war gegangen – um nie wiederzukehren.

Wie versteinert hatte sie ihm nachgeblickt. Die ganze Nacht wartete sie auf ihn und irrte ruhelos im Haus umher. Vergeblich – er war wirklich für immer gegangen. Durch ihren Rechtsanwalt ließ er ihr später seinen Aufenthaltsort mitteilen.

Das hielt sie für ein Einlenken, und sofort belebte sich ihre Hoffnung – aber zugleich auch ihr Trotz. Ihr Stolz wollte es nicht zugeben, dass sie ihn anflehte, zu ihr zurückzukehren.

„Ein zweites Mal werfe ich mich ihm nicht an den Hals, so wie damals, ehe ich seine Braut wurde“, dachte sie. Die Röte der Scham schoss ihr in das bleiche Gesicht, wenn sie daran dachte, dass sie damals zu ihm gesagt hatte: „Wenn Sie fortgehen von hier, dann werde ich sehr, sehr unglücklich sein.“

So spann sie sich weiter ein in den Trotz, der ihr Herz nicht sprechen ließ – und wartete, dass ihr Reichtum ihn zu ihr zurückführen sollte.

Aber diesem Mann gegenüber erwies sich die Macht des Reichtums nicht wirksam.

Schließlich versuchte Claudine ein letztes Mittel. Sie reichte die Scheidung ein. Wenn er sah, dass sie Ernst machte, dann würde er sich gewiss besinnen – so dachte sie.

Aber er willigte in die Scheidung.

Was ihn das gekostet hatte, ahnte Claudine nicht. Sie wusste nicht, dass er seiner Selbstachtung dieses Opfer abrang.

So lebten sie fern voneinander, sich einer in der Sehnsucht nach dem anderen verzehrend. Die Ehe wurde getrennt – die Ehe zwischen zwei Menschen, die einander liebten und doch nicht mehr zusammenfinden konnten.

Dass Heinz Lossen gleich nach der Scheidung schwer krank geworden war, erfuhr Claudine nicht. Nachdem er von dieser Krankheit genesen war, verheiratete er sich zum zweiten Mal – mit einer Jugendfreundin, die sein Bild lange schon im Herzen getragen hatte und die glücklich war, sein bescheidenes Los mit ihm teilen zu dürfen.

Claudine erfuhr von dieser Eheschließung durch einen Zufall. Und da erst erstarb ein letztes, heimliches Hoffen in ihr. Dieser Schlag warf sie zu Boden. Als sie wieder klar denken konnte, legte sie seinen Namen ab und wurde die kalte, verbitterte, launenhafte Claudine Steinbrecht.

Sie wusste ja nicht, dass Heinz Lossen diese zweite Ehe eingegangen war, um gewissermaßen einen Damm vor seine eigene Schwäche zu stellen. Denn sein Herz gehörte noch immer der stolzen, eigenwilligen Claudine, und er fürchtete, eines Tages der Sehnsucht nach ihr zu erliegen. Deshalb kettete er sein Schicksal an das seiner Jugendfreundin, die ihm mehr eine Freundin war als eine Geliebte.

Claudines Vater hatte sein abgöttisch geliebtes Kind in allen Stücken gewähren lassen; er hoffte, mit der Zeit würde die Wunde vernarben und Claudine werde mit einem anderen Mann ein ruhiges Glück finden.

Aber ihr Herz lag wie ein Stein in ihrer Brust, und obwohl sich noch mancher um die schöne, reiche Frau bewarb, blieb sie frei.

Bei allem Glanz und Reichtum führte sie aber ein elendes Leben. In schlaflosen Nächten suchten ihre Gedanken den Einen, Einzigen, dem sich ihr stolzes Herz ergeben hatte. Und dann versenkte sie sich in die Erinnerung an jene Tage, da sie so unsagbar glücklich gewesen war. Nun, da es zu spät war, brannte die Reue in ihrem Herzen.

Nur wenig hatte sie von ihm gehört. Dass er mit seiner zweiten Frau in sehr bescheidenen Verhältnissen lebte, brachte sie in Erfahrung. Auch dass er fleißig malte und seine Bilder zum Kunsthändler schickte, aber selten eines verkaufte, hatte sie erfahren. Sein Leben war nur noch ein aufreibender Kampf um das tägliche Brot.

Und da reifte in Claudine ein Plan, der sie mit einer Art heimlichen Triumphs erfüllte. Ohne sein Wissen wollte sie teilhaben an seinem Leben. Sie fing an, eifrig mit dem Kunsthändler zu korrespondieren, bei dem Heinz Lossen seine Bilder zum Verkauf ausstellte. In der Folge trafen in regelmäßigen Zwischenpausen große Bilderkisten ein, nachdem Claudine vorher jedes Mal eine Summe Geld an den Kunsthändler geschickt hatte.

Heinz Lossen aber freute sich, dass seine Bilder plötzlich Absatz fanden und anständige Preise erzielten. Auf seine Frage nach den Käufern teilte ihm der Kunsthändler mit, die Bilder gingen alle nach Amerika.

Droben aber in der Villa Claudine, in dem ehemaligen Atelier Heinz Lossens, wurden seine Bilder aufgehängt, eins nach dem anderen. Und Heinz Lossen freute sich, dass er vom Ertrag seiner Arbeit anständig mit seiner Familie leben und seiner einzigen Tochter eine gute Erziehung angedeihen lassen konnte.

Claudines Leben hatte nun wieder einen Inhalt bekommen, der sie mit Befriedigung erfüllte. Mit den Jahren wurde sie ruhiger aber sie war glücklos geblieben.

Seit einigen Jahren waren nun keine Bilder mehr im Atelier der Villa Claudine aufgehängt worden. Der Kunsthändler hatte sein Geschäft aufgegeben und sich zur Ruhe gesetzt. Claudine hatte nun einen anderen Kunsthändler beauftragt, Bilder für sie zu kaufen. Aber von dem Maler, dessen Bilder sie kaufen wollte, waren keine mehr aufzutreiben gewesen. Claudine hatte angenommen, dass andere Käufer ihr zuvorgekommen seien. Von niemandem erfuhr sie, dass die Hand, die all die Bilder droben in Villa Claudine gemalt hatte, im Tod erstarrt war.

Nun wusste sie es. Nun war plötzlich dieses Mädchen in ihr Haus gekommen, hatte sie angesehen mit den Augen des Vaters und hatte alles wieder wachgerüttelt, was in endlosen, jammervollen Jahren mühevoll zur Ruhe gebracht worden war.

Von neuem erwachte die Qual über ihr verlorenes, verfehltes Leben. Aber zugleich auch die Erinnerung an die Tage unaussprechlichen Glücks. Und diese Erinnerung leuchtete plötzlich so hell und warm in ihr Herz hinein, dass davon ein goldener Schimmer über ihre Tage fiel.

Trotzig wollte sie diesen goldenen Schimmer verscheuchen, weil er ihre müden, brennenden Augen blendete.

„Sie darf nicht bleiben – sie muss wieder fort – ich ertrage ihren Anblick nicht“, sagte sie, wie aus tiefen Gedanken heraus, halblaut vor sich hin.

Und wieder saß sie reglos und starrte vor sich hin. Aber es war seltsam – je weiter die Stunden rannen, desto unruhiger wurde sie. Und diese Unruhe gipfelte schließlich in dem heimlichen Verlangen, noch einmal in die goldschimmernden Augen Britta Lossens zu sehen und in diesen Augen den verlorenen Geliebten wiederzufinden.

Britta Lossen war längst mit dem Auspacken ihrer Sachen fertig geworden. Die Dämmerung brach herein, und niemand verlangte nach ihren Diensten. Sie seufzte tief auf und trat ans Fenster. Vor ihr lag der wundervolle Park, und droben auf dem Berg schimmerte das Dach der Villa zwischen den Bäumen hervor. Verloren hing ihr Blick daran, ahnungslos, welche Rolle diese Villa im Leben ihres Vaters gespielt hatte. Wohl wusste sie, dass ihr Vater vor ihrer Mutter eine andere Frau gehabt hatte, aber nie hatte sie Näheres darüber gehört. Nur kurz vor seinem Tod hatte der Vater einmal mit ihr darüber gesprochen, und da hatte er ihr gesagt: „Kind, einmal im Leben bin ich unaussprechlich glücklich gewesen, und um diese Stunden habe ich das ganze übrige Leben ertragen.“

Sie hatte ihn gefragt: „Darf ich nicht mehr davon wissen, Vater?“ Aber der Vater hatte den Kopf geschüttelt. „Nein, meine Britta, sprechen kann ich nicht davon. Ich bin ein müder, alter Mann geworden, und es stünde mir schlecht an, wollte ich dir vergangene Tage heraufbeschwören. Aber wenn ich einmal nicht mehr bin, dann findest du in meinem Schreibtisch ein kleines Buch mit Aufzeichnungen. Sie sind an jene Frau gerichtet, die ich liebte.“

Nach seinem Tod hatte sie dieses Büchlein gefunden und darin gelesen. An eine Unbekannte waren seine Worte gerichtet, und neben zärtlichen Schmeichelworten hatte er sie nur immer mit dem Namen „Dina“ genannt.

Noch auf seinem Sterbebett hatte er gesagt: „Nun ist alles, alles gut, meine Dina – du und ich – dein Herz ist bei mir gewesen, wie meines bei dir – ich weißes.“

Das waren seine letzten Worte gewesen. Und um sie nicht zu vergessen, hatte Britta diese Worte mit fester Hand unter des Vaters Aufzeichnungen gesetzt, als seien sie der Abschluss dessen, was er niederschrieb.

***

Die Sonne war bereits untergegangen, und graue Dämmerungsschatten krochen aus allen Winkeln hervor, als Frau Stange zu der Einsamen ins Zimmer trat und ihr sagte, die gnädige Frau erwarte sie zum Abendessen.

Britta seufzte.

„Mir scheint, ich soll hier nichts anderes zu tun finden, als an den Mahlzeiten der gnädigen Frau teilzunehmen“, sagte sie mit einem matten Lächeln.

Frau Stange antwortete nicht. Sie hatte ihre Herrin nach dem Speisezimmer hinuntergehen sehen. Und es war ihr aufgefallen, dass sie sehr bleich und abgespannt aussah. Ihre Augen hatten wie im Fieber geglüht, und die Lippen waren fest aufeinander gepresst gewesen.

„Das Fräulein soll zum Essen kommen“, hatte sie kurz befohlen. Frau Claudine hatte sich vorgenommen, gleich diesen Abend noch Fräulein Lossen zu sagen, dass ihres Bleibens in ihrem Haus nicht sei. Als ihr das junge Mädchen aber gegenübersaß und sie so bang und flehend ansah, wollten ihr die harten Worte nicht über die Lippen.

Schweigend ließ sie sich von ihr bedienen und zwang einige Bissen hinunter. Dabei musste sie immer wieder, einem heimlichen Zwang gehorchend, in das blasse junge Gesicht sehen. Und sie suchte darin die Züge des verlorenen Gatten.

Britta hatte viel Ähnlichkeit mit dem Vater. Nicht nur die Augen erinnerten an ihn, auch die Haltung des Kopfes, das charakteristische Zusammenziehen der Stirn da, wo die Augen nur durch den schmalen, feinen Nasenrücken getrennt waren. Das bildete jedes Mal ein ganz eigenartiges Faltendreieck, das dem Gesicht etwas Schmerzliches gab. Ach, wie oft hatte Frau Claudine dieses sonderbare kleine Dreieck auf der Stirn ihres Gatten geküsst, wenn er ihr zürnte. Immer war es ein Zeichen gewesen, dass er versöhnt war, wenn dieses Dreieck endlich unter ihren Küssen verschwand.

Sie sah es heute Abend zum ersten Mal auf Brittas Stirn. Hier war es nur in zarten Linien angedeutet und nicht so scharf wie auf der Mannesstirn, aber es war genau dasselbe Zeichen.

Das schnürte Frau Claudine die Kehle zusammen, und die Worte, die Britta aus ihrem Haus weisen sollten, kamen nicht über ihre Lippen. Stattdessen fragte sie plötzlich: „Sie haben Ihre Mutter früh verloren?“

Britta schrak zusammen. Sie hatte eben gedacht: „Lieber Gott, dieses Schweigen ist fürchterlich.“

Nun atmete sie auf.

„Ja, gnädige Frau, als ich sechs Jahre alt war.“

„Seitdem lebten Sie mit Ihrem Vater allein?“

„So ist es, gnädige Frau.“

Frau Claudine schwieg eine Weile, dann sagte sie zögernd:

„Mir ist, als hätte ich den Namen Ihres Vaters schon gehört – oder vielleicht auf einem Bild gesehen.“ Britta blickte von ihrem Teller auf.

„Das kann wohl möglich sein, obwohl meines Vaters Bilder fast alle nach Amerika verkauft wurden.“

„Nach Amerika verkaufte Ihr Vater seine Bilder? Warum?“

Britta lächelte.

„Er hatte erst so wenig Glück mit seinen Bildern, in Deutschland wollte sie niemand kaufen, und die Not bei uns war groß. Aber da verkaufte der Kunsthändler eines Tages eine Herbstlandschaft an einen reichen Amerikaner. Und von da an wurden alle seine Bilder jenseits des Ozeans verlangt. Sobald ein Bild fertig war, wurde es auch verkauft. Es war uns wie ein Wunder!“

„Soso. Und – und hat sich Ihr Vater darüber gefreut?“

„O ja, er war sehr glücklich darüber. Er konnte doch nun seiner Familie ein sorgenloses, wenn auch bescheidenes Leben bereiten.“

„Warum bescheiden? Wurden denn die Bilder nicht gut bezahlt?“

Britta seufzte.

„Vater dachte sehr bescheiden über seine Kunst – er behauptete, seine Bilder seien nicht so viel wert, wie er dafür bezahlt bekam. Er litt unter der Einbildung, seiner Kunst fehle die Seele. Ich weiß nicht, ob es so war, aber es mag wohl sein, dass ihm eine herbe Enttäuschung seines Lebens die Schwingen gelähmt hatte.“

Frau Claudine wischte sich über die Stirn, als wolle sie einen quälenden Gedanken fortscheuchen. Sie wollte nicht daran denken, dass sie selbst schuld gewesen war, dass Heinz Lossens Schwingen gelähmt wurden. Zugleich stieg plötzlich ein Verdacht in ihr auf. Wusste dieses Mädchen vielleicht, bei wem sie sich befand? Hatte sie etwa mit Absicht dahin gewirkt, in ihr Haus zu kommen?

„Hat sich Ihr Vater nicht wieder verheiratet, als Ihre Mutter so früh starb?“, fragte sie.

Britta schüttelte den Kopf.

„Nein, gnädige Frau, das lag meinem Vater fern.“

„Gewiss hat er Ihre Mutter sehr geliebt?“, fragte Claudine Steinbrecht, und ihr Blick bohrte sich fast angstvoll in das Gesicht Brittas.

Die junge Dame zögerte eine Weile. Es widerstrebte ihr, von dem Verhältnis ihrer Eltern zu sprechen. Aber sie wollte ihre Herrin durch eine Verweigerung der Antwort nicht erzürnen.

„Meine Eltern lebten in einem mehr freundschaftlichen Verhältnis zueinander. Mutter war eine Jugendfreundin meines Vaters und wurde erst seine Frau, nachdem er in seiner ersten Ehe bittere Enttäuschungen erlebt hatte. Die Erinnerung daran hat sein ganzes Leben getrübt.“

Frau Claudine lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Mit tonloser Stimme fragte sie weiter: „Ah so – er war das erste Mal unglücklich verheiratet gewesen?“

„Das nicht, gnädige Frau, er war im Gegenteil sehr glücklich und hat seine erste Frau sehr geliebt. Nur wie er sie verlor, das hat ihn geschmerzt – bis zu seinem Ende.“

Frau Claudine krampfte die Hände in wilder Qual zusammen. Sie hätte aufschreien mögen und ließ doch keinen Laut über die erblassten Lippen kommen. Aber sie sah so elend und verfallen aus, dass Britta sie bestürzt betrachtete.

„Gnädige Frau, Sie sind noch immer leidend, kann ich Ihnen denn gar nicht helfen – gar nichts zu Liebe tun?“, fragte sie mitleidig.

„Zu Liebe tun?“ Diese Worte drangen der verbitterten Frau zum Herzen. Heinz Lossens Tochter wollte ihr etwas zu Liebe tun? Wie seltsam das war, wie warm ihr das Blut plötzlich zum Herzen strömte! Aber sie war zu sehr gewöhnt, sich stolz zu verschließen. Die Augen groß aufschlagend, richtete sie sich mit einem Ruck empor und sagte in ihrer alten, schroffen Art:

„Achten Sie nicht darauf, es geht vorüber, und ich liebe es nicht, dass man davon spricht! Lassen Sie uns ruhig weiter plaudern, das – das lenkt mich ab. Wovon sprachen wir doch? Ach so, von Ihres Vaters erster Frau und wie er sie verlor. Woher wissen Sie, dass ihn das bis zu seinem Ende schmerzte?“

Britta war es sehr unangenehm, dass ihre intimsten Familienverhältnisse den Gesprächsstoff bildeten, und sie wusste doch nicht, wie sie davon ablenken sollte.

„Ich weiß es aus meines Vaters Aufzeichnungen, die er hinterließ.“

Frau Claudines Augen wurden groß, und fast vergehend dachte sie: „Mein halbes Vermögen gäbe ich hin für diese Aufzeichnungen.“

Dann sagte sie wieder scheinbar ruhig:

„Ihr Vater verlor seine erste Frau auch durch den Tod, nicht wahr?“

„Nein, gnädige Frau. Früher hatte ich das auch geglaubt. Aber später erfuhr ich, dass die erste Ehe meines Vaters geschieden worden war.“

„Geschieden, so – also geschieden?“, wiederholte Frau Claudine mechanisch. „Also lebt diese erste Frau noch?“, fragte sie dann, den Blick scharf auf Britta richtend.

„Das weiß ich nicht“, antwortete die junge Dame offen.

„Das wissen Sie nicht? Haben Sie ihr denn nicht wenigstens den Tod Ihres Vaters angezeigt?“ „Nein, das konnte ich nicht, da ich nichts von ihr weiß, nicht einmal ihren Aufenthalt kenne. Vielleicht hat sie sich auch wieder verheiratet oder sie ist längst gestorben. Das alles ist ja so lange her.“

„Und in den Aufzeichnungen Ihres Vaters, die Sie doch sicher noch besitzen, findet sich kein Anhalt darüber?“

„Ich besitze sie noch und habe sie gelesen. Aber einen Anhalt über ihre Person fand ich nicht darin.“

„Nun, doch wohl wenigstens ihren Mädchennamen oder den der Stadt, wo sie gelebt hat?“, forschte Frau Claudine fast atemlos.

Britta sah sie befremdet an und dachte bei sich: „Was sich so eine reiche Frau alles erlauben darf! Wenn ich sie über ihre Familienverhältnisse so unzart ausforschen wollte – was sie da wohl sagen würde?“

Unwillkürlich erschien ein abwehrender Ausdruck in dem jungen Gesicht, und das Faltendreieck auf der Stirn begann sich zu zeigen.

„Nichts dergleichen ist in den Aufzeichnungen zu finden, gnädige Frau. Nur ein einziger Name, sicher die Abkürzung des Taufnamens jener Frau, kehrt immer wieder.“

Frau Claudine umklammerte die Lehne ihres Sessels.

„Was ist das für ein Name?“, stieß sie unbedacht hervor.

Da richtete sich Britta plötzlich zu ihrer vollen Höhe empor, und das Faltendreieck auf ihrer Stirn vertiefte sich. Tief empört war sie im Innern über die indiskrete, neugierige Frau.

„Verzeihung, gnädige Frau, aber ich möchte nicht zu einer Fremden davon sprechen, was meinen Vater bis zu seiner letzten Stunde bewegt hat. Mit diesem Namen auf den Lippen ist mein Vater gestorben ich mag ihn nicht entweihen. Und wenn es Ihnen recht ist, so – so bitte ich, von etwas anderem zu sprechen.“

Diese Worte flogen Britta in der Erregung ziemlich schroff von den Lippen. Nun da sie aber heraus waren, erschrak sie über sich selbst.

Frau Claudine hatte sich plötzlich erhoben. Am liebsten wäre sie auf das junge Mädchen zugeeilt und hätte das zornige kleine Dreieck geküsst. Ach, dieses junge Kind hatte ihr eben ein Geschenk gemacht – ein fürstliches Geschenk. Sie hatte ihr die Gewissheit gebracht, dass Heinz Lossen sie geliebt hatte bis zu seinem Ende und dass er mit ihrem Namen auf den Lippen entschlummert war. Nichts auf der Welt hätte sie jetzt reicher und glücklicher machen können. Und weil es in ihr stürmte und tobte und sie sich nicht verraten wollte, drehte sie sich kurz um und verließ ohne ein Wort das Zimmer, nur von dem Wunsch beseelt, allein zu sein und diese Botschaft in sich ausklingen zu lassen. Sie ahnte nicht, in welchem Zustand sie Britta zurückließ.

Die junge Dame starrte fassungslos auf die Tür, hinter der ihre Herrin verschwunden war. Jetzt erst kam es ihr zum Bewusstsein, dass sie Frau Steinbrecht eine schroffe Zurechtweisung erteilt hatte.

„So“, sagte sie halblaut und fassungslos vor sich hin, „das hast du gut gemacht, Britta Lossen. Jetzt kannst du nur schnell dein Bündel wieder schnüren.“

***

Eine ganze Weile saß sie regungslos und tief bekümmert an der reich besetzten Tafel.

Warum war sie nur so unklug und so schroff gewesen? Warum hatte sie nicht diesen Namen preisgegeben? „Dina“ – das konnte eine Abkürzung von vielen Namen sein. Was lag daran, ob sie ihn aussprach oder nicht? Hatte sie auf die neugierigen Fragen schon so viel von ihren Familienverhältnissen preisgeben müssen, so kam es schließlich auf den Namen auch nicht mehr an.

Langsam erhob sich Britta und sah ratlos vor sich hin. Was sollte sie nun tun? Oder hier ausharren in dem prachtvollen Speisezimmer, bis eine mitleidige Seele erschien und ihr sagte, was sie tun und lassen sollte?

Zögernd schritt sie ans Fenster. Das klare Mondlicht lag über dem Park. Welch ein schönes, friedliches Bild! Wie gut musste es sich leben lassen in diesem reichen Haus, in dem jedes Möbel so vornehm seinen Platz behauptete.

Dann öffnete sich endlich die Tür, und Frau Stange trat ein.

Britta sah ihr beklommen entgegen, und es war ihr wie eine Erlösung, als die alte Frau ihr freundlich zulächelte.

„Nun, Fräuleinchen, für heute Abend gehen Sie ruhig in Ihr Zimmer. Die gnädige Frau braucht Sie heute nicht mehr. Sie ist schon zur Ruhe gegangen, sie scheint sich nicht recht wohl zu fühlen.“

Britta seufzte tief auf.

„Also ich bin ganz überflüssig hier“, sagte sie verzagt.

„Nun, warum denn so betrübt? Es ging ja doch alles ganz gut.“

Britta schüttelte den Kopf.

„Gar nicht gut ist’s gegangen, Frau Stange. Ich hatte das Unglück, der gnädigen Frau zu missfallen. Sie hat sich, sehr unzufrieden mit mir, entfernt.“

Frau Stange setzte die silberne Obstschale auf das mächtige Büfett und wandte sich dem jungen Mädchen wieder zu.

„I wo, Fräuleinchen, das bilden Sie sich wohl ein. Da kenne ich meine gnädige Frau besser. Eben habe ich doch mit ihr gesprochen und ich weiß, was ich weiß!“

Britta fasste bittend nach der rundlichen Hand der alten Frau.

„Glauben Sie wirklich, dass sie mir nicht böse ist? Bitte, sagen Sie es mir ganz offen! Ich weiß, dass ich sie durch eine vorschnelle Antwort verletzt habe.“

Frau Stange schüttelte energisch den Kopf und sah verwundert lächelnd in das blasse Mädchengesicht, das ihr gar so gut gefiel.

„Das bilden Sie sich gewiss nur ein. Die gnädige Frau hat doch eben noch zu mir gesagt: Stange, sorge dafür, dass es das Fräulein behaglich hat. Ich wünsche, dass sie sich hier wohl fühlt.“

Britta drückte ihr mit aufleuchtenden Augen fest die Hand. „Wirklich – hat sie das wirklich gesagt?“

„Na ja doch, wenn ich’s doch sage! Und wenn die gnädige Frau so zu mir spricht, dann weiß ich, was das zu bedeuten hat. Sie redet so etwas nicht bloß hin. Ich bin überzeugt, dass Sie bei uns bleiben.“

Britta drückte ihre Hand, ans Herz.

„Ach, wenn Sie Recht hätten – ich wäre ja so von Herzen froh. Es ist so schrecklich, wenn man wieder weiter wandern muss.“

Die alte Frau nickte gutmütig. „Ja ja, das ist gewiss bös. Aber unsere gnädige Frau ist nicht halb so schlimm, wie es sich manchmal stellt. Das werden Sie bald selbst herausfinden. Na, nun gehen Sie heute zeitig schlafen! Wenn morgen Früh die Sonne scheint, dann machen Sie einen Spaziergang durch den Park. Vor neun Uhr braucht die gnädige Frau Sie nicht. Um neun Uhr nimmt sie ihr Frühstück ein, dabei müssen Sie ihr Gesellschaft leisten. Sie können aber schon um sieben Uhr ein Tässchen Kaffee mit mir trinken, sonst halten Sie es nicht so lange aus.“

Brittas Herz öffnete sich wieder der Hoffnung. Sogar ein Lächeln flog über ihr Gesicht. Frau Stanges zuversichtliche Worte machten ihr Mut.

Etwas weniger verzagt suchte sie ihr Zimmer auf.

Am nächsten Morgen schien die Sonne so hell in Brittas hübsches Zimmer, dass die Schläferin davon aufwachte. Verwundert sah sie sich um. Dann erhob sie sich und kleidete sich an. Ein Blick auf ihre Uhr zeigte ihr, dass sie sich beeilen musste, wenn sie um sieben Uhr mit Frau Stange Kaffee trinken wollte.

Die alte Frau erwartete sie schon in einem behaglichen Zimmerchen neben der Küche, in dem sie ihre Haushaltungsgeschäfte zu erledigen pflegte.

Britta wollte sich durchaus nicht spazieren schicken lassen.

„Gibt es denn gar nichts hier für mich zu tun, Frau Stange? Ich bin von meiner früheren Stellung her gewöhnt, von früh bis spät ununterbrochen tätig zu sein. Es erscheint mir beinahe sündhaft, schon am frühen Morgen spazieren zu gehen.“

„Hier im Haus können Sie nichts helfen; es sind Dienstboten genug da, die bequem mit ihrer Arbeit fertig werden. Gehen Sie nur! Nur pünktlich um neun Uhr zurück sein.“

Mit diesen Worten trieb Frau Stange das junge Mädchen förmlich aus dem Haus.

Britta durchstreifte mit großem Wohlgefühl den herrlichen Park. Ganz feierlich und andächtig wurde ihr zumute unter den wundervollen alten Buchen.

Zuweilen blieb sie stehen und atmete die würzige Luft tief ein. Ihre Blicke schweiften rings umher.

„Schön! Schön!“, sagte sie ganz laut und feierlich vor sich hin.

Welch herrlicher Besitz! Wie reich musste ihre Herrin sein! Schon die Pflege dieses Parks musste ein Vermögen kosten.

Als sie den Park durchstreift hatte, schritt sie bergaufwärts. Je höher sie stieg, desto schöner wurde die Aussicht. Ganz oben angelangt, betrat sie einen Pavillon. Von da aus hatte man einen herrlichen Ausblick über die Stadt und das ganze Tal.

Ach lieber Gott – wie schön war es hier oben! Musste man nicht allerlei Unbill von der neuen Herrin ertragen, wenn man nur hier bleiben durfte?

Ganz heiß durchdrang Britta der Wunsch. Und sie gelobte sich, dass sie sich in Zukunft ganz fest im Zügel halten wollte. Mochte Frau Steinbrecht auch noch so launenhaft sein, sie wollte es geduldig ertragen. Gleich nachher, wenn sie zu ihr befohlen wurde, wollte sie um Verzeihung bitten wegen ihres vorschnellen Worts von gestern Abend. Vielleicht gelang es ihr, sie zu versöhnen.

Endlich verließ Britta den Pavillon. Sie ging oben einen mit Linden bewachsenen Weg entlang, bis sie auf einen freien Platz kam. Da sah sie die Villa Claudine vor sich liegen. Das reizende Gebäude lag wie verträumt mitten im Grünen, die Jalousien waren alle geschlossen.