Hedwig Courths-Mahler Collection 3 - Sammelband - Hedwig Courths-Mahler - E-Book

Hedwig Courths-Mahler Collection 3 - Sammelband E-Book

Hedwig Courths-Mahler

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Beschreibung

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Hedwig Courths-Mahlers "Märchen für Erwachsene", wie sie ihre Romane selbst nannte, sind ebenso zeitlose Klassiker wie die Themen, die sie behandeln: die Liebe, ihre Gefährdung und deren Überwindung, die Verwirrung der Gefühle und der Weg zum Glück. Seit über 100 Jahren verzaubert sie ihre Leserinnen und Leser mit ihren wundervollen Geschichten immer wieder neu, und mit einer Gesamtauflage von über 80 Millionen Exemplaren gilt Hedwig Courths-Mahler heute als DIE Königin der Liebesromane.


Dieser dritte Sammelband enthält die Folgen 7 - 9:

GIB MICH FREI

Für Lisa Limbach hängt der Himmel voller Geigen. Sie, die doch so scheu und unscheinbar ist, soll die Frau des stattlichen Barons Ronald von Stolle-Hechingen werden! Selbst am Hochzeitstag kann Lisa ihr Glück kaum fassen. Doch als sie sich nach der Trauung ein wenig frischmachen will, belauscht sie ungewollt ein Gespräch zwischen Ronald und einem Freund. Dabei erfährt die junge Frau, dass ihr Mann sie nur des Geldes wegen geheiratet hat und in Wahrheit eine andere liebt. "Herrgott im Himmel, wäre ich doch frei!", ruft Ronald verzweifelt.

Für Lisa bricht eine Welt zusammen. Fluchtartig verlässt sie die Hochzeitsfeier, um all dem Leid zu entfliehen und ihrem Gemahl das ersehnte freie Leben zu ermöglichen ...

SEINE FRAU

Mariannes Sehnsucht nach Reichtum und einem behaglichen Leben führte einst dazu, dass sie Kurt Limbachs Frau wurde. Doch Liebe empfindet sie für ihren gutmütigen Gatten nicht. Ihr Herz gehört immer noch Hans von Reßdorf, den sie einst wegen seiner Armut schmachvoll abgewiesen hat. Damals hat Hans Hals über Kopf seine Heimat verlassen und ist in die weite Welt gezogen. Doch nun ist er zurückgekehrt, und wieder beginnt Marianne ihr kokettes Spiel. Hans soll sie lieben und ihr die Langeweile des Ehealltags vertreiben. Doch wird Reßdorf dem Zauber der schönen Frau verfallen?

ICH HAB' SOVIEL UM DICH GEWEINT

"Sei gut und großherzig, Gonda, und gib mir meine Freiheit wieder!", bat Bernd Ralfner seine Frau. Gonda saß da wie gelähmt. Diese Worte trafen sie wie ein Todesurteil. Irgendwie brachte die junge Frau es fertig, mit versteinertem Gesicht dazusitzen, während alles in ihr in einem wilden Aufruhr war. So war Gonda eben: still, ruhig und zurückhaltend. Bernd aber hielt das für Kälte und Gleichgültigkeit.

Sah er nicht die abgrundtiefe Verzweiflung in Gondas Augen?


Über 240 Seiten Romantik und Herzenswärme!

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2014 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotiv: shutterstock/freya-photographer ISBN 978-3-7325-5705-9

Hedwig Courths-mahler

Hedwig Courths-Mahler Collection 3 - Liebesroman

Inhalt

Hedwig Courths-MahlerHedwig Courths-Mahler - Folge 007Schicksalsroman um das Opfer einer schönen Frau. Für Lisa Limbach hängt der Himmel voller Geigen. Sie, die doch so scheu und unscheinbar ist, soll die Frau des stattlichen Barons Ronald von Stolle-Hechingen werden! Selbst am Hochzeitstag kann Lisa ihr Glück kaum fassen. Doch als sie sich nach der Trauung ein wenig frischmachen will, belauscht sie ungewollt ein Gespräch zwischen Ronald und einem Freund. Dabei erfährt die junge Frau, dass ihr Mann sie nur des Geldes wegen geheiratet hat und in Wahrheit eine andere liebt. "Herrgott im Himmel, wäre ich doch frei!", ruft Ronald verzweifelt. Für Lisa bricht eine Welt zusammen. Fluchtartig verlässt sie die Hochzeitsfeier, um all dem Leid zu entfliehen und ihrem Gemahl das ersehnte freie Leben zu ermöglichen ...Jetzt lesen
Hedwig Courths-Mahler - Folge 008Mariannes Sehnsucht nach Reichtum und einem behaglichen Leben führte einst dazu, dass sie Kurt Limbachs Frau wurde. Doch Liebe empfindet sie für ihren gutmütigen Gatten nicht. Ihr Herz gehört immer noch Hans von Reßdorf, den sie einst wegen seiner Armut schmachvoll abgewiesen hat. Damals hat Hans Hals über Kopf seine Heimat verlassen und ist in die weite Welt gezogen. Doch nun ist er zurückgekehrt, und wieder beginnt Marianne ihr kokettes Spiel. Hans soll sie lieben und ihr die Langeweile des Ehealltags vertreiben. Doch wird Reßdorf dem Zauber der schönen Frau verfallen?Jetzt lesen
Hedwig Courths-Mahler - Folge 009Roman um das Leid eines stolzen Frauenherzens. "Sei gut und großherzig, Gonda, und gib mir meine Freiheit wieder!", bat Bernd Ralfner seine Frau. Gonda saß da wie gelähmt. Diese Worte trafen sie wie ein Todesurteil. Irgendwie brachte die junge Frau es fertig, mit versteinertem Gesicht dazusitzen, während alles in ihr in einem wilden Aufruhr war. So war Gonda eben: still, ruhig und zurückhaltend. Bernd aber hielt das für Kälte und Gleichgültigkeit. Sah er nicht die abgrundtiefe Verzweiflung in Gondas Augen?Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Gib mich frei

Vorschau

Gib mich frei

Schicksalsroman um das Opfer einer schönen Frau

Lisa stand im weißen Brautkleid vor dem Spiegel. Vor zwei Stunden war sie auf dem Standesamt nach Recht und Gesetz die Gattin des Barons Ronald von Stolle-Rechingen geworden. Nun sollte die kirchliche Einsegnung stattfinden. Lisas Tante, Frau Konsul Limbach, stand vor ihr und betrachtete sie durch ihre Stiellorgnette mit kritischen Blicken. Sie gab der Jungfer, die noch um Lisa bemüht war, in vornehm lispelndem Ton Anweisungen, was noch an dem Kleid geordnet werden musste.

Lisa selbst sagte kein Wort dazu. Sie stand in gezwungener Haltung da und blickte mit großen, verträumten Augen in den Spiegel. Ein scheues Lächeln huschte zuweilen um ihren Mund. Sie war keine Schönheit, die blasse Lisa. Ihre mittelgroße Gestalt war noch zu schlank und unentwickelt. Dieser Eindruck wurde noch durch eine steife, gezwungene Haltung verschärft. In ihrem Wesen lag etwas Gedrücktes, Unselbstständiges, wie man es bei Menschen findet, die sich nicht frei entwickeln konnten.

Ihr Gesicht war farblos, die Augen verbargen sich zu oft unter den Lidern, und das Haar war straff und unkleidsam über die Stirn zurückgenommen. Es bildete am Hinterkopf einen dicken, abstehenden Knoten und gab dem Kopf eine unvorteilhafte Form.

Diese von Frau Konsul Limbach für ihre Nichte gewählte Frisur legte für die Geschmacklosigkeit und den mangelnden Schönheitssinn der alten Dame beredtes Zeugnis ab.

Die Jungfer hatte versucht, der Konsulin wenigstens für heute die Erlaubnis abzuringen, der jungen Braut eine gefälligere Frisur machen zu dürfen, und Lisa hatte bei dieser Bitte mit scheuem Verlangen in die kalten Augen der Tante geblickt. Sie fand ihre eigene Frisur gräulich und hätte ihr Haar schon längst gern anders geordnet. Aber Tantes Befehl verbot das ein für allemal. Auch heute schüttelte sie, die Lippen vornehm kräuselnd, den Kopf.

„Frisieren Sie die Frau Baronin wie alle Tage, Minna!“

Lisas Lippen zuckten bei diesen Worten. Aber wie immer ordnete sie sich auch heute dem Willen der Tante unter. Die Jungfer suchte mitleidig durch Brautkranz und Schleier die strengen Linien der Frisur zu mildern. Dazu lag heute ein leises Rot auf den sonst so blassen Wangen, und die Augen strahlten intensiver. So sah die junge Braut nicht gar so reizlos aus.

Lisa legte auch nicht viel Gewicht auf Äußerlichkeiten. Schließlich war es gleich, ob sie so oder so frisiert war, ihrem Ronald gefiel sie doch. Er liebte sie, wie sie war; ihm galt ihre Seele mehr als ihr Äußeres. Sonst hätte er sie doch nicht zum Weib begehrt, er, ihr herrlicher Ronald, ihr Gatte!

Welch ein wunderbares, unfassbares Glück, dass er sie liebte, sie, die unscheinbare, stille Lisa, die weder schön noch glänzend, weder besonders geistreich noch interessant war! Nie wäre es ihr eingefallen, an seiner Liebe zu zweifeln. So unverdient und märchenhaft ihrem bescheidenen Sinn ihr Glück erschien, so demütig sie sich auch vor seiner Größe beugte, nie suchte sie nach einem anderen Grund für Ronalds Werbung. Dass er sie liebte und zur Frau begehrte, war ihr ein holdes Wunder, dem sie sich mit gläubigem Herzen beugte.

Es kam ihr nie in den Sinn, dass vielleicht ihr Reichtum ihn dazu bewogen haben könnte. Reichtum war ihr so etwas Gewohntes, Gleichgültiges. Weil sie es immer besessen hatte, kannte sie die Macht des Geldes nicht. Sie wusste so wenig vom Leben überhaupt und ahnte nicht, dass Geld ein mächtigerer Faktor sein kann als Liebe.

Das einzig Gute hatte Tante Hermines Erziehung bei ihr erzielt, dass sie nicht stolz auf die Macht des Geldes pochte wie andere Erbinnen. Lisa wusste wohl, dass ihr die Eltern ein sehr großes Vermögen hinterlassen hatten, dass sie einst auch Onkel und Tante Limbach und auch noch eine Schwester ihres Vaters, Frau von Rahnsdorf, beerben würde. Aber der Begriff, dass sie mit diesen Aussichten eine glänzende Partie war, ging ihr vollständig ab.

Die Konsulin hatte Lisa in ihrer despotischen Weise erzogen, seit sie als achtjährige Waise in ihr Haus kam. Sie war vom Unfehlbarkeitsteufel besessen, und das schüchterne Kind glaubte an diese Unfehlbarkeit. Wenn sich auch später leise Zweifel daran einstellten, so war Lisa doch inzwischen so willenlos gemacht worden, dass sie nie zu revoltieren wagte.

Onkel Karl, Frau Hermines Gatte, war viel zu gutmütig und bequem, um seiner Gattin gegenüber seinen Willen zur Geltung zu bringen. Er war zwar mit ihrer Erziehungsmethode gar nicht einverstanden; aber er traute sich nicht, einzugreifen.

Äußerte er jedoch trotzdem einmal sein Missfallen, dann sah seine Gattin ihn mit dem erstauntesten, kältesten und vornehmsten Blick an, den sie auf Lager hatte, und sagte: „Lieber Karl, ich wünsche, dass du mir überlässt, Lisa zu einer wahrhaft vornehmen und wohlerzogenen jungen Dame zu erziehen. Davon verstehst du nichts. Da der Himmel uns leider selbst ein Kind versagte, will ich die Tochter deines Bruders mit all der Sorgfalt erziehen, die ich einer eigenen Tochter widmen würde. Ich hoffe, du machst mir mein schweres Amt nicht durch gedankenlose und gefährliche Weichherzigkeiten noch schwerer. Du weißt, ich wurzle noch mit allen Fasern in dem Boden, dem ich entstamme. In meiner Familie, in der Familie der Freiherren von Schlorndorf, werden alle jungen Damen in dieser wahrhaft vornehmen, bescheidenen Weise erzogen.“

Damit wurde Karl Limbach stets zum Schweigen gebracht. Wenn seine Gattin die Geborene von Schlorndorf ins Treffen führte, war er geschlagen. Nicht, weil er diese wohledle Familie so ehrfurchtsvoll zu betrachten pflegte, sondern weil seine Gattin, wenn sie dieses Thema anschnitt, überhaupt kein Ende fand und sich so in Selbstberäucherung gefiel, dass er trotz seiner Friedfertigkeit wild wurde.

Eheliche Szenen waren ihm aber verhasst; deshalb gab er dann meist lieber Fersengeld.

So war Lisa den Erziehungsprinzipien ihrer Tante auf Gnade und Ungnade ausgeliefert.

Sie besaß zwar noch eine Tante, die energisch genug war, um Frau Hermine nachdrücklich genug den Standpunkt klar zu machen; aber Frau von Rahnsdorf hatte sich vollständig mit ihrer Schwägerin überworfen, und jeder Verkehr zwischen ihnen hatte aufgehört.

Anna von Rahnsdorf war seit Jahren Witwe, und da sie auch keine Kinder besaß, hätte sie Lisa sehr gern zu sich genommen. Hermine hatte das jedoch zu hintertreiben gewusst.

Zwar hatte Hermine einwilligen müssen, dass Frau von Rahnsdorf zu Lisas Hochzeit eingeladen wurde, aber die Verhasste hatte es glücklicherweise abgelehnt, zu kommen.

Während Lisa noch vor dem Spiegel stand, wurde ein Brief für sie gebracht. Errötend schaute sie auf die Adresse: „Frau Baronin Elisabeth Stolle-Hechingen“. Wie sonderbar fremd und doch vertraut ihr dieser neue Name erschien.

„Von wem ist der Brief, Lisa?“, fragte die Konsulin ungeduldig. „Du musst dich beeilen, wenn du ihn noch lesen willst.“

Lisa öffnete ihn und blickte nach der Unterschrift.

„Von Tante Anna“, sagte sie erstaunt.

Die Konsulin machte ein verkniffen es Gesicht, und in ihren kalten Augen zuckte es bösartig auf. Unwillkürlich streckte sie die Hand aus, um Lisa den Brief fortzunehmen. In demselben Augenblick wurde sie aber in einer wichtigen häuslichen Angelegenheit abgerufen. Mit einem unschlüssigen Blick auf den Brief in Lisas Hand rauschte sie hinaus. Die junge Frau las den Brief nur flüchtig durch und faltete ihn dann schnell zusammen, um ihn in einer kleinen Tasche zu bergen, die zu ihrer Reisetoilette gehörte. Sie wollte ihn später, auf der Reise vielleicht, noch einmal lesen. Jetzt konnte sie sich nicht damit befassen, da Tante Hermine jeden Augenblick zurückkehren konnte. Sie durfte den Brief um keinen Preis in die Hände bekommen, weil er durchaus nicht in schmeichelhaften Ausdrücken von ihr sprach.

Die Konsulin kehrte wirklich gleich darauf zurück.

„Nun, wo hast du den Brief, Lisa?“, fragte sie hastig.

Die junge Frau blickte beklommen auf.

„Ich habe ihn schon fortgelegt, Tante, er war nur für mich bestimmt.“

„Nur für dich bestimmt? Was soll das heißen?“, fragte die Konsulin scharf.

Lisa war betreten.

„Es war ein Glückwunsch zu meiner Hochzeit.“

Die Konsulin blickte sie misstrauisch an; aber ehe sie noch etwas erwidern konnte, wurde an die Tür geklopft, und eine klare Männerstimme rief von draußen: „Bist du fertig, Lisa?“

Ein strahlendes Leuchten flog über das Gesicht der bräutlichen Frau. Sie eilte zur Tür und öffnete. Ein großer, schlanker Offizier stand auf der Schwelle. Lisa sah mit strahlender Innigkeit zu ihm auf. Er war eine vornehme, elegante Erscheinung. Die schlanke, sehnige Figur, der gebräunte Teint, die rassigen Züge und die klaren grauen Augen vereinigten sich zu einem sympathischen Ganzen.

Seine Augen fingen den strahlenden Blick Lisas auf, und einen Augenblick zog sich seine Stirn zusammen.

„Du bist da!“, sagte Lisa mit einem so warmen, jubelnden Ausdruck, dass sein Gesicht sich rötete.

Er führte ihre schmale Hand ritterlich an die Lippen. Dann sah er sie mit einem Lächeln an, einem Lächeln, dem sie nicht anmerkte, wie gezwungen es war.

„Es ist Zeit, Lisa. Wir müssen fort“, sagte er freundlich. Schnell begrüßte er noch die Konsulin; dann zog er Lisas Arm durch den seinen und führte sie hinaus. Die Konsulin gab der Jungfer noch Weisungen, mit dem Reisekostüm der jungen Frau um sechs Uhr im Hotel Fürstenhof zu sein, um ihr beim Umkleiden zu helfen. Dann fuhr auch sie, etwas verstimmt darüber, dass sie den Brief ihrer Schwägerin nicht zu lesen bekommen hatte, neben ihrem Gatten zur Petrikirche, wo die Trauung des jungen Paares stattfand.

***

Die Hochzeitsgesellschaft saß im großen Saal des Fürstenhofes in fröhlicher Stimmung an der festlich geschmückten Tafel. Man hatte sich bereits am Abend vorher mit den sympathischen Festteilnehmern angefreundet, und die formelle Steifheit war unter der Einwirkung des Weines verschwunden.

Unweit des Brautpaares saßen Mutter und Schwester des Bräutigams. Die verwitwete Baronin von Stolle-Hechingen sah mit frohen Augen auf ihren stattlichen Sohn. Durch seine Verbindung mit der reichen Erbin war eine schwere, drückende Last von ihrer Seele genommen.

Lotte Hechingen, Ronalds Schwester, eine bildhübsche, schlanke Blondine, blickte jedoch zuweilen besorgt in das ernste Gesicht des Bruders. Sie war von Kind auf seine Vertraute gewesen und wusste, dass er nicht mit freiem, leichtem Herzen in diese Ehe ging.

Neben Lotte saß Kurt Mallwitz, Ronalds bester Freund und Regimentskamerad. Er unterhielt sich eifrig mit seiner reizenden Tischnachbarin. Seine Augen sahen dabei mit Wohlgefallen in Lottes Gesicht.

Sie sprachen von schönen vergangenen Tagen, die sie gemeinsam verlebt hatte. Als Kadett hatte Kurt Mallwitz seinen Freund Ronald zuweilen nach Hechingen begleiten dürfen. Es war schon damals eine schwere Zeit auf Hechingen gewesen, aber Ronalds Vater hatte noch immer gehofft, sein Stammgut halten zu können. Jedenfalls hatte sich das Jungvolk die Stimmung nicht durch drohende Zukunftsbilder trüben lassen. Schön, wunderschön, war es immer gewesen in den Ferien! Sie zehrten noch jetzt davon.

Die beiden jungen Menschen verkehrten in einem heiteren, freundschaftlichen Ton miteinander, der nur zuweilen, in unbewachten Augenblicken, ein ernsteres Gepräge erhielt. Dann blickten sie sich seltsam weich und tief in die Augen, selbstverloren, selbstvergessen. Aber schnell retteten sie sich wieder hinter den neckenden, lustigen Ton.

Sie wussten ganz genau voneinander, dass sich hinter diesem leichten Geplänkel etwas anderes, viel Wertvolleres versteckte; aber sie wussten auch, dass sie sich das nicht sagen durften, dass sie einander nicht angehören konnten. Denn sie waren beide sehr arm.

Frau Mallwitz hatte zwar einen recht wohlhabenden Vetter. Aber er war alles andere eher als spendabel. Die einzige Hilfe, die er der Cousine gewährte, war, dass sie als Hausdame auf Brachwitz leben konnte.

Herr von Brachwitz hatte zwar keine eigenen Kinder. Sein einziger Sohn war vor Jahren tödlich verunglückt, und der Schmerz darüber hatte auch seiner Mutter das Leben gekostet. Aber Brachwitz war Majorat und fiel nach dem Tod des jetzigen Besitzers an eine Seitenlinie. Mallwitz hatte also keine Hoffnung, in eine bessere Vermögenslage zu kommen.

Trotz dieser Aussichtslosigkeit liebten sich Lotte Hechingen und Kurt Mallwitz. Aber sie waren tapfer und vernünftig und wussten, dass sie vom Schicksal nichts Unmögliches ertrotzen konnten. Vorläufig waren sie auch noch jung und lebensfroh genug, um sich an der Gegenwart genügen zu lassen.

Lotte Hechingen war heute allerdings zu sehr mit ihres Bruders Schicksal beschäftigt, um viel an das eigene zu denken. So lieb sie auch die scheue, stille Lisa mit dem weichen, warmen Herzen gewonnen hatte, fürchtete sie doch, dass ihr Bruder nicht mit ihr glücklich werden würde, weil sein Herz einer anderen gehörte. Ronald liebte Lili Sanders, Lottes Pensionatsfreundin. Sie war die Tochter eines vermögenslosen Majors, ein bildschönes, anmutiges Geschöpf voll Geist und Temperament; und wenn sie auch kaum so gut und großherzig war wie Lisa, so stellte sie sie doch durch ihre äußeren Vorzüge weit in den Schatten.

Außer Lotte wusste nur Kurt Mallwitz um diese Herzensangelegenheit Ronalds.

Lotte seufzte leise, und Mallwitz blickte sie forschend an:

„Was ist Ihnen, Baroness?“

„Ach, Herr von Mallwitz, Sie wissen ja, wie ich mich um Ronald sorge. Schauen Sie ihn an, wie blass er aussieht!“

„Sie sehen in Ihrer Sorge vielleicht mehr als ich. Ein bisschen ernst sieht er aus; aber das ist doch kein Wunder bei einem so ernsten Schritt“, versuchte er sie zu trösten.

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein, nein; mir brauchen Sie nichts vorzumachen, Herr von Mallwitz. Wir zwei wissen doch, wie es um ihn steht.“

„Ja, aber wir können ihm mit aller Trübsal nicht helfen. Machen Sie nicht ein so bekümmertes Gesicht, Lotte! Morgen Abend muss ich wieder in die Garnison zurück, und da möchte ich mir die Erinnerung an Ihr frohes Gesicht mitnehmen. Wenn ich dann abends allein in meiner Bude sitze, dann denke ich an Ihr frohes Lachen und bilde mir ein, ich sei wieder als Kadett in Hechingen.“

Sie nickte verträumt.

„Das alte, liebe Hechingen! Wie ich mich manchmal danach zurücksehne!“

„Und nun hausen fremde Menschen dort in den traulichen Räumen. Jetzt soll eine große Konservenfabrik dort stehen; der neue Besitzer verwendet Obst und Gemüse nutzbringend.“

„Ja“, erwiderte Lotte seufzend, „und sie soll viel Geld einbringen.“

„Das sagen Sie beinahe so schwärmerisch, als wenn Geld etwas ganz Wunderbares wäre“, neckte er.

Sie nickte eifrig.

„Es ist auch etwas Wunderbares, das liebe Geld. Eine goldene Wünschelrute ist es, mit der man sich so viel Gutes und Schönes herbeizaubern kann. Diese Erkenntnis haben aber immer nur Leute, die nicht im Besitz dieser Wünschelrute sind.“

„Was würden Sie sich wohl mit solch einer famosen Wünschelrute herbeizaubern, Baroness?“, fragte er lächelnd.

Sie sann mit drolliger Wichtigkeit nach.

„Ein stolzes Schloss am Meer“, sagte sie dann lachend.

„Und einen Prinzen dazu?“

„Oh, der käme dann von selbst, wenn ich Schlossherrin wäre.“

Er sah ihr voll ernster Weichheit in die Augen.

„Ich glaube, er käme schon, wenn die Kraft der Wünschelrute für eine kleine Hütte ausreichte, meinen Sie nicht auch, liebe Lotte?“

Sie erwiderte seinen Blick in gleicher Weise.

„Ja, das glaube ich bestimmt.“ Und sich zur Heiterkeit zwingend, fuhr sie fort: „Aber wir wollen ja fröhlich sein; dazu taugen solche Wenn und Aber nicht. Also, morgen Abend geht Ihr Urlaub schon zu Ende?“

„Leider.“

„Dann sehen wir Sie wohl nicht mehr?“

„Doch, Baroness; ich komme, mich von Ihnen und Ihrer Frau Mutter zu verabschieden.“

Die Tafel wurde aufgehoben. In dem allgemeinen Tumult, der hierdurch entstand, trat die Konsulin an das Brautpaar heran.

„Es dürfte für dich an der Zeit sein, dich jetzt unbemerkt zurückzuziehen, Lisa. Du musst dich umkleiden.“

Die junge Frau blickte errötend zu ihrem Gatten empor. Scheu streifte ihr glückstrahlender Blick sein ernstes Gesicht, dieses Gesicht, das sie so unsagbar liebte.

Er sah mit ernster Freundlichkeit auf sie herab.

„So geh, Lisa! In einer Stunde erwarte ich dich im Vestibül. Bis dahin kannst du doch bequem fertig sein, nicht wahr?“

Sie nickte nur und drückte seine Hand. Dann flüsterte sie der Tante ein paar hastige Abschiedsworte zu, bestellte noch einen Gruß an Onkel Karl, den sie in der Menge nicht sah, und schlüpfte durch das fröhliche Gedränge hinaus.

Mit fliegenden Pulsen stieg sie die Hoteltreppe empor. Minna wartete bereits, um ihr beim Umkleiden zu helfen.

Sie führte die junge Frau in ein Zimmer im ersten Stock, das unbewohnt war und ihr zum Umkleiden zur Verfügung gestellt wurde. Die Reisetoilette lag bereits ausgebreitet. Schnell machte sich die Jungfer ans Werk, denn Lisa hatte etwas Kopfschmerzen und wollte noch ein halbes Stündchen ruhen, bis sie unten wieder mit Ronald zusammentraf.

Lisa brauchte nicht viel länger als eine Viertelstunde, um die Kleidung zu wechseln. Sie machte sich vollständig fertig bis auf Hut und Handschuhe und entließ dann das Mädchen.

Als sie allein war, warf sie sich in einen Lehnstuhl und versank in Träumerei. Reglos blickte sie zur Decke empor, als wenn dort oben ein lockendes Zukunftsbild ausgebreitet wäre.

***

Ronald Hechingen hatte sich inzwischen von Lisas Onkel verabschiedet. Karl Limbach war ein mittelgroßer, etwas beleibter Herr mit grau meliertem Haar. Seine gutmütigen Augen ruhten mit Wohlgefallen auf Ronald. Er klopfte ihm auf die Schulter.

„Dann wünsch ich euch eine glückliche Reise, Kinder! Grüß mir die Lisa noch einmal herzlich, mein Sohn, und sei gut zu ihr! Das Küken ist noch ein bisschen still und verschüchtert; weißt ja, wie meine Frau mit ihr umgegangen ist. Aber sie wird sich schon rausmachen, wenn sie sich nur erst nach Herzenslust regen kann“, sagte er väterlich.

Ronald blickte mit ernsten Augen in sein Gesicht.

„Ich will alles tun, was möglich ist, um Lisa glücklich zu machen.“

„Glaub ich dir, Ronald. Du bist ein ehrlicher, vernünftiger Mensch; und ich habe von Anfang an Vertrauen zu dir gehabt, obwohl mir nicht entgangen ist, dass meine Frau ein bisschen mehr als nötig Vorsehung gespielt hat. Die Lisa hat dich lieb, na – und du wirst gut mit ihr sein.“

Sie reichten sich die Hände, und Ronald ging durch den Saal.

Mallwitz vertrat ihm den Weg. „Willst du auch schon fort, Ronald? Ich sah deine junge Frau vor einer Weile verschwinden.“

„Eine halbe Stunde hab ich noch Zeit.“

„Famos; dann können wir noch ein wenig miteinander schwatzen. Inzwischen wird hier der Saal zum Tanzen eingerichtet. Komm, wir suchen einen stillen Winkel, wo wir ungestört sind!“

Die Herren fanden aber nirgends ein solches Fleckchen.

„Weißt du was? Komm mit hinauf in mein Zimmer“, schlug Mallwitz vor. „Da können wir in aller Gemütlichkeit noch eine Abschiedszigarette rauchen.“

Sie schritten Arm in Arm hinaus und begaben sich in Mallwitz’ Zimmer, das er seit dem vorigen Tag bewohnte. Als sie eingetreten waren, schob er Ronald einen Sessel hin.

„So, mein Alter, nun nimm Platz! Da sind auch Zigaretten und Feuerzeug. Die erste Zigarette als Ehemann, hm, wie schmeckt sie denn?“ Er warf sich in einen anderen Sessel und sah forschend in des Freundes Gesicht.

„Danke“, antwortete Hechingen kurz.

Mallwitz atmete tief auf. Dann sagte er ernst: „Weißt du, wie ein fröhlicher Hochzeiter hast du heute den ganzen Tag nicht ausgesehen. Mensch, nimm dich doch ein bisschen zusammen!“

Ronald lachte hart auf und fuhr sich über die Stirn.

„Ich hab, weiß Gott, das Möglichste an Selbstbeherrschung geleistet. Denkst du vielleicht, mir sei rosig zumute? Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, so bin ich in diese Ehe gegangen.“

„Weiß ich ja, Ronald. Aber trotzdem – du hast bei alledem noch Glück. Deine Frau ist gar nicht so übel. Nach deiner Beschreibung hatte ich eine ganz andere Vorstellung von ihr. Reizlos, unbedeutend, nichts weniger als hübsch, geschmacklos in der Kleidung, so hast du sie mir geschildert. Ich kann nur sagen, dass sie heute sehr hold und lieblich aussah in ihrem weißen Kleid. Eine Schönheit ist sie freilich nicht; aber sie kann sich noch recht hübsch herausmachen. Du hast sie entschieden unterschätzt.“

„Guter Kerl, du willst mich trösten. Aber sprich nicht zu laut; man könnte uns im Nebenzimmer hören.“

„Unbesorgt. Rechts bin ich ohne Nachbarn, das Zimmer ist unbewohnt, und links ist mein Schlafzimmer. Es hört uns kein Mensch.“

„Desto besser. Übrigens, um noch einmal auf meine Braut oder Frau – zu kommen: Du kannst über ihr Aussehen nicht erstaunter sein als ich. Freilich, im Brautkleid wird die Hässlichste verschönt, und der Kranz verbirgt diese grässlich geschmacklose Frisur. Du hättest sie nur sonst sehen sollen! Sie kleidet sich nach den Angaben und Wünschen ihrer Frau Tante, unglaublich! Die teuersten Kostüme, kostbare Stoffe aus Seide, aber ohne Sinn und Verstand ausgesucht. Sie sieht darin immer aus, als hätte sie geliehene Sachen an.“

„Das wird sich ändern unter deinem Einfluss, wenn sie erst nicht mehr von der Konsulin abhängig ist. Ganz unter uns: Diese Dame ist mir sehr unsympathisch. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass sie es war, die dich aus einer scheußlichen Klemme befreite. Es war höchste Zeit für dich, dass Hilfe kam. Armer Kerl, ich hatte Angst um dich. Nun weiß ich dich geborgen. Die Lili Sanders hättest du doch nicht heiraten können. Und offen gestanden, ich hätte es dir auch nicht gewünscht. Sie ist zwar ein bezauberndes Geschöpf, aber, so viel ich beurteilen kann, kein wertvoller Mensch.“

Ronald seufzte.

„Es war auch gar keine Gefahr, dass ich sie heiraten würde. Sie ist ja arm wie ich. Ich will mir auch Mühe geben, sie zu vergessen. Seit Hechingen unter den Hammer kam, wusste ich, dass ich sie vergessen muss. Was hätte das werden sollen! Meine Mutter und Lotte können doch nicht hungern!“

„Na, siehst du, da bist du doch jetzt fein heraus. Donnerwetter noch mal – von drei Seiten ist deine kleine Frau mit Geld und Gut erblich belastet. Und da machst du noch ein Gesicht, als sei dir die Petersilie verhagelt“, sagte Mallwitz in zuredendem Ton.

„Lass gut sein, Kurt! Trotz allem ist mir schauderhaft zumute. Dass ich mich verkaufen musste, das zehrt an mir. Herrgott, das verfluchte Geld! Es macht einen zum Narren oder zum Schurken.“

Mallwitz dachte an Lottes Ausspruch: „Das Geld ist eine goldene Wünschelrute.“ Ein wehmütiger Ausdruck erschien in seinen Augen; aber er raffte sich auf, um dem Freund zu helfen.

„Nun, nun, mein Alter, sei doch nicht so rabiat. Solche Ehen werden doch massenhaft geschlossen. wirst dich ja, wie ich dich kenne, deiner Frau gegenüber als anständiger Kerl aus der Affäre ziehen.“

Ronald war aufgesprungen und blieb vor ihm stehen.

„Als anständiger Kerl? Nun ja; ich werde sie selbstverständlich nicht entgelten lassen, dass ich sie nicht liebe. Aber sie liebt mich! Siehst du, das ist der Fehler in meinem Rechenexempel. In ihren Augen liegt eine schrankenlose Ergebung und Innigkeit, ein unbegrenztes Vertrauen. Solche Blicke quälen mich unbeschreiblich, weil sie mich daran mahnen, was ich ihr schuldig bleiben muss. Wenn es wenigstens auch von ihrer Seite eine Vernunftheirat gewesen wäre! Das hatte ich ja angenommen, als mir ihre Tante so deutliche Avancen machte. Ich glaubte, Lisa gelüste es, Baronin Stolle-Hechingen zu werden. Aber später überzeugte mich ihr Verhalten, dass mein Name ihr ganz gleichgültig ist, dass sie mich liebt. Unter der Beihilfe der Konsulin ging alles wie am Schnürchen; und meine Mutter war selig, dass ich mich entschloss, um Lisa anzuhalten. Hätte ich vorher gewusst, dass mich das stille, scheue Geschöpf liebt, ich glaube, ich hätte mich noch in letzter Stunde besonnen.“

„Das verstehe ich nicht, Ronald; das kann dir doch nur lieb sein.“

Ronald lachte bitter auf.

„Lieb sein? Ja, begreifst du denn nicht, wie erbärmlich ich mir vorkomme, wenn ich heucheln und Komödie spielen muss, um sie nicht unglücklich zu machen? Schauderhaft! Wie eine Kette legt sich das um mich. So einfach wäre es gewesen, wenn sie gleich mir mit kühler Berechnung in die Ehe ginge. Dann stünde man auf kameradschaftlichem Standpunkt mit ihr. Aber so! Den Verliebten spielen, lügen, heucheln vor solch gläubigen Kinderaugen, die wie zu einem Gott zu einem aufschauen! Das erniedrigt mich vor mir selber, und darüber komme ich nicht hinweg.“

„Du nimmst das entschieden zu tragisch, Ronald. Wenn du dich in eine solche Stimmung hineinredest, dann machst du dir alles noch schwerer.“

Ronald stöhnte auf und streckte die Arme wie verlangend aus. „Herrgott im Himmel, wäre ich doch frei, frei! Könnte ich diese letzten Wochen ungeschehen machen!“, rief er mit qualvollem Ausdruck.

Mallwitz trat mit besorgtem Gesicht neben ihn.

„Fasse dich, Ronald! Jetzt musst du durch. Es hilft nichts. Und nun ist es wohl Zeit für dich zum Umkleiden.“

Ronald richtete sich auf und fuhr sich mit der Hand über das blasse Gesicht.

„Du hast Recht, es hilft nichts“, sagte er bitter.

In demselben Augenblick hörten sie eine Tür ins Schloss fallen.

„Still! Da trat jemand in das Nebenzimmer“, sagte Mallwitz warnend.

„Du sagtest doch, es sei unbewohnt?“

„Vielleicht ist ein Zimmermädchen eingetreten. Jedenfalls sprich nicht mehr so laut.“

„Ich habe auch nichts mehr zu sagen.“

Mallwitz fasste seinen Arm.

„Es tut mir furchtbar Leid, dass ich dich in so deprimierter Stimmung sehe. Aber ich hoffe, du söhnst dich bald mit deinem Geschick aus. Deine Frau ist doch ganz nett. Sie besitzt ein reiches Gemüt und Herzensgüte. Vielleicht fällt es dir gar nicht schwer, sie lieb zu gewinnen. Aber nun muss ich dich wirklich fortschicken.“

Ronald reichte ihm die Hand und zwang sich zu einem Lächeln. „Nimm’s nicht übel, dass ich dich gequält habe mit meinem Gejammer. Aber es musste einmal herunter vom Herzen. Nichts für ungut. Leb wohl!“

„Auf frohes Wiedersehen in der Garnison, mein Alter! Eine Empfehlung an deine Frau.“

Sie trennten sich mit einem kurzen Händedruck. Ronald ging, um die Uniform mit einem eleganten Anzug zu vertauschen, und Mallwitz suchte die Gesellschaft wieder auf.

***

Ronald hatte sich mit dem Umkleiden beeilt. Schon vor der verabredeten Zeit betrat er das Vestibül. Draußen fuhr eben der Wagen vor, der das junge Paar zum Bahnhof bringen sollte. Als der Portier den jungen Ehemann erblickte, dienerte er auf ihn zu und meldete ihm, dass die Frau Baronin bereits fortgefahren sei. Sie habe zu Hause etwas vergessen, was sie noch holen müsse. Der Herr Baron möge die Güte haben, den wartenden Wagen zu benutzen. Die Frau Baronin erwartet ihn in der Villa Limbach.“

Ronald sah den Portier erstaunt an. Es war doch eine sonderbare Idee von Lisa, allein von hier wegzufahren.

„Warum hat meine Frau nicht auf mich gewartet?“, fragte er verständnislos.

„Ich wollte hinaufschicken, um es dem Herrn Baron melden zu lassen; aber Frau Baronin meinte, der Herr Baron sei noch nicht fertig, und wenn sie warte, würde es zu spät für den Zug. Deshalb ist sie vorausgefahren.“

Ronald nickte ihm zu und stieg in den Wagen, der ihn zur Villa Limbach brachte. Dort sprang Ronald hinaus und klingelte. Ein Diener öffnete ihm. Er trat ein. „Melden Sie meiner Frau, dass ich hier warte. Sie soll sich beeilen“, sagte er hastig.

„Frau Baronin sind bereits wieder fort – zum Bahnhof. Sie fürchtete, zu spät zu kommen. Hier, diesen Brief soll ich dem Herrn Baron überreichen.“

Ronald hätte fast eine Verwünschung ausgestoßen. Solch ein Unsinn von ihr! Statt ihn nun hier zu erwarten, fuhr sie wieder ohne ihn fort.

Ärgerlich nahm er dem Diener den Brief aus der Hand und sagte: „Es ist gut.“

Er beeilte sich, den Wagen zu besteigen.

„Zum Bahnhof, schnell!“, befahl er.

Erst als der Wagen davonrollte, öffnete er das Kuvert. Eine Karte zog er heraus. Bei dem matten Schein der Laternen, der in den Wagen fiel, entzifferte er die wenigen Worte und starrte wie entgeistert darauf nieder. Was da geschrieben stand, traf ihn so unerwartet, so unvorbereitet, dass er es zunächst nicht fassen konnte. Noch einmal las er die flüchtig mit Bleistift geschriebenen Zeilen.

Ich gebe dich frei! Sieh, dass du Aufsehen vermeiden kannst, in deinem Interesse. Sobald ich eine Unterkunft gefunden habe, sende ich Nachricht. Bitte, beruhige Tante und Onkel!

Lisa

Was war geschehen? Was sollten diese Worte bedeuten? Das sah doch aus, als hätte Lisa die Flucht vor ihm ergriffen! Warum? „Ich gebe dich frei!“ Die Worte bohrten sich in sein Hirn. Eine beklemmende Ahnung stieg in ihm auf. Aber er wehrte sich dagegen und wies sie von sich.

Große Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn. Mechanisch trocknete er sie ab. Wieder las er die Karte, aber die Worte blieben stehen. „Ich gebe dich frei!“ War das nicht wie eine Antwort auf seinen leidenschaftlichen Ausbruch von vorhin Mallwitz gegenüber? Aber nein, nein! Das musste ein Irrtum sein, der sich aufklären würde. Lisa würde auf dem Bahnhof auf ihn warten und ihm Aufklärung geben. Er fasste sich mühsam und steckte die Karte zu sich.

Wie langsam der Wagen fuhr! Er kam kaum von der Stelle. Nahm denn die Albertstraße gar kein Ende? Ah, da fuhr er an der Kirche vorbei, wo er heute mit Lisa vor dem Altar gestanden hatte. „… bis dass der Tod euch scheide.“ Er meinte die Stimme des Predigers zu hören: „Bis dass der Tod euch scheide.“

Und er fuhr allein zum Bahnhof! Gottlob, da sah er bereits die hell erleuchtete Bahnhofsuhr. Nun war er gleich da und wurde von der lähmenden Angst befreit. Ihm war plötzlich zumute, als müsse es eine große Freude sein, wenn er jetzt seine kleine scheue Frau vor sich sehen würde, wenn ihre großen, zärtlichen Augen ihm so voll Liebe und Vertrauen entgegensehen würden wie immer.

Aber wenn sie nun nicht da war? Ein heißer Schrecken durchfuhr ihn wieder. Was dann, wenn sie nicht da war, wenn die Worte auf der Karte doch kein Irrtum waren?

Der Wagen hielt. Mit einem Satz war er heraus und stürmte auf den Bahnsteig. Am Ausgang kam ihm der Diener entgegen, der das Gepäck aufgegeben hatte. Er hielt ihm die Fahrkarten entgegen.

„Der Zug ist leider soeben abgefahren, Herr Baron.“

„Und meine Frau?“, stieß Ronald hastig hervor.

Der Diener sah ihn verdutzt an. „Frau Baronin sind noch nicht hier.“

Es ging wie ein Schlag durch Ronalds Körper. Er fasste sich gewaltsam.

„Lassen Sie mich doch ausreden“, sagte er heiser. „Meine Frau ist in das Hotel zurück. Wir sahen, dass wir den Zug nicht mehr erreichten, und werden morgen Früh fahren. Geben Sie die Fahrkarten her, und tragen Sie meine Handtasche zum Gepäckschalter. Dann können Sie gehen. Ich will mich noch nach dem Frühzug erkundigen.“

Der Diener grüßte ehrerbietig und ging.

Der Herr Baron scheint nicht mehr ganz nüchtern zu sein. Ist wahrscheinlich sehr fidel bei der Hochzeit gewesen, dachte er, nicht ahnend, wie ganz anders sich die Sache verhielt.

Ronald sah wie gelähmt eine Weile hinter dem Diener her. Gewaltsam zwang er sich zur Ruhe und zum Nachdenken. Was sollte nun geschehen?

Noch einmal zog er Lisas Zeilen hervor und las sie aufmerksam durch. Wo mochte sie sich hingewandt haben? Was hatte sie zu diesem Schritt gedrängt?

Er fürchtete sich, die Antwort auf diese letzte Frage zu geben. Dann klammerte er sich an eine neue Hoffnung. Vielleicht kam sie doch noch hierher. Jedenfalls wollte er noch eine Weile warten.

Aber sie kam nicht.

Nun hielt es ihn nicht länger. Es war doch auch möglich, dass sie sich ins Hotel zurückbegeben hatte. Oder irgendeine Nachricht war von ihr eingetroffen.

Er verließ den Bahnhof und warf sich draußen in eine Droschke, um nach dem Hotel zurückzufahren. Unterwegs überlegte er, was er tun sollte. „Sieh, dass du Aufsehen vermeiden kannst“, hatte Lisa geschrieben. Mehr und mehr wurde es ihm zur Gewissheit, dass Lisa geflohen war – vor ihm. Aufsehen vermeiden? Er gab sich einen Ruck. Ja, vor allen Dingen musste Aufsehen vermieden werden; niemand von der Hochzeitsgesellschaft durfte erfahren, dass Lisa sich ohne ihn entfernt hatte.

Den Wagen ließ er halten, bevor er das Hotel erreichte, und ging die kurze Strecke zu Fuß bis dahin. Als er das Vestibül betrat, kam ihm der Portier bestürzt entgegen.

„Herr Baron haben den Zug versäumt?“, fragte er erschrocken. Ronald wusste nun, dass Lisa nicht zurückgekehrt war, sonst hätte das der Portier gewusst.

Er zog den Mann beiseite.

„Sie haben Recht, wir kamen zu spät zum Bahnhof. Meine Frau ist gleich nach Hause gefahren; wir reisen nun erst morgen. Aber wir möchten nicht, dass die Gesellschaft davon erfährt.“

„Sehr wohl, Herr Baron, ich verstehe“, sagte der Portier, verständnisvoll lächelnd.

„Schön. Ich werde die Nacht wahrscheinlich im Hotel hier bleiben. Sie haben doch ein Zimmer frei?“

„Gewiss. Herr Baron können dasselbe Zimmer wiederhaben wie dieser Tage; es ist noch frei.“

„Gut, ich gehe gleich hinauf. Ich möchte jedoch, dass ein Kellner Herrn von Mallwitz bittet, zu mir zu kommen, aber so, dass niemand etwas davon merkt.“

Der Portier beeilte sich, zu versichern, dass er alles zur Zufriedenheit des Herrn Baron besorgen werde.

Ronald begab sich eilig in sein Zimmer. Ohne Hut und Mantel abzulegen, warf er sich in einen Sessel und starrte vor sich hin.

Mallwitz hatte inzwischen durch einen Kellner erfahren, dass Ronald ihn zu sprechen wünsche. Erstaunt folgte er dem Ruf.

Als er die Treppe hinaufgeeilt war und an seinem Zimmer vorüberging, kam gerade Minna, die Jungfer der Konsulin, aus dem Nebenzimmer. Sie trug einen großen Karton vor sich her. Mallwitz stutzte.

„Was haben Sie denn da?“, fragte er, auf den Karton deutend.

„Das Brautkleid der jungen Frau Baronin, gnädiger Herr. Frau Baronin hat sich in diesem Zimmer umgekleidet und dann noch ein halbes Stündchen geruht.“

Mallwitz machte ein sonderbares Gesicht.

„In diesem Zimmer? Vorhin?“

„Ja, vor der Abreise, gnädiger Herr.“

Mallwitz ging an ihr vorbei und stieß leise die Luft zwischen den Zähnen hervor.

„Donnerwetter!“, sagte er bestürzt vor sich hin.

Er eilte zu Ronalds Zimmer, das am anderen Ende des Korridors lag. Noch ganz benommen trat er bei ihm ein und starrte auf den regungslos dasitzenden Freund.

„Was ist geschehen, Ronald? Weshalb bist du noch hier? Wo ist deine Frau?“

Ronald warf seinen Hut auf den Tisch.

„Du fragst mehr, als ich beantworten kann.“

Er erzählte in fliegender Eile, was er erlebt hatte.

Mallwitz hörte mit betroffenem Gesichtsausdruck zu. Die Entdeckung, die er eben draußen gemacht hatte, schien ihm eine Erklärung zu sein für das rätselhafte Verschwinden der jungen Frau. Nun fiel ihm auch ein, dass sie die Tür hatten ins Schloss fallen hören. Er überlegte, ob er Ronald sagen sollte, was er vermutete. Aber dann beschloss er doch, damit zu warten, bis man die Konsulin unterrichtet hatte. Die brauchte vorläufig nichts von jener Unterredung zu erfahren.

Auf Ronalds Wunsch holte er dann die Konsulin herauf.

Sie war fassungslos vor Schrecken, als sie hörte, was geschehen war. Kopfschüttelnd las sie die Karte, die Ronald ihr reichte. Verständnislos blickte sie darauf nieder und sank in einen Sessel.

„Ich verstehe das nicht, Ronald. Was soll das heißen?“

„Ich weiß es nicht“, sagte er zögernd.

„Habt ihr etwas miteinander gehabt, euch gezankt?“

„Nein; seit Lisa den Saal verlassen hat, habe ich sie nicht wiedergesehen.“

„Mein Gott, mein Gott, dieser Skandal! Wenn das ruchbar wird! Lisa muss von Sinnen gewesen sein. Was sollen wir tun, wo mag sie sich nur hingewandt haben?“

„Ich weiß es so wenig wie du, Tante Hermine“, sagte Ronald tonlos.

Die Konsulin fuhr mit neu erwachter Tatkraft empor.

„Auf alle Fälle muss ein Skandal vermieden werden. Oh, dieses undankbare Geschöpf! Wie konnte sie mir das antun!“

„Wir dürfen Lisa nicht verdammen, bevor wir nicht wissen, was sie zu diesem Schritt getrieben hat“, sagte Ronald, Lisa in Schutz nehmend.

Die Konsulin warf den Kopf zurück und sah ihn zornig an.

„Du bist von einer beispiellosen Milde. Bedenke doch, dass sie dich so gut wie uns der Lächerlichkeit preisgibt.“

„Ich bedenke vor allem, dass sie sich in einem bedauernswerten Seelenzustand befunden haben muss, um so handeln zu können. Jedenfalls muss ein Skandal vermieden werden, vor allem Lisas wegen. Wenn ich nur klar denken könnte! Mir ist das alles so schrecklich, dass ich wie vor den Kopf gestoßen bin.“

Mallwitz, der abseits gestanden hatte, trat heran.

„Darf ich dir helfen, Ronald?“

Dieser reichte ihm die Hand. „Guter Kerl, wenn du einen Rat weißt, ich wäre dir dankbar.“

„Ja, Herr von Mallwitz, Sie sind nun einmal eingeweiht in diese mehr als peinliche Situation. Helfen Sie uns! Sie sehen, wir sind außerstande, selbst zu überlegen“, bat die Konsulin, alle Vornehmtuerei beiseite lassend.

Mallwitz verneigte sich vor ihr.

„Vor allen Dingen würde ich Ihnen, gnädige Frau, raten, zur Gesellschaft zurückzugehen, damit Ihre Abwesenheit nicht auffällt. Ihren Herrn Gemahl müssen Sie wohl unterrichten, sobald Sie das unbemerkt tun können. Ronalds Mutter und Schwester erfahren am besten vorläufig nichts. Sie würden sich nur unnötig sorgen, ohne helfen zu können. Wenn die Angelegenheit aufgeklärt ist, erfahren sie noch früh genug davon. Der Portier ist der einzige Mensch, der Ronald zurückkommen sah. Er kann in der Meinung bleiben, dass die junge Frau diese Nacht in der Villa Limbach bleibt. Und Ihre Dienerschaft, gnädige Frau, wird in dem Glauben belassen, dass das junge Paar hier im Fürstenhof logiert und erst morgen abreist. So ist vor allen Dingen Zeit gewonnen. Ronald bleibt hier in seinem Zimmer bis morgen Früh und begibt sich dann vorläufig in ein abgelegenes Hotel, wo ihn niemand kennt. Dann gilt er auch hier für abgereist und kann eine Nachricht von seiner Frau abwarten. Wo sich Frau Lisa auch aufhält, sie wird vermeiden, von Bekannten gesehen zu werden. Dass sie jedes Aufsehen verhüten will, geht aus ihren Zeilen hervor. Sie wird ja auch sobald wie möglich Nachricht geben über ihren Aufenthalt. Dann können weitere Maßnahmen getroffen werden.“

Die Konsulin reichte ihm huldvoll die Hand.

„So ist es gut, Herr von Mallwitz. Wir danken Ihnen herzlich für Ihren guten Rat, dem wir nachkommen wollen. Nicht wahr, Ronald?“

Hechingen hatte grübelnd vor sich hin gesehen. Nun fuhr er auf. „Ja; gewiss, das werden wir tun“, erwiderte er nervös.

„So will ich jetzt wieder hinuntergehen.“

Seufzend verabschiedete sich die Konsulin.

Als die Tür hinter ihr zufiel, starrte Ronald gedankenverloren vor sich hin. Im Geist sah er Lisa vor sich mit dem scheuen Lächeln, dem aufleuchtenden, innigen Blick. Dieses Lächeln hatte ihn manchmal peinlich gerührt, aber noch öfter gepeinigt. Und nun war sie vor ihm geflohen.

Er sprang auf und blieb vor Mallwitz stehen, ihm starr ins Gesicht blickend.

„Ist das nicht wie eine Antwort auf das, was ich dir vorhin in deinem Zimmer sagte, Kurt? Sie gibt mich frei, mein Wunsch ist erfüllt.“

Mallwitz antwortete nicht. Er sah besorgt in Ronalds verstörtes Gesicht.

Hechingen fasste den Freund am Arm.

„Kurt, mich peinigt ein schrecklicher Gedanke. Weißt du genau, dass das Zimmer neben dem deinen leer war? Wenn sie uns gehört hätte?“

Mallwitz nickte ernst.

„Du kommst von selber darauf, Ronald. Deine Vermutung bestätigt sich leider. Ich sah vorhin die Jungfer der Konsulin aus diesem Nebenzimmer treten mit dem Brautkleid deiner Frau. Auf mein Befragen teilte sie mir mit, dass sie in dem Zimmer die Kleider gewechselt und dann noch eine Weile geruht hat.“

Ronald zuckte zusammen und fiel stöhnend in seinen Sessel.

„So hat sie alles gehört! Kurt, ich könnte mich selbst umbringen! Was hab ich dem armen Ding angetan!“

„Es ist ein unglückliches Verhängnis. Wie konnten wir ahnen, dass sie sich gerade in diesem Zimmer aufhielt? Es war ja so still drüben.“

Ronald schlug sich vor die Stirn. „Zu denken, dass sie nun allein irgendwo herumirrt mit ihrem Schmerz! Verrückt könnte ich über diesen Gedanken werden.“

Mallwitz legte seine Hand auf Ronalds Schulter.

„Beruhige dich doch, mein Alter! Vielleicht bringt euch dieser Zwischenfall näher, vielleicht wird noch alles gut.“

„Lass nur, mich brauchst du nicht zu trösten; es ist mir nur um sie zu tun. Wenn ich nur wüsste, wo ich sie finden könnte! Herrgott, ist das ein erdrückendes Gefühl, schuld zu sein am Unglück eines Menschen, der sein Geschick vertrauensvoll in meine Hände legte! Hätte ich doch den Mund gehalten! Musste ich denn alles, was mich drückte, ausplaudern wie ein altes Weib?“

„Solche Vorwürfe sind nutzlos, Ronald. Mir tut es furchtbar Leid, dass ich gewissermaßen die Ursache gewesen bin zu dieser Affäre. Hätte ich dich nicht in mein Zimmer geführt, dann wäre vielleicht unausgesprochen geblieben, was deine Frau in die Flucht getrieben hat. Aber, wie gesagt, Vorwürfe machen nichts ungeschehen.“

Ronald hatte kaum gehört, was Mallwitz sagte. Er dachte an Lisa. Vergessen war sein Wunsch nach Freiheit, vergessen die Pein, die er empfunden hatte bei dem Gedanken an ein Zusammenleben mit ihr. Er sah sie vor sich mit verstörtem Gesicht. Ihre Augen, die immer so voll Liebe zu ihm aufgesehen hatten, blickten ihn vorwurfsvoll an. Warum hast du mir das angetan?, schienen sie zu fragen.

***

Lisa hatte wirklich jedes Wort der Unterhaltung zwischen ihrem Gatten und Kurt Mallwitz gehört.

Erst war sie errötend zusammengezuckt, als sie ihn an der Stimme erkannte. Still, mit seligem Lächeln lag sie in ihrem Sessel. Aber gleich darauf richtete sie sich jäh empor und starrte mit erschrockenen Augen auf die durch ein Schränkchen verstellte Verbindungstür der beiden Zimmer. Sie saß ganz nahe dabei und hörte mit unbarmherziger Genauigkeit jedes Wort.

Wie unter Keulenschlägen sank sie mehr und mehr in sich zusammen. Sie wollte schreien, sich wehren gegen das Furchtbare, das von da drüben auf sie eindrang. Wie gebannt saß sie in dem Sessel, bleich bis in die Lippen, ein Bild des furchtbarsten Schmerzes, der unerträglichsten Demütigung.

Ach, welche Qual ihr diese Stunde brachte, die erst nur Seligkeit für sie gehabt hatte! Eine falsche, verlogene Seligkeit. In dieser kurzen Viertelstunde, die sie zitternd vor Schmerz und Erregung in dem eleganten Hotelzimmer verbrachte, schien der ganze Inhalt ihres Lebens erschöpft zu sein. Wie ein vernichtender Sturm brauste es über sie hin, ein Sturm, der alles Schöne und Liebe aus ihrer Seele riss und nichts zurückließ als brennende Scham und trostlose Verzweiflung.

Zu jäh war der Wechsel zwischen überschwänglicher Glückseligkeit und bodenlosem Jammer. Die Zähne schlugen ihr wie im Frost zusammen, die Augen glühten wie im Fieber.

Und dann hörte sie, wie Ronald verzweifelt ausrief: „Herrgott im Himmel, wäre ich doch frei, frei!“ Wie von einer unwiderstehlichen Macht wurde sie da getrieben. Sie erhob sich leise, totenblass. Mit zitternden Händen warf sie den Mantel über, hängte ihr Reisetäschchen um und ergriff die Handschuhe. Dann ging sie hinaus.

Unten im Vestibül kam ihr der Portier entgegen. Er stockte. Etwas dämmerte in ihr, dass sie eine Erklärung geben müsse für ihr Fortgehen. Sie stotterte etwas, was ihr der Augenblick eingab, und hastete dann an ihm vorüber. Eine Droschke, die eben einen neuen Hotelgast gebracht hatte, hielt vor der Tür. Sie stieg ein und befahl dem Kutscher, zur Villa Limbach zu fahren.

Mühsam ordnete sie ihre Gedanken. Aber ehe sie sich noch klar geworden war über das, was sie nun tun sollte, hielt der Wagen. Sie stieg aus und hieß den Kutscher zu warten.

Dem Diener, der ihr öffnete, rief sie ein paar hastige Worte zu. Dann eilte sie in ihr Zimmer und schrieb das Kärtchen für Ronald.

So schnell wie möglich verließ sie das Haus wieder. Dem Kutscher rief sie zu: „Fahren Sie mich zum Bahnhof!“

Nun fuhr sie weiter. Aber nicht lange, dann bat sie den Kutscher, zu halten, und stieg aus. Sie reichte ihm ein Geldstück und sagte ihm, dass sie noch etwas besorgen müsse.

Lisa ging wie im Traum weiter, aber die Knie versagten ihr den Dienst. In den Anlagen setzte sie sich auf eine Bank und starrte vor sich hin. Ein junger Mensch ging einige Male an ihr vorüber und redete sie schließlich an. Sie erschrak und floh vor ihm. Müde lief sie weiter. In der Sidonienstraße fand sie eine kleine Konditorei. Sie konnte von der Straße den schmalen Raum übersehen. Er war leer. Rasch trat sie ein und setzte sich in eine Ecke. Ein junges Mädchen fragte nach ihren Wünschen. Sie bestellte eine Tasse Schokolade.

Als sie ihr Täschchen öffnete, um zu bezahlen, fiel ihr Blick auf den Brief, den sie heute kurz vor der Fahrt zur Kirche erhalten hatte. Ein rettender Gedanke stieg in ihr empor. Sie zog den Brief heraus und umklammerte ihn mit der Hand, bis sie die Schokolade bezahlt hatte und allein war. Dann zog sie ihn hastig aus dem Kuvert und gab sich Mühe, ihn mit klarem Bewusstsein noch einmal durchzulesen.

Mit wie anderen Empfindungen hatte sie diesen Brief zuerst gelesen! In der Fülle ihres Glücks hatte sie nicht vermocht, ihre Gedanken darauf zu richten. Jetzt, in der Fülle ihres Leides, musste sie es tun, weil sie von diesem Schreiben die Lösung der qualvollen Frage erhoffte, was aus ihr werden sollte. Der Brief lautete:

Meine liebe Lisa!

Wenn ich auch aus besonderen Gründen nicht zu deiner Hochzeit kam, so will ich dir doch zu deinem Ehrentag meine innigsten und herzlichsten Glückwünsche darbringen. Du willst wahrscheinlich gar nichts wissen, von deiner Tante Anna, denn deine Tante Hermine wird mich in deinen Augen wohl als eine Art Popanz und Leuteschreck hingestellt haben. So junge Menschen wie du sind ja so leicht von ihrer Umgebung zu beeinflussen. Sonst hätte ich wohl schon eher zuweilen an dich geschrieben. Solange du aber im Haus meiner Schwägerin warst, hatte das gar keinen Zweck. Ich kenne sie zu genau, um nicht zu wissen, dass sie dir nicht gestattet hätte, mir zu antworten. Denn wir sind sozusagen spinnefeind miteinander. Aber nun zu dir, mein liebes Kind. Obwohl ich dich seit dem Tod deiner Eltern nicht mehr gesehen habe, dachte ich doch immer in treuer Liebe an dich. Denn du bist das Kind meines geliebten Bruders, und deine Mutter war mir eine liebe Freundin. Ich wollte dich nach dem Tod deiner Eltern so gern zu mir nehmen. Mein Mann war kurz vorher gestorben, und ich selbst habe keine Kinder. Es wäre ein Trost gewesen, dich um mich zu haben. Aber meine Schwägerin entriss dich mir. Ich war schwer krank in jener Zeit und konnte meine Ansprüche an dich nicht genügend zur Geltung bringen. Als ich gesund war, hatte dich Hermine schon fest in ihren Händen, und obwohl mein Bruder Karl selbst sie bat, dich an mich abzutreten, weigerte sie sich in recht hässlicher Weise. So musste ich mit schwerem Herzen zurücktreten. Viel Liebe wirst du nicht von ihr erfahren haben, denn wo andere Leute das Herz haben, hat die Frau Konsul einen Adelskalender.

Aber ich schweife immer wieder ab. Verzeih mir! Doch jahrelang angehäufter Groll drängt in mir zum Ausbruch. Ich bin eine einsame Frau geblieben, mein liebes Kind, und habe mich Jahr um Jahr schmerzlich nach dir gesehnt. Aber bei Hermine betteln, dich wenigstens zuweilen ein paar Wochen zu mir zu schicken, das vermochte ich nicht. Es hätte auch nur zu weiteren Misshelligkeiten geführt; denn ich hätte wahrscheinlich versucht, ihre Erziehungsmethode an dir zu korrigieren. Und darunter hättest du schließlich am meisten gelitten. Aber nun, mein geliebtes Kind, bist du erwachsen und kannst dir selbst ein Urteil bilden. Nun bist du verheiratet, hoffentlich recht glücklich, obwohl deine Tante Hermine wohl mehr auf den Adel und Titel deines Mannes Wert gelegt hat als darauf, dass er dich glücklich macht. Also, nun bist du nicht mehr von der Frau Konsul abhängig; und wenn du deiner einsamen Tante Anna einen großen Herzenswunsch erfüllen willst, dann besuche sie bald einmal mit deinem jungen Gatten, vielleicht schon auf der Rückkehr von Eurer Hochzeitsreise. Ich werde von heute an jeden Tag und jede Stunde auf dich warten.

Grüß mir deinen jungen Gatten herzlich. Auch meinem Bruder Karl einen lieben Gruß; ich bin trotz allem, was man zwischen uns geschoben hat, für ihn die alte. Der Konsulin bestelle jedoch keinen Gruß; ich will ehrlich bleiben. Selbst Höflichkeitslügen gehen mir gegen den Strich.

Denke deshalb nicht schlecht von mir, deiner dich herzlich liebenden

Tante Anna

Lisa hatte den Brief langsam zu Ende gelesen. Ein Gefühl, als wenn eine warme, weiche Hand tröstend über ihren Scheitel striche, stieg in ihr auf. Ihre Augen bekamen einen feuchten, sehnsüchtigen Schimmer. Dorthin wollte sie fliehen, zu der Frau, die so herzliche Worte für sie hatte, die in Liebe ihrer gedachte.

Es war ihr eine Wohltat, ein Ziel vor Augen zu haben. Die Notwendigkeit, das Ziel zu erreichen, riss sie aus ihrem schmerzversunkenen Zustand. Sie überzeugte sich, dass sie zum Glück noch ein paar Goldstücke in ihrer Tasche hatte. Damit kam sie wohl nach Rahnsdorf. Es lag in der Nähe von Jena, das wusste sie. Bis Jena musste sie mit der Bahn fahren, nein, bis Porstendorf. Hier stand es auf dem Kuvert: „Rahnsdorf, Station Porstendorf.“

Ohne ihre Schokolade berührt zu haben, verließ sie die Konditorei. Auf der Straße rief sie die nächste Droschke an, die ihr begegnete, und fuhr zum Bahnhof.

***

Frau von Rahnsdorf war eine stattliche Frau von fünfzig Jahren. Sie trug ein knapp anliegendes Reitkleid, das sie ringsum hoch genug geschürzt hatte, dass man die festen, mit Erdspuren bedeckten Stiefel sehen konnte. Über dem grau melierten, noch sehr reichen Haar saß eine graue Mütze fest auf dem Kopf. Die Reitpeitsche unter den Arm geklemmt, in dem frischen, energischen Gesicht ein gutmütiges Lächeln, stand sie mitten im Hof neben einem alten Mann, offenbar einem ihrer Untergebenen, und klopfte ihm auf die Schulter.

„Nun geh nur nach Hause, Martin, und pack dein steifes Knie ordentlich in warme Decken!“

Der Alte antwortete etwas. Sie lachte.

„Unsinn; wir werden schon ohne dich fertig. Hast dich doch lange Jahre für mich geplagt. Ich weiß doch, dass du kein Drückeberger bist. Nun marsch ins Bett mit dir und nicht aufgestanden, bis es wieder gut ist! Verstanden?“

Der alte Mann humpelte davon.

Frau von Rahnsdorf pfiff laut auf einer kleinen silbernen Pfeife. Darauf erschien ein junger Knecht, dem sie ihr Pferd übergab, das noch neben ihr stand. „Dalli, dalli, Friedrich! Hast du nicht gesehen, dass ich zurück bin? Hier, nimm die Suleika, sie muss mit warmen Tüchern abgerieben werden. Fix, mein Sohn, besinn dich nicht lange!“

Der Knecht führte das Pferd fort, und Frau von Rahnsdorf wandte sich, um ins Haus zu gehen. Da hielt ein Fuhrwerk neben ihr an. Sie blickte auf. „Na, Heinrich? Weshalb machst du denn mitten auf dem Hof Station? Weißt wohl nicht, wo dein Wagen hingehört?“

Der mit Heinrich Angeredete sprang vom Bock und zeigte über die Schulter.

„Da hat mir der Porstendorfer Stationsvorsteher so ’n Fräulein mitgegeben. Die wollte zur gnädigen Frau, hat er gesagt.“

Erst jetzt bemerkte Frau von Rahnsdorf die blasse, zusammengekauerte Gestalt, die scheu in der Ecke des Kutschbocks lehnte. Etwas in dieser Erscheinung berührte sie eigentümlich. Mit raschen Schritten trat sie neben den Wagen.

„Frau von Rahnsdorf?“, fragte Lisa schüchtern.

„Das bin ich; und – lieber Himmel, diese Augen müsst ich doch kennen!“

„Ich bin Lisa, Tante Anna“, sagte die junge Frau leise.

Das volle, frische Gesicht der Frau von Rahnsdorf verfärbte sich ein wenig. Ihr Blick ruhte einen Augenblick forschend auf dem blassen Gesicht. Dann streckte sie plötzlich die Arme aus und hob Lisa wie eine Feder vom Wagen herunter. Einen Augenblick hielt sie die Gestalt fest in den Armen, und in ihre Augen trat ein zärtlicher Ausdruck.

„Das Kind, die Lisa!“, rief sie so weich, wie man es der resoluten Frau nicht zugetraut hätte.

„Hilf mir, ich bin in großer Not und weiß nicht, wo ich mich hinwenden soll“, flüsterte Lisa an ihrem Hals. Frau von Rahnsdorf zog Lisas Arm durch den ihren.

„Na, Heinrich, nun bring mal dein Fuhrwerk an Ort und Stelle. Hast wohl Wurzeln gekriegt, mein Sohn?“, sagte sie über die Schulter zu dem Knecht und steuerte mit Lisa auf das Haus zu.

Drin im behaglich durchwärmten Wohnzimmer drückte sie Lisa schweigend in einen Sessel. Dann trat sie an ein Schränkchen und schenkte ein Glas Portwein ein. Das führte sie Lisa an die Lippen. „Trink einen Schluck, du bist ja ganz durchfroren!“ Lisa trank gehorsam.

„Wo ist dein Mann, kleine Lisa?“

„Ich – ich weiß es nicht.“

Anna von Rahnsdorf nickte, als wollte sie sagen: Also, das ist es. Dann fragte sie: „Armes, kleines Schwälbchen, hast du dich verflogen?“

Große Tränen lösten sich bei dieser liebreichen Frage aus Lisas Augen. Es waren die ersten, seit ihr Glück zusammengebrochen war.

„Ich bin geflohen – heimlich. Ich wusste nicht, wohin. Dein Brief – da kam ich zu dir. Lass mich bei dir bleiben, Tante Anna!“

Es lag ein so ergreifender Ausdruck in diesen Worten, dass Frau von Rahnsdorf erschüttert war. Sie streichelte nur immer die blassen Wangen der jungen Frau.

„Schickst du mich nicht fort?“, fragte Lisa angstvoll.

Ein weiches Lächeln erschien auf dem Gesicht der Tante.

„Nun fass doch erst mal ein bisschen Vertrauen! Sieh mich nicht so ängstlich an; da dreht sich einem ja das Herz im Leib herum. Ich dich fortschicken? Da kennst du deine Tante Anna schlecht. Die schickt niemanden fort, der in Not ist, am wenigsten den einzigen Menschen, der ihrem Herzen nahe steht. Sei ganz ruhig, bei mir bist du in gutem Schutz! Freilich, so recht freuen kann ich mich nicht, dass du endlich zu mir kommst. Dazu siehst du mir zu elend und unglücklich aus. Aber jetzt will ich dir erst mal frischen Kaffee kochen lassen. Erst musst du essen und trinken; nachher wird gebeichtet.“

Lisa hielt ihre Hand fest.

„Lass mich jetzt gleich alles sagen, Tante Anna; ich ertrag es nicht länger“, schluchzte sie auf.

Frau von Rahnsdorf setzte sich zu ihr.

„Dann herunter damit von der Seele; sag mir alles, was geschehen ist!“

Lisa erzählte. Erst stockend und unsicher, dann in fieberhafter Hast, als müsse sie sich alle Qual von der Seele reden.

Alles vertraute sie der Tante an, ihre ganze Seele breitete sie vor ihr aus; und Anna von Rahnsdorf lernte aus dieser Schilderung Lisa kennen, als wäre sie seit Jahren mit ihr zusammen. Sie übersah das ganze Leben des armen jungen Geschöpfes und erkannte mit scharfen Augen den Einfluss, den ihre Schwägerin auf sie ausgeübt hatte.

Als Lisa zu Ende war mit ihrer Beichte, sah die Tante ihr ernst und gütig in das Gesicht.

„Also ist es doch, wie ich ahnte. Hermines Hochmut wollte einen Baronstitel für dich haben; alles andere war Nebensache. Und dich armes Ding hat sie so geknechtet und unselbstständig erzogen, dass du dir in einer solchen Lage nicht anders zu helfen weißt, als auszureißen. Das war unrecht von dir, Lisa. Du hättest deinem Mann ehrlich gegenübertreten müssen, hättest ihm sagen sollen, dass du alles gehört hast.“

Lisa schüttelte sich entsetzt bei diesem Gedanken.

„Das hätte ich nicht gekonnt, nicht um die Welt! Versteh mich doch; ich schäme mich so namenlos, dass ich ihm gezeigt habe, wie lieb ich ihn habe.“

„Schämen? Dich schämen, dass dir Gott eine große, starke Liebe ins Herz gelegt hat? Du kleine Törin! Ist es ein Unrecht, einen Menschen zu lieben?“

„Aber er will meine Liebe doch gar nicht!“

„Mein armes, verschüchtertes Vögelchen! Hast du denn auch bedacht, was deine Flucht für einen Skandal geben kann? Eine Braut, die ihrem eben angetrauten Gatten davonläuft! Du hast den Namen deines Mannes angenommen und damit die Verpflichtung, diesem Namen Ehre zu machen. Wenn man dir auch Unrecht getan hat, so bist du dadurch nicht berechtigt, Unrecht zu tun. Das hast du dir nicht überlegt.“

Die junge Frau schüttelte trostlos den Kopf.

„Gar nichts hab ich überlegt; ich bin fortgegangen wie von einer fremden Macht getrieben, wusste nicht einmal wohin. Und nun bin ich bei dir. Schilt mich nicht! Du bist gut und hast mich lieb, das fühle ich. Ich hab so großes Vertrauen zu dir. Hilf mir und schicke mich nicht fort! Wenn ich doch immer bei dir gewesen wäre!“

Die ganze Vereinsamung ihres wunden Herzens lag in diesen Worten. Anna von Rahnsdorf hatte feuchte Augen.

„Ja, Kind, was hätte ich darum gegeben, wenn man dich mir gelassen hätte! So sehr hab ich mich gesehnt nach einem jungen Wesen, dem ich hätte Mutter sein können. Einen anderen Menschen hätte ich aus dir gemacht. Nicht so ein scheues, verschüchtertes Geschöpfchen. Siehst aus, als hättest du vor lauter Vornehmheit dich nicht satt essen dürfen. Nun hat der erste Lebenssturm dich niedergeworfen. Na, wenn ich diese Hermine noch einmal zwischen die Finger kriege! Aber da quäle ich dich nun auch noch mit meinem Zorn. Wir haben anderes zu bedenken. Jedenfalls müssen wir sofort telegrafieren, dass du hier bist. Vielleicht lässt sich noch unliebsames Aufsehen vermeiden. Meiner lieben Schwägerin gönne ich ja so einen kleinen Dämpfer; aber es trifft meinen Bruder auch mit. Er wird sich schwer um dich sorgen.“

Lisa nickte.

„Onkel Karl war immer gut zu mir.“

„Ja, ja, Kind, dafür kenne ich ihn. Zu gut und zu schwach; sonst hätte er ihr anders die Zähne gezeigt. Also telegrafieren wir, dass du hier bist, und bitten deinen Mann, herzukommen.“

Lisa fuhr auf und streckte abwehrend die Hände aus.

„Nein, nein! Das nicht, nur das nicht!“

Frau von Rahnsdorf nahm ihre Hand und sah sie ernst an. „Klarheit muss hier vor allen Dingen geschaffen werden. Auch musst du deinem Mann Gelegenheit geben, sich zu rechtfertigen. Vielleicht ist er weniger schuldig, als du denkst.“

„Ich beschuldige ihn nicht, Tante Anna. Im Grunde hat er mir nie gesagt, dass er mich liebt. Ich war nur so töricht, es zu glauben, weil er mich bat, seine Frau zu werden. Er war gut und aufmerksam mir gegenüber. Das hielt ich für Liebe, weil ich sonst so wenig Liebe erfahren habe. Ich klage ihn nicht an; er braucht sich also nicht zu rechtfertigen.“

„Aber die Verhältnisse müssen doch zwischen euch klargelegt werden. Er ist nach Recht und Gesetz dein Mann und kann verlangen, dass du zu ihm zurückkehrst.“

Lisa rang angstvoll die Hände. „Nein, nein! Das darf er nicht.“

„Gewiss darf er. Ob er es tun wird, weiß ich nicht. Ich kenne ihn ja nicht.“

„Nein, er wird es nicht tun.“